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An jenem Tag...

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

Gegenüberstellung

Am nächsten Morgen auszuschlafen hatten die beiden sich so gedacht. Leider klingelte es gegen acht schon an der Tür. Luke stöhnte nur leise ein 'oh man' und schleppte sich zur Haustür. Verschlafen öffnete er und erblickte das Polizistenteam.

„Guten Morgen Herr Franklin. Wir sind eigentlich auf der Suche nach Herrn Wiek. Finden wir den bei Ihnen?“

„Den finden Sie bei mir ja. Um was geht es?“

„Das möchten wir selbst mit ihm besprechen“, meinte die junge Polizistin und schaute Luke in die Augen. Der direkte Augenkontakt verwirrte ihn ein wenig. Er schüttelte den Kopf drehte sich um und meinte, er würde ihm Bescheid sagen. Die Polizisten führte er so lang in die Küche und ließ sie Platz nehmen. Dann machte er sich auf den Weg Richtung Schlafzimmer.

„Alec? Die wollen zu dir.“

Murrend drehte Alec sich um „Wer denn?!“

„Die Polizisten sind da, also das neue Team, das da wohl ermittelt. Sie wollen gern mit dir sprechen.“

Alec machte sich auf die Socken zog sich schnell an. Luke war inzwischen wieder zur Küche gegangen, um den Polizisten etwas zu trinken anzubieten. Beide lehnten ab, dann stand Alec in der Tür.

„Können wir mit Ihnen allein sprechen?“, fragte die junge Polizistin und schaute auf Luke.

„Er kann hier bleiben“, meine Alec schnell. „Um was geht es denn?“, hakte er nach.

„Wir wollen sie gern zu einer Gegenüberstellung mitnehmen. Wir haben einen möglichen Täter, der uns von Herrn Raphael Neumann genannt wurde. Nun brauchen wir ihre Aussage.“

Alec schaute etwas spartanisch auf den Tisch, schaute zu Luke und schaute dann den Polizisten an „Muss das sein?“, fragte er noch trocken.

Der machte eine passende Geste, die Alec die Frage mit 'ja' beantwortete. „Wollen Sie jetzt gleich mitkommen?“

„Nein. Ich würde in einer Stunde nachkommen. Ist das in Ordnung?“, fragte Alec etwas schüchtern. Die beiden nickten, verabschiedeten sich und gingen. Luke hatte das Gespräch an den Küchenschrank gelehnt verfolgt. Alec begleitete die Polizisten zur Tür, ging dann wieder in die Küche zurück und stand Luke gegenüber. Der blickte nun hoch zu Alec. Alec schaute zurück in die grünen Augen. Luke nahm seine Freund daraufhin in den Arm. „Du schaffst das schon“, machte er ihm Mut, “Ich fahre dich nachher hin,okay?“ Alec bejahte und vergrub sein Gesicht in Lukes Brust.

 

Vor der Wache machte Luke seinem Freund nochmal Mut und ließ ihn dann hineingehen. Er durfte nicht mit und wartete brav draußen. Die Gegenüberstellung dauerte nicht lange. Die Polizisten empfingen Alec sofort und zeigten ihm den besagten Mann.

„Das war einer von denen. Aber nicht der, der mich eingesperrt hat.“

„Wissen sie denn, wie der aussieht?“

Alec schüttelte den Kopf. „Fragen Sie den doch, wie er darauf gekommen ist.“

„Ja das werden wir. Wir danken ihnen für ihre Hilfe und werden uns melden.“

Alec blieb ruhig, schluckte alles herunter. Er kehrte zu Luke zurück, stieg ein und sagte nichts. Luke schaute zu ihm: „Alles in Ordnung? Du willst nicht reden, oder?“

„Lass uns nach Hause fahren“, waren die einzigen Worte von Alec. Zurück in der Wohnung blieb Alec weiter so verschwiegen, Luke wusste, dass er ihn nicht ansprechen brauchte. Er würde eh nicht reden. Die beiden lenkten sich mit TV schauen ab, Alec schwieg, Luke hockte daneben und entspannte sich, immer ein Auge auf seinen Freund werfend, ihn sanft im Arm haltend. Dann versuchte er ein neutrales Gespräch zu beginnen:

„Wann willst du deine Kündigung fertig machen?“

„Keine Ahnung. Sie haben heute versucht mich anzurufen, bestimmt weil ich nicht da war.“

„Lass es nicht zu sehr schleifen, du brauchst auch noch dein Arbeitszeugnis.“

„Mmh.“

Sie schwiegen sich kurz an. „Ich muss noch einkaufen. Kommst du mit oder möchtest du hier bleiben?“ Luke war nicht ganz wohl dabei, Alec alleinzulassen. Der verneinte auch und Luke machte sich schnell allein auf den Weg. Als er in die Wohnung zurück kam, fand er Alec schlafend auf dem Sofa. Er atmete schnell durch, erleichtert, dass nichts weiter passiert war. Er hatte Angst, dass er nach der Begegnung wieder völlig ausrasten könnte. Er wusste ja nicht mal was passiert war, aber es schien der Typ gewesen zu sein. Das würde Alec's Stille erklären.

 

Luke verstaute die Einkäufe in der Küche. Irgendwann hörte er Alec um Hilfe schreien und rannte zurück ins Wohnzimmer. Seine Vorahnung bewahrheitete sich. Er sprach ihn an, keine Reaktion Alec schrie weiter, fing dann an um sich zu schlagen.

Luke näherte sich versuchte nach seinen Armen zu greifen um ihn festzuhalten und zu beruhigen. Es gelang ihm nicht, er wurde von Alec weggestoßen. Die Szene zog sich hin, Alec wurde kurzatmig, Luke konnte ihn noch immer nicht bändigen und musste sich wegschlagen lassen. Sonst so kraftlos, entwickelte er plötzlich genug Energie, um sich minutenlang zu wehren. Luke saß kurz am Boden, seine Hand vorm Gesicht und starrte auf den tobenden Alec, der sich plötzlich auf ihn stürzte und begann ihn zu würgen. Er schrie ihn an, von wegen er würde ihm nie wieder weh tun, er beendet die Sache jetzt. Luke brachte nur noch ein „Hör auf! Al..!“ hinaus und stieß ihn in völliger Panik von sich. Dann ein Krachen, splitterndes Glas. Kopfüber landete Alec auf dem Glastisch der unter dem plötzlichen Gewicht in tausend Scherben zersprang und lag dann zitternd und verkrampft in den Scherben am Boden. Luke atmete durch und hustete, bevor er in der Lage war, sich um Alec zu kümmern. Er kroch auf allen Vieren zu ihm.

„Alec?“, er versuchte ihn vergebens anzusprechen, er reagierte nicht, krampfte nur und lag nun reglos da. Luke realisierte schnell das Blut und die Scherbenteile, die in Alec's Hals steckten. Er war abgerutscht und in den Glastisch gekracht.

„Verdammt, bleib liegen. Nicht bewegen“, meinte er schnell wissend, dass Alec die Worte sowieso nicht aufnehmen konnte und sprang auf. Rief den Rettungsdienst.

Alec wurde wieder aggressiver, begann sich hektisch zu bewegen. Luke hatte vorsorglich Beruhigungsmittel in allen Formen im Haus deponiert. Mit Tabletten und Tropfen brauchte er jetzt nicht kommen, die würde Alec nicht schlucken. So blieb es ihm nur übrig zur Injektion zu greifen. Er durfte sich ja nicht viel bewegen, eine große Scherbe steckte nahe der Halsschlagader. Die kleineren hatten nur Wunden im Gesicht und am Arm zugefügt.

Da Alec nun wieder anfing um sich zu schlagen, handelte Luke schnell, schmiss sich regelrecht auf ihn, um seinen Arm fixieren zu können und die Vene mit der Spritze zu treffen. Erst schlug er ihm die Spritze fast aus der Hand. Luke konnte sie gerade noch halten und schaffte es nach einem kurzen Kampf sie ihm zu verabreichen.

„Bleib doch ruhig, vorsichtig.“

Alec merkte, wie er schläfrig wurde, seine Muskeln entspannten sich, Luke ließ von ihm ab und strich ihm über die Stirn. Er sprach leise mit ihm, während Alec wegdämmerte. Im selben Moment traf der Rettungsdienst ein und übernahm den Patienten. Luke hockte wieder hustend an der Wand, verschmiert mit Alec's Blut.

Die Scherbe musste operativ entfernt werden, die anderen Wunden versorgt.

Alec blinzelte Luke leicht an, lag vom Beruhigungsmittel entspannt am Boden, fast schlafend, leicht zitternd, das Blut strömte leise den Hals herunter. Alec bemerkte erst die Wärme und dann die Kälte, die ihn beschlich.

„Hilfe kommt gleich“, beruhigte Luke ihn weiter. Luke selbst fühlte sich machtlos. Er wusste wie er ihm helfen kann, konnte es jedoch mit seinen bloßen Händen nicht. Im selben Moment traf auch der Notarzt ein.

Luke erkannte ihn sofort, einen Teil seiner Ausbildung hatte er bei ihm absolviert. Luke durfte mit zur Klinik und auch mit in den OP. „Gute Vorarbeit“, lobte ihn der andere und suchte das Gespräch zu ihm, während er vorsichtig die Scherbe herausoperierte.

„ Glück gehabt. 2 mm nach links und es wäre zu spät gewesen”, murmelte er beim herausschneiden. Dann fragte er weiter: “Was macht die Ausbildung, wo sind sie denn jetzt?“

„Ich bin in der Unfallklinik Marzahn. Die Ausbildung ist sehr anstrengend, aber ich versuche durchzuhalten. Ich mache gerade noch die Notarztausbildung nebenbei.“

„Das ist lobenswert.“

Die Schwestern im OP lauschten stumm der Unterhaltung, schauten aufmerksam auf die Hände des Chirurgen und reichten ihm alles zu. Sorgfältig zog er den Fremdkörper aus Alec's Hals ohne weiteren Schaden anzurichten und murmelte vor sich hin „Na das sieht doch gut aus. Glück gehabt. Kommen Sie her Luke. Haben sie so eine Verletzung schon mal behandelt?“, drang der Lehrer in dem anderen Chirurgen durch.

„Nein, bisher nicht.“

„Dann kommen Sie näher.“ Er erklärte ihm noch einige Einzelheiten und zeigte ihm ein paar weitere Handgriffe, bevor er die Wunde vernähte. Luke hatte sich inzwischen beruhigt und verfiel mit dem Doktor in ein fachliches Gespräch, das sie nach kurzer Zeit beendet hatten. Luke fasste sich reflexartig immer wieder an den Hals und rieb ihn sich.

„Ihnen ist nichts passiert?“

„Nein alles ok. Er hatte mich gewürgt.“

„Sie sehen sehr müde aus. Fahren Sie nach Hause, wir rufen an, wenn er wieder aufwacht. Was ist eigentlich genau passiert?“, fragte der Notarzt weiter.

„Er leidet an PTBS und hatte einen Nervenzusammenbruch. Das ist leider ausgeufert, er hat mich gewürgt und ich hatte Panik bekommen und ihn weggestoßen, da landete er auf dem Glastisch.“

„Muss ich also nicht der Polizei Bescheid geben?“

„Nein, keine häusliche Gewalt. Ich kenne die Vorgehensweise nach so einem Vorfall. Es war nichts weiter.“

Der andere nickte „Gehen Sie nach Hause, wir melden uns.“

„Kann ich nicht hier bleiben?“

„Sie schlafen fast im Stehen. Nein.“

Luke resignierte und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Dort stand er vor dem Chaos im Wohnzimmer, überall lagen die Scherben, das Parkett war vom Blut verklebt. Tupfer und Verbandsmaterial sowie Ampullen lagen im Zimmer rum. Er setzte sich erschöpft auf die Couch und vergrub sein Gesicht in den Händen. Dann blinzelte er zwischen seinen Fingern hindurch auf das Chaos und redete mit sich selbst. 'Man Alec, wenn ich dich nicht so verdammt lieben würde, hätte ich dich schon rausgeschmissen. Mir den Zirkus hier erspart.' Er ließ sich gegen die Lehne fallen, begann sich dann endlich zu entspannen und schlief ein. Normalerweise hätte er sofort seine Wohnung wieder in Ordnung gebracht, aber dazu fehlte ihm in dieser Nacht jegliche Kraft.

 

Geweckt wurde er am nächsten Morgen durch den Anruf des Krankenhauses und er machte sich sofort auf den Weg dorthin. Er suchte das Zimmer auf und öffnete behutsam die Tür.

„Hey“, meinte er sanft und trat ein.

„Luke!“ Alec schaute nach oben, sein Kopf war fixiert, er durfte ihn nicht bewegen. Versuchte aber irgendwie zu ihm zu schauen.

„Nicht bewegen“, mahnte Luke ihn sofort.

„Es tut mir so leid“, flüsterte Alec.

„Alles okay, es ist in Ordnung“, beruhigte er ihn gleich und legte ihm seine Hand auf die Brust.

„Ich hätte gleich mit dir reden sollen und nicht alles wieder runterschlucken.“ Alec's Stimme wurde immer leiser.

„Sprich nicht so viel, es ist alles gut. Du lebst, das ist Grund genug. Du kannst dich hier bald einmieten und ich brauche keine Wohnung mehr, da ich nur noch meine Zeit in Krankenhäusern verbringe.“

„Ich mache dir wieder nur Ärger“, schluchzte Alec.

„Mach dir darüber keine Gedanken. Komm erst mal wieder auf die Beine. Ich muss dich leider etwas enttäuschen. Ich muss nachher wieder los zur Arbeit, kann also nicht lange bleiben.“ Luke war bemüht freundlich zu sein. Es fiel ihm nicht leicht, da er sich in einem Gefühlschaos aus Angst und Überforderung befand. Wie kommt er aus der Situation wieder raus? Alec jetzt vor die Tür setzen geht nicht, aber seinen Job musste er auch vernünftig machen, da hatte er keine Zeit sich intensiver um ihn zu bemühen. Letzte Situation war einfach zu gefährlich, als es so in seinem Gedanken vorübergehen zu lassen. Alec hätte ihn fast erwürgt und Alec selbst hätte tot sein können. Er musste das Thema Therapie nochmal ansprechen. Nicht sofort, aber später.

„Deinen Krankenschein schicke ich dir zur Arbeit“, meine Luke trocken, noch im Gedanken.

„Schick doch gleich eine Kündigung mit, falls du mich noch willst.“

„Das musst du schon allein tun“, meinte Luke und strich Alec über die Stirn. „Mach mir keinen Blödsinn und bleib ruhig liegen. Sei kooperativ gegenüber den Ärzten. Kommst du klar?“

„Ja, sind alle nett zu mir. Als ich aufwachte war eine ganz junge Ärztin da, die schien dich zu kennen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Sie hatte sich mit dem anderen unterhalten, da fiel dein Name. Aber ich konnte den anderen nicht sehen, ich darf mich ja nicht bewegen.“

„Das darfst du bald wieder, du musst nur den Kopf still halten, wegen der Wunde. Halt die Ohren steif“, meinte Luke noch, bevor er ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn gab. Alec schloss dabei die Augen. Dann verließ Luke das Zimmer und machte sich wieder auf den Heimweg. Er begann seine Wohnung wieder in Ordnung zu bringen und hockte sich bis zum Schichtbeginn über seine Bücher.

 

Er hatte es das ganze Wochenende nicht zu Alec geschafft, raffte sich aber am Montag auf, den Weg in die Klinik zu suchen. Er rief vorher an und erkundigte sich, ob Dr. Rach zu sprechen sei.

Er suchte als erstes das Gespräch mit ihm, traf ihn auf dem Flur der Klinik.

„Hallo Luke!“, begrüßte der ihn sich schnell erinnernd. „Sie sehen noch genauso müde aus.“

„Kann ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen?“

„Natürlich. Kommen Sie mit.“

Die beiden setzten sich in ein kleines Behandlungszimmer, Dr. Rach schaute fordernd zu Luke, der begann etwas schüchtern zu sprechen.

„Ich wollte nur fragen bzw. geht es mir darum. Also es geht um Alec Wiek.“ Er wurde unsicher.

„Ja, den jungen Mann, den Sie hierher begleitet haben.“

„Genau.“ Luke atmete tief durch „Können Sie ihn vorübergehend in eine Psychiatrie einweisen lassen?“ Nun waren die Worte raus, Luke schluckte.

Der andere schaute ihn an „Er hat bei uns bisher keine Anzeichen gemacht, als wenn das nötig wäre. Und den Vorfall kann man als Haushaltsunfall abtun.“

„Er steht unter Medikamenten, dann ist er meistens ruhig und hat nicht diese Träume.“

„Wissen Sie, in der Klinik werden sie ihn auch nur unter Medikamente setzen. Erzählen Sie mir doch mal die ganze Geschichte.“

Luke erzählte alles auch von den Vorfällen, die sich bisher ereignet hatten.

„Ich schaff das nicht mehr, ich habe meine Ausbildung zu machen und muss auf ihn die ganze Zeit aufpassen. Ich bin überfordert, er erzählt mir ja auch nicht alles.“

„War er denn schonmal in psychologischer Behandlung?“

„Er redet mit denen nicht. Wir haben das alles schon damals versucht, als wir ihn in Marzahn hatten. Es ist kein Rankommen. Mir vertraut er einigermaßen und manchmal spricht er über seine Erlebnisse.“

Der andere atmete tief durch. „Nun, was sollen wir machen? Eine Einweisung kann ihm einen noch stärkeren Knacks geben. Kann, muss nicht. Oder Sie nehmen ihn wieder mit und versuchen weiterhin ihm zu helfen. Oder was ist mit seinen Eltern, sie haben doch erzählt, dass er nach seinem Unfall dort war? Er muss ja auch von sich aus den Willen zeigen.“

„Ich weiß, dass so was auch das Gegenteil bewirken kann. Zu seinen Eltern kann er nicht, er kann auf dieses Dorf nicht zurück, aber das ist eine andere Geschichte.“

„Waren Sie heute schon bei ihm, haben sie darüber gesprochen?“

„Nein, ich musste am Wochenende arbeiten. Ich war seit Samstag früh nicht hier.“

„Ich denke eine Zwangseinweisung wäre nicht der richtige Weg. Ich weiß auch nicht ob es ihm und ihnen dann vielleicht noch schlechter geht.“

Luke schaute verwundert hoch „Wie?“

„Na Sie sitzen hier vor mir völlig unsicher, völlig übermüdet und wollen Ihren Freund, Bekannten, was auch immer, in die Psychiatrie einweisen lassen. Was meinen Sie was passiert, wenn die Aktion nach hinten los geht und es ihm danach noch schlechter geht? Er scheint ja leider sehr unter seinen Erlebnissen zu leiden und ist glücklich Sie zu haben. Er braucht Halt.“

Luke schaute den Dr. mit großen, fragenden Augen an, verstand nicht, was er ihm sagen wollte.

„Er hat Sie gerufen, als er aufwachte und wurde unruhig, als er andere Ärzte erblickte. Wir hatten ihn daraufhin nochmal ruhiggestellt.“

„Ich weiß nicht weiter“, erwiderte Luke schnell.

„Gehen Sie zu ihm, nehmen Sie sich einen Tag frei und denken über alles nach. Ganz in Ruhe.“

Luke brachte ein leises „OK“ heraus, verabschiedete sich und schlug den Weg in Richtung Alec ein. Den fand er schlafend in seinem Zimmer, so hatte er Zeit ihn lange anzustarren und sich in die Nähe des Bettes zu setzen.

Alec wurde relativ schnell wach und nahm Luke wahr.

„Ich habe versucht dich umzubringen“, waren die ersten Worte von Alec. Luke schaute auf den Fußboden.

„Ja, hast du“, antwortete er trocken.

„Das war das erste Mal, dass ich so in Panik war“, fuhr Luke schnell fort.

„Ich wollte das nicht, Luke!“

„Wen hast du gesehen?“

„Den Typen, den die Polizei dort hatte. Das war einer von denen, die immer sehr brutal waren. Der hat mich immer geschlagen. Er hat mich auf den Boden geworfen und hat mich getreten bevor er sich über mich hermachte. Ich hatte den einmal angegriffen, das war zu Anfang, da versuchte ich mich noch zu wehren. Daraufhin hatte er mich durch den Raum geschleudert. So wie du mich weggestoßen hast. Dann hat der mich gefesselt und weitergemacht. Er hat mir immer in den Rücken getreten bis ich reglos am Boden lag vor Schmerzen und aufgegeben habe mich zu wehren.“

Luke nickte „Danke, dass du es endlich erzählst. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich war in Panik, deshalb habe ich dich weggestoßen. In dem Moment habe ich nicht daran gedacht, dass der Tisch dort steht. Ich hätte dich auch beinahe umgebracht. Du bist so blöd gefallen.“

„Du warst doch da, um zu helfen.“

„Das hätte auch schiefgehen können, Alec. Versprich mir das nie wieder zu machen. Ich möchte keine Angst vor dir haben müssen. Und ich möchte auch keine Angst mehr um dich haben müssen. Ich schaffe das nicht, ich halte so was langsam nicht mehr durch. Ich bin ja nicht sicher, ob du mich eines Nachts nicht einfach erwürgst.“

Alec's Antwort lies auf sich warten, er begann leise zu weinen „Bist du sicher, dass du mich noch bei dir haben möchtest?“

Luke schaute zu ihm, schaute ihn an. Dann erhob er sich, küsste Alec auf die Stirn und verließ wortlos den Raum. Alec blieb hilf- und ratlos zurück. Er konnte diese Antwort nicht interpretieren. Hieß es ja? Oder war es ein Abschiedskuss? Er wusste, dass Luke heute nicht mehr zurückkommen würde, er spielte mit dem Gedanken ihn anzurufen, verwarf den aber ganz schnell wieder. Nun war er innerlich völlig verwirrt. Zur abendlichen Visite kam nur Dr. Rach zu ihm.

„Wie geht es Ihnen Herr Wiek?“

„Den Umständen entsprechend“, antwortete Alec etwas angespannt. Er sah noch immer völlig verheult aus und wusste, dass der Dr. das notiert hatte.

„Ich würde Sie gern sehr bald entlassen, dazu muss allerdings die Wunde in Ordnung sein.“ Der Arzt näherte sich ihm und schaute vorsichtig Alec's Hals an.

„Mir geht’s so weit gut.“

Der Arzt nickte und wies beim Rausgehen die Schwester an, ihm für die Nacht ein stärkeres Schlafmittel zu verabreichen.

Familienzuwachs

Luke war inzwischen zu Hause und schon klingelte sein Telefon. Überrascht nahm er ab.

„Hallo mein Sohn!“

„Mutter. Hallo!“ Luke atmete durch, stöhnte leicht. Das konnte er jetzt kaum gebrauchen.

„Na, wie geht es dir mein Junge?“

„Gut, gut!“

„Ach, das freut mich aber. Pass auf, weswegen ich dich anrufe. Wir wollen in der nächsten Woche nach Berlin kommen.“

Luke saß mit offen stehenden Mund in seinem Sessel „OK. Aber ich bin auch arbeiten.“

„Na, das ist doch kein Problem. Wir beschäftigen uns ja allein, wollen dich nur mal wiedersehen und ein wenig Urlaub in Berlin machen. Du hast doch dein Gästezimmer?“

Es ratterte in Lukes Kopf, wie sollte er Ihnen jetzt die Sache mit Alec verklickern?

„Gästezimmer, ääh. Nein, ich habe einen Mitbewohner, der nutzt das Zimmer zurzeit.“

„Ach so? Das hast du ja noch gar nicht erzählt. Warum machst du denn so was, du kannst deine Miete doch gut bezahlen oder?“

„Klar, um die Miete geht’s ja nicht. Aber das Zimmer war halt frei und das hat sich so ergeben.“

„Na ja wir könnten doch dann dein Schlafzimmer nutzen, wenn du ins Wohnzimmer gehst?“

„Ja klar, kein Problem. Ich freue mich“, log er rasch.

„Du hörst dich aber nicht so an?!“

„Ach ich bin nur müde.“ Er versuchte nicht genervt zu klingen.

„Achso. Ich rufe dich jedenfalls nochmal an, wann genau wir kommen. Machs dann gut!“

„Ja. Tschüss Mutter!“

Luke ließ sich in die Lehne sinken 'Das nun auch noch' flüsterte er vor sich her. Für den Rest des Abends ließ er sein Gefühlschaos völlig unbeachtet und versuchte krampfhaft zu Lernen. Am nächsten Tag schlief er bis Mittags durch und machte sich dann auf den Weg zu Alec. Noch bevor er das Zimmer betreten konnte, wurde er am Eingang von Dr. Rach abgefangen. Er bemerkte ihn erst gar nicht hinter sich.

„Na, was sagt die Gefühlswelt heute?“ Erschrocken drehte sich Luke um. „Wollen Sie ihn immer noch einliefern lassen?“

„Hallo. Ich will ihn mit nach Hause nehmen. Ich habe nachgedacht.“

„Gute Entscheidung. Morgen kann er nach Hause. Ich gehe davon aus, dass Sie sich ausreichend um die weitere Behandlung kümmern können?“

„Davon können sie ausgehen“, erwiderte Luke lächelnd.

„Wann können Sie ihn morgen holen?“

„Gegen Abend? Ich muss arbeiten und noch etwas vorbereiten.“

„Gut, dann mache ich die Papiere fertig.“ Er klopfte Luke auf die Schulter und ging weiter.

Alec war überrascht, als er Luke in der Tür stehen sah. Er freute sich, war aber angespannt, weil Luke noch immer schwieg.

„Ich habe nachgedacht“, sagte er kurz. Alec schaute zu ihm … wartend.

„Und bist du zu einem Ergebnis gekommen? Ich konnte deine gestrige Antwort nicht deuten.“

„Ja bin ich. Du kommst morgen mit mir nach Hause. Allerdings muss ich dich ins Gästezimmer verfrachten.“

Die Spannung fiel von Alec's Körper ab „Das hört sich gut an und warum muss ich ins Gästezimmer?“

„Meine Eltern kommen bald zu Besuch. Du weißt doch, dass ...“

Alec fiel ihm ins Wort „Ja, ich bin nur dein Mitbewohner. Ist in Ordnung, Luke.“

„Danke.“

 

Luke holte Alec pünktlich ab. Er setzte ihn vor der Haustür ab und meinte, er müsse nochmal schnell weg und fuhr weiter. Zurück kam er eine halbe Stunde später. Alec ging sofort in den Flur, als er die Tür ins Schloss fallen hörte. Luke hatte ein Handtuch im Arm und meinte nur „Das ist für dich, sei vorsichtig“, und übergab es ihm.

Alec stand ihm verwundert gegenüber und schaute dann, was sich in dem Handtuch versteckte und bewegte. Ihn schaute eine kleine Katze an.

„Eine Katze?“, fragte er erstaunt. „Du magst doch gar keine Katzen?!“

„Nein, die ist auch für dich. Du musst dich um sie kümmern, sie hat keine Mutter mehr und muss mit der Flasche aufgezogen werden.“

„Ja schon. Aber es ist dir bewusst, dass sie in deiner Wohnung leben wird?“

„Ist es. Ich möchte, dass du dich gut darum kümmerst. Ich habe sie vom Tierschutz bekommen und nun bist du verantwortlich. Sie braucht alle paar Stunden ihre Milch.“

„Emm okay. Gern. Ich liebe Katzen.“

„Ich weiß, das hast du mal erzählt. Entspanne dich und kümmere dich dabei um die Katze. Einen Namen braucht sie auch noch. Und du bekommst Zeit dir klar zu werden, wie es weitergeht. Ich habe hier noch einiges zum Lesen, da steht drin, wie du sie wann, was füttern musst. Kriegst du das hin?“

Alec nickte verwirrt Luke anschauend. Damit hatte er nicht gerechnet. Luke hasste Haustiere und das wusste er. Nur für ihn arrangierte er sich mit einer Katze?

„Alles ok?“, fragte Luke, der Alec noch gegenüber stand und den Schriftkram hinhielt.

„Ja. Danke!“ Mehr brachte er in seiner Verwunderung nicht hinaus und nahm ihm das Papier aus der Hand, vorsichtig das Handtuch auf dem Arm balancierend.

„Ich hab noch so allerhand Zeugs eingekauft, was du wohl dafür brauchst. Musst du mal die Tüten durchschauen. Ich verabschiede mich für heute, ich bin müde.

 

Alec's Arbeitskollegen ließen kaum einen Tag aus ohne über irgendetwas zu lästern. Nach Alec's Abgang und dem Krankenschein war er eine Woche später wieder das Thema des Tages.

„Wo ist eigentlich Alec?“, fragte Peter ganz erstaunt.

„Na krank. Gestern kam doch ein Krankenschein, von nem Krankenhaus aus Berlin“, erwiderte Brigitte trocken.

„Man hättet ihr gedacht, dass der schwul ist?“, warf Annegret ein.

Der Amtsleiter meinte nur läppisch „Na ja, bisschen weich war er ja schon immer. Da haben seine Eltern wohl was falsch gemacht. Die hätten ihm wohl als Kind mehr Spielzeugautos geben sollen.“ Ein allgemeines Gelächter brach aus bevor kurz Stille einkehrte. Dann begann Brigitte „Na ja, da tun einem ja die Eltern leid, wenn sich das hier rumspricht. Ich kenne ja Alec noch als Kind, der war eigentlich immer ganz normal.“

„Na ja, die Tatsache, dass er Männer mag, macht ihm ja nicht zu einem schlechteren Menschen, aber der Gedanke daran ist ja widerlich. Wir müssen ihn nur normal behandeln, wenn er wieder kommt.“

„Er kommt nicht wieder“, warf der Amtsleiter nun trocken ein. Die anderen schauten verwundert bis er fortfuhr „Er hat gekündigt. Ich hab das Schreiben heute vom Bürgermeister vorgelegt bekommen.“

„Hat er Gründe genannt?“, fragte Annegret entsetzt.

„Nein. Ein ganz kurzes Schreiben und er bittet um postalische Abwicklung. Scheint also als würde er hier nicht wieder aufkreuzen wollen.“

Die anderen schwiegen bis Brigitte noch kurz bemerkte „Naja, er war ja ein netter Junge.“

Alec's Kollegen wussten warum er gekündigt hatte, es traute sich nur keiner offiziell auszusprechen. Dana, die mit am Tisch saß, schwieg die ganze Zeit, schluckte und schien fast im Boden zu versinken. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, dass sich langsam in ihr Gehirn fraß. Sie wusste, dass nur sie Schuld daran war. Ohne ihre Aussage wäre da vielleicht keiner so schnell drauf gekommen. Die Kollegen sagten nichts, schwiegen weiter bis das klingelnde Telefon die Stille brach ... auf ein anderes Thema lenkten. Sie versuchten Alec noch telefonisch zu erreichen. Er ging nicht ans Telefon.

 

Alec kümmerte sich ambitioniert um seine Katze, die er Emily getauft hatte. Luke arbeitete einige Nächte durch und schlief meistens tagsüber. Alec ließ ihn in Ruhe, wusste, dass er wenig Zeit hatte und müde war. Luke hatte jedoch am Dienstag Abend das Gespräch mit Alec gesucht. Der verbrachte gerade die Zeit damit im Wohnzimmer zu sitzen und dem kleinen Wollknäuel das Fläschchen zu geben.

„Wie süß euch hier so zu sehen“, kam Luke hereingeschlendert. Alec grinste ihn an.

„Kommst du klar, geht’s der Katze gut?“

„Ja Emily geht’s gut.“

„Und dir?“ Inzwischen war Luke an der Couch angekommen und setzte sich neben seinen Freund.

„Bisher gut, das verschafft mir Ablenkung. Wie bist du auf die Idee mit der Katze gekommen?“

„Ich weiß nicht. Ich hab das in der Zeitung gelesen und dachte, naja, warum nicht. Du magst ja Tiere. Hast du schon ein wenig nachgedacht? Sind deine Unterlagen wegen der Kündigung schon gekommen?“

„Die haben versucht anzurufen“

„Und?“

„Ich bin nicht ran gegangen.“

„Wovor hast du Angst? Die können dir doch nichts. Du bist jetzt hier und bleibst hier.“

„Keine Ahnung, die sollen mir das einfach schicken und gut ist. Die hatten vom Beratungsraum aus angerufen, da weiß man nie wer dran ist.“ Alec streichelte Emily und konzentrierte sich voll auf sie. Luke war inzwischen nah an ihn ran gerutscht, hatte seinen Arm um Alec's Schulter gelegt.

Alec wurde locker, ließ sich in Lukes Umarmung fallen und schloss die Augen. Emily schnurrte.

„Du, hast du mal Zeit für mich?“, fragte er schüchtern. Mit einem 'mmh' bejahte Luke und legte seinen Kopf an Alec's.

„Meine Eltern kommen morgen, dann haben wir eine Woche keinen so nahen Kontakt.“

„Morgen schon? Den Kontakt hatten wir so lange nicht.“

„Ich hab jetzt wieder etwas mehr Ruhe, muss nicht mehr so viel Lernen. Mehr Zeit für dich.“

„Ja bis morgen. Wie lief deine Prüfung?“

„Sehr gut. Sei nicht so schnippisch, meine Eltern bleiben ja nicht lange.“

„Du bist ein bisschen aufgeregt, oder?“

„Wieso?“

„Weil du den Eindruck vermittelst.“

„Ja, du hast mich durchschaut.“

„Keine Angst. Ich benehme mich wie ein Mitbewohner. Deine Eltern kriegen nichts mit.“

„Du bist ein Schatz.“

„Muss ich noch irgendwas wissen?“

„Nein, du bist ja nur mein Mitbewohner. So nun setz mal die Katze beiseite und lass mich mal deinen Hals anschauen.“

„Du kannst deinen Beruf nicht so einfach ablegen, oder?“

Luke lachte „Nein, zumal ich von Dr. Rach die Anweisung bekommen habe, mich um den Rest zu kümmern.“

Alec streckte seinen Kopf ein wenig hoch. Luke inspizierte die Wunde. „Sieht gut aus. Die Fäden können raus. Hast du noch Schmerzen?“

„Du weißt, welche Medikamente ich nehme, da erübrigt sich die Frage.“

„Du hast ja recht. Komm mit in die Küche, wir ziehen die Fäden raus.“

Alec legte behutsam das Kätzchen in den nahen Weidenkorb und folgte Luke willig. In der Küche schnitt Luke vorsichtig die ersten Teile des Fadens auf.

„Machst du das gern?“, fragte Alec.

„Was denn?“, entgegnete Luke verwirrt.

„Na mich verarzten.“

Luke grinste „Ich hab dich lieber ganz gesund.“

„So?“, witzelte Alec und drehte seinen Blick Richtung Luke.

„Nun halt schon still“, mahnte der ihn. Alec hörte und lies die Prozedur brav über sich ergehen. Zuckte nicht einmal beim Herausziehen der Fäden aus der Wunde.

„So, alles fertig. Mir wäre es übrigens recht angenehm, wenn du einen Pullover mit hohen Kragen trägst, wenn meine Eltern hier sind. Nicht, dass dumme Fragen kommen“, meinte Luke kurze Zeit später und strich mit einem Finger sanft nahe an der nun fadenlosen Wunde vorbei.

„Wie sie befehlen.“ Alec wandte seinen Blick wieder in Lukes Richtung, suchte den Augenkontakt. Luke hingegen starrte noch etwas verträumt auf die Wunde. Er bemerkte Alec's suchenden Blick nicht und stand auf, um die Fadenreste zu entsorgen.

„Renn mir nicht weg“, meine Alec und erhob sich von seinem Hocker.

„Wieso?“, fragte Luke, der sich dann wieder umdrehte. Alec ging wortlos auf ihn zu, umarmte ihn und begann Luke zu liebkosen. Der war völlig erstaunt über die plötzliche Zuneigung und genoss es. Diese Momente waren zu selten um sie zu unterbrechen. In diesem Augenblick klingelte Lukes Handy. Luke stöhnte kurz, ließ es klingeln und beschäftigte sich weiter mit Alec. Die beiden kämpften sich Richtung Schlafzimmer vor. Dieses Mal war Luke derjenige, der die Intimitäten stoppte und es beim gemeinsamen Einschlafen beließ. Er wusste, dass Alec nicht so weit war, wollte ihn nicht unter Druck setzen und beendete die Situation bevor es zu spät gewesen wäre. Er bemerkte, dass Alec ihm das dankte.

Als er in seinem Arm eingeschlafen war, angelte Luke sein Handy um zu schauen wer gestört hatte. Es war die Klinik gewesen. Diese Nacht rief er nicht mehr zurück, er legte das Telefon auf den Nachttisch und schlief ebenfalls ein.

Konflikte

Morgens bereitete er schnell die Zimmer vor, er wusste dass seine Eltern relativ früh kommen würden, das machten sie immer so. Alec ließ er so lange wie möglich schlafen, weckte ihn dann aber, um das Bett neu zu beziehen. Alec stand daneben und schaute noch etwas verschlafen ins Zimmer.

„Wenn deine Eltern wüssten, dass wir da drinnen zusammen schlafen, würden sie sich nie hineinlegen“, meinte Alec trocken und ging in Richtung Badezimmer. Luke hielt kurz inne, grinste bei dem Gedanken und amüsierte sich über diese trockene Bemerkung, die er so nicht von seinem Freund erwartet hätte.

„Räumst du gleich dein Chaos im Badezimmer auf?“, rief er Alec nur schnell hinterher.

„Ja Doc. Wird gemacht!“

Wie Luke vermutet hatte rollten seine Eltern noch am späten Vormittag an und begrüßten überschwänglich ihren Sohn. Luke stellte ihnen Alec vor, der sich im Hintergrund aufgehalten hatte, und dann gleich in das Gästezimmer verschwand. Es folge ein kurzer Smalltalk bevor Luke mit seinen Eltern die Wohnung verließ.

Die Tage zogen sich so dahin, Lukes Eltern hatten sich einiges in der Stadt vorgenommen. Nach drei Tagen schaffte es Luke endlich die Wohnung für sich und Alec zu haben. Der hatte sich so lange möglichst unauffällig im Gästezimmer verschanzt. Luke begrüßte ihn mit einem Kuss im Flur.

„Das heißt dann wohl sie sind weg?“, fragte Alec.

„Ja sind sie bis heute Abend. Allerdings muss ich nachher zur Klinik und werde nicht da sein, wenn sie wiederkommen. Kommst du klar?“

„Ja ich verschanze mich in meinem Zimmer.“

„Guter Junge. Lass dich nicht von meinem Vater in ein Gespräch verwickeln.“

„Was hast du ihm denn erzählt?“

„Nur, dass du Student bist, weiter nichts. Dann habe ich immer auf ein anderes Thema gelenkt.“

„Wann bist du denn wieder zurück?“

„Morgen früh gegen sechs.“

 

Alec schaffte es den ganzen Abend erfolgreich Lukes Eltern aus dem Weg zu gehen, ohne dass sie ihn großartig bemerkten. Luke war gegen sechs zurück und legte sich für zwei Stunden auf die Couch, bevor er ein gemeinsames Frühstück vorbereitete. Für sich und seine Eltern. Diese waren guter Laune und meinten, dass doch sein Mitbewohner ruhig daran teilhaben könnte. Alec stimmte zu, setzte sich an den freien Platz seinem Freund gegenüber. Er merkte dass Luke plötzlich etwas angespannt war und antwortete artig auf Fragen von Lukes Eltern.

„Sie studieren? Das ist aber schön. Welche Richtung denn?“, fragte die Mutter beherzt.

„Emm. Ja! Ich studiere Kunst und Design“, dachte er sich schnell aus. Ganz gelogen wars ja nicht, schließlich hatte er das Studium damals angefangen. Luke schaute etwas verwundert.

„Na das ist ja auch etwas Nettes“, warf Lukes Vater ein. Ihn im Gedanken schon in die passende Schublade steckend … brotlose Künste.

„Haben Sie denn eine Freundin? Wissen Sie, wir warten bei Luke ja schon so lange darauf, dass er uns endlich mal ein nettes Mädchen vorstellt. Aber irgendwie scheint das nichts zu werden.“

Lukes Blick erstarrte, als seine Muttter Alec mit diesem Thema zutextete, schließlich verschluckte er sich kurz und ermahnte seine Mutter dann, das Thema doch bitte zu lassen. Alec blieb der Bissen im Hals stecken.

Einige neutrale Fragen wechselten über den Tisch bis sich Alec verabschiedete. Er müsse sich um die Katze kümmern, meinte er und verließ den Tisch. Lukes Mutter war ganz erstaunt, wie ihr Sohn sich einen Mitbewohner mit Haustier ins Haus holen konnte.

Nach dem Frühstück machten sie einen gemeinsamen Spaziergang durch den Berliner Tiergarten.

Lukes Vater ergriff die Initiative:

„Mein Sohn, was ich dich fragen wollte. Ich habe zufällig die Medikamente in deinem Schrank gesehen.“

„Was hast du in meinen Schränken zu suchen“, fauchte Luke kurz zurück, sichtlich aufgeregt.

„Eigentlich nichts, wir haben gestern Abend nur nach einer Schüssel gesucht und du bewahrst die Medikamente ja auch im Küchenschrank auf.“

„Ja und was ist damit?“

„Da sind starke Psychopharmaka und Beruhigungsmittel bei.“

„So genau hast du die aus Versehen entdeckten Sachen angeschaut? Ich weiß was dort steht.“ Luke wurde langsam bissig.

„Nein. Aber das fiel mir so ins Auge. Falls es dir nicht gut geht, sag uns das doch. Du hast ja sogar Injektionen in deinem Kühlschrank. Und das sind alles keine Mittel, die man mal eben zwischendurch nehmen sollte, das sind ja die etwas stärkeren Varianten. Die nicht rezeptfreien ...“

„Mir geht’s gut Vater.“

„Luke.“

„Mir geht es wirklich gut. Ich bin müde und schläfrig genug von meiner Arbeit, da brauche ich keine Medikamente. Die gehören meinem Mitbewohner.“

Der Vater schaute schockiert zurück. „Ist er psychisch so krank, dass er das alles nehmen muss? Er scheint ja ein ganz Netter zu sein. Aber das würde erklären, warum er solchen Quatsch studiert.“

„Das ist er auch. Ja er hat psychisch ein bisschen zu tun und einen kaputten Rücken. Er hatte mal einen Unfall.“

„Wie kannst du dir denn so einen ins Haus holen, Luke?“, fragte die Mutter entrüstet.

„Wieso so einen? Er macht doch gar nichts, er wohnt nur dort. Ich bin eh selten zu Hause. Und bis eben dachtet ihr noch, ich würde die Medikamente nehmen. Wäre ich dann auch so ein Verrückter?“ Luke wirkte entrüstet.

„Du bist doch aber auf einen Mitbewohner nicht angewiesen.“

„Nein bin ich nicht, aber meine Wohnung ist groß genug. Vielleicht möchte ich das einfach so.“

„Ich bin etwas beunruhigt Luke, das sind sehr starke Medikamente und wenn er die wirklich alle braucht. Und was hat er denn für eine Narbe am Hals, die sieht noch recht neu aus. Ist er suizidgefährdet?“

„Vater hör schon auf, lassen wir das Thema, ja?“ Sein Vater war ein zu scharfer Beobachter, er hatte die Wunde trotz der Pullis doch entdeckt.

Die drei liefen schweigend weiter, bis die Mutter die Ruhe wieder auf Alltagsgespräche lenkte.

Luke fühlte sich langsam von der Anwesenheit seiner Eltern gestresst. Hatte auch keine Lust auf die medizinischen Gespräche zwischen ihnen. Auch störte ihn das Rumgehacke auf Alec. Am Liebsten würde er sich ihnen offenbaren. Aber was würde dann passieren? Eigentlich könnte es ihm ja egal sein. Er hatte sein eigenes Leben, er war nicht auf sie angewiesen. Einen Tag musste er noch durchhalten, dann wären sie ja wieder weg. So sehr er seine Familie auch liebte, so sehr konnten sie ihm auch den letzten Nerv rauben.

Am Abend waren alle zusammen in der Wohnung. Alec schlich gerade über den Flur, als ihm Luke begegnete.

„Gehts dir gut?“, fragte Luke, seine Hand auf Alec's Schulter legend.

„Alles in Ordnung“, antwortete der und schaute ihn verträumt an, bevor er in sein Zimmer ging. Lukes Vater hatte die Szene beobachtet, dachte sich aber nichts weiter. Er war nur erstaunt über diese Vertrautheit, die zwischen beiden zu herrschen schien.

Lukes Eltern wollten nach dem Frühstück abreisen. Luke war den ganzen Morgen schon angespannt, was von Alec nicht unbemerkt blieb. Er bat Alec mit allen gemeinsam zu frühstücken.

Lukes angespannte Stimmung verbreitete sich und so erfolgte das Frühstück sehr gesprächsarm. Dann ging es ans Verabschieden.

„Schön, dass ihr hier wart“, meinte Luke und gab seinem Vater die Hand, umarmte seine Mutter. „Bevor ihr geht muss ich euch aber noch eins sagen.“

Alec stand etwas im Hintergrund, bemerkte die Absicht. „Luke du musst nicht … lass gut sein.“

„Lass mich“, erwiderte Luke.

„Was hast du uns denn zu sagen mein Sohn?“, drängte nun der Vater.

Luke fasste Mut „Alec ist nicht mein Mitbewohner, er ist mein Lebensgefährte.“ Seine Eltern starrten ihn an, als würde ein Fremder vor ihnen stehen, Alec hatte sich inzwischen auf Lukes Höhe begeben, fasste ihm leicht auf den Rücken, um Luke die Anspannung zu nehmen. Der entspannte sich ganz leicht, bevor sein Vater begann ihn wütend anzufahren.

„Das ist doch jetzt ein Witz? So habe ich dich nicht erzogen. Dazu haben wir dich nicht gemacht! So möchte Gott das nicht! So was ist doch widerlich, Luke. Weißt du was du uns damit antust? Das ... Nein ... Also. Was denkst du dir?“

Die Mutter stand nur verwirrt daneben, musterte Alec von oben bis unten. Lukes Vater drehte sich um, nahm seine Frau und kehrte Luke den Rücken. Einmal drehte er sich noch kurz um, schrie er ihn wütend an „Komm zur Besinnung. So bist du nicht mehr unser Sohn! Und dann noch mit so einem Psychopath!“ und ging, gefolgt von seiner Frau, die kein Wort mehr sprach.

Eine neue Spur

Luke schloss die Tür, verweilte in Richtung Tür blickend, den Kopf gesenkt. Alec stellte sich hinter ihn, umarmte ihn „Alles gut Großer? Ich bin stolz auf dich, du warst mutig. Du hättest das aber nicht tun müssen.“

Luke ergriff Alec's ihn umarmende Arme und zog ihn noch fester an sich. Er genoss die Wärme zwischen den beiden, bevor er überhaupt antworten konnte.

„Ich wollte aber. Ich hab das Lügen nicht mehr ausgehalten. Früher oder später hätten sie es doch eh mitbekommen.“

„Also offenbarst du lieber, dass ich Psychopath dein Lebensgefährte bin?“

„Ja. Das ist es mir wert. Nun hassen sie mich.“

„Nein, das tun sie nicht. Sie verstehen dich bloß nicht. Vielleicht kommen sie nochmal zur Besinnung.“

„Egal, wir haben ja uns“, meinte Luke und lehnte seine Stirn gegen die Wohnungstür. Alec merkte wie schwer es ihm fällt. Wie sehr die Reaktion seiner Eltern auf ihm lastet.

Luke drehte sich um und umarmte seinen Alec. „Du darfst mich aber nicht verlassen“, flüsterte er ihm ins Ohr.

„Nein, das werde ich nicht“, sagte Alec, der kurz aufwimmerte, als Luke ihn stärker an sich drückte.

„Was hast du?“

„Nur meine Tabletten noch nicht genommen.“

„Dann los, sonst wird’s schlimmer.“

„Das weiß ich.“

Luke löste die Umarmung und schob Alec leicht Richtung Küche. Er stellte sich seine Medikamente zusammen, Luke stand im Hintergrund.

„Sag mal, wie sind denn deine Eltern drauf gekommen, dass ich ein Psychopath bin? Habe ich mich so benommen?“

„Nein, hast du nicht. Mein Vater hat die Medikamente gefunden und gleich gedeutet. Er dachte erst ich würde die nehmen.“

„Oh. Ich hätte sie wegräumen sollen“, schämte sich Alec.

„Nein, das war doch okay und die Injektionen mussten eh im Kühlschrank bleiben. So habe ich mich wenigstens getraut ihnen die Wahrheit zu sagen. Es tut zwar weh, also die Reaktion, aber irgendwie bin ich auch erleichtert. Wie hast du das denn deinen Eltern erzählt?“

„Ich habe sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Als ich nach Berlin zog, hatte ich hier ja Narrenfreiheit. Ich hab meinen damaligen Freund dann irgendwann einfach mit nach Hause gebracht. Und den Rest hatte ich dir ja schon erzählt. Mutter denkt ja immer noch, dass es eine Phase ist und wartet darauf, dass sie vorbei geht.“

„Na ja, wenigstens hat sie dich wieder weggelassen.“

„Ja, weil sie weiß, dass ich bei dir bin. Allein hätte sie mich nicht gehen lassen. Und ich habe mir wirklich überlegt wieder zu studieren.“

„Das ist gut. In welche Richtung?“

„Na meinen alten Studiengang weiter.“

„Das war also nicht nur ausgedacht neulich?“

„Nicht ganz.“

„Das hört sich gut an. Es freut mich, dass du etwas gefunden hast, was dir Spaß machen könnte.“

„Ja das denke ich.“ Alec verweilte kurz, bevor er weiter sprach. „Luke, ich habe immer so einen Schmerz hier an den Rippen. Ich merke das natürlich nur morgens, wenn ich meine Medikamente nicht genommen habe.“

„Kein Wunder bei den Schmerztabletten. Seit wann ist das? Darf ich?“, fragte Luke mit seinen Händen in Richtung zu Alec's Oberkörper gewandt plötzlich wieder völlig aufmerksam.

„Seit Montag.“

„Man warum sagst du nie was?“ Luke wurde ärgerlich und zog Alec den Pullover aus „Jedes mal das Gleiche.“

„Deine Eltern waren da, ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen und du hattest doch keine Zeit. Das ist bestimmt auch gar nicht so schlimm.“

„Dafür ist immer Zeit. Gut, sag mir einfach wo es weh tut. Ich seh schon ...“ Luke konnte die Stelle schnell orten, da sich auch eine leichte Schwellung auf Alec's Oberkörper gebildet hatte. Er drückte die Stelle leicht ab, Alec schrie auf, atmete durch. Luke ließ sofort von ihm ab.

„Das ist die Stelle, wo deine Rippen gebrochen waren, oder?“

„Ja. Aber das war doch wieder in Ordnung.“

„Schon, aber wenn der Knochen gesplittert war und nicht alle Teile gefunden wurden, kann sich was entzündet haben. Ums mal ganz leger zu erklären. Ich hab das Röntgenbild damals leider nicht gesehen. Aber ich denke, wir sollten ein Neues machen. Das heißt, du kommst morgen mit zum Krankenhaus, wenn es nicht besser wird.“

„Man da war ich doch erst. Ich will nicht.“

„Da bin ich jeden Tag“, scherzte Luke „Nutzt ja nichts. Sollten da wirklich noch Splitter sein, müssen die raus.“

„Mach mir nicht jetzt schon Angst, sonst komme ich nicht mit.“

„Ich kriege dich da schon hin“, lachte Luke. Alec grinste zurück und nahm seine Medikamente.

 

Am nächsten Morgen machten sich beide auf in Richtung Krankenhaus, Luke musste arbeiten und Alec nahm er zum Röntgen mit. Der folgte auch brav, wusste doch, dass Luke ernst war, wenn es um die Gesundheit ging und auch sehr launisch werden konnte.

Er stellte ihn seinem Kollegen vor. Nach dem Röntgen und einer Stunde auf dem Flur wartend, kam Luke irgendwann auf ihn zu.

„Geröntgt hat er schon?“, fragte er Alec kurz.

„Vor einer Stunde ja.“

„Gut. Komm mit.“

Er führte ihn zu seinem Kollegen, ließ ihn erst im Hintergrund stehen.

„Ich hab's geahnt“, murmelte er beim ersten Blick. „Komm her Alec.“

„Schau mal. Die beiden Rippenfrakturen sind an sich gut verheilt, das siehst du hier“, und er zeigte mit einem Kugelschreiber auf dem Bild entlang „und wenn du mal hier und hier schaust, sind da Fremdkörper, wahrscheinlich Splitter die sich damals gelöst hatten und nicht zu sehen waren.“

„Und die müssen raus?“, bemerkte Alec.

„Ganz genau.“

„Das heißt?“

„Da müssen wir operieren.“

„Ich will das nicht.“

„Ich kann dir Antibiotika geben, aber die werden nicht anschlagen. So langsam kenne ich deinen Körper besser als meinen Eigenen und weiß, was dir hilft und was nicht. Wir können sie auch drinnen lassen, dann entzündet sich das ganz prima, könnte eitern und irgendwann hast du eine Blutvergiftung und krepierst jämmerlich. Wenn du das willst, bitte. Dein Wille geschehe.“ Luke führte Alec wieder aus den Raum, diskutierte vor der Tür mit ihm weiter. Er ließ seiner Ironie freien Lauf, war total genervt von der Zickerei.

„Wo ist dein Problem?“

„Ich will das nicht schon wieder.“

„Wir mussten dich bisher schon wenigstens um die zehn mal operieren, von den diversen Not Ops mal abgesehen.“ Luke wurde langsam energischer, sein Blick lastete auf Alec, der ihm den Rücken zugedreht hatte und nichts mehr sagte.

„Fahr nach Hause Alec, ich mache einen Termin für die OP.“ Luke ließ ihn dort stehen und ging den Flur entlang zu einer anderen Station.

 

Luke war müde nach seiner Schicht. Alec saß im Wohnzimmer mit der Katze auf dem Arm und streichelte sie sanft, er schenkte Luke, der gerade eintrat, keinen Blick. Luke atmete durch, setzte sich zu ihm.

„Morgen halb elf“, sagte er während er sich setzte.

„Ich gehe da nicht hin. Ich will das nicht“, erwiderte Alec abweisend.

„Was willst du dann? Weiter Schmerzen haben? Warten bis sich alles noch mehr entzündet bis zur Sepsis oder was?“

„Ich will das nicht schon wieder, ich bin ständig im Krankenhaus und ich muss mich um Emily kümmern.“

„Um die Katze kann auch ich mich kümmern. Ich verstehe dich nicht, was hast du plötzlich für ein Problem?“

„Du? Du willst dich um eine Katze kümmern. Du hast sie ja noch nicht einmal angefasst.“

„Du kannst mir alles zeigen, ich mach das schon. Weiter zum Thema. Wo ist das Problem?“ Luke ließ nicht vom Thema ab, bohrte weiter.

„Angst.“

„Wovor?“

„Der Narkose und allgemein.“ Alec schaute nicht zu Luke, beschäftigte sich umso mehr mit seiner kleinen Katze.

„Das muss ich nicht verstehen oder? Bisher ist nichts passiert und das ist ein Routineeingriff“, erwiderte Luke genervt und wunderte sich über die Zickigkeit, die Alec an den Tag legte.

„Operierst du?“, fragte Alec dann schüchtern.

„Es ist bisher niemand eingeteilt. Der Plan wird morgen früh gemacht.“

„Gut. Wenn du es machst komme ich, ansonsten nicht.“

„Was soll das jetzt? Wenn du in Narkose liegst, bekommst du eh nicht mit, wer das macht. Und ich werde es kaum besser oder anders machen als ein Kollege. Seit wann müssen wir über so was diskutieren?“

Alec schaute mit einem misstrauischen Blick zu Luke. „Tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich da jetzt Angst vor habe. Versprich mir das zu machen, dann fühle ich mich besser.“

„Ich mache das nicht gern bei dir.“

„Wieso?“

„Weil da Gefühle im Spiel sind! Das ist nicht so einfach.“

„Und sonst operierst du völlig gefühlsfern?“, scherzte Alec vorsichtig.

„Nein. Aber es ist mein Job und was völlig normales. Anders halt, wenn man denjenigen, der unterm Messer liegt, etwas inniger kennt. Das war schwer damals, als du als Notfall rein kamst. Ich hatte dich wieder erkannt. Und war irgendwie verwirrt, mein Oberarzt hat mich daraufhin rausgeschickt.“

„Das hast du nie erzählt.“ Alec schaute ihn aufmerksam an.

„Na ja, so was sollte auch nicht passieren. Normalerweise muss ich klar im Kopf bleiben, bei dir ging das nicht. Ich hatte mich ja vorher schon in dich verguckt“, offenbarte sich Luke, der wieder gelassener wurde. „Aber ich hatte dich nicht wiedergefunden. Du tauchtest ja bei der nächsten Verabredung nicht mehr auf. Ich war auch bei dir zu Hause, also bei der Wohnung, die du damals hattest.“

„Na ja, danach bin ich in diese Sache hineingeraten. Du konntest mich ja nicht finden.“

„Nein. Aber vielleicht hätte ich schneller sein sollen, dass dir so was gar nicht erst passiert.“

„Das war meine Schuld. Wer nicht hören will, muss fühlen.“

„Hör auf so was zu sagen. Du kannst nichts dafür, dass dir das passiert ist.“

„Doch, wäre ich da nicht hin gegangen, hätten die mich nicht gekriegt. Ich war doch selbst so blöd. Habe nur das schnelle Geld gesehen.“

„Du musst dir selbst nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Solche Sachen sollte niemand einem anderen antun.“

Luke legte seinen Arm um Alec's Schultern. Alec lehnte sich an ihn.

„Du kannst in meinen Zeichenblock schauen, wenn du magst. Oder hast du das schon getan?

„Danke. Nein, ich wühle nicht in deinen Sachen, wenn du das nicht möchtest. Wo ist er?“

„In der Schreibtischschublade. Ich muss eh die Katze weg bringen, ich bringe ihn mit.“

Gesagt, getan. Alec reichte den Block zitternd zu Luke. Der auch gleich auf die Zeichnungen schaute. Alec versuchte beim Durchblättern Erklärungen zu leisten. Er blieb dabei unwahrscheinlich ruhig.

„Das ist der Typ, den die Polizei da hatte, das habe ich wenige Tage vorher gezeichnet. Der blieb mir zu sehr im Gedächtnis. Und das ist dieses Verlies von innen … manchmal habe ich ja etwas Tageslicht sehen können.“

„Und das hier? Was ist das für eine Straße?“

„Ich weiß nicht. Ich habe das einfach gezeichnet, keine Ahnung.“

„Das muss doch einen Grund haben. Wohnt der Typ da? Ist es das Haus?!“

„Luke, ich weiß es nicht. Ich habe einfach gezeichnet.“

„Komm mit. Lass uns einfach nach Marzahn fahren, vielleicht finden wir das.“

„Wie willst du das anstellen?“

„Du hast ja ein paar markante Punkte gezeichnet, komm schon.“

Die beiden machten sich auf den Weg. Alec wurde noch auf dem Weg zum Auto unsicher, Luke konnte ihn beruhigen. Nach etwa einer Stunde, die sie durch Marzahn geirrt waren, gab Luke die Suche auf. Alec hingegen bog plötzlich ab und lief zielstrebig in eine der Seitenstraßen bis er stehen blieb. Luke folgte lautlos. Dann erkannte er einige Punkte, die auch auf der Zeichnung waren.

„Hier sind wir wohl richtig“, bemerkte er.

„Sei ruhig“, entgegnete Alec und versuchte sich weiter zu konzentrieren. Dann ging er auf einen Hauseingang zu und las die Klingelschilder.

„Irgendeiner hier, ich weiß nicht wer. Auf der linken Seite des Flures. Lass uns bitte gehen. Bestimmt wohnt der gar nicht mehr hier.“

Luke stimmte zu und kehrte mit Alec zurück. Er rief am Abend noch die Polizei an, um ihnen die Neuigkeit zu berichten. Die Nacht mit Alec wurde ruhig, er zeigte Luke noch alles nötige,um die Katze zu versorgen. Am nächsten Morgen standen sie gemeinsam auf.

„Und, wie ist deine Meinung heute?“, fragte Luke noch im Bett liegend.

„Du meinst die OP?“

„Ja, die meine ich.“

„Machst du es?“

„Ja. Ich habe gestern Abend noch im Krankenhaus angerufen und mich eintragen lassen. Wenn es dich beruhigt.“

„Ja, tut es. Dann ist alles ok.“

„Gut, dann wäre das geklärt“, seufzte Luke erleichtert.

 

Kurz bevor Alec vom Anästhesisten die endgültige Narkose bekam, warf er Luke noch einen Blick zu.

„Alles in Ordnung, Alec?“, fragte der noch kurz, woraufhin ihn die Schwestern anstarrten. Alec nickte schon leicht benommen, bevor er endgültig weg war.

Luke machte sich konzentriert an seine Arbeit unter strenger Beobachtung seines Oberarztes. Der wusste ja um das Verhältnis zwischen den beiden und hielt diese Operation demzufolge für keine gute Idee.

Es lief alles glatt, der Anästhesist hatte bereits Erfahrung damit, Alec in Narkose zu legen, das hatte er bei den anderen OP's schon gemacht. Nachdem beim ersten Mal fast alles schiefgegangen wäre und seine Allergien bekannt wurden, fand er den richtigen Weg.

Dr. Milikan hatte Luke nicht aus den Augen gelassen und suchte noch ein kurzes Gespräch, als die beiden allein waren.

„Schon komisch seinen Partner unterm Messer zu haben, oder?“

„Na ja es war ja nicht das erste Mal.“

„Aber das erste Mal, nachdem du so lange mit ihm gemeinsam lebst. Das war schon anders, oder?“

„Ja das war es. Ich war etwas angespannt.“

„Das habe ich bemerkt. Warum wolltest du diese OP unbedingt durchführen?“

„Das wollte ich gar nicht. Aber Alec hatte Angst und hätte sich sonst geweigert.“

„Du weißt doch, dass er in ein paar Tagen aufgrund der Schmerzen eh weich geworden wäre. Spätestens dann wäre sein Fieber so hoch gewesen, dass er bald ein Notfall geworden wäre.“

„Das weiß ich, aber ich wollte es nicht so weit kommen lassen. Er musste schon genug durchmachen.“

Der Dr. lächelte ihn an, klopfte ihm auf die Schulter und meinte „Gut gemacht, trotz der Aufregung. Geh zu ihm, ich rufe dich, wenn ich dich brauche“, und verließ den Raum. Luke lächelte in sich hinein, machte schnell alle Nachbereitungen und ging dann zu Alec.

Als er den Aufwachraum betrat, war Alec gerade im Begriff wachzuwerden. Alec zuckte und versuchte leicht aufzustehen, so dass Luke ihn gleich seine Hand auf die Brust legte und ihn runter drückte: „Na, mein Junge. Bleib liegen.“

„Wo bin ich?“, krächzte Alec kaum hörbar und noch völlig benommen.

„Im Krankenhaus, es ist alles ok. Bleib ruhig liegen“, beruhigte er ihn sofort.

„Luke? Mein Hals tut so weh.“

„Ja, ich bins. Die Halsschmerzen sind von der Intubation, keine Angst geht bald wieder vorbei, das ist normal. Solltest du schon kennen.“ Luke legte ihm kurz seine warme Hand auf die Stirn. Alec hielt still, schloss erneut die Augen und atmete tiefer durch.

„Alles gut Kleiner“, flüsterte Luke ihm zu. Immer darauf bedacht, dass keiner es groß mit bekam.

„Die rote Notarztjacke steht dir besser als die OP-Klamotten“, bemerkte Alec völlig schlaftrunken und versuchte zu lächeln.

Luke überlegte kurz, wann Alec ihn in der Jacke gesehen hatte, erinnerte sich aber schnell an die Situation damals, als sie Raphael aus dem Verlies holten und lächelte. „Auf was du so achtest.“

Schon stand Dr. Milikan in der Tür und zitierte Luke zu sich, es gab zu tun.

„Da kommen gleich drei Schwerverletzte rein, wir brauchen dich. Alles klar mit ihm?“

„Ja noch so 15 Minuten und er ist wieder voll da.“

„Gut. Komm.“

Luke folgte unwillig, einen letzten Blick auf Alec werfend.

Gegen Ende der Schicht schleppte er sich noch schnell zu Alec, der inzwischen auf ein Zimmer verlegt worden war. Der schlief um diese Zeit schon, so dass Luke sich auch gleich auf den Heimweg machte. Zur nächsten Schicht machte er sich eine Stunde früher auf den Weg, um für Alec etwas Ruhe zu haben.

„Na, Kleiner. Alles in Ordnung?“

Mit müden Augen schaute Alec auf, schüttelte leicht den Kopf.

„Was ist los?“

„Mir ist so schlecht.“

„Hast du was gegessen?“ Luke wurde sofort besorgt.

„Ich breche ja alles wieder aus.“

„Hast du schon jemanden Bescheid gesagt?“

„Naja, die Schwester dürfte es mitbekommen haben.“

„Wer war zur Visite da, hast du dem was gesagt?“

„Den kannte ich nicht, nein habe ich nicht.“

„Man, dass du nie den Mund aufkriegst.“

„So bin ich halt. Wie sieht denn deine Hand aus?“ Alec angelte Lukes völlig zerkratze Hand und hielt sie fest.

„Frag deine Katze.“

„Die mag dich nicht.“ Alec lachte.

„Offensichtlich. Aber wir kommen klar. Mach dir keine Sorgen. Zu Hause ist alles in Ordnung.“

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du sie endlich anfasst und sogar fütterst, wer macht das, wenn du hier bist?“

„Eine gute Freundin, die hat gerade Urlaub und übernimmt das. Alles durchorganisiert“, bestätigte Luke nochmal. „So richtig gut siehst du auch noch nicht aus. Ich schau nachher gleich mal woran deine Übelkeit liegen kann. Du hast Schlafmittel bekommen?“

„Ich habe keine Ahnung. Ich nehme alles, was mir hingestellt wird. Keine Ahnung wer das zusammenstellt und ob die Medikamente für meinen Rücken dabei sind.“

„Die sind dabei. Ich sehe nachher gleich nach, was das andere ist.“

„Haben sich deine Eltern nochmal gemeldet?“

„Nein, natürlich nicht. Meine Mutter hatte vorgestern Geburtstag, ich habe doch eine Karte geschickt. Die habe ich heute früh zerrissen zurück geschickt bekommen. Damit hat sich das dann wohl erledigt.“ Luke senkte den Kopf, sichtlich traurig und mitgenommen von der Reaktion seiner Mutter.

„Das tut mir leid, das ist nur wegen mir“, entschuldigte sich Alec.

„Hör auf solchen Quatsch zu reden. Das ist nicht wegen dir. Ich war vorher auch schwul, hatte nur nie die Überzeugung es ihnen zu erzählen. Jetzt hatte ich den Mut, weil ich davon überzeugt bin, dass es richtig ist. Und ich hatte es satt, dass sie ständig darüber philosophiert haben, welche Frau denn die Richtige für mich wäre.“

„Das ist gut, ich hoffe, du fühlst dich wohler. Ich will nach Hause, Luke!“, bettelte Alec.

„Ja irgendwie ist diese Offenbarung entlastend. Trotz der jetzigen Lage hat es mir gutgetan. Du kannst in einer Woche nach Hause. So, wie es dir zurzeit geht, sicher nicht ehr. Und ich hab dich gern lange unter Beobachtung.“ Luke grinste ihn an.

„Ja, dann kann ich keinen Blödsinn machen“, witzelte Alec zurück.

„Richtig.“

Es klopfte an die Tür, woraufhin Luke sich sofort umdrehte und im Begriff war Richtung Tür zu gehen, als wüsste er, wer kommt „Wir sehen uns nachher. Ich schaue, dass ich zwischendurch die Zeit finde, mal herzukommen. Aber hast du Besuch. Kleine Überraschung.“

Luke ging vor die Tür wechselte ein paar Worte mit Alec's Eltern, die dann ihren Sohn besuchten. Luke hatte sie informiert und wollte Alec ein wenig überraschen. Sie hatten ihren Sohn ja eine Weile nicht gesehen.

Zwischenspiel

Am nächsten Tag bekam Luke einen Anruf von der Polizei. Sie wollten mit Alec sprechen, erreichten ihn logischerweise aber nicht. Luke klärte sie auf und bestellte sie zum Krankenhaus, wo er sie noch vor Alec's Zimmertür abfing.

„Guten Tag, Dr. Franklin“, begrüßten sie ihn.

„Hallo. Was wollen Sie ihn fragen? Es geht ihm nicht sonderlich gut und ich möchte vermeiden, dass er sich aufregt“, log Luke ganz bescheiden. Es ging ihm inzwischen besser, die Ursache für seine Übelkeit war gefunden, er war auf dem Weg der Besserung.

„Es geht nur um die Adresse, die sie uns neulich nannten. Wir glauben den Täter gefunden zu haben. Er sitzt in U Haft, schweigt aber. Wir konnten bei ihm diverse Fotos und Videos sicherstellen. Wir denken Herr Wiek auf einigen wiederzuerkennen. Wir haben einige der Bilder dabei.“

Luke schaute sie groß an „Darf ich die sehen, bevor sie ihm davon etwas zeigen?“

„Klar, sie können uns das ja sicherlich auch bestätigen“, meinte die junge Polizistin und reichte ihm den Umschlag.

Luke nahm die Bilder heraus und schloss kurz die Augen, als er das erste sah. Er schaute sich genauso fassungslos die anderen an bevor er sie der Polizistin zurück gab und nickend meinte „Das ist er. Zeigen sie ihm die Bilder bitte nicht. Ich möchte nicht, dass er wieder einen Nervenzusammenbruch bekommt und es wäre zu beschämend für ihn. Es wird schlimm genug sein, wenn sie ihm den Täter gegenüberstellen. Wann soll das sein?“

„Möglichst zeitnah“, erwiderte der Polizist.

Luke schüttelte den Kopf. „Nicht vor nächste Woche, er ist zu krank.“

„Das kann er doch selbst bestimmen oder?“, warf der Beamte ein.

„Nein! Ich als sein Arzt sage, dass er dazu zurzeit nicht in der Lage ist!“, erwiderte Luke leicht wütend. „Können Sie denn nicht Raphael Neumann fragen?“

„Der ist leider nicht auffindbar.“

„Oh man. Müssen sie unbedingt zu ihm. Ich würde mich melden, wenn es ihm so gut geht, dass er die Sache auch einigermaßen verarbeiten kann. Ich wäre ihnen jedenfalls sehr dankbar, wenn sie ihn in Ruhe lassen. Er hat sich von der OP noch nicht vollständig erholt.“

Leicht wütend zogen die beiden Polizisten von Dannen. Luke verweilte kurz an Alec's Tür angelehnt, bevor er sich wieder an seine Arbeit machte.

 

Am Abend zu Hause ließ er sich schnell auf seine Couch sinken, leicht geschafft und froh endlich Feierabend zu haben. Linda, die ihn zurzeit besuchte, hatte bereits etwas zu essen gekocht und brachte es ins Wohnzimmer.

„Du musst nicht kochen, du sollst hier doch Urlaub machen!“

„Was würdest du denn sonst essen? Alec kocht doch eigentlich, oder?“

Luke lachte „Ja, der kümmert sich ums Essen, das kann er gut. Ich habe auch mal gekocht, er hat fast nichts davon gegessen, nur gemäkelt. Ich bin froh wenn er isst, also soll er machen was er mag. Und hast du bei dir zu Hause angerufen, alles ok?“

„Klar alles Bestens. Und du konntest ja eh nie kochen! Wie geht’s deinem Schatz denn?“

„Ihm geht’s wieder besser. Alles in Ordnung, die Wunde fängt an zu verheilen, seine Übelkeit ist weg. Er wirkt noch etwas angeschlagen, aber ich denke das wird. Es ist nur seltsam, normalerweise erholt er sich schneller.“

„Du kennst ihn in und auswendig, oder?“, witzelte Linda.

„Nein, leider ja nicht. Ich kenne seinen kompletten Gesundheitszustand, aber ich verstehe ihn zu wenig. Ich weiß einfach nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Das bereitet mir große Probleme. Ich versuche immer sein Verhalten so hinzunehmen, wie es ist, teilweise weiß ich auch schon auf was er wie reagiert, aber er bleibt trotzdem ein Rätsel für mich. Er ist immer so wechselhaft. In einem Moment ist alles in Ordnung im nächsten dreht er völlig ab.“

Linda schaute ihn etwas misstrauisch an „Liebst du ihn denn?“

„Ja natürlich, was soll diese Frage?“

„Nein, ich meine das ernst. Liebst du ihn wirklich? Du scheinst so unsicher.“

Luke begann in seinem Essen zu stochern und schaute Linda an, bevor er anfing eine Antwort zusammenzustammeln „Ehrlich gesagt ... ich weiß es nicht so richtig ... ich kann nicht ohne ihn, ich habe es aber auch schwer, wenn er da ist. Es ist wirklich sehr anstrengend und ich muss mich auch auf meinen Job konzentrieren. Ich bin nachts manchmal wach und schaue ihm beim Schlafen zu, nebenbei überlege ich, warum ich mir das antue. Ich könnte es gleichzeitig aber auch nicht ertragen, wenn er nicht hier ist. Ich habs gemerkt, als er wieder im Krankenhaus war und ich einen Tag frei hatte. Er hat mir gefehlt.“

„Dann ist deine Antwort 'Ja'“, sagte Linda ihn anlächelnd. „Glaub mir, du hilfst ihm wirklich.“

„Na ich weiß nicht. Ich wühle seine Erinnerungen auf.“

„Ist doch gut, so muss er anfangen das endlich zu verarbeiten! Wenn er das alles hinunterschluckt, wird es ihm nie gut gehen, aber das weißt du ja selbst. Wenn er schon keine Hilfe und keine Kur von anderen will.“

„Ja, ich weiß. Ich bringe ihn morgen mit nach Hause.“

„Oh, doch schon so schnell?“

„Ja. Du bist doch hier und ich habe die nächsten beiden Tage frei, warum soll ich ihn dann noch dort lassen. Er bettelt ja schon täglich.“

„Dann lerne ich ihn ja endlich mal kennen!“, freute sich Linda.

„Ja, das wird ja auch Zeit, so oft wie ich dir von ihm erzähle.“

 

Gesagt, getan. Luke nahm Alec am nächsten Tag mit und hatte ihm schon erzählt, dass zu Hause Besuch wäre. Alec nahm das leicht angespannt hin, freute sich aber seine Katze wiederzusehen und aus dem Krankenhaus wieder raus zu sein.

Im Wohnungsflur stand schon Linda und begrüßte Alec freundlich, der gab ihr zögernd die Hand und brachte ihr ein leises 'Hallo' entgegen.

Während des Abendessens sagte er fast kein Wort, verhielt sich sehr still, bedankte sich nur für das Versorgen von Emily. Er wurde auch den ganzen Abend nicht viel gesprächiger und wirkte leicht angespannt. Luke schickte ihn recht schnell ins Bett, da er noch nicht so viel laufen sollte und kam kurz mit ihm ins Schlafzimmer.

„Was ist los mit dir?“, fragte Luke ihn leicht entsetzt.

„Nichts, was soll schon sein?“, entgegnete Alec, der versuchte, sich sein T Shirt auszuziehen, was ihm durch leichte Schmerzen im Narbenbereich nicht gelang. Er zuckte winselnd zusammen.

„Warte ich helfe dir“, kam ihm sein Freund entgegen. Er zog ihm vorsichtig das Shirt aus und stand ihm dann gegenüber „Also, was ist los? Warum warst du so still und so sehr verhalten zu ihr.“

„Ich weiß nicht. Ich brauche halt eine gewisse Zeit, mich an neue Menschen zu gewöhnen.“

Luke nahm die Antwort so hin, küsste ihn schnell auf die Stirn und ging dann Alec's Medikamente holen. Linda stand in der Küche neben ihm und hatte sich über den Abwasch hergemacht.

Luke lachte kurz „Hey, du sollst hier nicht arbeiten!“, und fing nebenbei an, die ganzen Tabletten zusammenzustellen.

„Ach, das macht mir nichts aus. Alles in Ordnung mit ihm? Er war so sehr still.“

„Ja, ihm geht’s gut. Er ist neuen Leuten gegenüber nicht so aufgeschlossen und sehr müde.“

Linda schaute fragend zu Luke, dann auf den Pillencocktail „Wie, das muss er alles nehmen?“

Luke bejahte und blickte etwas missmutig zurück. „Normalerweise nicht ganz so viel, durch die OP jetzt ein wenig mehr. Allerdings kann er ohne Medikamente gar nicht mehr leben, er hätte zu starke Schmerzen. Du weißt doch sicher noch, als er einmal verschwunden war. Das hatte ich dir erzählt.“

„Ja, wo du ihn am anderen Ende Berlins gefunden hast und er sich nicht mehr bewegen konnte?“

„Genau. Er wäre da keinen Meter mehr weiter gekommen, ohne Schmerzen zu haben. Ich bring ihm die schnell.“ Luke zeigte auf die Tabletten und verschwand aus der Küche, kam aber kurz darauf gleich wieder und suchte von sich aus ein Gespräch.

„Ich weiß nicht, was er da alles durchgemacht hatte, als er gefangengehalten war. Ich glaube, das kann sich gar keiner vorstellen. Ich habe Fotos gesehen.“

Linda starrte ihn verwundert an, setzte sich dann zu ihm „Was für Fotos?“

„Die Polizei war gestern im Krankenhaus, wollten eigentlich zu Alec. Ich hatte sie vor der Tür abgefangen. Die scheinen den Täter zu haben. Der sagt aber nicht aus, aber sie haben diverse Bilder bei dem gefunden und zeigten sie mir, weil sie wissen wollten, ob das darauf Alec ist.“

„Er war es?“

„Ja. Das kannst du dir echt nicht vorstellen. Ich habe die Fotos nur eine Sekunde lang angeschaut, ich habe die Bilder im Kopf. Wie pervers muss dieser Typ sein?“ Luke zögerte, Linda bemerkte es sofort und bekräftigte ihn „Sprich weiter, wenn du magst.“

„Auf den Fotos. Da waren welche bei, wo er ausgepeitscht wurde. Man erkannte den anderen Typen nicht. Alec war völlig blutüberströmt und hilflos. Auf anderen Bildern hatten sie ihn geknebelt. Und ich habe gestern Abend nochmal ein wenig recherchiert. Da kursieren Videos im Internet, auch von diesem Typen. Wie sie mit Alec umgegangen sind.“

Linda schaute ihn entsetzt an „Wie hast du die denn gefunden?“

„Über Umwege, aber man findet sie. Es ist einfach nur grausam, sie haben ihn teilweise mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen bis er bewusstlos war. Ständig verprügelt, sind wie die Tiere über ihn hergefallen. Sobald er versuchte sich zu wehren, haben die ihm noch mehr Schmerzen zugefügt. Linda, der ist innerlich so kaputt, er wird nie ...“

„Was wird er nie?“, fragte sie fordernd.

„Er wird sich nie näher mit mir einlassen, als er es jetzt tut.“

„Ist das alles, was dir wichtig ist? Das Thema hatten wir doch schon mal.“

„Nein, natürlich nicht. Aber irgendwo gehört mehr dazu und das weißt du doch selbst.“

„Ja Luke, aber du weißt, dass er mehr Zeit als alle anderen brauchen wird. Weiß er schon, dass die den Typen haben?“

„Nein. Ich habe sie nicht zu ihm gelassen und ich habe es ihm noch nicht erzählt.“

„Dann weiß er also auch nicht, dass du die Bilder gesehen hast. Wollten sie die ihm zeigen?“

„Ja! Bloß gut, dass ich die abgefangen habe. Sie wollten wissen, ob er das ist. Und sie wollen eine Gegenüberstellung. Alec kann das nicht, er wird das nicht durchstehen. Er soll Aussagen machen. Er hat da nicht die Kraft für!“

Linda merkte, dass Luke sehr unruhig und unsicher wurde. Sie nahm ihn in den Arm, was er sehr genoss und mit einem leichten Seufzer hinnahm.

„Kannst du ihm nicht irgendwas geben, dass er da durchkommt? Was meinst du passiert, wenn er den Typen sieht?“

„Na mindestens das Gleiche, wie beim letzten Mal. Er bekommt einen Nervenzusammenbruch und diverse Panikattacken. Und die werden bei ihm immer extremer. Ich habe Angst, dass das passiert, wenn ich nicht da bin und er sich etwas tut. Oder, dass er mir nachts irgendetwas antut. Das hatten wir ja auch schon.“

„Wann passiert das denn meist?“

„Das ist verschieden und er ist dann unberechenbar. Du weißt doch, beim letzten Mal hätte er mich fast erwürgt. Und die Sache endete ja dann im Krankenhaus und er mit einer Scherbe nahe seiner Halsschlagader.“

„Ja das hast du ja erzählt. Und der Typ schweigt?“

„Ja, das Schwein sagt kein Wort. Sagt nicht mal wer da noch beteiligt war und die scheinen auch keinen Weiteren zu finden und dieser Raphael ist plötzlich nicht mehr auffindbar. Den hatte es ja nicht ganz so arg getroffen wie Alec.“

„Schwierige Sache, Luke. Aber ich denke es ist auch in Alec's Interesse, dass die Sache geklärt wird und der seine Strafe kriegt.“

„Sicherlich, aber ich hab manchmal ehrlich gesagt Angst, mich neben ihn zu legen. Was ist, wenn er nachts nochmal versucht mich zu erwürgen? Da habe ich keine Chance. Ich weiß ja, dass er das nicht mit Absicht macht, aber ich habe da wirklich Angst vor ihm.“

Die beiden redeten die halbe Nacht, bis sie schließlich schlafen gingen. Luke beobachtete seinen Alec noch kurze Zeit, bevor er einschlief.

Sie wachten gemeinsam auf, Luke schmiegte sich an ihn. Alec drückte seinen Kopf gegen Lukes Brust, genoss die Nähe zwischen ihnen.

„Alec, ich muss mit dir reden“, begann Luke.

„Das hört sich nicht gut an“, erwiderte er die Tonlage deutend.

„Die Polizei hat dich neulich gesucht. Sie haben ... sie haben diesen Typen. Also wahrscheinlich. Aber ...“

Alec wurde hellhörig, drehte sich um und schaute Luke an.

„Die haben den?“

„Ja, aber sie wollen eine Gegenüberstellung.“

Alec stöhnte ließ den Blick auf die Bettdecke sinken.

„Muss das denn sein? Kann das nicht Raphael machen?“

„Ja, der ist irgendwie nicht auffindbar. Ich weiß nicht, ob sich dem entgehen lässt, aber es wäre schon wichtig, dass der Typ seine Strafe bekommt.“

„Lass mich drüber nachdenken, das ist nicht so einfach.“

„Ich weiß. Gut, ich hole dir mal deine Tabletten und mache Frühstück, bleib liegen.“

Linda war inzwischen auch schon wach und bereits dabei das Frühstück vorzubereiten.

„Guten Morgen“, entgegnete Luke „du kannst gleich hier bleiben, das ist praktisch“, lachte er.

„Ja, das könnte dir so passen“, witzelte sie „Wie geht’s denn Alec, was trinkt er zum Frühstück?“

„Ihm geht’s soweit ganz gut. Ach nichts besonderes, er trinkt das was da ist. Meistens Tee. Ich schmeiß ihn gleich aus dem Bett, will nur seine Tabletten noch fertig machen.“

„Was machen wir denn heute?“

„Emm, was willst du denn gern sehen? Du warst ja noch nie in Berlin. Wie wärs mit Siegessäule und ein Spaziergang durch den Tiergarten am Bundestag vorbei?“

„Na, das klingt doch gut. Kommt Alec mit?“

„Mmh. Theoretisch kann er mit, sollte zwar im Bett bleiben, aber wenn er möchte.“

Nach einem langen, entspanntem Frühstück machten die drei sich auf den Weg. Alec war lockerer als am Vortag, wechselte auch einige Worte mit Linda.

Alec wurde während des Spazierganges immer langsamer und ruhiger, blieb hinter Linda und Luke, die sich angeregt unterhielten. Luke bemerkte das irgendwann und wandte sich an seinen Freund.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ich bin müde, ich kann nicht mehr. Ich will mich nur schnell setzen, ihr könnt weitergehen und mich nachher wieder hier einsammeln.“

„Quatsch, ich bring dich schnell nach Hause, komm.“

„Nein, nein geht weiter, ich setze mich hier hin. Das ist in Ordnung. Ich brauche mal frische Luft.“

„Gut, dann bleib aber auch hier. Wir sind bald zurück, dauert nicht mehr lange.“

Die beiden ließen Alec auf der Parkbank zurück.

„Er ist noch nicht ganz wieder auf der Höhe. Das war zuviel“, meinte Luke zu seiner Begleitung.

„Scheint so. Ja aber wenn er sich jetzt ausruht, sammeln wir ihn nachher einfach wieder ein.“

„Ja“, erwiderte er etwas nachdenklich. „Er wird über unser Gespräch von heute früh nachdenken.“

„Über was habt ihr denn geredet?“

„Ich habe ihm das mit der Polizei erzählt. Also nur, dass sie wahrscheinlich den Typen haben und eine Gegenüberstellung möchten.“

„Und was hat er dazu gesagt?“

„Dass er nachdenken müsse.“

Linda nahm die Antwort mit einem leisen 'mmh' hin und tigerte weiter neben Luke her, der ihr einige der Sehenswürdigkeiten zeigte und kurze Erklärungen ablieferte.

 

Alec saß, allein zurückgelassen, auf der Parkbank und beobachtete die Eichhörnchen, die sich im Berliner Tiergarten von einem Baum zum anderen jagten. Kurz darauf klingelte sein Handy. Es war seine Mutter, die ihm aufgeregt eine schlechte Nachricht überbrachte. Seine Oma war plötzlich gestorben und sie fragte ihn, ob er mit nach Thüringen zur Beerdigung kommen würde. Natürlich würde er das, erwiderte er kurz, legte dann aber sehr schnell auf, um die Nachricht richtig wahrzunehmen. Er blieb still sitzen, starrte auf die Erde.

Als Luke zurückkehrte, rannten Alec die Tränen übers Gesicht. Luke sah aus etwas Entfernung, dass etwas nicht stimmte und ging schnell auf seinen Freund zu.

„Alec, was ist?“ Er hockte sich vor ihn, versuchte ihm ins Gesicht zu schauen.

„Meine Großmutter ist gestorben. Ich hatte dir doch mal von ihr erzählt.“

„Ja das hast du. Das tut mir schrecklich leid.“ Luke rutschte seine Hand von Alec's Gesicht auf sein Knie, das er kurz streichelte. „Los lass uns nach Hause gehen.“ Luke lies sehr schnell von der Berührung mitten in der Öffentlichkeit ab. Linda stand etwas abseits, war von der Situation etwas überrascht und schwieg. Die drei gingen zurück zur Wohnung, Linda wollte sich am späten Nachmittag sowieso auf den Heimweg machen, Luke hatte noch frei.

Er verbrachte den Abend damit seinen Freund zu trösten, sprach mit ihm und beruhigte ihn sachte. Luke schaffte es irgendwann nicht mehr sich wach zu halten und schlief mit Alec im Arm ein. Alec hingegen lag die ganze Zeit wach. Mitten in der Nacht hielt er es kaum noch aus und verließ das Zimmer. Er zog sich schnell eine Jacke über und lief durch die Straßen Berlins.

Rache

In der Danziger Straße kam ihm Raphael entgegengeschlendert. Und das mitten in der Nacht. Alec stand ihm etwas skeptisch und völlig irritiert gegenüber, begrüßte ihn aber.

“Mensch Alec. Dich habe ich ja lange nicht gesehen und weißt du, ich wollte dich sowieso demnächst besuchen. Aber da hätte ich ja erst in Erfahrung bringen müssen, wann dein Wachhund weg ist. Was machst du denn um vier Uhr nachts hier draußen?”

„Das sollte ich dich eher fragen ... Er ist nicht mein Wachhund. Unsere letzte Begegnung verlief halt nicht nach Plan. Was wolltest du denn? Ich musste nur schnell raus, kurz allein sein.”

„Aus der Disko, woher sonst? Ach ich wollte mit dir nur mal wieder schnacken, komm wir gehen ein Stück zusammen.”

Alec folgte bereitwillig und wechselte einige Worte mit Raphael, der nebenbei schnell eine SMS schrieb.

Als die beiden nach einem halbstündigen Spaziergang in eine kleine Seitenstraße einbogen, wurde Alec etwas mulmig.

„Wo willst du denn hin? Ich denke ich sollte umdrehen, sonst macht Luke ...“

„Ach vergiss den doch. Der kann auch mal allein bleiben. Du kannst doch auf dich selbst aufpassen.“ Raphael machte eine Pause, atmete tief durch und sprach dann weiter „Ich wohne jetzt hier, bin umgezogen“, meinte er und schloss die Tür auf.

„Ich sollte wirklich gehen. Schon komisch genug, dich plötzlich hier zu treffen.“

„Ach was, komm mit, wir trinken noch schnell was. Dann kannst du gehen. Luke schläft doch bestimmt und bekommt gar nicht mit, dass du unterwegs bist.“ Er schaute Alec nicht mehr an, vergrub sein Gesicht förmlich.

Alec folgte in die Wohnung. Die beiden setzten sich, Raphael quälte sich noch einige Worte raus, Alec merkte seine Anspannung.

„Was ist los?“

„Ach nichts, alles Bestens.“ Dann klingelte es an der Tür.

„Das wird wohl mein Freund sein“, log er und machte sich auf den Weg zur Tür. Er öffnete und ließ die beiden Männer, die gleich ins Wohnzimmer weiter gingen, herein.

Sie standen in der Tür, starten auf Alec, der bei deren Anblick nur ein leichtes, verzweifeltes „Nein, warum tust du das?“ herausbrachte. Die Männer gingen schnell auf ihn zu, bevor er sich wehren konnte hielten sie ihm ein Tuch vor Mund und Nase, so dass er einatmen musste. Der andere versuchte ihn festzuhalten, bis das Narkotikum wirkte. Raphael stand in der Tür und meinte leise „Es tut mir so leid, Alec … aber ich muss erst mein Leben retten.“

Es dauerte nicht lange bis Alec bewusstlos zusammensank. Die Männer schleppten ihn raus, warfen Raphael noch einen scharfen Blick zu. Einer meinte noch „Du weißt Bescheid!“, dann ließen sie ihn stehen.

 

Luke wurde relativ spät wach und bemerkte den leeren Platz neben sich. Er rief seinen Freund und stiefelte dann durch die Wohnung, als er keine Antwort bekam. Kurz bevor er zum Telefon greifen wollte sah er, dass Alec sein Handy gar nicht mitgenommen hatte. Luke stand kurz reglos im Raum. Etwas überwältigt von der Situation. Alec tauchte auch Stunden später nicht auf, was ihn sehr nervös werden lies. Er spielte mit dem Gedanken Alec's Eltern anzurufen, wollte sich aber die Blöße nicht geben, dass er ihn 'verloren' hätte. Er wusste nicht weiter, haderte mit sich und rief letztendlich am späten Abend an.

Er versetzte Alec's Mutter in Aufregung, auch sie wusste nicht, wo ihr Sohn ist. Gegen 23 Uhr machte Luke sich auf den Weg zur Nachtschicht. Gegen Ende der Schicht lief ihm Henk über den Weg, der ihn von der Seite etwas schief anschaute, als Luke sich bei einem Patienten etwas zusammenstammelte. Henk ging dazwischen.

„Kann ich dich mal bitte sprechen, sofort!“

Luke blickte schnell zu ihm „Ja klar“, entschuldigte sich bei dem Patienten, und ging mit seinem Kollegen vor die Tür.

„Sag mal ist dir klar, was du dem gerade erklärt hast?“

„Na, das ...“

„Du brauchst das jetzt nicht wiederholen, ich habe es gehört, aber das war völliger Schwachsinn. Was ist los mit dir? Bist du übermüdet, geht’s dir nicht gut. Du sahst vorhin schon etwas schlecht aus?“

„Alec ist weg.“

„Wie weg?“

„Er ist einfach verschwunden, ohne Abschied, hat sein Handy zu Hause liegenlassen.“

„Ist etwas vorgefallen?“

„Nein, nein nichts zwischen uns. Seine Großmutter war gestorben. Wir sind dann heimgegangen, irgendwann eingeschlafen, er wollte am nächsten Tag nach Hause fahren.“

„Na, vielleicht ist er ja da?“

„Nein, ich habe schon nachgefragt und er hätte sich verabschiedet und wäre nicht einfach weggewesen. Ich versuche ständig bei mir zu Hause anzurufen, es ist niemand da. Ich dachte, vielleicht kommt er wieder.“ Luke sprach immer schneller, die Aufregung in ihm stieg und er schnappte zwischendurch etwas nach Luft um den Kloß, der ihm im Hals steckte, zu lösen. Irgendwas war dieses mal anders und das spürte er.

Henk beruhigte ihn sachte „Geh nach Hause Luke, schau ob er da ist, falls nicht, geh zur Polizei.“

„Ich kann denen das so einfach nicht erzählen.“

„Vor was hast du Angst? Die wissen doch eh schon alles über euch.“

„Ja, da hast du ja wieder recht.“

„Los hau ab, ich übernehme deine Patienten.“

 

Wenig später fand sich Luke auf der Polizeiwache wieder und schaute über den Tresen, suchend nach jemanden der ihn beachten würde. Eine junge Polizistin erbarmte sich und kam nach vorn.

„Wie kann ich ihnen helfen? Dr. Franklin?“, strahlte sie ihn freundlich an.

„Mein Freund ist verschwunden“, antworte er an sich selbst herunterschauend und bemerkend, dass er noch immer seinen Kittel trug. Daher wusste sie seinen Namen.

Die junge Dame führte ihn in ein Büro und holte einen Kollegen bevor sie ein Gespräch mit ihm führten.

Entfremdung

„Wo ist er, wo verdammt ist er!!!??“ Luke war außer sich, schrie die nun verhafteten Täter an. Einer der Polizisten versuchte ihn zurückzuhalten. Man hatte ihn vorsorglich mitgenommen. Luke war im Begriff auf sie loszugehen, bis einer schließlich antwortete: „Im Keller.“

Luke atmete aus und rannte los, einer der Polizisten hinterher. Sie fanden Alec schnell ruhig am Boden liegend, reglos, nicht mal mehr zitternd.

„Alec, Alec, schau mich an, Sprich mit mir!“ Luke versuchte ihn an der Schulter etwas wach zu rütteln, hob seinen Kopf leicht an, versuchte den Puls zu fühlen. Alec selbst lag mit halboffenen Augen weiter wie schlaftrunken da. Luke fuhr zu dem Polizisten herum, schrie ihn an, er solle eine Decke holen und einen Rettungswagen verständigen. Völlig irritiert hechtete der junge Polizist los. Luke widmete sich wieder Alec der nackt, hilflos und mit Wunden übersät noch immer genauso apathisch dalag. Luke berührte ihn zur Beruhigung. Alec bemerkte die warme Hand, regte sich kurz. „Was haben sie mit dir gemacht.“ Daraufhin verzog er sein Gesicht noch mehr, die Tränen schossen in seine Augen, er fing an zu zittern und zu wimmern. Luke versuchte ihn ruhig zu halten strich dabei sanft über Alec's Rücken, der nun aufschrie und sich mit jeder seiner eigenen Bewegungen selbst noch mehr Schmerzen zufügte.

„SchSchSch, ganz ruhig. Beweg dich nicht, wird gleich besser. Ich bins nur, ich tue dir nichts. Das wird alles wieder gut. Sie haben diese Schweine. SchSch.“ Zwischenzeitlich kam der Polizist mit einer Decke zurück, die beide gemeinsam sofort über den erkalteten Körper legten.

„Können Sie seinen Kopf hochhalten. Einfach hier hinhocken und auf den Schoß legen. Wo bleibt der Rettungswagen, er braucht Schmerzmittel!“

„Sollte jeden Moment kommen“, antworte der Beamte ruhig und hockte sich vor Alec, Luke legte vorsichtig den Kopf des Verletzten auf den Schoß. Der andere schaute etwas argwöhnisch und zuckte aufgrund Alec's Schmerzensschreie zusammen.

„Legen sie ihm einfach die Hand auf die Stirn, das beruhigt ihn“, forderte Luke und seufzte.

Kurz darauf traf der Rettungsdienst ein, Luke begrüßte den Notarzt und begann gemeinsam mit ihm Alec zu versorgen.

 

Auf der Intensivstation verbrachte Luke noch einige Zeit bei Alec. Irgendwann überraschte ihn der Schlaf fast im Stehen.

„Luke?“ Henk stieß ihn leicht am Oberarm an „Wach auf.“ Er öffnete langsam seine Augen erschrak leicht.

„Was ist los?“, fragte er benommen.

„Ab nach Hause mit dir und außerdem müssten wir noch wissen, was mit seinen Eltern ist? Du weißt, dass er in den nächsten Stunden nicht aufwachen wird, du musst hier nicht warten. Wir haben das schon im Griff.“

„Weiß ich ja, aber falls doch irgendwas ...“

„Da wird nichts sein. Seine Eltern?“, fragte Henk nachdrücklich.

„Ja, die Polizei müsste sie informieren, die werden mir den Kopf abreißen!“

“Warum sollten sie das tun, du kannst doch nichts dafür, dass das passiert ist.”

“Ich hätte aufpassen sollen. Als sie erfahren haben, dass er verschwunden ist, hat sein Vater mich zusammengefaltet, das glaubst du kaum.” Luke sprach mit Blick zum Boden. “Ich geb dir die Nummer gleich, hab sie in meinem Handy. Das ist irgendwo in meiner Jackentasche.“

Henk bemerkte die innerliche Abwesenheit seines Kollegen und beäugte ihn kritisch.

“Hast du was zum Schreiben?” Luke drehte sich um, schaute Henk an.

“Nein, nein aber Sophie ist in der Anmeldung gib ihr doch schnell die Nummer, bevor die Polizei bei seinen Eltern auftaucht. Und dann fahre ich dich nach Hause.”

“Ich kann allein nach Hause fahren, danke”, wertete Luke das Angebot ab. „Er hat das nicht verdient, warum musste er so was nochmal durchmachen, das ist meine Schuld!“

“Ach hör auf, du konntest es nicht verhindern. Ich bring dich heim, du bist völlig übermüdet und abwesend. Da lasse ich dich nicht auf den öffentlichen Straßenverkehr los.” Luke schaute hoch, nickte Henk zu und machte sich auf den Weg zu Sophie.

Auf dem Heimweg beruhigte Henk ihn noch mit seinen Worten, bevor er ihn vor seiner Haustür herauslies und beobachtete, wie er zur Tür hineinging.

Er seufzte kurz und machte sich auf dem Rückweg zur Klinik. Als er auf die Station kam, kamen ihm auch Alec's Eltern sofort entgegen. Er erkannte sie sofort und beobachtete, wie sie sich durchfragten.

„Kann ich ihnen helfen?“, steuerte Henk auf sie zu.

„Wo ist dieser verfluchte ...!!“ Die Ehefrau legte schnell ihre Hand auf die Schulter des Mannes und sprach weiter „Wir wollen zu unserem Sohn ...“

„Zu Alec, nehme ich an?“

„Woher wissen sie?“ Alec's Vater, dem der Zorn ins Gesicht geschrieben war, wurde hellhörig. Alec's Mutter schaute nur besorgt und aufgeregt im Flur umher.

„Ich habe sie erkannt, ich hatte Alec schon mal in Behandlung. Kommen sie, ich bringe sie zu ihm. Er ist allerdings nicht wach. Wir haben ihn in ein künstliches Koma versetzt, dass die schweren Verletzungen abheilen können, ohne das er die Schmerzen ertragen muss. Sie kennen das ja leider bereits.“

Alec's Eltern schauten Henk besorgt an, der Ärger aus dem Gesicht des Vaters wich den Sorgen.

„Es wird aber alles wieder, ihm geht es den Umständen entsprechend. Machen sie sich keine Sorgen. Wir sind da sehr optimistisch. Er ist ein Kämpfer.“

Er forderte sie auf ihm zu folgen. Beide standen wie angewurzelt vor ihrem Sohn und starrten ihn an. Alec's Mutter strich ihm über die Stirn, sichtlich auf eine Reaktion wartend. Henk erklärte nebenher einige Sachen.

„Wann wird er denn wach?“

„Wenn wir ihn holen. Aber lassen sie ihn sich noch ausruhen. Das wird ihm gut tun.“

„Und wo ist dieser verlogene Mistkerl?“

„Schatz lass das doch“, fiel sie ihrem Mann ins Wort.

„Er kann nichts dafür, er hat ihn bisher nie im Stich gelassen, immer geholfen. Falls sie Dr. Franklin meinen“, mischte sich Henk ein.

„Aber er hätte aufpassen sollen!“

„Wir wissen doch alle gar nicht was passiert ist, ich denke, Luke konnte auch nichts tun. Ansonsten hätte er etwas getan. Er war und ist völlig durch den Wind. Ich verstehe nicht, warum sie so wütend auf ihn sind.“

„Er hätte auf ihn aufpassen sollen!“, brüllte der Vater ungehalten zurück.

„Hätten sie auf ihn aufpassen können? Ihm alle Freiheit zu nehmen und zu Hause einzusperren? Er konnte nichts machen. Er hat doch selbst nicht mal mitbekommen, dass Alec raus gegangen war.“

Alec's Vater wurde nachdenklich, die Wut wich nicht ganz aus seinem Gesicht, aber er verkniff sich die letzten Worte.

 

Am nächsten Morgen stand Luke wieder im Krankenhaus auf der Matte. Als erstes wieder bemerkt von Henk „Was willst du denn schon wieder hier?“, fragte der und schaute ihn an „Du hättest im Bett bleiben sollen, hast du dich mal angeschaut?“

„Nein, nein mir geht’s gut, ich möchte nur zu Alec.“

„Was meinst du sollte sich seit gestern Abend geändert haben? Ihm geht’s genauso, nicht schlechter, nicht besser. Du solltest dich mal ausruhen. Und ich meine das wirklich ernst. Du hast doch in der Zeit, als er weg war, kein Auge zu gemacht.“

„Ach lass mich doch. Waren seine Eltern denn da?“ Luke schaute Henk kaum an, verhielt sich nahezu seltsam. Das Verhalten hielt auch in der nächsten Woche an, Luke ging Alec's Eltern geschickt aus dem Weg, wenn er im Krankenhaus war und war wieder konzentriert bei der Arbeit.

 

Nach und nach begann er die Medikamente runter zu setzen, um seinen Alec wieder ins Bewusstsein zu holen. Es dauerte nicht lange bis er verschlafen seine Augen öffnete.

„Hey Kumpel“, entgegnete ihm Luke und kontrollierte dabei alle Werte. Alec erwiderte nichts, schaute Luke mit aufgerissenen Augen an und begann unruhig zu werden. Die Medikamente verhinderten allerdings, dass er sich zu sehr aufregte und Luke besänftigte ihn nebenbei. Henk, der auf der Suche nach Luke war, stürmte ins Zimmer.

„Wusste ich doch, dass ich dich hier finde. Kannst du mir mal ...“

„Ppscht“, entgegnete Luke ihm.

„Was ist denn?“, fragte Henk neugierig. „Er ist wach, aber aufgeregt. Er beruhigt sich nicht so richtig. Ich will die Dosis nicht wieder erhöhen.“ Henk trat näher ans Bett, begrüßte ihn mit einem 'Hallo Alec', was ihn noch unruhiger werden ließ.

Innerhalb der nächsten Tage stellte sich heraus, dass Alec sich nur von Luke behandeln ließ. Er sprach nicht, blieb aber ruhig. Auch der Besuch seiner Eltern endete in einem Desaster. Luke war nicht da, weil er seinen Eltern aus dem Weg ging. Henk begleitete die Eltern zu Alec. Der regte sich natürlich schrecklich auf, selbst der Anblick seiner Eltern ließ ihn nicht runterkommen. Alec's Eltern waren völlig durcheinander, verließen dann aber widerwillig das Zimmer, Henk folgte kurz darauf.

„Dass es so schlimm ist, haben sie aber nicht gesagt! Wie behandeln sie ihn denn?“

„Ich wusste nicht, wie er auf sie reagieren wird. Ich dachte weniger hektisch, da sie ja seine Eltern sind. Behandeln kann ihn hier nur eine Person. Wenn es gar nicht anders geht, müssen wir das Risiko eingehen dass er darauf reagiert.“

„Und wer behandelt ihn?“

Auf diese Frage kam von Henk nur eine Geste zurück. Alec's Vater sprang darauf an. „Luke, oder?“ Henk nickte etwas verlegen „Ja, ihm scheint er zu vertrauen. Er spricht mit ihm aber auch nicht. Er macht es uns schon sehr schwer und die weitere Vorgehensweise ist leider nicht sehr schön. Darüber muss ich noch mit ihnen sprechen.“

„Was denken Sie denn, wie es weitergeht?“

„Ich, naja, wir müssen ihn einweisen. Wir kommen mit ihm hier nicht weiter. Luke ist nicht ständig vor Ort. Also er ist es schon, sollte es aber eigentlich nicht sein. Er wohnt ja schon fast hier. Wir können Alec hier zwar helfen, physisch gesund zu werden, aber psychisch sind uns die Hände gebunden. Er spricht ja auch mit niemanden. “

Alec's Mutter belasteten die Umstände sehr stark. Die Eltern entschlossen für sich keinen neuen Versuch zu starten ihren Sohn zu besuchen. Jedes Mal bekam er panische Anfälle und ihn von weiten zu betrachten schmerzte noch mehr als ihn gar nicht zu sehen. Sie richteten schließlich einen Brief an Luke, in den sie ihn baten sich um Alec zu kümmern und gut für ihn zu sorgen. Ein Abschiedsbrief.

 

Luke lag auf seinem Bett und starrte an die Decke, nachdenklich. Er hatte den Brief gerade gelesen. Er atmete tief durch, war fast betrübt. Er hatte keine Zeit sich dauerhaft um Alec zu kümmern, wenn er nicht wieder „normaler“ werden würde. Noch dazu kam die Tatsache, dass er sich mit einem anderen Typen eingelassen hatte. Die Verzweiflung ließ ihn Abwechslung suchen, und diese Abwechslung blieb hängen. Luke ließ den anderen nicht zu sehr in sein Leben, wusste aber auch nicht sich so schnell wieder loszusagen. Zu schön und entspannend war die Ablenkung.

Aber was sollte mit Alec passieren? Er wurde ihm von Tag zu Tag fremder, sprach kein Wort, wich seinen Blicken aus. Ansonsten ging es ihm so gut, dass er ihn nach Hause holen könnte. Er war sich nun nur nicht mehr so sicher, ob er das auch wollte. Er liebte ihn, keine Frage, aber er war ihm so fremd geworden. Schier eine Belastung.

Luke schlief irgendwann ein, bevor er weiter über die Gegebenheiten nachdenken konnte. Sein Wecker riss ihn morgens aus dem Schlaf, er musste wieder zur Arbeit. Sein erster Weg führte ihn, wie in den letzten Wochen, zu Alec. Bevor er die Tür öffnete, atmete er nochmal durch, seufzte leise.

„Guten Morgen“, entgegnete er ihm, sicher dass keine Antwort kommen würde. Zwei, drei Blicke reichten um zu sehen, dass etwas nicht stimmte. Luke ging auf die Suche nach Henk, der noch die letzten Stunden seiner Nachtschicht durchhalten musste. Er fand ihn recht schnell an der Anmeldung.

„Was war los, warum habt ihr ihn ruhig gestellt?“, fragte Luke gleich entrüstet.

„Es gab Probleme gestern Abend, er hatte sich fast verletzt, als er versuchte aus dem Zimmer zu kommen.“

„Das hat er doch noch nie gemacht. Warum hast du mich nicht angerufen?“

„Ich weiß ja, aber wir mussten schnell handeln und bis du hier gewesen wärst, außerdem solltest du dich mal ausruhen.“

Luke schüttelte leicht den Kopf, drehte sich dann um, er starrte kurz auf den Fußboden, bevor er sich wieder Henk zuwandte: „Kann ich kurz mit dir reden?“

„Klar, komm“, entgegnete der sofort.

Sie gingen in eines der Behandlungszimmer, Henk schloss behutsam die Tür schaute zu Luke, der ihm den Rücken zugewandt hatte. Der begann auch gleich zu sprechen.

„Was soll ich mit Alec machen? Ich bin überfordert, ich kann doch nicht ...“

„Was ist denn los, das war doch nie ein Problem?“

„Es tut mir leid, dass ich dir das alles erzähle, aber ich weiß nicht wem sonst. Ich weiß auch nicht ob du mich verstehen kannst.“

„Alles in Ordnung rede weiter. Ich höre dir zu.“ Henk war ein wenig unwohl in seiner Rolle. Luke erzählte ihm die intimsten Dinge und das, obwohl sie vorher nie so nah befreundet gewesen sind.

 

Luke erzählte ihm von dem Brief. Henk versuchte etwas einzulenken, Luke zu überzeugen, seinem Alec zu helfen.

„Du weißt was sonst ansteht. Seine Eltern können nicht mit ihm umgehen und dann bleibt nur noch die Psychiatrie. Ich würde ihn dann überweisen und sehen, dass er Therapien bekommt.“

„Ja das weiß ich ja. Gut dann ...“ Luke mache eine kurze Pause „Ich nehme ihn morgen mit, ich probiere es. Es war ja bis zuletzt alles gut, aber jetzt spricht er ja nicht mal mit mir. Es ist noch viel schlimmer als damals, ganz zu Anfang. Die Typen haben sein Leben dermaßen zerstört.“

„Luke, du weißt es doch selbst. Gib ihm Zeit!“

„Ich gebe ihm schon seit Jahren Zeit!“ Luke wurde etwas lauter, leicht verzweifelt.

„Die Zeiten waren ja auch nicht nur schlecht oder?“

„Nein, ganz und gar nicht, aber ich bin auch mal ausgebrannt. Es ist sehr anstrengend mit ihm. Ich kümmere mich um ihn, pendel ständig zwischen Krankenhäusern, mache nebenbei noch Weiterbildungen. Dann die Sache mit meinen Eltern. Klar es gab genug schöne Zeiten und er hatte sich schon so verändert. Es ging ihm schon wieder viel besser.“

„Was ist mit deinen Eltern?“, fragte Henk verblüfft.

„Na du weißt doch, der Kontakt ist eingefroren, seit sie von Alec wissen, seit sie wissen dass ich ein Homo bin. Ein kranker Homo. Denkst du auch so? Die stellen sich ein Musterleben für mich vor. Schickes Vorstadthäuschen, Frau, Kinder, Chefarztposition. Ja dann würden sie mich lieben. Jetzt hassen sie mich.“

„Mensch Luke, nun hör mal auf, hier so eine Depression zu schieben. Was deine Eltern wollen, ist egal. Wichtig ist dass es dir gut geht. Irgendwann werden sie es schon begreifen und sie hassen dich nicht. Sie verstehen es nur noch nicht. Die Situation mit Alec und dir ist ja auch nicht alltäglich.“

Die beiden wurden jäh aus dem Gespräch gerissen, als es plötzlich an der Tür klopfte und eine der Schwestern auf der Suche nach Luke war.

Versuchung

Am Abend stand er in Alec's Zimmer, suchte nach Worten.

„Du kannst nach Hause, dann bist du hier endlich raus und ich würde dich heute mitnehmen, wenn du das möchtest ... Ich wäre dir auch ganz dankbar, wenn du mal mit mir sprechen würdest, Alec“, sagte Luke laut und bestimmt.

Er schaute ihn an, Alec nickte zurück. „Ja, ich komme mit.“

Luke schaute verwundert, nickte: „Gut, dann zieh dich an, dann können wir los.“ Das Verhalten verwirrte Luke nun völlig.

Zwei Wochen vergingen. Luke war wenig zu Hause, versorgte dann schnell Alec und trieb sich an den Abenden meist bei seinem Liebhaber rum. Alec sprach mit Luke. Er redete nicht viel, sprach mit ihm auch über nichts Besonderes. Einen Abend brannte es ihm allerdings auf der Seele:

„Warum sagst du es mir nicht einfach?“

„Was denn?“

„Dass du einen Liebhaber hast, oder was auch immer du nebenbei so machst. Meinst du, ich merke das nicht. Du fasst mich ja nicht mal über das nötige Maß an. Du behandelst mich völlig kühl, wie ein Arzt seinen Patienten.“

„Ja, was soll ich denn sonst tun? Anfassen darf ich dich doch kaum ohne dass du völlig austickst!“, konterte Luke ärgerlich.

„Nichts. Aber das war mal anders. Mehr Wärme und ich habe mich nicht so gefühlt wie jetzt. Ich bin dir im Wege, ein Klotz am Bein.“

„Ach ich hab jetzt keine Nerven darüber zu diskutieren, ich muss zur Nachtschicht. Du bildest dir das ein, du hast Fieber.“

„Nein Luke. Daran ist sicher nicht das Fieber schuld. Das macht mich sowieso fertig. Ich kann mich kaum bewegen, mir tut alles weh.“

„Nimm deine Tabletten, bleib im Bett. Bis heute Abend.“

Luke schloss die Tür hinter sich und verließ die Wohnung. Alec blieb zurück.

Luke war durcheinander. Was sollte er tun? Seinem Lover eine Absage machen, hoffen dass Alec irgendwann mal wieder normal werden würde? Henk lief Luke gleich als erstes über den Weg und fragte im Vorbeigehen, wie es Alec ginge. Luke antworte ein kurzes - gut - und verschwand im Aufenthaltsraum, um sich seine Einsatzjacke zu holen. Kurz darauf ging auch gleich sein Pieper und er musste raus. Er hatte diese Nacht Dienst als Notarzt auf dem NEF. Ein Verkehrsunfall auf der Landstraße kurz vor Berlin.

Auf regennasser Fahrbahn waren zwei Fahrzeuge auf ungeklärte Weise ineinandergefahren. Zwei Schwerverletzte waren zu versorgen. Luke machte sich sofort an die Arbeit, die Rettungsassistenten reichten ihm alles Notwendige zu. Es galt die Verletzten zu stabilisieren, bevor die Feuerwehr sie aus den Wracks herausschneiden konnte.

Einer der Assistenten verstand Luke nicht, als er ihm eines der Medikamente aus dem Wagen holen sollte. Luke, unter Stress stehend, beschloss schnell selbst zum Auto rüberzulaufen und das betreffende Medikament zu holen. Er fand es schnell und wollte zurück zum Patienten eilen. Wilde Schreie aller Beteiligten hallten plötzlich über die Straße, mit quietschenden Reifen schoss ein weiteres Fahrzeug in die Unfallstelle. Zwischen den Polizeiautos und den Einsatzwagen der Feuerwehr hindurch, dabei diese teilweise rammend, erfasste das Auto Luke der meterweit über die Fahrbahn geschleudert wurde, bevor es zum Stillstand kam.

Der Regen prasselte währenddessen weiterhin sintflutartig auf die Unfallstelle ein. Luke lag Meter entfernt leblos am Boden. Einer der Rettungsassistenten rannte sofort zu ihm, während sich der andere um das nun weitere Opfer im Fahrzeug kümmerte. Die anderen Einsatzkräfte riefen sofort Verstärkung, die auch wenig später eintraf.

 

Henk war der Erste, der die Unfallopfer in der Klinik empfing. Er übernahm sofort den ersten Verletzten und führte die Behandlung fort, noch bevor er in das Gesicht blickte. Das tat er erst kurz darauf und erschrak als er unter dem blutüberströmten Gesicht die Person erkannte. Ein kurzes „Oh mein Gott, Luke!“ quälte er sich heraus und setzte alles daran ihn zu retten. Noch kurz vorher hatte er sich gewundert, warum man einen zweiten Notarzt zum Unfallort geholt hatte.

 

Die Polizei informierte Lukes Eltern, die sich sofort auf den Weg nach Berlin machten. Unter den Kollegen herrschte betrübte Stimmung. Henk stand dann vor Lukes Bett auf der Intensivstation und starrte ihn an, bevor Dr. Milikan den Raum betrat und ihm von hinten auf die Schulter fasste.

„Er wird schon wieder. Gut gemacht!“, besänftigte er Henk, der weiter geradeaus starrte.

„Ich weiß nicht. Es sieht echt nicht gut aus und das wissen sie genauso gut.“

„Er wird wieder. Malen Sie das alles nicht so schwarz. Sie behandeln ihn doch gut und wissen was zu tun ist.“

„Was nützt das, wenn sein Körper aufgibt?“

„Wird er nicht. Lassen Sie ihn noch ein wenig im künstlichen Koma und sobald Markus sein okay gibt, dass die Schädelverletzungen in Ordnung sind, holen wir ihn langsam zurück.“

„Bis dahin muss er das aber überleben.“

„Wird er schon. Kommen Sie, seine Eltern sind da. Erklären sie ihnen unsere Vorgehensweise. Sie wissen ja, beides Ärzte. Aber seine Mutter ist etwas aufgelöst, also vorsichtig.“

„Mhh in Ordnung.“ Henk ließ den Kopf hängen und machte sich auf den Weg zu den Eltern, die ungeduldig warteten. Nebenbei fragte er sich, wie lange sie ihren Sohn nicht gesehen hatten. Er führte sie zu ihm und erklärte den Ablauf der vergangenen Operationen, der Notfallbehandlung sowie das weitere Verfahren. Es war das erste Mal nach dem großen Streit, dass Lukes Eltern ihren Sohn wiedersahen. So hatte sich keiner ein Wiedersehen vorgestellt.

 

Henk vergaß Alec zu informieren. Zu angespannt war der vorherige Tag. Zu Hause fiel er nur noch ins Bett, nachdem er seiner Frau von den Vorkommnissen erzählt hatte. Alec wurde nach zwei Tagen nervös. Luke kam nicht mehr nach Hause, auf Anrufe reagierte er nicht, bis sein Handy schließlich ausgeschaltet war. War er bei seinem Lover? Er beschloss schließlich in der Klinik anzurufen und nach ihm zu fragen. Nun musste er mit jemand anderen sprechen. Da er die Durchwahl der Station hatte, hatte er gleich Henk am Telefon, den er an der Stimme erkannte.

„Henk? Hier ist Alec. Ich wollte ...“

„Gott Alec. Ich habe dich ganz vergessen in dem Stress hier. Ach du Schande.“

„Ich wollte nur wissen, ob Luke da ist?“

„Kannst du herkommen?“

„Wieso? Was ist denn mit Luke?“

„Nicht am Telefon. Kannst du kommen?“

„Nun sag mir doch was los ist!“

„Komm bitte her, Alec.“

„Gut. Mir geht es nicht so gut, aber ich komme hin.“

„Alles klar. Du weißt ja wohin. Ich bin noch ein paar Minuten da.“

„Mmh bis gleich.“

Alec zog sich schnell seine Jacke über und machte sich auf den Weg. Die ganze Zeit schwirrten ihm diverse Fragen im Kopf herum. Was war Schlimmes passiert, dass Henk ihm das am Telefon nicht sagen wollte? Er eilte sofort in die betreffende Station und fragte nach Henk. Ihm war unwohl. Zu viele fremde Menschen um ihn herum. Sie alle könnten ihm etwas tun.

„Er ist in einer Operation. Tut mir leid sie können jetzt nicht zu ihm“, war die einzige Antwort die er bekam.

„Und Luke, was ist mit ihm?“

Die Schwester verzog leicht das Gesicht und redete sich dann heraus „Warten sie doch auf Dr. Schulz“, meinte sie nur und ließ Alec stehen. Er setzte sich auf den Flur und wartete geduldig. Die Minuten schienen in Zeitlupe zu vergehen. Wohl war ihm nicht, auf diesen Fluren zu sitzen. Gerade die besten Erinnerungen verband er nicht mit der Klinik. Immer wenn jemand um die Ecke kam, blickte er auf in der Hoffnung Henk oder Luke zu erblicken. Die letzten Tage hatte er mit starkem Fieber im Bett verbracht auch heute fühlte er sich nicht gut und lehnte irgendwann seinen Kopf an die Wand bevor der nächste Fieberschub seinen Körper durchfuhr. Nach schier endlosem Warten tauchte Henk endlich auf und hockte sich vor Alec, der an der Wand gelehnt auf dem Stuhl verweilte und die Augen geschlossen hatte.

„Hey!“

Alec erwachte gleich wieder.

„Oh, dir geht’s wirklich nicht gut. Du hast Fieber. Hast du Medikamente dagegen, wie lange geht das schon?“

„Ist doch egal. Was ist mit Luke?“, fragte er im sicheren Abstand von Henk, der den Kopf senkte.

„Was ist los. Nun sag schon! Warum sagt mir keiner was!“, regte Alec sich auf.

Henk trat einen Schritt näher wollte ihm seine Hand auf die Schulter legen. Alec wich schnell zurück und starrte ihn an.

„Er ist auf der ITS im künstlichen Koma. Dir hat noch niemand etwas gesagt, oder?“

„Nein, wer denn auch. Was ist denn passiert?“ Alec fing an zu zittern, starrte Henk weiter ungläubig an.

„Bleib ganz ruhig, hörst du?“ Alec nickte eifrig wurde aber sichtlich aufgeregter.

„Er hatte einen Unfall. Während eines Notarzteinsatzes wurde er angefahren und schwer verletzt.“ Henk machte eine Pause, bevor er ruhig weiter sprach: „Er ist noch nicht ganz außer Gefahr. In den nächsten Tagen werden wir versuchen ihn wieder zurückzuholen. Also aus dem Koma und dann wird sich entscheiden, ob er alles gut überstanden hat. Die Tests sehen bisher gut aus, zumindest teilweise.“ Er schaute Alec an, der nun stetig nach unten blickte „Kipp mir jetzt nicht um hier. Willst du zu ihm?“

Alec schaute hoch, nickte kurz.

„Gut ich schau, ob seine Eltern weg sind. Dann gehen wir zu ihm. Okay? Bleibst du hier?“

Alec nickte. „Und wir sind im Streit auseinandergegangen.“

 

Als sie vor Lukes Bett standen, brachte Alec kaum ein Wort mehr heraus. Henk leitete ihn dann ein wenig und hielt ihn unter ständiger Beobachtung. Passte auf, dass er genug Abstand hielt.

„Okay. Komm, jetzt kümmern wir uns um dich. Du kannst ihm jetzt eh nicht helfen.“

„Nein, ich will bleiben“, antwortete er und fühlte sich sichtlich unwohl dieses Mal auf der anderen Seite zu stehen.

„Komm! Nutzt doch nichts, wenn du krank bist. Du darfst nicht auf der ITS bleiben. Du musst dich nachher um ihn kümmern, wenn er wieder wach ist. Nun komm schon.“

Alec folgte und ließ sich untersuchen. Er hatte erst Berührungsängste, ließ Henk dann aber gewähren. Henk glaubte auch die Ursache für das Fieber gefunden zu haben und brachte Alec dann schließlich nach Hause.

„Hör zu. Ich möchte dich nicht bei Luke sehen. Ich möchte, dass du dich ausruhst und gesund wirst. Außerdem sind seine Eltern die meiste Zeit da, ich glaube kaum, dass du denen unbedingt begegnen möchtest. Wenn es etwas neues gibt, werde ich dir Bescheid sagen, okay? Und wenn es dir schlechter geht meldest du dich bitte bei mir. Hier hast du meine Handynummer.“ Henk schaute ihn bei den Worten eindringlich an, überreichte ihn den Zettel mit der Nummer und verließ dann die Wohnung.

 

„Hey, hey, hey ganz ruhig liegenbleiben.“ Henk drückte Luke sanft runter, als er die Augen aufschlug und sofort versuchte aufzustehen. „Weißt du wo du bist?“

Luke stöhnte schläfrig, schaute Henk nur mit halb geöffneten Augen an.

„Erkennst du mich?“ Luke schüttelte leicht den Kopf. Kniff sofort die Augen vor Schmerzen zusammen. „SchSch. Kriegen wir alles wieder hin, keine Angst.“

Henk sichtlich froh, dass Luke endlich wieder wach war, teilte das sofort dem Chef mit, der gleich zu ihm kam. Luke erkannte keinen seiner Kollegen. Auch seine Eltern vorerst nicht. Henk ging am selben Abend bei Alec vorbei und informierte ihn über alles, im selben Zug schaute er nach seinem Gesundheitszustand, der sich verbessert hatte.

 

Lukes Liebhaber machte sich währenddessen natürlich auch Gedanken, wo sein Geliebter so plötzlich abgeblieben war und studierte Tag für Tag ausführlich den Polizeibericht. An alle internen Informationen zu kommen, war für ihn als Polizist ja kein Problem. Als er nichts herausbekam, schaute er nochmal alle Berichte durch und fand auch den des Unfalls, der Luke widerfahren war, den hatte er zuvor nicht für relevant gehalten.

Schockiert fuhr er während seines Dienstes gleich zur Klinik und machte sich auf die Suche. Er gab an, Befragungen zum Unfall durchführen zu wollen. Eine ahnungslose Schwester leitete ihn weiter.

„Wer ist das da bei Luke?“, fragte der Chefarzt, als er durch die Scheibe zu ihm hereinblickte.

„Ein Polizist, der ihn zum Unfall befragen wollte“, antwortete die junge Mitarbeiterin.

„Er ist dafür doch noch gar nicht ansprechbar. Was soll denn das?!“ Dr. Milikan schrie die Schwester ungehalten an und riss gleichzeitig die Tür auf um auf die ITS zu kommen.

„Entschuldigung, das wusste ich nicht.“ Sie versuchte sich eifrig zu entschuldigen, was aber missachtet wurde.

„Dann fragen sie nächstes Mal vorher!“, murmelte er und schloss die Tür.

 

Matthias stand vor Lukes Bett, der schlief. Dann kam Dr. Milikan plötzlich reingeschneit und fing sofort an auf ihn einzureden, während er sich in Lukes Richtung bewegte: „Was machen sie hier? Er ist nicht ansprechbar und braucht Ruhe. Ich bitte sie zu gehen!“ Währenddessen wurde Luke wach und etwas unruhig. Er krächzte einige Worte, die niemand verstand. Dr. Milikan schickte dem wortlosen Polizisten einen scharfen Blick entgegen „Gehen Sie! Er braucht wirklich Ruhe!“

„Ich wollte nur kurz ...“

„Bitte! Er erkennt sowieso niemanden und wird sich nicht erinnern. Das ist einfach zu früh, er ist vor kurzem erst aus dem Koma erwacht. Fragen Sie doch einen der Sanitäter oder ihre Kollegen, es haben doch alle gesehen. Ich weiß nicht, warum sie da mit ihm sprechen wollen.“

„Ich ... Entschuldigen Sie, ich werde gehen.“

Reumütig und traurig über Lukes Zustand verließ Matthias das Zimmer und eilte aus dem Gebäude, um an die frische Luft zu kommen. Dr. Milikan schaute währenddessen nach Lukes Gesundheitszustand. Luke war sichtlich bemüht wieder klarer zu werden.

„Wer war das?“, fragte er mit rauer, leiser Stimme.

„Nur ein Polizist, der dich befragen wollte. Kannst du mir sagen, wo du bist, wie du heißt?“ Dr. Milikan hatte Hoffnung, dass Luke sich vom künstlichen Koma schneller erholte, als gedacht. Sein Körper brauchte eine Weile um die Medikamente abzubauen, nur sein Kreislauf war noch nicht wieder ganz stabil. Er schaute mit glasigen Augen zu seinem Chef.

„Eigentlich an meinem Arbeitsplatz. Nur auf der falschen Seite“, versuchte Luke kurz zu grinsen. Sein Chef grinste zurück: „Alles klar, dann erkennst du uns auch wieder?!“

Luke nickte sachte. „Du weißt aber nicht, was passiert ist, oder?“

Er schüttelte leicht den Kopf „Absoluter Filmriss. Ich weiß nichts.“

„Kein Problem. Ruh dich weiter aus, bleib liegen. Komm gar nicht auf die Idee dich zu viel zu bewegen. Wir kriegen dich schon wieder auf die Beine.“

„Erzählen sie mir, was los war?“

„Jetzt nicht. Werd wieder richtig klar.“

„Schicken sie mir bitte Henk her? Ich muss mit ihm sprechen.“

„Nachher, er ist noch nicht da. Seine Schicht beginnt später. Jetzt schläfst du .“

Luke nickte und kniff ein wenig die Augen zusammen, als ihn der Schmerz seiner Verletzungen durchfuhr.

 

Im Laufe des Tages bekam Luke Besuch von seinen Eltern und von Henk. Den wollte er sprechen,weil er sich nach Alec erkundigte. Er beruhigte sich schnell, als er erfuhr, dass alles in Ordnung war.

Luke musste lange im Bett bleiben, da ihn der Unfall sichtlich mitgenommen hatte. Neben seinen Knochenbrüchen hatte er eine schwerwiegende Beckenfraktur, die erst wieder verheilen musste, bevor er mit einer langen Physiotherapie wieder beginnen konnte zu laufen.

 

Lukes Eltern meinten es nur gut, als sie sich auf den Weg zu seiner Wohnung machten, um ihm einige Kleidungsstücke zu holen. Seinen Schlüssel hatten sie vom Krankenhaus bekommen, als sie danach fragten. Henk hatte ihn aus Lukes Sachen rausgesucht und sich dabei nichts gedacht. Als sie die Tür aufschlossen bemerkten sie das Licht im Wohnzimmer und liefen irritiert den Flur entlang.

Alec saß im Sessel und schaute auf, als er das Türschloss hörte. Noch bevor er aufstehen konnte, standen Lukes Eltern in der Tür.

„Was machen Sie denn hier?“, kreischte seine Mutter.

„Wohnen?“

„Ja aber. Erst sorgen sie dafür, dass unser Sohn solch seltsame Einstellungen entwickelt und dann besetzen sie seine Wohnung. Das gibt’s doch wohl nicht!“

„Was mache ich? Ich besetze die Wohnung? Entschuldigung aber ich wohne hier.“ Alec hatte inzwischen das Buch zur Seite gelegt und war aufgestanden.

„Ich will, dass sie gehen“, mischte sich nun der Vater ein.

„Ich wohne hier. Ich weiß nicht was sie hier wollen, aber ich werde ganz bestimmt nicht gehen.“

Murrend sprach nun Lukes Mutter „Wir wollen nur Sachen für ihn holen.“

„Die kann ich ihm auch bringen“, meinte Alec, der versuchte in der Situation starkzubleiben. Die Mutter antwortete nicht und schaute nur verzerrt. Alec wurde weich „Ich zeige ihnen, wo seine Sachen sind“, meinte er dann und ging voran zum Schrank. Er stellte noch eine kleine Reisetasche dazu und verschanzte sich dann im Gästezimmer.

„Na hoffentlich hat der Unfall Lukes Gehirn wieder in die richtigen Bahnen gelenkt“, meinte sein Vater, als sie auf dem Flur standen und im Begriff waren zu gehen. Alec vernahm die Worte und saß nur mit offenen Mund da, bevor Lukes Eltern die Wohnung wieder verließen.

 

Alec war überglücklich, dass er endlich zu Luke durfte. Er stürmte in das Zimmer und umarmte den Liegenden so gut er konnte. Dabei flüsterte er ihm ins Ohr: „Mein Gott Luke, ich bin so froh, dass du lebst!“

Luke stöhnte leicht und versuchte Alec ebenso mit dem nicht gebrochenen Arm ein wenig zu umarmen.

„Nicht so stürmisch. Du tust mir weh“, wimmerte er kurz darauf auf. Alec ließ ihn sofort los, behielt aber seine Hand an Lukes rechten Oberarm.

„Entschuldige bitte. Ich bin bloß so heilfroh. Niemand sagte mir vorher etwas und Henk hielt mich immer hin!“

Luke grinste zurück: „Er hielt dich nicht hin, er wollte dich nur schützen.“

„Er erzählte mir erst zwei Tage später was passiert ist! Und dann durfte ich nicht zu dir!“

„Na, das hätte dir auch nichts gebracht, ich lag im Koma. Keine Angst Alec, alles okay. Ich werd wieder.“ Luke war noch sichtlich angeschlagen und müde. Auch fühlte er sich völlig mies, wenn er an die Situation dachte, in der Alec und er vor dem Unfall auseinandergegangen waren.

„Geht es dir gut? Zu Hause alles in Ordnung?“, fragte Luke etwas reumütig.

„Naja, mir geht es zumindest besser als dir. Zu Hause ja. Deine Eltern waren da. Ich komme klar.“

„Oh mein Gott. Ich ... ich wusste das nicht.“

„Ist ja okay. Ich habs überstanden. Sie haben mich angebrüllt und sich schrecklich aufgeregt, dass ich bei dir wohne und dass ich da war. Sie wollten nur Sachen für dich holen, haben sie die noch nicht gebracht?“

„Nein, sie waren noch nicht wieder hier. Es ist sowieso mehr ein Angeschweige, wenn sie mich besuchen. Mein Vater hält ganz großen Abstand. Er tut so, als hätte ich eine hochansteckende Krankheit. Das tut mir schrecklich leid, Alec!“

„Alles im grünen Bereich. Mach dir keine Sorgen, ich schaff das schon“, wiegelte er, fast über sich hinauswachsend, ab.

„Was machen deine Träume, du siehst etwas müde aus?“

„Alles in Ordnung“, log Alec, der seinen Luke nicht beunruhigen wollte. „Henk hat mir erzählt, was passiert ist. Mein Gott du hättest tot sein können!“

„Ja? Mir hat er noch nicht gesagt, was passiert ist und ich kann mich nicht erinnern. Alec ich bin verdammt müde. Entschuldige. Jetzt weiß ich, wie meine Patienten sich meistens fühlen. Die Physiotherapie ist verdammt anstrengend“, flüsterte Luke beinahe nur noch. Im selben Moment betrat Henk das Zimmer.

„So Alec, ich würde sagen du gehst. Luke braucht Ruhe.“

„Ja, haben wir schon besprochen, ich bin schon weg.“ Alec verließ zügig der Raum und machte sich auf den Heimweg. Henk blieb noch kurz und schaute nach Luke.

„Henk?“, krächzte Luke.

„Mmh?“, erwiderte der kurz.

„Erzähl mir doch bitte, was passiert ist. Ich kann mich an nichts erinnern. Das Letzte, was ich weiß ist, dass ich zur Arbeit gegangen war.“

„Ja gut. Wenn du es unbedingt wissen möchtest. Du solltest eigentlich lieber schlafen und ich erzähle dir das später.“

„Jetzt bitte!“

„Gut.“ Henk kontrollierte weiter die Medikamentenzufuhr und die Werte während er anfing: „Kurz nach deinem Schichtbeginn wurdest du zu einem Einsatz raus gerufen. Ein Verkehrsunfall mit zwei Verletzten, du fingst an die Personen zu stabilisieren und irgendwie brauchtest du ein Medikament, das die Sanitäter dir nicht reichen konnten. Dann bist du selbst los hast es aus dem NEF geholt und auf dem Weg zurück zu den Verletzten, erfasste dich ein Fahrzeug das in die Unfallstelle raste. Du wurdest über die Straße geschleudert und hast dir einen Wirbelbruch, verschiedene Frakturen und ...“

„Danke, ich weiß was ich alles habe. Ich bin nur gerade etwas schockiert. Warum fuhr der in die Unfallstelle? Was passierte mit ...“

„Der hatte einen Schlaganfall und trat das Pedal dadurch voll durch. Er rammte vorher noch einige Fahrzeuge, bevor er dich erwischte und am LKW der Feuerwehr zum Stehen kam.“

„Tot?“

„Ja. Für den kam jede Hilfe zu spät. Die anderen beiden haben es überstanden und du glücklicherweise auch. Wir hatten wirklich Angst. Das war gar nicht so einfach dich zu operieren. Ich meine man funktioniert so, wie wir es ja auch müssen. Aber wenn es um einen Freund geht. Das ist einfach eine ganz andere Situation.“

„Brauchst du mir nicht erzählen, ich kenne das. Ich hatte Alec oft genug unterm Messer.“

„So nun aber genug. Du musst schlafen. Morgen ist Aufstehen und Laufen angesagt und deine Eltern werden wohl wiederkommen. Da solltest du ausgeruht sein. Das wird anstrengend.“

„Gott ist das mies auf der Seite eines Patienten zu sein. Ich glaub, da bleib ich lieber Arzt!“, erwiderte Luke spöttisch. Henk lachte kurz und war im Begriff den Raum zu verlassen, als Luke sich nochmal zu Wort meldete: „Ach so, kannst du dir Alec bitte anschauen, wenn er das nächste Mal hier ist? Er meinte zwar es ginge ihm gut, aber ich sehe ihm an, dass es nicht so ist.“

Henk nickte und verließ das Zimmer.

Bedrohung

Als Alec nach Hause kam, nahm er gleich die Post aus dem Briefkasten mit nach oben. Er blätterte schnell die Briefe durch und fand darunter einen Brief an ihn gerichtet. Noch bevor er seine Jacke und Schuhe auszog, machte er sich daran den Brief zu öffnen. Der Absender verriet nichts Gutes, er kam vom Gericht.

Alec begann den Brief langsam auseinanderzufalten und las ihn sich durch. Er flüsterte sich selbst ein „Nein, nein, nein“ zu und setzte sich. Er dachte sich nur, warum immer alles auf einmal kommen musste und zog sich dann Jacke und Schuhe aus. Ihm schossen die Gedanken durch den Kopf, Luke konnte ihm nun nicht helfen und der Termin war bereits in einer Woche. Man wünsche, dass er auch komme. Er hatte das dringende Bedürfnis mit jemanden darüber zu sprechen. Aber mit wem? Erst jetzt merkte er, wie einsam er eigentlich war. Luke konnte er jetzt nicht mehr anrufen. Er nahm sich vor, ihn am nächsten Tag gleich morgens besuchen zu gehen. An diesem Abend setzte er sich nur vor den Fernseher und ließ sich berieseln. Immer darauf bedacht nicht weiter darüber nachzudenken. Alec ging dann relativ früh ins Bett, da er sehr müde war. Er schlief auch gleich ein, erwachte in dieser Nacht aber mehrmals schweißgebadet und gestresst. Er erinnerte sich wieder. Teilweise waren die Bilder so klar, als wäre es gestern erst gewesen. Er fand sich immer wieder in diesem Verschlag. Kurze Zeit nachdem man ihn dort eingesperrt hatte. Es war kalt und roch modrig. Durch den kleinen Spalt unterm Dach drang etwas Tageslicht. Er war schrecklich hungrig und sein Arm schmerzte nach der letzten Nacht. Als er versucht hatte sich gegen die Abartigkeiten zu wehren, drehte ihm der Typ den Arm dermaßen auf den Rücken, dass er ihn erst gar nicht mehr bewegen konnte. Noch hatte er die Kraft sich zu wehren und versuchte es auch vergebens. Jedoch wich diese Abwehr bald den Schmerzen und Schlägen.

„Was wollt ihr von mir. Lasst mich raus“, schrie er den anderen Typen an, der ihm etwas zu Essen brachte. Eine Antwort bekam er nie. Als er am nächsten Tag nach einem Arzt wimmerte, bekam er wieder keine Antwort. Er lag auf diesem alten Drahtgestell von Bett und versuchte nicht an den verletzten Arm zu denken. Es dauerte nicht lange bis wieder einer im Raum stand. Die kleine Lampe an der Tür des Raumes wurde angeschaltet, bevor sich die Tür öffnete. Alec saß zusammengekauert auf dem Bett und blickte panisch in Richtung Tür. „Na du kleiner Dreckskerl. Schauen wir mal, was wir heute mit dir machen werden“, meinte der große, etwas mollige Typ, der dann seine Zigarette in die Ecke warf.

„Lasst mich hier raus!“, schrie Alec.

„Wo denkst du hin“, lachte der Peiniger „Komm mir ma' her hier“, setzte er nach und zog Alec am Arm vom Bett weg. Der schrie vor Schmerzen auf und versuchte mit dem anderen Arm, den Typen wegzuschlagen, erwischte ihn auch im Gesicht und flüchtete Richtung Tür. Die war abgeschlossen worden und er trommelte verzweifelt dagegen. „Du wirst mich nicht noch einmal schlagen!“, schrie ihn der Peiniger an und legte ihm seinen Gürtel um den Hals. Er zog ihn fest zu und zog Alec von der Tür weg, dann begann er ihm wieder zu drohen „Und wenn du jetzt nicht brav mitmachst, zieh ich den richtig zu! Na, willst du das? Willst du das?“ Alec schüttelte nach Luft schnappend schnell den Kopf und ließ die Vergewaltigung still über sich ergehen.

Er wurde plötzlich wach und fand sich jetzt in Lukes Schlafzimmer wieder. Schwer atmend starrte er an die Decke. Es war still und dunkel im Raum. Nachdem er diese Erinnerung nun schon zum zweiten Mal hatte, versuchte er wach zu bleiben. Zu sehr stieg in ihm die Angst sich weiter zu erinnern.

Der nächste Morgen rückte näher und Alec beschloss seine Eltern anzurufen. Etwas zittrig wähle er die Nummer. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm helfen würden, wo sie ihn doch so abserviert hatten. Es klingelte und seine Mutter ging ans Telefon.

„Ich bins Alec, hallo“, begann er mit ängstlicher Stimme.

„Alec“, kam vom anderen Ende, danach schwieg sie. Er suchte passende Worte: „Ich weiß ja, dass ihr mit mir nichts mehr zu tun haben wolltet ...“

„Nein, das stimmt doch gar nicht! Alec, wir konnten doch nur nicht damit umgehen. Wir vermissen dich! Wie geht es dir denn?“

„Mmh, ich brauche Hilfe, Mama.“

„Was hast du denn?“ Sie hörte, wie verzweifelt sich ihr Sohn anhörte und fragte vorsichtig nach. Alec erzählte ihr von dem Brief und erzählte von Lukes Unfall. Seine Mutter war geschockt und sie wollte sofort los nach Berlin. Alec freute sich und machte sich kurz darauf aber auf den Weg zu Luke in die Klinik. Er fühlte sich furchtbar müde, versuchte sich aber zusammenzureißen. Seine Eltern hatte er zur Klinik bestellt, da er nicht wusste, wie lange er bei Luke bleiben würde.

Kurz nachdem er bei Luke angekommen war und mit ihm über die anstehende Gerichtsverhandlung gesprochen hatte, kamen auch schon Alec's Eltern. Die Wiedersehensfreude war groß und seiner Mutter standen die Tränen in den Augen. Luke freute sich sichtlich für Alec. Nach einem kurzen Wortwechsel ging die Tür zum Zimmer erneut auf und Lukes Eltern traten ein.

Luke schluckte kurz, Alec schaute etwas erschrocken, ein Schweigen kehrte in den Raum ein. Ein sehr bedrückendes Schweigen. Man hätte jede Stecknadel fallen hören.

 

„Was ist das hier? Versammlung der Abartigkeiten? Wie kannst du dieses Scheusal noch bei dir wohnen lassen? So wie er aussieht ,hat er sicher Aids oder eine andere dieser typischen Homo Erkrankungen“, polterte Lukes Mutter los und zeigte auf Alec.

„Na hören Sie mal!“, erwiderte Alec's Mutter völlig entrüstet.

Luke versuchte sich zu beherrschen und ruhig zu bleiben: „Scheusal? Er ist mein Freund!“

„Und was soll werden, wenn du raus kannst? Du brauchst jemanden der dir im Alltag hilft und dich zur Physio bringt bis du wieder fit bist. Du solltest mit uns mitkommen! Der kann dir doch nicht helfen. Kann sich ja scheinbar nicht mal selbst helfen.“

„Das kann Alec machen.“

„Der ist doch selbst ein Krüppel“, schoss nun der Vater, der sich bisher aus dem Gespräch herausgehalten hatte.

Luke atmete tief durch, bevor er versuchte zu antworten: „Könnt ihr bitte gehen? Sonst rege ich mich zu sehr auf und das dankt mir mein Kreislauf zurzeit nicht. Ich will nicht, dass ihr so über ihn redet. Akzeptiert doch einfach, dass er zu mir gehört! Und wenn ihr das nicht akzeptieren könnt, möchte ich euch nicht mehr sehen! Wie könnt ihr euch nur so verhalten?“

Niemand machte Anstalten zu gehen.

„Junge werde doch mal vernünftig! Vielleicht solltest du noch ein CT machen lassen, ob auch wirklich alles in Ordnung ist! Und Sie ...“, schrie sie und wandte sich an Lukes Eltern, „... Ihr verruchter Sohn ist Schuld daran, dass unser Sohn der Meinung ist, er müsse sich in einen Mann verlieben. Verführt haben muss er ihn! Er wäre doch von allein nicht auf so absurde Ideen gekommen. Das hier wäre doch alles sonst gar nicht passiert! Er hätte die Stelle in Stuttgart im Krankenhaus angenommen und hätte den Unfall nie gehabt!“

„Was hat denn das damit zu tun. Hören Sie doch auf uns zu beschimpfen.“

Luke begann zu zittern, merkte wie sich sein Blutdruck einem Wert näherte der ihm in seinem Zustand gefährlich werden könnte. Alec sagte nichts, blieb an Lukes Seite zwischen ihm und dem Fenster stehen. Die beiden Elternpaare beharkten sich lautstark bis Henk zur Tür hereinkam. Der hatte auf dem Flur den Lärm gehört, als er an der Tür vorbei kam. Eigentlich war er gerade auf den Weg zum Feierabend gewesen.

Er stauchte schnell die Streithähne zusammen und schickte alle raus. Als Alec Anstalten machte hinterherzugehen schaute er ihn nur kurz an und meinte „Und du, bleibst hier!“

Die Eltern schmiss er förmlich raus und ging kurz mit auf den Flur um sie zu maßregeln „Hier wird nicht rumgebrüllt. Ich brauche Ihnen wohl kaum erklären, dass wir in einem Krankenhaus sind und die Leute hier Ruhe brauchen.“ Dann wandte er sich Lukes Eltern zu „Akzeptieren sie es doch einfach. Seien Sie doch froh, wenn er glücklich ist“, sagte er, drehte sich um und ging ins Zimmer.

„Alles ok. Wieder beruhigt?“, fragte er Luke schnell.

„Nein, mir ist noch schwindelig“, meinte er und zitterte noch immer leicht am ganzen Körper.

„Wird gleich wieder. Komm erst einmal wieder richtig zur Ruhe. Die Situation war eben das Letzte, was du gebrauchen konntest.“

Alec saß noch immer schweigend in der Ecke, völlig irritiert von dem, was da eben passiert ist.

„Du kommst mit mir mit, Alec“, meinte Henk und fasste ihm auf die Schulter, um ihn sachte in Richtung Tür zu schieben.

Er kam sich vor, wie ein Verbrecher der abgeführt wurde, als sie auf den Flur traten und er zwischen den beiden Parteien, Lukes Eltern und seinen Eltern, zwischendurchliefen. Henk führte ihn in einen Behandlungsraum.

„Schlecht geplant, Alec.“

„Ich konnte doch nichts dafür, ich wusste doch nicht, dass sie kommen würden!“

„Ist gut, reg dich nicht auf.“ Henk war völlig genervt. Alec saß auf der Liege und ließ sich von ihm untersuchen.

„Was soll das werden?“, fragte Alec nur vorsichtig.

„Dir geht’s offensichtlich nicht so gut und ich versuche herauszufinden warum. Hast du was dagegen?“

Alec war völlig erstaunt über die miese Laune und schwieg.

„Nimmst du deine Medikamente regelmäßig?“

„Ja.“

„Gut, dann kriegst du das hier noch dazu. Eine davon Abends.“

Alec nahm ihm die Medikamentenschachtel ab und schaute etwas argwöhnisch drauf.

„Das ist ein Schlafmittel“, stellte er irritiert fest.

„Richtig, hast du mal in den Spiegel geschaut? Wie lange hast du nicht ruhig geschlafen und du musst mal wieder richtig schlafen. Also bitte. Man so spät schon, ich muss mal schnell telefonieren.“ Henk drehte sich zum Telefon, als Alec aufstehen wollte, ermahnte er ihn sofort: „Du bleibst sitzen!“ Alec schluckte, setzte sich reumütig wieder auf die Liege und lauschte dem Telefonat:

„Hallo Schatz. Kannst du bitte Sophia vom Schwimmen abholen und unseren Sohn vom Bastelkurs? … Nein, ich schaffe es wieder nicht ... Nun reg dich doch nicht auf, es tut mir leid, ich hatte noch Patienten … ja ich versuche es ... in einer Stunde etwa. Bis dann!“ Henk seufzte tief und hängte auf.

„Zurück zu dir!“, meinte er, als er sich wieder umdrehte.

„Du hast Kinder?“, fragte Alec schnell.

„Ja zwei. Meine Frau ist zurzeit ein wenig sauer, da ich so selten zu Hause bin. Du weißt ja: Luke ist krank und noch ein Kollege, da stehen Überstunden an. Und dann machst du noch son Mist hier mit mir.“

„Ich wusste doch nicht ...“

„Ist ja gut, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Es ist nur für Luke nicht gut, zuviel Aufregung. Der soll schnell wieder auf die Beine kommen. Und woran liegt dein Schlafmangel? Luke ist über den Berg, er wird wieder, da brauchst du dir keine Sorgen machen.“

„Nein, das ist es nicht.“

„Was dann?“

„Ist egal. Ich möchte nicht drüber reden.“

„Mmh hör zu, willst du vielleicht mal einen Abend mit zum Essen kommen?“

„Nee, du verbringe mal die wenige freie Zeit mit deiner Familie.“

„Ja, na ich meine ja, bei mir zu Hause. Ich lade dich ein. Du bist doch Abends eh hier Luke besuchen, ich habe gegen 19 Uhr Feierabend, dann kann ich dich mitnehmen.“

„Ich weiß nicht.“

„Du hast doch sicher eh nichts vor. Also bis morgen! Du darfst heute nochmal kurz zu Luke. Ich möchte ansonsten niemanden mehr in seinem Zimmer haben. Lass uns gehen. Ich muss eh dort vorbei zum Ausgang.“

Die beiden machten sich auf den Weg zurück. Auf dem Flur vor Lukes Tür standen nur noch Alec's Eltern. Henk ging wortlos vorbei. Alec sagte ihnen nur kurz, dass er noch einmal zu Luke wolle und verschwand im Zimmer.

Luke würdigte ihn nur eines kurzen Blickes.

„Es tut mir leid Luke!“, kam Alec ihm sofort entgegen.

„Hör auf dich zu entschuldigen. Das ist einfach blöd gelaufen. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Sind sie weg?“

„Deine Eltern?“

„Ja.“

„Ja, sind sie.“

Luke nahm die Antwort hin, immer von Alec beobachtet, der nun sah dass eine Träne die Wange seines Freundes herunter rollte.

„Luke ...“, sagte Alec einfühlsam und streichelte ihm kurz die Wange.

„Ist schon gut, geh bitte mit deinen Eltern heim. Sie begleiten dich doch zu dem Gerichtsverfahren? Es ist schön, dass sie hier waren. Ist bei dir alles ok? Ich würde dir so gerne helfen.“ Luke sprach schnell und wand sich aus der zerbrechlichen Situation schnell heraus.

„Mach dir mal um mich keine Sorgen. Ich komme schon klar. Komm du wieder auf die Beine.“

„Das kann noch dauern. Vorhin haben sie mir gesagt, dass sie nochmal operieren müssen. Zwei Mal wahrscheinlich noch. Die Röntgenbilder waren mies. Ich will dich nicht rausschmeißen, ich genieße es, dass du da bist, aber ich bin völlig geschafft und das nur vom Rumliegen“, seufzte er leise. Alec küsste ihn auf die Wange und ging leise heraus. Er ging mit seinen Eltern an diesem Abend noch Essen. So konnten die drei sich unterhalten und Alec verstand allmählich, was damals in seine Eltern gefahren war, als sie ihn sozusagen abgegeben haben.

 

Die Tage bis zur Gerichtsverhandlung vergingen schnell. Vorher war noch einiges zu erledigen, was Alec allein meisterte. Der Einladung zum Essen war er bisher nicht gefolgt.

Am Tag des Gerichtsverfahrens klingelte morgens das Telefon. Alec war gerade aufgestanden und ging verwundert zum Telefon. Sollten es seine Eltern sein, die in letzter Minute absagten? Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, erst als er eine zweite von den Schlaftabletten nahm, gelang es ihm etwas Ruhe zu finden. Nun war er noch immer schrecklich müde, was er sich am Telefon auch anmerken ließ, als er ran ging.

„Hey mein Kleiner! Ich wünsche dir alle Kraft für heute!“

„Luke?! Oh, hey! Ich danke dir! Das ist ja eine Überraschung.“

„Schön, dass du dich freust. Du packst das schon heute, wann geht es los?“

„Gegen zehn. Meine Eltern holen mich nachher ab.“

„Das freut mich. Ich warte auf meinen Medi- Cocktail und dann geht’s in den OP.“

„Ach je, das war ja auch heute. Wird es lange dauern?“

„Na ja wenn nichts dazwischen kommt so etwa eine Stunde. Nichts Dramatisches. Ich weiß was ich machen würde, ich hoffe dass meine Kollegen das genauso machen und dass nichts schiefgeht.“

„Das ist sicher Routine für eure Ärzte“, lachte Alec etwas hämisch. „Weißt du noch, so hast du mich immer beruhigt, alles Routine.“

„Lach nicht Alec, du hättest dich ja sonst nicht operieren lassen.“

„Weiß ich doch.“

„Oh sie kommen um mich zu holen. Alec halt die Ohren steif. Wir sehen uns heute Abend?“

„Ja! Alles Gute!“

„Dir auch!“

Das kurze Gespräch zauberte Alec ein Lächeln auf das Gesicht, er hatte nicht mit seinem Anruf gerechnet.

Seine Eltern standen sehr bald vor der Tür, um ihn abzuholen. Das Gerichtsverfahren ging pünktlich los.

Es waren inzwischen drei Täter, die man gefunden hatte. Der erste weigerte alles zuzugeben. Eigentlich waren die Beweise klar, aber er versuchte sich herauszuwinden. Alec schaute kaum nach vorn eher nach unten und hörte sich das Geschehen an. Er konnte sich seine Peiniger nicht ansehen. Er atmete einige Male tief durch bevor er aufstand und mitten in der Verhandlung im schnellen Schritt den Gerichtssaal verließ. Alec's Vater schaute kurz verwirrt, bevor er seinem Sohn folgte.

Er holte ihn fast ein und fasste ihn von hinten an die Schultern, „Alec bleib stehen!“

Alec riss sich los, rannte den Flur entlang bis zur Toilette und musste sich übergeben bevor er endgültig in die Knie ging. Er verkroch sich in die Ecke, sein Gesicht war mit Tränen überlaufen. Sein Vater versuchte ihn zu beruhigen und nahm seine Hand. Es dauerte ein wenig bis Alec wieder antworten konnte. Seine Mutter stand inzwischen auch dort und neben ihr noch eine Frau.

Alec schaute panisch um sich „Papa ich will hier weg, ich kann nicht mehr! Papa, Papa! Wo ist Luke?“, weinte er und krallte sich im Arm seines Vaters fest. Er war völlig verzweifelt und wurde kurzatmig. Versuche ihn zu beruhigen schlugen fehl. Die unbekannte Frau kniete sich hin.

„Es ist alles in Ordnung, niemand wird ihnen etwas tun.“ Auch ihr Zureden half kaum. Zwischendurch fragte sie noch schnell die Mutter, ob er etwas genommen hätte. Sie verneinte. „Dann ist es die Aufregung, der Arme“, meinte die Ärztin noch und tastete sich schließlich langsam vor bis sie seinen Arm hatte und eine Beruhigungsspritze setzen konnte. Sie machte das so geschickt, dass Alec davon kaum Notiz nahm.

„Nehmen sie ihren Sohn mit nach Hause. Lassen sie ihn jetzt nicht allein“, meinte die Ärztin.

Der Polizist der herangeeilt war, mischte sich nun auch ein: „Ich denke die Verhandlung kann auch ohne ihn weiter geführt werden. Das meiste ist bewiesen.“

Seine Mutter nickte eifrig und bedankte sich bei der Ärztin, die von der Polizei im Vorfeld dazugezogen wurde. Sein Vater half ihm auf und stützte ihn ein wenig, als sie zum Auto gingen. Er war jetzt viel ruhiger fast schläfrig geworden.

Matthias hatte die Situation aus sicherer Entfernung beobachtet, in seiner Dienstkleidung fiel er dort nicht auf. Er hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie er sich Luke wieder nähern könnte. Er hatte nach dem Unfall nicht wieder mit ihm sprechen können. Als er das letzte Mal in seiner Nähe war wurde er ja im schroffen Ton davongejagt. Er musste ihm aber irgendwie wieder näherkommen. Am Abend beschloss er zum Krankenhaus zu fahren in der Annahme, dass er Luke allein antrifft. Alec würde wohl kaum da sein.

 

Er hatte sich schnell durchgefragt und das Zimmer gefunden. Er ging leise herein und schaute neugierig Richtung Bett. Es schien Luke zu sein, aber er reagierte nicht. Matthias tastete sich vorsichtig vor und sprach Luke an. Der schlug dann auch die Augen auf und schaute verschlafen in Richtung der Stimme.

„Matti?“, fragte er verschwommen.

„Ja.“

„Was machst du denn hier?“

„Ich wollte schauen, wie es dir geht. Ich war schon mal hier, da wurde ich weggeschickt.“

„Das wusste ich gar nicht. Entschuldige aber ich bin nach der OP heute sehr geschafft.“

„Kein Problem. Ich wollte dich nur sehen. Ich vermisse dich.“

„Hör auf damit.“

„Wirklich.“

„Hör bitte auf. Das kann nicht weitergehen, ich tue Alec Unrecht. Wir müssen Schluss machen Matti. Bis ich wieder auf die Beine komme, findest du doch eh was Besseres.“

„Bist du verrückt Luke? Ich habe mich in dich verliebt. Du kannst jetzt nicht einfach Schluss machen. Das geht nicht! Was erwartest du denn von deinem Alec? Der ist psychisch doch total kaputt, was willst du damit? Bei der Gerichtsverhandlung heute ist er zusammen gebrochen.“

„Es reicht, geh bitte.“ Luke begann sich aufzuregen, schloss die Augen. Er war nicht wieder ganz auf der Höhe und konnte sich jetzt nicht damit auseinandersetzen. Matthias versuchte weiter auf ihn einzureden und Luke angelte unbemerkt schnell nach dem Hilfe Knopf. Kurz darauf stand Henk im Zimmer, der gerade seine Schicht angetreten hatte.

„Wer sind sie denn?“, fragte der gleich entrüstet, als er Matthias erblickte.

Ohne eine Antwort abzuwarten schickte er ihn sofort raus und sprach kurz mit Luke. Matthias war völlig perplex. Wenn er Luke so nicht haben konnte, musste er eben Alec aus dem Weg schaffen.

 

„Wer war das denn Luke und was ist los?“

„Nichts, alles ok. Ich brauchte nur mal Hilfe, er wollte nicht gehen und ich fühle mich noch nicht so dolle.“

Henk schaute zu Luke und setzte sich dann kurz auf die Fensterbank. Luke verfolgt seine Schritte schaute zu ihm.

„Aber mit dir ist irgendwas, oder?“

Henk winkte ab „Ach alles ok, ich brauche nur eine kurze Pause. Ich will dich jetzt nicht belasten, du musst dich noch ausruhen nach der OP.“

„Ich doch alles planmäßig verlaufen, oder?“

„Hat mit dir noch keiner gesprochen?“, fragte Henk kurz. Luke schüttelte den Kopf. „Alles gut, ja. Dein Bein sieht gut aus und deinen Rückenwirbel konnten wir auch nochmal richten. Alles gut. Nun geht nur die Arbeit für dich los. Der hatte dich ganz schön erwischt bei dem Unfall, mein Lieber. Wir sind echt froh, dass du das überlebt hast und nichts zurückbehältst. Was bist du da auch rumgerannt. Warum warst du nicht beim Patienten?“

„Ich weiß es nicht, ich kann mich an nichts erinnern. Keine Ahnung. Das erste was ich wieder weiß, war, dass ich hier war. Ansonsten wärs wahrscheinlich ein anderer gewesen, den es erwischt hätte.“ Luke fasste sich kurz an die Stirn.

„Alles ok?“, schnellte Henk vom Fensterbrett.

„Setz dich wieder, alles gut. Die Narkose war nur ... naja war zu krass, Albträume. Wer hat die Anästhesie gemacht?“

„Mona. Sie hat doch vorher mit dir gesprochen!?“

„Ach stimmt. Entschuldige, so ganz bin ich noch nicht wieder bei der Sache. Ich kannte sie gar nicht.“

„Nein, sie kam ja auch erst, kurz nachdem du schon außer Gefecht warst, an die Klinik.“

„Ok, deshalb kannte ich sie nicht. Dann werden wir sie in Zukunft ja öfter sehen. Sag ihr, dass die Narkose Mist war! Nun sag mir, was mit dir los ist?“

„Ach, alles gut.“

„Henk. Ich bin zwar noch nicht ganz bei Sinnen, aber ich merke doch, dass dich was bedrückt. Du hast Alec zum Essen eingeladen richtig?“

„Ja habe ich, ich dachte ich tue ihm mal was Gutes, da hat er ein bisschen Gesellschaft mit meiner Familie. Aber er scheint nicht zu wollen.“

„Ja, er ist da recht zurückhaltend. Rückst du jetzt damit raus, was los ist?“

„Es ist Mona“, antwortete Henk ganz kurz.

„Was ist mit Mona? Du meinst die Anäthesistin?“, hakte Luke zielsicher nach. Henk schaute nur zum Fenster raus und verzog den Mundwinkel. Luke schaltete recht schnell.

„Sag mir jetzt nicht, es ist das was ich denke. Mensch du hast Familie und Kinder. Mach nicht solchen Blödsinn.“

Henk zuckte kurz mit den Schultern und starrte weiter hinaus und begann zu sprechen. „Weißt du, das hat sich so ergeben. Ich wollte das gar nicht. Ich weiß nicht, aber. Du weißt ja, sie ist noch nicht lange hier und ich hab mich da irgendwie zu Anfang etwas sehr an sie geheftet. Das ergab sich dann einfach so.“

Luke stöhnte als er die Worte vernahm. „Mach nicht so einen Scheiß. Du gefährdest deine Ehe.“

„Ja, aber weißt du ...“

„Ja ich weiß, ich hatte ähnliches ...“

Nun schaute Henk äußerst interessiert zu Luke. „Was meinst du denn?“

„Der Typ der eben hier war. Das war ...“ Henk zog die Augenbrauen hoch und schaute weiter aufmerksam zu Luke, der ruhig weiter sprach, „... na ja mit dem habe ich Alec betrogen. Kennengelernt hatte ich ihn im Einsatz. Erinnerst du dich noch, als Alec das zweite Mal entführt wurde? Da haben wir ihn doch mit Polizeieinsatz rausgeholt. Ich bin gleich zu ihm gerannt, als ich ihn dort liegen sah, und hab angefangen ihn zu versorgen. Matthias war als Polizist bei der Aktion dabei und kam mir gleich nach. Damals brüllte ich ihn an, er solle schnell eine Decke holen und den RTW rufen und er half mir Alec's Kopf ein wenig zu halten. Ich hatte echt Angst um Alec, der war so was von apathisch und abwesend und an sich verletzt.“

„Aha und in dem Moment hattest du Zeit dich zu verlieben?“

„Nein, nein. Der kam später nochmal auf mich zu. Angeblich wollte er noch Infos fürs Einsatzprotokoll. Das war aber einige Zeit später, da ging es Alec schon wieder besser. Na ja und dann hat es sich so ergeben. Verliebt bin ich nicht.“

„Weiß Alec davon?“

„Das ist es ja. Er hat es mitbekommen. Das ist meine letzte Erinnerung, die ich habe. Ich habe mich mit ihm gestritten, war patzig zu ihm und bin dann zur Arbeit. Dann kam der Unfall. Ich habe da ein wenig drüber nachgedacht. Was wäre gewesen, wenn ihm wegen irgendetwas was zugestoßen wäre? Weißt du was ich mir für Vorwürfe gemacht hätte? Aber gut, ich war das Schwein, ich habe ihn betrogen.Und ich bin glücklich, dass er mich trotzdem noch besuchen kommt. Er scheint mir verziehen zu haben, was ich nicht verstehen kann. Wir haben nicht wieder darüber gesprochen. Ich weiß noch wie eifersüchtig ich war, als ich dachte, er hätte was mit diesem Raphael gehabt. Ich habe mit Matthias eben Schluss gemacht. Ich liebe ihn auch nicht, das war nur ...“, er machte eine kurze Pause, „... nur Sex. Das was ich halt von Alec nicht kriegen kann. Der hat zu viel erlebt. Manchmal schaffte ich es ja gerade so ihn nur in den Arm zu nehmen, ohne dass er ausrastete.“ Erst jetzt merkte Luke, dass er zu weit ausgeholt hatte, soviel wollte er Henk gar nicht erzählen und wechselte schnell „Naja du weißt was ich meine. Mach lieber schnell Schluss, das bringt nichts. Wenn deine Frau das erfährt ... Ich glaube das ist es nicht wert, Henk.“

„Ja weißt du meine Ehe war in letzter Zeit nicht so einfach. Da kam Mona gerade ins Spiel. Und meine Frau lüge ich an und meine die Arbeit würde mich so in Anspruch nehmen. Luke ich weiß ja auch nicht.“

„Beende es, bevor es zu spät ist!“

Die beiden wurden jäh aus dem Gespräch gerissen, als eine Schwester das Zimmer stürmte, die auf der Suche nach Henk gewesen ist und ihn rauszitierte.

Nachspiel

Alec wollte sich eigentlich am Abend in Richtung Berlin begeben. Durch die starken Medikamente schlief er allerdings länger als erwartet und blieb über Nacht bei seinen Eltern. Seine Mutter weckte ihn zum Frühstück, was er erschrocken hinnahm.

„Oh, so spät? Was war gestern? Ich wollte doch zu Luke.“ Alec konnte die Situation noch nicht genau einordnen. Warum war er nun hier?

„Du hast durchgeschlafen, nachdem wir dich gestern ins Bett gebracht hatten.“

„Ich war auf einmal so müde.“

„Du hast eine Beruhigungsspritze bekommen, nachdem du rausgerannt warst. Dann ist das kein Wunder. Es war zur Sicherheit eine Ärztin mit im Gericht.“ Alec's Mutter setzte sich auf die Bettkante. „Es ist vorbei mein Sohn, die Typen haben endlich ihre Strafe.“

Ein Schweigen kehrte ein, bevor Alec das Wort ergriff: „Ihr habt nicht damit gerechnet, dass ihr mich je wiederseht oder?“

„Nein Alec“, stammelte sie und sprach leise weiter, „Du warst plötzlich weg. Die wollten dich erst gar nicht suchen. Als sie dann doch damit begannen und wir uns an die Presse wandten, wurde alles eigentlich nur noch schlimmer. Jede Spur die sie hatten, erweckte Hoffnung, die bald wieder versiegte. Keiner hatte dich gesehen, irgendwann fand man dein Handy aber das war es dann auch schon. Du warst wie vom Erdboden verschluckt. Dann gaben sie auf dich zu suchen. Wir mussten dann akzeptieren, dass du nie wiederkommen würdest und vermutlich umgebracht wurdest.“ Alec's Mutter weinte inzwischen, sprach aber weiter „Und dann stand plötzlich wieder die Polizei vor der Tür. Wir erwarteten die endgültige Nachricht, dass sie deine Leiche gefunden hätten. Statt dessen standen sie da und meinten sie hätten dich gefunden. Du wärst in Berlin im Krankenhaus, also sie vermuteten, dass du es bist. Da warst du schon einige Tage dort, aber noch immer nicht ansprechbar. Glauben konnte ich das damals nicht, bis ich dich dann sah.“ Sie machte wieder eine Pause, Alec schaute zu ihr. Wartete geduldig. „Aber du warst dann so verändert, weißt du. So zerbrechlich. Du bist es noch immer. Und gestern wusste ich schon wieder gar nicht, wie ich reagieren sollte. Ich habe dich so anders in Erinnerung, so stark immer gut drauf. Ich möchte nur, dass du vielleicht auch verstehen kannst, warum wir damals den Brief an Luke schrieben. Er kann damit umgehen. Er kannte dich vorher nicht und er ist Arzt er kann dir helfen, wenn was ist. Ich war etwas überfordert, ich hatte doch deine Nervenzusammenbrüche mitbekommen. Und wenn man als Mutter schon nicht mehr weiß, was man machen soll ...“

„Ist ok Mama. Ich verstehe das schon. Meine Schwester war schon weg und ich nicht mehr normal. Das ist sicher schwer“, bemerkte Alec kalt.

„Alec, so meine ich das doch nicht.“

„Nein, es ist wirklich in Ordnung. Luke hat sich gut um mich gekümmert. Wie geht es Sabrina?“

„Ich weiß nicht. Ich habe nichts von ihr gehört. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich sie erreichen sollte. Sie war zu Omas Beerdigung da. Wir haben nicht gesprochen. Sie fragte aber nach dir.“

„Ihr seid aber auch starrsinnig. Und du hast ihr nicht geantwortet?“

„Alec was sollte ich denn sagen? Du warst schon wieder verschwunden und keiner wusste, wo man dich finden würde! Komm jetzt, Frühstück ist fertig“, brach sie barsch das Gespräch ab und erhob sich von der Bettkante.

„Weiß sie überhaupt, dass ich noch existiere? Sie wusste nicht einmal, dass ich weg war oder?“

Alec's Mutter schüttelte nur schnell ihren Kopf und verließ das Zimmer. Ihr Mann wartete bereits unten am Tisch. „Alles ok mit Alec?“

„Ja ihm geht es gut, er kommt gleich.“

„Was ist denn los mit dir?“

„Er hat nach Sabrina gefragt.“

Der Vater verzog nur das Gesicht und antwortete nicht. Das Frühstück verlief dann ohne weitere Gespräche, Alec bedankte sich und machte sich auf den Weg nach Berlin. Er war etwas überwältigt von der Kälte, die plötzlich wieder herrschte. Während der Fahrt machte er sich Gedanken, wie er seine Schwester finden konnte. Sie ist damals nach einem Streit mit den Eltern ins Ausland gegangen. Keiner weiß wohin und seitdem sprechen die Eltern nicht mehr mit ihr. Kurz nach ihrem Weggang wurde Alec entführt.

Er machte sich, nachdem er in Berlin ankam, sofort auf den Weg zum Krankenhaus und ging zielsicher auf Lukes Zimmer zu. Als er die Tür öffnete war niemand im Raum, das Bett war leer, auf dem Flur war niemand zu sehen. Er zog die Stirn kraus und schaute nochmals verwirrt in die Runde.

„Kann ich helfen?“, fragte dann eine Schwester, die eben den Flur entlang kam und den Verwirrten bemerkte. „Ja, ich suche Luke Franklin. Ich dachte ...“

„Jaja sie sind schon richtig. Luke ähm Herr Franklin ist gerade wegen einer Untersuchung weg. Am Besten ist sie warten einfach hier. Er müsste in zwanzig Minuten wieder hier sein. Wie ist ihr Name, dann sage ich ihm, dass sie hier sind ich muss eh in die Richtung.“

„Ich bin Alec“

„Wie weiter?“

„Wiek, bei Alec weiß er schon wer.“

„Alles klar“, verabschiedete sie sich und ging den Flur herunter. Alec setzte sich auf einen der Stühle dort und wartete geduldig.

Nach ungefähr einer halben Stunde brachte ein Pfleger Luke zurück. Alec folgte gleich ins Zimmer und wartete im Hintergrund bis der andere den Raum verlassen und die Tür geschlossen hatte.

„Komm her Kleiner!“, meinte Luke und winkte ihn heran, er umarmte ihn so gut er konnte. „Wo warst du gestern? Was ist passiert und wie ist es ausgegangen?“

„So viele Fragen auf einmal“, bemerkte Alec und setzte sich zu seinem Freund „Gestern, ich weiß es nicht. Ich war nicht bis zum Ende da. Meine Eltern waren mit.“

„Was war los?“, hakte Luke nach und griff nach Alec's Hand. Der gab sie ihm und ließ sich von Lukes Wärme zum weitersprechen animieren.

„Ich habs nicht mehr ausgehalten, mir wurde ganz schlecht und ich bin rausgerannt. Dann weiß ich nicht weiter. Meine Mutter meinte, die Ärztin, die vor Ort war, hätte mir dann eine Beruhigungsspritze gegeben. Wach geworden bin ich heute früh zu Hause in Neuruppin. Mir geht’s aber gut, alles in Ordnung. Es war schon schön mal wieder bei meinen Eltern zu sein.“

„Aber? Du wirkst nicht so glücklich.“

„Nein. Nichts aber. Meine Mutter kommt nur nicht damit zurecht, dass ich mich verändert habe.“

„Ich weiß, sie hat damals noch mit mir gesprochen, nachdem dieser Brief kam. Ich habe ja versucht ihr das zu erklären. Aber irgendwie klappte das nicht. Ich sollte dir damals von dem Gespräch nichts sagen.“

„Ich weiß nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll.“

„Das kann ich verstehen, Kleiner.“

Damenbesuch

Als Alec zu Hause war, machte er sich über Lukes Laptop her. Er hatte den ganzen Tag an seine Schwester gedacht. Es war nicht das erste Mal, dass er versuchen wollte sie zu finden, aber er beschloss es nochmals zu versuchen. Er suchte sie in diversen sozialen Netzwerken, in Foren und überall wo er meinte sie finden zu können. Alec hatte erst jetzt gemerkt wie einsam er eigentlich war. Er hatte niemanden, dem er seine Sorgen erzählen konnte. Mit Luke konnte er zwar über alles sprechen, aber er vertraute ihm nicht mehr voll. Die Tatsache, dass Luke ihn betrogen hatte oder noch immer betrügt, hatte eine Kerbe ins ohnehin schon zerbrechliche Vertrauen geschlagen. Alec gab die Suche nach einigen Stunden schließlich auf.

Die Tage zogen ins Land und er suchte sich eine Beschäftigung nebenbei, da er Luke nicht weiter auf der Tasche liegen wollte und ihm die Decke auf den Kopf fiel. Luke besuchte er sehr oft und versuchte ihm bei seinen Fortschritten zu helfen, so weit er das konnte. Er kam langsam wieder auf die Beine.

Nach einigen Tagen machte sich Alec in Internet nochmal auf die Suche nach seiner Schwester. Er hatte eine Email über seinen Facebook Account bekommen. Eigentlich hatte er sich nur mit dem Namen Alec angemeldet, um nach Sabrina zu suchen. Mehr hatte er nicht ausgefüllt.

Die Nachricht war sehr kurz. Sie kam von einem Account namens Bienchen, kein Nachname und kein realer Name waren angegeben, keine weiteren Daten. Die Nachricht bestand aus einem Wort, einer Frage: „Alice?“

Alec erschrak ein wenig. Seine Schwester hatte ihn früher immer Alice genannt. Sie machte sich jedes Mal einen Spaß daraus und er hasste es und fühlte sich aufgezogen. Aber sollte es wirklich Sabrina sein, die ihm schrieb? Er machte sich die Antwort leicht und wollte sich nicht sofort zu erkennen geben. Er fragte einfach nur zurück „Wie kommst du auf Alice?“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Entschuldige, ich dachte du wärst eventuell mein Bruder. Ich bitte um Entschuldigung für der Störung.“

Alec antwortete: „Sabrina?“

„Ja! Alec gib mir deine Telefonnummer, ich rufe dich an. Ich kann es gar nicht fassen, dass du es bist.“

Alec antwortete sofort: „Ich gebe keine Nummer raus. Ich weiß ja gar nicht, ob du es wirklich bist.“

„Ich bin es! Wie soll ich es dir beweisen, Alec? Du bist am 12. Januar 1982 geboren. Unsere Eltern heißen Agnes und Günther Wiek und wohnen in Neuruppin, Seestraße 25. Du hast dir, als du 16 warst mal das Bein gebrochen.

Ich bin am 17.08.1980 geboren und nach dem großen Streit abgehauen. Seitdem reden unsere Eltern nicht mehr mit mir. Bei Omas Beerdigung habe ich versucht nach dir zu fragen, ich war so verwundert, dass du nicht dort warst. Aber Mutter und Vater sprachen nicht mit mir.Ich hoffe das reicht um dich zu überzeugen.“

Alec war völlig platt, als er die Zeilen las. Er gab seine Handynummer raus. Nur wenige Sekunden später klingelte es auch schon. Es war wirklich seine Schwester! Sie sprach sehr schnell und Alec schaffte es kaum die vielen Informationen zu verarbeiten, schließlich machte sie kurzen Prozess.

„Mensch du bist so still Brüderchen. Sag mir einfach, wo ich dich finde, ich fahre sofort los!“

„Du lässt mich ja kaum zu Wort kommen. Wo bist du denn jetzt?“

„In Regensburg. Ich fahr gleich los. Wo bist du?“

„Berlin.“

„Ja sag mir eine Adresse. Ich kann es kaum erwarten, dich endlich mal wiederzusehen.“

„Rigaer Straße 13, Berlin Friedrichshain. Willst du jetzt wirklich noch los?“, fragte er und schaute auf die Uhr. Der Zeiger rückte auf der alten Standuhr, die Lukes Wohnzimmer schmückte, der 11 nahe. Die Uhr passte gar nicht zum Rest des Zimmers, das eher modern eingerichtet war. Noch bevor er den Gedanken beenden konnte sprach Sabrina schon weiter, „Klar, ich bin morgen früh bei dir!“

„Du bist verrückt!“

„Du kennst mich doch Alice! Ich fahr jetzt los. Tschau bis gleich! Ich erwarte Frühstück!“

„Okay kein Problem. Du bist irre.“

Am Liebsten hätte Alec das gleich Luke erzählt, aber es war inzwischen zu spät um im Krankenhaus anzurufen und ihm fiel ein, dass er nie über seine Schwester gesprochen hatte. Er ging ins Bett konnte aber kaum schlafen, da er so aufgeregt war. Am frühen morgen erreichte Sabrina Berlin. Sie stand vor dem Haus und fand kein passendes Klingelschild, so rief sie kurz nochmal an. „Sage mal Alice, ich stehe vor der Tür, aber ich finde deinen Namen nicht.“

Alec lachte kurz „Ich lass dich rein, ansonsten Hinterhof, zweite Etage links.“ Sabrina legte auf, Alec öffnete die Tür. Sie schlich durchs Treppenhaus und umarmte Alec innig als sie sich sahen. Es war nun schon fast drei Jahre her, dass sie sich das letzte Mal sahen. Sabrina wusste von nichts, sie wusste auch nicht, dass Alec verschwunden war, sie wusste nicht, was mit ihm passiert war. Die beiden unterhielten sich bis Sabrina etwas nachdenklicher wurde.

„Was ist denn los mit dir, Alec?“

„Nichts. Ich freue mich, dass du da bist.“

„Du bist so ruhig, ich kenn dich so gar nicht. Was war denn bei dir in den letzten Jahren los? Ich habe ja ständig nach dir gefragt. Du weißt ja, mit mir redete niemand und Oma sagte immer, dir würde es gut gehen. Und bei wem wohnst du hier überhaupt. Das ist doch nicht deine Wohnung? Und die Katze ist ja so süß. Du hast auch nicht versucht Kontakt aufzunehmen, oder?“ Sabrina redete wie ein Wasserfall, streichelte Emily und frühstückte noch dabei. Alec war überwältigt von soviel Leben, das ihm plötzlich gegenüber saß. Seine Schwester war schon immer sehr agil gewesen.

„Oh das ist eine längere Geschichte. Die erzähle ich dir einfach ein anderes Mal.“

Sabrina verzog die Augenbrauen und fragte ungehalten einfach weiter: „Und mit wem lebst du hier zusammen, das ist doch nicht deine Wohnung. Passt doch gar nicht zu dir, du Chaoskind.“

„Nein. Ich wohne bei meinem Freund.“

„Oh. War mir so klar, dass du dich nicht ändern wirst“, grinste Sabrina, „Deshalb liebe ich meine Alice!“, und schon hatte er einen Kuss von ihr auf der Wange sitzen.

„Wieso ändern? Wo die Liebe hinfällt.“

„Wo ist er denn? Und wie heißt er?“

„Er heißt Luke und ist im Krankenhaus und da müsste ich nachher noch hin.“

„Luke? Ein schöner Name. Was hat er denn? Ich würde mitkommen, ich kann dich hinfahren! Ist das weit weg? Ich würde ihn auch gern kennenlernen.“

„Oohh nicht so viel auf einmal. Ja wir können zu ihm fahren. Er hatte einen Unfall, er wird aber wieder. Sind nur zehn km bis zum Krankenhaus.“

Sabrina redete weiter und erzählte Alec über Gott und die Welt, wo sie die letzten Jahre war. Sie war so mit sich selbst beschäftigt, dass sie Alec glücklicherweise weniger ausfragte. Kurz nach dem Mittag machten sie sich auf den Weg Richtung Klinik. Sabrina beäugte ihren Bruder teilweise ein wenig, weil er so still war und auch nicht aussah wie das blühende Leben. Zielstrebig ging Alec aufs Zimmer zu, lächelte sie einmal an und öffnete die Tür. Er begrüßte Luke und stellte ihm seine Schwester vor. Luke schaute etwas verwirrt, sagte aber nichts und begrüßte sie freundlich. Alec hatte ihm nie etwas von einer Schwester erzählt und nun stand er wie ein begossener Pudel daneben. Dann kehrte Stille ein. Luke war heute viel wacher und wirkte auch aufgeweckter. Er erzählte ein wenig mit Sabrina. Nach einer Weile bat er sie kurz draußen zu warten, um mit Alec allein zu sprechen.

Als sie raus war schaute er Alec nur an, der wusste sofort, was gemeint war, sagte aber nichts.

„Gibt es vielleicht noch was, was du mir mal sagen solltest?“, ergriff wieder Luke das Wort.

„Ich das so schlimm, dass ich sie nie erwähnt habe?“

„Was heißt schlimm, aber ich finde es etwas seltsam. Wir kennen uns ja nun doch schon recht lange und irgendwie kommen immer wieder neue Geheimnisse auf. Weiß deine Schwester Bescheid?“

„Nein“, meinte Alec fast unhörbar, „Ich möchte auch nicht, dass sie das erfährt.“

„Das wird sie früher oder später sowieso. Man merkt es dir doch auch an, Alec. Wird sie bleiben?“

„Mmh ja sie bleibt zwei Tage, dann muss sie wieder zur Arbeit. Ich hoffe sie darf in deiner Wohnung schlafen.“

„Unserer.“

„Was?“

„Unserer Wohnung. Und natürlich darf sie das. Gibt’s noch mehr Geschwister oder so, von denen ich nichts weiß, die irgendwann auftauchen könnten? Ich meine, wäre ja mal nett, informiert zu werden.“ Luke wurde etwas zornig.

„Das nicht, aber ich gehe arbeiten! Vielleicht solltest du das noch wissen. Was soll diese Kontrolle?“

„Ich will doch nur, dass dir nichts passiert! Wozu gehst du arbeiten? Und als was? Du darfst nicht so viel ...“

„Ich weiß ... Hast du dir auch so viele Gedanken um mich gemacht, als du mich betrogen hast? Hast du da mal daran gedacht, wie es mir geht?“

„Alec jetzt fang nicht damit an. Das ist vorbei und es tut mir schrecklich leid. Ich wollte das doch nicht.“

Es folgte nur ein leises „mmh“, und Alec drehte sich weg. Luke verdrehte die Augen und suchte nach passenden Worten: „Es tut mir wirklich leid, komm bitte her. Ich darf leider nicht aufstehen, sonst würde ich zu dir kommen.“ Keine Reaktion „Alec bitte! Und du brauchst nicht arbeiten gehen.“

„Bis morgen“, nuschelte Alec und verließ den Raum. Luke blieb zurück, schloss die Augen und atmete tief durch. „Zicke“, flüsterte er noch für Alec unhörbar.

Alec wurde auf dem Flur gleich von seiner Schwester empfangen und machte sich mit ihr auf den Rückweg zur Wohnung. Sabrina fragte ihn natürlich weiter aus.

„Was für einen Unfall hatte dein Freund denn?“

„Er wurde von einem Auto angefahren.“

„Oh je. Er kann sich kaum bewegen oder? Wird das alles wieder?“

„Er sagt ja. Er wurde vorgestern aber ein weiteres Mal operiert, deshalb darf er sich zurzeit nicht viel bewegen.“

„Woher will er denn wissen, dass er wieder wird? Das sollte er den Ärzten überlassen.“

„Das tut er.“

Sabrina zog die Augenbrauen hoch und fragte nicht weiter. So ganz hatte sie die Antwort nicht verstanden, beließ es aber dabei.

„Hör zu Brüderchen, lass uns ins Kino gehen und dann essen wir noch was. Was hältst du davon?“

„Ich war ewig nicht im Kino, gute Idee.“

„Gehst du mit Luke nie?“

„Er hat wenig Zeit, arbeitet viel. Fahr zur Wohnung, dort in der Nähe ist ein Kino.“

„Ist alles in Ordnung, warum bist du plötzlich so pikiert? Warst doch sonst nicht so launisch.“

„Ja, alles gut.“

Die beiden machten sich einen schönen Abend, bei dem Alec auch wieder etwas lebhafter wurde. Leider war der Besuch für ihn auch sehr anstrengend. Sabrina blieb über Nacht und bezog das Gästezimmer. Als sie am nächsten morgen in die Küche kam, sah sie gerade noch, wie Alec die Medikamente wegstellte. Sie tat als hätte sie nichts bemerkt und begrüßte ihn freudig. Vorher hatte sie schon im Gästezimmer all die medizinischen Fachbücher entdeckt. Luke hatte sie aus dem Wohnzimmer verbannt. Sie versuchte sich nun langsam etwas zusammenzureimen, sagte aber nichts weiter. Alec entschuldigte sich kurz und ging zum Bäcker. Zeit für Sabrina zu schauen, welche Medikamente ihr Bruder nahm. Sie machte sich Sorgen, da er sich so sehr verändert hatte, sie wollte ihn aber auch nicht direkt fragen, was los gewesen ist. Sie schrieb sich schnell die Namen der Medikamente auf, um später zu recherchieren. Alec tauchte auch sehr bald wieder auf. Kaum hatte er die Wohnung betreten, klingelte auch schon das Telefon. „Wer ruft denn so früh an“, murmelte er und suchte es. Sabrina machte sich inzwischen daran den Tisch zu decken und fand zu ihrem Erstaunen auch im Kühlschrank einige Ampullen vor. Von Weitem hörte sie nur wie Alec noch zu ihr meinte, sie solle das lassen, er deckt den Tisch dann gleich. Gleichzeitig ging er ans Telefon.

„Ach Linda. Hallo!“

Es war Lukes Freundin Linda, die nach ihm fragte. Sie hatte schon versucht ihn auf dem Handy zu erreichen und rief schon einige Tage zu Hause an, aber erreichte nie jemanden. Alec erzählte ihr ganz knapp, dass Luke im Krankenhaus sei. Sie meinte erst, dass er dort ja immer sei, bis er dann den Unfall erwähnte. Linda kündigte an, dass sie ihn besuchen wollen würde und am nächsten Tag dann in Berlin wäre.

Sie reiste auch an und fuhr sofort zu Luke, um ihn zu besuchen. Alec kam mit Sabrina fast zeitgleich an wie Linda. So war keine Zeit über den Streit von gestern nachzudenken. Luke war überwältigt von so viel Besuch und die vier redeten den ganzen Nachmittag bis Henk ins Zimmer kam und verwirrt in die Runde schaute. In der Hand hatte er einige Röntgenaufnahmen.

„Oh, Mensch Luke soviel Damenbesuch?! Ich müsste mal kurz mit dir sprechen, wenn ich deinen Besuch kurz raus bitten darf?“

Die drei verließen den Raum und Henk begann auch gleich.

„Was ist das denn? Wer ist das alles?“

„Eine alte Schulfreundin von mir und Alec's Schwester.“

„Ach er hat ne Schwester? Wusste ich gar nicht.“

„Ja, ich bis gestern auch nicht“, kommentierte Luke trocken. Henk wechselte sofort das Thema.

„Gut also was ich nur wollte, kannst du dir die Aufnahmen mal anschauen, ich will nur mal deine Meinung dazu hören.“

„Ich glaub ich bin krank geschrieben, ich darf nicht arbeiten“, lachte Luke und griff nach den Bildern. Henk lächelte zurück und freute sich, dass er auf dem Weg der Besserung war. Sie unterhielten sich noch kurz darüber bevor Henk in Richtung Tür ging.

„Warte mal“, meinte Luke noch. Henk drehte sich um und schaute zurück.

„Hast du meinen Rat befolgt?“

„Wegen Mona? Ja habe ich. Was ich dir noch sagen wollte: Der Chef sucht gerade nach einer Krankheitsvertretung für dich.“

„Ich dachte eigentlich in einigen Wochen wieder arbeiten zu könne.“

„Luke du weißt doch selbst, dass du froh sein kannst, wenn du in einigen Wochen wieder vernünftig laufen kannst und dich eine halbe Stunde auf den Beinen halten.“

„Ja, ich habs verdrängt. Ich weiß ja. Aber für euch ist es dann auch eine Entlastung, wenn wieder jemand da ist.“

„Wir freuen uns trotzdem, wenn du wieder einsatzbereit bist. Aber bis dahin gibt’s viel zu tun. Gut ich lasse mal deine Leute wieder rein.“

 

Alec ging irgendwann mit den beiden Damen, die sich angeregt unterhielten, nach Hause. Bei soviel geballter Weiblichkeit hatte er keine Chance mehr. Sie machten noch einen langen Spaziergang durch Berlin, den Alec gerade so durchhielt. Ihm taten schon alle Knochen weh und er merkte, wie seine Schmerzmittel nachließen. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, fragte nur kurz nach einer Pause und schob vor, dass man ja essen gehen könnte.

Sabrina schlief die Nacht bei Alec im Bett, der aus Vorsorge eine Tablette mehr nahm, um sicher gehen zu können, dass er keine panischen Träume hatte. Die Medikamente hauten ihn dermaßen um, dass er sofort einschlief und auch morgens nur ganz schwer wach zu bekommen war. Linda hatte die Nacht im Gästezimmer verbracht. Beide machten sich am Morgen wieder auf den Weg nach Hause. Sabrina kündigte aber schon ihren nächsten Besuch an.

 

Luke durfte auch sehr bald wieder nach Hause. Er fühlte sich wie ein Neunzigjähriger, wenn er sich bewegte, und musste nun wieder Muskeln aufbauen. Die Brüche und Verletzungen verheilten gut. Er hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass Alec zwei Tage die Woche ein wenig arbeiten ging. Der Geld was er verdiente, deckte nicht die Unkosten, aber er wollte sich gern an der Miete beteiligen. Luke gab nach und beendete schnell die Diskussion. Er hatte genug Geld, dass es für beide reichen würde, merkte aber, dass Alec sich nutzlos vorkam und ihm nicht auf der Tasche liegen wollte. Beide mussten sich langsam dran gewöhnen, plötzlich so lange zusammen zu sein. Luke war ja nun schließlich zu Hause und wartete auf einen Termin für seine Kur. Ganz wohl war ihm noch nicht dabei, Alec vier Wochen allein zu lassen.

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