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Anders

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Vorwort

Hallo zusammen. Da sitzt man gemütlich in der Badewanne (alleine!), und plötzlich kommt einem eine Idee für eine richtig kurze Kurzgeschichte. Eine, die ganz ANDERS ist, die sich völlig vom »Neuanfang« und vom »Ami« unterscheidet. Naja, und wie es mit solchen Ideen so ist, sie lassen einen nicht eher ruhen als das man sich mit ihnen beschäftigt hat. Also los geht's :

 

So weit ist es nun mit mir gekommen. Wie bin ich da bloß rein geraten? 18 Jahre alt, bisher mit meinem Leben hochzufrieden, und nun das. Aussätzig, ausgegrenzt, isoliert, eine Witzgestalt - freigegeben dem Gespött derer für die ich ANDERS bin.

Dabei war mein Leben bis vor kurzem so einfach gewesen. Beliebt, akzeptiert, mehr als genug Freunde, und sogar ein ausgefülltes Liebesleben :-) Aber all das lag nun hinter mir. Und das bloß weil meine Mutter dem »tollen« Jobangebot inklusive nötigem Umzug nicht widerstehen konnte. Und schon wurde ich aus meiner vertrauten, geliebten Umgebung herausgerissen und landete völlig unvorbereitet an diesem Ort an welchem ich immer nur ein Außenseiter sein werde.

»Keine Angst, Lucas« hatte meine Mutter gesagt. »Keine Angst, da gibt es garantiert auch andere die genauso fühlen wie Du.« Na wunderbar aber auch. Die gab es tatsächlich, einige wenige - und alles welche die ihr ANDERSSEIN dermaßen zu ihrem Hauptberuf gemacht hatten, dass ich mit ihnen nichts anfangen konnte, ja: nichts anfangen wollte. Deren Gerede über die jüngsten Errungenschaften, noch dazu in allen graphischen Details stießen mich eher ab als mich anzulocken. Und da ich meine Meinung dazu dummerweise auch noch ziemlich deutlich machte, war ich auch bei denen, zu denen ich noch am ehesten »dazugehörte«, untendurch.

Die anderen? Die von denen ich mich dermaßen unterschied? Für die ich so schrecklich ANDERS war? Gekicher nach dem Sportunterricht, wenn ich mich im Duschraum verschämt in meiner Ecke zur Wand drehte. Stockende Gespräche sobald ich mich einer bis dahin munter schwatzenden Gruppe meiner »lieben Mitschüler« näherte. Von den Sticheleien in den Gängen und Klassenzimmern gar nicht zu reden. »He, Lucky, wieder ein Wochenende allein mit deiner rechten Hand?«

Warum nur muss gerade ich ANDERS sein!?! Nicht dass ich mich nicht bemüht hätte mich anzupassen. Ich hatte mich sogar zum Versuch einer romantischen Nacht durchgerungen - welche natürlich im totalen Fiasko endete. Keine Chance etwas zu sein was ich nicht bin, jemand zu sein, der ich nicht bin. Also war ich auch weiterhin derjenige welcher der nirgends dazugehört. Keine Freunde, nicht einmal richtige Bekannte konnte ich vorweisen. Meine alten Freunde, mit denen ich siebzehn Jahre lang aufgewachsen war und die mich so akzeptierten wie ich nun mal war bedauerten mich in den regelmäßig hin- und hergehenden eMails aufrichtig, aber das half mir auch nicht weiter. Selbst wenn nicht tausende Meilen zwischen ihnen und mir liegen würden - es wäre wohl keiner von ihnen so mutig jemanden wie mich hier zu besuchen. Wobei ihnen natürlich keine wirkliche Gefahr drohen würde. In der Beziehung war auch ich sicher. Nicht etwa dass man mich körperlich angegriffen hätte, o nein. Dazu waren sie alle viel zu aufgeklärt, viel zu »tolerant«. Aber in meiner kurzen Zeit hier hatte ich sehr schnell herausgefunden, dass zu viel Toleranz auch ganz leicht zu einem Ausdruck von Arroganz und Geringschätzigkeit werden kann. Ich glaube mit offener Aggression wäre ich leichter klargekommen als mit dieser Art »großzügiger Duldung«, mehr oder weniger als gerade noch akzeptable niedere Lebensform welche die Aufmerksamkeit der »Normalen« nicht wert ist durchzugehen.

Und nach der Schule? Alles besser? Ha! Schön wär’s. Egal wo ich auftauche, überall ernte ich die gleichen abschätzigen, mild-amüsierten Blicke von denen die nicht ANDERS sind. Also von etwa 90 Prozent der Bevölkerung. Wie oft hatte ich schon den gewaltigen Lachanfall des Zeitungsverkäufers und der versammelten Kundschaft nach meinem Verlassen des Ladens mitbekommen. Und das obwohl ich mir nur meine üblichen Magazine gekauft hatte. Naja, vermutlich musste ich froh und dankbar sein, dass er diese »perverse« Literatur überhaupt im Angebot hatte. Das gleiche Spiel beim CD-Kauf oder in der Videothek. Erst offenes Interesse, dann kaum verborgene Überraschung, anschließend das völlig verkniffene Gesicht von jemandem der sich nur mit größter Mühe das Lachen verkneifen kann. Ich war jedes Mal froh wenn das Gelächter erst nach meinem Verlassen des Ladens anfing.

Mein einziges Rückzugsgebiet war unser kleines Häuschen, in welchem ich mich mehr und mehr einigelte. »Kleines« Häuschen traf es übrigens ziemlich genau. Knapp achtzig Quadratmeter Freiheit, ohne Bedrohung durch die »normale« Umwelt. Hier konnte ich abschalten und ganz alleine vor mich hin leiden. Früher hatte ich jede zweite Nacht Freunde als Übernachtungsgäste gehabt, aber hier? Wer will schon mit jemandem das Zimmer teilen der ANDERS ist?

Und was tue ich ganz alleine in meinem Zimmer? Ich grüble vor mich hin und schreibe solchen Blödsinn zusammen wie diesen hier. Reine Notwehr. Eines steht felsenfest: diesen Rückschlag in meinem Leben werde ich meiner Mutter nie verzeihen. Hatte ich schon erwähnt, dass es mir vorher wirklich gut ging? Hatte ich? Gut, das kann ich gar nicht oft genug sagen. Einen Tag war ich glücklich und mit mir und der Welt zufrieden, und am nächsten war ich hier: in San Francisco, im schwulen Stadteil Castro, in einer Kunst-High-School - als einer von einem Dutzend heterosexueller Schüler unter lauter Schwulen und Lesben!

Gott, ich hasse es ANDERS zu sein !

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