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Der Tunnel

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Informationen

Vorwort

Diese Story ist eine von sechs Stories, die im Rahmen des ersten Nickstories-Workshops 2017 in Neuss entstanden sind.

Als Vorgabe dient ein Zeitungsartikel über einen Schüler, der einem anderen Jungen mit Hilfe von WhatsApp das Leben rettet. Auf Grundlage dieser realen Geschichte haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, mit unserer Phantasie daraus eine Erzählung zu schreiben.

Die Teilnehmer des Workshops haben im Rahmen einer kleinen Challenge ihre Lieblingsstory gewählt. Das Ergebnis wird hier nicht verraten. Lest selbst die Geschichten und macht euch eure eigenen Gedanken. Wir Workshop-Autoren freuen uns auf Feedbacks und eine rege Diskussion im Nickstories-Forum.

Viel Spaß beim Lesen.

Vorwort der Redaktion

Liebe Leser,

die folgende Geschichte befasst sich unter anderem mit der Thematik Suizid. Dies ist ein sensibles Thema, das Nickstories.de nicht unkommentiert lassen kann und will. Deshalb haben wir uns entschieden diese Geschichten generell mit einem Vorwort zu versehen.

Für uns ist dieses Thema in Stories kein Tabu, aber wir wollen deutlich machen, dass Selbstmord mit Sicherheit kein Weg ist, um ein Problem zu lösen. Jeder, der sich in einer scheinbar aussichtslosen Lage befindet, sollte wissen, dass er Hilfe finden kann.

Wenn du jemanden kennst, der über diesen Schritt nachdenkt oder ihn geäußert hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen und versuchen mit dieser Person zu reden. Erst dann wird deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist.

Wenn du über Selbstmord nachdenkst, bitten wir dich, Kontakt mit einer Hilfseinrichtung aufzunehmen, bevor du etwas tust, das für deine Freunde und deine Familie ein unwiederbringlicher Verlust sein wird.

Informationen und Notrufnummern findest du z.B. unter: www.telefonseelsorge.de

 

Hallo, mein Name ist Janos. Ausgesprochen wird das allerdings Janosch, weil auf Ungarisch "s" wie "sch" gesprochen wird. Meine Großeltern, die ich sehr liebte, stammten aus Ungarn. Oft habe ich mich gefragt, wieso meine Eltern nicht die Schreibweise gleich eingedeutscht haben. So wäre mir zumindest eines meiner zahlreichen Probleme erspart geblieben.

Aber seinen eigenen Namen kann man sich eben nicht aussuchen, genauso wenig wie die Gene, die sich meiner Meinung nach gegen mich verschworen hatten. Wenn man sich mein Eltern ansieht, die man als athletisch bezeichnen könnte, würde man darauf schließen, dass die Nachkommen in etwa auch so aussehen müssten. Leider weit gefehlt. Mit meinen damals 16 Jahren sehe ich eher wie 13 und ziemlich klein und schwächlich aus. Selbst mehrmals wöchentliches Training im Fitnessstudio an diversen Foltergeräten veränderte meinen Körperbau kein bisschen. In den Monaten als ich auf Veränderungen wartete, wurden die regelmäßigen Besuche zur Routine und ich trainiere heute immer noch zwei Mal die Woche.

Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich gerne ins Studio gehe um andere Jungs zu beobachten - diese Erkenntnis sorgte für ein weiteres Problem, schließlich war ich schon ein Außenseiter in der Schule. Ich war als Streber und Sonderling gebrandmarkt, weil ich bei Stress anfange zu stottern und davon gibt es in der Schule bekanntlich genug. Zudem war ich immer noch der "Neue", weil meine Familie zu Beginn des Schuljahres umgezogen ist.

In der neuen Schule haben sich anfangs recht gute Kontakte entwickelt. Selbst das Stottern war nicht mehr so schlimm, aber irgendwann wurde bekannt, dass ich ein "Trainspotter" bin. Meine Mitschüler dachten dabei nur an den Film Trainspotting mit den Drogengeschichten. All meine Versuchen dieses Missverständnis aufzuklären, wurden vor allem durch mein stottern verhindert. Ab da begannen die Hänseleien wegen den vermuteten Drogen und meinem Stottern, dass dadurch auch immer schlimmer wurde.

Die neuen Freundschaften waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht stark genug und niemand ergriff für mich Partei. Ich selbst zog mich auch immer weiter zurück, redete kaum noch mit meinen Mitschülern. Die Lehrer bemerkten nichts davon, denn wenn ich mit ihnen sprach stotterte ich fast nie.

Abgeschottet von den Kommilitonen verbrachte ich die meiste Zeit beim Fotografieren von Lokomotiven und katalogisieren der Fotos oder ging ins Fitnessstudio. Wegen meiner schlechten Erfahrungen in der Schule vermied ich alle Kontakte im Studio. Bei meinen Recherchen wo und wann welcher Zug fährt, entdeckte ich in einem Forum einen Link zu einer Whatsapp-Gruppe "Trainspotter gegen Mobbing".

In dieser Gruppe fühlte ich mich seit langem wieder sicher und verstanden und das Beste, beim Tippen stottert man nicht. Mit Mark, dem Gründer der Gruppe, freundete ich mich über die nächsten Wochen an und wir plauderten so oft es ging. Wir verstanden uns einfach prima. Er war etwa im gleichen Alter, er war gerade 17 geworden und mit ähnlichen Problemen. So gut es ging munterten wir uns auf und unterstützten uns auch bei unserem Hobby.

Er wohnte leider fast am anderen Ende der Republik, was ein Treffen extrem erschwerte. Aber wir hatten für die nächsten Sommerferien ein Treffen vereinbart. Leider waren noch einige Monate bis dahin zu überstehen.

In der Schule hatte das Mobbing etwas nachgelassen und ich hatte den Eindruck, zumindest toleriert zu werden. Ich fühlte mich halbwegs sicher, nur zunehmend einsam. Es gab da einige Jungs, die ich attraktiv fand, aber außer in meinen Träumen traute ich mich nichts. In einer großen Pause schmachtete ich einen meiner Auserwählten wohl zu lange hinterher. Ein neuer Grund war gefunden und das Gehänsel wurde schlimmer als je zuvor.

Entgegen meiner Erfahrungen nahm das Mobben über die nächsten Wochen nicht ab, obwohl ich mich so verhielt wie bisher auch. Einfach nicht darauf reagieren brachte nichts denn, es ging nun schon mehrere Wochen. Langsam wirkte sich das Ganze doch auf meine schulischen Leistungen aus und ich schrieb bei der letzten Schularbeit eine fünf.

Das machte meinen Lehrer auf mich aufmerksam. Er bat mich zum Gespräch, aber ich wiegelte alles ab und schob es auf die Erkältung die ich gerade hatte. Ich weiß nicht, ob er mir wirklich glaubte aber er beließ es dabei - eine verpasste Chance.

Das Leben ging weiter, mal etwas besser, mal schlechter, genauso wie das Mobbing. Für mich war es nicht zu erkennen, wodurch diese Schwankungen auftraten. Nur die Mondphasen verliefen einigermaßen synchron. Ich diskutierte diese Theorie auch mit Mark. Sehr rational fanden wir das beide nicht, aber es war zumindest eine Erklärung. Wir einigten uns darauf, dass es wohl so sein muss.

Einige Wochen später begann mein Computer zu spinnen und es gelang mir einige Tage nicht ins Internet zu kommen. Mir ging es entsprechend schlecht, weil mir die Gespräche mit Mark zunehmend fehlten. Ich lag verzweifelt auf meinem Bett, beobachtete wie der Wind Wolken am Mond vorbeitrieb und lauschte lange meinen düsteren Gedanken. Da ist kein Licht am Ende des Tunnels. Ich versuchte mir auszumalen, wie ich mein Leben beenden könnte und weinte mich in den Schlaf.

Irgendwann am späten Sonntagvormittag folgte ich widerwillig dem Drang der Natur und beschloss, da ich ja schon aufgestanden war, erst mal einen Kaffee zu trinken.

Groß war die Überraschung, als ich im Wohnzimmer meine Eltern mit 2 Polizisten antraf. Mark hatte sie verständigt, weil ich mich nicht gemeldet hatte. Vergangene Nacht war Vollmond und er hatte Sorgen, ich könnte mir etwas antun.

Meine Eltern haben den Polizisten nicht wirklich geglaubt, aber als ich bei dieser Nachricht nur noch weinend zusammenbrach, erkannten auch sie, wie es um mich stand. An was dann noch passierte habe ich nur sehr verschwommene Erinnerungen. Erst Stunden später in einer Klinik kam ich wieder halbwegs zu mir. Erst wollte ich dort gar nicht bleiben, aber ein Gespräch mit einem Therapeuten bei dem ich kein einziges Mal stotterte überzeugte mich.

Mein Therapeut war ein echter Glücksfall. Sehr schnell entwickelte sich Vertrauen und sogar Freundschaft. Ich erzählte ihm wirklich alles und er zeigte mir einen möglichen Weg. Auch meine Eltern unterstützten mich mehr, als ich gedacht hätte. Wieso ich mich ihnen nicht früher anvertraut habe verstehe ich im Nachhinein nicht wirklich. Bei meinem Coming-out griff ich dennoch auf die professionelle Unterstützung meines Therapeuten zurück, obwohl dies gar nicht nötig gewesen wäre.

Nachdem ich meine Lebensmitte wieder gefunden hatte, verließ ich die Klinik. Ich sah zwar immer noch einige Wolken am Horizont, wusste aber ich bin nicht alleine und bekomme Hilfe wann immer ich sie brauche.

Nun sitze im Zug und fahre quer durch die Republik um meinen Retter endlich persönlich kennenzulernen. Ich bin nervös und freue mich sehr darauf, habe aber keine Ahnung das noch weiter geht. Aber zumindest bin ich raus aus dem Tunnel.

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