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Unter dem Adler

Teil 1

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Informationen

 

Dies ist meine erste Geschichte, also nicht zu sehr meckern bitte :o) Sie findet zum Teil nicht gerade in einem alltäglichen Umfeld statt, aber das werdet ihr ja auch beim Lesen schnell merken. Diese Geschichte ist natürlich frei erfunden, die Charaktere gibt es nur in meiner Phantasie. Urheberrechtliche Dinge dürften auch weitestgehend bekannt sein.

Noch etwas als Anmerkung: Gerade der erste Teil soll den Leser – die meisten werden den Alltag in einer Kaserne nicht selbst erlebt haben – einführen in diese Welt, ihn mit dem Umfeld vertraut machen. Keine Sorge, eine richtige Liebesgeschichte wird es noch. Nur zwischen wem und ob es ein Happy-End gibt oder nicht, das wird nicht verraten. Ich glaube, ich weiß es selbst noch nicht :o)

»Teilladen!«, rief der Hauptfeldwebel über die Schießbahn. Ich beugte mich zum Schützen herunter und wiederholte das Wort.

»Fertigladen!«, kam der Befehl. Wieder dieselbe Prozedur.

»Auf erkanntes Ziel fünf Schuss, Einzelfeuer, Feuer!« Wieder beugte ich mich zu dem Kanonier herab, der neben mir auf dem Boden lag.

»Fünf Schuss, Einzelfeuer, Feuer.«

Es krachte laut, dann wieder und wieder. Fünf Schützen, jeder mit fünf Schuss, schossen auf die entfernten Zielscheiben. Ich beobachtete, wie der Kanonier seine Sicherheitsüberprüfung machte, und hob den Arm.

»Bahn Eins Sicherheit!«, rief ich.

»Bahn Zwei Sicherheit!«, rief Unteroffizier Schäfer.

»Bahn Drei Sicherheit!«, kam es von Stabsunteroffizier Neururer.

»Bahn Vier Sicherheit!«, meldete Stabsunteroffizier Linckamp.

»Bahn Fünf Sicherheit!«, schloss sich Unteroffizier Krieger (welch passender Name) an.

»Trefferaufnahme!«, forderte Hauptfeldwebel Scharrer als nächstes.

»Bahn Eins: Neun, Neun, Zehn, Neun, Zehn! Sauberes Gold!«, Ich klopfte dem Schützen leicht auf die Schulter, das war wirklich eine erstaunliche Leistung.

»Bahn Zwei: Acht, Neun, Fünf, Sieben, Fahrkarte!«

Ich grinste Schäfer leicht an. »Tja, damit bin ich dir jetzt drei Goldene voraus.«

»Na warte, dich krieg ich auch noch«, grinste der zurück.

»Aber nicht mehr heute, das war`s nämlich.« Mein Grinsen wurde breiter. Schäfer und ich machten aus jedem Schießen eine Art Wettkampf. Wer die meisten Gold-Schützen hat, bekommt vom anderen eine Schachtel Zigaretten.

Als die Trefferaufnahme beendet war, standen wir auf und gesellten uns zu Hauptfeldwebel Scharrer. Wortlos hielt Stuffz Linckamp mir ihre Zigaretten hin und ich nahm eine.

»Dank dir, Kleines.«

»Hey, Brandner, auch wenn du schwul bist, darfst du mich noch lange nicht kleines nennen!« Die anderen wollten fast loslachen.

Stabsunteroffizier Linckamp war eigentlich Sanitäterin, aber da Frauen jetzt in allen Truppenteilen ausgebildet und eingesetzt wurden, war sie zu uns versetzt worden. Sie sollte Erfahrungen sammeln als Ausbilderin. Das war wohl deshalb wichtig, weil die Mädchen und jungen Frauen, die sich freiwillig zum Dienst meldeten, nicht ganz allein gelassen werden sollten mit ausschließlich männlichen Ausbildern, die vielleicht nicht genau wussten, wie sie mit einer Horde Frauen umgehen sollten. Naja, wie auch immer, sie war bei uns, sie war in Ordnung, wir kamen alle gut mit ihr aus. Aber sie mochte es nicht, wenn ich sie »kleines« nenne.

Ach ja, dass ich schwul bin, steht ja oben, in der Kompanie geoutet bin ich auch. Aber jetzt mal zum förmlichen Teil. Mein Name ist Philipp. Fahnenjuker Philipp Brandner, Ausbilder im 6. Grundausbildungszug der 2. Kompanie des Beobachtungspanzerartilleriebataillons 71 in Dülmen im Münsterland. Eigentlich ist dieser Teil des Münsterlandes das, was man als »gottverlassene Prärie« bezeichnet, aber mir gefällt es. Ausgedehnte Wälder, viele Feldwege, kleine Dörfer. Ich finde es irgendwie romantisch, abends am Feuerlöschteich zu sitzen und zuzusehen, wie die Abendsonne langsam abtaucht hinter den Bäumen. Wenn es doch jemanden gäbe, der diese Momente mit mir teilt. Na gut, da war Sarah ... äh ... Stuffz Linckamp, die manchmal mit mir dort saß. Wir unterhielten uns dort über alles Mögliche, dienstliches wie privates. Sie hatte viel drauf, war intelligent und würde nach ihrem Abschied aus der Truppe Philosophie studieren. Aber das war nicht dasselbe, mit ihr dazusitzen oder mit jemandem, den ich wirklich liebe, einem Freund, MEINEM Freund. Aber Soldaten sind für Beziehungen nicht gerade gefragt. Bei den Wehrpflichtigen geht es, viele haben eine Freundin, meist schon bevor sie eingezogen werden. Ich bin kein Wehrpflichtiger mehr. Ich war es mal, vor zwei Jahren, aber ich habe eine Aufgabe vorgefunden, die mich nicht nur gereizt hat. Es ist eine Arbeit, die mich wirklich ausfüllt. Das versteht nur leider kaum einer, die meisten schimpfen ja auf die Bundeswehr, wir kosten nur Geld, und da Deutschland von Verbündeten umgeben ist, besteht hier ja keine Gefahr. Für die meisten sind wir einfach nur ein bewaffneter, ständig betrunkener und pöbelnder Haufen, immer darauf bedacht, irgendwie Schwierigkeiten zu machen. Einmal saß ich sonntags abends im Zug Richtung Kaserne, da hörte ich eine schon etwas ältere Frau zu einer anderen sagen: »Sag mal, Hedwig, fühlst du dich überhaupt sicher im Zug mit so vielen Soldaten?« Als ich das hörte, wurde ich rot und schämte mich sehr für das Bild, das viele Leute von mir und meinen Kameraden haben. Ich bin ein ordentlicher Mensch, höre auf Partys auf zu trinken, wenn ich merke, dass ich genug habe, fange damit gar nicht erst an, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, verabscheue körperliche Gewalt (erkenne sie aber als notwendiges Mittel von Notwehr und Nothilfe an), lese viel und glaube an das gute im Menschen.

»Hey Brandner, aufwachen!«, rief Uffz Krieger.

»Was?« Ich hatte total vergessen, wo ich war. Fast eine halbe Stunde war vergangen, die Schießbahn war leergeräumt, die Rekruten weg. »Was is los, Daniel?«

»Du sitzt da die ganze Zeit wie festgewachsen! Lass uns gehen, wir haben in einer Stunde Bataillonsappell.«

»Eine Stunde? Mist, warum hast du mir nicht eher Bescheid gesagt?«

»Ich hab mit abgebaut. So und nu los, oder willst du zu spät kommen?« Wir gingen also los zum Bus, der uns von Coesfeld nach Dülmen zurückfuhr. Dülmen hatte keine Schießbahn, darum mussten wir dafür immer die knapp 20 km zum Nachbar-Standort fahren.

Wir standen mit dem Bus an der Coesfelder Wache und sahen hinaus. Ein Obergefreiter stand vor dem Wachlokal, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wippte ein wenig auf seinen Stiefelspitzen, während er dem Torposten bei seiner Arbeit zusah. Ich schaute mir den Jungen an. Er war etwa in meinem Alter und im Moment stellvertretender Wachhabender, trug eine silbergraue Kordel und eine Pistole im Halfter, ein schönes Gesicht hatte er, jung, glattrasiert. Er hatte wohl nie Probleme mit Pickeln gehabt, als er in der Pubertät war. Und wenn doch, dann hatte er diese Probleme gut gelöst.

Der Junge sah mich an. Irgendetwas veränderte sich in seinem Gesicht. Ich blickte ihm genau in die Augen und hatte plötzlich das Gefühl, dass er mich verstehen würde. Ganz plötzlich. Wir hatten uns nie zuvor gesehen und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er weiß, wer ich bin. Und was ich bin. Und ich wusste in diesem Moment, dass er genauso ist. Dieselben Wünsche, dieselben Träume, dieselben Sehnsüchtige.

Der Bus fuhr an und wir verloren uns aus den Augen ...

***

Es regnete in Strömen. Wir standen auf dem Exerzierplatz, es hatte vor 10 Minuten angefangen zu regnen, und das nicht zu knapp.

»Es tritt vor: der Fahnenjunker Brandner!«, scholl es aus dem Lautsprecher. Was zum Geier wollte der Kommandeur von mir???

»Hier, Herr Oberstleutnant!«, rief ich ihm zu und ging los. Drei Meter vor ihm stoppte ich, ging in Grundstellung und salutierte. »Herr Oberstleutnant, Fahnenjunker Brandner, melde mich wie befohlen!«

»Rühren, Front zum Bataillon!« Ich drehte mich um und sah in die Gesichter meiner Kameraden.

»Bataillooooon Stillgestanden!«, rief Major Erhardt, der organisatorische Leiter der Veranstaltung.

Dann setzte der Kommandeur, Oberstleutnant Wagner, an: »Im Namen der Bundesrepublik Deutschland ernenne ich den Fahnenjunker Philipp Brandner mit sofortiger Wirkung zum Fähnrich! Düsseldorf, den 28. August 2001, für den Bundesminister der Verteidigung der Kommandeur 7. Panzerdivision!« Ich war befördert worden! Wow, welch ein Gefühl! Ich hätte eigentlich gedacht, dass das noch ein paar Monate dauern würde, aber da hab ich mich wohl geirrt. Da stand ich nun, in strömendem Regen, während Oberstleutnant Wagner und Major Erhardt mir die neuen Dienstgradklappen auf die Schultern setzten. Dann zuckte ich zusammen, denn als sie fertig waren, schlugen sie traditionell einmal mit der flachen Hand auf die Schulterklappen, dass die Heide wackelte. Ein kurzer Händedruck, kurze Gratulation, dann war es vorbei. Ich meldete mich ab, ging wieder zu meiner Kompanie zurück und reihte mich ein. Das Antreten war auch schon wieder beendet, und die Kompanien marschierten unter Leitung der Chefs zurück zu ihren Unterkünften.

***

»Erste Gruppe auf dem mittleren Flur antreeeten!« Die Stimme klang nicht gerade befehlsgewohnt, und ich erkannte sie als die von Kanonier Hilbig. Aber was das sollte, blieb mir ein Rätsel. Seit wann durfte ein Rekrut seine Kameraden rumkommandieren??? Mal nachsehen ... Ich verließ die Zugführerstube und sah auf den Gang. Da standen sie, die acht Jungs meiner Gruppe. Sieben in einer Reihe, der achte, besagter Kanonier Hilbig, vor ihnen.

»Erste Gruppe Stillgestanden! Richt euch! Augen gerade-aus! Zur Meldung die Augen links!« Er drehte sich zu mir und salutierte. »Herr Fähnrich, Panzerkanonier Hilbig, ich melde Ihnen, erste Gruppe angetreten, um Ihnen zur Beförderung zu gratulieren!«

Ich lächelte und übernahm das Kommando. »Augen gerade-aus! Rührt euch.« Wieder lächelte ich. »Hilbig, was hast du nur immer für komische Ideen?« Alle grinste jetzt, auch die Rekruten der anderen Gruppen, die einen neugierigen Blick auf den Flur geworfen hatten. Markus Hilbig stand mir gegenüber, und ich sah ihm in die Augen. Ich wusste genau, was sein Blick bedeutete.

»Scheiße«, murmelte ich. »Das kostet mich heute Abend eine Runde, wie?« Markus zog die Schultern hoch und zeigte wieder dieses schöne Lächeln, das mir jedes Mal fast den Atem verschlug. Etwa 1,85m groß war dieser Kerl, schlank, er hatte helle Haut, leicht grünlich schimmernde Augen und kurze blonde Haare. Fast zwei Monate war er jetzt unter meiner Obhut, übermorgen würde er seinen Spind leerräumen und sich auf den Weg in seine Stammeinheit machen. Ich glaub zum Corps nach Münster würde ihn sein Weg führen. Nein, falsch, zur Unteroffiziersschule in Münster-Handorf. Er war ständig fleißig, verhielt sich kameradschaftlich, immer ein lächeln auf den Lippen – eine wahre Frohnatur, auch nach Geländetagen.

Eine kurze Geschichte fällt mir da ein aus unserem Biwak in der Nähe von Borken. Es war schon spät, und wir saßen am Feuer und haben uns irgendwie über Geld unterhalten.

»Sie verdienen ja eh viel mehr als wir«, hatte er gesagt.

»Falsch, ich verdiene genau soviel wie Sie auch«, war meine Antwort.

»Okay, Sie verdienen genau soviel wie wir. Aber Sie bekommen mehr«, kam es wie aus der Pistole geschossen (blödes Sprichwort) zurück. Alles um uns herum begann zu kichern. Ich sah den süßen Jungen nur an und konnte mir auch ein Grinsen nicht verkneifen.

»Okay, Sie haben ...« konnte ich nur lachend sagen, dann war auch schon wieder Schluss mit Lustig. Uffz Krieger schoss in die Luft, um Alarm zu geben. Ich machte mich auf zu Hauptfeldwebel Scharrer, während die Jungs in ihren Stellungen verschwanden.

Naja, lange Rede, kurzer Sinn – Ich glaube, ich habe mich in Markus verknallt, einen meiner Schützlinge, einen Untergebenen. Dieser süße Junge – er war 20, hatte gerade sein Abitur gemacht, ich war 21 und seit 2 Jahren beim Bund – hatte mir total den Kopf verdreht. Aber das konnte ich wohl knicken. Erstens: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auch schwul ist? Sagen wir etwa fünf Prozent. Wie groß ist dann aber noch die Wahrscheinlichkeit, dass er diese Gefühle auch erwidern würde? Niente. Nada. Nüx. Zweitens: Übermorgen geht er in seine Stammeinheit, und die ist einige Kilometer von hier weg. Na gut, das ist kein richtiges Argument, schließlich besaß ich ja ein Auto. Aber drittens: Eine Beziehung mit einem Untergebenen konnte verflucht üble Probleme machen, im Extremfall wäre das für mich der Rausschmiss oder die Versetzung an irgendeinen Standort weit, weit weg von hier, für Markus Stress mit Kameraden, vielleicht ein Disziplinarverfahren und mehr. Und außerdem: Ich war ja sowieso ständig weg, hier mal auf Führerschein, dort auf Einzelkämpfer-Lehrgang, Zugführerschulung und so weiter. Da blieb nicht viel Raum für Liebe. Wahrscheinlich bin ich einfach ein Feigling im Bezug auf meine Gefühle. Der wichtigste Grund, dass ich es nicht mal versuchte, war wahrscheinlich die Angst vor dem Scheitern. Vier Jahre sind jetzt seit meinem Coming Out vergangen, vier Jahre hatte ich zwar auch Liebschaften und Affären, aber jedes Mal ist es kläglich gescheitert. Der Letzte war Patrick, den hab ich in einer Disco auf dem Klo mit einem anderen erwischt. Scheiß-Spiel, kann ich dazu nur sagen. Tja, nützt ja nix, pflegte mein Deutschlehrer immer zu sagen.

»Sechster Zug, auf dem mittleren Flur antreeeten!«, brüllte Uffz Schäfer über den Gang und schreckte mich wieder aus meinen Gedanken auf. Ich sah auf meine Uhr, wie sich der Sekundenzeiger bewegte. 28 Sekunden, dann fing wieder jemand an zu rufen, diesmal war es der Kanonier ganz vorne in der Reihe.

»Sechster Zuuuuuug« – er hielt kurz inne, während die Köpfe sich geradeaus drehten – »Steht!«

Uffz Schäfer hatte Zugdienst, leitete darum diese Woche derartige Anlässe, führte den Zug zum Essen und wohin auch immer.

»Also, Männer«, sprach er. »Ich würde sagen, das war es fast. Morgen noch, dann werden die Sachen gepackt, die Spinde geräumt, dann kommen neue Rekruten, genau wie Sie. Morgen um sieben Uhr ist Waffenempfang und dann wird gereinigt. Um elf ist Waffenappell, dann holen wir die weißen Handschuhe raus und schauen uns mal an, ob sie das auch gut gemacht haben.« Er grinste. Natürlich gab es keine weißen Handschuhe, die brauchten wir auch nicht. Man kann eine Waffe nicht wirklich sauber bekommen, es gibt zu viele Stellen, die man mit dem Lappen nicht erreicht. Aber wir, die Ausbilder, wir kannten so ein paar Tricks, wir konnten immer wieder etwas finden. »Sechster Zug in den Dienstschluss wegtreten!«

»HURRA!«, scholl es ihm entgegen in einer Lautstärke, dass er fast nach hinten gefallen wäre. Sofort gab es ein geschäftiges Treiben, Rekruten wuselten über die Flure.

»Erste Gruppe zu mir!«, brüllte ich durch das Gebäude. Langsam trudelten dann auch alle Mitglieder dieser Gruppe ein.

»Menno, wir haben Dienstschluss«, maulte Brockmann, ein kleiner, aber sehr drahtiger junger Kerl von 23 Jahren.

»Ich weiß, und ich wollte euch nur sagen, dass ich heute Abend ab halb acht ne runde gebe auf meine Beförderung und dass ihr alle gern eingeladen seid. Frage, Sorgen, Nöte, Anträge? Keine? Alles klar, dann bis heute Abend, hoffe ich mal.«

***

»Zur Mitte!«, brüllte Markus und hielt sein Glas über den Tisch. »Zur Titte! Zum Sack – zack-zack! Prost Ihr Säcke!«

»Prost du Sack!«, scholl es ihm entgegen. Na gut, das Niveau war nicht unbedingt das höchste, aber man muss auch mal ausspannen können, sich einfach gehen lassen.

Das Mannschaftsheim war fast voll, die Stimmung gut, das Bier kalt und das Essen lecker. Ein Holzfällersteak hatte ich mir heute gegönnt. Zartes Fleisch, mit Kräuterbutter überzogen und dazu Pommes.

»Wenn einer noch was zu trinken haben will, an der Kasse könnt ihr heute auf meinen Namen anschreiben lassen«, erinnerte ich die Jungs nochmal.

Markus stand auf, griff sich fünf leere Gläser und marschierte sofort ab zur Theke, um Nachschub zu besorgen. So war er eben. Er ließ nicht andere etwas für ihn erledigen, sondern nahm es einfach selbst in die Hand, was er wollte. Er war wirklich jemand zum verl...

»Fähnrich Brandner!«, rief der Wirt und unterbrach meine Gedanken.

»Hier!«, rief ich zurück.

»Telefon! Spieß zwote!« Stabsfeldwebel Werner war unser Spieß, wie man so schön sagte. Ein kleiner, drahtiger Mann mit Vollbart und einer gelben Kordel, die ihn als Kompaniefeldwebel auswies.

»Brandner«, meldete ich mich.

»Stabsfeld Werner«, kam es zurück. »Sagen Sie mal, Fähnrich, was haben Sie morgen vor?«

»Auf dem Dienstplan steht Waffenreinigen ...«, antwortete ich natürlich.

»Falsch, Fähnrich. Sie schnappen sich einen Kanonier und fahren morgen nach Olfen ins Mun-Depot. Der Mun-Uffz ist krank geworden und sein OG ist im Urlaub.«

»Wann ist Abfahrt?«

»Halb sieben. Fahrzeugpapiere liegen beim UvD. Alles klar?«

»Ja, Spieß.« Ich hängte ein und dachte nach. Halb sieben. Munitionstransport. Okay, alles klar. Ich ging zurück zum Tisch und hatte mich gerade hingesetzt, als Markus mit einem Tablett Bier kam. Jeder bekam eins und die Jungs tranken wieder.

»Markus?«

»Jo?«

»Sag mal, hast du letzte Woche das Wachschiessen bestanden?«

»Klar doch. Also, wer das nicht gepackt hat, kann sich eh eintüten lassen.«

»Kein Bier mehr für dich. Aufstehen um fünf, Essen fassen um halb sechs. Anzug ist Nässeschutzjacke, Koppel, Munitionstaschen, alle Magazine. Wir treffen uns um kurz nach sechs am UvD, dann ist Waffenempfang.«

»Hallo??? Nu vollkommen abgedreht? Was ist denn los?« Er wirkte ziemlich durcheinander. Na gut, ich hab mich auch nicht gerade deutlich ausgedrückt.

»Der Spieß hat mich gerade angerufen, ich soll morgen mit dir einen Mun-Transport machen. Und weil das richtige Murmeln sind, die wir hier durch die Gegend fahren, kriegen wir auch entsprechend scharfe Munition. Jetzt verstanden? Also morgen Dienst mit Waffen, darum kein Bier mehr für dich. Geh lieber schlafen, ich hau mich auch hin. Jungs, trinkt euch noch gut was, ich komm morgen zum Zahlen. Aber nicht übertreiben. Wem morgen schlecht ist, den schick ich zum Abschied nochmal über die Bahn.« Ich klopfte einmal auf den Tisch. »Gute Nacht.«

Dann ging ich, Markus hinter mir. Zwei Minuten später betraten wir das Kompaniegebäude, stiefelten die Treppe hoch und trennten uns. Ich hörte noch kurz sein Handy bimmeln und ihn sagen: »Hi mein Engelchen!«, bevor er seine Stubentür schloss. Na herrlich. Ich wusste ja nicht, das der süße eine Freundin hatte. Das war`s dann wohl mit dem kleinsten Funken Hoffnung. Er hat doch immer so abgeblockt, wenn ihn jemand gefragt hat, ob am Wochenende ein Mädchen zu Hause auf ihn wartet. Andererseits geht das ja nun eigentlich auch niemanden was an, und wenn er nichts davon sagen will, ist das seine Sache. Aber enttäuscht war ich natürlich schon. Warum eigentlich? Ich hab mich doch eh schon damit abgefunden, dass ich zumindest noch eine ganze Zeit allein sein werde.

Müde und ein klein bisschen angetrunken, aber mit einem dicken Kloß im Hals ging ich auf meine Stube. Ich zog mich aus, kroch unter die Decke und wollte nur noch schlafen. Den Wecker kurz gestellt und auf ins Land der Träume. Ich wollte nicht mehr nachdenken. Mich nicht mehr damit beschäftigen, was ich mir insgeheim für Hoffnungen gemacht habe. Wie dumm ich war, auch nur einen einzigen Gedanken zu verschwenden an diese kleine Träumerei ...

***

»Moin OG«, sagte ich. »Wo steckt der VDF?«

»Hä?« Der angesprochene drehte sich um. »Oh, Sie sind's. Moin. Den VDF suchen Sie? Der ist noch nicht hier. Aber ich soll Ihnen was vom Spieß geben.« Er reichte mir die Tasche mit den Fahrzeugpapieren, ich sah nach, ob alles da war.

»Na super, wir haben ein volles Dutzend Fünftonner, und ich kriege ausgerechnet den einzigen ohne Radio«, fluchte ich. Und wo blieb Markus überhaupt? Fünf Minuten überfällig ... Naja, egal, unser lieber Versorgungsdiensfeldwebel, Oberfeld Grünebaum war ja auch noch nicht da.

»Sorry, dass ich zu spät bin ...«, hörte ich auch schon Hilbig hinter mir rufen. Ich drehte mich um.

»Guten Morgen erstmal. Hast du alles? Hey, was ist mit dir?« Ich sah ihn an, er wirkte traurig, versuchte aber genauso verkrampft wie vergebens, normal zu wirken.

»Mit mir ist alles okay«, antwortete er knapp. Nun denn, wenn er mir nicht sagen will, was ist, kann ich ihn nicht dazu zwingen.

»Mogäään, Fähnrich«, bellte dann plötzlich jemand hinter mir. Natürlich Oberfeld Grünebaum.

»Moin Max, bist du auch schon aus dem Bett gefallen?« Ich lächelte und reichte ihm die Waffenkarten von Markus und mir. »Lass gehen, ich hoffe, du hast deine Schlüssel dabei. Der Junge kriegt sein G36 und ich meine P1. Woher kriegen wir die Mun, weißt du das?«

»Nu mal langsam, Brandner, eins nach dem anderen. Was willst du überhaupt um diese Uhrzeit mit Knallfröschen? Kriegst du deine Jungs nicht auch so wach?« Er schloss die Waffenkammer auf und trat ein.

»Scherzkeks. Ich muss nach Olfen.«

»Weiß ich doch. Du bist nicht der Einzige, den der Spieß gestern Abend noch angeklingelt hat. Da hast du deine P1. Dein Kanonier kriegt die Nummer ... 152, richtig?« Markus nickte und bekam die Waffe. »Mun gibt's nebenan, kommt mit.« Wieder ging der Oberfeldwebel vor, schloss sein Büro auf und ging hinein. Er wuchtete eine Kiste auf den Tresen und öffnete sie. Dann zählte er 27 Schuss für das G36 ab und reichte sie Markus. Schließlich bekam ich meine 16 Schuss für die Pistole und füllte beide Magazine, schob das eine ins Halfter und das andere in die Waffe, bevor diese ebenfalls im Halfter verschwand. Aber warum war mein Soldat so ungeschickt? Er fummelte an seinem einen Magazin herum, drei Patronen fielen auf den Boden. So hatte ich ihn ja noch nie erlebt, so unruhig. Er war gerade beim Dienst mit der Waffe immer sehr vorsichtig und überkorrekt, weil er genauso viel Respekt hat vor diesen Dingen wie ich. Aber jetzt ...? Ich hob die drei Schuss vom Boden auf, nahm eines seiner Magazine und packte neun Patronen hinein, reichte es ihm und er steckte es ein. Sichtlich betreten schaute er mich an. Verflucht, irgendwas hatte ihn doch aus der Bahn geworfen, und das nicht zu knapp!

***

Der Scheibenwischer quietschte. Es war nass, nicht viel Verkehr auf den Straßen und wir fuhren über die schmale Landstraße in der Nähe von Steinfurt. Kaum ein Wort hatte Markus gesagt, er starrte einfach nur nach vorne auf die Straße.

»Mensch, Junge, ich seh doch, dass du total fertig bist. Jetzt verrat mir schon, was los ist mit dir«, sagte ich. Sein Kopf drehte sich langsam in meine Richtung, und der süße Junge musterte mich eingehend.

»Philipp, ich ... ach scheiße, warum ist das alles so schwer?«, antwortete er. »Ich ... mein Freund hat gestern Abend Schluss gemacht.« Moment, hatte ich mich verhört??? Sein Freund? Ich bremste und hielt an.

»Dein Freund ... ach du scheiße, kein Wunder, dass du so schlecht drauf bist.«

»Und ... und ich habe das Gefühl, dass ich dich zwei Monate lang habe hängen lassen, weil ich verschwiegen habe, dass ich schwul bin ... entschuldige, es tut mir leid ...«

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