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What the Hell

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Wie lange mag es her sein, dass sich unsere Wege getrennt haben, 3 Jahre? Ich musste selbst erst nachschauen. Lass mich dir sagen, es sind inzwischen schon über 5. Und dennoch, alles ist immer noch genauso klar wie damals. Ich dachte echt, ich würde dich nie wiedersehen. Hatte es sogar gehofft, denn die Wunde war tief und ist immer noch nicht vollständig verheilt. Doch dann, letzte Woche, ich musste mehrfach schauen, um dich zu erkennen, sah ich dich, hier in der Kölner Innenstadt. Zuerst wollte ich weitergehen, ohne einen weiteren Blick. Doch dann sah ich ein zweites Mal hin. Mir wurde schlecht. Ich sackte fast zusammen. Mein Gesicht wurde so aschfahl, dass einige besorgte Passanten mir helfen wollten. Du warst nicht alleine. Nicht, dass es mich überraschte, aber du gingst Arm in Arm mit einem Mann, ja nach einiger Zeit küsstest du ihn. In mir brachen sämtliche Dämme, die ich mir selbst errichtet hatte, um meinen Schmerz zu fesseln. Ich rannte, rannte so schnell ich konnte. Wusste nicht wohin und fand mich schließlich am Rheinufer wieder. Lange saß ich da, grübelnd. Unser letztes Treffen ging mir durch den Kopf. Damals nach dem Abi. Ich schrieb dich an, bat dich um ein Treffen, konntest du dir überhaupt vorstellen, wie schwer alleine das war und das obwohl ich nicht verlauten ließ, weswegen ich dich treffen wollte. Wie ich extra jenen Ort am See wählte, unsere geheime Rückzugsstelle, wenn wir einfach genug von der Welt hatten. Erinnerst du dich noch? Wie anfangs alles normal war, wir tobten im Wasser, beredeten was wir in Zukunft machen werden. Planten die Zeit zwischen Abi und Studienbeginn. Bis du irgendwann gehen wolltest. Ich hielt dich zurück. Du schautest mich nur fragend an. Ich konnte dem Blick deiner tiefbraunen Augen nicht standhalten. Leicht ungeduldig fragtest du, was denn los sei. Woraufhin ich stammelte, dass ich schwul sei und mich in dich verliebt hätte, dass ich das eigentlich gar nicht wahr haben wollte, es aber so sei und ich hoffen würde, dass wir dennoch beste Freunde bleiben könnten. Ich kam nicht mal bis zum Ende, weißt du das noch? Du sprangst auf. Schriest: „Scheiß Schwuchtel, komm mir nicht zu nahe, du kannst froh sein, wenn ich das niemandem erzähle. Am besten wäre, ich schlag dich zusammen, treib es dir aus.“ Weißt du das denn noch? An jenem Tag zerbrach etwas in mir. Etwas, das immer noch zerbrochen ist. Ich kam nie über jenen Abend hinweg, ich konnte nur Dämme bauen, immer neue, jedes Mal wenn der Schmerz zu stark wurde. SO vergrub ich es immer tiefer, ließ es niemanden sehen. Ich versuchte weiterzuleben. Traf hier und da mal einen Typen, doch immer wenn es ernst wurde, merkte ich wie es in mir zu bröckeln begann und auch, dass er es nicht schaffen würde das Zerbrochene in mir zu kitten. Und so wurde auch das weniger. Inzwischen ist von meinem alten, glücklichen Leben und von meinen Freunden, kaum etwas übrig, einzig Freddy ist noch da, weißt du noch, der Plüschhase, den ich in Kunst genäht habe und den du nach dem aus Nightmare on Elm Street benannt hast. Oder hast du das etwa auch vergessen? Als ich dann so am Rheinufer saß, mich selbst bemitleidend, fragte ich mich, ob du überhaupt weißt wie sehr du mich verletzt hast. Fragte mich, wie ich dir das begreiflich machen könnte. Den ganzen Weg nach Hause. Irgendwann fiel mir ein, dass ich noch deine Email habe und so begann ich zu tippen. Ich weiß nicht mal ob du die Adresse überhaupt noch nutzt. Ich weiß nicht mal genau was ich fühlen soll, Wut, Trauer, Enttäuschung, Freude, denn ich hab immer nur das Beste für dich gehofft, auch nach jenem Tag. Vielleicht fühle ich auch gar nichts mehr.

Andreas

 

Ich lehnte mich zurück. Ich hatte es getan, ich hatte tatsächlich auf senden gedrückt. Was würde passieren, würde er die Nachricht überhaupt lesen? Und was dann, würde er dann auf wundersame Weise plötzlich mit seinem Freund Schluss machen und zu ihm kommen? Oder will ich nur, dass alles wie früher werden soll, dass wir wieder beste Freunde sind, doch wie sollte das funktionieren?

Eine Cola wäre jetzt gut, dachte ich bei mir. Eine Cola und irgendwas zu essen. Doch es half nichts, meine Gedanken kehrten immer wieder zurück, zurück zu ihm, wie ich ihn heute sah, zurück zu jenem Abend am See.

Wieso hatte er damals so reagiert? Er muss auch damals zumindest geahnt haben, dass er auch schwul ist, na ja zumindest bi. Vielleicht konnte er nicht damit umgehen und wollte es verstecken. Immerhin hatte ich, als ich es selbst auch noch nicht akzeptieren konnte, hin und wieder nicht gerade nett über Schwule hergezogen, damit auch ja niemand auf Ideen käme. Doch wieso sollte er dann, wenn ich mich selbst offenbare, so reagieren. Gut vielleicht hatte ich ihn überfordert, mein Outing bei ihm ging ja noch weit über das normale „Ich bin schwul“ hinaus. Irgendetwas passte hier ganz gewaltig nicht zusammen. Ich brauchte Antworten, doch woher sollte ich sie bekommen. Wenn er antworten würde gut, aber wenn nicht…

Versunken in Selbstmitleid und Tränen bekam ich nicht mit, wie meine Mitbewohnerin zurückkam. Sie bemerkte natürlich sofort, dass es mir etwas scheiße ging. Gut in der Situation hätte das letzte Arschloch der Erde mit verbundenen Augen und kaputten Ohren das gemerkt, aber ich bin eigentlich Niemand, der Gefühle offen zeigt. Umso mehr Sorgen machte sich daher Tanja.

„Mensch Andreas, was ist denn mit dir passiert, wer war das, der wird sich dann bei mir einen abholen dürfen.“ Typisch Tanja, ging immer davon aus, dass irgendein Julio mir, dem Romeo, etwas antun könnte. Das Urkomische an der Sache war, trotz ihrer zierlichen Gestalt und ihrer 1,60m hätte sie es mit jedem aufgenommen und sei er ein 2,20m, 130kg schwerer Kampfsportler mit Bodybuilding Ambitionen. Sie hätte gewonnen. „Kenn ich ihn? Ist es Jan?“ Jan ist ein Mitstudent 2 Semester unter uns und durchaus recht süß, aber ich weiß, ich würde es wieder vermasseln und schwul war er auch nicht, ich wusste aus ziemlich glaubwürdiger Quelle, dass er für jeden Tag der Woche eine andere hatte. „Du kennst ihn nicht und über Jan hatten wir geredet“, gab ich missmutig, ja fast schon in einem beleidigenden Tonfall zurück.

„Willst du denn darüber reden?“

„Klar Tanja und nebenbei kotze ich Regenbögen, scheiße Einhörner und die scheißen dann rosa Zuckerwatte, die uns mit Flauschpompons was vortanzt.“ Nun wurde ich wirklich langsam beleidigend.

„Bei deiner Laune würde ich sagen, du hast Sven gesehen.“ Sie sprach ruhig aber bestimmt.

„Wo… wo… woher weißt du“, stotterte ich mir einen ab, während aus meinem Gesicht sämtliche Züge wichen.

Ihr Tonfall wurde analytisch „Glaubst du etwa ich weiß nicht, dass du im Schlaf redest? Erst brauchte ich einige Mühe um zu verstehen, was du da brabbelst aber inzwischen verstehe ich es ziemlich genau. Deine Träume sind echt besser als jedes Kino, und das sogar ohne Bild. Anfangs glaubte ich, du träumst einfach nur so Dinge, ganz normale Dinge eben, doch dann ging mir auf, deine Hauptdarsteller sind immer die gleichen. Du und ein ominöser Sven. Egal ob du Alpträume hattest oder von Blumenwiesen träumtest über die ihr mäandert. Es war immer ein Sven oder Sveny. Und dann begann ich zu recherchieren, na ja erst nicht, aber dann nahmen die Albträume zu und ich machte mir Sorgen“

Ich bekam meinen Mund immer noch nicht zu und versuchte „Ich rede im Schlaf“ und „Du weißt wer Sven ist“ sowie „was weißt du genau“ gleichzeitig zu brabbeln, der Kauderwelsch war grauenhaft, doch Tanja schien zu verstehen.

„Ja du redest im Schlaf, ich weiß wer Sven ist und inzwischen weiß ich einiges, oder glaube es zu wissen“

„Wie, du glaubst es zu wissen?“

„Na ja dich konnte ich schlecht fragen, immerhin wollt ich nicht, dass du glaubst ich schnüffele rum oder so, auch muss ich zugeben, dass ich anfangs etwas auf dich stand und deswegen potenzielle Nebenbuhler und Hindernisse erstmal sondieren wollte. Also hab ich auf Umwegen versucht was zu erfahren. Bitte sei mir nicht böse, aber ich hab auch in deinen Sachen geschnüffelt. Schade, dass du kein Tagebuch führst, das hätte es sicher leichter gemacht.“

Ich war baff. Aber auch erleichtert, mein Tagebuch kannte sich also nicht. Daher war sie vermutlich auch nicht an meinem Laptop zugange gewesen. Immer noch verwirrt, der ganze Tag an sich nahm langsam extrem irritierende Züge an und ich glaub, wäre ganz plötzlich ein Elefant im Wohnzimmer erschienen, ich hätte mich darüber nicht mehr gewundert, fragte ich „Was glaubst du denn zu wissen?“

„Och, ich denke ich weiß, bis auf die Details, fast alles. Sven muss deine erste große Liebe gewesen sein. Ihr wart beste Freunde, vom Kindergarten bis zum Abitur, danach kam der Knall, ich vermute mal du hast ihm deine Liebe gestanden. Und ich denke auch, dass du seitdem beinahe jede Nacht von ihm träumst. Und zwar gehen deine Träume immer an jenem Moment los. Mal klappt es und mal nicht. Mensch Andreas, du musst in deinen Träumen schon tausende Leben gelebt haben.“

Tanja hatte tatsächlich beinahe alles herausgefunden.

„Wie, Was, Woher weißt du das?“

„Dein Jahrbuch sagte mir wer Sven ist. Und bei den verschiedenen Gelegenheiten, wo deine Eltern dich besuchten, horchte ich sie vorsichtig aus. Den Rest reimte ich mir aus deinen Träumen zusammen.“

„Dann brauch ich ja nichts mehr sagen. Ich werde mich jetzt verziehen, ich will nur noch alleine sein.“

„Nicht so schnell der Herr. Ich weiß, dass du ihn heute gesehen hast, aber da ist noch mehr.“

Woher wusste sie das denn nun schon wieder.

„Ich will nicht drüber reden.“

„Doch willst du, tief in dir drin willst du endlich mal mit jemandem über alles reden, um einen Abschluss zu finden. Da ich eh schon fast alles weiß. Schieß los!“

Natürlich hatte sie Recht, seit 5 Jahren wollte ich es jemandem erzählen, doch ich hatte Angst, dass es mir zu viel wird und ich wollte nicht, dass mich jemand als winselndes Häufchen Elend sieht.

„Wenn du es unbedingt wissen willst“, antwortete ich grimmig, „er scheint doch schwul zu sein, mich vergessen zu haben und mit dieser Hackfresse glücklich zu sein.“ Eigentlich sah sein Freund ja nicht schlecht aus, aber ich musste Frust abbauen.

„Also doch…“, Tanja verstummte abrupt.

„Doch was?“ Irgendwas hatte sie mir verschwiegen, irgendetwas Wichtiges.

„Nix, nix“, winkte sie schnell ab, „er ist also auch schwul und hat nen Freund, nun wird das Ganze interessant“ ,kam abwesend von ihr.

Inzwischen klang das, was sie sagte, wie ein mehr oder minder schlecht einstudierter Dialog. Irgendetwas übersah ich bei dieser Scharade. Ich dachte zurück an den Moment, wo ich Sven in Köln gesehen hatte. Hatte er sich nicht umgedreht und mich angeschaut und als er wusste, dass ich da war seinen Freund geküsst, nein, genau umgekehrt, der Freund hatte mich angesehen, doch wieso und wieso kam mir sein Gesicht bekannt vor. Und wie steckte Tanja da mit drin. Alleine Ihr timing, perfekt. Genau als ich es brauchte. Vor allem, hatte sie heute nicht Schicht in dem Café? Tanjas Geschichte fiel mir wieder ein. Ich hatte gar kein Jahrbuch. Die Abschlusszeitung meines Jahrgangs kam damals nicht zustande. Und im Schlaf reden? Dann wäre meinen Eltern das doch auch aufgefallen. Irgendein Marionettenspieler im Hintergrund führte Fäden, die ich nicht sehen konnte. Wie sollte ich reagieren? Sollte ich es dabei bewenden lassen und warten, dass Tanja die Situation selber aufklärt, oder sollte ich volle Breitseite geben und ihr Lügenschiff versenken. Zu dem Zeitpunkt war mir eh alles egal, ich war geladen bis Unterkante Oberkiefer und entschied aus allen Rohren zu feuern.

„Tanja hör auf Märchen zu erzählen, schreib meinetwegen welche, aber jetzt rück mit der Sprache raus.“

„Ich muss ins Café fällt mir ein.“ Sie entschwebte.

Da war ich also, wieder allein, mehr Fragen offen als geklärt, im Bewusstsein, von einem der wenigen Menschen belogen worden zu sein, denen ich vertraute. Was für ein Scheißtag grummelte ich.

Ich schleppte mich ins Bett und weinte mich langsam in den Schlaf. Warum muss mich die ganze Welt hassen, war das Letzte, bevor mich die friedliche Schwärze forttrug.

Schweißgebadet erwachte ich mitten in der Nacht. An weiterschlafen war gar nicht zu denken, zu viele Gedanken ließen meinen Kopf brummen, wie einen Bienenstock. Ich beschloss etwas fernzusehen, um mich abzulenken. Im Wohnzimmer, Tanja. Die schon wieder, langsam bekam ich eine leichte Wut auf sie, und dennoch, in diesem Theaterstück, war sie wieder perfekt plaziert, beinahe als würde sie auf mich warten. Ich gesellte mich schweigend zu ihr. Bis ich nicht mehr konnte und aus mir raussprudelte.

„Tanja, ich weiß du lügst, ich brauchte vorhin etwas, um das zu begreifen, da ich abwesend war, aber du tust es und die letzten Puzzleteile find ich auch noch.“

Sie schwieg.

„Willst du mich jetzt ewig anschweigen, weil ganz ehrlich, dann kannst du dir eine neue WG suchen.“

Weiterhin Schweigen.

Irgendwann fragte sie:

„Liebst du ihn noch immer?“

„JA, VERDAMMTE SCHEIßE und nun hör auf zu lügen.“

„Was würdest du geben, dass es wieder wie früher wird.“

„Das kann es nicht, auch wenn meine Mail von vorhin vielleicht drauf abzielte.“

„Und wenn doch? Welche Mail eigentlich?“

„Tut nichts zur Sache und nun will ich die Wahrheit. Ich fühle mich wie die Hauptperson eines Films, aber leider hat wohl wer vergessen mir zu sagen welche ach so absurde Rolle mir zugedacht ist.“

„Ok, aber lass mich kurz noch was erledigen.“

Tanja stand auf und ging zur Tür, ich dachte schon sie wolle wieder flüchten, doch vor der Tür standen zwei Gestalten. Eine Mischung aus Angst, Neugier und Unverständnis bemächtigte sich meiner, noch ein Akt vor der Auflösung? Ich hatte aber so langsam echt die Schnauze voll. Die beiden Gestalten traten ein. In Kampfhaltung sprang ich auf, und wollte auf sie losgehen. Nun ging das zu weit. Jetzt treten DIE beiden auch noch auf. Das waren doch tatsächlich Sven und sein Freund, welche Dreistigkeit, will mich hier wer in den Tod oder die Anstalt treiben, wenn ja hatte er es fast geschafft.

Ich kam gar nicht bis zur Tür. Tanja überwältigte mich. Ich sagte ja sie ist nicht kleinzukriegen. Als ich mich wieder aufrappelte sah ich sie verständnislos an, dann blickte ich mit Abscheu zu den beiden anderen. Ich drehte mich um.

Dann hörte ich seine Stimme. 5 Jahre waren vergangen und immer noch war sie wunderschön. Ihr Klang besänftigte mich wieder etwas und so konnte ich dann auch hören, was er sagte.

„Kann mir mal einer sagen, was hier los ist. Ich werde nach Köln geschleppt, die Fußgängerzone auf und ab geführt, dann von einem guten Freund geküsst und dann stehe ich noch hier meinem Ex-besten Freund gegenüber.“

„Ich dachte du könntest das.“ Versuchte ich ihn wütend anzufauchen, was mir misslang.

Er wollte grad zu einer giftigen Gegenantwort ausholen, da sprang Tanja dazwischen.

„Andreas, ich glaub meinen Bruder kennst du noch, oder?“

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ich kannte Svens "Freund" tatsächlich, aber Tanjas Bruder, der war doch seit Jahren mit dieser, dieser, auch egal, zusammen.

„Und was will dieser Zwerg jetzt noch“, brummelte Sven.

„Diesem Zwerg fällt gleich noch was ganz anderes ein, wenn ihr beide nicht runterkommt“, und sie deutete erst auf die Schraubzwingen auf ihrer kleinen Werkbank, sie liebte es mit Holz zu arbeiten, und dann erst auf seinen und dann auf meinen Schritt, wir verstanden. An zwei gegenüberliegenden Enden des Sofas nahmen wir Platz, Tanja und ihr Bruder blieben stehen.

„So und nun reden wir. Ihr beide könnt nicht ohne einander.“

„Können wir doch“, antworteten wir gemeinsam

„Widersprecht mir nicht“, donnerte sie „witziger Weise habt ihr beide entweder mich oder meinen Bruder kennengelernt und so haben wir das ganze recht schnell festgestellt. Nur wie sollten wir das lösen. Unter normalen Umständen würde keiner von euch auch nur in die Nähe des anderen gehen, daher mussten wir drastisch werden.“

„Und deswegen werde ich quasi entführt und muss mir stundenlang kommentarlos die Füße platt latschen und platt stehen, ihr gehört echt in ne Klatsche.“

Bevor Tanja was sagen konnte, fiel ich ihr ins Wort.

„Und mich bringt ihr nicht nur an den Rand des Nervenkollapses, sondern drüber hinaus, der Witz ist ausgelutscht und Tanja pack deine Sachen“

„Gut gesagt“, kam von Sven

Mir wurde leicht warm ums Herz, aber die Kluft war zu groß.

„Niemand packt hier und niemand geht.“ Gegen Tanja kommt man einfach nicht an. „Erst klärt ihr das.“

„Es ist doch alles geklärt, ich bin schwul, er hasst Schwule, Ende, mich wundert, dass er deinen Bruder nicht vermöbelt hat, kann ich jetzt gehen, ich als scheiß Schwuchtel muss ja meinen kosmetischen Schönheitsschlaf machen, damit ich gut zu vögeln bin“, den letzten Teil betonte ich extrem übertrieben „Und dieser Pisser verschwindet sofort von hier.“

Ich erhob mich, Tanja machte keine Anstalten mich zurückzuhalten. Ich schlurfte langsam und gedehnt in mein Schlafzimmer. Totenstille. Dann hörte ich ein schluchzen. Es war nicht das von Tanja, das kannte ich. Es war jemand anderes. Ich sah Tanja und ihren Bruder mich entsetzt anstarren und Sven wie er noch schlimmer aussah, als ich heute ausgesehen haben musste. Verdutzt blieb ich stehen.

„Ich denke, wir sollten es ihm sagen“, sagte Lars, endlich war mir der Name von Tanjas Bruder wieder eingefallen.

„Mir was sagen“, polterte ich.

„Nein“, wimmerte Sven.

Tanja rührte sich nicht.

„Andreas, ich denke ich muss für Sven nun die Geschichte erzählen, aus seiner Sicht.“ Wieder Lars, er schien der einzige zu sein, der überhaupt noch klar denken konnte.

„Nein“, wieder wimmerte Sven.

„Doch, also kurz gesagt, Andreas, du warst genau auf der richtigen Spur, denn Sven empfand das gleiche für dich.“

Ich klappte an Ort und Stelle zusammen „Aber, aber…“

„Lass mich zu Ende erzählen. Damals, an dem Tag wo ihr euch am See getroffen habt, hat er direkt nach deiner SMS, dass du ihn sehen willst, einen Entschluss gefasst gehabt, er wollte seine Maske fallenlassen. Er hoffte, du könntest ihn verstehen. Doch zuvor wollte er das mit seinen Eltern klären. Seinen Vater kennst du ja, er ist recht aufbrausend und engstirnig und so kam er nicht damit klar und verprügelte Sven und drohte weiterzumachen immer wenn Sven sich schwul verhielte oder mit Schwulen rumhängen würde. Versteh doch, Sven hatte an jenem Abend einfach nur Angst, vor allem da sein Vater auch drohte seine Mutter und seine Schwester zu verprügeln und im Zweifel, sollte Sven einen Freund finden, den umzubringen.“

Ich merkte wie sich ein schwarzer Rand um mein Blickfeld legte. Konnte das alles sein. Ich musste träumen. Anders ging es nicht. Gefangen in einem Traum, der weder Alptraum noch normaler Traum zu sein scheinen will. Gleich würde ich aufwachen. Doch nichts geschah. Lange Zeit geschah nichts. Langsam sah man die Sonne wieder aufgehen. Der Morgen graute.

Ich sammelte meine Kraft „Sven stimmt das?“

Er nickte nur schwach.

„All die Jahre?“

„Ja“, hauchte er.

„Und ihr beide, warum genau jetzt?“

Tanja hatte sich wiedergefunden und spurtete los „Svens Vater ist inzwischen, nennen wir es gestorben, so genau will man das auch nicht wissen, und Lars und ich merkten, dass es euch beiden immer schlechter ging.“

„Aber dafür dieses Schmierentheater?“

„Unelegant und drastisch, aber effektiv, müsst ihr zugeben.“

Ich schleppte mich zum Sofa und ließ mich wieder fallen. Sven heulte noch immer. Ich sprach ihn nun direkt an.

„Sven, es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe und auch die E-Mail.“

„Welche Email?“, fragte Lars dazwischen.

„Egal“, warf ich zurück „Sven, wollen wir noch mal die letzten 5 Jahre vergessen und neu anfangen, als gute Freunde?“

Sven nickte und wir rückten näher zusammen. Ich begann ihn zu trösten.

Lars und Tanja tuschelten. Dann sagte Tanja „So ihr beiden, wir lassen euch jetzt in Ruhe für die nächste Woche seid ihr überall abgemeldet und ich bin erstmal bei Lars.“

Ich nickte den beiden zu und sie gingen.

„Andreas?“ Sven beruhigte sich langsam „ich glaub nicht, das wir einfach nur Freunde sein können.“

Meine Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, diese ganze Scheißscharade, am Ende doch umsonst? Ich wollte Sven schon wegstoßen, als ich merkte, wie er mir noch näher kam verstand ich freudig. Wir saßen lange so da. Brauchten gar nichts zu sagen, wie das so ist, wenn man sich schon so lange so gut kennt. Alles was kaputt gegangen war begann zu heilen.

Die uns von Tanja und Lars vergönnte Woche, glich die verlorenen 5 Jahre mehr als nur aus. Und am Ende brauchte Tanja dann doch eine neue WG, aber nicht, weil ich ihr böse war, sondern weil der Platz anders benötigt wurde. Denn nochmal, so viel ist klar, werden Sven und ich nicht mehr zu trennen sein.

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