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Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Dankeschön an Nev, der mich quasi dazu gezwungen hat diese Geschichte zu schreiben. Und ein Dankeschön auch an Andi für die Hintergrundinformationen, die im Kapitel 6 zum Tragen kommen.

Kapitel IV

Als ich aufwachte, war es noch dunkel im Raum. Kein Wunder, wenn man nachmittags schlafen geht. Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass man dann morgens wieder aufwacht. Es musste also Nacht sein. Na ja, so ungefähr.

Erst dann bemerkte ich, dass jemand neben mir im Bett lag. Jemand, an den ich mich kuschelte. Jemand, der mich im Arm hielt. Thom. Er war so warm, so ... Thom? Wieso lag er neben mir? Shit! Nicht, dass das jetzt generell so das Problem gewesen wäre, aber irgendwie dauerte es etwas bevor mir wieder alles einfiel ... bevor mir wieder einfiel, dass da keine Sachen im Bett gelaufen sind. Ich war im Kopf schon die ganzen Szenarien durchgegangen und als ich Thom da so neben mir liegen sah, dachte ich, ich müsste mich oder vielmehr ihn erst mal in Sicherheit bringen. Nicht, dass ich dann doch noch so rein zufällig und unschuldig was versuchen würde.

Ich sprang aus dem Bett, und als ich so dabei war, fiel ich rückwärts über einen Stuhl, den ich dann natürlich mit umriss. Glanzleistung. Das war wohl ein eher nicht so lautloser Rückzug, oder?

»Fuck!«, fluchte ich leise. Toll! Großartig! Und das war wohl das letzte bisschen, das Thom zum Aufwachen brachte.

»Mirc, komm zurück ins Bett.«

»Nein!« Okay, ich war jetzt vielleicht trotzig, aber was soll's. Wer weiß, was mir so einfallen würde, wenn ich neben ihm lag. Okay, es war zwar relativ wahrscheinlich, dass wir einfach bloß schlafen würden, denn Thom würde wohl nichts machen und sein wir mal ehrlich, ich doch auch nicht, aber trotzdem ... vielleicht war es auch nur meine Kämpfernatur. Obwohl ich und Kämpfernatur? Na gut, muss ja keiner wissen.

Thom meinte es allerdings wohl ziemlich ernst, denn sein Ton wurde wieder ein bisschen (um nicht zu sagen eine Menge) bestimmender. Okay, er war schon ganz schön heftig, aber wie vorher schon mal erwähnt: das war das Einzige auf das ich wirklich reagierte.

»Komm jetzt verdammt noch mal zurück ins Bett. Du warst eh schon ziemlich unterkühlt, hast mehr als wahrscheinlich einen Schock. Und ach ja, du stehst nackt vor mir.« Thom hatte das wohl eher witzig gemeint, aber ich fand das nun nicht gerade so wahnsinnig lustig.

Ich schaute langsam an mir herunter und dann Thom ins Gesicht. Ich kann ehrlich nichts dafür, dass ich wieder anfing zu weinen. Er hatte wohl recht. Ich stand anscheinend irgendwie unter Schock. Er streckte den Arm einladend aus sah mich bittend, fast schon fordernd an. Ich ging also schüchtern aufs Bett zu, traute mich kaum noch ihn anzusehen. Als ich dann zugedeckt neben ihm im Bett lag (Wir hatten *eine* Zudecke), ließ ich in etwa 10cm (okay, es waren 20) zwischen uns Platz. Es war natürlich mal wieder eine wahnsinnig unauffällige Geste, so ganz zur Abwechslung und dementsprechend fast schon genervt, fragte er schließlich auch nach.

»Was ist?«

»Nichts!« Na, die Antwort kam doch wohl etwas schnell. Halt so aufdringlich unschuldig, oder wie auch immer man das ausdrücken will. Ich hatte damit allerdings nicht allzu viele Chancen, nicht bei Thom. Okay, wahrscheinlich auch nicht bei irgendjemand anderem. Zum Glück beruhigte er sich etwas, denn wenn er noch etwas in diesem hmm ... strengen Tonfall gesagt hätte, wäre ich bestimmt wieder in Tränen ausgebrochen. Ich bin halt sensibel, so what? Auf jeden Fall war Thom's Stimme wieder ganz lieb und sanft.

»Hey, du zitterst ja. Außerdem reicht das Zudeck nicht, wenn du erst mal 30 cm Abstand zwischen uns lässt.« Na ja, und dann rückte er etwas näher und ich weiß, das hört sich jetzt so pathetisch an (und steht in ziemlichen Wiederspruch zu dem, was einige Minuten vorher abgelaufen ist), aber ich musste ihn einfach berühren, also streichelte ich vorsichtig seine Seite und Hüfte. Seine Haut war so weich, so ... okay, es war ein Fehler. Ich meine, du liegst normalerweise nicht gerade mit dem Jungen, den du liebst (oder den du meinst zu lieben) im Bett und fängst dann auch noch an ihn zu streicheln, während er wach ist. Ich kann nichts dafür, dass man sich ab und zu mal irgendwie kindisch (oder männlich oder vielleicht einfach nur doof) verhält. Okay, es war idiotisch, aber ich bemerkte das nicht, bevor Thom mich darauf aufmerksam machte.

»Ähmm, Mirc? Was machst du da?« Klar, dann fiel mir das auch auf. Was habe ich mir bloß dabei gedacht?! Heftig, wirklich heftig. Und hmm, okay, es wäre die ideale Gelegenheit gewesen Thom alles zu sagen, ihm zu erzählen, dass ich schwul bin etc., aber ihr glaubt doch wohl nicht wirklich, dass ich das mache, nachdem ich ihn gerade betatscht hatte. Also, eine Entschuldigung muss her. Hmm, vielleicht ... 'ich wollte nur die Decke etwas anders platzieren' oder ‚das war nicht mit Absicht' oder ‚ich hab schon halb geschlafen'. Nein, nein, nein, ich griff natürlich auf das traditionelle und doch so wahnsinnig überzeugende ...

»Sorry, ich hab gerade an meine Ex-Freundin gedacht. Da war ich nämlich schon mal in einer ähnlichen Situation gewesen. Echt, ich wollte dich nicht befummeln.«, zurück. Ich hoffe meine schauspielerische Darbietung war wenigstens halbwegs überzeugend gewesen. Gut, Thom ist jemand, der an dem Tag bewiesen hatte, dass ich ihm nicht egal war, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ihn erst verführen und dann erzählen muss, dass ich mich in ihn verliebt hätte.

Ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich Ahnung, ob Thom mir das abnahm, aber er sprang nun nicht auf und beschimpfte mich als Schwuchtel. Er führte wohl alles auf meine geistige Verwirrtheit zurück. Wenn ich nicht langsam aufpasste, würden die mich hier noch als Irren abstempeln.

»Ist schon okay. Schlaf jetzt noch. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.« Klar, es wird sich auch sicherlich in den nächsten zwei bis sechs Stunden so wahnsinnig viel ändern. Wie auch sonst ...

Ich konnte sogar schlafen, sprich ich schlief ohne etwas zu träumen, ohne aufzuwachen. Ich fühlte mich neben Thom irgendwie ... sicher. Ich weiß, das hört sich jetzt kitschig an ... Und als ich dann aufwachte ...

»Guten Morgen.« Thom's blaue Augen empfingen mich und logischerweise brachte ich nicht allzu viel zustande. Ich bemerkte allerdings zwei Sachen sofort. 1. Unsere Beine waren irgendwie ganz komisch miteinander verdreht und 2. Ich sag bloß ... da unten und morgens. Okay, es war jetzt nicht so, dass ich angestrengt nach einem Weg suchte, wie ich mich aus dieser Situation befreien könnte (wäre wohl auch etwas sinnlos), es waren mehr unbewusste Gedanken (dem Instinkt des Tieres folgend, oder so), denn hm, ich starrte ihn eigentlich nur an und ja, das war's. Erst als mich Thom dann wieder leicht irritiert ansah (inzwischen musste er doch schon denken, dass ich total der Freak war), kam ich dann doch noch irgendwie dazu etwas halbwegs Intelligentes zu sagen.

»Hi.«

»Wie geht's dir jetzt?«

»Ehrlich gesagt, ich weiß es noch nicht so genau. Na ja, erstens ist mir die Sache, die da gestern beim Essen passiert ist, furchtbar peinlich. Alle anderen müssen doch jetzt denken, dass ich voll das Weichei bin. Und zweitens habe ich einen ziemlichen Filmriss, was danach passiert ist. Das letzte woran ich mich jetzt so richtig noch erinnern kann, ist, dass du mich im Wald auf die Wange geküsst hast. Danach ist alles leer.«

Ich schaute Thom hoffnungsvoll oder wenigstens nicht ganz hoffnungslos an, in der Hoffnung, dass er mir vielleicht glauben würde. Ich meine, es war doch glaubwürdig, oder nicht? Schließlich hatte ich einen Schock gehabt, da kann man schon mal einige Dinge vergessen. Ja ja. Also *ich* fand es schon ziemlich glaubwürdig, aber Thom ist doch eigentlich zu intelligent um mir solchen Schwachsinn abzunehmen. Wenn nicht, könnte das hier zum astreinen Coming Out avancieren, das in jedem x-beliebigen Film oder Buch beschrieben ist.

»Ähmm, ich glaube da gibt es auch nicht allzu viel woran du dich erinnern könntest. Du hast geschlafen. Punkt. Nachdem ich dich hierher gebracht hatte und ... dich ausgezogen habe. Du erinnerst dich an gar nichts mehr?«

»Nein ...?« Das hätte sich eigentlich überzeugender anhören soll, ist aber leider mehr so als Frage herausgekommen. Ahh, screw it. Ich wollte dieses kleine Intermezzo von der Nacht, von wegen: ‚ich habe an meine Freundin gedacht' lieber ganz tief irgendwo in meinem Gedächtnis vergraben und bloß nicht mehr daran denken. Ich meine hey, klar konnte ich mich noch an fast alles erinnern, aber man musste Thom ja nun nicht noch nachträglich auf alles aufmerksam machen, nicht wahr? Na ja und dann kamen bei mir auch wieder die etwas mehr körperlichen Dinge ins Blickfeld. Thom bemerkte das wohl auch.

»Hast du dasselbe Bedürfnis wie ich?« Meinte er vielleicht? Nee, das ... ach *das* meinte er, von wegen mal austreten (ich kann nichts dafür, dass meine Mutter immer diese Ausdrücke benutzt). Wie war ich bloß auf die andere Idee gekommen? Er würde das doch eh nie machen ... also nicht mit mir zusammen ... alleine wohl schon ... nehme ich mal so ganz spontan an.

»Ähm yep.« Ein leicht dämliches Grinsen von mir folgte.

»Lass uns aufstehen.«

»Geh schon mal vor, ich brauche erst noch ein bisschen Zeit um mich zu akklimatisieren, äh zu besinnen.«

»Ist okay.« Er stieg über mich hinüber um aus dem Bett und ich drapierte mich dann fast noch extra so, dass sein Schwanz (natürlich noch in den Boxershorts verborgen) meine Hüfte streift. Das mag jetzt für Leute, die nicht in so einer Situation waren, schwachsinnig klingen, aber ich fand es schön, okay? Also bitte keine Beschwerden.

Thom schnappte sich seine Klamotten und verließ das Zimmer auf leichtem Fuße. Sehr zu meinem Vorteil, da er nicht sah, wie ich rot wurde. Ich starrte eine Weile an die Decke, versuchte geometrische Muster zu erkennen, bevor es dann anfing in meiner Nase zu kribbeln und ich aus dem Bett sprang um mich hastig auf die Suche nach einem Taschentuch zu begeben. Auf Anhieb fand ich natürlich nicht mal Tempos. Vielleicht hätte ich mich gestern, statt mit Geschichten, lieber mit dem Layout (ich liebe Anglizismen) des Zimmers beschäftigen sollen. Dann erblickten meine panischen Augen eine Packung Tempo-Taschentücher unter Thom's Bett (Wofür er die wohl braucht?) und der Tag war gerettet. Na ja, wenigstens für den Augenblick.

Da ich nun schon aufgestanden war und wie ich beim An-mir-herunter-sehen feststellte, auch nackt war, zog ich es kurzer Hand vor, gleich Duschen zu gehen.

Mit etwas Geschick quetschte ich mich dann noch in eine neue Boxershorts und nein, ich werde euch jetzt nicht sagen, was für Bildchen da drauf waren (fünf Buchstaben, fängt mit D an, hört mit O auf. Ich fand es eigentlich sehr passend).

Es begegnete mir absolut niemand auf dem Flur. Im Waschraum entledigte ich mich dann auch sofort wieder meiner Shorts und behob dann das Problem, bevor ich mich zu Thom unter die Dusche stellte, welcher offenbar gerade fertig wurde.

Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe ihn nicht angestarrt ... nicht direkt jedenfalls. Also nicht frontal, aber man hat er einen schönen Po. Ich drehte mich als reine Vorsichtsmaßnahme dann aber doch lieber zur Wand und wusch mich schnellstmöglich. Ich wollte die ganze Sache ja nun nicht noch länger heraus zögern.

Als ich dann so nach etwa 10 Minuten aus dem Duschbereich trat, war Thom anscheinend schon mit Zähneputzen und allem was dazugehört fertig und beobachtete grinsend wie ich die Prozedur hinter mich brachte und gleichzeitig versuchte meine Boxershorts wieder anzuziehen.

Wir gingen dann gemeinsam zurück ins Zimmer, wo jeder sich nun etwas mehr bekleidete (ich hatte schon fast das hautenge T-Shirt in der Hand, aber man muss es ja nun nicht zu auffällig werden lassen) und das Bett wieder in halbwegs akzeptablen Zustand brachte, wobei Thom da ja nun etwas weniger zu tun hatte als ich.

Während er also sein Schulzeug des gestrigen Tages ordnete, was ich ja zum Glück noch nicht machen musste, schmiedete er schon mal erste Pläne für den Tag bzw. er fragte mich, was ich denn nun heute gerne tun würde ... naja, nicht direkt.

»Meinst du denn, dass du inzwischen fit genug bist, um mit uns heute so ein bisschen rumzuhängen?«

»Wieso, was habt ihr denn vor?«

»Also Tim fährt übers Wochenende nach Hause, das heißt er ist schon heute früh gefahren. Er macht das öfter mal.« Ein trauriger Gesichtsausdruck, der von mir nicht unbeobachtet blieb, streifte sein Gesicht. Er fuhr fort: »Das heißt da bleiben noch Max, Luis und ich. Und du natürlich. Wir hatten gedacht wir zeigen dir mal so ein bisschen das Schulgelände und wandern dann noch etwas. Verpflegung können wir mitnehmen. Natürlich hatten wir das gestern geplant, bevor du deine Aktion durchgezogen hast, weshalb dieser Plan wieder verworfen wird.«

»Aber ...«

»Nichts aber. Plan B war oder ist, dass wir dir so ein bisschen das Gebäude zeigen und dann mit dem Bus in die Stadt fahren.«

»Wir können echt ruhig wandern.«

»Nichts da.« Thom und ich drehten uns schlagartig um, als die fremde Stimme erklang.

»Nope, da läuft nichts, Mirko.«, sagte die zweite Person.

»Uhh, lass bloß meine richtigen Namen da raus.«

»Morgen Max, Morgen Lu.«

»Morgen Thom. Dir auch einen schönen Morgen ... Mirko.«

»Aber warum sollte denn euer Plan A nicht mehr funktionieren? Ich bin topfit.« Als Beweis sprang ich auf meinem Bett auf und ab, bis ich beim letzten Sprung leicht ungünstig landete, das Gleichgewicht verlor und meine Körper gerade noch daran hindern konnte, einen Abflug in Richtung Boden, und damit verbunden, Tisch und Stühle zu machen. Toller Beweis. Wahnsinnig glatt gelaufen und sehr überzeugend. Gibt es da nicht so Kurse, in denen man lernen kann andere Leute zu überzeugen? Ich hab sowas noch nie gemacht. Aber das ist wohl offensichtlich.

»Siehst du, deshalb fahren wir in die Stadt. Seid ihr Beiden einigermaßen fertig? Okay, erst Frühstück, dann Besichtigung, dann Bus, dann Stadt.«

»Ähm, eigentlich will ich gar nicht unbedingt Frühstück essen. Wisst ihr, ich esse sonst auch nie ...«

»Mirc, du isst mit uns Frühstück. Basta.« Ich kam mir vor wie zuhause, und gegen Thom anzukommen, war wohl genauso unmöglich wie gegen meine Mutter anzukommen. Da hatte ich keine Chance und musste mich seiner Anweisung fügen. Ich hasse Frühstück! Hmmm, Max hingegen schien sich irgendwie auf das Frühstück zu freuen ... Menschen gibt's.

Ich folgte den Dreien kopfschüttelnd, nachdem ich die Zimmertür mit Thom's Schlüssel abgeschlossen hatte, was mir wiederum ein Kopfschütteln von Thom einbrachte. Was soll ich sagen, ich kann es nun mal nicht ab, dass jeder nächstbeste Idiot meine Sachen durchwühlt, naja, durchwühlen könnte.

Max und Luis unterhielten sich über so ein wahnsinnig hochinteressantes und intelligentes Fußballspiel. Sorry, aber ich kann der Sache nichts abgewinnen. Sport generell interessiert mich nicht wirklich. Hmm, außer Formel 1 vielleicht (ist das eigentlich Sport?) - da gibt es doch einige ganz gutaussehende Fahrer, was man ja aufgrund der Helme leider eher selten sieht. Nicht, dass ich mir das jetzt bloß wegen der Typen anschaue, dann könnte ich auch Fußball oder meinetwegen auch Turnen schauen. Ach, ihr wisst schon, wie ich das meine.

Also wie gesagt, Max und Luis unterhielten sich angeregt (Gladbach gegen Bayern oder so), Thom warf ab und zu auch mal ein Wort ein und ich fühlte mich wieder wie das ‚vierte' Rad am Wagen. Ugh, schon wieder die Mitleidstour, oder? Ist ja schrecklich.

Bevor ich mir noch groß Gedanken darüber machen konnte, wie alleine ich doch war, hatten wir den Speisesaal zum Glück schon betreten. Jeder nahm sich das, was er so vorhatte zu essen (ein Brötchen für mich - ach nein, Semmeln heißt das ja hier - von dem ich schlussendlich die Hälfte gegessen habe) und wir setzten uns wieder an ‚unseren' Tisch.

Der Speisesaal war erstaunlich leer, wie ich feststellte. Max, der Beobachter, bekam mein Erstaunen natürlich firsthand mit und bedachte mich gleich mit fragendem Blick.

»Mirc?«

»Hm, du merkst aber auch alles, oder? Ich wundere mich nur, warum hier bloß so ein paar Leute übrig sind. Ist das normal, dass alle übers Wochenende wegfahren?«

»Fast. Normalerweise sind‘s nicht so viele, dieses Wochenende ist schon extrem. Viele Eltern, ein Großteil davon steinreich, wollen ihre Schützlinge nicht so lange irgendwo alleine sitzen lassen, die armen Kleinen. Außerdem sind sie wahrscheinlich schon in regelrechten Angstzuständen, dass die sonntägliche Messe nicht ordentlich durchgeführt wird.«

»Nur deshalb? Deinem Ton nach zu urteilen scheinst du ja einiges hier nicht so toll zu finden.«

»Na ja, das mit den Reichen ist gar nicht so schlimm,«, warf Thom ein. »Das heißt die meisten der Jungs sind eigentlich ganz nett. Klar, Ausnahmen gibt's überall. Einige, die jetzt nicht hier sind, fahren öfter mal auch einfach so weg um ein bisschen von hier wegzukommen. Ist zwar offiziell nicht ohne Erlaubnis der Eltern gestattet, aber wen kümmert das schon.«

»Aber das mit der Kirche ... Seid ihr auch katholisch?«

»Ursprünglich mal so erzogen, aber jetzt nicht mehr, nein.«

»Max?«

»Dasselbe wie bei Thom. Die ganze Sache wurde mir dann doch zu anstrengend. Und zu streng.«

»Und du, Luis?«

»Nicht so erzogen, aber yep, ich bin katholisch, lese die Bibel, glaube an Gott, bete, und gehe jeden Sonntag zur Messe.«

»Echt? Cool. Okay, vielleicht nicht cool, aber ich finde das irgendwie interessant.«

»Du bist nicht katholisch, oder?« Ich? Katholisch? Das wär's ja.

»Nope, auch nicht evangelisch oder so. Komplett atheistisch erzogen, inklusive von Witzen über Leute, die an Gott glauben.« Okay, es war nicht die komplette Wahrheit, aber wie sollte ich die Geschichte mit dem Pfarrer in Hamburg erklären ohne das andere bisschen auch auszuplaudern.

»Das würde sich hier öffentlich kaum einer trauen. Witze machen, meine ich. Gerade hier, wo wirklich jeder zur Messe geht.«

Entsetzen machte sich auf meinem Gesicht breit: Jeder geht zur Messe. Bah!

»Muss ich denn da auch hin?«

»Hmm, das ist irgendwo ... Gruppenzwang, wenn du es so willst. Offiziell musst du nicht hingehen, aber du weißt ja wie das so mit offiziell und inoffiziell ist. Seid ihr alle bald mal fertig?«

»Wo gehen wir denn zuerst hin?« Die drei Alteingesessenen schauten einander fragend, abwägend, entscheidend an.

»Schulflügel.«, sagte Max dann mit bestimmten Ton, stand auf und ging voraus; wir anderen hinterher im Gänsemarsch.

Während des Gehens, hielt Max weiter seinen Vortrag, erklärte das System der Raumordnung während wir den endlos langen Flur entlang trabten. Und ehrlich gesagt habe ich an dem Tag von der Rundreise noch nicht einmal so viel mitbekommen. Entweder es war zu viel auf einmal oder meine Gedanken waren anderweitig beschäftigt ... ähm ... Thom?! Ich war bloß heftigst erstaunt als wir auf plötzlich in dem sogenannten Wohnflügel standen, sprich auf der ersten Etage des Flügels, welcher die Wohnräume beheimatet ... oder so.

Ich durfte dann noch einen kurzen Blick in das Gemeinschaftszimmer werfen, das allerdings schon besetzt war. Aber wer braucht schon Gemeinschaftszimmer?! Ich doch nicht! Ich kenne doch so viele Leute. Besonders hier. Oops, hier - Gegenteil Hamburg - meine Freunde dort - Marc - ich habe mich noch nicht gemeldet - ich brauche einen Internetanschluss.

»Jungs, gibt's hier so etwas wie einen Computer mit Internetzugang?«

Alle Drei hielten wie auf Kommando mitten auf dem Flur an und ihre leicht vorwurfsvollen Blicke trafen die doch sehr überraschten meinen.

»Wir sind hier in Bayern, dummy. Internet ist hier ein Fremdwort. Du hast Glück, wenn die Leute hier das Wort Telefon verstehen. Oder Brief.«

»Ha-ha.« Ich hasse es verarscht zu werden. Da überreagiere ich dann schon mal sehr schnell. »Vergiss es, okay?!«

»Mann Mirc, komm mal wieder auf den Boden! Das war ein Scherz. Leuchtreklame!!«

Ich hasse Thom.

»Ach, verpisst euch.«

»Stop!« rief mir Max noch zu, als ich mich schon wieder weggedreht hatte. »Lass dir jetzt bloß nicht einfallen wieder abzuhauen. Damit machst du die Sache auch nicht einfacher. Und nein, wir haben kein Internet hier, allerdings schon Computer. Aber in der Stadt ist ein Internetcafé. Du kannst ja heute mal reinschauen, gesetzt des Falles, dass du dich wieder einkriegst. Keiner will dir hier an den Kragen. Ich denke, das hast du inzwischen auch schon festgestellt.«

Ich mache aber auch wirklich immerzu dieselben Fehler, oder? Und lief natürlich auch prompt rot an. Peinlich? Ach ... ich mach das ja jeden Tag. Man gewöhnt sich dran.

»Sorry.«

»Kein Problem. Lass uns gehen. Der Bus kommt in genau 10 Minuten. Und wir müssen noch runter zur Straße. Haben alle ihr Geld oder was sie sonst noch so brauchen könnten?«

Ein kollektives Nicken genügte als Antwort und wir machten uns plaudernd auf den Weg. Die Jungs erzählten mir noch mehr über das tägliche Leben im Internat und irgendwie erschien es mir dann doch nicht so interessant, wie ich mir das vielleicht mal vorgestellt hatte. Eigentlich war es auch nur Schule und halt nachmittags mit immer denselben Leuten rumhängen. Und so wie die drei das darstellten, war es eher Gefängnis als Freiheit, aber was soll's ... ich glaube dadurch, dass ich Thom nun immer um mich rum haben würde, fand ich das alles nicht so wahnsinnig schlimm. Naja, zu dem Zeitpunkt war ich ja auch erst seit zwei Tagen dort gewesen ... da kann man schon mal große Reden schwingen.

Als wir an der Bushaltestelle ankamen, hatten wir noch etwa anderthalb Minuten (laut Thom) bis der Bus kommen sollte, aber er kam dann doch wirklich zehn Sekunden zu früh. Solch eine Frechheit.

Die Fahrt verlief größtenteils schweigend und ich betrachtete die vielen Kirchen, die so am Busfenster vorbeizogen. Das würde ja noch interessant werden, ich und Kirche. Und dann noch katholisch.

Sobald wir die Stadt, oder besser gesagt das Städtchen erreichten, schrie jede Sekunde einer von den Dreien auf um mir nun etwas wahnsinnig interessantes wie ein Café, die Autobahn oder so ein Flüsschen zu zeigen. Nach etwa 30 Sekunden schaltete ich dann ab, bis ich Thom irgendwas von Hallenbad sagen hörte - da war ich natürlich wieder extrem aufmerksam.

»Wie? Was? Hallenbad? Wo?«

»Da hinten. Wieso auf einmal so aufmerksam?« Alle grinsten mich an. Erwischt würde ich mal sagen ... stimmt überhaupt, von dem Schwimmen habe ich irgendwie nicht gar nichts erwähnt. Da haben sich wohl zeitweise die Prioritäten etwas verschoben.

»Ich bin in Hamburg in einem Schwimmteam gewesen, hatte aber schon die Hoffnung aufgegeben, dass es so etwas hier gibt.«

»Na hör mal, wie sind in einer 30.000 Seelen Stadt und nicht auf irgendeiner verlassenen Bergalm.«

»Sorry.« sagte ich grinsend. Da war ich wohl Thom etwas auf den Schlips getreten. Ich wusste ja gar nicht, dass er so patriotisch veranlagt war.

»Alles aussteigen, wir sind im Zentrum.«

»Ist ja wahnsinnig aufregend hier.«

»Durch Hamburg wohl etwas verwöhnt der Kleine, oder?«

»Ha-ha. Und wo ist die City?« Kollektives Grinsen von den Dreien während wir uns auf den Weg dahin machten, was wenigstens ansatzweise nach Innenstadt aussah. Ich will ja wirklich nicht allzu negativ sein, aber die Stadt konnte man wirklich kaum als Stadt bezeichnen ... kein Vergleich zu Hamburg und so was wie wenigstens eine klitzekleine Szene würde es hier wohl auch nicht geben. Nicht, dass ich das erwartet hätte. Zumal, die Szene ist sowieso völlig überbewertet. Das erinnert mich irgendwie an eine RTLII Reportage (jaja, ich hab den Sender nur mal so beim Durchschalten erwischt. Natürlich. Und Modern Talking hört auch keiner und die verkaufen Millionen von Platten.), aber was soll's.

Die Jungs zeigten mir also die Hotspots, wobei ich das alles nicht mehr wirklich interessant fand, nachdem wir dann - endlich - das Internetcafé passiert hatten. Nicht, dass ich jetzt irgendwie darauf fixiert wäre oder so. Ich habe schon noch ein Leben, aber im Augenblick sah es ja schon so aus, dass das Internet (Ist schon mal jemandem die Ähnlichkeit der Worte ‚Internet' und ‚Internat' aufgefallen?) mein einziger Kontakt zu dem schwulen Ich ist. Falls das jetzt verständlich war, aber ich denke schon.

Ich hielt mich also im Internetcafé auf, besuchte einige der wichtigen Sites, beantwortete einige E-Mails ... okay ... ich beantwortete alle ... waren ja eh nicht so viele, ein paar wegen gewisser Stories was natürlich gut tat. Schrieb auch Marc, dass ich angekommen war. Thom verschwieg ich dabei erst mal. Aber sonst tat ich nichts weiter Interessantes. Man konnte ja nun auch schlecht irgendwelche netten Stories lesen, wenn hinter deinem Rücken alle 10 Sekunden irgendwer langläuft.

Ziemlich zum Ende der zwei Stunden, während ich mich gerade auf doch recht offensichtlichen Sites aufhielt, hörte ich die anderen zur Tür reinkommen, welche sich doch in erstaunlich kurzer Entfernung von meinem Platz befand. So schnell konnte ich gerade noch auf mein Sicherheitsfenster, die Star Wars Site, zurückgreifen. Die anderen blieben natürlich auch weiterhin in der Leiste sichtbar, aber die Jungs würden wohl nicht darauf achten.

»Star Wars Fan? Ich auch.« Max. Ouch. Star Wars Fan? Ist ja super, nur das ich keine Ahnung von Star Wars habe. Merke, nächstes Mal eine bessere Notfall-Site auswählen.

»Ähm ja, Star Wars ist cool. Wir können dann gleich gehen ...«

»Braveboy?« Okay, vielleicht doch nicht. Wieso müssen Jungs so verdammt neugierig sein?

»Ähm, braveboy ...halt so eine Site.«

»Und worum geht's da? Mach doch mal das Fenster auf.« Sprach's und wollte mir die Mouse entreißen. Ich krallte mich daran fest. Warum haben Menschen die Angewohnheit alles so genau wie möglich zu hinterfragen? Warum geben sie sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden.

»Braveboy … ist halt über Leute, die was Mutiges machen … Schlangen schlucken und so.« Bevor das noch groß hinterfragt werden konnte schnell mit rechter Maustaste das und die anderen Fenster geschlossen und schnell vom Thema abgelenkt. Schlangen schlucken ... wenn man es nun so ausdrücken will.

»Was machen wir jetzt?« Ratlosigkeit, denn so viele Dinge gab es hier ja wohl nicht, die man machen könnte.

»Hugendubel.«

»Gute Idee.«

»Yep, kommt gut.«

Doch, das finde ich auch ganz toll. Zumal ich natürlich auch voll im Bilde bin, was denn jetzt ‚Hugendubel' ist. Ich kenn das bloß als Buchladen ... aber da werden sie mich doch wohl nicht unbedingt hin zerren wollen. Nicht, dass *ich* was dagegen hätte aber aufgrund irgendwelcher Dinge bezweifelte ich, dass die Anderen so wahnsinnig viel für Bücherläden übrig haben.

»Was. Ist. Hugendubel? Ein Baumarkt?« Naja, halt Dubel … ähmm, Dübel, oder? Gibt's es da nicht so einen dämlichen Spruch von wegen Schwule und Technik? Gut, gehen wir da erst gar nicht darauf ein.

»Das ist ein Café. Nicht weit von hier.«, sagte Luis, während er, Max und Thom sich schon so an die fünf Meter von mir entfernt hatten. Ich hasse es irgendwo neu zu sein. Das gibt einem immer so ein Gefühl von Hilflosig- und Abhängigkeit. Nun gut, man kann es ja nun leider nicht ändern. Ich trottete also mal wieder hinter den Dreien her, aber zu ihrer Verteidigung muss ich bemerken, dass es wirklich nicht weit war.

Wir saßen also gemütlich im Café und sie erzählten mir über den normalen Schulalltag, über die Lehrer und speziellen Typen in der Klasse. Und, wie sollte es anders sein, natürlich kann man auch auf das Thema Mädchen zu sprechen.

»Weißt du, wo du hier die besten Mädchen findest? In der Scheune. Das ist heute sowieso wieder Party. Gehen wir hin? Kommt schon, Jungs. Sandra ist da. Und Anne. Und Steffi, Nadine und Kirsten.« Max war wohl doch sehr eindeutig hetero, wenn man das mal so formulieren darf. Das erinnerte mich aber irgendwie an die Zeit in Hamburg. Nur, dass es da bei Gesprächen von Marc und mir eher nicht um Mädchen ging. Die Anderen schienen von Max Idee einigermaßen angetan.

»Heute Abend? Wann ist Morgen Messe? Um 10? Hmm ... warum nicht. Luis, was meinst du?«

»Schon okay, bloß wir müssen laufen oder die Räder nehmen.«

»Scheiße klar, die Busse.« Soso, Thom denkt also auch nicht immer an alles.

»Mirc? Deine Einweihung heute Nacht?« Eigentlich kann man bei solchen Sachen ja schlecht nein sagen, schließlich ... naja, man will halt dazu gehören. Nur ich keine Lust darauf den ganzen Abend mit irgendwelchen Mädchen zu verbringen, die mir um den Hals hingen und irgendwelchen Schwachsinn erzählten? Aber wenn ich jetzt nein sagen würde ... man weiß ja wie das ist, einmal die Chance verpasst dazu zu gehören und das war's ... aber wollte ich wirklich ...

»Nein, Mirc kommt nicht mit.«

Wie bitte?! Ich glaubte ich höre nicht richtig. Ich starrte Max entgeistert an ... und da war ich nicht der Einzige. Thom und Luis sahen doch auch eher überrascht aus. Also so hatte ich ja nun Max nicht eingeschätzt, dass er mich gar nicht dabei haben wollte. Ich will ja nichts sagen, also erfreut war ich darüber wirklich nicht ... okay ... was soll's, die Tränen standen schon wieder Oberkante Unterlippe. Hey, wenigstens lasse ich meine Gefühle raus und verstecke sie nicht ... meistens jedenfalls.

»Wieso nicht?«, fragte Luis Max mit leicht aggressivem Unterton.

»Ich sag nur gestern Nacht. Er war gestern schon die halbe Nacht draußen. Meinst du es kommt gut, wenn das nochmal passiert? Nachts auf dem Fahrrad? No way. Schließlich muss der Kleine morgen mit zur Messe.«

»Okay, stimmt schon. Mirc bleibt also zu Hause, aber wir gehen okay?«

»Entschuldigung, dass ich mich auch noch mal einmische. Ich heiße übrigens Mirc und bin das Objekt über das hier gerade verhandelt wird. Ich glaube doch, dass ich sehr wohl alleine entscheiden kann, was ich mache oder nicht, wohin ich gehe oder nicht und wann ich das tue. Mann, ihr seid ja schlimmer als meine Eltern. Ist doch war.«

»Setz dich hin, hör mir zu und halt mal einen Augenblick deine Klappe.« Na super, jetzt auch noch 'ne Moralpredigt von Thom. Ich meine hey, ich bin doch kein kleines Kind mehr!

»Also. Du. Bleibst. Heute. Abend. Zuhause. Punkt.«

»Thom, ich bin nicht dein Sohn oder deine Freundin, die du herumkommandieren kannst.«

»Jetzt hör mir mal zu, Kleiner. Du wohnst mit mir zusammen in einem Zimmer, richtig? Richtig. Ich bin dein Freund, richtig? Richtig ...«

Mein Freund ... wenn's nur so wäre. Dann würde ich ihn vielleicht auch herumkommandieren lassen. Obwohl, auf so was stehe ich eigentlich nicht.

»...Ich weiß nicht ob du gestern Nacht schon vergessen hast, aber es war scheißkalt draußen. Und es hat geregnet. Und wenn mich nicht alles täuscht bist du definitiv nicht vollkommen gesund im Augenblick. Das heißt du bleibst im Internat. Gewöhne dich dran, dass wir auch eine Art Familienrolle übernehmen, wenn wir zusammen sind. Mag zwar affig klingen, aber das ist die einzige Möglichkeit, dass wir einander vertrauen können. Ich weiß, dass sich die Anderen um mich Sorgen machen, wenn ich krank bin. Und ich mache mir Sorgen um sie. Und wenn sie ganz genau wissen, dass ich irgendwelchen Scheiß vorhabe, halten sie mich davon ab. Das heißt es Freunde zu haben und genau das versuchen wir gerade dir verständlich zu machen. Es geht nicht darum, dass du ausgeschlossen wirst. Es ist einfach besser für dich. Punkt. Die Diskussion ist beendet.«

Super. Das hört sich ja alles schön und gut an, aber ich hätte dann doch noch gerne die Möglichkeit auch eigene Entscheidungen zu treffen. Mann, Thom hat sich ja richtig ... dominant angehört. Wow.

Alles in allem verstand ich natürlich ihren Standpunkt und alles, aber ich war es nicht wirklich gewohnt, dass ich jetzt 24/7 Leuten um mich haben würde, um die ich mich kümmere und die sich um mich kümmern. Und halt nicht nur als Leute, die man mal irgendwo trifft sondern als wirkliche Freunde. An den Gedanken musste ich mich natürlich erst mal gewöhnen.

Natürlich hatten sie auch recht in diesem speziellen Fall. Meine Eltern würden mir auch nicht erlauben nachts noch irgendwo draußen rumzurennen, wenn ich mir 'ne doch recht heftige Erkältung zugezogen habe. Sie haben ja alle so recht. Aber ist es nicht auch irgendwie schön, dass sich Leute um einen sorgen? Das gefällt mir. Man stelle sich mal vor (Einige Menschen brauchen sich das sicher nicht vorstellen. Die erleben das jeden Tag.), wie das ist, wenn sich gar keiner um einen kümmert. Wenn man machen kann, was man will, und das jedem anderen völlig egal ist. Ich glaube da zieht man im Endeffekt das Behütet-Sein vor.

»Mirc?«

»Hmm?«

»Okay?«

»Jaja, klar, ich verstehe das schon, keine Angst. Gebt mir nur ein bisschen Zeit mich daran zu gewöhnen 4 Väter zu haben, wenn dann Tim auch wieder hier ist.« Luis und Max grinsten, wahrscheinlich erinnerten sie sich daran mal dasselbe gedacht zu haben. Thom sah eher traurig aus. Er vermisste wohl Tim schon recht heftig.

»Gehen wir dann und kommen heute Abend wieder?«

»Ja, lass uns gehen. Der Bus fährt in 5 Minuten und 23 Sekunden.« Kollektives Gestöhne und Thom bekam von Max einen Schlag auf den Hinterkopf.

»Spinner.«

»Hey wieso? Zeit ist wichtig.« Ich glaube die Diskussion hatten die Beiden schon mal gehabt, denn Max rollte mit den Augen und machte eine abwinkende Bewegung.

»So, was habt ihr nun gekauft?« Nicht, dass ich neugierig bin, oder so. Wir setzten uns auf die Bank an der Bushaltestelle und Thom packte zuerst seine Einkaufstüte aus. Eine CD. Mainstream-Single um genau zu sein. ‚The Storm is over' - R. Kelly. Nicht wirklich mein Geschmack, aber naja, nettes Lied. Ein Buch. ‚Das Testament' - John Grisham. Schon nicht schlecht.

Max hatte schon vorsorglich alle Sachen vor sich ausgebreitet.

»Also, die Hose. Jeans natürlich, recht eng, aber nun gut, das muss so. Weißt du wie lange ich dieses Shirt schon gesucht habe? Eine halbe Ewigkeit. Das ist so schön grell.«

Ich hatte Mühe mein Grinsen zu unterdrücken, aber Max kam mir, so wie er über seine Klamotten redete, schon wie eine Tunte vor. Ohne, dass das jetzt 'ne Beleidigung sein soll. Ich bin schließlich selbst schwul, und nicht absolut hetero-mäßig, wenn man mal an die Klamotten in meinem Schrank denkt, aber wie er so über seine Sachen erzählte. Aber nun gut, aus der Tirade über die Mädchen vorhin im Café kann man wohl schließen, dass er doch recht einwandfrei hetero ist.

Luis hatte sich ein rotes Short mit einem kleinen gelben Äpfelchen gekauft. Doch, da konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass ihm das stehen würde. Wenn ich mir das mal so ganz spontan vorstelle ... hmmm ... okay, das reicht. Man muss ja nicht unbedingt einen Steifen kriegen, wenn man mit männlichen Wesen an einer öffentlichen Bushaltestelle sitzt. Was sollen die Leute denken. Und jaja, ich könnte auch einen Steifen kriegen wenn ich an Luis denke ... hey, Thom ist doch die Welt, richtig? Aber okay, ich würde ihn schon jederzeit einem der Anderen vorziehen. Wie er da so sitzt. Die roten Haare ganz wirr und die Augen so träumerisch in die Ferne schweifend. Ähmm ja, vielleicht sollte ich solche Aktionen lieber sein lassen, denn irgendwie ... vielleicht muss ich mir auch einfach nur eine neue Hose kaufen?

Dann kam auch endlich der Bus. Genau 1 Minute und 49 Sekunden zu spät wie Thom bemerkte. Echt ein Spinner. Aber ein süßer Spinner.

Auf der Fahrt nach Hause konnte ich mir dann noch mal alle ‚Sehenswürdigkeiten' der Stadt anschauen. ‚Nach Hause' ... seltsam, wie ich das Internat als Zuhause bezeichnete, jetzt schon. Aber ich fühlte mich auch extrem wohl, das kann man nicht anders formulieren.

An der Heimatbushaltestelle angekommen, machten wir uns auf dem Weg ins Internat und wurden von strahlendem Sonnenschein begleitet. Im Internat selbst war alles wie ausgestorben ... wo die nur alle waren ... Luis und Max begaben sich in ihr Zimmer während Thom und ich ja noch die Treppe hochmussten.

»Sorry wegen der Sache im Café. Ich wollte dich echt nicht herumkommandieren.«

»Ist schon okay, ich habe ja verstanden, worum es ging und ihr habt natürlich recht. Es ist wohl wirklich besser für mich und meine Gesundheit, wenn ich heute hier bleibe.«

»Siehst du, sag ich dir doch. Also, wie fandest du den Tag in der Stadt. Und alles im Internet gefunden?«

»Der Tag war nett und ja.«

»Was genau war diese braveboy Seite eigentlich noch mal?« Ich rollte nur noch mit den Augen. Männer.

Kapitel V

Als wir dann endlich in unserem Zimmer saßen, war es auch immerhin schon 16.00 Uhr. Eigentlich hatte ich das gar nicht so im Gefühl gehabt, dass wir so lange weggewesen sind, aber muss wohl so gewesen sein. Zwangsläufig.

Thom hatte sich in seine Ecke verzogen und las das Buch, dass er gekauft hatte, während ich etwas verloren im Zimmer stand. Irgendwie, aus welchen Gründen auch immer, hatte ich keine Lust auf irgendetwas, aber nun gut ... etwas musste ich ja nun machen und da Thom offensichtlich keinen Bock auf ein Gespräch hatte, musste ich mich wohl irgendwie mit mir selbst beschäftigen. Ich setzte mich aufs Bett und schaute Thom dabei zu, wie er las. Okay, ganz so offensichtlich nun auch nicht. Ich hab mir schon noch ein Buch genommen und es mir vor die Nase gehalten, aber da ich nicht einmal umgeblättert habe, würde ich es nicht unbedingt als lesen bezeichnen.

Thom war in sein Buch ganz vertieft. Es war schön zu beobachten, wie seine Augen die Zeilen entlang huschten und wie sein Gesicht die Mimik der gerade im Buch sprechenden Person, wie ich vermutete, nachahmte. Da hoben sich Augenbrauen und senkten sich Mundwinkel. Die Augen bekamen mit jedem Moment einen anderen Ausdruck. Schön.

Ich war so vertieft in seine Gesichtszüge, dass ich nicht wirklich mitbekam, wie die Tür aufging.

»Hey. Pennt ihr oder was?« Auf frischer Tat ertappt. Ich war schon lange nicht mehr so zusammengezuckt ... Naja, erinnern wir uns an die letzten Tage, es ist bestimmt schon mal vorkommen. Wenn ich etwas noch mehr hasse als Leute, die mich verarschen, sind das Leute, die mich erschrecken. Da war es nicht verwunderlich, dass ich Max erst mal böse anfunkelte.

»Was? Wobei habe ich dich denn gestört?« Ähmm ja, dazu wollen wir dann doch lieber nicht näher Stellung nehmen. Zum Glück gab's ja auch noch Thom im Zimmer.

»Was wollt ihr denn schon wieder hier? Habt ihr noch nicht genug von uns gehabt?« Meine Rede.

»Eigentlich schon, aber wir wissen ja, wie sehr ihr uns mögt.« Das übliche Geplänkel.

»Was macht ihr gerade? Irgendwas Interessantes? Mir ist langweilig.«

»Ich lese. Mirc liest. Nimm dir ein Buch!«

»Langweilig! Lass uns was spielen!« O-oh, ich sehe schon worauf das hinausläuft. Für Wahrheit oder Tat bzw. Strip-Poker ist es ja noch etwas zu früh. Da kann das nur irgendein dummes Gesellschaftsspiel sein.

»El Grande.« Oh nee.

»Bin ich auch dafür.« Nein. Mein hoffnungsvoller Blick blieb an Thom hängen. Bitte, bitte kein Strategiespiel, bitte ...

»Okay.« Super.

»Mirc?«

»Ähmm, ich hab das noch nie gespielt, also, wenn ihr wollt, könnt ihr ja spielen und lese derweil noch ein ...«

»Nichts da, wir erklären dir das schon. Thom, wo hast du das Spiel?«

»In meinem Schrank, links unten.« Während Max sich auf die Suche nach dem Spiel bekab, schmiss ich mein Buch in die Ecke (‚1984' von Orwell ... gar nicht so ein schlechtes Buch, wenn man sich drauf konzentrieren und nicht Jungs anstarren würde) und half den Anderen dabei den Mitteltisch wenigsten ansatzweise frei zu räumen.

Die Drei bauten das Spiel auf, verteilten Karten und Bausteinchen während ich die Spielanleitung las, die mir Max in die Hand gedrückt hatte. Wer denkt sich so ein Spiel aus? Mit Königen und angrenzenden Ländern und 'nem Castillo und Kolonien oder wie auch immer das hieß. Okay, ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich was gegen solche Spiele, aber in dem Moment hatte mich das dabei unterbrochen Thom zu studieren und das fand ich gelinde gesagt nicht so toll. Aber gut, es half jetzt auch nichts die ganze Zeit rumzumaulen und so versuchte ich krampfhaft dem Spiel zu folgen. Es gelang mir auch einigermaßen bis ich das erste Mal dran war. Nutzlos zu erwähnen, dass ich natürlich letzter wurde. Obwohl, am Ende hatte ich wenigstens das mit den angrenzenden Ländern verstanden.

Das Spiel dauerte ewig, da sich die Herren natürlich entscheiden haben, die volle Rundenzahl zu spielen und nicht die verkürzte, weshalb sie sich, nachdem dann Luis gewonnen hatte, auch schon für ihren Party-Abend fertig machen mussten. Ich kam mir vor, wie der 4jährige Sohn der Familie, der nicht mitdarf, weil er noch zu klein ist, als ich Thom so beobachtete wie er noch duschte. Also, ich hab Thom nicht beim Duschen beobachtet, aber beim Anziehen. Er brauchte ewig ehe er das richtige Shirt gefunden hat, aber ich beschwere mich nicht, schließlich musste er sich deswegen gleich mehrmals Aus- und Anziehen.

Irgendwann stand er dann doch wider Erwarten geschniegelt und gestriegelt, fertig zum Abmarsch vor mir und er sah richtig süß aus. Schwarze Jeans, relativ enges weißes Shirt mit offenem schwarzen Hemd darüber, die Haare glatte gekämmt und etwas gegelt. Also in Hamburg wäre er in dem Outfit nicht mehr lebend aus dem nächstbesten Club rausgekommen.

»Kann ich so gehen?« Er grinste mich an. Mann, ich fühlte mich schon fast wie in einer Beziehung, aber dann würde ich ihm in dem Augenblick wohl einen Kuss geben, was ich dann doch nicht tat. So ganz spontan. Ich hätte natürlich, aber nein.

»Yep, du siehst gut so aus.« Ich grinste zurück.

»Okay, ich weiß noch nicht wann wir zurück sein werden. Geh nicht zu spät ins Bett, putz deine Zähne und lass keine fremden Menschen ins Zimmer.«

»Ja Papa.« Ich rollte wieder mit dem Augen. Er würde wohl mal einen guten Vater abgeben. Ein letztes Ciao und ich war alleine im Zimmer. Wow, das hatten wir doch in den letzten 24 Stunden nicht mehr gehabt, aber es war irgendwie auch seltsam ... so alleine. Nicht, dass ich jetzt Angst hatte, aber ... es war so ruhig. Nun gut, genügend Zeit für die interessanten Dinge des Lebens.

Ich ging also auch Duschen, schließlich gab es für mich nicht allzu viel Grund noch groß lange aufzubleiben. Ich musste ja auf Thom hören. Nein, im Ernst, ich konnte natürlich Selbstgespräche führen, aber das fand ich persönlich noch nie so wirklich interessant. Ich rede in meinen Gedanken schon genug mit mir selbst. Da muss ich das nicht auch noch artikulieren.

Die Dusche war - zu meinem offenen Erstaunen - nicht leer, sondern mit zwei nackten Männern gefüllt. Ui, und ich wollte da rein. Zumal die Beiden gar nicht mal so schlecht aussahen.

»Ähmm hi.«

»Hallo.«

»Hallo, du bist neu hier oder? Ich hab dich gestern beim Abendbrot gesehen.«

»Ja, ich bin neu hier. Ich heiße Mirc, naja, eigentlich Mirko, aber den Namen benutzt sowieso keiner mehr. Und ach ja, ich komme ursprünglich aus Hamburg.«

»Ich bin Andreas oder Andi. Aus München.«

»Christian. Chris. Frankfurt.«

»Frankfurt, echt? Ich dachte immer das sind alles Bayern hier.«

»Nee, nicht alle. Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich hier aufs Internat gehe, ‚weil man da ja viel besser lernen kann'. Was soll's, so schlimm ist es nicht. Willst du eigentlich auch duschen oder nur nackt rumstehen?« Ähm ja, wir hätten mal wieder einen Zeitpunkt erreicht um rot anzulaufen. Danke für das Startsignal. Wieso passiert das eigentlich immer nur mir?

Ich quetschte mich also neben Christian und beschäftigte mich dann doch recht schnell mit meiner Körperpflege. Christian war als erster fertig, blieben noch Andi und ich.

»In Hamburg war ich auch mal. Ist aber schon ewig her. Schöne Stadt.«

»Ja schon. Tut mir auch ein bisschen Leid, dass ich von da wegmusste, aber so schlimm scheint das hier ja nicht zu sein.«

»Naja, in den Ferien bist du dann ja wahrscheinlich immer noch mit deinen Eltern da.«

»Nee, glaube ich nicht, meine Eltern sind auch hierher gezogen. Irgendwo in die Berge. Deswegen wird es wohl etwas dauern ehe ich mich mal wieder in Hamburg sehen lasse.«

»Hattest du 'ne Freundin da?«

»Nee. Du in München?«

»Naja, nicht so wirklich. Ich kenn jetzt schon seit einiger Zeit so ein Mädchen online, und ich würde mich schon gerne mit ihr treffen, auch nur um da rein freundschaftlich was aufzubauen, aber ich traue mich nicht sie zu fragen, weil ich ja auch gar nicht weiß, ob sie will und so.« Oh Mann, das hatte ich auch noch nicht, dass mich jemand nach Rat bei solchen Sachen fragt. Wenn er wüsste, dass sich schwul bin, hätte er wohl eher nicht mich um irgendeinen Rat gebeten.

»Hmm, wenn ich du wäre, würde ich sie einfach fragen, ob sie sich mit dir treffen will. Ich glaube nicht, dass sie nein sagen wird.«

»Ja, ich glaube das werde ich machen.« So langsam traten die Duschen dann doch wieder in die kalte Phase ein und Andi und ich beeilten uns dann doch etwas, dass wir fertig wurden, zumal Chris schon recht ungeduldig wartete und leise lachend beobachtet, wie wir uns mühsam versuchte in dem kalten Wasser die Seife abzuwaschen ... jaja, Schadenfreude.

Erst da fiel mir auf, dass wir jetzt ja doch alle nackt waren. Seltsam, in der Dusche ist das irgendwie im Gespräch untergegangen, aber jetzt standen zwei nackte Jungs vor mir, die noch nicht mal so schlecht aussahen, beide braunhaarig, wobei Chris graue und Andi braune Augen hatte. Chris eher schmächtig, während Andi ... naja, er war nicht wirklich kräftig gebaut, normal halt, aber gegen Chris, wirkte er schon recht kräftig. Hübsch. Ein wirklich hübscher Anblick, fand jedenfalls Klein-Mirc, der gerade dabei war, sich, um einen besseren Blick zu bekommen, zu erheben. Groß-Mirc, mit Hirn oben, war da natürlich kurz davor die Flucht zu ergreifen. Nach einem hastig gestammelten ‚man sieht sich', war ich schon halb aus der Tür, als Chris mich noch nach meiner Zimmernummer fragte.

»Ähmm, Nummer ...« Jaa, welche Nummer denn nun. Normalerweise konnte ich mich auf mein Gedächtnis wirklich verlassen, aber irgendwie ...Nummer fünf oder 22 oder 13? Ich wusste es nicht mehr, einfach weg.

»Bei Thom im Zimmer.«

»Okay. Man sieht sich mal.«

»Ciao.« Und weg war ich. Ich fand es manchmal extrem nervig schwul zu sein. Echt. Ich meine, bist du hetero würdest du wohl kaum in solche Situationen kommen, es sei denn Mädchen und Jungs duschen zusammen. Ich meine, wenn du schwul bist, ist dir immerzu irgendeine Sache total peinlich. Ins Fettnäpfchen trittst du sowieso. Aber vielleicht passiert nur mir das. Vielleicht haben da andere Schwule gar kein Problem mit. Aber man MUSS ja geradezu ein Problem damit haben. Also nicht mit dem Schwul sein direkt, das ist wohl eher individuell, aber mit den damit verbunden Un- und Annehmlichkeiten des Lebens. Aber gut, ich hatte es ja überlebt ... wenn auch gerade so.

Im Zimmer ließ ich mich aufs Bett fallen und mein Blick schweifte über alles. Nett. Einfach nur nett. Während ich noch krampfhaft versuchte wachzubleiben und alles in Augenschein zu nehmen, fielen mir meine Augen auch schon zu und ich schlief ein, so wie ich da auf dem Bett saß. 1. In einer komplett unbequemen Position und 2. Nackt. Mal wieder. Aber mein Gott, wenn man müde ist, muss man halt schlafen.

Und ich muss wohl ziemlich tief geschlafen haben, denn ich schreckte hoch, als ich eine Hand auf meiner Schulter fühlte. Ich schaute wahrscheinlich erst mal wie so eine erschrockenes Rentier im Licht (es gibt irgend so einen englischen Spruch der so - oder so ähnlich - heißt), sprich total erschrocken mit weit aufgerissenen Augen. Aber es war natürlich nur Thom der vor mir stand. Ich machte die Augen wieder zu und ließ mich entspannt nach hinten sinken. Meine Hand landete auf meinem Bauch und ... yep, wir waren ja noch immer nackt. Und wir wussten im Augenblick nicht in welchem Zustand sich Klein-Mirci befand. Während der Nacht hat der nämlich öfter mal die Angewohnheit sich zu erheben. Einmal kurz geblinzelt und halb Erleichterung, halb Erschrecken, halb halt, Halbmast ... Hätte schlimmer, aber hätte auch besser sein können. Das halboffene Augen, das Geblinzelte sozusagen, wanderte von meiner Männlichkeit zu Thom, der meinen Schwanz anscheinend gar nicht bemerkt hatte, sondern mein Gesicht musterte.

»Warum bist du nicht zugedeckt? Willst du dir den Tod holen?«

»Aber Papa ...«

»Mirko, ich meine es ernst. Du bist schon krank und liegst trotzdem noch in der Kälte hier rum.«

»Ich bin halt eingeschlafen.«

»Das ist keine Entschuldigung.«

»Thom geh mir nicht auf den Geist mit deinen Sorgen. Ich bin ja wohl alt genug zu entscheiden, wann ich ein Zudeck nehme und wann nicht.«

»Sorry, ich übertreib es wohl etwas.«

»Allerdings.«

»Da bist du nicht der Erste, der das sagt ...« Ich dachte da kommt noch was, aber er drehte sich weg und zog sich langsam aus, machte das Licht aus und legte sich hin. Ich saß immer noch nackt auf meinem Bett und wollte mich gerade zudecken, als ich Geschniefe von drüben hörte. Ohoh, da hatte ich wohl eine empfindliche Stelle getroffen. Seltsam wie ich, obwohl ich selbst so empfindlich auf alles reagiere, noch so ein unsensibles Arschloch sein kann. Das hatte wahrscheinlich alles einen Grund, dass Thom sich um mich und anscheinend auch um die Anderen sorgte. Ich war kurz davor zu ihm zu gehen und mich zu ihm zu legen, ich war sogar schon aufgestanden, aber dann setzte ich mich wieder und legte mich schlafen ... wer weiß, ob ich da nicht noch mehr Schaden angerichtet hätte, wenn ich ihm noch auf die Pelle gerückt wäre.

Ich schlief entgegen meiner Vorahnung auch sofort ein. Eigentlich hatte ich angenommen, dass ich noch wachliegen würde und mir um Thom Sorgen machen würde, aber irgendwie war ich zu müde dafür. Morgens war ich als Erster wach. Thom schlief noch tief und fest, so wie ich das deuten konnte. Ein Blick auf die Uhr, es war 8:13:46. Wann war noch mal Messe? Um 10? Ugh, da musste man wohl zwangsläufig irgendwann in der näheren Zukunft mal aufstehen.

Ich schaute zu Thom's Bett rüber, in der Hoffnung, dass sich vielleicht auch da mal was rühren würde und ich nun nicht unbedingt als Erster aufstehen musste, aber entweder schlief er wirklich noch oder er tat nur so. Auch gut.

Ich blieb also noch liegen. 8:33:25. Ein weitere Blick geht zum Nachbarbett hinüber ... in anderthalb Stunden mussten wir an der Kirche sein. Ich hätte ja nichts dagegen, da mal ganz spontan nicht hinzugehen, aber ich denke es gibt da wohl genügend Leute in dieser Institution, die da ein Problem mit hätten. Nun gut, da musste ich mich wohl zwangsläufig aus meinem schönen warmen Bett begeben und Thom wecken. Ich tappte also durch den Raum, um den Tisch rum und starrte dann die schlafende Figur an. Er lag auf der Seite, zur Wand hingedreht, sodass ich nur ein Stück nackten Rücken und Schulter sehen konnte, aber man kann ja nicht immer alles haben, nicht wahr?

Ich berührte ihn vorsichtig, schließlich wollte ich ihn nicht so erschrecken, wie er das gestern Nacht (oder war es heute Nacht?) gemacht hatte. Ich schüttelte ihn also vorsichtig und merkte wie er murrend aufwachte. Also anscheinend auch eher kein Frühaufsteher. Das konnte ja noch putzig werden. Er drehte sich langsam um und blinzelte gegen das Licht.

»Huh?«

»Gutem Morgen. Es ist kurz nach halb Neun. Um 10 ist Messe. Ich glaube wir müssen aufstehen.«

»Ugh.« Er ließ sich wieder zurück ins Bett fallen. Na toll. Das hilft mir ja enorm weiter. Also betrachtete ich ihn noch ein bisschen, hoffend, dass ich nicht alleine zur Dusche watscheln müsste. Seine Augen waren leicht gerötet. Vielleicht hätte ich gestern Nacht doch noch zu ihm rüberkommen sollen ...

»Mirc?«

»Ja?«

»Wegen gestern Nacht, sorry, dass ich dich so angemacht habe.«

»Schon vergessen. Du hattest ja recht. Sorry, dass ich so aggressiv reagiert habe.«

»Dass hättest du vielleicht schon viel eher tun müssen.« Er schaute mich grinsend an und machte doch tatsächlich Anstalten sich aus dem Bett zu erheben. »Gehen wir nun oder was?«

Ich schnappte mir die nächstbesten Boxershorts (ganz weiß!) und mein Waschzeug und zusammen gingen wir schweigend zum Badezimmer, beide noch in Gedanken über die nächtliche Auseinandersetzung, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann.

Als wir ankamen war der Duschraum noch leer ... oder schon leer, so sicher konnte man sich da ja nicht sein. Erst mal, das Morgenproblem beseitigen und dann duschen. Und diesmal duschten wir so, dass wir einander anschauen konnten, was sich natürlich auf Klein-Mirc ähnlich auswirkte wie den Tag zuvor. Gerade als ich mich dann wegdrehen wollte, stolpern noch zwei andere Gestalten in den Duschraum, Andi und Chris. Oh, okay ... was machen wir denn da jetzt am blödesten? Ich starrte die Wand an und hoffte, dass mich 1. keiner ansprechen würde und 2. mein Schwanz sich entschließen könnte dann lieber doch noch unten zu bleiben. Keines der beiden Dinge trat ein.

»Hi Mirc. What's up?« Und ein direkter Blick auf mein bestes Stück folgte ... yay, warum kann der Körper nicht wenigstens einmal das machen was er will sondern was ich will. Ich schaute Andi fragend an, aber er grinste nur. Was auch immer das zu bedeuten hatten. Chris und Thom waren eifrig in ein Gespräch verwickelt, irgendwas mit Computerprogrammen, glaube ich. Wobei Thom eher zuhörte, als dass er was sagte.

Vor lauter Rot-Anlaufen und Peinlichkeit hatte ich natürlich erst gar kein Gespräch mit Andi angefangen sondern mich beeilt, dass ich fertig wurde. So schnell hatte ich mich noch nie abgetrocknet und die Boxershorts übergestreift. Nicht, dass das auffällig ist oder so, wenn man die Duschen fluchtartig verlässt. Chris und Thom schauten auch ehrlich gesagt etwas perplex, oh well. Man muss halt auch mal etwas komisch sein ... die Betonung liegt auf ‚mal'.

Gut, ich putzte dann noch schnell meine Zähne. Ich versuchte es zu mindestens, allerdings rammte ich mir fast meine Zahnbürste in den Rachen, bei dem Versuch so schnell wie möglich fertig zu werden, was ein Hustenanfall meinerseits und einen Lachanfall seitens der Anderen produzierte. Bevor die Drei noch bis 3 zählen konnten war ich dann auch schon aus der Tür, auf dem Flur, im Zimmer.

Puh, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken, ich nahm an, dass ich dann doch wieder einiges an Erklärungsarbeit zu leisten hatte. Ich ließ mich entgegen meiner Vorsätze nicht wieder ins Bett fallen sondern stellte mich ans Fenster und schaute nach draußen. So langsam wurde mir bewusst, was genau ich da jetzt eigentlich gemacht hatte, was passiert war. Jeder Normal-Denkende hätte Andi's Kommentar wahrscheinlich abgeschüttelt und darüber gelacht, aber bei mir musste natürlich gleich wieder eine Sicherung durchbrennen, was ja einem Zugeben gleichkam. Ich meine, ich hatte mich praktisch geoutet. Obwohl, dass hatte ich in den letzten paar Tagen schon mehrmals getan. Und von wegen dieses Gerede ‚das passiert Heteros auch und so', ja klar, wer's glaubt wird selig.

Mit anderen Worten, ich war am Boden zerstört, als Thom dann irgendwann die Tür aufmachte und drehte mich nicht mal zu ihm um, merkte allerdings, dass er näher kam. Dann stand er hinter mir und ich konnte fast die Härchen auf seiner Brust spüren. Er hatte anscheinend kein Problem damit, dass er halbnackt war. Ich schon. Also, nicht direkt damit, dass er halbnackt war, sondern eher, dass ich es auch war. Ganz vorsichtig und leise traute er sich dann zu sprechen.

»Was war denn vorhin? Hat Andi irgendwas gemacht oder gesagt?« In meinem Kopf spielte sich das Band ab, die Worte und der Blick von Andi wiederholten sich unaufhörlich.

»Nein. Es ist alles okay. Es ist nichts passiert. Ich bin okay. Mir war nur ein bisschen schlecht.« Damit drehte ich mich um und ging an Thom vorbei zum Schrank um mich anzuziehen. Er stand noch etwas verdattert rum, aber raffte sich dann auch auf um sich etwas mehr zu bekleiden. Bis er fertig war, war ich dann auch wieder auf den Boden gekommen und hatte mich beruhigt. Nun stand noch Frühstück und Messe bevor.

»Holen die Anderen uns zum Frühstück wieder ab, oder ...?«

»Kommt drauf an, wie schnell wir fertig sind. Wenn wir innerhalb der nächsten (ein Blick zur Uhr) 20 Sekunden vor ihrer Tür stehen nicht, ansonsten kann ich für nichts garantieren.« Ähmm ja, die nächsten zwanzig Sekunden ... ich war mir ziemlich sicher, dass das doch eher nichts werden würde. So wie wir und das Zimmer im Augenblick aussahen, bezweifelte ich, dass wir es in den nächsten 20 Minuten schaffen würde.

Wir machten also wieder die Betten und gerade wollten wir uns auf den Weg machen als auch schon wieder Max und Luis vor der Tür standen um uns abzuholen.

»Wir wären schon noch irgendwann unten angekommen, keine Angst.« Ups, ich glaube, das war einer der ersten Fast-Witze, die ich in der Gegenwart der Clique gemacht habe. Wir werden uns doch nicht total verändern und zum Partyknülller werden?

Max und Luis grinsten als Antwort, und wir machten uns auf den Weg, ohne, dass ich diesmal die Tür abschloss. Man musste sich ja nun nicht immer das Augenrollen von Thom antun, wenn man es vermeiden konnte.

»So Mirci ...« fing Max an, was ihm sofort wieder einen scharfen Blick von mir einbrachte, » ...alles klar für die heutige Messe?«

»Hör bloß auf. Muss man eigentlich auch beichten?«

»Hmm, hast du irgendwas zu verbergen?« Wie auf Kommando fingen die Drei wieder an synchron zu grinsen. Tja, hatte ich was zu verbergen? Ich? Was verbergen? Nein. Ich bin doch Mr. Normalo hoch drei. Ha-ha. Ja. Ich frage mich nur, was der Herr Priester machen würde, wenn ich wirklich ankomme und ihm sage, dass ich schwul bin ... aber gut, auf solche Gedanken brauche ich mich erst gar nicht zu stützen, denn so wie ich mich kenne, würde ich gar nichts sagen. Ich bin doch immer so ein lieber Junge.

»Nee, zu verbergen habe ich nichts, aber beichten muss ich doch nicht oder?«

»Nope, ein paar Jungs gehen schon zur Beichte, aber die sind dann auch alle stockkatholisch und haben Angst, dass sie sonst im Endeffekt in der Hölle landen werden.«

Heute war der Frühstücksraum doch schon erheblich voller als am Tage davor. Und da blieb es dann auch nicht aus, dass uns oder besser gesagt mir, Chris und Andi über den Weg liefen ... ähmm ja, ich versuchte noch verzweifelt mich hinter Luis zu verstecken oder mich vielleicht unsichtbar zu machen, aber da hatte mich Andi auch schon entdeckt. Schicksal, nehm deinen Lauf.

»Hi Mirc, bist du wieder okay?«

»Ähmm, morgen Andi. Ob ich wieder okay bin, ähm, ja?« Schon wieder dieser leicht zweifelnde Ton in meiner Stimme. Immer wenn etwas nun doch wirklich überzeugend rüberkommen sollte, verlief sich das ganz im Sande und ich kam mir wie ein kleiner Junge vor.

»Ich frag bloß, weil dein fluchtartiges Verlassen des Duschraumes gestern und heute doch irgendwie seltsam war.«

»Ja, mir war nur schlecht geworden und ich musste an die frische Luft.« Yep, frische Luft. Im Zimmer. Eine sehr plausible Erklärung, die doch tatsächlich von Andi ohne Kommentar geschluckt wurde. Gut, dass er nun nicht so überzeugt, um ehrlich zu sein eher gar nicht überzeugt war müsste man ja auch noch bemerken, aber das tut nichts zu Sache. Ich frage mich nur, wie oft ich in den drei Tagen schon Notlügen erfunden habe um irgendeine Kleinigkeit zu vertuschen oder sonst wie unauffällig zu machen. Ich zähle das besser mal nicht nach.

Thom schaute mich auch noch zweifelnd an, er hatte wohl das Gespräch mitbekommen. Wieso wird man immer von allen Seiten angezweifelt, warum kann nicht mal jemand die absolut plausiblen und logischen und einleuchtenden Erklärungen schlucken?

Die Anderen schauten eher verwundert, fragend drein, aber weder ich noch Thom sagten etwas zu dem Vorfall. *Ich* würde mich sowieso nie dazu äußern, das war ja schon mal klar und Thom ... naja, falls Andi ihm nichts erzählt hat, dürfte er ja von der ganzen Sache nahezu nichts mitbekommen haben. Trotzdem seltsam.

Es kehrten dann doch all zum friedlichen Essen zurück und ich dachte überwiegend an die bevorstehende Messe. Dazu muss man wissen, ich bin ja nun nicht wirklich christlich, obwohl ich eine Zeitlang mal öfter in der evangelischen Kirche in Hamburg war. Und genau da liegt der Punkt. Evangelisch. Nicht katholisch. Ich hatte nicht mal die geringste Ahnung von so einem Ablauf einer Messe und ehrlich gesagt, war ich auch nicht wirklich daran interessiert es herauszufinden. Aber nun gut, ich würde da wohl zwangsläufig mitmüssen, da konnte man wohl nichts dran ändern. O happy day.

»Wie lange haben wir denn noch fürs Umziehen Zeit?« Ähm, umziehen? Wie bitte? Wie, umziehen?

»Wieso umziehen?« Baby-Mirc war mal wieder extrem ratlos. Wenn die auch alle nur in Rätseln sprechen ...

»Umziehen, für die Messe.«

»Wieso umziehen?«

»Willst du da in Jeans und T-Shirt auftauchen?«

»Na, ich dachte schon.«

»Falsch gedacht. Schwarzer Anzug ist gefordert.«

Ich blieb augenblicklich auf der Treppenstufe stehen. Wieso erfahre ich solche wichtigen Dinge immer auf den letzten Drücker? Vielleicht könnte doch mal irgendwer die Güte haben mich vorher umfassend zu informieren und nicht alles nach und nach auf mich regnen lassen?

»Schwarzer Anzug? Das ist doch keine Beerdigung oder so?«

»Nee, aber Anzug ist Pflicht. Bei uns zu mindestens, schließlich sollen die Typen vom Internat nicht wie irgendwelche Schlumpis aussehen, wenn sie in die Kirche in die Stadt fahren. Deshalb, Anzug. Ich hoffe du hast einen.«

»Einen Anzug? Ähm, nein?« Wieso sollte ich auch einen Anzug mitschleppen? So was von schwachsinnig ... obwohl, deswegen vielleicht. Hieß das nun dass ich nicht mit zur Messe darf (muss)? Bitte.

»Hmmm, ich hab zwei hier. Mal sehen, ob der andere dir passt.« Damn. Ich denke Thom nahm die ganze Aktion gar nicht so ernst. Wieso hatte er denn zwei (in Worten Z-W-E-I) Anzüge hier? Das ist ein Internat, kein Bestattungsunternehmen.

Also musste ich mich dem Schicksal hingeben, jetzt gab es wohl endgültig keinen Ausweg mehr. Ich stand geduldig wartend vor meinem Bett, während Thom die zwei Anzüge aus den Tiefen des Schranks ans Licht beförderte. Hübsch. Die Anzüge, meine ich. Schwarz.

»So, jetzt probierst du das mal an.«

»Hier?«

»Willst du noch extra einen Raum zum Umziehen, Prinz Mirko von Hamburg?«

»Sehr witzig.« Ich nahm ihm also den Anzug aus der Hand und legte ihn aufs Bett. Dann zog ich erst die Hose aus, ganz langsam und wollte gerade die Anzughose anziehen, als Thom mich unterbrach.

»Nee, so wird das nichts. Erst das Hemd, dann die Hose. Mit allem anderen wird es nachher nur noch schwieriger das ordentlich zu drapieren.« Sprach's und zog mir das T-Shirt über den Kopf. Danke schön, ich hätte das auch noch alleine hinbekommen. Ich stand dann natürlich nur in Boxershorts vor ihm. Wenn man bedenkt, dass ich schon nackt neben ihm in Bett gelegen hat, muss man gleichzeitig bemerken, dass ich zu dem Zeitpunkt geistig nicht wirklich da war und dass es deswegen nicht zählt. Nun war ich allerdings seelisch (und leider auch körperlich voll anwesend), was nicht gerade zu meiner Entspannung beitrug. Thom schien sich trotzdem nicht weiter daran zu stören, sondern zog mir ungeniert das Hemd an. Am besten er hätte mir auch noch einen Schnuller in den Mund gesteckt, dann wäre das Bild perfekt gewesen.

»Danke, aber die Hose kann ich mir allein anziehen.«, erwiderte ich dann auch bissig, was ihn wohl nicht weiter kümmerte, denn er ging rüber und zog sich selbst aus beziehungsweise an. Etwas, das mich natürlich stoppen und starren ließ. Er war wirklich hübsch. Nicht muskulös, aber auch nicht in dem Sinne kräftiger gebaut ... schmächtig wäre vielleicht ein gutes Wort, wenn er nicht ein paar Zentimeter größer als ich gewesen wäre. Und süß.

Ach ja, ich hatte wohl noch das ganze Jahr über Zeit ihn ausgiebig zu betrachten, also zog ich die Hose hoch, versuchte das Hemd einigermaßen reinzuquetschen und zog die Jacke halbwegs drüber. In dem Moment kam dann Thom auch schon herüber und schaute mich kopfschüttelnd an.

»Du trägst nicht allzu oft Anzüge, oder?«

»Wieso?«

»Weil man es sieht.« Er machte also die Knöpfe der Hose wieder auf und steckte das Hemd ordentlich hinein, was von Klein-Mirc da unten nicht unbemerkt blieb. Anscheinend wollte er auch sehen, was da passiert. Nun ja, ich konnte mich jetzt ja schlecht wegdrehen, also dachte ich schnell an etwas, irgendetwas ... Mädchen vielleicht? Normalerweise würde das ja helfen. Normalerweise. Tat es diesmal natürlich nicht und Thom bemerkte es selbstverständlich, was er mit gehobenen Augenbrauen und ich mit rotem Kopf quittierte. Zum Glück hielt er sich mit einer Bemerkung zurück. Ich bin auch so schon fast im Boden versunken.

»So, jetzt noch die Jacke. Und siehst du, das geht doch einigermaßen.«

Yep, einigermaßen. Wenn ich jetzt noch daran dachte, dass Thom diesen Anzug auch mal getragen hatte, wurde die ganze Sache dann wohl noch offensichtlicher für Leute, die mich sahen. Es bestand ja schon noch die Hoffnung, dass es sich da unten auch wieder beruhigte. Denn hey, ich konnte ja schlecht so nach draußen gehen. Geschweige denn in das Haus Gottes. Der würde sich wundern.

»Wir haben noch 9 Minuten und ein paar Zerquetschte bevor wir unten sein müssen.«

»Cool.« Ich ließ mich also wieder aufs Bett fallen um noch die letzten Minuten zu genießen. Thom tat es mir gleich und so saßen wir da ohne ein Wort zu sprechen oder uns auch nur anzuschauen bis Thom irgendwann aufstand. Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass es soweit war. Wir gingen also die Treppe hinunter und holten diesmal Max und Luis ab, um uns dann alle zusammen in die Halle zu begeben, wo schon ein Großteil der Jungs wartete.

Es ist zwar möglich, dass ich selbst keine Anzüge mag, aber ehrlich gesagt, Jungs in Anzügen ... Hmmm, das sieht doch sehr, sehr gut aus. Solange ich nicht selbst in einem stecken müsste, würde ich sogar das Anzug tragen in der Schule empfehlen, aber man muss es ja nicht übertreiben. Doch schon witzig all die Spinner fein hergerichtet zu sehen, die sonst in diesem Schlabber-Look und mit Hip-Hop-Hosen und so rumrennen. Ich grinste also ganz fröhlich in der Gegend umher, was nicht spurlos an den Dreien vorbei ging.

»Doch so fröhlich. Vorfreude auf die Kirche?« Max grinste freundlich.

»Ja klar, das ist doch der einzige Grund, warum ich überhaupt hier bin.«

Dann kam auch bald der Direktor und ab ging’s im Gänsemarsch richtig Bushaltestelle. Am besten man hätte uns noch Pärchen bilden lassen, die sich dann anfassen müssen, damit auch ja niemand verloren geht. Nicht, dass ich was dagegen gehabt hätte, so lange Thom mein Partner wäre. Aber das mit dem Händchen halten würde ja wahrscheinlich schwul wirken oder homosexuell (von Seiten der Schulleitung) beziehungsweise schwuchtelig (von Seiten der Schülerschaft). Ist das nicht seltsam? Im Kindergarten zwingen sie einen regelrecht dazu immer schön mit allen Händchen zu halten und mit allen zu spielen, egal ob Junge oder Mädchen und auf einmal ist das dann tabu. Eine interessante Welt in der wir leben.

Man sieht, ich machte mir so meine Gedanken auf den Weg zum Bus, während die anderen Drei schon wieder über Sport redeten. Diesmal war es jedoch, zu meinem Bedauern, kein Fußball sondern irgendwas anderes seltsames, das mich weder interessierte noch sonderlich mitriss. Ich blieb also bei meinen Gedanken. Auch gut.

Rein theoretisch gesprochen, bei einer Schwulenrate im Bereich von 2 bis 12%, hieße das, dass außer mir ...ähmm, wie viele Jungs gingen eigentlich aufs Internat?

»Thom?«

»Yep.«

»Wie viele sind eigentlich auf dem Internat?«

»Ziemlich genau 120.«

Okay, also noch mal, irgendwas im Bereich von 2 bis 12% hieß also außer mir anderthalb bis 9 Jungs. Das war ja nun nicht *so* wenig. Hmm, zieht man noch ab, dass viele katholisch sind, blieben wahrscheinlich im Höchstfalle noch fünf oder so übrig, aber immerhin. Mein Gaydar oder wie sich das nennt, funktionierte natürlich leider überhaupt nicht, aber es ist doch immer witzig sich vorzustellen, wer eventuell schwul sein könnte.

Während wir dann noch auf den Bus warteten, erzählten die Anderen inzwischen wieder über Fußball. Warum ist eigentlich jede Woche Bundesliga? So was Langweiliges. 22 Spieler und ein Ball. Da kann man doch was viel interessanteres draus machen, als nur dem Ball hinterherzurennen. Wie wär‘s ohne Ball und mit ein bisschen mehr Action? Obwohl, auf die Idee sind die Drei wohl eher nicht gekommen, nehme ich an. Warum sind Heteros auch so total auf so normales Zeugs borniert? Ich sag nur, langweilig.

Ich starrte also in der Gegend umher, beobachtete Leute und bemerkte mit Erstaunen, das Klein-Mirc sich ganz unbemerkt wieder beruhigt hatte. Doch keine Gotteslästerung in der Kirche. Beim Beobachten aller anderen Jungs kam ich nicht umhin zu bemerken, dass doch ein Großteil nicht unattraktiv war. Ein Blick auf Thom relativierte dann natürlich alles wieder.

Der Bus kam. Auf ging's. Hatte ich schon erwähnt, dass ich schon immer mal bei einem katholischen Gottesdienst dabei sein wollte?

Kapitel VI

Irgendwie beneidete ich Tim jetzt, dass er nicht mitmusste. Obwohl ... wer weiß wie der Gottesdienst bei ihm so ablief ... nein, die Messe heißt das ja. Oder kann man auch Gottesdienst sagen? Ich meine, ich wollte ja nun nicht schon von Anfang an komplett negativ eingestellt sein, deshalb beschloss ich mir erst mal eine positive Einstellung zuzulegen. Klappte nicht so ganz, aber einen Versuch war es wert.

Was mir auffiel (und was man an Bayern herausheben sollte) war wirklich die Landschaft. Ich hab zwar nichts gegen Nord- und Ostsee, schließlich bin ich da aufgewachsen ... naja fast ... aber die Berge sind doch was Schönes. Da kann man das schon ansatzweise verstehen, wenn viele Leute in so eine Gegend ziehen. Also ich kann es zu mindestens verstehen. Andererseits, was mich extrem davon abhalten würde, ist halt alles was nichts mit Landschaft zu tun hat. Uh, wo ist meine positive Einstellung geblieben?

Während ich so die Tannen und Laubbäume am Busfenster vorbeiziehen sah, musst ich doch direkt wieder an Thom und die Sache im Wald denken ... das war doch schön gewesen. Ich fand es nur im Nachhinein schwer diese zwei Thom‘s zusammen zu tun. Ich weiß nicht woran es lag, aber irgendwie fiel es mir nicht gerade leicht wirklich zu realisieren, dass der Thom, der mich im Wald auf die Wange geküsst hat, der war, mit dem ich mich so ganz normal unterhalte. Das klingt vielleicht etwas seltsam, aber es ist so. Irgendwie schienen die beiden Thom‘s völlig verschiedene Persönlichkeiten zu sein und ...

»Hey Mirc, aussteigen. Wir sind da.« Ich schreckte hoch und schaute etwas orientierungslos herum ... doch schon da? Eben waren da doch noch so Bäume und so gewesen ... so mit Vögeln und so. Jetzt waren da nur noch Häuser und ... die Kirche.

Sobald ich aus dem Bus gestiegen war, riss mich Thom erst mal zur Seite. Oh, stark und männlich, dachte ich so zu mir selbst.

»Also Mirc, du bist noch nie bei einer Messe gewesen?«

»Nein.

»Noch in keinster Weise einen katholischen Gottesdienst mitgemacht oder gehört was genau passiert?«

»Nein.«

»Okay, dann bleib an meiner Seite und mach das, was ich mache. Du wirst schon sehen, was passiert. Und wenn nicht, dann frag. Aber, erste Regel: Nur flüstern, wenn du in der Kirche bist. Muss ja nicht gleich jeder mitkriegen, dass du ein Heide bist.« Sprach‘s, grinste und zerrte mich an der Jacke Richtung Kirche und Richtung der Anderen, die schon ein ganzes Stück voraus waren. Luis wirkte in sich gekehrt. Wenigstens einer für den das ganze Tamtam was bedeutete. Ich wollte es ja nun nicht zugeben, aber neugierig war ich schon. Noch einmal tief Luft holen und dann war ich drin (in der Kirche, natürlich).

Ich schaute mich erst mal staunend um ... oh, so viel Prunk und Gold und Figuren und Bilder. Teuer, teuer ... da kann ich auch verstehen, dass die im Mittelalter so Kirchen geplündert haben und da nicht mehr allzu viel übrig blieb. Obwohl, das mag auch andere Gründe gehabt haben.

Also, um das mal zu korrigieren, ich war noch gar nicht richtig in der Kirche drin, nur in diesem Vorraum, aber ich konnte schon einiges durch die offene Tür sehen. Dann tauchte Thom den Finger erst mal in irgend so ein Wasser. Weihwasser vermutete ich mal und machte so ein Kreuzzeichen. Und ich sollte das nachmachen? Wie ging das jetzt noch mal? Eigentlich machte man das ja in der evangelischen Kirche auch, aber gut ... ich war mit meinen Gedanken immer woanders gewesen.

»Thom?« presste ich heraus, ja nicht zu laut ... aber da wir eh die Letzten waren. »Thom, wie geht das?«

»Das ist das Kreuzzeichen. Eins von zweien. Ich nenn‘s mal das große Kreuzzeichen. Hat wahrscheinlich auch noch einen Fachnamen. Also, nimm deinen Finger, tauch ihn ein ...«

Soweit so gut.

»...dann berühr erst die Stirn, dann das Herz, also nicht wirklich das Herz, sondern die Mitte des Körpers, dann linkes Schlüsselbein ... also halt Schulterbereich ... und dann nochmal rechts et voilá.«

Na das war doch gar nicht so schwer. Ich folgte Thom also nun in die Kirche. Ich dachte er würde sich nun gleich hinsetzen (das war zuhause immer so gewesen), aber er ging so komisch in die Knie und machte dann nochmal diese Kreuzzeichen Richtung Altar. Gut, das konnte ich sogar alleine. Und dann saßen wir erst mal. Relativ weit hinten. Was mich da erstaunt hat, war, wie gut besucht die Kirche doch war und nicht nur von irgendwelchen älteren Herrschaften sondern auch von sehr vielen ... nennen wir es mal Kinder. Also nicht nur Kinder, eigentlich waren aus allen Altersgruppen viele da, aber normalerweise gehen Kinder doch nicht in die Kirche, oder? Hm, die Erziehung fand hier wohl wirklich in der Kirche statt.

Eine Glocke läutete. Ich wollte Thom gerade fragen, was da war, als er warnend den Zeigefinger auf den Mund legte und aufstand. Ich, etwas perplex, stand auch auf ... mit einigen Sekunden Verzögerung, aber wer achtet da schon drauf. Kurz darauf, hätte ich mich vor Schreck fast wieder hingesetzt, als auf einmal eine Orgel erklang. Und dann noch so fast über mir.

Ich schaute neugierig nach hinten und da kamen dann vier so Jungs ... vielleicht 10 oder 11. Der eine hat so einen Topf aus dem Qualm kam. Ich tippte ganz spontan auf Weihrauchkessel (ein bisschen Ahnung hatte ich ja auch), den er so hin und her schwenkte. Hui, gefährlich, gefährlich. Der Pfarrer ging dahinter. Ich schaute ihn neugierig an und was er so anhatte. Interessante Auswahl an Sachen. Doch ... sehr modisch. Der Pfarrer und die vier Jungs gingen dann kurz nach vorne zum Altar, knieten sich hin. Die Pause konnte ich ja gleich mal nutzen um Thom zu fragen.

»Thom, was stellen die Jungs dar?«

»Heißen Ministranten. Sind halt so Art kleine Helferlein des Pfarrers. Komischerweise ist der Job sogar einigermaßen beliebt.« Dann brach er ab, und auf einmal fingen alle an irgendein Lied zu singen. Ich stand natürlich im Wald, denn aus welchen Gründen auch immer, hatten wir natürlich kein Liederbuch. Ich versuchte also (wahrscheinlich nicht mit allzu großem Erfolg) die Lippen dazu zu bewegen.

Dann war Ruhe und der Pfarrer sprach. »Es segne Euch der Allmächtige - der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.« Er machte auch so ein Kreuzzeichen. Alles murmelte Amen und machte wieder dieses Kreuzzeichen. Ich natürlich immer um mindestens eine Sekunde verzögert. Danach hörte ich dann lieber auf, ehe das noch auffiel, das sich eigentlich gar keine Ahnung hatte, was ich da machte, aber alle anderen machten brav weiter.

Pfarrer: »Die Liebe unseres Herrn Jesus Christus sei alle Zeit mit Euch.«

Alle: »Und mit Deinem Geiste.«

Pfarrer: »Erhebet die Herzen.«

Alle: »Wir haben Sie beim Herrn.«

Pfarrer: »Lasset uns danken dem Herrn unserm Gott.«

Alle: »Das ist würdig und recht.«

Pfarrer: »In Wahrheit ist es würdig und recht, dir großer Gott immer und überall zu danken. Darum lasset uns einstimmen in den Lobpreis deiner Engel und Heerscharen und dir das Lied deiner Herrlichkeit singen.«

Dann wurde wieder ein Lied angestimmt. Man kann nicht sagen, dass das in der Kirche nicht abwechslungsreich abläuft. Von allem etwas. Natürlich hab ich die Abläufe auch nicht beim ersten Mal gerafft, aber das war ja nicht das einzige Mal, dass ich eine katholische Messe zu besuchen hatte. Da folgten noch einige.

Dann setzten sich alle. Ich auch. Sogar sofort möchte man anmerken. Wie kann man die alten Leute nur so lange stehen lassen? Ist doch unverantwortlich. Wenn die auf einmal vor lauter Anstrengung einen Herzanfall bekommen. Jetzt traute ich mich auch Thom mal wieder anzusprechen.

»Was passiert jetzt?«

»Die Lesung aus der Bibel.«

Oh, wie interessant. Ehrlich gesagt war ich schon gespannt, was die jetzt lesen würden. Dann trat einer nach vorne an die große Bibel, so ein älterer Herr. Er fing dann auch sofort an nachdem er seine Brille aufgesetzt hatte.

»Lesung aus Jeremia, Kapitel 23. So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Geschichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen - und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR. Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?«

Dann war erst mal kurz Ruhe, dann sprach der ältere Mann wieder.

»Wort des lebendigen Gottes.«

Alle (außer mir, natürlich): »Dank sei Gott dem Herrn. Amen.«

Gut, super interessant und super lang ... irgendwie. Ich wusste gar nicht, dass so was in der Bibel steht. Und ich wusste noch viel weniger, irgendwas damit anzufangen und zu interpretieren. Das Seltsame war, dass ich mir wirklich die ganze Lesung aufmerksam angehört hatte. Ich wusste auch nicht so genau woher das kam, aber ich war immer schon von der Bibel und der Art, wie sie geschrieben ist, fasziniert gewesen und ja, ich kann trotzdem eher extrem atheistisch orientiert sein.

Was mir während der Lesung aufgefallen war, der Pfarrer hatte so ausgesehen, als ob er erst mal ein Nickerchen gemacht hätte. Ja klar. So läuft das also in katholischen Kirchen? Fast sprungartig erhob sich der Pfarrer allerdings kurz darauf und die Gemeinde mit ihm. Es wurde wieder eines der Lieder gesungen, die ich sowieso nicht kannte. Alles setzte sich. Und als dann der Pfarrer nach vorne ging, ahnte ich schon, dass jetzt wohl so ein Hauptteil der Messe kommen würde ... natürlich, die Predigt. Eigentlich wollte ich schon zuhören, aber irgendwie gelang mir das dann doch nicht so ganz.

Pfarrer: »Liebe Brüder und Schwestern! -So spricht der Herr: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Geschichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird euch wohlgehen, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.- ...«

Ja gut, den Teil hätte er sich sparen können. Das hatten wir ja nun alle schon mal gehört ...

»Was für Verse! Wie gewaltig - und wie ernst! Und wie viele Fragen tun sich da auf: Gibt es denn überhaupt noch Propheten in unseren Tagen? Wo oder wie weissagen sie? Woran sollen wir erkennen, ob sie die Wahrheit reden? - Gehen wir diesen Fragen einmal nach: Gibt es noch Propheten?«

Ab da schaltete ich dann mehr oder weniger ab und schnappte nur noch verschiedene Sätze und Satzfetzen auf. Ein Blick nach links zu Thom bestätigte, dass er die Sache wohl auch nicht anders handhabte.

»Gibt es heute noch Propheten? Ja! Besonders die von der zweiten Sorte, die diesen Namen nicht verdienen ... Wo oder wie weissagen die Propheten heute? Im Fernsehen zum Beispiel ... Gott hat seinen Sohn Jesus Christus für unsere Schuld sterben lassen ... Das ist ja doch inzwischen deutlich geworden: Die Wahrheit, die Gott meint, ist selten das, was uns bestätigt.«

Nur als es dann dem Ende zuging hörte ich dann doch wieder etwas besser zu.

»Ich wünsche uns die Kraft, die Wahrheit der Propheten zu ertragen und zu beherzigen. Ich wünsche uns, dass wir auch selbst bereit sind, für andere solche Propheten zu werden. Gott braucht unseren Mund und unsere Stimme - heute mehr denn je!«

Schade eigentlich, dass es keinen Beifall für solche Sachen gibt ... eigentlich ist doch so eine lange Rede schon ein bisschen Klatschen wert. Obwohl ich nun nicht so gut darauf geachtet habe, was er eigentlich gesagt hat, aber gut ... muss man ja auch nicht. Ich frage mich sowieso, ob da überhaupt irgendwer zugehört hat oder ob alle erst mal übergedruselt haben.

»Was kommt jetzt?«, ging dann wieder meine geflüsterte Frage an Thom.

»Das Evangelium.«

»Wie, das haben die auch?« Er verdrehte nur die Augen in meine Richtung ... jaja ... man kann ja nicht alles wissen.

Der Pfarrer sprang schon wieder vorne vor dem Altar rum. Wenn man Pfarrer ist, muss man doch eigentlich auch gleichzeitig Entertainer sein. Oder irre ich mich da? Man muss ja die Massen begeistern können. Ob das nun unbedingt mit biblischen Texten zu schaffen ist, wage ich zu bezweifeln, aber gut.

Pfarrer: »Evangelium nach Lukas.« Während er sprach machte er wieder dieses große Kreuzzeichen. Dass ihm davon nicht die Arme lahm werden, ist doch sehr erstaunlich. Auf einmal erhoben sich wieder alle. Thom zischte mir noch ‚Kreuzzeichen‘ zu und ich machte das dann auch natürlich voller Inbrunst und war etwas erstaunt, als er mich kopfschüttelnd ansah.

»Was?«

»Das kleine Kreuzzeichen kommt an der Stelle. Kleines Kreuz an Stirn. Kleines Kreuz an Kinn. Kleines Kreuz an Brustbein. Naja, symbolisch für Herz.«

Wieso sagt einem das keiner früher? Und ich machte mich hier zum Deppen. Sehr schön. Der Pfarrer fing derweil wieder an zu lesen. Den Abschnitt kannte ich allerdings schon. Ab und zu war ich ja auch mal in der Kirche gewesen, weshalb ich mich erst mal wieder schön umschaute. Das war ja echt alles heftig golden hier ... Gefiel mir einerseits natürlich überhaupt nicht, andererseits, strahlte aber die Kirche auch einiges aus. Die Atmosphäre war schon recht extrem ... so feierlich irgendwie. Obwohl das vielleicht auch nachlässt, je öfter man die Kirche von innen sieht ...

Inzwischen gingen irgendwelche Körbchen rum ... ah ja, Spenden richtig. Ich glaube nicht, dass auch nur einer von den Internatsschülern viel reingetan hatte. Ich hatte natürlich von vornherein gar kein Geld mit, weswegen mir Thom wohlwissend ein paar Geldstücke in die Hand drückte. Da hatte ich nun gar nicht dran gedacht.

Er lehnte sich zu mir rüber und flüsterte mir was ins Ohr: »So, jetzt kommt die sogenannte Wandlung. Vielleicht der typischste Teil der Messe.«

Der Pfarrer macht jetzt so ein Holzhäuschen auf und holte da einen Krug und diese Oblaten raus. »Hostien.« Hörte ich von links. Dass die auch für alles einen Begriff brauchen.

Vor lauter Verwunderung verpasste ich es dann auch wieder um einige Sekunden mich hinzuknien, wie es Thom und alle anderen taten, während der Pfarrer schon wieder redete.

»Seht her. Das Lamm Gottes. Es nimmt hinweg die Sünden der Welt.«

Und dann redete er weiter und die Gemeinde stimmte mit ein. »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.»

Man stand auf und das Glaubensbekenntnis wurde gesprochen, das ich - peinlicherweise – nicht konnte. Ich schaute also dumm von einem zum anderen und versuchte irgendwelche halbwegs synchrone Mundbewegungen zu machen. Zwei Minuten lang.

Dann kniete mal wieder alles. Komisch wie immerzu alle in Bewegung sind. Schon mal daran gedacht eine Messe mit Bewegungstherapie zu verbinden?

Pfarrer: »An dem Abend, an dem er ausgeliefert wurde, nahm er das Brot, brach es, reichte es seinen Jüngern und sprach - Dies ist mein Laib, der für Euch und für alle hingegeben wird. Nehmt ihn und esst alle davon. Tut dies zu meinem Gedächtnis.«

Dann läutete wieder eine Glocke, was wohl das Zeichen für das große Kreuzzeichen war, wie ich im Nachhinein mitbekam. Nachdem für einige Sekunden Ruhe war, nahm der Pfarrer den Weinkrug und hielt ihn hoch.

»Nach dem Mahl nahm er den Kelch, trank daraus, reicht ihn seinen Jüngern und sprach - Dies ist mein Blut, dass für Euch und für alle vergossen wird. Trinkt alle davon. Tut dies zu meinem Gedächtnis.»

Die Glocke läutete wieder dreimal (vielleicht dann doch eher Musiktherapie?) und diesmal kam ich sogar mit dem Kreuzchen machen mit. Alles setzte sich. Danach brach schräg über mir wieder ein Orgelinferno aus, während einige Leute nach vorne gingen und diese Hostie vom Pfarrer in den Mund gelegt bekamen. Waren alles eher so ältere Leute, jedenfalls keine Jugendlichen. Denen wurden dann so Schalen mit diesen runden Oblaten in die Hand gedrückt und anscheinend begab sich nun auch das gemeine Volk nach vorne. Alles geordnet. Ich wäre ja fast sitzengeblieben, aber Thom zerrte mich mehr oder weniger Richtung Altar, wo ich dann etwas dumm rumstand und Thom alles nachmachte, in der Hoffnung, dass er schon wissen würde, was er tut. Wusste er wohl auch, denn wir wurden von niemandem irgendwie schräg angeschaut.

Danach gingen wir wieder zu unserem Platz und knieten, Thom fing an das Vaterunser zu beten und das konnte ich ja nun auch noch. Nachdem der Pfarrer vorne alles schön sauber gewischt hatte, standen wieder alle auf. Und nun?

Pfarrer: »Lasset uns beten, so wie uns der Herr zu beten gelehrt hat.«

Alle: »Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Dein tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Bösen.«

Pfarrer: »Herr erlöse uns von dem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen denn.«

Alle: »Dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit Amen.»

Danach durfte man sich wieder setzen und der Pfarrer erzählte noch so allerlei Zeugs über verschiedene spezielle Gottesdienste, die in nächster Zeit anstehen würden, was ich natürlich absolut uninteressant fand, da jeden Sonntag in die Kirche zu gehen nun wirklich das Maximum war.

Auf irgendein geheimes Zeichen hin, erhoben sich dann wieder alle und der Pfarrer sprach die Abschiedsworte während er wieder das große Kreuzzeichen machte. »Es segne Euch der Allmächtige - der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Gehet hin in Frieden.«

Alle antworteten: »Dank sei Gott dem Herrn. Amen.«

Der Pfarrer bewegte sich mit den vier Jungs (den Ministranten, wie ich gelernt hatte) wieder Richtung Tür. Dann standen die ersten Leute auf, und irgendwann nach unendlicher Zeit bewegte sich auch Thom und wir machten uns auf den Weg an die frische Luft. Dachte ich jedenfalls. Aber nein, erst mal wieder kurz in die Knie gehen und Kreuzchen machen. Es war sowieso Stau vor dem Ausgang. Dass auch immer die alten Opis und Omis alles aufhalten müssen.

Draußen angekommen holte ich erst mal tief Luft und schaute auf die Uhr. Es hatte so in etwa 50 Minuten gedauert. Oh Mann ... und das jetzt jeden Sonntag?

Der Marsch der Internatsschüler setzte sich wieder in Bewegung Richtung Bus. Luis war immer noch recht vertieft, während Max mit irgendwem, den ich noch nicht kannte (was doch vorkommen soll) herumblödelte. Thom ging neben mir.

»Und wie fandest du es?«

»Anstrengend.« Sagte ich grinsend, während ich an das ganze Aufstehen, Hinsetzen, Hinknien, Aufstehen dachte. Wenn man sich dann noch vorstellte das alles mehr als einmal pro Woche zu machen ... wofür gibt's eigentlich noch Fitnessstudios?

Thom setzte sich im Bus neben irgendwen, mit dem er sich angeregt unterhielt, während ich wieder alleine auf der Fensterseite platznahm. Dachte ich jedenfalls, bis sich dann Max neben mir niederließ.

»Hat doch Spaß gemacht, oder etwa nicht?«

»Ja, super. Ich freue mich nun wirklich auf alle kommenden Sonntage.« Echt, tat ich. Das würde noch wirklich schön interessant werden ... mit Kirche und beten und was auch immer da noch kommen würde. Interessant und langweilig. Das klingt jetzt ja nett paradox.

»Nee, im Ernst. So schlimm war es doch nicht, oder?«

»Nope, war schon okay. Es ist nur etwas gewöhnungsbedürftig. Aber gut, man muss sich wohl auf andere Kulturkreise einstellen, wenn man da wohnt.«, sagte ich grinsend. Angenehme Stille umgab uns bis Max neben mir auf einmal wieder anfing zu reden.

»Morgen ist ja auch dein erster Schultag. Das wird ja noch spaßig.«

»Wieso, sind die Lehrer so schlimm?«

»Nein ... geht alles gerade noch so.« Gut, das hörte sich ja nicht schlecht an. Nur das Max dabei wenig überzeugend dreinschaute.

Ja richtig ... Schule. Das hatte ich in der all der Aufregung um den oh so interessanten Gottesdienst doch glatt irgendwo in die äußeren Bereiche meines Gedächtnisses verschoben. Wer denkt auch schon freiwillig an Schule? Da gab es doch so viele interessantere Dinge ... wie ... Thom, zum Beispiel. Nah, ich denke ja nicht nur an Jungs ... so borniert bin ich nun auch nicht ... obwohl ... naja ... analysieren wir das lieber nicht weiter. Das könnte durchaus noch peinlich werden.

Aber Schule war nie so ein großes Thema für mich gewesen. Nicht wirklich. Schule war halt Schule und würde im Internat wohl auch nicht viel anders ein. Außer, dass man halt mit seinen Freunden nicht nur in einer Klasse ist, sondern auch noch im selben Haus oder im selben Zimmer wohnt. Und naja, Lehrer sind wohl Lehrer. Seltsame Typen gibt‘s überall.

Würde ich überhaupt mit Thom in einer Klasse sein? Oder mit Max oder Luis oder Tim? Obwohl, bei den drei Hanseln die hier überhaupt auf dem Internat waren, konnten die es sich wohl nicht groß erlauben noch für jeden Jahrgang mehr als eine Klasse aufzumachen ... Also müsste ich doch dann ganz theoretisch ... eigentlich doch schon ... eine gute Chance haben nicht nur mit denen in einer Klasse zu sein, sondern vielleicht auch noch ein Plätzchen ... so neben Thom ... so ... zu ergattern? Vielleicht?

Na gut, wäre vielleicht auch Ablenkung hoch drei. Zumal er eh neben Tim sitzen würde ... vermutete ich mal so ganz spontan. Aber das war dann wahrscheinlich auch besser so.

Über Schule wollte ich trotzdem nicht nachdenken ... viel zu langweilig. Ich schaute also wieder aus dem Fenster während Max sich mit jemandem neben ihm unterhielt. Anscheinend über irgendein Mädchen aus der Kirche. Tsk, tsk ... in der Kirche.

Glücklicherweise erreichten wir unsere Bushaltstelle bevor Max‘ Erzählung zu explizit wurde. Das musste ich mir ja nun wirklich nicht antun. Thom gesellte sich wieder zu mir, während wir uns Richtung Internat begaben.

»Tim kommt auch bald.« Oh.

»Wann?«

»In ein paar Stunden. Noch vor dem Abendessen jedenfalls. Seine Eltern setzen ihn meist sofort nach der Messe wieder in den Zug. Nicht, dass der Junge noch zu spät kommt.«, antwortete Thom grinsend.

»Seine Eltern sind wohl echt ein bisschen fanatisch, oder?«

»Schon ... naja, kommt halt drauf an, was du als fanatisch bezeichnest. Du würdest wahrscheinlich 90% der Leute in Bayern als nicht ganz bei Sinnen bezeichnen. Aber ja, es gibt schon einige religiöse Freaks. Und du siehst ja, es färbt ab. So aufmerksam, wie du bei der Messe dagesessen hast.«

»Ja klar.«, erwiderte ich lachend. »Übrigens danke nochmal für den Anzug.«

»Kein Problem. Schließlich hab ich ja immer einen für Notfälle dabei.«

»Wieso eigentlich?«

»Meine Mutter meint, dass ja immer mal was passieren könnte. Deswegen sind die Anzüge, wenn ich Anfang des Schuljahres hierher komme, auch grundsätzlich in zwei verschiedenen Koffern. Man weiß ja nie. Einer könnte ja auch verloren gehen. Wenn es nach ihr ginge, hätte ich ‚nur zur Sicherheit‘ alles in doppelter Ausführung.«

»Meine Mutter ist da gar nicht so. Bei uns läuft das immer so ... wir fahren in den Urlaub, pack deine Sachen, du wirst schon das Richtige mitnehmen ... kann dann natürlich auch schiefgehen. So im Sommerurlaub mit Skianzug dazu stehen, ist nicht gerade putzig.«

»Wie alt warst du denn da?«

»Keine Ahnung zehn oder elf vielleicht.«

Auf einmal sprang mich was von hinten an, sodass ich fast wieder auf dem Boden gelandet wäre. Das haben wir doch schon mal gehabt ...

»MAX!« Allgemeines Gelächter half mir auch herzlich wenig das Klammertierchen wieder von meinem Rücken zu befreien.

»Oh Mirc, du bist so schön warm und weich und ...« Immer diese Schwulenwitze ... durch ein Coming Out wäre das wohl aufgehoben, aber gut. Nach einigen weiteren Minuten entsann sich Max dann auch, doch wieder selber zu laufen. Luis war inzwischen auch näher gekommen und ging links von Thom, während sich Max zwischen Thom und mich klemmte.

»So ihr beiden Süßen, was macht ihr heute noch? Können wir heute noch mal hochkommen und was spielen? ‚El Grande‘ hat doch Mirci so viel Spaß gemacht.« Er grinste natürlich übers ganze Gesicht, während ich ihm einen halb scherzenden - halb warnenden Blick zuwarf.

»Mal sehen, was Mirc und ich noch so vorhaben. Ist ja nicht so, dass wir euch ewig vorher Bescheid sagen müssten, denn so weit sind die Wege im Internat ja nun auch nicht.«

»Okay, ich sehe schon, Wir sind hier nicht erwünscht.« Unter Lachen schnappte sich Max Luis und ging schnellen Schrittes voraus, während Thom und ich langsam ins Gebäude folgten.

»Also, wir haben heute noch was vor?«

»Naja ... eigentlich nicht, aber ich dachte du musst dich vielleicht mental auf den anstrengenden morgigen ersten Schultag vorbereiten.«

»Ah ja ... klar.« Als Thom dann unsere Zimmertür öffnete (wie immer brauchte man ja keinen Schlüssel), fiel mir ein, dass ich eigentlich gar keinen hatte ... einen Schlüssel, meine ich. Der Direktor hatte mir aus welchen Gründen auch immer keinen gegeben und ja ... eigentlich brauchte ich ja auch keinen, aber ohne kam ich mir schon extrem abhängig vor.

»Du Thom? Hast du noch ‚nen Zimmerschlüssel für mich?«

»Wie, hast du keinen?«

»Nee.«

»Ähmm, ich hab auch nur meinen. Da musst du wohl morgen mal beim Direktorchen vorbeischauen, ob er deinen noch hat. Aber eigentlich brauchst du eh keinen Schlüssel. Hier stehen sowieso immer alle Türen offen. Wer klaut begeht eh Selbstmord. Also symbolisch gesehen jedenfalls. Es kann ja immer nur jemand aus dem Internat sein und wenn man rauskriegt wer das ist, ist er ganz schön arm dran.«

»Oh.« Was sollte man auch sonst dazu sagen. Schien ja, dass das schon mal vorgekommen ist. Auch gut, dann musste ich wohl morgen da nochmal reinschauen und mir meinen Schlüssel besorgen.

Thom war schon wieder dabei sich zu entkleiden und stand dann nur noch in Boxershorts vor mir. Der Typ hat wohl auch gar kein Schamgefühl.

»Okay, zieh deinen Anzug auch aus, damit ich dann beide in den Schrank hängen kann.«

Ich ... jetzt … so … ausziehen. So … einfach so? Naja gut, ich konnte bildlich schon Thom‘s Fuß in Ungeduld aus den Boden tappen sehen. Ich entblätterte mich also etwas schneller und reichte ihm dann meine (seine) Sachen, womit wir dann beide mit Boxershorts im Zimmer standen. Ich begab mich dann erst mal vorsichtshalber in Richtung meines Schrankes um dann doch etwas angemessenere Bekleidung herauszufiltern. T-Short und Jeans geht komischerweise immer. Ein Blick in das Wäschefach zeigte mir auch, dass mein Unterwäschevorrat langsam dem Ende zuging und sich gerade mal noch eine von meinen geliebten Comic-Boxershorts dort befand. Der Rest war einfach nur weiß. Da war dann wohl mal Wäsche waschen angesagt. Falls man das hier überhaupt konnte.

»Gibt's hier eigentlich Waschmaschinen?«

»Wie, wozu?«

»Zum Wäsche waschen?«

»Ach so, ja. Wieso, musst du schon Wäsche waschen? Du bist doch gerade mal zwei Tage hier.«

»Ja, aber ehe ich so einen Riesenhümpel dreckiger Wäsche rumliegen habe, dachte ich, dass man das doch schon mal waschen könnte. Und bis Mittag ist eh noch ein bisschen Zeit, in die man das wunderbar einpassen könnte.«

»Waschmaschinen sind unten. Also halt im Keller, einfach die Treppe weiter runtergehen, als bis zum Erdgeschoss. Kriegst du das alleine hin oder soll ich mitkommen?«

»Keine Sorge, ich kann das selbst, Papa.«

»Na dann, mein Kleiner. Verlauf dich nicht.« Ich sammelte grinsend meine zu waschende Wäsche zusammen und begab mich aus dem Zimmer und die Treppen runter. Ein Schild an einer Tür mit der Aufschrift Waschmaschinen verkündete dann auch, dass ich da wohl richtig sein würde. Eigentlich hatte ich erwartet alleine dort zu sein, aber jemand anders war wohl auf dieselbe Idee gekommen wie ich. Sah nett aus. Er, meine ich. Intelligent. Brille mit randlosen Gläsern, kurze, ordentliche Haare, älter als ich ... bestimmt.

Da er mich auch nicht weiter beachtete, begab ich mich zu einer der Waschmaschinen und begann gerade all mein Zeug dort rein zu stopfen, als er mich unterbrach.

»Wenn ich du wäre, würde ich die Waschmaschine nicht so anmachen.« Ähmm, wie bitte?

»Wieso?«

»Du bist neu hier, oder?« Ich mag es absolut nicht, wenn man Fragen mit Gegenfragen beantwortet.

»Ja, und?«

»Merkt man.«

»Wieso?«

»Du hast keine Ahnung, wie man Wäsche wäscht.«

»Oh. Und wer bist du?«

»Naja, wer sind Sie, wohl eher. Neville Diadon. Ich unterrichte Französisch, Deutsch und Englisch hier. Morgen jedenfalls. Im Augenblick habe ich offiziell Aufsicht.«

»Oh.« Ich merkte dann doch, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Ein Lehrer. Der konnte doch höchstens 25 sein. Er sah jedenfalls so aus. Ich will ja nichts sagen, aber das war doch schon mal ein reichlich blamabler Auftritt. Und dann noch vor einem Lehrer. Wiedermal einen super ersten Eindruck gemacht.

»Und du heißt?« fragte er, während er meine Wäsche in zwei Maschinen einsortierte.

»Mirc ... ähm, Mirko Garbe.«

»Wir werden dann wohl ab Morgen das Vergnügen haben.«

»Ja.« Einsilbige Antworten machten doch immer noch den besten Eindruck, hatte ich herausgefunden. Doch, dadurch wirkt man aufgeschlossen, selbstsicher, bestimmend, furchtlos und noch einiges andere mehr von dem ich genau das Gegenteil empfand, als ich ihm zusah, wie er endlich die Maschinen zum Laufen brachte. Er hat meine Boxershorts in der Hand gehabt, schoss es mir dann durch den Kopf ... mit den Simpsons drauf ... ähmm, ja.

Da standen wir nun. Ich vor meiner Waschmaschine und er vor seiner. Toll. Als Lehrer müsste er doch wenigstens Gespräche führen können ... andererseits ... vielleicht war es nicht unbedingt ratsam mit seinen Schülern außerhalb der Schule zu reden. Oder vielleicht wollte er sich auch einfach nur nicht mit mir unterhalten. Oder ... gut, zugegeben, ich sagte ja auch nichts, bis jetzt.

»Wohnen sie hier im Internat?«

»Nur an den Tagen, an denen ich Aufsicht habe, sonst wohne ich in der Stadt.«

Okay, wieder Schweigen, bis dann irgendwann seine Waschmaschine pinkte, er seine Sachen zusammenpackte und verschwand.

»Bis morgen, Mirko.«

»Wiedersehen.«

Oh ja, super. Damit dürfte ich dann bei ihm durchaus als aufgeschlossen und mitteilungsbedürftig gelten. Ja. Super. Aber gut ausgesehen hatte er trotzdem. Trotzdem wahrscheinlich viel zu alt um überhaupt in die äußere Wahl gezogen zu werden. Dass er seine Wäsche hier wusch, hieß aber ja nun schon mal, dass er wohl keine Freundin hatte ... ein Pluspunkt. Ein kleiner wenigstens.

Die schweren Entscheidungskämpfe in meinem Kopf, ob ich warten sollte, bis die Wäsche fertig ist oder doch lieber gleich nach oben gehen sollte, wurden durch das Pling dar Waschmaschine gelöst. Also entweder war sie jetzt extrem schnell gewesen oder ich war schon seit Ewigkeiten da unten. Höchstwahrscheinlich letzeres, denn von einer Waschmaschine, die innerhalb von zehn Minuten fertig ist, hab ich auch nicht gehört.

Ich holte also die Wäsche raus und behielt sie erst mal staunend in der Hand. So weit so gut, und nun? Wäscheleinen schien's ja hier nicht zu geben. Im Zimmer konnte ich die Wäsche auch schlecht aufhängen, also wohin damit? Ratlosigkeit.

»Wie wär‘s mit aufhängen?« Ja danke, so weit war ich auch schon. Ich drehte mich also leicht genervt zur Tür um, von wo aus Thom in meine Richtung grinste.

»Ich dachte schon du wärst verschollen ... so lange wie du gebraucht hast. Also was ist nun? Bist du hier bald fertig?«

»Wo *kann* ich denn hier die Wäsche aufhängen?«

»Nebenan, wieso?«

»Danke.« Okay, vielleicht hatte ich etwas gereizt reagiert, aber man muss ja nun auch nicht immerzu auf mir herumhacken.

»Du Mirc, ich geh dann schon mal zum Essen. Wir sehen uns dann da.« Ja, hau bloß ab. Schrecklich. Ich schnappte mir also den Korb mit der Wäsche und hängte das Zeug im anderen Raum auf. Irgendwie war anscheint außer mir noch niemand auf die Idee gekommen am Sonntag Wäsche zu waschen. Und auch der Herr Lehrer hatte seine Wäsche anscheint mitgenommen. Auch gut.

Ich hängte also meine Wäsche recht ordentlich auf ... jedenfalls so ordentlich wie ich konnte. Meine Mutter hätte bei dem Anblick wahrscheinlich eher einen Schreck gekriegt, aber mit der Zeit würde ich das doch wohl auch noch lernen. Vielleicht. Den Wäschekorb brachte ich auch noch in den Waschmaschinenraum zurück und überlegte dann kurz, ob ich mich vielleicht doch umziehen sollte. Der Gedanke wurde dann allerdings gleich wieder verworfen. Ich war so schon zu spät zum Essen und ein Blick an mir herunter zeigte, dass es auch so noch ging.

Als ich dann den Essensraum betrat, waren schon so ziemlich alle (wie ich das so einschätzen konnte) mit essen beschäftigt und niemand beachtete mich weiter, was mir durchaus recht war. Ich holte mir also auch was von dem ‚leckeren‘ (leider undefinierbarem) Essen und setzte mich zu den Anderen.

»Da bist du ja. Thom meinte du hast irgendwie Wäsche gewaschen?«

»Yep ... musste sein. Wann kommt Tim denn nun eigentlich genau?«, fragte ich Max, der nur ratlos Luis anschaute.

»Thom?«

»Genau weiß ich das auch nicht, aber irgendwann innerhalb der nächsten fünf Stunden. Er meldet sich bestimmt noch mal via Handy wenn er kurz vor dem Eintrudeln ist.«

»Hmm, gut.« Naja, irgendwie vermisste ich Tim auch. Er gehörte halt zu der Gruppe dazu ... irgendwie. Und Thom ging es wahrscheinlich auch nicht anders. Warum waren die Beiden denn eigentlich nicht zusammen auf einem Zimmer, wenn sie schon so gut befreundet waren?

»Sodann die Herren Thom und Mirc, was habt ihr heute noch vor? Dürfen wir zum Spielen hochkommen? Bitte, bitte, bitte.« Während sich Max auf die Knie begab, löste das beim Rest des Tisches einen Lachanfall aus. Der Typ war schon so ein Spinner.

»Also ich bin ja immer noch für ‚El Grande‘ spielen, damit Mirci-Baby auch mal die Chance auf Revanche hat.«

»Ich verzichte,«, antwortete ich grinsend. Noch so eine Blamage konnte ich mir wirklich ersparen. »Können wir nicht irgendwas einfacheres spielen?«

»Einfacher geht's nicht, nur schwerer.«

»Na toll.« Ich glaube meine Niederlage war vorprogrammiert.

»Wir spielen Manhattan.« Netter Name. Da der Vorschlag von Luis kam ahnte ich schon schlimmes.

»Was ist das?«

»Auch ein Strategiespiel.« Ja, klasse. Doch. Ehrlich gesagt finde ich Spiele nicht wirklich schlimm. Spiele können sogar ganz nett sein, aber wenn man mich an zwei Tagen hintereinander mit irgendwelchem hochtrabenden unverständlichen Strategiezeugs zubaut, dann ...

»Aber du spielst doch mit, oder Mirc?«

»Ja klar.« Sie hätten mich so oder so überzeugt mitzuspielen, da kann man auch gleich resignieren ... obwohl, vielleicht noch ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen war.

»Müsst ihr nicht irgendwie Hausaufgaben machen?«

»Nein.«, schallte es mir entgegen. Hoffnungsschimmer zerstört. Es wurde dunkel. Na gut ... dann musste ich mich wohl meinem Schicksal hingeben und spielen. Vielleicht würde es ja sogar ganz witzig werden? Bitte?

Wir waren dann auch natürlich mal wieder die Letzten, die mit dem Essen fertig waren. (Nicht, dass ich daran Schuld hatte). Und wir begaben uns dann aus dem leeren Speisesaal wieder mal in Thom‘s und mein Zimmer. Wieso musste das eigentlich immer als Spielwiese herhalten? Verstehe ich nicht, aber muss ich wahrscheinlich auch nicht.

Da der Tisch aufgrund unseres Spiels am gestrigen Tage noch freigeräumt war, machten sich Max und Luis gleich daran das neue Spiel aufzubauen und es bahnte sich schlimmes an. Innerlich stöhnte ich schon als ich die ganzen kleinen Bauklötze sah ... und noch mehr nachdem ich dann angefangen hatte die Spielanleitung zu lesen ... Im Grunde war es doch dasselbe wie ‚El Grande‘. Die Türme wurden diesmal in die Höhe gebaut ... na auch schön ...

Man spielte wieder mehrere Runden und als ich dann den Sinn des Spiels so langsam gerafft hatte, war es auch schon wieder vorbei. Wie sah es aus? Ich natürlich letzer, Max vor mir, dann Thom und Luis war Erster. Na bei ihm hatte ich auch nichts anderes erwartet.

»So und jetzt?«, fragte Thom nachdem wir dann die Punkte ausgezählt hatten. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen, aber sie vernahmen mein eigenes Stimmchen und das sagte:

»Können wir nicht noch eine Runde spielen?« Dementsprechend verwundert schauten mich dann auch die Anderen an.

»Meinst du das ernst?«

»Klar.« Naja, jetzt schon. Das Spiel hatte ich wenigstens verstanden und ich rechnete mir gute Chancen aus zu gewinnen. Oder wenigstens nicht zu verlieren, wir wollen ja nicht mal gleich zu hoch ansetzen.

Ich bin dann auch wirklich Dritter geworden. Vor Max. Yeah. Ein Sieg auf voller Linie. Irgendwann muss man ja auch mal ein Erfolgserlebnis haben. Und Max nahm das anscheinend nicht mal wirklich ernst. So eine Einstellung muss man haben. Aber dazu bin ich wahrscheinlich viel zu ehrgeizig. Entweder man gewinnt oder man mag das Spiel nicht. Naja, oder so ähnlich.

Während ich dann krampfhaft versuchte die Anderen zu einer dritten Runde ‚Manhattan‘ zu überreden, öffnete sich die Tür und Tim trat ein. Oh, war es doch schon so spät? Naja, halb vier, immerhin.

»Oh, ich sehe ihr weiht Marc schon in unsere wochenendlichen Spiele ein?«

»Ja, erst wollte der Kleine ja nicht so richtig, aber wir konnten ihn dann doch noch gerade so davon überzeugen vielleicht doch mal ein bisschen mit uns zu spielen. Jetzt ist er geradezu verrückt danach.« Allgemeines Gelächter breitete sich aus, während ich rot anlief. Thom schien jetzt auch wieder besser drauf zu sein.

»Bist du gerade erst gekommen?«

»Yep, gerade vor zwei Sekunden durch die Tür. Ich werde dann wohl auch erst mal auspacken und ein bisschen entspannen. Zugfahren nervt ganz schön.«

»Ich komm mit runter. Du musst mir mal erzählen, wie es diesmal so war.«

»Ähm ja, wir gehen dann auch.«

Jaaa, doch, damit wurde ich dann hier alleine gelassen. Thom setzte sich zu Tim ab (dann sollen die beiden doch ein Zimmer zusammen beziehen) und Max und Luis verschwanden auch nach unten. Und ich blieb ganz alleine. Toll.

Nachdem die vier dann weg waren, räumte ich erst mal das ganze Spielzeugs zusammen. Und Thom hatte mich nicht einmal gefragt, ob ich damit einverstanden wäre, dass er mit zu Tim runtergeht. Er war einfach ... gegangen. Anderseits, konnte ich von ihm erwarten, dass er jede seiner Handlungen mit mir absprach? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem doof.

Okay, dann bin ich halt eifersüchtig ... tja, das wird‘s wohl sein. Ich hasse das, wenn man sich in einen Jungen verliebt (naja, also das nicht), und der Junge da nichts von weiß und unbewusst immerzu irgendwelche verletzenden Sachen macht. Auch gut. Ich werde es wohl doch noch fertigbringen mich alleine zu beschäftigen.

Also legte ich mich auf‘s Bett und machte die Augen zu. Ich stellte mir den morgigen Tag mit Schule vor. Wie das wohl werden würde? Irgendwie schon komisch so mit der Schule direkt im Zuhause mit drin. Und dieser Herr Diadon würde wohl auch da sein. Richtig ... Diadon ... die Wäsche. Damit saß ich dann wieder aufrecht im Bett.

Wie lange braucht Wäsche eigentlich zum Trocknen? Die müsste doch schon lange fertig sein? Oder nicht? So nach ... vier Stunden oder so. Andererseits habe ich mit Wäsche ja nun schon mal gar keine Erfahrung, aber so rein vom Logischen her ... so bis dann Wasser verdunstet ist und so? Naja, ich hatte ja eh nichts anderes zu tun, da sich Thom ja nun nach unten abgesetzt hatte.

Ich erhob mich also schweren Herzens, denn eigentlich war es ja ganz gemütlich gewesen und begab mich nach unten. Auf der ersten Etage war auch von niemandem etwas zu sehen. Entweder die schliefen alle oder machten sonst was.

Die Wäsche war trocken ... naja ... noch etwas, wie sagt man, klamm, aber das ging schon verhältnismäßig gut und bei der komischen Luft hier unten würde es auch nicht besser werden. Da könnte ich sie schon eher noch mal über die Heizung hängen.

Gerade als ich dann den Raum verlassen wollte, stellte sich mir ein großes Etwas in den Weg. Das hatten wir doch schon mal gehabt. Wenn mich nicht´ alles täuschte hieß der Typ Mike. Ich konnte mich doch noch sehr gut an seine Bemerkung von wegen ‚Kleiner‘ erinnern. Da standen wir dann. Er ging keinen Schritt zurück und auch ich stand wie angewurzelt, bis er sich dann bequemte den Mund aufzumachen.

»Verpiss dich.« Ja gut, das war doch schon mal sehr nett. Ich hatte eigentlich nicht vor mich hier herumstoßen zu lassen ... aber gut, ich hatte auch keine Lust auf irgendeine große Konfrontation. Also sagte ich nichts und trat einen Schritt zur Seite, damit er eintreten konnte. Zugegeben, vielleicht hatte ich auch Angst vor einer Konfrontation, aber wer hätte die nicht. Ich wollte eigentlich keine Feinde im Internat. Man muss ja nicht mit Allen befreundet sein, aber es sollte doch schon so weit gehen, dass man etwas Respekt füreinander hat. Komischer Kauz. Auch gut.

Ich ging dann mit meinen frisch gewaschenen Boxershorts und T-Shirts wieder nach oben, wobei mir zum ersten Mal auffiel, dass meine Wäsche auch noch genauso aussah wie vorher. Also nicht dreckig, aber was Form und Farbe abgeht. Ob das ohne Hilfe auch so abgelaufen wäre? Fraglich, fraglich.

Oben angekommen, verteilte ich dann alles auf jedem freien Fleckchen an und auf der Heizung und dachte unwillkürlich daran, wie schön sich das anfühlt, wenn man warme Unterwäsche anzieht. Das ist so ein weiches, warmes, wohliges Gefühl ... und entspricht zu einem kleinen Teil dem, das man hat, wenn man mit einer anderen Person zusammen unter einer Decke aufwacht. Es muss dann noch gar nicht mal der Freund sein, sondern kann ein Freund sein. Das erinnerte mich natürlich automatisch an Marc.

Was wäre wenn wir zusammen gewesen wären? Dann wäre es jetzt bestimmt noch um einiges schlimmer getrennt zu sein. So lebte er sein Leben und ich lebte meins, naja, versuchte es zu mindestens. Andererseits, wie ging noch der Spruch ... It‘s better to have loved and lost than to have never loved at all. Es ist besser geliebt und verloren zu haben, als niemals geliebt zu haben. Oder so ähnlich ... Darüber konnte man sich sicherlich streiten.

Es war jetzt ... wie spät? Noch nicht mal halb fünf. Um sieben gab's erst Abendbrot. Da hatte ich jetzt die Wahl: entweder noch anderthalb Stunden im Zimmer rumsitzen und mir über irgendwelchen Schnick-schnack Gedanken machen und vielleicht einfach mal rauszugehen ... Doch, das gefiel mir. Rausgehen. Von außen hatte ich das Gebäude bisher eh nur von einer Seite gesehen, was ja viel zu wenig ist, wenn man hier schon wohnt.

Kurzentschlossen zog mich mir dann eine Jacke an und begab mich mal wieder nach unten. Aus den Räumen hörte man immer abwechselnd Musik oder Gelächter oder einfach nur Stimmen. Schon seltsam. Irgendwie wurde mir da erst bewusst, was es nun eigentlich hieß im Internat zu wohnen. Und irgendwie gefiel mir das schon gar nicht mehr so gut.

Nachdem ich aus der Vorhalle getreten war, orientierte ich mich nach links, da es dort nach Sportanlagen und Ähnlichem aussah. Das erinnerte mich so ein bisschen an die Sportanlagen meiner alten Schule in Hamburg. Mann, wie das klang ... alte Schule ...

Ich setzte mich auf eine der Bänke und starrte aufs Fußballfeld. Heimweh. Es war halt doof hier ganz alleine zu sein. Ohne irgendwelchen Halt von Leuten, die du größtenteils schon mehrere Jahre kennst. Es war einfach scheiße. Und klar vermisste ich Hamburg und Marc und meine Eltern und sonst welche Leute ... Scheiße.

Die Telefonzelle an der Seitenwand des Gebäudes riss mich ein bisschen aus meiner gedrückten Stimmung. Ich hatte meinen Eltern eh versprochen mich zu melden, also würde ich das wohl mal tun. Geld hatte ich ja dabei. Und wenn ich schon mal telefonierte, könnte ich auch gleich Marc anrufen ... um mit ihm mal von Mann zu Mann zu sprechen ... jaja. Zum Glück hatte ich die neue Nummer meiner Eltern auf einem Zettel bei mir ...

Das Gespräch ging dann auch recht schnell. Halt das Übliche. Wie geht's dir? Gut. Hast du dich gut eingelebt? Ja. Hast du schon neue Freunde gefunden? Ja. Wie ist das Wetter? Geht so. Hast du Heimweh? Nein, natürlich nicht.

Das Gespräch mit Marc ging schon in eine ganz andere Richtung. Endlich mal jemand mit dem man auch über Thom reden konnte.

»Hi Marc. Ich bin‘s.«

»Hi Mirci. Und wie geht‘s dir? Irgendwelche netten Jungs da bei dir?«

»Mir geht's gut, danke. Und naja ... doch ... ich kann mich nicht beklagen.« Schade eigentlich, dass man kein Bildtelefon hat.

»Sag nicht, dass du jetzt ‚nen Freund hast?«

»Ja klar. Nee, aber der Typ mit dem ich im selben Zimmer wohne ... hmm ... nett.«

»Ah ha. Und? Schwul?«

»Wieso sind bei dir eigentlich immer gleich alle schwul? Aber nope, glaube ich nicht ... aber man weiß ja nie.«

»Hat er ne Freundin?«

»Nee.«

»Sag ich doch, schwul.«

»Arschloch. Und bei dir?«

»Ach ja, du weißt ja wie das ist. Lucas wollte am Wochenende gerne, aber du kennst ihn ja. Nein danke.«

»Wie? Keine One-Night-Stands? Bist du sicher, dass ich mit Marc spreche?«

»Sehr witzig. Weißt du Kleiner, irgendwann geht es auch mal um die Liebe und nicht nur um Sex.«

»Ah ja, der weise Marc.«

»Übrigens, Lucas hat nach dir gefragt. Nachdem ich ihm dann mitteilen musste, dass du nicht mehr hier weilst, ist er enttäuscht von dannen gezogen. Dann hat er natürlich mich gefragt, aber gut.«

»Ich sehe schon, du hast deinen Spaß.«

»Was machst du eigentlich im Augenblick? Telefonierst du vom Zimmer aus? Wie heißt eigentlich dein Schwarm?«

»Telefonieren. Nein. Thom.«

»Danke sehr.«

»Sorry, ähm ja, eigentlich war ich nur gerade ein bisschen spazieren und Thom heißt er, kommt aus München. Rote Haare, blaue Augen, 1.90m und so süß.«

»Ah ich seh‘ schon, über beide Ohren verknallt der Kleine.«

»Ja, sieht ganz so aus ...wieso muss ich mich eigentlich immer in die Heten verlieben?«

»Genau, du hättest ja auch Lucas nehmen können.«

»Dummy. Du, mein Geld ist gleich verschwunden. Ich werde mich dann ab und zu mal bei dir melden. Oder ´ne E-Mail schreiben, aber ich bezweifele, dass ich groß dazu komme. Internet gibt‘s nämlich nur in der Stadt.«

»Kauf dir mal ein Handy.«

»Mal sehen. Also, ich melde mich mal. Grüß die Anderen.«

»Besonders Lucas?«

»Hehe, meinetwegen auch Lucas. Pass auf dich auf. Bye.«

»Du auch. Bye-bye.«

Gut, man konnte nun nicht abstreiten, dass das Telefongespräch meine Laune um einiges gesteigert hat. Mit dem Handy hatte er natürlich recht. Aber Telefonieren war sowieso nicht so meine Stärke, da brauche ich eigentlich kein Handy.

So langsam verschwand auch die Sonne hinterm Horizont, während ich noch um den Fußballplatz marschierte. Sonnenuntergänge sind doch immer wieder so schön romantisch. Zu zweit wär's natürlich noch besser, aber man kann ja nicht alles haben. Ein Blick auf die Uhr bestätigte dann auch die Vermutung, die der Sonnenuntergang schon hervorgerufen hatte. Es war wohl besser sich mal wieder ins Haus zu begeben. Essen fassen war angesagt.

Diese geordneten Mahlzeiten können auch irgendwie recht nervig sein. Normalerweise kommst du halt irgendwann nach Hause und isst vielleicht unterwegs noch was. Andererseits, wo will man hier schon groß hin? Außer in den Wald, den es hier zu Genüge drum rum gab. Doch, es war schon ein ganz anderes Leben hier.

Nach der kurzfristigen Entscheidung, dass ich keine Lust mehr hatte noch groß nach oben zu gehen um meine Jacke wegzuhängen, begab ich mich also gleich wieder in den Essenssaal. Max und Luis saßen wieder an ‚unserem‘ Tisch, während von Thom und Tim jegliche Spur fehlt. Hmm, seltsam.

»Wo sind die anderen Beiden?«

»Die erzählen bestimmt noch. Das kommt öfters vor, dass sie Sonntagabend nicht zum Essen kommen.« Ich kann nicht sagen, dass mich Max‘ Auskunft nicht doch etwas verletzt hat. Also nicht, dass er mir gesagt hat, was los ist, aber das Thom und Tim anscheint doch extrem eng befreundet waren. Ich meine, herrgott, sie haben sich noch nicht mal zwei Tage nicht gesehen und machen gleich ein Drama daraus. Und Thom hätte mir ja wenigstens sagen können, dass er vorhat heute länger bei Tim zu verweilen.

Meine Laune steigerte sich während des gesamten Essens nicht sonderlich, fiel sogar noch eher, nachdem dann auch Luis und Max den Raum mit der Begründung verlassen haben, dass sie noch Hausaufgaben machen müssten. Das sollte Thom auch mal tun.

Ich stopfte also ärgerlich mein Brot in mich rein und stapfte dann aus dem Raum und in ‚unser‘ Zimmer. Ja klar. Mann, ich hasse es eifersüchtig zu sein. Warum konnte Thom nicht auch einfach ein bisschen Zeit mit mir verbringen? Schließlich war ich neu und brauchte etwas Aufmerksamkeit.

Als dann nach zwei Stunden immer noch kein Lebenszeichen von ihm kam und ich auch keine Lust mehr hatte mir noch groß irgendwelche Gedanken zu machen, machte ich mich bettfein. Halb zehn. Gut, reichlich früh, aber was soll‘s. Besser als auf ihn zu warten.

Nachdem ich Zähne geputzt hatte, fiel ich auch geradezu ins Bett. Der Tag war zwar körperlich nicht so anstrengend gewesen, aber mit der Kirche und allem gab es doch einiges, was zu verarbeiten war. Und am nächsten Tag dann Schule, worauf ich mich natürlich auch schon ungemein freute. Wieso kann es nicht in Internaten immer so weitergehen, dass man jeden Tag frei hat?

Wo Thom wohl blieb? Vielleicht schlief er ja bei Tim ... Hmm, ich glaube ich hätte doch Lucas nehmen sollen.

Nachwort

Die Predigt in Kapitel VI kann man in voller Länge unter http://www.dike.de/gross-eichen/ finden. Es ist die Predigt am 1. So. nach Trinitatis (25.6.2000) von Manfred Günther.

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