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Der letzte Kampf

Teil 1

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Hallo liebe Nist-Community, lieber Leser, verehrte Redaktion, meine Damen und Herren, dieses Werk ist nicht frei erfunden, sondern beinhaltet einen wahren Kern, um den sich Fiktion spinnt.

Ich schreibe hier aus der Sicht eines an Krebs erkrankten Patienten in einer Klinik, irgendwo in Deutschland. Es ist mir klar, dass es mal etwas Neues, ein viel emotionaleres Werk ist als sonst. Krassere Dialoge, härtere Sprache und viel näher am Leben, als aus der Sicht eines neutralen Beobachters. Ihr werdet mit Gedanken und Gefühlen konfrontiert, die man eigentlich nicht wissen will. Ich möchte sagen, diese Geschichte wird kein Roman, zu dem man sagt: Schöne Geschichte, oder: Hat mir Spaß gemacht zu lesen.

Ich will einfach mal darstellen wie sich jemand fühlt, der weiß, dass er nicht mehr lange lebt. Für Menschen, die selbst Krebs haben oder im näheren Umfeld einen solchen Menschen um sich rum haben, empfehle ich, die Story nicht zu lesen. Wahrscheinlich würde „Der letzte Kampf“ die Gemüter erregen oder verängstigen. Mittlerweile ist die Medizin soweit, dass man einige Krebsarten heilen kann.

Hier in dieser Geschichte wird definitiv der Eindruck vermittelt, dass es sich um die letzten Tage des jungen Mannes Philipp handelt.

Für die Leser unter euch, die denken, es ginge um mich: Nein, es geht um wen anders. Ich liebe einfach nur den Namen Philipp. Deswegen heißt eine meiner Hauptfiguren immer Philipp. Mir geht es gut. Ich muss (erstmal) nicht sterben. Ihr braucht euch daher keine Gedanken um mich zu machen. Es wird kein Abschiedsbrief und auch nicht mein letztes Werk. Es soll einfach mal aus der Sicht eines Kranken sein.

Danke für Eure Aufmerksamkeit und das Lesen meiner Story.

Oliver

 

Lieber Leser meines letzten Wortes,

wenn du dieses Buch liest, werde ich wahrscheinlich schon tot sein. Nichts kann mir mehr helfen oder mich retten. Dennoch gebe ich den Kampf nicht auf. Es sollte dir geraten sein nicht weiter zu lesen, wenn du hoffst, hier eine Schnulze oder einen Porno zu finden.

Hier findest du mein Leben, zumindest eine Geschichte darüber und um genau zu sein, über den letzten Teil davon. Wie ich lebe und leide, wie man mir armselig versucht zu helfen, dabei wissen alle, dass es zu Ende gehen wird.

Ich möchte kein Mitleid und auch kein Geheule, daher: Nur für harte Kerle und Frauen!

Um es euch mal direkt zu sagen, bis auf die zwei lieben Menschen in der Widmung, werde ich alle Namen frei erfinden, Orte verändern und Schauplätze suchen, die ähnlich und authentisch, aber nicht die Echten sind.

Das was allerdings beschrieben wird ist original. Wer von deutscher Sprache Ahnung hat, dem mag ich sagen, dass ich diese zwar auch habe, aber in meinen Worten schreiben werde, die ich auch spreche. Ich pfeife auf Kunst, Stil oder Form. Wem das nicht gefällt, der kann nun gerne einen Günther Grass lesen oder Karasseks Kommentar zu Cäsar. Ich bin ein einfacher Mensch, der was erzählen kann und mag. Mehr kann und mag ich aber nicht.

Danke, dass ihr mich versteht!

Philipp

Für Stefan und Jakob Schmidt

Der Anfang

Ich gehe wieder diesen endlos weiten Weg. Oft dachte ich, er sei endlos. 200 Meter, verteilt auf 4 Stockwerke, einen Aufzug und eine Rolltreppe. Gut, dass ich im Warmen bin. Im Januar friert man sich in Hamburg den Arsch ab. Hier ist es jedoch angenehm temperiert. Kann man aber auch von einem Krankenhaus erwarten. Bin mal gespannt, was die Herrschaften heute mit mir vorhaben. So viel Scheiße, wie die in mich reinpumpen, wundere ich mich, dass ich überhaupt noch alleine zum Röntgen und in die Bestrahlungspraxis komme.

Da kommt wieder diese dämliche Krankenschwester mit meiner Bleischürze. Größe 3. Als ich eingeliefert wurde, hatte ich Größe 7 (L). Ich werde auch immer nur dürrer. „Ach der kleine Herr Meier, bald geht’s schon viel besser, Sie sehen jeden Tag besser aus.“ Soll die Frau doch einfach still sein. Ich sehe Scheiße aus. Einfach wie der Tod, oder besser, wie vom Tod besucht... Ich weiß gar nicht, was mein Freund von mir noch will. Ich kann weder mit ihm schlafen, noch für ihn da sein. Nichtmal zärtlich werden, weil ich so schwach bin. Aber er ist für mich da.

„Wenn Sie nun noch ihre Hose ausziehen und sich frei machen, heute versuchen wir eine direkte XYZ-Therapie.“ Klar ziehe ich mich aus. Wenn der Arzt sagt, zieh dich aus, dann tut der Philipp das doch. Ich mache eh das was er sagt, welche Alternative habe ich denn? Wenn ich hier umfalle, komme ich direkt in den Kühlraum und fange nicht an zu stinken. „Möchten Sie ein Glas Wasser, oder geht es so?“ Natürlich geht es so nicht. Aber was soll mir das dämliche Glas Wasser helfen. Der Arsch weiß doch, dass ich keine Flüssigkeit in mir behalte und deswegen eine Infusion bekomme. Ärzte, sie haben hunderte Patienten, können sich nicht merken, was einem fehlt, aber die Abrechnung kommt pünktlich zum Quartalsende. „Ja bitte, und vielleicht etwas Süßes.“ Ich sah den Arzt an und er nickte.

Der Weg zurück ist hart, anstrengend. Ich raffe mich am Geländer, was man überall fand, die Flure und Gänge entlang, bin froh über jede Fahrt mit dem Aufzug. Mit Schmerzen und verzogenem Gesicht, eisernem Willen und der Freude, es für heute geschafft zu haben, erreiche ich mein Zimmer.

„Hallo mein Schatz, wie geht’s dir?“ begrüßt mich mein Freund. Er zittert und ich sehe, dass er vor kurzem geweint hat. Er soll nicht um mich weinen. Keiner soll das tun. „Mir geht’s gut, ich glaube die Chemo hilft mir“, versuche ich ihn zu beruhigen, danach umarmt er mich. Ich spüre, dass er weiß wie es um mich steht. „Ich habe Karten für das Konzert. Wenn du wieder draußen bist, gehen wir dahin und machen Party. Mit Kevin und Timo.“ Er ist so lieb zu mir. Ich lächle ihn an und gebe ihm einen Schmatzer. Ich würde ihn gerne richtig küssen, aber das kostet mich zu viel Kraft. „Hier, ich habe was für dich, greif mal in meinen Nachttisch und hol da den kleinen Karton raus.“ Mein Schatz macht, was ich sage und findet den kleinen, weißen Karton. Er macht ihn auf und findet ein 50 Pfennig-Stück darin. „Was soll ich damit?“, fragt er mich. „Das habe ich von Opa bekommen, es ist sehr viel Wert. Ich will, dass du es bekommst, ich habe dich und brauch so kleine Schätze nimmer.“ Das mit dem nimmer hätte ich besser nicht gesagt. Felix wird ganz blass und fängt an zu weinen. „... du wirst gesund... Konzert...“ Er schluchzt vor Sorge um mich und hält den Kopf in meinen Bauch durch das Laken. Ich streichle seinen Kopf.

Felix ist nun weg und ich kann versuchen, zu schlafen. Schlafen, pinkeln und zu den Therapieräumen laufen. Das ist mein Tag in dieser Klinik. Der wenige Besuch, den ich kriege, ist anstrengend und nervig. Auch wenn Felix mich besucht. Ich fühle mich dann sehr schlecht. Denn ich kann ihm nichts Erfreuliches sagen. Und wenn doch, so ist das gelogen.

Der Chefarzt und die Assistenten kommen in mein Zimmer, ich liege allein. Auf meiner Patientenkarte am Bett steht schon „IN FAUST“. Was das bedeutet? Na das kann man sich doch wohl denken. „Herr Meier, ich mache Ihnen nichts vor. Wir haben keine Hoffnung bei Ihnen, wir geben Sie zwar nicht auf, aber unnötige Maßnahmen werden wir nicht versuchen. Qualität kommt vor Quantität.“ BAFF. So wurde es mir mal wieder ins Gesicht gesagt. Ich habe den Arzt beim letzten Mal angemacht, ich wolle die Wahrheit wissen, egal wie sie lautet. Doch das so zu hören ist hart. Die Assistenzärzte sehen mich an, als stehen sie bei mir in der Kreide. Der Oberarzt liest sich die Befunde durch und verabschiedet sich: „Ich komme nun im Rhythmus von 2 Tagen zu Ihnen, um nach allem zu sehen. Bitte halten Sie sich an das, was ich und meine Kollegen veranlassen.“ Ich sehe ihn an. Was sollte ich denn tun? Hier rebellieren und mein Leben noch mehr verkürzen? Ich hätte mir den Strick schon längst gegriffen, würde ich Felix nicht so lieben. Jeder Tag mit ihm, auch wenn er nervt, ist ein Geschenk.

„Hallo mein kleiner Liebling“, begrüßt mich meine Mutter. Das war bisher auch immer furchtbar. Sie bringt jedes Mal Obst mit und redet sich wohl ein, ich hätte Schnupfen. Sie hat nicht realisiert, woran ich leide und dass sie mich bald verliert. Klar, ich hätte auch daran zu knabbern, wäre es andersrum, aber ihre Euphorie ist schlimmer, als mit dem Tod konfrontiert zu werden.

Mein Vater ist da anders. „Hallo Sohn. Schön dich zu sehen. Kann ich was für dich tun?“ Er behandelt mich, als sei ich schon tot. Das ist nicht viel besser, aber ich kann besser damit leben. „Nein, soweit ist alles ok!“

Vater fuchtelt gerne an den Tischen und Stühlen in meinem Krankenzimmer herum, das lenkt ihn wohl davon ab, mich sterben zu sehen. Auch jetzt streicht er mit seinem Finger über die Lehne und das Polster des Besucherstuhls. In seinen Gedanken ist er wieder in der Möbelfabrik, in der er 1960 als Schüler aushalf. Früher erzählte er mir oft davon. Er sieht so glücklich aus. So glücklich dass es mir selbst gut tut, ein fröhliches Gesicht zu sehen. Ansonsten kommt mir alles so trist vor. Fühle mich schon tot, obwohl mein Körper noch lebt.

„Das sind sehr gute Stühle“, sagt Vater nun zum millionsten Mal. Und ich antworte: „Sie haben Ähnlichkeit mit denen, die du im Büro hast“ und dann guckt Papa zufrieden. Mama sitzt neben mir und hält meine Hand ganz fest. So feste, dass sie mir weh tut, aber das sage ich nicht. „Junge, du hast schon wieder nicht gegessen“, sagt sie und deutet auf mein Tablett. „Wie denn auch, ich muss davon eh nur kotzen und das will ich nicht. Habe doch eine Infusion.“ Sie schaut mich böse an, aber weiß, dass ich Recht habe.

„War Felix schon da?“, fragt mich Vater, der die Tischplatte begutachtet. „Ja das war er. Hat mir Obst und Schokolade mitgebracht, lässt dich ganz lieb, und Mama natürlich auch, grüßen.“

Es bleibt still. Vater und Felix konnten sich früher sehr gut leiden. Mein Freund begeisterte ihn mit seinem Intellekt und Wissen. Jetzt wo ich am verrecken bin, gehen sie sich aus dem Weg. Wahrscheinlich will keiner Schwäche zeigen und die beiden nicht voreinander weinen. Das sollen sie auch nicht. Wegen mir soll das ja keiner!

„Die Blumen sind schön und duften so frisch. Sind die auch von Felix?“, fragt mich Mama. „Ja, rote Rosen. Er wollte dass es hier gemütlich ist. Leider kann ich sie nicht anfassen und daran riechen. Ich reagiere allergisch auf sie.“ - „Du hast einen guten Freund. Aber sag ihm, er soll sein Abitur nicht vernachlässigen. Du kommst doch schon bald wieder raus aus dem Krankenhaus“, meint Mama und fängt an zu weinen. Ich drehe mich mit dem Kopf in die Richtung der anderen Wand und starre sie an. Mir fällt gar nicht auf, dass eine Träne läuft. Die Tür geht plötzlich auf und eine Schwester kommt rein. „Herr Müller, ist es ok, wenn wir Ihnen einen Bettnachbar zuteilen?“, fragt sie mich. „Wir heißen Meier, nicht Müller!“, faucht Vater das junge Mädchen an. „Ist schon gut, Papa. Ja, ist ok. Wer ist es denn?“ „Ein junger Mann, müsste in Ihrem Alter sein. Aber keine Sorge, sie werden ihn kaum bemerken. Er ist sehr krank und braucht viel Ruhe, deswegen kommt er zu Ihnen.“

Na toll. Mein Krankenhauszimmer wird zur Todeskammer. Hier endet junges Leben. Aber ich kann nichts dagegen machen. Gespannt warte ich auf meinen neuen Zimmergenossen. So was kann lustig sein, vor allem wenn man im gleichen Alter ist. Da wird auch schon ein Bett rein gefahren und darin liegt ein Stückchen Elend. Einen Jungen kann ich nicht erkennen. Meine Mutter macht Platz, damit das Bett an die Schalterleiste angeschlossen werden kann. Sie wirft einen Blick rein und fängt an zu weinen: „Noch so ein armer Engel. Wie alt bist du denn?“ „16“, antwortet ein schwaches Stimmchen. „Was hast du denn?“, frage ich. „Aids“, die Antwort von ihm. Ich erschrecke. So was kennt man nur aus dem Fernsehen. 16 und Aids. Er muss also auch schwul sein. Oft haben Schwule Aids. Ich würde es schon rausfinden, denke ich mir. „Fehlt dir was?“, fragt Mama. „Wenn du was brauchst, sag Bescheid. Für Philipp holen wir auch immer Sachen, die er mag. Das würde keine Umstände machen“, sagt sie. Der Junge antwortet aber nicht. Fängt an zu schlafen, schnarcht aber nicht, sondern röchelt ganz sanft. Ich sehe zu Vater rüber. Er ist noch mit dem Tisch beschäftigt. Die Szene kommt mir vor wie in einem Psychothriller. Alles ist so fremd und die Menschen um mich rum wirken so gestört. Da ist ein Vater, der die Realität verdrängt, indem er Möbel streichelt. Meine Mutter, die euphorisch glaubt, mich nicht zu verlieren und ein 16 jähriger Aids-Patient, der es fast geschafft hat. Ich weiß nun, dass es keinen Gott gibt.

Stunden später.

Felix kommt in mein Zimmer. „Hallo Maus. Du hast einen Bettnachbar? Wie heißt er denn?“, gibt mir einen Kuss und setzt sich zu mir. „Ich weiß nicht, wie er heißt. Das hat er mir noch gar nicht gesagt.“ „Jan, ich heiße Jan“, höre ich das Stimmchen sagen. „Angenehm. Ich bin Philipp, nenn mich aber einfach Phil.“ Der Junge lächelt mich an und ich lächle zurück.

„Hallo, ich bin auch noch da“, meldet sich Felix eifersüchtig. „Ja, das habe ich gemerkt. Du sitzt auf meinem Bein, du Moppel“, fauche ich meinen Freund an. Er sieht unter sich und geht beleidigt von meinem Bett weg. „Ich fahr dann mal wieder heim. Ich muss dir ja nicht jeden Tag auf den Geist gehen“, sagt er und ist im Begriff, den Raum zu verlassen. „Stimmt“, sage ich und schon schlägt er die Tür zu.

„Du bist aber ruppig zu ihm“, sagt Jan. „Das geht dich nichts an! Wenn du willst, dass wir uns vertragen bist du am besten still. Bisher hatte ich auch meine Ruhe.“ Ich bin erregt und werfe ihm einen bösen Blick rüber und sehe, dass er sich in die Decke einkauert und weint. „Hei, so war das nicht gemeint. Verzeih mir, ich stehe total unter Stress. Du wirst sehen, dass Felix morgen wieder da ist. Nimm dir meine doofen Worte nicht so zu Herzen, kleiner Mann.“ Jan dreht sich um und blickt mir mit Tränen in den Augen ins Gesicht. Ich stehe auf, gehe zu ihm, wische die süßen kleinen Tropfen ab und streichle ihm über die Wange. Klar, dass er erschrocken ist. Ich habe ihn gerade sehr angefaucht. „Wollen wir was spielen?“, fragt er und packt einen kleinen Gameboy aus. „Ich habe Mario und Tetris. Wenn du willst, kannst du auch anfangen.“

Das Gameboy spielen hat mich an diesem Abend abgelenkt. Mittlerweile liege ich mit Jan in einem Bett, das ist bequemer als neben ihm auf dem Stuhl zu sitzen. Ohne es groß bemerkt zu haben, kuschel ich mich an ihn. „Du bist ja ganz warm“, stelle ich erschreckt fest. Jan gibt mir keine Antwort. Ich sehe ihm ins Gesicht und sehe, dass er schwitzt und wieder röchelt. Aber diesmal anders, als das letzte Mal. Ich klingel sofort nach der Schwester, was mir aber nicht schnell genug geht. Ich stehe auf und renne auf den Flur, obwohl ich starke Schmerzen habe. „Hilfe, wir brauchen hier einen Arzt!“, schreie ich durch das Haus.

Eine Schwester und ein Pfleger sind sofort da und schauen sich Jan an. Die Frau nimmt eine Spritze und piekst in den kleinen Körper hinein. Sofort wird das Röcheln leiser und Jan atmet wieder normal. „Was ist los“, will ich wissen. Aber niemand gibt mir eine Antwort. Ich gehe zu Jan, die Pfleger sind bereits wieder weg. „Du hast mir ganz schön Angst gemacht“, flüstere ich dem kleinen Mann zu und streichele seine Haare. Er hat ein makelloses Gesicht, weiche Haut und eine süße Nase. Ich gehe mit dem Gesicht immer näher an seines. Schließlich gebe ich Jan einen Kuss auf die linke Backe. Er schmeckt nach irgendeiner Creme, aber nicht unangenehm. Schweren Herzens gehe ich rüber zu meinem Bett, gefühlsmäßig wäre ich am liebsten wieder zurück zu Jan gekrochen. Der kleine Mann ist wunderhübsch. Er tut mir an diesem Abend sehr leid. Mehr als ich mir selbst in den vergangenen Monaten.

Am nächsten Morgen ist Jan nicht in meinem Zimmer. Ich hatte so fest geschlafen, dass ich nicht merkte, dass er aufstand. Kurze Zeit später kommt ein Pfleger mit Frühstück. „Wo ist denn Jan?“, fragt mich Markus. Wir beide haben uns ein wenig angefreundet. Er kommt gerne zu mir ins Zimmer. Er hätte mir auch bestimmt gesagt, was am Abend zuvor mit Jan los war. „Ich weiß es nicht, Großer. Bin selbst eben erst aufgewacht und habe ihn vermisst.“ Markus grübelt. Ich konnte ihm das Denken förmlich ansehen. „Ich lasse euch zweimal Frühstück hier. Es gibt heute sogar Schoki-Creme. Aber auch den Apfel essen, Kleiner. Du weißt, es ist wichtig, dass du Vitamine zu dir nimmst.“ Als könnten Vitamine mich gesund machen. Die waren doch eh für den Arsch. Klar, ich mochte Äpfel, aber diese verwichsten Spalten kotzten mich an diesem Morgen irgendwie nur an. Markus aber, konnte nichts dafür. „Ja klar, mach dir mal keine Gedanken. Kannst du nachsehen, wo Jan ist?“, frage ich ihn. „Ja, das mache ich.“ Genau in diesem Moment kommt Jan ins Zimmer. „Bonjour, der Herr. Da war wohl jemand spazieren“, begrüßt ihn Markus. „Ich war bei Dr. Rot. Ich fühlte mich schlecht und da dachte ich, ich geh gleich selbst auf die Stationspraxis“, antwortet Jan. Ich sehe das wehleidige Gesicht, schmerzverzogen und traurig. „Kann ich dir was Gutes tun?“ will ich von ihm wissen. „Nein, es geht schon. Oder doch. Kannst du deine Mutter fragen, ob sie mir ein wenig Süßes mitbringen kann? Meine Eltern werden mich kaum besuchen“, antwortet er. Ich bin ein wenig geknickt. So etwas zu hören finde selbst ich hart. „Hier, nimm die Bonbons. Die hat Felix mir gebracht. Ich darf aber leider keine Schokolade, weil ich zu fette Sachen nicht in mir behalte. Ich schenke sie dir.“ „Danke.“ Er nimmt sich eine Hand voll und fing gierig an zu futtern. „Warum kommen deine Eltern dich nicht besuchen?“, frage ich neugierig, mit ein wenig Angst vor der Antwort. „Sie sind tot. Ich bin ein Waisenkind und lebe bei meiner Großmutter, doch die kann nicht mehr gut laufen und kommt mich nur sehr selten besuchen.“ Jan weint. Er versucht es nicht zu zeigen, aber ich sehe es deutlich in seinen Augen. Ich gehe wieder rüber zu ihm, diesmal lege ich mich sofort zu ihm ins Bett und kuschel mich an. „Lass es ruhig raus, kleiner Mann. Ich bin bei dir.“

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