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Ein Ticket für zwei

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Geschockt sah ich zu Andreas hinüber und ich spürte, wie die Wut in mir hoch stieg. Wut die sich gegen mich selber richtete. Wie konnte er nur? Wie konnte ich nur?. Ich war total verzweifelt. 'Er weiß es. Er weiß alles', schoss es mir durch den Kopf. Ich konnte es nicht fassen. Ein einziges mal hatte ich nicht aufgepasst, nur ein einziges mal. Was sollte ich nun tun? Was sollte ich sagen? Auch Andreas schien sich nicht gerade sehr wohl zu fühlen. Langsam merkte ich wie die Kraft schwindet, die mir in den letzten Sekunden noch etwas Beherrschung verliehen hatte und ich setzte mich in meinen Sessel, oder sagen wir lieber ich fiel in meinen Sessel. Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein? Mein großes Geheimnis war keines mehr.

Wie alles begann

19 Jahre lang hatte ich nicht eine einzige Minute mit dem Gedanken verschwendet, dass ich eventuell schwul sein könnte. Ich hatte diesen Begriff in meinen Gedanken nie gebraucht und wenn andere davon redeten, dann hatte ich immer das Gefühl man spricht über etwas, zu dem ich im Leben nie ein Beziehung haben werde. Erst heute, wenn ich mich erinnere und bewusst darüber nachdenke wird mir klar, dass ich auch schon früher immer mehr für Jungs empfunden habe als für Mädchen und das ich schon immer sehr interessiert nach meinen Mitschülern geguckt habe, wenn wir nach dem Sport unter der Dusche standen. Auch das ich meinen besten Freund Sven in der Schulzeit viel lieber mochte, als das bei einer normalen Freundschaft vielleicht der Fall ist, all das habe ich schlicht und einfach nicht wahrgenommen. Vielleicht wollte ich das auch nicht, zumindest habe ich es nicht bewusst verdrängt. Ich war einfach wie ich war und das ich natürlich auch damals schon schwul war, hätte ich immer vehement abgestritten, weil es mir selber nicht bewusst war. Darüber das ich noch keine Freundin hatte und nie den Mädchen hinterher sah, weil mich das gar nicht interessierte, machte ich mir keine Sorgen. Das kommt schon noch irgendwann - dachte ich. 'Ich bin halt nur etwas spät, aber da bin ich ja nicht der einzige, also was soll's.'

Ich hatte es also wirklich 19 Jahre geschafft, ohne ein einziges mal darüber nachzudenken, ob ich vielleicht doch etwas anders veranlagt war, als es von unserem Religionslehrer für gut und einzig richtig befunden wurde. 19 Jahre lang bis zu dieser Woche, die ich nie vergessen werde.

Ich war gerade 14 Tage Zivi in einem Heim für Behinderte als ich eine Einladung für 6 Tage nach Berlin bekam. 'Einladung' hört sich ja erst mal nicht schlecht an und erst auf den letzten Zeilen des Schreibens wurde erwähnt, dass es sich um ein Seminar für alle neuen Zivildienstleistenden handelt und nicht etwa zur Erholung gedacht ist. Na ist egal, ich muss schließlich nichts dafür bezahlen und es ist mal 'ne kleine Abwechslung.

In Berlin war ich in einem schönen Doppelzimmer untergebracht und räumte gerade ein paar Sachen aus meiner Tasche in den Schrank, als ER plötzlich vor mir stand.

»Hi ich bin Markus. Bist Du auch zu diesem komischen Seminar hier?«

Ich sah in die Richtung, aus der diese Worte kamen und mir war plötzlich, als wenn mich ein Blitz trifft. Ich stand mit offenen Mund da und musste sicherlich ein sehr komisches Bild abgegeben haben, den der Anblick von Markus hatte mich total verwirrt. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt wirklich noch nie einen so niedlichen Jungen getroffen und es war eigentlich auch das erste Mal, dass ich überhaupt bewusst merkte, was ein Blick von so einem süßen Typen bei mir bewirken konnte und das machte mich für den Moment sprachlos. Klar an Worte wie 'süß' und 'niedlich' habe ich noch nicht gedacht, ich war einfach nur fasziniert und wusste nicht so recht, wie ich mit diesem Gefühl umgehen sollte. Diese Augen die mich so wundervoll an blitzten, hatten es mir vom ersten Moment an angetan. Was ich Markus geantwortet habe, weiß ich gar nicht mehr aber ich denke, ich werde wohl ziemlich viel Blödsinn geredet haben, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt ihn anzusehen und seiner schönen ruhigen Stimme zu lauschen.

Vom ersten Moment war etwas zwischen uns, dass uns fest verband. So als wenn es immer schon so gewesen wäre. Alles was Markus sagte, was er tat, seine Bewegungen, seine Gesten, ich war einfach süchtig danach und konnte nicht genug davon bekommen. Er machte es mir da auch nicht gerade schwer, denn er ist die 6 Tage nicht ein einziges mal von meiner Seite gewichen. Wann immer es ging suchte er meine Nähe und schon am ersten Tag versuchten wir uns darin zu überbieten den anderen, wenn auch nur ganz kurz und wie zufällig zu berühren. Bei jedem dieser ganz kleinen Annäherungen, auch wenn es nur ein ganz leichtes Streifen seines Körpers war, hätte ich am liebsten laut los geschrien vor Glück. Es war ein völlig neues aber wunderschönes Gefühl.

Es war am zweiten Abend. Nach dem Essen gingen wir auf unser Zimmer. Wir setzten uns auf mein Bett und unterhielten uns über die Ereignisse des Tages. Dabei rutschten wir immer näher zusammen und Markus legte irgendwann seine Hand um mich. Wir hatten uns eigentlich nur über recht belanglose Dinge unterhalten und ohne es zu merken, lag ich plötzlich ganz in Markus seinen Armen. Die letzten Worte unserer Unterhaltung wurden immer leiser, bis es fast nur noch ein flüstern war. Erst als wir beide einen Moment schwiegen wurde mir unsere Situation richtig bewusst und ich hatte Angst, dass Markus unsere Lage vielleicht nicht als so schön empfinden würde. Ich sah etwas unsicher in seine Augen, merkte aber an seinem Blick, dass er es genau so genießt wie ich. Sein liebes Lächeln gab mir Sicherheit und ich traute mich jetzt auch meine Arme um ihn zu legen und drückte meine Wange fest an seine, um die Wärme seines Körpers ganz zu fühlen. Er streichelte mit seiner Hand ganz vorsichtig und zaghaft über meinen Körper und ganz sanft wie einen leichten Hauch spürte ich seinen ersten Kuss. Wir legten uns hin und haben uns einfach nur festgehalten. Wir haben versucht, dem anderen so nah wie möglich zu sein. Ich schloss meine Augen und nur manchmal, ganz vorsichtig, kontrollierten meine Fingerspitzen, ob Markus auch wirklich da ist und ich mir das ganze nicht etwa nur einbilde. Wir kuschelten uns fest aneinander und ich habe nichts mehr wahrgenommen, als den Duft und die Wärme seiner Haut.

Noch nie hatte ich gehört wie jemand zu mir sagt »Ich habe mich in Dich verliebt«, und es war das erste mal, dass ich das zu jemanden sagte und fühlte, wie viel mehr diese Worte bedeuten können, als wenn man sie sonst irgendwo hört oder liest. Wir habe bis zum nächsten morgen so gelegen, weil keiner den anderen loslassen wollte.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass diese 5 Tage mit Markus so wahnsinnig schön wurden, wie ich es mir niemals hätte träumen lassen und wie immer wenn etwas sehr schön ist, waren auch diese Tage wie im Fluge vorbei. Wenn ich an den Moment unseres Abschiedes in Berlin denke, werden mir heute noch die Knie weich. Als ich wieder allein im Zug nach Frankfurt saß, brach plötzlich alles aus mir heraus. Ich glaube, dass ich noch nie so viel an einem Tag geweint habe, wie an diesem Nachmittag. Markus wohnt in der Nähe von Bremen, ich in einem kleinen Dorf bei Heidelberg und erst auf der Rückfahrt wurde mir richtig bewusst, dass ich auf die Gefühle, die mich die letzten Tage so überwältigt hatten und die schönen Stunden mit Markus, vorerst wieder lange Zeit verzichten muss.

Zu hause begann ich langsam meine Eindrücke zu ordnen und obwohl ich noch nie Tagebuch geführt hatte, versuchte ich alles was mich in diesen Momenten bewegte, auf meinen PC festzuhalten. Ich musste es selber immer und immer wieder lesen um zu glauben das ich über Dinge schrieb, die ich selber erlebt hatte.

Wären nicht die täglichen Telefonate mit Markus gewesen, ich hätte das alles sehr schnell als einen schönen aber unwirklichen Traum abgetan.

Das schreiben machte es mir wirklich leichter, die völlig neuen Gefühle ein wenig zu verstehen und erst als ich meine kleine Geschichte vier, fünf mal gelesen hatte, fuhr es mir wie ein Blitz durch meine Gedanken: 'Ich bin schwul!!!'

Kein einziges mal war ich seit dem ich Markus kannte, auf diese Idee gekommen. Wir hatten auch nie darüber gesprochen. Wozu auch? Wir liebten uns und wie man das nennt ist doch egal, oder?

In diesem Moment bekam ich es mit der Angst zu tun. Ist dieses Gefühl das uns verband vielleicht wirklich das 'Schwulsein' von dem alle reden. Ich bin doch nicht schwul. Ich liebe doch nur einen Jungen. Das ist doch bestimmt nicht schwul, oder?

Der Gedanke ging mir nicht mehr aus dem Kopf und so komisch es klingen mag, als ich Markus am nächsten Tag anrief, stellte ich ihm als erstes diese wahrscheinlich selten dumme Frage:

»Du Markus, denkst Du das wir vielleicht schwul sind.«

Zu meiner Überraschung wusste auch er nicht gleich eine Antwort darauf und gestand mir, dass auch er bisher nie so direkt darüber nachgedacht hatte.

In diesen Tagen rächte sich meine Unbekümmertheit der letzten Jahre. Alle Fragen die man sich als junger Schwuler vielleicht im Laufe der Zeit einmal stellt, kamen nun plötzlich geballt auf mich zu. Ich hatte Panik und es war, als wenn ein Schleier von meiner Seele fällt, der mich die ganze Zeit von diesen quälenden Gedanken beschützt hatte.

Wie konnte ich nur mit so etwas leben? Ich fühlte mich plötzlich wie von etwas Schlimmen infiziert. Ich hasste dieses Gefühl und ich liebte es, hatte es mir doch die schönsten Stunden meines Lebens gegeben.

Ich hätte so gern mit jemanden darüber gesprochen. Mit meiner Mutter oder mit meinem Vater, aber über so etwas kann man doch nicht reden. Mehrfach hatte ich es versucht, aber ich brachte irgendwann kein Wort mehr heraus wenn ich anfangen wollte, dass Thema in diese Richtung zu lenken. Ich hatte so große Angst vor dem Ungewissen das mich beherrschte und davor, wie es auf andere wirkt.

All das schrieb ich auf - meine Ängste - meine Wünsche - meine Hoffnungen. Eine kleine Diskette wurde plötzlich zu etwas, dem ich alles anvertraute was tief in mir vorging.

und nun

Andreas schaute zu mir herüber:

»Sei mir bitte nicht böse. Ich wollte das nicht. Ich wusste doch nicht was es ist.«

Ich war ihm nicht böse. Ich war verzweifelt. Ich hatte diese Diskette im PC vergessen und er hatte alles gelesen. Ich konnte ihm das nicht mal übel nehmen, denn wahrscheinlich hätte ich es auch getan. Ich glaube die ganze Familie merkte, dass mit mir etwas passiert war und ich denke, sie machten sich alle große Sorgen. Ich kann es meinem kleinen Bruder also nicht verdenken, dass er die Chance wahrgenommen hatte, als er etwas über die Ursachen meiner Stimmung erfahren konnte. Er hatte ja nicht mal bewusst danach gesucht, denn den PC nutzen wir beide.

Ich fühlte mich durchschaut und schämte mich. Ich bin doch der große Bruder, immerhin 3 Jahre älter. Ich muss doch der starke, unverletzbare sein, der auf jede Frage eine Antwort weiß. Und nun? Nun weiß Andreas, dass ich alles andere als stark bin. Er weiß das ich Angst habe und das mich die Sehnsucht nach etwas quält, dass er vielleicht abstoßend findet. Wie gern hätte ich mit ihm mal richtig darüber geredet. Aber wie sollte ich etwas erklären, von dem ich selber nichts verstand? Andreas wusste nun, wie sehr ich Markus vermisse und wie gern ich bei ihm wäre. Er wusste das ich es am liebsten sofort unseren Eltern erzählen wollte, aber mich einfach nicht traute.

Andreas schaute mich an und lächelte::

»Wenn ich Dir irgendwie helfen kann, dann sag es mir bitte, ok?«

Nun wenn ich nur gewusst hätte, wie mir jemand hätte helfen können.

Die nächsten Tage zog ich mich immer mehr in die Welt meiner eigenen Ungewissheit zurück. Wie oft hörte ich in diesen Tagen die Worte: »Was ist mit dir los?«, »Hast du Probleme?« oder »Irgend was stimmt doch nicht, mit dir.«. Wenn ich Markus seine Stimme am Telefon hörte, waren plötzlich alle Zweifel verschwunden. So wie ich seine Worte vernahm, spürte ich wieder seine Nähe die ich so genossen hatte und wenn er mir sagte wie sehr er mich vermisst, war ich traurig und glücklich zu gleich.

Vier Wochen später

Es war der 24. Dezember kurz nach 17 Uhr. Ich stand in meinem Zimmer am Fenster und schaute hinunter auf die Straße. Vor 2 Tagen hatte es richtig geschneit und alles war in glitzerndes, sauberes weiß gehüllt. Es war natürlich schon dunkel, aber auch ohne Straßenlaternen, hätten die vielen beleuchteten Bäume in den Vorgärten unserer Nachbarn für ausreichend Licht gesorgt. Ich mochte diese Stimmung. In meinem Zimmer brannte nur eine Kerze und ich beobachtete die Leute auf der Straße. Es war ein reges Treiben in unserem sonst eigentlich recht ruhigen Viertel. Omas und Opas, die mit großen Taschen voller Geschenke, auf dem Weg zu ihren Enkeln waren, Kinder die übermütig im Schnee tobten und viele die sich auf den Weg zu unserer Kirche machten, wo um 18 Uhr der Gottesdienst begann.

Meine Mutter hatte sich für dieses Jahr was ganz besonderes ausgedacht. Sie wollte unbedingt einen Weihnachtsabend so wie früher, als wir noch Kinder waren und dazu gehörte natürlich auch ein Weihnachtsmann. Ich war zwar nicht scharf darauf, bei jedem Geschenk ein Gedicht aufsagen zu müssen, aber was sich meine Mutter einmal einbildet, das ist Gesetzt. Onkel Albert, der im Nachbarhaus wohnt und auch früher, als Andreas und ich noch viel jünger waren, den Weihnachtsmann gemimt hatte, lies sich auch nicht lange betteln und fand die Idee ganz lustig.

Mir war aber zu dieser Zeit alles andere als 'lustig' zumute. Vor einer Stunde hatte mich Markus angerufen und wenn ich daran dachte, dass ich ihn frühestens Anfang Februar wiedersehen konnte, hätte ich los heulen können.

Am Haus gegenüber sah ich Philipp klingeln. Philipp ist früher mit mir in die Schule gegangen und er war seit 3 Monaten mit der Tochter unseres Nachbarn zusammen. Simone kam aus dem Haus und die beiden gaben sich einen langen Kuss. Ein schöner Anblick voller Zärtlichkeit, doch mir machte er in diesem Moment so richtig bewusst, wie einsam ich mich fühlte. Ich setzte mich in meinen Sessel, nahm mein Handy und schrieb Markus eine SMS: »Ich hab Dich soooooooo lieb!!!!«. Keine Minute später piepste mein Telefon: »Ich Dich auch!!! Vermisse Dich gaaaaaanz toll!!!«

Ich schaute eine ganze Weile auf das Display und versuchte mir vorzustellen, wie Markus in seinem Zimmer sitzt und diese Nachricht getippt hat. Ob er mich wirklich genau so vermisst wie ich ihn? 'Was ist nur los mit mir?' schoss es mir durch den Kopf. 'Es ist Weihnachten. Ich müsste doch fröhlich sein', aber in Wirklichkeit hatte ich mit den Tränen zu kämpfen.

10 Minuten später stand Andreas in meinem Zimmer:

»Kommst Du? Wir wollen essen.«

Zu Weihnachten wurde bei uns immer recht zeitig gegessen, denn Geschenke gab es erst danach und früher haben Andreas und ich immer mächtig Terror gemacht, weil wir es nicht erwarten konnten. Heute ist es natürlich bei weitem nicht mehr so spektakulär. Große teure Geschenke gibt es bei uns sowieso nicht und eigentlich weiß auch jeder so ungefähr, was er vom anderen bekommt, weil wir uns meist vorher einigen, was der andere auch wirklich will. Eigentlich ist es schon ein wenig schade, dass von der Bedeutung die Weihnachten früher für mich hatte, nicht mehr allzu viel geblieben ist und deshalb war die Sache mit dem Weihnachtsmann vielleicht doch keine so schlechte Idee.

Irgendwie waren an diesem Abend alle recht schweigsam beim Essen. Ich war ja sowieso nicht gerade in der Stimmung den Familienunterhalter zu spielen, aber auch mein liebes Brüderchen der sich eigentlich kaum bremsen kann, verhielt sich ungewöhnlich zurückhaltend und ruhig. Alle waren irgendwie so freundlich zu mir, oder fiel mir das heute nur besonders auf. Klar, ich war kein besonders guter Schauspieler und es war sicher zu merken, dass es mir nicht so besonders gut ging. Eine blöde Situation, denn eigentlich wollte ich nicht, dass sie sich Sorgen wegen mir machen.

»So jetzt aber ab in's Wohnzimmer. Ich will doch schließlich wissen, was der Weihnachtsmann für mich mitbringt.«

lächelte mein Vater.

Kurze Zeit später stand dann auch schon Onkel Albert in seinem altgedienten Kostüm im Zimmer und spiele seine Rolle so überzeugend wie immer und ein paar Überraschungen gab es dann für den ein oder anderen doch noch. Das einzige was ich vermisste, war eine CD die ich mir gewünscht hatte.

Onkel Albert verabschiedete sich mit einer tiefen, grollenden Stimme und machte sich auf den Weg zurück in den Wald, oder sagen wir lieber in's Nachbarhaus.

Die nächsten 10 Minuten war jeder damit beschäftigt, seine neuen Errungenschaften zu inspizieren und sich bei den anderen dafür zu bedanken.

»Fehlt bei Dir nicht noch irgend etwas?«, fragte mich plötzlich Andreas.

Nun was sollte ich sagen? Es wäre ja recht unhöflich, wenn ich mich über die fehlende CD beschweren würde, denn ansonsten war ich ja mit meinen Geschenken mehr als zufrieden. Also fragte ich scheinheilig:

»Was sollte mir denn noch fehlen?«

»Vielleicht der Dance Sampler den du dir gewünscht hast?«, grinste mein Bruder.

»Fehlt noch was?«, fragte jetzt auch meine Mutter und ich zuckte nur mit den Schultern.

»Tja, wenn Du noch nicht alles hast, dann sollten wir den Weihnachtsmann ruhig noch mal rufen, schaust Du noch mal nach ihm Andreas.«, mischte sich mein Vater ein.

Andreas verschwand im Flur und kurze Zeit später kam er tatsächlich mit 'unserem' Weihnachtsmann zurück, der mir ein kleines Päckchen in die Hand gab. Etwas umständlich öffnete ich es und es war wirklich die gewünschte CD.

»Nun wenn jetzt alles in Ordnung ist, dann können wir unseren Weihnachtsmann ja zum Dankeschön noch zu einem Glühwein einladen, oder?«

»Na klar«, stimmten alle zu.

»Prima,«, stupste mich meiner Mutter an, »hilf ihm doch mal beim abnehmen der Maske.«

Bart, Gesichtsmaske und Mütze waren aus einem Stück und es war gar nicht so einfach, den Träger davon zu befreien. Als ich die Maske in der Hand hatte, wollte ich mich gerade über diese knifflige Arbeit beschweren, aber mir verschlug es sofort die Sprache als ich sah, wer hinter der Maske steckte.

»M a r k u s«, stammelte ich ganz leise und mir wurde auf einmal total heiß. Mein Herz fing an laut und heftig zu schlagen und ich glaubte nicht, was ich vor mir sah. Da stand Markus und sah mir mit seinem lieben Lächeln frech grinsend ins Gesicht. Das konnte doch nicht sein. Wie sollte er hier her gekommen sein? Für die anderen schien es keine große Überraschung zu sein, denn alle schauten nur ziemlich erwartungsvoll auf mich.

Mein Vater ergriff als erster wieder das Wort:

»Willst Du unseren Gast den gar nicht begrüßen, oder kennst Du ihn etwa nicht?«

»Markus«, sagte ich jetzt etwas lauter und nahm in fest in den Arm.

Mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich mich nicht mal traute ihn zu Küssen. Wie kommt er nur hier her. Was wissen meine Eltern über ihn? Markus schien sich da wesentlich sicherer zu fühlen wie ich, den er gab mir einen Kuss und sein Grinsen wurde noch breiter:

»Kann es vielleicht sein, dass Du ein paar Fragen hast?«

Und ob ich die hatte, aber zum Glück wollte plötzlich jeder die Geschichte erzählen und manchmal redeten zwei oder drei auf einmal. Meine Eltern hatten Andreas die letzten 3 Wochen keine Ruhe mehr gelassen und wollten unbedingt von ihm wissen, was denn mit mir los sei, denn er hatte sich unglücklicherweise einmal verplappert und gesagt, er wüsste es. Da Andreas auch wusste, dass ich schon gerne mit meinen Eltern über Markus reden wollte, hat er ihnen nach langem Überlegen erzählt, was der Grund meiner schlechten Laune ist. Dann haben alle zusammen überlegt, wie man mir am besten zeigen könnte, dass sie mich unbedingt unterstützen wollen und irgendwann sind sie dann auf die Idee mit dem doppelten Weihnachtsmann gekommen. Das war dann natürlich alles andere als leicht. Andreas musste Markus seine Handynummer aus meinem Telefon heraus spionieren und meine Mutter hatte Markus dann angerufen. Sie musste ihn zwar nicht lange überreden, aber da waren ja noch Markus seine Eltern, die auch eine Erklärung wollten, warum ihr Sohn am Weihnachtsabend nicht zu hause ist. Die Fahrt musste geplant und Fahrkarten besorgt werden. Markus musste vom Zug abgeholt und den ganzen Nachmittag versteckt werden. Natürlich musste auch der schnelle Kostümwechsel im Flur klappen, damit die Überraschung perfekt war.

Ich konnte es nicht fassen. Ich saß am Weihnachtsabend neben meinem Freund im Kreise meiner Familie. Ich hatte meinen Arm um seine Schulter gelegt und alle wussten, dass Markus nicht etwa nur irgend ein Kumpel ist, sondern mir sehr viel mehr bedeutet. Ich war wahnsinnig glücklich. Wäre es wirklich so einfach gewesen? Als wenn er diese Frage gehört hätte, sagte mein Vater:

»Ich habe schon ein paar Nächte nicht schlafen können, als ich erfahren habe, dass mein Sohn einen Freund hat den er liebt, aber wenn ich jetzt deine glänzenden Augen und deinen strahlenden Blick sehe, den ich in der letzten zeit so vermisst habe weiß ich, dass unsere Entscheidung richtig war. Aus diesem Grund gibt es hier noch ein Geschenk für Dich.«

»Noch ein Geschenk?«, fragte ich ungläubig.

Mein Vater gab mir einen Umschlag in dem ein Bahnticket für 2 Personen nach Bremen steckte. Auf meinen fragenden Blick sagte meine Mutter:

»Nun, wir mussten Markus seinen Eltern versprechen, dass wir dich auch ein paar Tage hergeben, wenn wir schon ihren Sohn am 24. Dezember entführen. Ihr fahrt also übermorgen Abend zu Markus und ich glaube, er hat eine schöne Silvesterparty für Dich geplant.«

Was sollte ich da noch sagen. Es war wohl alles bis zu meiner Rente vor geplant und zwar so gut, dass ich es mir gar nicht anders hätte wünschen können. So verzweifelt ich die letzten Tage manchmal war, um so glücklicher war ich in diesem Moment.

Meine Eltern wollten natürlich ziemlich viel von Markus wissen und als ich in die Küche ging, um noch ein mal ein paar Tassen Glühwein zu holen, kam mir Andreas hinterher.

»Ich hoffe Du bist mir nicht böse. Ich meine, weil ich es Mama und Papa gesagt habe.«

Natürlich war ich das nicht, ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich lange nicht mehr so gut wie im Moment, weil meine Eltern Bescheid wussten und natürlich, weil Markus bei mir war. Warum sollte ich Andreas also böse sein und darüber nachdenken, dass es auch anders hätte ausgehen können, wollte ich jetzt nicht.

Es war schon sehr spät, als Markus und ich in mein Zimmer gingen. Ich zündete die Kerze an und schaute noch ein mal aus dem Fenster. Philipp brachte Simone nach hause und gab ihr zum Abschied noch einen Kuss. Ich freute mich für ihn. Markus kam zu mir, legte seinen Kopf auf meine Schulter und ich nahm ihn zärtlich in die Arme.

Endlich. Endlich wieder dieses Gefühl.

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