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Der Drache von Nambaro

Teil 2

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Die ewige Nacht, in der dennoch so viel Licht verborgen ist, umhüllt unser Schiff und meine Gedanken. Ich versuche meine, unsere Lage zu begreifen, aber ich scheitere immer wieder an den Barrieren der Realität. Trauer und Schmerz sind zu nah und die Angst vor dem, was auch immer mein Schicksal sein könnte, versucht sich zu verstecken und ermöglicht mir nicht alle Ereignisse der letzten Stunden zu begreifen. Ein einziges Gefühl ist vordergründig und es lässt sich im Moment auch durch keine Bedenken verdrängen: wir leben.

das neue ziel

Grag machte einen sehr positiv aufgeregten Eindruck, der für den ersten Moment sehr beruhigend auf mich wirkte. Trotzdem wusste ich, dass jede Neuigkeit für unser Schicksal in jedem Fall bedeutend sein würde. Es gab kaum noch etwas, dass ich ausschließen wollte und dennoch lag auch wieder Hoffnung in der Luft. Mitsh und ich sahen Grag etwas erstaunt an:

»Du schläfst nicht?«

»Nein, ich konnte nicht einschlafen. Mir hat es einfach keine Ruhe gelassen, dass wir nicht raus bekommen sollten, welchen Weg dieses Schiff genommen hat. Das ich aber nun so schnell zu einem Ergebnis komme, hätte ich auch wieder nicht gedacht. Ihr müsst unbedingt mitkommen. Ich glaube, hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.«

Nun in diesem Fall ließen wir uns dann natürlich nicht zweimal bitten und waren recht schnell aus unserem Bett. Grag wollte uns aber nichts verraten, bevor wir nicht am Navigationsrechner waren. Natürlich war ich sehr gespannt, was er wohl entdeckt haben würde, vor allem weil er erwähnte, dass er schnell zu einem Ergebnis gekommen war. Sollte das etwa heißen ...?

Mitsh hingegen schien die Gelassenheit in Person. Er nahm sich so viel Zeit mit dem Anziehen, dass ich nicht umhin kam, ihn etwas ungeduldig zur Eile zu ermahnen. Seine Ruhe war mir oft unbegreiflich. Grag war uns bereits vorausgegangen und ich hatte es bisher vermieden, auch nur den kürzesten Weg im Schiff alleine zu gehen. Ich will nicht behaupten, dass ich Angst hatte, aber irgendwie wollte ich nach all den Geschehnissen keiner neuen Überraschung alleine gegenüberstehen. Also wartete ich bis Mitsh fertig war.

Grag tippte schon wieder auf der Bedienkonsole für den Navigationsrechner und erwartete uns ungeduldig. Er war alleine.

»Schlafen die anderen alle?«, fragte ich.

»Ja und ich möchte das Ganze auch erste einmal mit euch besprechen, bevor wir es den anderen sagen.«

Wir stellten uns hinter Grag, dessen Gesichtsausdruck nun immer zwischen 'wichtig', 'stolz' und 'unsicher' wechselte.

»Na dann schieß mal los, oder willst du uns noch länger zappeln lassen?«

»Nein, nein. Also um es kurz zu machen, wir haben ein Ziel, oder mit anderen Worten, wir haben hier die Route, die das Schiff genommen hat, nachdem es von seiner Besatzung verlassen wurde. Zumindest gibt es auf dem Weg bis zu diesem Punkt hier keinen weiteren Stopp.«

Ich war schon ein wenig erstaunt:

»Du hast also den Code geknackt?«

Grag wechselte wieder seinen Gesichtsausdruck, aber diesmal auf 'nachdenklich' und eben so unsicher antwortete er auch:

»Nein und genau da liegt das eigentliche Rätsel. Als ich mich vorhin an den Rechner setzte, waren diese Daten bereits nicht mehr verschlüsselt. Das Öffnen des Logbuches und der Navigationsdaten verlangt keine Passworteingabe mehr. Allerdings kann man das eigentlich nur manuell ändern und auch dazu benötigt man eben erst einmal das Passwort.«

Langsam wurde mir klar, was Grag damit meinte, als er sagte, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zu ging.

»Also wenn ich dich recht verstehe, dann muss jemand an dem Rechner gewesen sein, der das Passwort kennt?«

»Ganz genau und dieser jemand hat sich sogar die Mühe gemacht, alle Einträge, die vor dem besagten Start hierher lagen, gründlich aus den Datenbanken zu entfernen.«

»Hm,«, Mitsh runzelte die Stirn, »aber wer sollte das getan haben und warum, ohne uns etwas davon zu sagen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Grag in Gedanken versunken und dann wieder etwas sicherer: »Ich habe ja den ganzen Abend mit Mat hier an der Konsole gesessen, aber dann war bestimmt 2 Stunden keiner mehr hier. Zwei Stunden, in denen wohl jeder mal Gelegenheit gehabt hätte, die Änderungen vorzunehmen.«

Das stimmte natürlich, denn vor dem Schlafen gehen, waren noch so viele Dinge zu erledigen gewesen, dass wohl kaum jemand die ganze Zeit mit einem anderen zusammen war. Mitsh fragte plötzlich:

»Hat den Mat mit dir die Brücke verlassen, oder war er noch länger hier?«

»Er war sicher noch etwas länger hier, aber wir haben ja kurze Zeit später alle zusammen gegessen, es kann also nicht lange gewesen sein. Meinst du er könnte ...? Hm? Aber ich habe doch mit ihm vorher lange versucht eine Lösung zu finden? Das hätte er doch nicht getan, wenn er den Code kennt.«

»Vielleicht will er sein Wissen aus irgendeinem bestimmten Grund verbergen?«, meinte Mitsh fast schon sicher.

Mir war das alles nicht klar. Eine Frage ging mir durch den Kopf, die ich aber nicht auszusprechen wagte. Was wenn es keiner von uns war? Gab es diese Möglichkeit? Es schien mir, als wenn sich das Schiff gegen seine Zerstörung wehrte. Erst die Sprengladung, die nicht zündete, und jetzt zeigt es uns den Weg? Wieder kamen die Gedanken auf, warum wohl die Besatzung das offenbar funktionstüchtige Schiff verlassen hatte. Es war ein seltsames Gefühl. Nach wie vor deutete nichts an Bord auf einen Notfall hin.

Und Mat? Vielleicht mochte er eine besondere Rolle spielen, aber welche? In jedem Fall würde er aber sicher ein Ziel haben: 'überleben' und wer immer auch den Rechner manipuliert hatte, er würde sicher eben so denken ... hoffte ich. Mir fiel ein:

»Können wir denn überhaupt davon ausgehen, dass diese Route tatsächlich die ist, die das Schiff genommen hat? Ich meine vielleicht hat sie ja nur jemand eingegeben, um uns zu einem bestimmten Ziel zu locken?«

Grag überlegte eine Weile:

»Und wenn? Es ist der einzige Weg, den wir haben, und er könnte mit unseren Reserven auch erreichbar sein. Zumindest ist es ein Ziel. Was immer uns auch dort erwarten mag, hier bleiben können wir auch nicht. Sollte man uns überhaupt hier suchen, dann erst viel zu spät. So gesehen spielt es nicht mal mehr eine Rolle, wem wir unsere neuen Erkenntnisse zu verdanken haben, denn wenn derjenige Wert darauf legen würde uns über sein Wissen aufzuklären, dann hätte er es wohl getan.«

Es war zwar nicht die Lösung, die ich mir für dieses Problem gewünscht hatte, aber zumindest schien es wirklich erst einmal die einzige Möglichkeit zu sein. Im Hinterkopf sah ich aber dennoch Mat als Schlüssel des Ganzen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wie er in diese Geschichte passen sollte und als wenn er meine Gedanken wahrgenommen hätte, stand er plötzlich hinter uns.

»Was tut ihr hier? Wollt ihr nicht ein wenig schlafen? Ich denke es ist besser, wenn wir alle etwas ausgeruht sind.«

Es war nun an Grag zu erklären was er entdeckt hatte und Mat ließ dabei äußerlich keinen Zweifel aufkommen, dass er sehr überrascht war. Ich versuchte ihn die ganze Zeit, während Grag ihm die Situation klar machte, zu beobachten, aber ich konnte keine Reaktion feststellen, die mich in meiner Vermutung hätte etwas weiterbringen können. Mat war wohl ohnehin nicht der Typ Mensch, der seine Emotionen stark nach außen tragen würde und so blieb es vorerst ungewiss, ob er mit den Veränderungen am Navigationsrechner etwas zu tun hatte oder nicht.

Mitsh hatte wohl die gleichen Gedanken wie ich, denn auch er blieb mit seinem Blick die ganze Zeit an Mat haften. Als Grag seine kurzen Erläuterungen beendet hatte, war es Mat der nach einer kleinen Pause als Erster das Wort ergriff:

»Tja, ich sehe die Sache eigentlich genau wie ihr. Im Moment gibt es wohl für uns keine andere Alternative, als uns dieser anzunehmen. Wir sollten die anderen wecken und sie über den Stand der Dinge aufklären. Ich glaube es zwar nicht, aber vielleicht hat ja doch noch jemand etwas bemerkt, wer die Passwortabfrage beseitigt haben könnte. Ich denke aber, wenn es jemand von uns zufällig am Abend noch geschafft hätte, so hätten wir das auch gleich erfahren.«

»Das dachte ich mir auch.«, stimmte Grag zu und ich war im Moment nur zu einem leisen »hm« fähig.

Mitsh und ich weckten die anderen drei. Gut und fest geschlafen hatte wohl keiner, und als sie erfuhren, dass es Neuigkeiten gab, war auch jeder schnell bereit aufzustehen. Grag erzählte seine Geschichte nun zum dritten Mal, aber auch dieses Mal nur erstaunte Gesichter und keine Antwort auf die Frage, wem wir diese neuen Umstände zu verdanken hatten. Raif war dann der Erste, der sich mit der praktischen Durchführung unseres neuen Vorhabens befasste:

»Nun dann sollten wir vielleicht erstmal etwas über unser Ziel herausbekommen, und wenn wir schon nicht viel Zeit haben, dann sollten wir vielleicht als Erstes sehen, dass wir wieder in Bewegung kommen.«

Letzteres ging schneller als gedacht. Ein paar kleinere Probleme in den Antriebssektoren ließen sich beheben und schon waren wir unterwegs nach ... ja wohin eigentlich?

Grag hatte alle Daten über unser Ziel zusammengefasst und suchte nun in den Datenbanken der Navigationseinheiten nach Informationen und siehe da, die gab es sogar. Mittlerweile hatten sich wieder alle um Grag versammelt:

»Also unser Ziel heißt 'XDAO543'. So zumindest ist er in den Karten verzeichnet. Die Datenbank des Logbuchrechners der ZEBROC I kennt ihn auch unter dem Namen 'Nambaro'.«

Mir war aufgefallen, dass Mat schon bei dem Namen XDAO543 leicht zusammenzuckte, aber der Name Nambaro, sagte selbst mir etwas:

»Nambaro? Das ist doch nur eine Legende? Diesen Planeten gibt es doch nicht wirklich?«

»Doch«, bestätigte Mat. »Es gibt ihn und die Geschichten, die es über das berüchtigte Straflager unterhalb des Drachenfelsens gibt, sind gar nicht so weit weg von der Realität. Ich habe als Student zwei Abhandlungen über Nambaro geschrieben, die aber nicht gern gesehen waren. Einigen Politikern ist es heute noch sehr recht, dass man dieses Straflager als Legende ansieht, auch wenn es schon vor 35 Jahren aufgelöst und Nambaro aufgegeben wurde.«

Auch Bargy schaute nun überrascht zu Mat:

»Dann stimmen die Geschichten etwa alle?«

»Nein, nicht ganz«, erklärte Mat. »Nambaro wurde damals vor ungefähr 60 Jahren als einer der ersten Planeten entdeckt, die eine erdähnliche Atmosphäre haben. Allerdings sind die Lebensbedingungen bei weitem nicht mit denen auf unserer Erde zu vergleichen. Nambaro ist fast vollständig von riesigen bis 15.000m hohen Bergen umgeben, es gibt nur sehr wenig Wasser und die Temperaturen zwischen Tag und Nacht schwanken sehr stark, mitunter um 80° und es gibt oft schwere, Tage lang anhaltende Stürme. Als Lebensraum also nicht besonders gut geeignet. Es gibt nur zwei Regionen auf Nambaro, die wie eine Art Oase in der unwirtlichen felsigen Wüste liegen. Die zwei einzigen Orte, an denen es möglich war, ein wenig Ackerbau und sogar Viehzucht zu betreiben. Beide Regionen liegen nah beieinander und werden nur durch die hohen Drachenberge getrennt.«

»Und warum tat man das alles? Wenn es sonst so unwirtlich da ist? Ich meine warum ein Straflager so weit draußen im All? Die Kosten müssen doch extrem hoch gewesen sein?«, Mali schaute fragend zu Mat.

»Nun die Kosten waren extrem hoch, da hast du natürlich recht, aber was in keinen der Geschichten vorkommt, ist der eigentliche Grund für das Straflager. Auf Nambaro gab es riesige Vorkommen von Migtan.«

Migtan war Anfang des Jahrhunderts der wichtigste und bedeutendste Rohstoff zur Energiegewinnung. Neue Plasmareaktoren galten als absolut sicher und störfrei. Leider kam es ein paar Jahre später dann doch zu einigen schweren Unfällen, bei denen recht viel von den äußerst giftigen Migtanrückständen freigesetzt wurden und die Politik einigte sich auf die Stilllegung der Reaktoren, weil die Probleme als nicht beherrschbar galten. Nur die Militärs wollten anfänglich nicht auf die sehr effektiven Migtanwaffen verzichten. Als aber auch das nach ein paar Jahren Geschichte war, sank die Nachfrage nach diesem Rohstoff drastisch. Die zwei erdnahen Bergwerke auf Kosus und Blatain wurden geschlossen und streng bewacht. Heute ist der Handel mit Migtan ohnehin verboten.

Mat fuhr fort: »Die riesigen Vorkommen auf Nambaro hätten die Preise auf dem Weltmarkt extrem ins Wanken gebracht und so entschied man sich, die Lagerstätten geheim zu halten.«

»Das Straflager war also auch ein Arbeitslager?«, kombinierte ich.

»Genau und nicht etwa ein einfaches Arbeitslager, sondern ein Lager, aus dem niemand mehr zurück kommen sollte. Nach Nambaro kamen nur Lebenslängliche.«

»So kam also auch keiner zurück, der hätte etwas verraten können. Ist denn da nie jemand dahinter gekommen?«, fragte wieder Mali.

»Natürlich, aber da war es schon fast vorbei. Es gab nicht nur in der Politik damals starken Widerstand gegen die Pläne. Wie schon erwähnt waren die Kosten für den Bau des Straflagers enorm und das Geld, was es einbrachte, war ja erst mal schwarzes Geld, das so nicht zur Verfügung stand und nur ein ganz kleiner Kreis von korrupten Regierungsbeamten wussten überhaupt von den wahren Vorgängen. Neben der Politik waren es aber vor allem auch Vertreter aus Menschenrechtsorganisationen und Religionsgemeinschaften, die gegen das Lager protestierten. Gebracht hat es am Ende nicht viel. Das Lager wurde gebaut und auch fast 20 Jahre als Arbeitslager benutzt. Etwas konnten die Politiker aber nicht verhindern. Die Nohaner, eine damals sehr wohlhabende Religionsgemeinschaft, erreichte die Genehmigung zum Bau eines Klosters auf Nambaro, das als Protest gegen die Strafanstalt gedacht war. Das Kloster befand sich auf dem zweiten Stück Land, das auf Nambaro überhaupt zu bewohnen und zu bewirtschaften war. Am Ende war es den Offiziellen sogar recht, denn sie bezogen vom Kloster alsbald einen Großteil der benötigten Lebensmittel, da man dort mit großem Aufwand ein wenig Ackerbau und Viehzucht betrieb. So lebte man zwar voneinander, aber die Mitglieder der Religionsgemeinschaft kamen nie auch nur in der Nähe der Strafanstalt und wussten von den Vorgängen dort nichts. Es gab selbst eine eigene Landebahn und Anflugeinrichtungen für das Kloster, da sie die Anlagen des Lagers nicht nutzen und nicht mal in die Nähe davon kommen durften. Zum Problem wurden aber mit der Zeit die Personen, die als Angestellte im Lager oder auf den Transportschiffen arbeiteten, und so zwangsläufig einbezogen waren. Auf Dauer ließ es sich einfach nicht mehr geheim halten und so war man froh, dass man noch vor dem Auffliegen des Ganzen das Lager auf Grund der abflauenden Nachfrage nach Migtan schließen konnte. Still und heimlich, als wäre nichts gewesen und als hätte es das Lager nie gegeben. Kritische Stimmen verstummten alsbald, wurden gekauft oder ... was weiß ich. Ich weiß auch nicht genau, was aus den Häftlingen geworden ist. Sie sollen zu einem großen Teil in das damals sehr berüchtigte neue Straflager in Artcteca gekommen sein. Mit dem Lager auf Nambaro wurde auch das Kloster aufgelöst, in dem zeitweise bis zu 120 Personen gelebt haben.«

Das war also unser Ziel. Nambaro. Ich konnte es immer noch nicht so ganz fassen. Es gab wohl zwei, drei Filme, in denen ein Straflager auf einem Planeten namens Nambaro eine Rolle spielte, aber das hatte ich immer für reine Fiktion gehalten. Bisher war der reelle Hintergrund dieser Geschichten außer mir auch sonst keinem an Bord bekannt, abgesehen eben von Mat. Schon wieder hatte ich den Gedanken, dass es sich dabei ja auch nicht unbedingt um die Wahrheit handeln musste, aber warum um alles in der Welt sollte er sich so etwas ausdenken und welchen Zweck sollte das erfüllen. Ich sah einfach nichts daran, woraus er einen Nutzen ziehen konnte und alles in allem, klang es ja auch nicht mal so unglaubwürdig. Die Politik der frühen 20er wurde bekanntermaßen durch Korruption und schwarze Geldquellen geprägt. Viele Regierungen versuchten die harten Auflagen des Nordstaatenbundes zu umgehen, um sich in ihrer Meinung nach angemessener Weise zu entschädigen. Auch Mitsh meinte im nach hinein, dass er von Mat seiner Geschichte nicht sehr überzeugt war.

Trotz allen blieb natürlich eine ganz entscheidende Frage. Was hatte die ZEBROC I dort zu suchen und was hatte deren Besatzung veranlasst, das Schiff auf einem Planeten zu verlassen, der offenbar schon seit über 30 Jahren nicht mehr bewohnt war, auf dem Stürme tobten und Temperaturen herrschten, die nicht gerade zum Verweilen einluden? Was wollten sie dort und was haben sie dort gefunden? Mir wollte keine rechte Antwort auf diese Fragen einfallen. Sie mussten doch wissen, dass dort nie jemand nach ihnen suchen würde. Ein Rätsel war aber auch nach wie vor das Schiff. Wir konnten nichts finden, dass ein Verlassen und gar ein Zerstören rechtfertigen würde. Eine weitere Frage tat sich auf. Warum schickte man das Schiff extra noch auf eine Reise zu einem von Nambaro eher fernen Ort, als das man es gleich in unmittelbarer Nähe vernichtet hätte, wenn man das schon wollte. So sehr ich mir auch Gedanken machte, so fand ich doch keine Lösung. Trotz allem war aber nun auch wieder mehr Hoffnung vorhanden als je zuvor, denn die Möglichkeit, dass sich die ehemalige Besatzung der ZEBROC I auf einem Planeten befand, der ihr Überleben zumindest für eine geraume Zeit ermöglichte, war durchaus motivierend. Ich gebe es zu, in erster Linie dachte ich dabei an einen ganz bestimmten Namen und das war der Name 'Rowe'.

die tür zur dunkelheit

Da wir nun aber alle nicht viel, oder teilweise gar nicht geschlafen hatten, wollten wir das nun noch ein wenig nachholen. Es machte keinen Sinn, dass wir uns alle auf der Brücke aufhielten und so legten wir Wachen von je vier Stunden fest. Ich hatte mit Mitsh beschlossen, gleich die erste Wache zu übernehmen und die anderen sahen uns durchaus dankbar an.

Es gab eigentlich nicht allzu viel zu tun. Die Steuerung des Schiffes lief anhand der Navigationsdaten automatisch und es gab keinerlei Systemausfälle oder Störungen bisher.

Mitsh schien genau wie ich etwas nachdenklich zu sein und wir redeten nicht viel. Ich denke, ihm werden ähnliche Probleme und Fragen durch den Kopf gegangen sein wie mir. Es war recht ruhig auf der Brücke, ein leises Summen der Konsolen und ein leichtes kaum wahrnehmbares Rauschen der Luftaufbereitungs- und Klimaanlage. Die Bewegung des Schiffes im Raum spürte man kaum und nur manchmal, war eine kleine fast unmerkliche Erschütterung zu fühlen, wenn die zwei Rotationssysteme für die künstliche Schwerkraft umschalteten. Wir hatten die Raumbeleuchtung weitestgehend abgeschaltet und hatten so einen besseren Blick auf alle Anzeigen. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Situation uns auf Nambaro erwarten würde und war tief in diesen Gedanken versunken, als mich Mitsh plötzlich erschrocken rief:

»Schau mal hier, im Frachtraum hat sich gerade eine Tür bewegt.«

Ich sah auf den Monitor auf den Mitsh zeigte. Für jedes Deck gab es eine komplette Übersicht aller Türen und Schottsperren. Tatsächlich, auf Deck C wurde soeben eine Tür zum Frachtraum geschlossen.

»Verdammt, wer oder was war dass?«, fragte ich besorgt.

»Keine Ahnung. Das C - Deck haben wir hinter den Offiziersunterkünften abgeriegelt. Von uns kann da niemand sein. Schon gar nicht, da sich keine der anderen Türen bewegt hat.«

Für den ersten Moment wusste ich nicht so recht was ich sagen sollte. Für die Gänge in den Decks gab es Bewegungsscanner, nicht allerdings im Frachtraum.

»Was machen wir?« Diesmal schien auch Mitsh nicht mehr ganz so ruhig zu sein.

»Ich weiß nicht. Wir sollten nachsehen was da los ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich viel Lust habe, da jetzt rein zu gehen und vor allem bestimmt nicht alleine.«

»Nein, dass auf keinen Fall. Wen wollen wir wecken?«

Eine gute Frage. Eigentlich hatte ja Mat das heimliche Kommando, aber ihm traute ich nun auch wieder am wenigsten. Was könnte da im Frachtraum vor sich gehen?

»Man Mitsh, wir sollten uns nicht fertigmachen. Wir waren doch überall. Da kann nichts sein.«

Mitsh antwortete nicht, er klickte auf der Konsole, auf die entsprechende Anzeige und auf dem Monitor stand mahnend:

'AKTIONSLOG 21354: TÜR 21.2R - GESCHLOSSEN VOR 2MIN 6SEK'

Mitsh drehte sich in seinem Sessel zu mir und schaut mich wieder fragend an.

»OK, Du hast ja recht. Wecken wir Grag.«

Grag begriff die Lage sehr schnell, ohne dass wir viel erklären mussten.

»Ok,«, meinte er, »dann lasst uns mal in die Anzüge steigen. Bleibst du hier Mitsh?«

»Ja, das wird wohl das Beste sein. Wenn irgendetwas ist, wecke ich die anderen.«

Mir war nicht sehr wohl bei der ganzen Sache. Grag konnte bei so etwas aber irgendwie sehr beruhigend wirken. Schnell, aber dennoch nicht hektisch zog er seinen Anzug an, und als ich auch damit fertig war, prüfte Mitsh noch mal unsere Ausrüstung. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten auf den Schutzanzug verzichten können, aber wir mussten eben in einen Bereich, den wir von unseren Lebenserhaltungssystemen weitestgehend abgetrennt hatten. Vor allem eine Versorgung mit Sauerstoff war nicht unbedingt gegeben. Am meisten störte mich, dass man durch die großen, schweren Stiefel stark in seiner Bewegung und durch den Helm und dessen Visier, leicht in seinem Blickfeld eingeschränkt war. Die Anzüge waren dicht, die Kommunikation schien zu funktionieren, Sauerstoff war ok.

Langsam und doch etwas unsicher gingen wir von der Brücke auf das C - Deck, an den Offiziersunterkünften vorbei und öffneten das Tor der ersten Segmentsperre. Wir traten hinein, schlossen hinter uns das Tor, Druckausgleich und mit einem leichten zischen, öffnete sich das Tor vor uns. Deutlich kühlere Luft schlug uns entgegen.

»Alles klar bei Euch?«, meldete sich nun Mitsh von der Brücke und Grag antwortete für uns beide:

»Ja, dem Gohstbusterkommando geht es super. Etwas kühl hier im Outback, mach schon mal 'n heißen Tee.«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob es mir wirklich super ging, aber Grag musste es ja wissen.
Im nächsten Segment kamen wir recht schnell voran, nur dass es nach der nächsten Sperre noch kühler wurde und vor allem dunkel. Seit der Erschütterung durch die Explosion der ZEBROC II, war die Beleuchtung im hinter Teil des Schiffes vollständig ausgefallen. Bisher war das ja auch kein Problem. Bisher ...

Wir waren unserem Ziel schon sehr nahe gekommen, nur noch etwa 20 Meter und eine Segmentsperre trennten uns von der Tür, als sich Mitsh plötzlich wieder meldete.

»Jungs Vorsicht! Die Tür wurde soeben wieder geöffnet. Könnt Ihr was hören?«

Ich zuckte leicht zusammen. Ich hatte nichts gehört und ich wollte eigentlich auch gar nichts hören. Ich wollte nur eines, hier weg und zwar schnell.
Auch Grag war jetzt nicht mehr so selbstsicher und versuchte seine Unruhe zu überspielen:

»Ah, der Poltergeist heißt uns also willkommen. Vergiss das mit dem Tee Mitsh, wir bekommen sicher gleich hier etwas angeboten. Hast Du irgendetwas auf dem Scanner?«

»Nein, alles absolut ruhig. Zwei kleine Punkte im Segment 20 und ich hoffe mal, dass seid ihr.«

»Das hoffe ich auch.«meinte ich kleinlaut.

Die letzte Sperre, dann waren es nur noch etwa 10 stockfinstere Meter. Was mich am meisten beunruhigte, war der Umstand, dass wir auch das nächste Segment erst betreten konnten, wenn wir das vorherige hinter uns verschlossen hatten. Sollte sich also wirklich etwas in dem Raum vor uns befinden, dann waren wir auf jeden Fall für eine kurze Zeit damit eingesperrt.

Das Tor vor uns öffnete sich mit dem schon bekannten Geräusch und im Nu war mein Visier beschlagen, so das ich für einen kleinen Moment nichts mehr sah. Es war eine deutlich wärmere, feuchte Luft, die uns hier begegnete. An sich war das nicht ungewöhnlich. Solange die vier Antriebsgeneratoren liefen, heizte sich der Frachtraum immer um ein paar Grad auf, da die Kühlleitungen direkt unterhalb der Decke verliefen. Es war also nicht nur mein Visier beschlagen, was sich leicht und schnell beheben lies, auch sonst war der Raum vor uns mit einem leichten Dunst gefüllt. Nur wie ein feiner Nebel, aber dennoch reichte das Licht unserer Helm- und Handlampen nur drei bis vier Meter.

Grag hielt mich erst mal am Arm fest und ich sah, wie er auf seinen Handscanner schaute.

»Hier ist alles so weit ok, Mitsh. Die Werte sind normal. Nur die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch. Hast du was bei dir auf den Monitor? Was macht unsere Tür?«

»Ich kann nichts Besonderes sehen. Die Tür scheint immer noch offen zu sein.«

Wir gingen langsam noch ein paar Meter voran und durch den Dunst konnte man nun die offene Tür sehen. Ich blieb stehen. Es war ruhig. Grag stand neben mir und bewegte sich auch nicht mehr. Wir starrten beide auf die Tür. Die Dunkelheit und der leichte Nebel hatten uns vollständig eingeschlossen. Die Sicht wie bereits erwähnt maximal 4 Meter und die Lichtkegel unserer Lampen spielten ein gespenstisches Spiel.

»Was ist denn mit dir los?«, hörte ich Mitsh in meinem Kopfhörer. »Ist alles ok bei dir? Dein Puls sprengt ja alle Rekorde.«

»Keine Panik Mitsh,«, entgegnete ich sehr leise und ein wenig gestresst: »mir geht es super, nur mach ich mir gleich in die Hose. Ich habe eine Scheiß-Angst und davon nicht zu knapp.«

Wir waren keine 2 Meter mehr von der Tür entfernt, als sie sich wieder bewegte und sich ganz langsam und leise schloss. Für einen kurzen Augenblick schien mein Herz auszusetzen und ich wich leicht zurück.

»Sie ist wieder geschlossen. Was ist da los? Könnt ihr was sehen?«, meldete sich auch Mitsh sofort.

Langsam berührte Grag die Tür, die sich ganz leicht bewegen ließ und der Schein meiner Lampe traf in diesen Moment auf einen, der zwei umgelegten Hebel zur Notentriegelung, die wir betätigt hatten, als wir gestern kurz nach unserer Ankunft in den Frachtraum gesehen hatten. Die Tür war somit von der Schließautomatik abgetrennt und durch die Temperaturänderung, war sie nun so leichtgängig, dass sie sich offenbar bei der leichtesten Vibration des Schiffes etwas bewegte.

»Alles ok Mitsh. Die Tür hat sich nur selbstständig gemacht. Ich werde sie wieder verriegeln und dann sollte sie keine Probleme mehr machen.«

»Puh ... gut und im Frachtraum ist alles in Ordnung?«, fragte Mitsh nach.

Ich sah Grag durch sein Helmvisier in die Augen und schaltete auf Nahkommunikation, so das Mitsh uns nicht hören konnte. Wir waren beide noch voller Anspannung und traten etwa einen Meter in den Frachtraum. Grag leuchte an die Decke. Kondenswasser tropfte auf die Kühlleitungen und so bildete sich der feine Wasserdampf.

»Grag, ich habe nicht viel Lust hier jetzt weiter rein zu gehen. Ich hab die Hosen gestrichen voll, wenn ich ehrlich bin. Ich fühle mich nicht sonderlich wohl hier.«

»Du hast recht. Wir werden die Tür verriegeln, und wenn sich dann nichts mehr tut, dann ist ohnehin alles in Ordnung. Ich habe auch keine Lust auf einen großen dunklen Raum, in dem ich nur ein paar Meter sehen kann. Es ist unheimlich hier.«

Ich schaltete wieder um.

»Ja Mitsh, im Frachtraum ist auch alles in Ordnung«, beruhigte ich ihn und vor allem auch mich selber.

Irgendwie war ich froh und erleichtert, als sich die Segmentsperre hinter uns wieder schloss und wir langsam, Stück für Stück, der Brücke etwas näher kamen. Zurück blieb eine ungewisse Dunkelheit.

Nicht nur Mitsh erwartete uns schon, sondern auch Mat. Er und Grag waren die Nächsten, die mit ihren vier Stunden Wache an der Reihe waren. Mat war wie schon befürchtet nicht sonderlich glücklich, dass man ihn nicht geweckt hatte, aber da sich die Angelegenheit nun scheinbar doch als harmlos erwiesen hatte, beruhigte er sich auch schnell wieder.

der dunkle planet

Ich ging mit Mitsh zu unserem Quartier und mittlerweile waren wir auch beide recht müde. Wie zogen uns wortlos aus und legten uns wie zuvor gemeinsam auf eines der Betten. Mitsh legte seinen Kopf auf meine Brust und seufzte leise:

»Ich hoffe nur, das geht alles irgendwie gut.«

»Ja Mitsh, das hoffe ich auch. Schlaf ein wenig.«

»Ja, du auch ... Gute Nacht!«

Einen großen Unterschied zwischen Tag und Nacht gab es natürlich nicht wirklich. Unsere Bordzeit war der Zeit auf der Erde angeglichen, spielte aber eigentlich kaum eine große Rolle. Schon im Verlauf der bisherigen Reise zählte hauptsächlich nur die Zeit, in der man einen bestimmten Dienst zu verrichten hatte. Die verbleibende Freizeit wurde individuell genutzt, und wenn man müde war, schlief man eben, egal zu welcher Tageszeit. Der offizielle Tagesplan sah für jeden eine Schlafzeit von mindestens 7, meistens 8 Stunden in je 24 Stunden vor, aber wen interessierte das jetzt noch? Nambaro sollten wir in ca. 80 Stunden erreicht haben. Ich hörte Mitsh sein gleichmäßiges Atmen. Er schlief. Müde war ich ebenfalls, aber die Gedanken ließen mir keine Ruhe. Wie sollte es weitergehen? Selbst wenn wir auf Nambaro landen konnten, selbst wenn wir die Besatzung der ZEBROC I lebend fanden, selbst wenn ich Rowe fand, konnten wir dort überleben? Die Wahrscheinlichkeit, dass uns da jemand suchen würde, war so extrem gering und mit der ZEBROC I konnten wir nicht zurück, dazu fehlte uns der Treibstoff.

Die nächsten drei Tage sollten recht schnell und ohne besondere Vorkommnisse vergehen. Das Schiff funktionierte trotz der abgeschotteten Segmente recht gut. Zu tun gab es nicht viel und jeder hatte Zeit, die Ereignisse der letzten Tage noch einmal zu durchdenken und vielleicht auch schon ein wenig zu verarbeiten. Wir waren durch unsere Ausbildung gut vorbereitet, auf alle möglichen und unmöglichen technischen Störungen an Bord. Mit dem Verlust unseres Schiffes und einiger Menschenleben hatte jedoch keiner im voraus gerechnet. Alle 8 Stunden trafen wir uns gemeinsam zum Essen, alle vier Stunden wechselten wir die Wache auf der Brücke und die restliche Zeit, versuchte sich jeder nützlich zu machen, so gut es ging. Geschlafen haben wir wohl alle nicht viel.

Für mich war es nun auch an der Zeit die Menschen, mit denen mich dieses verhängnisvolle Schicksal verband, etwas genauer zu betrachten. An Bord der ZEBROC II waren sie nur einzelne unter vielen gewesen. Hier waren sie ein wesentlicher Teil meiner ungewissen Zukunft.

Mitsh kannte ich wie schon erwähnt am besten und auch am längsten. Er war meine emotionale Stütze und in jedem Fall ein Vertrauter. Ich mochte ihn sehr und ich war froh, dass ich ihn an meiner Seite wusste. Obwohl wir viel miteinander sprachen, wirkte er in den letzten Tagen doch sehr in sich zurückgezogen. Ich denke er durchlebte in dieser Zeit auch noch einmal den Verlust seines Vaters, denn er erwähnte ihn so oft, wie bisher nie. Die meiste Zeit waren wir zusammen und hatten uns mit Mali und Bargy vorgenommen, ein paar wichtige Dinge für unsere Landung zusammenzupacken. Für den Fall, dass wir das Schiff schnell verlassen mussten, wollten wir für jeden ein kleines, tragbares Päckchen mit Proviant, Medizin, Werkzeugen und Wasser haben, um im Notfall eine Weile überleben zu können.

Grag war 22 wie ich, ein großer, schlanker Junge mit schwarzen kurzen Haaren und braunen Augen. Auch zu ihm hatte ich in kurzer Zeit sehr viel Vertrauen aufgebaut. Ich denke wir mochten uns beide und verstanden uns oft ohne Worte. Er strahlte vor allem eine unheimliche Ruhe aus, was immer er auch tat. Er war der Einzige, der auch offen über den Verlust seiner Freunde, seinen Kummer und seine Ängste sprach. Er tat das aber nie in einer klagenden oder pessimistischen Weise, sondern immer in angemessener Trauer und mit verständlicher Skepsis. Er verbrachte viele Stunden mit Mat vor dem Navigationsrechner, prüfte immer wieder unseren Kurs und bereitete unsere Landung, anhand der gefundenen Daten, so gut dies möglich war vor. Wir konnten ja nicht davon ausgehen, dass uns vor Ort irgendwelche elektronischen Landehilfen zur Verfügung standen.

Mali war in den ersten Tagen unserer Reise 22 geworden. Sie war mit ca. 1,75 die Kleinste von uns. Sie hatte sehr kurze, rot gefärbte Haare und trug bisher vorwiegend männliche Kleidung. Trotzdem war sie in ihrer Art sehr weiblich, intelligent und in jedem Falle aufmerksam. Sie konnte sehr gut zuhören, ohne einen zu unterbrechen und stellte dann Fragen, an denen man erkannte, dass sie die Probleme, die man vortrug, in der richtigen Weise verstand. Sie tat uns gut mit ihrer weichen und gerechten Art, höflich zu jedem und ohne Vorurteile behandelte sie alle gleich. Sie hatte sich schon während der ersten Tage der Mission durch ihre guten Leistungen unseren Respekt verdient und das war nun nicht anders.

Bargy war erst 21 und nicht viel größer als Mali, hatte kurze blonde Haare, hellgrau leuchtende Augen und immer ein schüchternes Lächeln auf den Lippen. Auf ihn trifft wohl 'unscheinbar' am besten zu. Er hatte sich nie an einer Diskussion aktiv beteiligt und nahm alle Entscheidungen ohne zu fragen an. Er machte nach außen einen noch etwas unreifen und naiven Eindruck, aber was tief in ihm vorging, blieb verborgen. Die Ereignisse um die Explosion unseres Schiffes schien er völlig zu verdrängen. Er zauberte mir aber auch immer wieder ein Schmunzeln ins Gesicht, wenn er in Gedanken versunken und mit seinem kindlichen Gemüt, irgendetwas zum Spielen missbrauchte. Zum Beispiel wenn er, sich unbeobachtet fühlend, seinen kleinen Handscanner als Miniraumschiff missbrauchte und damit zwischen den blinkenden Anzeigen auf der Hauptkonsole landete. Sobald er merkte, dass jemand dabei seinen Blick auf ihn richtete, änderte sich seine Gesichtsfarbe in einen roten Ton, was zu seinen blonden Haaren einen deutlichen Kontrast ergab.

Raif schätze ich auf etwas über 30. Er war ca. 1,85 muskulös gebaut, hatte dunkelbraunes Haar und eine graublaue Augenfarbe. Obwohl Mat gerne das Kommando hatte, war es doch letztlich immer Raif, der durch seine wohl durchdachten Vorschläge und Bedenken, heimlich die Fäden in der Hand hielt. Er war immer freundlich zu uns allen und hatte stets ein offenes Ohr für unsere Probleme. Das war schon auf der ZEBROC II so gewesen. Ich weiß nicht, ob ich mich irrte, aber er schien mehr mit seinen Emotionen zu kämpfen, wie man das auf den ersten Blick vermuten mochte. Ich wusste nicht, wie viele wirkliche Freunde er auf dem verlorenen Schiff hatte, denn er kannte die Besatzung ja wesentlich länger als wir. Er nutze die Zeit und prüfte alle wichtigen Systeme des Schiffes auf Herz und Nieren, um uns möglichst vor unliebsamen, technischen Überraschungen zu schützen.

Mat war und blieb ein Rätsel. Ich konnte weder ihn noch das, was er tat, richtig einordnen. Sicher mag das in erster Linie an meinen Vorurteilen gelegen haben, für die es bisher in keiner Weise eine Bestätigung gab, aber trotzdem blieb immer ein laues Gefühl, was seine wahre Identität betraf. Er sprach nie über seine Vergangenheit und ließ sich auch nie etwas anmerken, wie er dir Geschehnisse der letzten Tage empfand. Ich konnte kein richtiges Vertrauen zu ihm aufbauen. Dennoch schien er durchaus bemüht, alles dafür zu tun, uns sicher zu unserem Ziel zu führen. Hatte er aber auch eine andere Wahl?

Nur noch wenige Stunden und wir würden Nambaro auch mit bloßem Auge sehen können. Auf dem Hauptmonitor war der dunkle Planet schon einige Zeit sichtbar. Wir hatten uns entschlossen, die Geschwindigkeit leicht zu reduzieren und uns etwas langsamer unserem Ziel zu nähern. In jedem Fall wollten wir versuchen, möglichst nicht entdeckt zu werden, solange wir nicht wussten, was uns erwarten konnte. Auch dieser Vorschlag kam von Raif.

Wir mussten in den letzten Stunden einige wichtige Entscheidungen treffen. Die wichtigste war wohl, wo und womit wir landen wollten. Es gab zwei Landestellen, die uns zur Verfügung standen, einmal die des Klosters und natürlich auch die Einrichtungen des ehemaligen Haftlagers. Diese Entscheidung wollten wir noch etwas hinauszögern, bis wir etwas näher an Nambaro, vielleicht noch ein paar brauchbare Daten über den Zustand der Landeeinrichtungen bekommen konnten.

Einig waren wir uns nach längerer Überlegung mit dem Hauptschiff zu landen. Eine Landung mit einem der Shuttle wäre zwar wesentlich einfacher und sicherer gewesen, aber auf der einen Seite wurde der Treibstoff knapp, um ein Shuttle so weit zu betanken, dass es für den Hin- und Rückflug zu Nambaro reichte und das trotzdem noch eine sichere Reserve an Bord der ZEBROC I verblieb, zum anderen, wollten wir natürlich auch das Schiff am Boden haben, damit es uns dort als Rückzugsort zur Verfügung stand. Viele Dinge aus dem Schiff konnten uns später nützlich sein, die wir nicht mit dem Shuttle transportieren konnten und da die Treibstoffanzeige mittlerweile bei einem Prozent stand, gab es keinen Spielraum für Experimente. Noch etwas wurde uns bei dieser Überlegung bewusst: Es gab kein zurück! Die Landung würde nach den Berechnungen fast die restlichen Reserven verbrauchen. Das Schiff, das sich so elegant durch das All bewegte, war gegen die Anziehungskraft eines Planeten nicht leicht zu steuern und für eine sichere Landung, verbrauchte der Sekundärantrieb in der Atmosphäre ein Vielfaches des Treibstoffes, wie er für die Bewegung im All notwendig war. Es würde also nur einen Versuch geben können und der musste gelingen.

In einem noch verhältnismäßig großen Abstand zu unserem Ziel stoppten wir. Wir hatten uns entschlossen, eine kleine Sonde voraus zuschicken, die uns ein paar wichtige Daten und Bilder übermitteln konnte, ohne dass wir uns in einen Bereich begeben mussten, in dem wir entdeckt werden konnten. Ich wusste nicht, ob das alles notwendig war. Am liebsten wäre mir eine sofortige Landung gewesen, um so schnell wie möglich zu erfahren, ob es Rowe und der ehemaligen Besatzung der ZEBROC I gut ging. Mitsh teilte diese Meinung, aber ich konnte auch Mat und Raif verstehen, die zur größten Vorsicht mahnten, solange wir nicht wussten, was auf dem unwirtlichen Himmelskörper vorging. Mat hatte auch vorsichtshalber alle Sendeanlagen unseres Schiffes deaktiviert, damit wir uns nicht unbeabsichtigt verraten konnten.

Wir mussten nun noch einmal zwei Stunden warten, bis wir die Ergebnisse von der Sonde bekamen, da sich unser Zielgebiet auf Nambaro bei dem jetzigen Stand nicht direkt vor uns befand.

Anhand der Daten waren beide Landeeinrichtungen noch vorhanden. In welchem Zustand sie sich befanden, ließ sich natürlich nicht genau sagen. Um das ehemalige Straflager schien es einige Aktivitäten zu geben. Die Sonde hatte vielfach Bewegungen kleinerer Wärmequellen registriert. Welchen Ursprung diese waren, konnte man nicht feststellen. Die Wahl war an uns.

»Also um das ehemalige Lager scheint sich irgendetwas zu tun, soweit scheint das mal sicher.«, bestätigte Mat die Werte.

»Hm? Das könnte heißen, dass sich die Besatzung dieses Schiffes doch dort befindet. Was hält uns also noch von einer schnellen Landung ab? Vielleicht brauchen sie ja unsere Hilfe und jede Minute zählt.«, meinte Mitsh und drängte auf ein schnelles Handeln.

Ich war im Zweifel, wer am Ende mehr Hilfe benötigen würde und ob man so glücklich darüber war, jenes Schiff wieder zu sehen, dass man offenbar bewusst vernichten wollte? Noch war ja auch nicht sicher, ob die Bewegungen tatsächlich von uns freundlich gesinnten Personen stammten. Vielleicht waren sie ja nicht mal menschlichen Ursprungs ...

Eine längere Debatte entbrannte und ich konnte mich nicht so recht entschließen, welche Möglichkeit für mich die beste schien. Sicher war es verführerisch. Da unten konnte Rowe sein und ich wäre schnell bei ihm, aber ... was konnte da unten noch sein? War es wirklich gut, ohne zu wissen was uns erwartet, dort zu landen? Mit einem Schiff der Zogoklasse konnte man sich nicht einfach ungesehen über Nacht anschleichen, oder still und heimlich ein paar Straßen weiter parken.

Mat und Grag vertraten die Meinung, dass eine Landung beim alten Kloster besser wäre. Dort schien es keine Bewegungen zu geben und wir wären in einem sicheren Abstand zum Straflager, dass man dort unsere Landung vielleicht nicht mal bemerken würde, wenn wir bei Dunkelheit aus entgegengesetzter Richtung landen würden. Vom Kloster zum Lager musste es ja eine Verbindung geben und wir konnten so in Ruhe die Lage vor Ort sondieren.

Im Grunde schien das vernünftig, und wenn sich auch Mitsh immer noch etwas dagegen wehrte, war es dann doch beschlossene Sache. Grag stellte den Anflugplan zusammen und machte die notwendigen Berechnungen. Der Anflug sollte relativ flach, im Schatten der 10.000 m hohen Drachenberge erfolgen. Die Landeanlagen befanden sich in etwa 6.000 m Höhe auf einem riesigen, mehrere Quadratkilometer großen Felsplateau und waren etwa sieben Kilometer von der eigentlichen Klosterstadt entfernt.

Nambaro wurde von zwei Sonnen beleuchtet, von denen eine aber kaum eine Rolle spielte, da die Entfernung zu groß war und sie nur schwach den südlichen Teil bescheinen konnte. Die Nachtphase auf dem nördlichen Teil, der uns betreffen sollte, war zu dieser Zeit etwa 20 Stunden lang und es war nur mit einer kurzen Dämmerung zu rechnen.

Grag war mit seinen Berechnungen fertig, die noch mal von Mat, Raif und mir überprüft wurden. Wir hatten noch etwa zwei Stunden Zeit, dann wollten wir von unserem jetzigen Standort mit der Anflug- und Landesequenz beginnen. Die Plätze auf der Brücke hatten wir wie folgt verteilt: Mat, Grag und Mali saßen an der großen Hauptsteuerkonsole, Mitsh und ich übernahmen den Platz am Navigationsrechner und an der Systemüberwachung saßen Raif und Bargy.

Die beiden letzten checkten gerade noch einmal den Sekundärantrieb und waren mit dem Ergebnis zufrieden. Treibstoffzufuhr und Zündung waren intakt und die Stellmotoren der Steuerdüsen funktionierten. Mehr konnte man im Moment nicht tun, denn ob die Aggregate innerhalb der Atmosphäre wirklich zündeten, ließ sich jetzt ohnehin nicht testen.

Wir sprachen noch mal ruhig alle Notfallpläne durch und für ein schnelles Verlassen des Schiffes, standen die vorbereiteten Pakete, mit Gurten gesichert, bereit. Wir trugen nur unsere einfachen Schutzanzüge. Die volle Ausrüstung würde uns ohnehin nicht helfen können, denn entweder wir konnten das Schiff am Boden verlassen, oder nie wieder.

Die Zeit bis zur Landung belief sich auf etwa eine Stunde. Es war zwar mit sehr starken Winden zu rechnen, wie die Messdaten der Sonde zeigten, aber das sollte sich durchaus in einem vertretbaren Rahmen bewegen.

Vielleicht war das ein Moment, in dem man sein bisheriges Leben noch einmal durchdenken sollte, aber bei mir war es anders. Ich hatte Angst, ich hatte Hoffnung und ich hatte eine Aufgabe, für die ich gut ausgebildet war, auch wenn ich bisher nie mit solchen Bedingungen rechnen musste. Landungen unter den widrigsten Umständen, gepaart mit dem Ausfall bestimmter Systeme, hatten uns die meiste Zeit im Simulator gekostet und wir sollten bestens darauf vorbereitet sein.

Ich sah noch einmal auf die Uhr. Fünf Minuten und der Anflug würde beginnen.

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