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Der Bettler und die Königin

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Vorwort

Einst in einem Königreich weit jenseits der Berge trug sich eine gar wundersame Geschichte zu...

 

Die Königin eines großen, prachtvollen Reiches voller Schätze und Wunder erkrankte über Nacht an einem unerklärlichen Übel. Alle Ärzte und Alchemisten des Königs vermochten ihr nicht zu helfen - wie ein Stein lag sie in ihren Gemächern, nur mehr ein blasser Schatten, der die Kissen kaum eindrückte.

Einst war sie schön, schön wie die Sonne: das Volk verneigte sich in tiefer, ehrfurchtsvoller Stille, wenn ihr blendender Glanz auf sie viel. Jedermann achtete sie, ihr Antlitz strahlte wie die Sterne am Himmel - doch nun! Seht, seht selbst! Eine jämmerliche Gestalt, jedes Leben aus ihr weichend, die Haut fahl und grau, die Augen eingesunken und nur mehr ein zittriges Beben in ihrer Brust, wo doch einst das Leben selbst in ihr schlug.

In seiner Verzweiflung sandte ihr Gemahl Scharen von Boten und Kuriere in alle Teile des Landes, um jemanden zu finden, der ein Mittel gegen die Schwäche seiner Frau hatte. Doch es misslang - jeder Arzt, jeder Weise und jeder Quacksalber versuchte sein Glück, allerlei sinnlose und überflüssige Mittel wurden ihr verabreicht, doch ohne Wirkung. Die Magier des Reiches wandten all ihre Kunst an, woben große und strahlende Teppiche aus goldenem Licht - aber nichts, nichts und niemand vermochte das grausame Siechtum der einst doch so strahlenden Königin zu beenden...

Da trug es sich zu, an einem Wintertag, dass spät am Abend ein Mann an die Festungstore der Hauptstadt pochte. Die Wachen riefen: "Wer da? Wer schlägt hier, wer wünscht um diese Stunde noch Einlass?" Doch kein Laut war zu vernehmen, nur abermals das Schlagen großer Hände auf dem mächtigen Tor.

Die Wachen liefen nach unten, um durch eine Luke zu sehen, wer dort wohl stand. Als sie das kleine Holzfenster öffneten, erblickten sie eine schmächtige, in alte Lumpen gehüllte Gestalt. Die Wache wollte schon ausrufen, "Geh fort, Bettler haben wir selber genug!", als das Licht seiner Laterne das Gesicht des Alten berührte. So klapprig und armselig die Gestalt doch war, im Gesicht unter der verdreckten Kapuze brannten zwei Augen wie Kobalt, so blau, so leuchtend, dass sie fast nicht zu der verbrauchten, runzeligen Haut ringsum zu gehören schienen.

Der alte Mann blickte den obersten Wachmann einfach nur an, bewegte sich nicht, sprach nicht, keine einzige Silbe kam über seine Lippen. Ein unbestimmbares Gefühl überkam den Torwächter, ihm wurde kalt, eiskalt bis in den letzten Knochen, nur sein Herz brannte, als würde es in Flammen stehen.

Er öffnete eine kleine, schwere Eichentür, fast so dick wie er selbst, die am Rand für Ehrengäste eingelassen war. Die Nachtluft schien draußen noch kälter und feuchter zu sein, aber der Greis schritt ohne zu zögern über die Schwelle hinein. Später, als alles was folgte vorbei war, würde der jüngere der Wachmänner seinem Bruder bei einem Krug Bier in der Taverne erzählen, dass er nicht glauben konnte, dass der Bettler von da draußen gekommen war. Es war bitterkalt und nass und seine Füße seien nur in zerrissene Tücher gewickelt gewesen. Kein Mensch konnte das lange durchhalten...

Die Wachen wichen zurück, als der Lampenschein sich in den Kobaltaugen brach, niemals hatten sie ein solches Leuchten und Strahlen in einem Gesicht erblickt. Der Alte nickte dem Befehlshaber zu und ging mit lautlosen Schritten in die Stadt, mitten auf den Palast des Königs zu. Der Wachmann, ein Berg von einem Mann, bekreuzigte sich als er verschwunden war. Sein Herz schlug so schnell, das er nicht einmal einen Puls in sich spüren konnte, nur ein atemloses Rauschen von heißem Blut in sich.

Die zerlumpte, vermummte Gestalt huschte wie ein Schatten rasch über die Straßen und durch die Gassen auf des Königs Heim zu. Die Leibgarde seiner Hoheit blieb die Annäherung des merkwürdigen, dürren Schattens nicht verborgen. Sie weckten ihren Herrn der müde von den Aufgaben des Tages und selbst schon krank vor lauter Sorge um seine sterbende Frau in seinen Gemächern lag...

Lichter entbrannten in den Fenstern des Schlosses, Lampen wurden angezündet und der König selbst, in einen weiten Überwurf gewandet, trat mit Wachen und aufgeschreckten Zofen in den Eingang des Palastes.

"Wer wagt es hier zu stören mitten in der Nacht?" dröhnte seine Stimme in die Dunkelheit. Der Alte trat mutig vor in den Schein der Lampen und aus Falten und Narben starrten zwei Saphire von unglaublicher Farbe - oder doch nur Augen? - dem König mitten ins Gesicht. Er erschrak bis ins Mark, so ein kaltes Feuer und doch so heiß wie brennende Kohlen hatte er niemals zuvor im Blick eines Menschen gesehen.

"Lass mich zu deiner Gemahlin, ihretwegen bin ich hier." Die Stimme des Alten war tonlos, ohne Klang und Hall, nur Worte in der kalten, nebeligen Luft, doch so voller Bestimmtheit und Gewissheit erhört zu werden, dass kein Zweifel blieb an der Ernsthaftigkeit seines Begehrens.

Der König erkannte, dass er - trotz all seines Willens und seiner Stärke - hier einer Kraft gegenüber stand, der er nichts entgegen zu setzten hatte. Nein, diese verhärmte Lumpengestalt war vieles, doch gewiss kein einfacher Bettler! Der Herrscher trat wortlos zur Seite und bedeutete dem Wesen (oder doch nur Mensch?) mit einer schlichten Geste einzutreten.

Ebenso schweigsam wie der König trat der alte Mann ein und überschritt die Schwelle des Schlosses. Der Hofstaat sagte kein Wort, keiner konnte mehr reden, selbst das Atmen schien schwer in diesem Moment. Die Leibwächter, die den Eingang flankierten, blickten nur kurz in die in schmutzige Falten eingelassenen Augen. Mehr konnten sie nicht ertragen, zu viel, viel zu viel Kraft und Wissen lag darin verborgen...

Als wüsste er mit Karte und Kompass, wo er hin musste, ging die dürre Gestalt über die große Treppe nach oben, zielstrebig auf die privaten Gemächer des Königs und seiner Gemahlin zu. Wie ein grauer Schatten huschte er nach oben, der Hofstaat konnte kaum folgen, so flink bewegte er sich vorwärts. Kein Alter hätte sich jemals so bewegen können!

Atemlos und voller Furcht trat der König in das abgedunkelte Zimmer in dem, unter großen Kissen verborgen, seine Frau dem Tode schon näher war als dem Leben. Ohne inne zu halten hatte sich der Greis ans Bett gesetzt und blickte auf den Körper der Herrscherin. Straff spannte sich die Haut über die Knochen, wie Pergament als könnte man die Gefäße darunter schon erahnen.

Dem König traten die Tränen wie Seen in die Augen - dies war gewiss der Tod der gekommen war um die Frau, die er von Herzen mehr liebte als selbst tausend Worte jemals sagen konnten, zu sich zu holen. Doch als er in die fast grellblauen, funkelnden Augen blickte, war er sich nicht mehr so sicher. Etwas tauchte auf dem verbrauchten Gesicht des uralten Mannes auf, zum ersten Mal etwas wie eine menschliche Regung. Mitgefühl?!

Mit unglaublicher Zärtlichkeit und Sanftheit strich er ihr das wirre, verschwitzte Haar aus der blassen Stirn. Ein Ausdruck von großer Hingabe und Demut trat in den eisblauen, kalten Blick und brachte diese unmenschlichen Augen zum Brennen. Der Bettler legte seine Hand ganz auf ihren Kopf und ein Ausdruck tiefsten Schmerzes verdüsterte sein Antlitz - als ob er allen Schmerz und alles Leid dieser Welt in einem einzigen Moment sehen würde.

Dem König blieb für einen Moment das Herz stehen. Es war, wie wenn alle Zeiten der Erde nur auf diese eine Sekunde hingearbeitet hätten und die Uhren der Menschen nun ihren Dienst erfüllt hätten.

"Ich gebe dich frei, Kind..." flüsterte der Alte. Unvorstellbar für alle Anderen beugte er sich langsam über die liegende Herrscherin und küsste sie genau zwischen die Augen. Eine einzelne Träne, die selbst im schwachen Kerzenschein des Gemaches funkelte wie der kostbarste Diamant, lief ihm aus den geschlossenen Augen und benetzte ihre Wange. Wie von einem Windstoß getragen hob sich die Bettdecke, als die Königin den tiefsten Atemzug ihres Lebens machte und erschrocken die Augen aufmachte.

Im Türrahmen hatte sich mittlerweile völlig aufgelöst die Traube aus Dienern, Zofen und Palastwächtern versammelt um das unglaubliche Wunder zu sehen. Tränen liefen aus ihren Augen und ein Ausdruck echter Dankbarkeit erhellte ihre Gesichter.

Der alte Bettler stand auf und wandte sich dem König zu. Auch dieser erhob sich, aber nur um sich vor ihn hin zu knien. Er neigte das Haupt, so wie seine ergebenen Untertanen gleiches bei ihm taten. Mit zitternder Stimme setzte er zum Sprechen an.

"MEIN König, ich danke dir. Ich weiß, dass heute Abend der Tod an meine Tür geklopft hat, um meine Frau zu holen - und ich danke dir aus tiefster Seele, dass du Erbarmen mit ihr hattest....und mir das wichtigste und wertvollste aus allen Schätzen meines Reiches zurück gegeben hast: meine über alle Maßen geliebte Frau..." Mehr konnte er nicht sagen, es war, als ob er keine Stimmbänder mehr hätte, es war zu viel für einen einzelnen Menschen, selbst für einen mächtigen Herrscher.

"Ja, ich bin gekommen, um sie zu holen, ihr Siechtum hat schon lange genug angedauert!" Die hohle Stimme, ohne jeden Unterton einer Regung, hing noch in der Luft als sich die abgearbeiteten Hände auf die Schultern des knieenden Königs legten. "Doch niemals in allen Zeitaltern eurer Ewigkeit habe ich ein größeres Maß an Liebe und Hingabe im Herzen eines Mannes gesehen als bei dir..." Zum ersten Mal sprach der Tod wie ein Mensch, voller Güte und Mitgefühl füllten seine Worte den Raum.

Der Alte zog den zitternden König nach oben zu sich hoch. Als dieser in die Augen der Gestalt blickte, erkannte er, dass dies gar keine wahren - es waren Sterne, zwei blaue Sonnen, die in den leeren Höhlen schwebten und nur den Eindruck eines menschlichen Blickes schufen.

"Kind, ich bin alt - älter als die Bäume, älter als die Berge und selbst schon länger hier als die Sterne am Himmel. Ich danke dir für die Liebe zu ihr - dein Herz mag mir wieder Glauben geben, dass die Menschen, ansonsten rachsüchtige und kleinliche Geschöpfe dieser Welt, doch die Kraft haben werden, über sich hinaus zu wachsen... dann, wenn ihre Zeit gekommen sein mag..."

Er drückte seine Hand und verneigte sich - der Tod der Welt verneigte sich vor dem Herrscher eines Reiches! Als wieder Luft zum Sprechen in seinen Lungen war, wandte sich der König dem Hofstaat zu.

"Lasst uns feiern, wie wir noch nie gefeiert haben - lasst alle Lichter anzünden, weckt alle Kinder und bringt sie ins Schloss. Lasst uns gemeinsam das Leben feiern - weil selbst das Schicksal der Welt Einsicht gezeigt hat, mit einem kleinen Menschen wie mir..."

Er wollte sich noch einmal dem Alten zuwenden, doch er war fort - er war in der Mitte des Raumes gewesen, und doch hatte niemand sein Gehen bemerkt. Nur die Königin schaute auf den Platz, wo er gestanden hatte... und ein kleines Lächeln teilte ihre schon rosiger werdenden Lippen. Noch war sie schwach, aber bald würde es ihr gewiss wieder besser gehen.

Keiner fragte weiter nach, man ließ mit lauten Fanfaren die Stadt wecken, die Lager des Schlosses wurden geöffnet und ein Fest wurde gefeiert, wie es selbst dieses stolze Reich kein zweites Mal sehen würde!

Nur ein paar leuchtend blaue Augen blickten aus dem Gebüsch jenseits des Schlosses auf die Türme, die nun von strahlendem Feuerwerk erleuchtet wurden. Und während die Musik durch die neblige Luft herüber geweht wurde, huschte ein kleines Lächeln über ein Gesicht, dass zu solchen Regungen sonst kaum fähig war...

Nachwort

Doch was sonst könnte selbst den Tod, den wahren König der Welten, erbarmen als wahre und aufrichtige Liebe?

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