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Unwetter in Schweden

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Stefan schaute auf die Landkarte. Bis zum nächsten Ort waren es nun noch knapp 25 Kilometer. Sein nächster Blick galt dem Himmel, der sich drohend verdunkelte.

»Shit. Das schaffe ich nicht mehr«, sagte er zu sich selbst und stieg wieder auf sein Fahrrad. Die ersten zehn Tage seines Schwedenurlaubes mit Zelt und Fahrrad hatte er ohne Probleme und mit sonnigem und warmem Wetter hinter sich gebracht, warum musste es jetzt, kurz vor Schluss, noch ein Unwetter geben ?

Die asphaltierte Landstraße machte einen Bogen und der dichte Wald öffnete sich ein wenig, auf der rechten Seite konnte er einen See sehen. Kurzentschlossen stieg er ab und fing an, sein Zelt aufzubauen. Darin war er geübt, schließlich hatte er es in den letzten zehn Tagen jeden Abend aufgebaut und am nächsten Morgen wieder abgebaut. Die Isomatte und den Schlafsack legte er ins Zelt, deckte sein Fahrrad mit einer Plastikplane ab und hatte vor dem Unwetter noch etwas Zeit, sich umzusehen.

Der See war nicht sehr groß, man hätte ihn leicht in einer Stunde zu Fuß umrunden können. Menschen waren hier keine, und wohl auch schon lange nicht mehr. Der nächste Ort war einfach zu weit entfernt. Natur pur. Genau das, was er diesem Sommer brauchte. Er hatte einfach keinen Bock, mit seiner Freundin und der Clique nach Ibiza zu fliegen. Wer weiß, was sie gerade macht, ging es ihm durch den Kopf. Bestimmt liegt sie gerade mit einem anderen Kerl am Strand. Soll sie.

Stefan war mit seiner Beziehung völlig unzufrieden. Selbst der Sex machte ihm keinen Spaß mehr. Hatte er das je? Wieder kreisten seine Gedanken um das Thema, worüber er sich hier in der Einsamkeit klar werden wollte. Ist er wirklich hetero? Seit Mario, sein bester Freund, ihm gestanden hatte, dass er schwul ist, und ihn ziemlich süß findet, war Stefan hin- und hergerissen. Mario war für ihn mehr als ein Freund, aber Sex mit Männern, nee, das geht ja gar nicht. Ekelhaft. Oder ?

Ein Blitz durchzuckte die Stille und im gleich Moment bekam Stefan den ersten Tropfen ab. Er verkroch sich ins Zelt und legte sich so hinein, dass er herausschauen konnte. PLOPP PLOPP PLOPP .. machten die Regentropfen in schneller werdender Folge auf dem Zeltdach. Es goss in Strömen und Blitz und Donner wechselten sich ab.

Verträumt schaute Stefan aus dem Zelt, seine Augen wurden schwer. Im Augenwinkel sah er plötzlich ein Fahrrad auf der Landstraße. Ein junger Mann, wie er selbst um die 20, völlig durchnässt, kam auf sein Zelt zu.

»Hej, taler du engelsk eller tysk?« sprach ihn der Radfahrer an...

»Ja, deutsch, warst wohl nicht schnell genug, dein Zelt aufzubauen, wie« grinste Stefan ihn an.

»So'n Mist. Ich dachte, ich hab mal Glück. «

»Komm doch mit in mein Zelt, trockener wirste draußen nicht.«

»Cool. Danke.« sprach der junge Mann und stieg vom Fahrrad ab. Stefan hatte einen Moment Zeit, sich ihn anzuschauen. Schlank, leicht muskulös, blonde Haare, die im Moment aber eher an einen begossenen Pudel erinnerten.

Der Fremde kramte noch in seinen Satteltaschen und kam mit einem Handtuch und seiner Isomatte auf Stefans Zelt zu. Der machte Platz und ließ ihn herein.

»Danke. Das ist total nett.« lächelte er Stefan an.

»Keine Ursache. Ich bin übrigens Stefan« lächelte Stefan zurück und reichte dem Fremden die Hand.

»Ich bin Thomas.« grinste der junge Mann und strahlte Stefan mit seinen wasserblauen Huskyaugen an.

Stefan war irritiert. Nein, es konnte nicht sein, dass dieser Thomas auf ihn eine magische Anziehungskraft ausübte. Es muss an der statischen Aufladung durch das Gewitter liegen, dass er meinte, es hätte gekribbelt, als Thomas ihm die Hand gegeben hat. Der Händedruck schien unendlich lange zu dauern, aber das kam Stefan wohl nur so vor.

»Ich ziehe wohl mal die nassen Klamotten aus, sonst hol ich mir noch den Tod.« meinte Thomas und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Stefan starrte auf den makellosen, nackten Oberkörper, der durch die Enge des kleines Zeltes so nah vor ihm war. Als Thomas auch noch seine Jeans auszog, wurde Stefan heiß und kalt. Er versuchte, seinen Blick abzuwenden, was ihm nicht wirklich gelang. Thomas bemerkte die Blicke und ein schelmisches Grinsen flog über sein Gesicht.

Er trocknete sich ab, nur noch mit Boxershorts bekleidet. Sein Gesicht trocknete er auffällig lange ab. Stefan hatte also Gelegenheit, sich den Körper genau anzusehen. Oder kam es Stefan nur auffällig lange vor?

»Hier, kannst meinen Schlafsack haben, damit du dich nicht erkältest.« sprach Stefan und legte ihm den geöffneten Schlafsack um die Schultern. Thomas drehte sich in den Schlafsack ein.

»Danke dir. Du bist echt nett. Wie kommt's, dass du alleine durch Schweden radelst?«

»Wollte mal meine Ruhe haben. Mal zwei Wochen raus aus der Tretmühle. Und du?«

Thomas schaute traurig: »Hm. Liebeskummer. Und andere Probleme. Wollte auch mal nachdenken und meine Ruhe haben.«

»Was denn für Probleme?« fragte Stefan.

Thomas wich aus. »Ach, muss mir nur über einiges klar werden. Eigentlich nix schlimmes.«

Zufällig berührte er Stefan. War es wirklich Zufall? Elektrisiert und geschockt zugleich wich er aber nicht zurück. Beide lagen mit dem Kopf zum Zelteingang und ihre Schultern berührten sich. Ein Donner durchbrach die Stille.

Stefan dachte an Mario. An seine Freundin. An Thomas. Nein, Männer haben Sex mit Frauen. So will das die Natur. Ich kann gar nicht schwul sein, hab ja schon mit so vielen Mädchen geschlafen. Und keine hat sich beschwert.

Stefan schaut auf seine linke Hand. Thomas hat seine Hand darauf gelegt. Langsam, fast in Zeitlupe dreht Stefan seinen Kopf nach links, schaut ihn an. Der lächelt und es sieht so aus, als wenn sich sein Kopf langsam auf seinen zubewegt.

Was, will der mich jetzt küssen? geht es Stefan durch den Kopf.. das ist e-kel-haft. Eine Schwuchtel. Der will mich schwul machen. Ich will nicht.. ich will nicht.. ich will... nicht?...

Wie eine Katze springt Stefan aus dem Zelt in den Regen.. läuft und läuft.. am See entlang... auf der Flucht vor einem Monster.. auf der Flucht vor sich selbst.

Zitternd hockt er am See.. starrt ins Leere. Er sieht Mario, dessen enttäuschten Blick, als er ihm gesagt hat, dass er Schwule ekelig findet und dass er bloß nie versuchen soll, ihn anzumachen. Er sieht die Träne, die aus Marios Auge kullerte. Er will Mario in den Arm nehmen, ihm sagen, dass er ihn gern hat und ihn umarmen möchte. Seine Wärme und Nähe spüren. Er sieht seine Freundin vor sich, die ihm sagt, dass er ein Schwein ist, wenn er was mit Männern anfängt. Sieht seine Clique, die sich angewidert abwendet.

Ihm läuft Wasser durchs Gesicht... er schluchzt... er sagt halblaut zu sich selbst »Mann, ja, ich bin schwul. Verdammt.«

Er hatte es ausgesprochen. Ein Stein fiel von seinem Herzen. Endlich hatte er den Mut gefunden, es sich selbst einzugestehen. Stefan steht auf und ruft aus Leibeskräften auf den See hinaus »Ich bin schwul. Und das ist gut so.«

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Langsam geht er zurück zu seinem Zelt. Ihm kommt Thomas in Sinn. Den hatte er ja dort zurückgelassen und war geflüchtet. Er musste sich bei ihm entschuldigen und ihm einiges erklären.

Am Zelt angekommen, findet er nur das leere Zelt. Wo war er? Keine Isomatte, kein Handtuch, kein Fahrrad. Nicht einmal Reifenspuren im Matsch.

Hatte es Thomas überhaupt gegeben?

Stefan greift zu seinem Handy und schreibt eine SMS:

Hallo Mario. Hab alles falsch gemacht. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Wir müssen reden. In 3 Tagen bin ich wieder in Deutschland. Dein Stefan

Zufrieden, endlich zufrieden, fast glücklich, schlief Stefan an diesem Abend ein. Er hatte noch einen langen Weg vor sich, aber er hatte es endlich geschafft, den ersten Schritt zu gehen. Und es würde ihn nichts mehr aufhalten können.

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