zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Nymphe

Prolog

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Es war einmal vor langer Zeit, die Nymphen hüteten die Wälder zusammen mit ihren Gefährten, den Bäumen, mit denen sie eben dort lebten. Jeder Baum war sich seiner Aufgabe bewusst und freute sich seines Daseins, bis eines Tages einer der Bäume sich seiner Aufgaben langweilte und den Wunsch hegte, wieder das zu sein, was er einmal gewesen - ein Mensch. Die Nymphen waren offene und liebreizende Kreaturen, die mit ihren Gefährten viele Geheimnisse teilten und so wusste eben dieser Baum um ein ganz besonderes Geheimnis, das vor allem der Einen der Nymphen, Nymphe selbst, ganz nah am Herzen lag. So fasste er den Entschluss, Nymphe's Bund mit eben diesem Geheimnis zu seinem Vorteil zu schmieden und machte sich auf den Weg aus dem Wald, über Felder und Täler, um die Eine der Nymphen zu suchen und seinen Wunsch zu äußern. Er suchte Wochen, Spatien und Jahre, doch konnte er sie nirgends finden. Da entsann er sich, dass Nymphe bei der Wichtigkeit dieses Geheimnisses und vor allem zu dessen Bewahrung, ihm erscheinen solle und so rief er sie und weil er eben um dieses eine Geheimnis wusste, erschien sie ihm. Sie sah den Wunsch, den er in sich trug, noch bevor er ihn aussprach, doch gab sie ihm die Möglichkeit, seine Tat ungeschehen zu machen. Sie fragte ihn, warum er so weit fort wäre aus dem Wald, in den er gehöre, und er antwortete, er sei zu mehr geeignet, als im Wald zu vergehen und wolle sie sich des Geheimnisses, um das er wusste, weiter sicher sein, so solle sie ihm seinen Wunsch erfüllen und ihn wieder zu einem Menschen aus Fleisch und Blut machen. Nymphe fragte den Baum, ob er sich der Tragweite seines Wunsches bewusst wäre, denn würde sie seinem Wunsch nachgeben, so handelte sie gegen die Gesetze des Schöpfers. Der Baum war zerfressen von der Gier nach einem menschlichen Körper und befahl ihr, seinem Wunsch umgehend nachzukommen und Nymphe tat, was er wünschte. Der Baum, der nun wieder Mensch war, tanzte über die Wiesen und Täler und ließ Nymphe zurück, denn sein Wunsch war wahr geworden. Es dauerte viele Jahre, da hatte der Mensch eine stattliche Dame getroffen und wie Nymphe, war ihr Körper ohne Alter. Aus nicht enden wollender Gier nach dieser Dame, rief er Nymphe erneut an, denn sein Körper war schwach und alt geworden und keineswegs mehr so stark, wie der des Baumes, der er einst gewesen. Nymphe sprach, sie werde seinen Wunsch erfüllen und ihm einen starken Körper geben und so nahm Nymphe dem Menschen seinen alten, ausgelebten Körper und bannte ihn in einen Fels, auf dass er ewig leben solle. Nun war dies keinesfalls das was der nun in einen Felsen Gebannte sich unter seinem Wunsch vorgestellt hatte. Er tobte und schrie, auf dass Nymphe ihm wieder einen jungen Körper gebe und ihn aus diesem Gefängnis befreie, doch wie es bei Steinen nun einmal ist, können diese weder sprechen, noch gehen, weder schreien noch toben. So war sein Wunsch nun wahr geworden und er sollte auf ewig leben und Nymphes Geheimnis bewahren, ohne sie je wieder anrufen zu können.

Ich erinnere mich gerne an diesen Tag zurück, als dieses Märchen noch eine unschuldige Bedeutung für mich hatte. Wir befanden uns mitten im Winter-Spatium und das ganze Dorf lag unter dickem Schnee begraben, während wir, in dicke Decken gehüllt, vor dem Kamin saßen und deinen Geschichten lauschten. In deiner Hütte roch es nach Zimt und Honig und ich trank warme Milch, während du uns erzähltest. Nachdem du fertig warst, hast du deine Hände gefaltet, einige Sekunden inne gehalten und uns dann gefragt: »Und die Moral von der Geschichte?« Ich antwortete schnell, damit niemand in der Lage war vor mir zu sprechen: »Ein Geheimnis verrät man nicht?« Ich war sechs Jahre alt und wollte schon damals alles wissen und verstehen. Du hast mir über den Kopf gestreichelt und geantwortet: »Nah dran, Simman, aber die Moral dieser Geschichte ist, dass man Vertrauen nicht missbraucht.« Zufrieden damit, wieder etwas Neues gelernt zu haben, stellte ich die mir wichtigste Frage: »Aber was war es denn für ein Geheimnis?« Du hast lange gelächelt, bevor du mir die Antwort gabst: »Es wäre kein Geheimnis, wenn ich es wüsste, nicht wahr?« Ich war enttäuscht, zwang mich jedoch zu einem Lächeln und kuschelte mich an deine Brust, als meine große Schwester sich zu Wort meldete: »Aber seit wann können Bäume denn laufen?« Sie trank schon damals ausschließlich Ingwer-Tee und hielt sich für überaus klug und das, obwohl sie nur zwei Jahre älter war als ich. Du hast wieder gelächelt und antwortetest mit ruhiger Stimme: »Wer sagt, dass sie es nicht können, Sela?« Meine Schwester kratzte sich am Kopf und überlegte, doch mein Bruder, der nur wenige Zentimeter von Sela entfernt saß und für seine neun Jahre schon damals ein Riese war, antwortete schnell: »Ich hab noch nie einen Baum laufen sehen.« Du hast kurz aufgelacht und ihm dann zugezwinkert »Welchen Grund hätten sie denn zu laufen, Culus?« Mein Bruder überlegte wieder nur kurz und antwortete dann voller Überzeugung: »Also ich könnte gar nicht so lange still stehen. Wenn ich laufen kann, dann tue ich es doch auch.« Du hast damals tadelnd den Finger gehoben. »Aber sie haben doch alles, was sie brauchen, dort wo sie sind, oder nicht?« Culus gab sich geschlagen und hob kurz die Schultern, als mir die nächste Frage auf der Zunge brannte: »Warum wollte der Baum aus der Geschichte denn wieder ein Mensch werden?« Du streicheltest mir wieder über den Kopf. »Das ist eine sehr kluge Frage, Simman. Jeder Baum war einmal, wie wir, ein Mensch. Wir leben, um zu lernen und in jedem Leben sammeln wir neue Erfahrungen und Werte, wachsen an unseren Fehlern und Erfolgen. Jedes Leben ist so gesehen eine Reise, an der wir neue Orte, neue Menschen und neue Eindrücke kennen lernen und am Ende dieser Reise stehen wir vor unserem Schöpfer, der entscheidet, ob er uns auf eine weitere Reise schickt, oder uns ruhen lässt. So ein Baum hat ein langes Leben und wie könnten wir besser über unsere bisherigen Reisen nachdenken?« Ich sah dich mit großen Augen an, als ich fragte: »Und was kommt nach dem Leben als Baum?« Und wieder lächeltest du und antwortetest leise: »Dann werden wir zu Fabula-Bon und unterstützen den Schöpfer bei der Ausübung seiner Pflichten.« Ich konnte es damals kaum erwarten, endlich ein Baum zu werden.

»Ist Opa dann jetzt auch ein Baum?«, fragte Culus damals neugierig und du schenktest ihm ein wissendes Lächeln. »Weißt du noch, wann Opa uns verlassen hat, Culus?« Er antwortete ohne langes Überlegen. »Das war vor drei Jahren. Im Frühlings-Spatius.« Du nicktest anerkennend. »Und seit wann wächst der Baum in meinem Garten?« Culus’ Augen weiteten sich, doch nun schaltete sich Sela ein. »Aber als Opa von uns gegangen ist, hattest du deine Hütte doch noch in Mittlan. Erst ein Jahr später hast du dir diese Hütte in Silvicus gekauft.« Du schwiegst für einen Moment und antwortetest dann lächelnd: »Und steht der Baum immer noch in meinem Garten?« Sela sah aus dem Fenster und sah dich ungläubig an, während du ihr mit einem Augenzwinkern zuflüstertest: »Und jetzt frag mich noch mal, seit wann Bäume denn laufen können.«


Simman schluckte, um den Kloß in seinem Hals zu unterdrücken, während er leicht zitternd die dürre Hand seiner Großmutter hielt. »Das war ein wirklich schöner Tag«, antwortete Olra mit schwacher, müder Stimme, in der eine Spur Begeisterung mitschwang. »Dass du dich daran noch erinnern kannst.« Simman lächelte verlegen. »Du weißt doch, dass ich nichts vergessen kann.« Olra tätschelte ihm die Hand, als die massive Holztür zu ihrer Schlafkammer sich leise öffnete und eine kleine, zierliche Frau, mit hellen Haaren und in weißen Gewändern, vorsichtig den kleinen Raum betrat. In ihren Händen hielt sie eine lehmfarbene Schüssel, aus der es appetitlich dampfte. »Ich möchte euch nicht stören, Olra, aber ihr solltet etwas essen«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln. Olra murmelte ein langsames »Oh ja«, während sie weiter Simman's Hand tätschelte. »Eine Mahlzeit wäre nun genau richtig, Medina.« Mit einer schwachen Handbewegung deutete sie der Frau näher zu kommen, während sie sich mühsam mit Simman's Hilfe in dem kleinen Bett aufrichtete. Simman zerriss es das Herz, die Frau, die ihn jahrelang aufgezogen, gelehrt und gestärkt hatte, so schwach zu sehen. »Meinen Enkel Simman hast du schon kennengelernt?« Olra zeigte nicht ohne Stolz auf Simman, bevor sie Medina die Lehmschüssel abnahm und langsam anfing, dessen Inhalt mit einem Löffel zu sich zu nehmen. Medina nickte freundlich in Simman's Richtung und richtete ihren Blick dann wieder auf Olra »Natürlich, und er kann anscheinend genau so gut Geschichten erzählen, wie ihr.« Olra lachte kurz auf, und der Inhalt der Schüssel schwappte gefährlich nah am Rande seines Behälters auf und ab, während sie sich schmerzend die Brust hielt. Simman sah sie besorgt an und legte ihr seine Hand auf die Schulter, die Olra mit einer langsamen, aber intensiven Geste mit ihrer eigenen Hand davon schubste. »Das ist kein Grund zur Aufregung Simman. Meine Reise geht langsam zu Ende, aber ich hatte ein langes und erfülltes Leben.« Simman's Blick verschleierte sich und es herrschte ein unangenehmes Schweigen, das erst nach einigen Sekunden von Medina's heller Stimme unterbrochen wurde: »Ich denke, ich lasse Sie wieder alleine. Sie haben sich sicher viel zu erzählen.« Unter erneutem Schwappen des Schüsselinhalts, hob Olra abwehrend die Hände »Nein, nein, meine Liebe. Ich wollte Simman in der Tat gerade bitten, noch eine Geschichte zu erzählen, aber wieso leistet Ihr uns nicht einfach Gesellschaft. Ihr könnt sicher ein wenig Ablenkung gebrauchen.« Medina lächelte verlegen. »Ich denke, ich würde dabei nur…« Olra unterbrach sie abrupt: »Ich dulde in diesem Punkt keine Widerrede. Sie haben sich auch eine Auszeit verdient.« Medina hob beschwichtigend die Hände. »Natürlich, Olra.« Sie setzte sich auf einen der Sessel nahe dem Bett, in dem die kränkliche, alte Dame lag. Olra's Gesicht war mager und wirkte neben den vielen großen, bunten Kissen wie das einer ungewöhnlichen Puppe. Der Raum war nur durch das Licht eines winzigen Fensters beleuchtet, aber Medina konnte erkennen, dass Simman etwas unruhig auf seinem Sessel hin und her rutschte. »Welche Geschichte möchtest du denn hören, Olra?«, fragte er mit einem leichten Gefühl des Unbehagens. Seine Großmutter sah ihn abschätzend an. »Ich denke, das weißt du ganz genau, mein Lieber.« Simman sah sie fragend an, ihre Schlagfertigkeit hatte die Dame trotz ihrer 93 Jahre anscheinend noch nicht verloren. »Simman, zwei Jahre warst du fort und jetzt, wo alle Spatzen von den Dächern pfeifen, dass ich bald den Löffel abgebe, kommst du mit einem mir fremden und sogleich hübschen Jüngling hierher und glaubst, du wüsstest nicht, welche Geschichte du mir erzählen könntest?« Simman's Gesicht flammte rot auf, während Olra weiter sprach. »Erzähl uns deine Geschichte, Simman. Vom Anfang bis zum Ende, die guten und die schlechten Seiten. Tu deiner Großmutter diesen letzen Gefallen.« Simman's Blick verschleierte sich erneut und er kämpfte wieder gegen den Kloß im Hals, während er murmelte: »Von Anfang an also.« Dann begann er zu erzählen.

Lesemodus deaktivieren (?)