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Geschichten aus der Föderation

Golden Boy

Teil 5 - HMCS EDEN

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

HMCS EDEN

Vizeadmiral Rian Drake wanderte wortlos durch die langen Reihen der Hibernationsstationen und schüttelte lediglich seinen Kopf. Zweitausend Personen lagen hier im Tiefschlaf. Und niemand wusste den Grund dafür.

An der Bedienstation für die gesamte Einrichtung gab es sogar ein Verzeichnis, welche Person sich in welcher Station befand. Zusammen mit allen Daten der ursprünglichen und der jetzigen körperlichen Verfassung und den bekannten Persönlichen Daten.

Nach einem ersten Abgleich auf der GOLDEN BOY handelte es sich bei drei Viertel dieser Personen um die Opfer von Piratenüberfällen auf Schiffe oder den von Sklavenjägern auf Planeten. Und ausnahmslos alle waren zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Jahren alt. Männliche und weibliche Personen genau zur Hälfte.

Tim Sheldon und Colin Campbell begleiteten den Reichsfürsten bei seiner einsamen Wanderung durch Lager 25.

Ich verstehe das nicht, Tim. Was soll das?“

Ich weiß es nicht. Wir werden es wohl herausbekommen, wenn wir den Eigner der Yacht verhören können.“

Die uns ja leider entkommen ist. Weiß man inzwischen, um wen es sich handelt?“

Colin Campbell verzog etwas sein Gesicht.

Die Identifizierung war einfach. Aufgrund der hier an Bord vorliegenden Aufzeichnungen handelt es sich um die Raumyacht ASTROMAID. Ob der Eigner auch an Bord war, lässt sich nicht genau verifizieren.“

Mach es nicht so spannend. Wer ist der Eigner?“

Ein gewisser Professor Doktor Pardis Grindel. Zwölfter Herzog von Stowas-Lat.“

Wer? Von dem hab‘ ich ja noch nie was gehört.“

Colin lächelte leicht.

Ich auch nicht. Aber den Titel gibt es wirklich. Er ist damit nur nie öffentlich aufgetreten. Hat ihn vor sieben Jahren von seinem Vater geerbt. Ist nicht einmal zur offiziellen Erhebung auf Terra 2 erschienen. Er ist Professor für Molekularbiologie an der Universität von Stowas-Lat.“

Und was sagt uns, dass er derjenige ist, den wir für das alles hier verantwortlich machen können?“

Diesmal nahm Tim Sheldon den Faden wieder auf.

Die Navigationsdaten des Piratenschiffes. Wir konnten nicht nur die Zugangsdaten für das Bergungsschiff sichern, sondern auch die Zieldaten dieses Piraten. Und jetzt kommt der lustige Teil. Ziel war der einzige Mond des Planeten Ashkalon IV. Und dieser Mond ist der registrierte Privatbesitz von Professor Doktor Pardis Grindel.“

Dann werden wir dem Herrn Professor mal einen Besuch abstatten müssen.“

Bevor die GOLDEN BOY starten konnte, galt es jedoch, noch einige Vorbereitungen zu treffen.

Lieutenant Granger von der MOHAWK war nicht so ganz glücklich mit dem Gedanken, seine Marines abgeben zu müssen. Das würde auf Arcadia noch so einige Nachfragen ergeben. Ebenso war er besorgt bei dem Gedanken, einen Adligen an Bord zu haben, der – wenn auch weitläufig – mit der königlichen Familie verwand war.

Die Marines aller drei Einheiten auf der GOLDEN BOY unterzubringen war eine logistische Meisterleistung. Die HIGHLANDER war bei weitem nicht so schnell wie die GOLDEN BOY und Tim Sheldon wollte alle Marines sofort zum Einsatz bringen können.

So waren es denn sieben Mann der HIGHLANDER und elf Mann der MOHAWK, die im Hangar der GOLDEN BOY auf Notbetten untergebracht wurden. Dazu kamen noch die beiden Gefechtsfeldsanitäter der HIGHLANDER, die im Lazarett untergebracht waren.

Lieutenant Granger hatte sich durchsetzen können, so dass Peter Mansfield und Colton Fraser auf der MOHAWK zurück nach Arcadia fliegen mussten. Für Devon Capers stand etwas anderes gar nicht zur Debatte.

„Also gut. Wir haben alle an Bord. Die HIGHLANDER wird uns so schnell wie möglich folgen. Die MOHAWK hat alle befreiten Entführten an Bord und Ken ist ebenfalls schon drüben. Haben wir etwas vergessen?“

Tim Sheldon saß im Sessel des Kommandanten und sah sich fragend um. Colin Campbell zuckte lediglich mit den Schultern.

„Ich hoffe nur, dass das Flottenkommando einen Verband aufgetrieben hat, der nahe genug steht, um rechtzeitig eingreifen zu können.“

„Wie lange bis zum Ziel?“

Christoph deCoeur drehte sich halb herum.

„Das Ashkalon-System liegt 2102 Lichtjahre entfernt. Das ist eine reine Reisezeit von vierzehn Stunden und zweiundvierzig Minuten. Nach acht Stunden ist Orientierungsaustritt. Voraussichtliche Reisezeit also Fünfzehn Stunden und zwölf Minuten.“

„Fünfzehn Stunden sind für einen Verband mit großen Einheiten nicht gerade viel.“

Tim Sheldon überschlug die Reisezeiten im Kopf.

„Das sind höchstens 400 Lichtjahre. Da kommt wohl nur die entsprechende Sektorflotte in Frage. Wir können nur hoffen und müssen notfalls abwarten. Also los, Chris, Kurs auf den nächsten Absprungpunkt.“

„Anruf von der MOHAWK.“

„Auf den Schirm.“

Auf dem Panoramaschirm erschien das Bild von Lieutenant Granger und Kenneth Turner.

„Wir wollten nur noch einmal eine gute Reise wünschen, Commander.“

„Vielen Dank, Lieutenant. Und viel Glück. Besonders dir, Kenny.“

Kenneth Turner lächelte schwach und winkte dann kurz, bis die Verbindung abbrach.

MOHAWK brauchte etwa zehn Stunden bis nach Arcadia. Wenn sie dort eintrafen, würde früher Morgen sein. Kenneth war gespannt, was sie dort antreffen würden. Das Kommando der Arcadia-Miliz war bereits per Funkrelais über die Vorkommnisse und die Befreiung informiert worden. Bei den komplizierten Relaisketten zu den Kolonialplaneten war damit zu rechnen, dass die Nachricht nicht viel früher als sie selbst eintreffen würde.

Die Reise verlief auch äußerst friedlich, bis Kenneth plötzlich geweckt wurde.

„Verzeihung, Sir. Der Kommandant bittet sie, auf die Brücke zu kommen.“

Ken sah verschlafen dem Kadetten hinter und wunderte sich. Dann sah er auf die Uhr. Acht Stunden. Sie mussten gerade bei ihrem Orientierungsaustritt sein. Neugierig machte er sich auf den Weg zur Brücke.

„Sie hatten mich rufen lassen, Sir?“

Ken trug die Uniform der Navy und Lieutenant Granger sah einen Moment lang irritiert auf den Orden den Kenneth trug. Dann räusperte er sich.

„Ja, vielen Dank, Lieutenant, dass sie so rasch erschienen sind. Wir sind gerade beim Orientierungsaustritt und haben eine Sondermitteilung des königlichen Palastes empfangen. Die Mitteilung ist als Rundsendung rausgegangen und dürfte inzwischen auf allen Welten der Föderation empfangen worden sein. Sie sollten sie sich unbedingt ansehen.“

Nun war Ken wirklich neugierig. Was hatte seine Majestät denn so Wichtiges zu verkünden?

Der große Panoramabildschirm zeigte das Wappen des Königshauses und sofort darauf erschien der Haushofmeister.

„Es folgt eine Ankündigung Seiner Majestät König Simon des XLVII. Bitte bleiben sie empfangsbereit.“

Es gab einen Schnitt und seine Majestät erschien auf dem Bildschirm. Sein Gesichtsausdruck war ernst und er nickte leicht, als er zu sprechen begann.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ein weiteres Mal innerhalb kurzer Zeit wende ich mich an sie als Bevölkerung unserer Föderation. Es haben sich mehrere Zwischenfälle ereignet, die zu meinem Leidwesen das Vertrauen der Bevölkerung in das Königshaus und den Adelsstand allgemein erschüttern könnten. Lassen sie mich versichern, dass die traditionsreiche Einrichtung der Adelshäuser kein Freibrief für verbrecherische Handlungen sein kann, sein darf und auch nicht sein wird.“

Etwas unsicher schien der König nun auf ein Manuskript zu sehen, blickte dann aber unbeirrt in die Aufnahmeoptik.

„Wie bereits mit der Ernennung eines Reichsfürsten veranlasst, wird die Möglichkeit der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Angehörige der Adelshäuser nunmehr erweitert werden. Seine Durchlaucht, Markgraf Kenneth Turner wird mit sofortiger Wirkung in den Stand eines Reichsgrafen erhoben. Damit einher geht die Ernennung zum Commodore der Royal Navy Special Forces. Um den neuesten Entwicklungen Rechnung zu tragen, haben sowohl der Premierminister als auch der Minister für Erforschung und Besiedlung des Weltraumes zugestimmt, dem neuen Reichsgrafen die Autorität eines Kolonialrevisor zuzugestehen.“

Ken schnappte nach Luft, während die Aufzeichnung der Rede unbeirrt weiterlief.

„Lassen sie sich versichert sein, dass jemand mit solch umfangreichen Rechten ebenfalls sehr genau beobachtet wird. Ich wünsche mir sehr, dass sie alle weiter an unseren Traditionen festhalten und den Strukturen vertrauen, die unsere Föderation durch tausende von Jahren ungebrochen geführt haben.“

Der Bildschirm verdunkelte sich und Kenneth Turner sah sich ungläubig um. Lieutenant Granger erhob sich aus dem Kommandantensessel und ging auf ihn zu.

„Herzlichen Glückwunsch, Sir. Können wir etwas für sie tun?“

„Was? Nein. Aber Danke. Vielen Dank. Ich... ich möchte kurz zurück in meine Kabine, mich etwas sammeln. Danach möchte ich eine kleine Besprechung abhalten. Dazu hätte ich gerne außer ihnen noch die Herren, die bei der Befreiung der Gefangenen dabei waren. Ach, ja. Und auch den Felidaner, den man befreit hat. Danke sehr.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte Ken fast von der Brücke. Auf dem Gang lehnte er sich an die Wand und holte tief Luft.

Was sollte das bedeuten? So war das nicht geplant. Er hatte nicht mal genug Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, ein Reichsgraf zu werden und nun das. Was war der Grund für dieses außergewöhnliche Vorgehen? Es musste eindeutig mit den jüngsten Ereignissen in Zusammenhang stehen.

Ken schüttelte seinen Kopf und ging in seine Kabine. Dort stellte er sich eine Viertelstunde lang unter die Dusche und zog dann seine Dienstuniform an. Dann kam ihm ein Gedanke. Schnell tauschte er die Dienstuniform gegen einen Arbeitskombi. Dann durchforstete er sein Gepäck. Richtig, da waren sie. Sein Bruder Edward hatte ihm beim Abschied ein paar Dienstgradabzeichen geschenkt. Es sollte ein kleiner Scherz sein, doch nun wurde plötzlich ernst daraus. Ken pappte eines der Abzeichen als Commodore der Special Forces an seinen nun nicht mehr korrekten grünen Arbeitskombi, doch das würde fürs erste reichen müssen.

Als er zur Brücke zurückkehrte, wartete Lieutenant Granger bereits mit den von ihm gewünschten Personen.

„Das sind die Leute, die sie erwähnt haben, Commodore. Ensign Arcadia Miliz Peter Mansfield, Engineer Cadet Colton Fraser und Mister Devon Capers, Schüler von Arcadia High.“

„Das ist sehr schön. Für diejenigen, die mich nicht kennen, mein Name ist Kenneth Turner und ich bin seit gerade eben Commodore der Special Forces.“

Ken grinste ein wenig schüchtern, während die anderen ihn anstarrten. Peter hatte die Ankündigung seiner Majestät auf der Brücke natürlich mitbekommen, wusste aber nicht, dass Ken hier an Bord war. Colton sah fasziniert auf das Dienstgradabzeichen mit dem einzelnen Stern. Commodore. Wie alt war der Typ? Devon hingegen platzte heraus

„Seine Durchlaucht Kenneth Turner. Markgraf und Reichsgraf. Zwillingbruder des Großherzogs Edward Turner. 22 Jahre alt, geboren auf…“

Lieutenant Granger fuhr herum.

„Mister Capers, ich muss doch sehr bitten!“

Devon schloss seinen Mund und ließ die Ohren hängen. Einer seiner kleinen Fehler, sein schnelles Mundwerk. Ken hingegen lachte.

„Ich sehe, da interessiert sich jemand für das Königshaus. Aber deswegen sind wir ja nicht hier. Haben wir ein ruhiges Plätzchen?“

Lieutenant Granger führte sie in einen Besprechungsraum direkt neben der Brücke. Hier wurden normalerweise die Stabsbesprechungen der Schiffsführung abgehalten.

„Warum ich sie zusammengerufen habe, ist ganz einfach. Ich möchte noch einmal die ganzen Vorgänge dieser Entführungen und der Verfolgung aus ihrer Sicht hören. Irgendetwas muss nicht in Ordnung sein, sonst hätte mich seine Majestät nicht so überstürzt ernannt. Die Erhebung zum Reichsgrafen war eigentlich erst in einem Jahr vorgesehen.“

Lieutenant Granger hob die Augenbrauen und die jüngeren Herren staunten. Ken sah nun Devon an.

„Vom zeitlichen Ablauf her dürften sie eigentlich einer der ersten gewesen sein, der die Piraten zu Gesicht bekommen hat.“

Devons Gesicht verdüsterte sich.

„Wir waren in der großen Sporthalle, um zu trainieren, das gesamte Basketball Team und die Cheerleader. Plötzlich gab es draußen ein lautes Geräusch und als die ersten hinausliefen, um nachzusehen, bemerkten sie ein Raumschiff, das mitten auf dem Sportplatz gelandet war. Von diesem stiegen eine ganze Horde Leute aus, die alle bewaffnet waren. Wir hatten schon mehr als genug von Piraten gehört, um zu wissen, was vor sich ging. Meine Kameraden sind in die Sporthalle zurück und versuchten sie zu verbarrikadieren, doch die Angreifer drangen trotzdem in die Halle ein. Dort setzen sie mehrere große Zylinder ab, aus dem Gas ausströmte. Ab diesem Zeitpunkt weiß ich nichts mehr.“

Devon sah nun etwas unsicher zu Peter.

„Muss ich das andere auch erzählen?“

Peter zuckte mit den Schultern.

„Also ich würde es machen.“

„Na gut. Also, ich bin erst in dem fremden Raumschiff wieder aufgewacht. Da lag ich komplett ausgezogen und gefesselt auf dem Bett des Kapitäns.“

Ken zog seine Augenbrauen nach oben.

„Du brauchst nicht weiter zu erzählen, wenn du nicht willst.“

„Doch. Jetzt ist sowieso alles egal. Wo war ich? Ach ja. Also dann kam der Idiot rein und fing an sich auszuziehen. Mir war schon klar, was der wollte, aber entweder haben die noch nie einen Felidaner gefesselt oder sie waren schlicht nachlässig. Jedenfalls habe ich ihm dann eine mit meinem Schweif übergezogen, dass er bis an die Wand zurückgetaumelt ist.“

„Mit dem Schweif?“

Colton klang sowohl ungläubig als auch leicht belustigt. Devon musterte ihn entrüstet.

„Allerdings. Das Ding ist ja nicht nur zur Zierde da.“

Devon stand auf und hob seinen Schweif an, bis er fast senkrecht neben ihm aufragte. Dann ließ er ihn auf den Tisch niedersausen. Es gab ein laut hallendes, fast knallendes Geräusch und Lieutenant Granger fürchtete gerade um seinen Konferenztisch.

„Wenn du mit voller Wucht davon an den Extremitäten getroffen wirst, sind die Knochen gebrochen.“

Colton starrte Devon mit großen Augen an, während die drei anderen Männer lediglich nickten. Peter grinste leicht.

„Na, Colton. Wieder nicht aufgepasst in Exobiologie?“

Ken schüttelte lediglich den Kopf und sah Devon an.

„Was war dann?“

„Dann hat er sich in sicherer Entfernung komplett ausgezogen. Danach ist er an den Waffenschrank und hat eine kleine Pistole rausgeholt und mir gezeigt. Es war eine mit Betäubungspfeilen. Der Arsch wollte mir tatsächlich an den Selbigen. Aber bevor es dazu kam, ging der Alarm los. Fluchend ist er in seine Klamotten gesprungen und bevor er runter ist, hat er mir doch noch einen Pfeil verpasst. Das nächste was ich weiß ist, dass Peter mir an den Schweif gegangen ist.“

Nun sahen alle Peter an, der tatsächlich etwas rot anlief.

„Ich habe ihn auf Verletzungen untersucht.“

Peter erzählte nun seine Geschichte bis zu dem Moment, als sie Devon gefunden hatten. Ken lehnte sich nachdenklich zurück.

„Also sind sie vom Austrittspunkt aus direkt auf Arcadia zugeflogen. Dann haben sie den Planeten weder umrundet noch sonst irgendwie erkundet, sondern sind gezielt auf dem Sportplatz der Highschool heruntergegangen.“

Devon erfasst als erster den Sinn des Satzes.

„Sie wussten, wo sie hin mussten. Außerdem wussten sie, dass wir in der Sporthalle waren.“

Colton drehte sich fragend zu Devon, doch Peter nickte.

„Sie haben die Gasbehälter mitgebracht. Hätten sie wahrscheinlich nicht, wenn sie nicht gewusst hätten, was sie erwartet.“

„Was bedeutet das für uns?“

Die Frage von Lieutenant Granger schien rein rhetorisch zu sein. Jeder von ihnen wusste, was das bedeutete. Auf Arcadia gab es einen Verräter, der mit den Piraten zusammenarbeitete.

„Es gibt da nur einen kleinen Denkfehler,“ meldete sich Colton Fraser plötzlich.

„Aha?“

„Ja. Wenn jemand den Piraten verraten haben sollte, wann und wo sie die beste und schnellste Beute machen können, wie hat er sich mit ihnen in Verbindung gesetzt?“

Betroffen sahen sie die Anwesenden an, bis Ken sich nach vorne beugte und Lieutenant Granger ins Gesicht sah.

„Das ist genau der Grund, warum seine Majestät einen Reichsgrafen mit der Berechtigung eines Kolonialrevisors versehen hat. Es muss jemand sein, der Zugang zur großen Sendeanlage auf Arcadia hat.“

Alle schwiegen betroffen und Devon schnappte nach Luft.

„Unmöglich!“ stieß er hervor.

„Der Zugang zur Sendeanlage wird streng überwacht. Alle ein- und ausgehenden Sendungen unterliegen einer Kontrolle. Da kann niemand so einfach mit Piraten quatschen.“

„Einfach nicht, aber es ist möglich. Es darf nur nicht offensichtlich sein. Es gibt Möglichkeiten, Dinge in einer einfachen Nachricht zu verstecken, die erst in einem anderen Zusammenhang offensichtlich werden. Und die Adresse ist der geringste Teil. Piraten haben keine Anschriften die mit teufelspiraten.com enden, oder so.“

Peter und Ken sahen zweifelnd zu Colton, während Devon wider Willen lachen musste.

„Ach so? Und wie soll das gehen?“

„Es muss natürlich vorher vorbereitet werden. Aber dann könnte die Nachricht etwa folgendermaßen aussehen.“

Colton überlegte einen Moment.

„Wie bereits abgesprochen bestellen wir 22 blaue und 24 rote Sporttrikots zum Termin 24. April um 14:30. Schnelle Bezahlung ist gewährleistet.“

Devon sah ihn ratlos an, während die anderen drei Anwesenden sprachlos den Kopf schüttelten.

„Was soll das denn?“

„Das nennt man offene Verschlüsslung. Ein unauffälliger Text, der alle Informationen beinhaltet und ohne den vorher vereinbarten Zusammenhang nicht verstanden wird. In diesem Fall soll jemand am 24. April um 14:30 in der Sporthalle 22 Jungen und 24 Mädchen abholen.“

Devon schwieg verblüfft. Peter wandte sich an Colton.

„Lernt man das als Ingenieur?“

„Nein, das ist Teil der Ausbildung in IT-Sicherheit. Und die gehört fakultativ zur Ingenieurausbildung.“

Lieutenant Granger wedelte nun hektisch mit beiden Händen.

„Das heißt also, jemand könnte tatsächlich von Arcadia aus eine Nachricht an die Piraten gesendet haben, ohne dass es bei den Kontrollen aufgefallen ist. Aber so etwas kann man doch nachträglich noch prüfen.“

Colton seufzte.

„Jawohl, Sir. Alle Funksprüche werden vor der Sendung kontrolliert und dann gespeichert. Man kann sechs Wochen lang nachverfolgen, wer etwas gesendet hat und was drinstand. Ein Rechner mit den entsprechenden Einstellungen kann also immer noch herausfiltern, ob es was Verdächtiges gab.“

„Es sei denn, der Spruch wurde vorher gelöscht.“

„Das geht nicht, Devon.“

„Doch, das geht. Ich weiß es von meinem Vater. Das Parlament von Arcadia hat mal einen falschen Anhang zu einem Bericht geschickt und wollte unbedingt die falsche Version gelöscht haben, weil der Inhalt geheim war. Es gibt zwei Personen, die über eine Löschberechtigung verfügen. Der Einsatz des Schlüssels muss allerdings dokumentiert werden.“

„Aha. Und wer sind die beiden Glücklichen?“

„Der eine ist der Kommunikationsoffizier. Der andere…“

In diesem Moment ahnte Peter, was kommen würde und blickte rasch zu Ken.

„Der andere ist der Gouverneur.“


Auch auf der GOLDEN BOY hatte man während des Orientierungsaustritts die Ankündigung seiner Majestät empfangen. Rian Drake und Tim Sheldon saßen in der Kommandantenkammer, während die GOLDEN BOY sich weiter ihrem Ziel näherte. Rian war nicht gerade glücklich über diese schnelle Wendung.

„Hoffentlich ist Ken der Sache gewachsen. Ich weiß nicht, was meinen Onkel zu einer solch drastischen Maßnahme veranlasst hat, aber er wird schon wichtige Gründe gehabt haben. Ken hat keinerlei Unterstützung auf Arcadia. Ich weiß nicht, ob man sich auf die Siedler dort verlassen kann.“

„Abwarten. Wir müssen abwarten und Ken bleibt zunächst auch nichts anderes übrig. Die plötzliche Ernennung ist tatsächlich etwas mysteriös. Erst recht die Berechtigung als Kolonialrevisor. Was weiß man auf Terra II, dass man uns verschweigt?“

Die Tür zur Kommandantenkammer öffnete sich. Tim Sheldon drehte sich erstaunt um, doch es war Colin Campbell der eintrat. Er hatte die letzte Bemerkung von Tim mitbekommen.

„Da kann ich euch beide vielleicht erleuchten. Komm rein Leo, die beiden beißen nicht.“

Etwas schüchtern lächelnd betrat PFC Leo van Berg direkt hinter Colin die Kommandantenkammer.

„Zeitgleich mit der Ankündigung seiner Majestät haben wir eine Lagebeurteilung und weitere Hintergrundinformationen von Intel erhalten. Fang an, Leo.“

Etwas nervös sah Private van Berg zu Major Campbell. Er war erstaunt gewesen, als der Major gebeten hatte, ihn zu duzen, hatte aber zugestimmt. Ihm war nicht klar, dass das auch in der Öffentlichkeit stattfinden würde. Doch dann bemühte er sein Datapad.

„Wir haben ein Lagebild der Raumschlacht über Arcadia, eines der Raumschlacht über dem Bergungsschiff und eines über den Überfall auf Arcadia. Die Informationen stammen in den ersten beiden Fällen von den automatischen Aufzeichnungen der beteiligten Einheiten. Bei dem dritten handelt es sich um Überwachungsaufzeichnungen aus Arcadia.“

Etwas unsicher sah er zu Rian Drake, doch der lächelte lediglich.

„Fahren sie ruhig fort, Private.“

„Die Raumschlacht bei dem Bergungsschiff dürfte ausreichend bekannt sein. Die über Arcadia hat zu einem Verlust des Wachschiffes IROQOUIS geführt, das aber trotz erheblicher Beschädigungen auf Arcadia notlanden konnte. Interessant für meine Ausführungen sind die Aufzeichnungen aus verschiedenen Überwachungsanlagen in Arcadia-Town.“

„Ach so?“

„Jawohl, Commander. Ich erkläre gleich, worum es geht. Ausgangslage war der Austritt von vier nicht identifizierten Fahrzeugen am nächstgelegensten Hypersprungpunkt vor Arcadia. Es handelte sich um zwei stark modifizierte Frachter der GEWINN-Klasse und um zwei ehemalige Militärfahrzeuge, Patrouillenkreuzer der ‚Raubtier‘-Klasse. Einer der beiden Frachter nahm Kurs auf das Wachschiff IROQUOIS, die drei anderen Fahrzeuge begaben sich auf direktem Weg nach Arcadia. Das Wachschiff MOHAWK befand sich zu dieser Zeit nur mit einer Rumpfbesatzung und nicht einsatzbereit auf Arcadia.“

„Warum das?“

Leo wandte sich an den Reichsfürsten.

„Die Arcadia-Miliz hatte Personalprobleme. Es konnte nur ein Schiff ordnungsgemäß besetzt werden.“

Leo van Berg machte eine kleine Pause, doch es gab keine weiteren Fragen.

„Die drei Fahrzeuge über Arcadia wurden von der Jägerstaffel der Arcadia-Miliz angegriffen. Es gelang, die beiden Patrouillenkreuzer abzuschießen, bei gleichzeitigem Verlust der gesamten Staffel.“

„Der verbleibende Frachter der Piraten landete auf dem Sportplatz der Arcadia High-School und innerhalb von zwölf Minuten wurden 49 Personen auf das Piratenschiff verbracht, das sofort abhob und auf kürzestem Weg das System verließ.“

Tim, Rian und Colin wechselten fragende Blicke und jeder machte sich seine Gedanken über den kurzen Bericht.

„In Ordnung, Leo. Und nun die Auswertung von Intel.“

Leo van Berg nickte kurz und sah auf sein Datapad.

„Angriffsverhalten: Zielgerichtet mit direktem Angriff auf das Wachschiff und einer Landung ohne vorhergehende Zielerkundung. Wahrscheinlichkeit vorheriger Beschaffung von Ortskenntnis 98%.

Verbandsgröße: Direkt angepasst den Verteidigungsfähigkeiten von Arcadia. Ausfall der MOHAWK höchst wahrscheinlich einberechnet. Wahrscheinlichkeit 89 %.

Zielaquisition: Wahrscheinlichkeit, dass Umfang, Ort und Anzahl der Ziele vor Operationsbeginn bekannt waren: 99%.

Bodenverteidigung: Die Miliz-Infanteriekompanie von Arcadia war nicht einsatzbereit, da keine rechtzeitige Alarmierung erfolgen konnte. Die Abteilung der Royal Marines des Kolonialgouverneurs wurde erst neun Minuten nach Landung des Piratenschiffes alarmiert und kam nicht mehr zum Einsatz.

Wahrscheinlichkeit für eine vorsätzliche Verzögerung des Einsatzes 50 %. Ende der Auswertung.“

„Jemand hat das ganze Ding ziemlich gut vorbereitet.“

Rian nickte zu Tims Kommentar und sein Gesicht verzog sich.

„Hoffentlich ist Ken das auch klar. Sonst hat er nämlich wirklich ein Problem. Welcher Flottenverband steht am nächsten an Arcadia?“

„Auf den Notruf hin hat die zuständige Sektorflotte eines ihrer Flottendienstgeschwader dorthin beordert. Es müsste eigentlich schon eingetroffen sein.“

„Ein Flottendienstgeschwader? Ein seltsame Wahl.“

„Es war die am nächsten befindliche Einheit. Kommandeur ist der Kommandant des Schlachtkreuzers OKAPI, Captain Felix Endris.“

Leo van Berg hob sein Datapad an und drehte es ein wenig. Auf dem Display war Captain Endris zu erkennen und Tim pfiff leise durch seine Zähne.

„Das wird interessant.“

Captain Endris trug als Kopfbedeckung eine sogenanntes Schiffchen. Eine Schirmmütze wurde zu den hoch angesetzten Katzenohren nur ungerne getragen.

Planet Arcadia

Als die MOHAWK am Austrittspunkt vor Arcadia den Hyperraum verließ, ertönten sofort die Alarmsirenen. Kontakt! Entwarnung. Einheiten identifiziert als 193. Flottendienst-geschwader.“

Lieutenant Granger sah hoch auf den Panoramabildschirm und nickte unbewusst. Die Flotte hatte also doch Verstärkung geschickt. Aber ein Flottendienstgeschwader? Ein kleiner Verband mit einer sehr gemischten Zusammenstellung, vom Schlachtkreuzer bis zum Lazarettschiff.

„Anruf vom Flottenverband!“

„Auf den Schirm.“

Auf dem Panoramaschirm erschien das Abbild eines Offiziers und Lieutenant Granger konnte seine Überraschung nicht ganz unterdrücken. Der Mann in der Uniform der Raumflotte war etwa Vierzig bis fünfzig Jahre alt und trug die Dienstgradabzeichen eines Captains. Die Überraschung resultierte aus der Tatsache, dass der Captain die unverkennbaren Merkmale eines Felidaners zeigte. Das Fell war sandfarben, die Haare hellbraun und die geschlitzten Augen leuchteten gelb.

„AGS MOHAWK, Lieutenant Granger, Sir.“

„Ah, gut. Ich bin Captain Endris, Kommandant der OKAPI und Kommandeur des 193. Flottendienstgeschwaders der 14. Sektorflotte. Ich fürchte, wir haben da ein Problem, Lieutenant.“

„Verzeihung, Sir. Ich kann ihnen nicht ganz folgen.“

Der Felidaner lächelte leicht und zeigte dabei etwas sein Gebiss.

„Zwei, nein drei Ereignisse haben mich ereilt, die ich nicht ganz interpretieren kann. Zunächst ein Notruf von Arcadia, betreffend eines Piratenüberfalls. Admiral Frey, der Sektorbefehlshaber, hat mich beauftragt, den Vorfall zu untersuchen und entsprechend zu handeln. Als ich hier ankam, war von Piraten nichts zu sehen. Nur kurze Zeit später wurde ich vom Gouverneur von Arcadia kontaktiert, mit der Aufforderung, die MOHAWK beim Eintreffen abzufangen und alle Besatzungsmitglieder zu verhaften.“

„Bitte?“

„Die Begründung lautete auf Desertion und Zusammenarbeit mit Piraten.“

Fassungslos sah sich Lieutenant Granger auf der Brücke um. Das konnte nicht stimmen. Er hatte seine Einsatzbefehle direkt vom Oberkommando von Arcadia bekommen.

„Das dritte Ereignis war eine Nachricht mit sehr hoher Priorität direkt vom Oberkommando der Raumflotte. Es war ein zusammengefasster Bericht über eine Raumschlacht gegen Piraten und eine Lagebeurteilung von den Vorgängen auf Arcadia. Nach eingehendem Studium der Unterlagen bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, was sich hier abgespielt hat. Es war zumindest nicht das, was der Gouverneur mir erzählt hat. Können sie mich vielleicht etwas erleuchten, Lieutenant?“

„Möglicherweise kann ich ihnen helfen, Captain.“

Captain Endris hob etwas seine sandbraunen Augenbrauen, als eine weitere Person der Übertragung zugeschaltet wurde. Dann erhellten sich seine Gesichtszüge.

„Commodore Turner. Ich bin erstaunt, sie hier zu sehen. Darf ich fragen, wie sie auf die MOHAWK kommen?“

„Das ist eine etwas längere Geschichte, aber es hat ebenfalls mit dem Piratenüberfall zu tun. Zunächst jedoch eine Bitte. Wie sie vielleicht wissen, bin ich von der Regierung der Föderation als Kolonialrevisor eingesetzt worden. Bis zur Aufklärung aller Vorkommnisse möchte ich sie bitten, alle Aufforderungen und Anforderungen der Regierung und des Gouverneurs von Arcadia zu ignorieren.“

„Nun, das ist etwas… schwierig.“

„Darüber bin ich mir in Klaren. Meine Bitte an sie wird zusammen mit ihrer Antwort dokumentiert und dem Oberkommando zugestellt. Auf Grund der vorliegenden Informationen werde ich eine offizielle Untersuchung der Vorkommnisse auf Arcadia einleiten. Der Gouverneur wird von mir davon umgehend in Kenntnis gesetzt. Zur Durchsetzung meiner Maßnahmen stehen mir im Moment leider noch keine eigenen Truppen zur Verfügung.“

Der felidanische Captain sah den jungen Reichsgrafen nachdenklich an. Dann war seine Entscheidung gefallen.

„Ich werde ihrer Bitte nachkommen. Die MOHAWK kann ungehindert auf Arcadia landen. Zur personellen Unterstützung wird sie die GLADIUS begleiten. Ich werde Major Stanford über die Einzelheiten unterrichten. Er ist der Kommandeur der dort eingeschifften Marines.“

„Vielen Dank, Captain. Ich hoffe, wir können uns bald auf Arcadia treffen.“

Der ältere Felidaner lächelte leicht.

„Viel Glück, Commodore.“

Erleichtert aufseufzend gab Lieutenant Granger die Anweisung, auf dem Raumhafen von Arcadia zu landen. Kenneth Turner beobachtete auf dem Display des Panoramaschirmes, wie sich ein Schiff aus dem Verband über Arcadia löste und ihnen folgte. Ken studierte die Anzeige und war etwas erstaunt. Die GLADIUS war ein Landungsschiff der Marines und hatte somit ein komplettes Bataillon Marineinfanterie an Bord. Captain Endris schien also doch einige Schwierigkeiten zu erwarten.

„Anruf von der GLADIUS!“

„Durchstellen für den Commodore.“

Auf Kens Bildschirm erschien das Abbild eines Offiziers der Raumflotte.

„Lieutenant-Commander Kellig, Sir. Ich bin der Kommandant der GLADIUS. Wir folgen ihnen und haben Anweisung, so dicht wie möglich neben ihnen zu landen. Es sei denn, sie haben andere Anweisungen.“

Ken musste sich zusammenreißen. Bis vor wenigen Stunden waren Leute wie dieser Kommandant noch seine Vorgesetzten gewesen. Und nun sollte er ihnen Anweisungen geben!

„Vielen Dank, Commander. Keine anderen Anweisungen.“

„Dann habe ich Major Stanford für sie.“

Das Bild wechselte und Ken begann zu ahnen, warum ihnen der Captain das Landungsschiff mit dem gesamten Bataillon mitgegeben hatte. Major Stanford war etwa Anfang dreißig und trug die Uniform der Royal Marines. Im Gegensatz zu Captain Endris war sein Fell hellgrau mit dunklen Flecken, die Haare waren schwarz und die Augen leuchteten grün.

Ein weiterer Felidaner. Ken bewunderte den Schachzug des Captains. Es war nicht geklärt, ob irgendjemand auf Arcadia mit den Piraten zusammengearbeitet hatte. Wenn ihn jemand bei der Aufklärung des Falles uneingeschränkt unterstützen würde, dann war es ein Felidaner. Nichts hassten sie so sehr wie Piraten und Sklavenjäger.

„Major Stanford, Sir. 251. Bataillon Royal Marines. Captain Endris hat mir eine kurze Einweisung in die Lage gegeben. Ihre Befehle, Sir?“

Ken überlegte einen Moment. Er musste die Leute auf Arcadia überraschen, damit niemand verschwinden oder Beweise vernichten konnte.

„Es ist etwas kompliziert, Major. Für den Anfang lassen sie bitte direkt nach der Landung die MOHAWK von einer Kompanie Marines umstellen. Das soll so aussehen, als wären wir unter Arrest. Tatsächlich möchte ich aber, dass niemand an Bord gelangt. Die hier an Bord befindlichen Zivilisten werden das Schiff verlassen und den Behörden von Arcadia übergeben. Dann möchte ich sie gerne hier an Bord in die aktuelle Lage einweisen und das weitere Vorgehen absprechen.“

Major Stanford hörte aufmerksam zu, dann nickte er zustimmend.

„Jawohl, Sir. Das ist kein Problem. Was machen wir, wenn arcadische Behörden versuchen, an Bord zu gelangen?“

Ken widerstrebte etwas der Einsatz von Gewalt, aber wenn alles schnell ging, würden sie die MOHAWK nicht lange abzuriegeln brauchen.

„Haben sie Panzer mit?“

„Die erste Kompanie hat sechs leichte Landepanzer.“

„Dann nehmen sie bitte diese Kompanie für die Absicherung. Bis wir wissen, wohin wir müssen und wer oder was unsere Ziele sind, müssen die Leute von Arcadia leider aufgehalten werden.“

Aus dem Hintergrund hörte Ken die Stimme von Peter Mansfield.

„Landeanflug beginnt.“

Ken wandte sich wieder an Major Stanford.

„Wir bereiten die Ausschiffung der Zivilisten vor. Viel Glück, gleich da unten.“

„Danke, Sir.“

Der Bildschirm verblasste und Kenneth Turner lehnte sich tief atmend zurück. Hoffentlich hatte er die richtigen Entscheidungen getroffen. Wenn etwas schief ging, konnte man ihm das ohne Weiteres als unberechtigte militärische Besetzung eines Kolonialplaneten anlasten.


Die MOHAWK landete auf dem zentralen Raumhafen von Arcadia. Wie abgesprochen ging die GLADIUS direkt neben ihr herunter, was bereits die ersten Proteste der Landekontrolle von Arcadia nach sich zog.

Die GLADIUS befand sich noch im Schwebezustand, als sich einige Schleusen öffneten und sechs Panzer das Schiff verließen. Vier der Panzer gruppierten sich um die MOHAWK, während die anderen beiden eine kleine Kolonne von Fahrzeugen aufhielt, die auf die MOHAWK zufuhren.

Bei der inzwischen gelandeten GLADIUS wurden Rampen ausgefahren und Marines in voller Kampfpanzerung stürmten hinüber zur MOHAWK. Dort bildeten sie einen lockeren Ring um das gelandete Schiff.

Während auf der MOHAWK die ersten Geretteten das Schiff verließen, beeilte sich Major Stanford, zusammen mit einem Begleiter, die Brücke dort zu erreichen.

Lieutenant Granger erhob sich von seinem Kommandantensitz und auch Ken Turner wandte sich seinen Besuchern zu. Major Stanford hatte er bereits kennengelernt, um so erstaunter war er über seinen Begleiter. ‚Noch ein Felidaner!‘ schoss es ihm durch den Kopf.

„Major Stanford, 2nd Lieutenant Jervis, Sir.“

„Herzlich willkommen. Das ist Lieutenant Granger, der Kommandant der MOHAWK.“

Die Männer nickten sich kurz zu und Ken sah sich suchend um.

„Sie werden entschuldigen, aber wir haben nur sehr wenig Zeit. Folgen sie mir bitte in den Konferenzraum.“

Die beiden Marines folgten dem Reichsgrafen und Lieutenant Granger in den schon vorher benutzten Besprechungsraum. Dort erhoben sich die anderen drei Teilnehmer der vorherigen Besprechung, als wären sie nie weg gewesen.

„Wenn ich kurz vorstellen darf, Ensign Arcadia Miliz Peter Mansfield, Engineer Cadet Colton Fraser und Mister Devon Capers, Schüler von Arcadia High.“

Major Stanford ließ kurz sein Gebiss sehen und deutete auf seinen Begleiter.

„Ich bin Major Stanford, 251. Marines. Dies ist 2nd Lieutenant Jervis, der S2 unseres Bataillons.“

Aha, dachte Ken. Jetzt macht das auch Sinn. Der S 2 war der Offizier für den Nachrichtendienst. Seine Gedanken wurden allerdings von Devon unterbrochen.

„Terry?“

„Devon? Was machst du denn hier?“

Ken sah von Devon zu Lieutenant Jervis.

„Die Herren kennen sich? Umso besser. Ungeachtet aller Informationen, die sie haben, Major, möchte ich durch diese vier Herren hier eine kurze Zusammenfassung ihrer Erlebnisse und Eindrücke vortragen lassen, die wir dann mit den Analyseergebnissen von Intel vergleichen. Danach möchte ich eine Lagebeurteilung von allen am Tisch Anwesenden haben.“

Devon sah vollkommen verblüfft zu Ken, doch der übergab bereits das Wort an Lieutenant Granger. Es folgte noch einmal eine Zusammenfassung aller Ereignisse aus den verschiedensten Blickwinkeln. Ken beobachtete, wie Lieutenant Jervis sich laufend Notizen auf einem Datapad machte und dies anscheinend mit weiteren Daten verglich. Am Ende der Vorträge sah Ken in die Runde.

„So, einen Moment Pause und dann die Lagebeurteilung. Ich möchte wissen, was jeder über die Informationen denkt, die wir haben. Devon ist der erste.“

Devon sah sich verwirrt um, versuchte sich dann aber zu konzentrieren.

„Beurteilung? Hm, also der Überfall war eindeutig geplant und gut vorbereitet. Die Informationen müssen von einem Insider stammen, denn das Training war kurzfristig angesetzt worden.“

„Das war’s? Dann Colton.“

Colton sah den Reichsgrafen etwas merkwürdig an, als dieser ihn einfach beim Vornamen nannte, doch er versuchte ebenfalls, seinen Beitrag zu leisten.

„Ich habe keine Ahnung von der Gesamtlage, aber ich möchte noch einmal auf das Problem mit der Kommunikation zurückkommen. Sollte jemand tatsächlich den Piraten eine Nachricht gesendet haben, ist das nur über die große Sendeanlage möglich. Das Problem mit der Speicherung und Löschung von Daten wurde bereits erwähnt. Allerdings…, Moment. Die beiden Wachschiffe haben ebenfalls Sendeanlagen, die dafür genutzt worden sein könnten.“

Alle Blicke wanderten automatisch zu Lieutenant Granger, der Colton etwas verblüfft ansah.

„Was? Unsere Sender? Aber…“

Plötzlich sprang der Lieutenant auf und verließ eilig den Besprechungsraum. Die beiden Marines folgten ihm sofort, während die anderen nicht so schnell waren.

Lieutenant Granger stand neben der Kommunikationskonsole und sah auf den vollkommen überraschten Brian Summers herab.

„Die Sende-Logs? Ja, natürlich. Wie weit denn zurück?“

„Bis zur Aktivierung unser Funkanlage auf Mountain Place. Ich brauche alles, was noch vor unserem Start dort gesendet wurde.“

Brian gab ein paar Daten ein und auf dem kleinen Bildschirm vor ihm erschienen nur zwei Einträge.

„Da sind die beiden Verbindungschecks mit der großen Sendestation auf Arcadia und mit der IROQUOIS. Aber das war ja erst nach unserem Start.“

„Was ist mit gelöschten Einträgen?“

„Das kann ich nicht kontrollieren. Ich habe keine Freigabe für das Löschen oder den Systemcheck. Eine Übergabe hat nicht stattgefunden. Der Kommunikationsoffizier war ja auf der IROQOUIS, als wir hier eintrafen.“

„Aber ich kann das,“ murmelte Lieutenant Granger.

Dann nahm er eine Chipkarte und steckte sie in ein Lesegerät. Auf dem Display erschien ein Warnhinweis mit der erweiterten Zugangsberechtigung.

„So, jetzt.“

Brian rief jetzt die Systemdaten der Kommunikationskonsole ab.

„Das Log geht zurück bis zur letzten Systemüberprüfung. Und die war zwei Wochen vor unserem Start in Arcadia. Keine Löschungen.“

Lieutenant Granger nickte erleichtert und nahm seine Chipkarte wieder an sich. Der Warnhinweis erlosch.

„Also, von der MOHAWK ist nichts gesendet worden. Ich würde vorschlagen, wir begeben uns wieder in den Besprechungsraum.“

Nachdem sich alle wieder versammelt und beruhigt hatten, war der nächste dran mit einer Lagebeurteilung. Das war Peter Mansfield. Doch der schüttelte lediglich den Kopf.

„Ich denke, es sind alle Daten zusammengetragen und ausgewertet worden. Sie müssen nur noch in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Außerdem haben wir uns bis jetzt immer auf das ‚Wie‘ konzentriert. Mir fehlt die Frage nach dem ‚Warum‘. Irgendjemand, wer auch immer, hat von Arcadia aus Piraten her bestellt, die ganz gezielt eine Gruppe von Schülern unserer High-School entführt haben. Aber warum? Ich meine nicht die Piraten, sondern Denjenigen, der sie bestellt hat. Warum würde jemand so etwas tun?“

Colton und Devon sahen Peter etwas überrascht an, doch Major Stanford nickte langsam.

„Eine berechtigte Frage. Für die Antwort brauchen wir aber noch mehr Fakten. Die Tatsache, dass seine Majestät und auch die Regierung der Föderation es für nötig erachtet haben, einen Reichsgrafen einzusetzen der gleichzeitig Kolonialrevisor ist, lässt meines Erachtens nur einen einzigen Schluss zu. Man vermutet den oder die Täter in den Reihen der Kolonialregierung oder des Gouverneurs.“

„Ausgeschlossen!“

„Da wäre ich mir nicht so sicher, Devon.“

Devon sah erstaunt zu Peter, dann schüttelte er seinen Kopf so stark, dass sich seine Ohren hin und her bewegten.

„Das glaub ich nicht. Mein Vater hat gesagt, dass alles ruhig und friedlich abläuft. Keine internen Schwierigkeiten. Der Gouverneur soll ein friedlicher, älterer Herr sein, der ihm sogar etwas weltfremd erscheint.“

Major Stanford flüsterte etwas mit seinem S2 und sah dann fragend zu Lieutenant Granger, der sofort wusste, was die beiden wollten.

„Lieutenant-Colonel Capers ist der Kommandeur der Royal Marines auf Arcadia und Militärberater des Gouverneurs und der Kolonialregierung.“

„Oh, ich nehme an, die Standardbesetzung für einen Kolonialplaneten?“

Devon nickte.

„Ein Zug Marines mit einem Offizier und zweiundzwanzig Mann.“

„Devon, ist das der erste Dienstposten deines Vaters als Militärberater?“

„Jawohl, Sir. Ich meine, Durchlaucht… oder…“

Ken schüttelte den Kopf und zeigte auf sein Dienstgradabzeichen.

„Bei mir genau wie bei den anderen. Wir sind hier nicht am Hof. Ich möchte deinen Vater nicht kritisieren, aber der Dienst als Militärberater ist etwas anderes als der eines Bataillonskommandeurs.“

Major Stanford grinste leicht, unterbrach den Reichsgrafen aber nicht.

„Ich persönlich wage es zu bezweifeln, dass die Einschätzung des Gouverneurs als ‚weltfremd‘ richtig ist. Die Gouverneure der Kolonialplaneten werden aus den höheren Beamten des Ministeriums für Besiedlung ausgewählt. Mit der Zuweisung ihres Dienstpostens wird ihnen dann ein Adelstitel verliehen. Welchen hat der Gouverneur hier?“

„Nobilis,“ kam es gleichzeitig von Devon und Peter.

„Aha, das ist der niedrigste mögliche Titel. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte, ist etwas anderes. Die ausgewählten Beamten sind nicht nur zur Zierde da. Sie sind die Schnittstelle zwischen der Kolonialregierung und dem Ministerium. An ihnen liegt es, wie das Ministerium die Entwicklung des Planeten beurteilt und den Zeitrahmen für die völlige Unabhängigkeit absteckt. Der Begriff ‚weltfremd‘ kommt mir da doch recht merkwürdig vor.“

„Dürfte ich etwas dazu sagen, Sir?“

„Bitte, Lieutenant.“

Ken Turner fasste nun 2nd Lieutenant Jervis näher ins Auge. Der junge Felidaner hatte ein hellrotes Fell und dazu tatsächlich etwas dunklere rote Haare. Das Gesicht zeigte etliche Sommersprossen. Ken konnte sein Alter schlecht einschätzen, aber dem Dienstgrad nach musste er etwa 20 bis 23 Jahre alt sein.

„Ich habe hier die Auswertung von Intel vorliegen. Dabei sind zwei Ergebnisse interessant, die sich wohl auch teilweise auf die letzte Unterhaltung beziehen könnten. Das eine ist die Einsatzfähigkeit der Wachschiffe von Arcadia. Ausfall der MOHAWK höchst wahrscheinlich einberechnet. Wahrscheinlichkeit 89 %. Dazu meine Frage: Wann wurde die Besatzung der MOHAWK reduziert und das Schiff in den Reservestatus überführt? Zweitens die Bodenverteidigung. Die Abteilung der Royal Marines des Kolonialgouverneurs wurde erst neun Minuten nach Landung des Piratenschiffes alarmiert und kam nicht mehr zum Einsatz. Wahrscheinlichkeit für eine vorsätzliche Verzögerung des Einsatzes 50 %. Dazu meine zweite Frage: Wie ist es möglich, dass die Marines erst neun Minuten nach der Landung alarmiert wurden und nicht bereits beim ersten Alarm?“

Devon fühlte sich persönlich betroffen und sah nur schweigend auf die Tischplatte. Lieutenant Granger schüttelte ebenfalls nur den Kopf.

„Die Arcadia-Miliz ist eine freiwillige Militäreinheit, die aber nach Absprache mit dem Gouverneur für die Verteidigung des Planeten alleinverantwortlich ist. Dazu gehören – oder gehörten zwei Wachschiffe, zehn Abfangjäger und eine Kompanie Infanterie. Die Wachschiffe sollten wechselweise Dienst am Eintrittspunkt machen, die Abfangjäger waren in Drei-Minuten-Bereitschaft. Die Infanterie ist lediglich in Rufbereitschaft.“

Für Peter, Colton und Devon war das nichts Neues, doch Ken lehnte sich nun interessiert zurück, während Lieutenant Granger fortfuhr.

„Da es große Personalprobleme mit den Schiffen gab, wurden sogar Offizierskurse an der High-School angeboten. Ensign Mansfield ist direkt von einem solchen Kurs zu uns gekommen. Allerdings waren die Probleme nicht so groß, dass nicht beide Schiffe hätten starten können. Es hätte zwar Lücken in den Besatzungen gegeben, aber beide Schiffe wären flugfähig und auch einsatzfähig gewesen. Dennoch hat das Oberkommando befohlen, ein Schiff auf die volle Sollstärke zu bringen und das andere am Boden zu lassen. Wir haben sogar zwei Tage vor dem Überfall noch ein paar Leute an die IROQOUIS zur Ausbildung abgegeben.“

2nd Lieutenant Jervis machte sich Notizen und nickte lediglich.

„Ich kann nicht beurteilen, ob das Absicht war oder nicht. Es kann auch lediglich eine Maßnahme des Stabes gewesen sein. Dann noch etwas anderes, was ich nicht verstehe. Wieso ist die MOHAWK in den Einsatz gekommen? Sie hatte doch fast kein Personal mehr.“

Lieutenant Granger sah für eine kurze Denkpause zur Decke.

„Die MOHAWK stand auf dem Behelfslandeplatz in Mountain Place. Das ist weit außerhalb von Arcadia-City. Sie sollte dort nicht den Platz auf dem Raumhafen blockieren. Bei Auslösen des Alarms habe ich veranlasst, das Schiff startklar zu machen. Wir hätten notfalls im Schwebeflug nach Arcadia verlegen können. Dann traf Lieutenant-Commander Hardy mit dem Offizierslehrgang und den Marines ein. Seine eigene Entscheidung, ohne Anweisung von oben, wie er mir versicherte. Chief Warrant Officer Sinclair war mit dem Technik-Lehrgang schon an Bord. Da hatten wir genügend Personal, um zu starten und den Kampf aufnehmen zu können. Falls sie nach einer Genehmigung fragen, wir hatten keine. In Mountain-Place gibt es keine durchgehende Bodenkontrolle und die Einsatzzentrale in Arcadia haben wir erst nach dem Start kontaktiert.“

Major Stanford sah den Lieutenant grinsend an.

„Meine Hochachtung. Entweder sie werden erschossen, oder sie kriegen einen Orden. Also konnte keiner mit dem Eingreifen der MOHAWK rechnen. Da wird jemand in Arcadia aber ganz schön sauer gewesen sein.“

2nd Lieutenant Jervis scrollte auf seinem Datapad.

„Das Flottenkommando hat den automatischen Notruf der Sendestation Arcadia etwa eine halbe Stunde nach Beginn des Überfalls empfangen. Die Einsatzzentrale hat dann die Sektorflotte benachrichtigt, die den nächstgelegenen Verband in Marsch gesetzt hat. Das 193. FDG ist elf Stunden nach dem Überfall über Arcadia eingetroffen. Schon zwei Minuten nach Eintreffen wurde der Kommandeur vom Gouverneur kontaktiert mit der Bitte, die MOHAWK zu verfolgen. Als der Kommandeur dies in Anbetracht der unsicheren Informationslage ablehnte, hat der Gouverneur zweimal versucht, über das Flottenkommando Einfluss auf ihn zu nehmen.“

„Das ist ja unglaublich,“ stieß Lieutenant Granger hervor.

Ken Turner lächelte schwach.

„Da beginnt jemand die Nerven zu verlieren. Wir haben einen Ansatzpunkt. Lieutenant Granger, ich möchte gerne die Funkanlage der MOHAWK nutzen, um im lokalen Netzwerk von Arcadia eine Nachricht zu verbreiten. Ist das möglich?“

„Selbstverständlich. Unsere Funkanlage ist nicht so groß wie die Sendeanlage von Arcadia, aber die Leistung reicht auf jeden Fall aus, um die bewohnten Gebiete abzudecken.“

„Geben sie mir bitte fünf Minuten für die Vorbereitung und dann schreiten wir zur Tat.“


Im Krankenhaus von Arcadia-City trafen die von der MOHAWK zurückgebrachten Schüler der Highschool ein, um dort medizinisch untersucht zu werden.

Doktor Alicia Mansfield leitete die Untersuchung, wobei sie sich immer öfter fragte, was denn nun eigentlich auf der MOHAWK los war. Der Überfall der Piraten war überraschend gekommen und bei Auslösen des Alarms war sie sofort zum Krankenhaus geeilt. Erst über die Nachrichten hatte sie erfahren, dass ihr Sohn Peter mit den anderen Offiziersanwärtern auf die MOHAWK gebracht worden war und diese dann die Verfolgung der Piraten aufgenommen hatte.

Während sie im Eingangsbereich des Krankenhauses die Verteilung der eintreffenden Jugendlichen überwachte, fiel ihr sofort ein uniformierter Soldat ins Auge. Im Gegensatz zu der hellgrünen Uniform der Arcadia-Miliz trug er die dunkelgrüne Ausgehuniform der Royal Navy, die Alicia Mansfield nur zu gut kannte. Das markanteste an ihm war jedoch sein schwarz-gelb getigertes Fell. Sie wusste genau, wer er war, denn er war im Moment der einzige Felidaner auf ganz Arcadia.

Als sie seinen suchenden Blick bemerkte, näherte sie sich ihm.

„Kann ich ihnen helfen, Mister Capers?“

„Bitte? Oh, ich suche Devon, meinen Sohn. Er sollte eigentlich mit den anderen Verschleppten hierher zurückgekommen sein.“

„Ich bin Doktor Mansfield. Ich leite im Moment die Untersuchungen der Rückkehrer und ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihr Sohn sich nicht bei ihnen befunden hat. Kann es sein, dass man ihn woanders hingebracht hat?“

„Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Aber er war doch auch bei der Entführung dabei. Warum ist er noch nicht zurück? Ich sollte…“

Die beiden standen im Wartebereich der Aufnahme, wo man an einer Wand zur Ablenkung von Patienten und Besuchern einen Fernseher installiert hatte. Dort wurde plötzlich das laufende Programm von einer kurzen Störung unterbrochen und dann erschien ein junger Mann auf dem Bildschirm.

Geistesgegenwärtig nahm einer der Angestellten die Fernbedienung in die Hand und stellte den Ton lauter.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Einwohner von Arcadia. Mein Name ist Kenneth Turner und wie vielleicht einige von ihnen wissen, wurde ich von seiner Majestät, König Simon dem XLVII. in den Stand eines Reichsgrafen erhoben. Des Weiteren hat mich die Regierung der Föderation mit den Aufgaben eines Kolonialrevisors betraut. Ich bin heute mit ihrem Wachschiff MOHAWK hier eingetroffen, weil bestimmte Umstände meine Anwesenheit auf Arcadia notwendig machen.“

Der Reichsgraf machte eine dramatische Pause und Doktor Mansfield griff impulsiv zu dem Arm des Offiziers neben ihr.

„Zunächst möchte ich ihnen aber mitteilen, dass sich an Bord der MOHAWK alle von den Piraten entführten Bürger von Arcadia befinden und sie momentan zur medizinischen Untersuchung in das Krankenhaus von Arcadia-City gebracht werden. Ich möchte ebenso klarstellen, dass die Nachricht von der Befreiung der Entführten bereits vor mehreren Stunden an das Oberkommando der Miliz von Arcadia übermittelt worden ist. Die betroffenen Angehörigen sollten also bereits benachrichtigt worden sein.“

„Was? Völlig unmöglich. Es hat niemand etwas gesagt. Wissen sie etwas, Doktor Mansfield?“

Die Ärztin schüttelte nur schweigend den Kopf.

„Ich beabsichtige, auf Arcadia Untersuchungen über die Ursache und den Verlauf des vor kurzem erfolgten Piratenüberfalls anzustellen. Was möglicherweise einige von ihnen nicht wissen, ist die Tatsache, dass ich als Kolonialrevisor berechtigt bin, sowohl die Arbeit und Entscheidungen des Kolonialparlaments als auch alle Entscheidungen des Gouverneurs zu untersuchen. Die Anwesenheit eines Bataillons der Royal Marines soll keine Bedrohung oder gar einen Übergriff darstellen. Sie dient lediglich der Sicherheit aller an dieser Untersuchung Beteiligten.“

„Ein Bataillon. Warum haben sie ein ganzes Bataillon mitgebracht? Irgendetwas ist da mächtig schiefgelaufen,“

murmelte Lieutenant-Colonel Capers und wandte sich wieder an Doktor Mansfield. Doch die sah immer noch auf den Bildschirm.

„Ich möchte alle Bürger von Arcadia bitten, Ruhe zu bewahren und abzuwarten, was die Untersuchungen ergeben werden. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.“

„Was war das denn jetzt? Warum ist denn plötzlich ein Revisor bei uns hier auf Arcadia?“

„Das weiß ich auch nicht so genau, Doktor Mansfield, aber ich denke, man vermutet einen Mitwisser oder sogar Helfer der Piraten hier auf Arcadia. Ich muss sofort wieder los. Der Gouverneur braucht bestimmt meine Unterstützung.“


Der Gouverneur von Arcadia schäumte vor Wut. Was bildete sich dieser junge Schnösel eigentlich ein? Vor wenigen Sekunden hatte er, der Gouverneur eines ganzen Planeten, die lapidare Nachricht zugestellt bekommen, dass der Herr Kolonialrevisor den Gouverneur in einer Stunde aufsuchen würde.

Und das durch einen einfachen Soldaten! Der Mann hatte nicht einmal abgewartet, was der Gouverneur zu sagen hatte, sondern einfach abgeschaltet.

Der Gouverneur überlegte nicht lange. Wenn der Kolonialrevisor hier herumschnüffelte, würde er früher oder später etwas entdecken. Hoffentlich hatte wenigstens dieser dämliche Fernmeldeoffizier alles gelöscht und vernichtet, so wie er es ihm befohlen hatte.

Der Gouverneur erhob sich und trat hinaus in das Vorzimmer. Seine Sekretärin sah ihn erstaunt an.

„Was kann ich für sie tun, Gouverneur?“

„Im Moment nichts, Gladys. Ich möchte nur kurz jemanden besuchen. Streichen sie alle Termine der nächsten zwei Stunden. Ich bin in Arcadia-City.“

Die Sekretärin folgte verwundert den Anweisungen. Der Gouverneur war normalerweise sehr pingelig mit seinen Terminen und drängte darauf, dass sie alle auch wahrgenommen wurden.

Der Gouverneur verließ mit einem Lächeln das Vorzimmer, doch das Lächeln verschwand sofort. Etwas angespannt machte er sich auf den Weg zu einem kleinen privaten Hangar, wo er sich hinter die Kontrollen eines Luftgleiters setzte.

Von wegen, Arcadia-City‘, dachte er. ‚Zeit, zu verschwinden.‘


Eine kleine Kolonne von drei Landepanzern der Royal Marines fuhr vor dem Dienstsitz des Gouverneurs vor und Lieutenant-Colonel Capers war sich nicht sicher, was er machen sollte. Als er vor wenigen Minuten aus der Stadt zurückgekehrt war, war der Gouverneur nicht im Haus gewesen und niemand konnte ihm sagen, wo er sich jetzt befand.

Sichtlich verärgert wandte er sich den Panzern zu und wartete gespannt auf eine Reaktion. Aus dem ersten Panzer stiegen nun drei Personen, von denen er eine auf Anhieb erkannte. Devon! Was zum Henker machte sein Sohn bei den soeben gelandeten Marines? Den zweiten erkannte er nach längerem Hinsehen. Es war der junge Mann, der die Fernsehansprache gehalten hatte, somit also der neue Reichsgraf. Die dritte Person war ein Major der Royal Marines. Vermutlich der Bataillonskommandeur, aber - ein Felidaner.

Es wunderte Lieutenant-Colonel Capers ein wenig, dass nun ausgerechnet sein Sohn auf ihn zukam und ihn begrüßte. Zu seiner Überraschung blieb Devon etwa einen Meter vor ihm stehen und sah ihn etwas nachdenklich an.

„Guten Morgen, Sir. Ich möchte ihnen Commodore Turner vorstellen, Reichsgraf und Kolonialrevisor. Der andere Herr ist Major Stanford, Kommandeur 251. Bataillon Royal Marines.“

Derek Capers sah seinen Sohn sehr merkwürdig an, besonders, als dieser jetzt eine Position etwa zwei Schritte schräg hinter dem Reichsgrafen bezog. Das war normalerweise die Stelle, an der sich ein Adjutant eines Admirals befunden hätte. Dann besann er sich auf das militärische Protokoll und salutierte.

„Willkommen auf Arcadia, Sir.“

Dann erwiderte er den kurzen Gruß von Major Stanford.

„Womit kann ich ihnen dienen, meine Herren?“

„Kurz gesagt, mit dem Gouverneur.“

Dann wies der Commodore mit der Hand zum zweiten Panzer, wo jetzt drei weitere Leute ausstiegen. Zwei davon trugen die Uniform der Arcadia-Miliz und der dritte war ein 2nd Lieutenant der Royal Marines.

„Und dann möchte ich gerne den Fernmeldeoffizier der Einrichtung sprechen. Die drei Herren handeln in meinem Auftrag und sind befugt, wenn es nötig werden sollte, meine Befehle mit unmittelbarer Gewalt durchzusetzen. Des Weiteren hätte ich gerne ihre Marines besichtigt, wenn es ihnen nichts ausmacht, Colonel.“

Lieutenant-Colonel Capers war zunächst sprachlos. Ein fragender Blick zu seinem Sohn offenbarte ihm ein unnahbares Pokergesicht. Was war hier los? Der Gouverneur? Die Marines? Aber warum denn?

„Tut mir leid, Sir, aber der Gouverneur ist nicht im Hause. Ich suche ihn ebenfalls.“

Major Stanford stieß einen leisen Fluch aus und zückte ein Handfunkgerät. Dann wandte er sich ab und sprach leise hinein. Devon hatte sich zum zweiten Panzer umgedreht und wies hektisch zu der kleinen Kuppel mit der riesigen Antennenanlage, in der die Funkstation untergebracht war. Die drei Leute vor dem Panzer rannten los.

Lieutenant-Colonel Capers verfolgte schweigend die Szene, bis er nicht mehr an sich halten konnte.

„Devon! Kann mir bitte jetzt irgendjemand verraten, was hier eigentlich los ist?“

Devon schwieg verbissen, während Ken die Antwort übernahm.

„Das ist ein wenig komplex und auch ziemlich verworren. Haben sie ein Büro, wo wir uns in Ruhe unterhalten können? Oh, aber vorher benachrichtigen sie bitte das Fernmeldezentrum. Nicht dass die Wachen unsere Leute dort aufhalten.“

Lieutenant-Colonel Capers drehte sich brüsk um und ging voraus in das Verwaltungsgebäude. Als er in seinem Büro eintraf blinkte bereits eine rote Lampe an seinem Terminal.

„Lieutenant-Colonel Capers.“

„Chief Petty Officer Jepsen vom Fernmeldezentrum. Hier sind drei Leute ohne Zugangsberechtigung, die den Fernmeldeoffizier sprechen wollen. Der ist aber nicht da. Außerdem haben sie gesagt, sie brauchen Zugang zum Sendeterminal. Wissen sie etwas darüber, Sir?“

„Ja. Die Herren gehören zum Personal des Kolonialrevisors. Ihnen ist überall Zutritt zu gewähren. Geben sie ihnen alles, was sie haben wollen. Und treiben sie den Fernmeldeoffizier auf.“

„Jawohl, Sir.“

Colonel Capers trennte die Verbindung und ließ einen ziemlich ratlosen Chief Petty Officer am anderen Ende zurück. Ken Turner nickte erfreut.

„Sehr schön, Colonel. Dann werden wir sie mal ins Bild setzen. Die ganze Story hat hier auf Arcadia angefangen und deshalb wird ihr Sohn den ersten Teil übernehmen.“

Gespannt sah der Colonel nun zu Devon, der etwas nervös begann.

„Es fing alles damit an, dass der Coach noch ein zusätzliches Training angesetzt hatte…“

Dieser Teil der Geschichte war schnell erzählt. Den nächsten Teil mit der MOHAWK, den Piraten und der Schlacht am Bergungsschiff übernahm Kenneth. Major Stanford machte den Abschluss mit dem Eintreffen des Flottendienstgeschwaders über Arcadia und den Ergebnissen der Auswertung von INTEL.

„Das… das ist unglaublich.“

„Nun, Colonel, ich nehme an, sie sehen jetzt, warum man einen Kolonialrevisor eingesetzt hat. Ich hätte nun ganz gerne gewusst, wo sich der Gouverneur befindet.“

„Einen Moment, bitte.“

Colonel Capers betätigte eine Taste an seinem Terminal.

„Mrs. Hanes, ist der Gouverneur inzwischen irgendwo aufgetaucht?“

„Oh, Colonel, gut dass sie anrufen. Er meldet sich immer noch nicht. Er hat anscheinend sein ComLink und sein Datapad deaktiviert.“

„Vielen Dank, Mrs. Hanes. Ich kümmere mich um die Angelegenheit.“

Devon sah seinen Vater fragend an.

„Wenn er von hier weg will, welche Möglichkeiten hat er?“

„Wie – weg?“

„Abhauen. Ich verwette meine Streifen, dass er gemerkt hat, was los ist. Wo kann er hin?“

„Auf dem Raumhafen hätte man ihn auf jeden Fall erkannt. Das hätte Mrs. Hanes herausgefunden.“

Jetzt sah Ken Turner von Devon zu dessen Vater.

„Es wurde erwähnt, dass sie hier einen zweiten Raumhafen haben. Was ist damit?“

„Oh, natürlich. Mountain Place. Das ist eigentlich der Start- und Landeplatz der Werft dort oben. Aber er wird manchmal auch von anderen privaten Fahrzeugen genutzt, wenn Arcadia Space Port voll ist. Aber das sind über 2000 Kilometer bis dort. Da bräuchte man mindestens einen Luftgleiter.“

Sofort zückte Major Stanford sein Handfunkgerät.

„GLADIUS, hier ist 251-eins.“

„GLADIUS hört.“

„Ich brauche einen sofortigen Scan des Gebietes von Arcadia bis Mountain Place. Alle nicht eindeutig identifizierten Flugobjekte sind zu melden.“

„Sofort, Sir.“

Es dauerte einen Moment, bis sich die GLADIUS wieder meldete.

„251-eins von GLADIUS.“

„Eins hört.“

„Wir haben nur ein, ich wiederhole, ein Objekt in der angegebenen Zone. Anscheinend ein Luftgleiter, der Transponder ist deaktiviert. Objekt bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit direkt auf Mountain Place zu. Entfernung 1.100 km.“

„Verstanden. Geben sie mir den Kommandanten.“

„Lieutenant-Commander Kellig, Sir.“

„Jerry, ich habe einen Auftrag für sie. Lassen sie die zweite Kompanie ausschiffen und damit die erste um die MOHAWK verstärken. Ich spreche das gleich noch mit dem S3 ab. Dann starten sie und fliegen in Richtung Mountain Place. Dahin ist auch ein Luftgleiter unterwegs, den müssen sie abfangen. Er darf unter keinen Umständen abgeschossen oder beschädigt werden. Wir brauchen den oder die Insassen lebend. Unbedingt! Ist das klar, Jerry?“

„Jawohl, Sir. Das habe ich verstanden.“

„Gut, dann geben sie mir Major Rogers.“

Das Bild wechselte und ein für einen Major noch recht junger Mann erschien.

„Major Rogers, Sir.“

„Also, Randy, ich nehme an, sie haben mitgehört. Die zweite bleibt hier und sie fliegen mit der GLADIUS in Richtung Mountain Place. Wir müssen den Piloten der Maschine um jeden Preis haben. Aber wie gesagt, lebend. Ich sage ihnen gleich, das wird nicht einfach. Es handelt sich höchst wahrscheinlich um den ehemaligen Gouverneur von Arcadia. Kann sein, dass er sich darauf und auf seinen Staus als Adliger beruft. Das dürfen sie dieses Mal ignorieren. Wir handeln im Auftrag eines Kolonialrevisors und Reichsgrafen. Egal, was er ihnen erzählt, er ist festzusetzen, verstanden?“

„Jawohl, Sir.“

Der kleine Bildschirm erlosch und Ken sah den Major fragend an.

„Darf ich wissen, warum sie den Gouverneur als ‚ehemalig‘ bezeichnet haben?“

„Jawohl, Sir. Weil wir sonst, selbst mit dem Befehl eines Kolonialrevisors, nicht gegen ihn vorgehen dürften. Ich bin davon ausgegangen, dass sie den Gouverneur im Rahmen der Ermittlungen bereits vorläufig suspendiert haben.“

Ken erbleichte sichtlich.

„Verdammt, das habe ich vergessen. Ich muss das öffentlich verkünden. Colonel Capers, gibt es eine Möglichkeit, von hier eine Ansprache herauszugeben?“

„Nein, Sir. Aber im Fernmeldezentrum gibt es ein Studio, in dem der Gouverneur und auch der Pressesprecher alle öffentlichen Verlautbarungen aufnehmen.“

„Dann los, alle zum Fernmeldezentrum!“


Im Fernmeldezentrum waren Peter Mansfield, Colton Fraser und Terry Jervis auf dem Weg zum Hauptkontrollterminal.

Das ganze System war automatisiert, so dass die eingehenden Sendungen ohne Verzögerung an die jeweiligen Empfänger weitergeleitet wurden. Die ausgehenden Sendungen mussten kontrolliert und genehmigt werden. Das war Aufgabe des Fernmeldeoffiziers des Tages und Chief Petty Officer Jepsen war etwas ungehalten darüber, dass man ihn von seiner Arbeit weggeholt hatte.

„So, der Militärattaché hat zwar gesagt, sie gehören zum Personal des Kolonialrevisors und ihnen ist überall Zutritt zu gewähren, aber ich hätte trotzdem gerne gewusst, was hier auf einmal los ist.“

„Das werden sie gleich erfahren, Chief. Aber erst einmal brauche ich den Fernmeldeoffizier. Wo ist er?“

„Ehrlich gesagt? Keine Ahnung. Der ist vor einer Viertelstunde wie ein Bekloppter hier raus und wieder rein, aber ich habe keine Ahnung, wohin.“

„Verdammt, war er am Hauptkontrollterminal?“

„Woher soll ich das wissen? Ich hab hier auch noch was anderes zu tun. Aber sie können gerne nachsehen. Sir.“

Das letzte kam etwas zögernd, weil Chief Petty Officer Jepsen etwas misstrauisch auf die Abzeichen dieses jungen Ensign der Arcadia Miliz sah. Der Junge war ja noch nicht mal alt genug, dass er seinen Windeln entwachsen war und nun schon Ensign? Der Chief schüttelte nur seinen Kopf.

„Aber wenn sie wollen, können sie gerne zur Hauptkontrolle gehen. Hier entlang.“

Der Chief öffnete mit seiner Codekarte eine Tür und alle vier sahen in den Raum hinein. Die gegenüberliegende Wand wurde komplett von der Hauptkontrolleinrichtung des Fernmeldezentrums eingenommen. Es gab davor drei Stühle, doch ein Mann stand leicht vorgebeugt vor dem Terminal und tippte eifrig. Beim Anblick des Mannes gab es zwei unterschiedliche Reaktionen.

„Da ist er ja!“

„HALT!“

Chief Jepsen war erstaunt von dem Aufschrei, den der junge Mann mit dem Kadettenabzeichen ausgestoßen hatte. Noch mehr erstaunte den Chief, dass jetzt alle drei Besucher wie verrückt nach vorne stürmten.

Der Fernmeldeoffizier bemerkte sie ebenfalls und griff auf die Konsole. Mit dem dort abgelegten Blaster eröffnete er sofort das Feuer. Der erste Schuss ging fehl und schlug dicht neben der Tür ein, wo sich Chief Jepsen in Sicherheit brachte. Auf dem Gang löste er Alarm aus.

Drinnen waren Peter und 2nd Lieutenant Jervis aus der Schussbahn gesprungen. Terry Jervis machte eine Rolle auf dem Boden und zog dabei seinen Blaster. Bei Peter sah es weniger elegant aus, aber auch er hatte hinter einem Bürostuhl eine etwas fragwürdige Deckung gefunden. Lediglich Colton hatte nicht so viel Glück gehabt. Der zweite Schuss aus dem Blaster traf ihn und er brach mit einem Aufschrei zusammen.

„COLT!“

Peter schielte nervös zu Colton hinüber, während Terry Jervis sich grollend aufrichtete. Noch bevor der Fernmeldeoffizier einen weiteren Schuss abgeben konnte, war Terry mit einem riesigen Satz auf ihn zugesprungen und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Im folgenden Nahkampf hatte der Mann keine Chance gegen den wütenden Felidaner und sank nach wenigen Schlägen bewusstlos zu Boden.

Dann wirbelte der 2nd Lieutenant herum und eilte auf Colton zu. Er erreichte ihn gleichzeitig mit Peter, der etwas hektisch damit begann, Colton zu untersuchen.

Colton Fraser war von dem Blaster direkt in die Brust getroffen worden. Bei einem schweren Blaster wäre er sofort tot gewesen, die leichten Blaster waren dafür konzipiert, Personen außer Gefecht zu setzen.

Peter riss das Oberteil der Uniform auf und untersuchte die Wunde.

„Ein Einschuss rechte Brustseite. Einschusskanal mit schweren Verbrennungen. Eindringtiefe nicht erkennbar. Wir müssen sehen, dass er sofort versorgt wird. Ich weiß nicht, was alles zerstört worden ist.“

Terry Jervis nickte zustimmend und beugte sich tiefer über Colton, um sich die Wunde ebenfalls anzusehen. In diesem Moment stöhnte Colton und öffnete seine Augen. Der Lieutenant sah ihm automatisch ins Gesicht und Colton lächelte verzerrt.

„Ein Engel. Ich möchte nicht ungeküsst sterben. Küss mich, mein Engel.“

Peter sah Colton halb amüsiert, halb entsetzt an. Terry sah ihn eher verblüfft an, um sich dann an Peter zu wenden.

„Ist das sein Ernst?“

„Ich glaube, er weiß nicht, was er sagt. Aber wenn er bei klarem Bewusstsein wäre, hätte er das sicherlich ernst gemeint.“

Der junge Felidaner sah einen Moment nachdenklich auf Colton herab, dann beugte er sich weiter vor und gab ihm einen kurzen, sanften Kuss. Colton seufzte auf und schloss die Augen.

Peter wurde panisch und kontrollierte den Herzschlag. Alles in Ordnung. Sie mussten jetzt nur sehen, dass…

An der Tür gab es laute Geräusche, als zwei Marines in voller Kampfausrüstung hereinstürmten und den Raum sicherten. Direkt hinter ihnen kam ein Soldat in der Uniform der Navy, bei dem Peter erleichtert die weißen Abzeichen des medizinischen Personals erkannte. Der kam auch sofort näher und stellte seinen Rucksack neben Colton ab. Mit geübten Handgriffen begann er seine Untersuchung.

Inzwischen war noch ein weiterer Marine eingetroffen, diesmal ein 2nd Lieutenant, der sich unsicher umsah. Chief Jepsen hatte etwas von einer Schießerei zwischen dem Fernmeldeoffizier und den Leuten des Kolonialrevisors erzählt. So ganz wurde er aus der Sache nicht schlau.

Vor dem Hauptkontrollterminal lag der Fernmeldeoffizier. Ob tot oder bewusstlos ließ sich zunächst nicht feststellen. Er wurde bereits von zwei Marines untersucht. Auf dem Boden im Raum lag ein junger Mann in der Uniform der Arcadia Miliz mit einer Schusswunde und daneben kniete ein weiterer Mann in der gleichen Uniform. Der dritte war ein Felidaner in der Uniform der Royal Marines. Und als dieser sich aufrichtete, erkannte der 2nd Lieutenant ihn sofort.

„Terry?“

2nd Lieutenant Jervis drehte sich zu dem anderen Offizier herum. War es sein Schicksal, auf diesem Planeten von fast jedem erkannt zu werden?

„Rajiv? Rajiv Singh. Was für eine Überraschung. Ich dachte, du wolltest Feuerleitoffizier werden.“

„Wollte ich auch, aber die Auswahlprüfung hatte für mich deutlich zu viel Technik. Da hat man mich hierher geschickt. Aber was machst du hier? Und was ist hier passiert?“

Nach einigen kurzen Erklärungen nickte Lieutenant Singh.

„Das lässt sich sofort klären. Aber zuerst etwas anderes. Klein, Cooper. Nehmen sie den Fernmeldeoffizier in Gewahrsam. Bringen sie ihn zu uns rüber in eine der Arrestzellen. Achten sie auf das übliche Verfahren für Gefangene. Ich will keinen Fluchtversuch und auch keinen Suizid haben, verstanden?“

Die beiden Marines bestätigten ihre Befehle und sammelten den immer noch bewusstlosen Offizier vor der Konsole ein. Dann traten die beiden 2nd Lieutenants neugierig näher. Auf einem der Bildschirme waren verschiedene Daten aufgerufen worden. Oben auf dem Bildschirm war ein Warnhinweis eingeblendet, dass der eingeloggte User eine erweiterte Zugangsberechtigung besaß.

Lieutenant Singh schüttelte bedenklich den Kopf.

„Chief Jepsen!“

Der Chief kam von seiner Position bei der Tür langsam näher.

„Ja, Sir?“

„Schauen sie sich das an. Was bedeutet das?“

Der Chief studierte nur einen kurzen Moment die Anzeigen, dann holte er tief Luft.

„Das sind die Systemdaten der Fernmeldeanlage. Jemand hat die Löschdateien aufgerufen. Es haben da ein paar Löschungen stattgefunden, obwohl das eigentlich nicht gemacht werden sollte. Das Log für die Sendedateien sollte wenn möglich, vollständig bleiben, um alle Daten nachverfolgen zu können. Und die Systemdateien dürfen gar nicht verändert werden. Daraus muss ersichtlich bleiben, wer wann etwas gelöscht hat.“

„Diese gelöschten Dateien, lassen die sich rekonstruieren?“

Chief Jepsen drehte sich erschreckt um, als hinter ihm eine weitere Stimme ertönte. Das war dieser Baby-Ensign der Miliz.

„Die Dateien werden ja nicht ohne Grund als ‚gelöscht‘ bezeichnet. Das Einzige, was erhalten bleibt, ist der Kopf, denn es macht ja keinen Sinn, wenn ich sage ‚Datei gelöscht‘ ohne zu sagen, welche Datei ich denn gelöscht habe. Wenn ich dann allerdings in der Systemdatei den Löschungsvermerk ebenfalls entferne, ist tatsächlich alles weg.“

Peter war nun etwas verwirrt, aber Lieutenant Jervis nickte erfreut.

„Können sie uns die Löschungsvermerke ausdrucken, Chief?“

„Ja, kein Problem. Einen Moment.“

Wenig später hielt Terry Jervis einen kleinen Zettel in der Hand. Der Chief deutete fragend auf die Konsole.

„Was ist damit?“

„So lassen. Wir müssen alles dokumentieren. Haben sie Techniker, die davon Bilder und Screenshots machen können?“

„Jawohl, Sir. Ich werde alles veranlassen.“

Der Chief entschwand und Lieutenant Singh sah auf sein Armband-Kom.

„Mein Chef ist auf dem Weg hierher. Und deiner auch. Lass uns nach vorne gehen.“

Die beiden Marines gingen zur Tür und 2nd Lieutenant Jervis stellte fest, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass Colton Fraser abtransportiert worden war.

Mit etwas gemischten Gefühlen dachte er an den spontanen Kuss zurück. Hatte er das richtige getan? Colton war ihm schon von Anfang an aufgefallen und er hatte auch mehr als einmal die Blicke bemerkt, die dieser ihm zugeworfen hatte.

Terry kannte diese Blicke, aber er war mehr als einmal enttäuscht worden von der Absicht, die dahinterstand. Wer konnte schon von sich behaupten, einen Felidaner ins Bett bekommen zu haben. Vielen ging es nur darum und Terry war vorsichtig geworden. Dieser unschuldige Kuss allerdings war etwas ganz anderes gewesen. Er würde sehen, wie sich das weiterentwickelte.


Der Reichsgraf und Lieutenant-Colonel Capers wurden am Eingang des Fernmeldezentrums bereits erwartet.

„Was ist passiert?“

2nd Lieutenant Jervis gab einen kurzen Bericht und Ken atmete sichtlich erleichtert aus.

„Was ist mit Mister Fraser?“

„Die Schusswunde ist wohl nicht lebensgefährlich. Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus.“

Sowohl Kenneth Turner als auch Major Stanford waren erfreut. Auch wenn die Sache wohl noch genauer untersucht werden musste. Sie brauchten einen Prosekutor der Flotte für weitere Ermittlungen, denn der Angriff eines Angehörigen der Navy auf einen Milizsoldaten war ein eindeutiger Fall für die Militärgerichtsbarkeit.

Ken wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Chief Jepsen auf die Gruppe zutrat.

„Die gewünschten Ausdrucke, Sir.“

Mit zielsicherem Blick überreichte er sie dem Soldaten mit dem höchsten Dienstgrad und das war der Commodore. Selbst wenn der so aussah, als wäre er nicht mal alt genug, um Lieutenant zu sein.

„Danke, Chief. Dann wollen wir mal sehen.“

Ken studierte das Blatt und die drei kurzen Bemerkungen darauf. Dann reichte er es an Major Stanford weiter.

ARCADIA COMMCEN DELETED DATA FILE

COMM Center ARCADIA COLONIAL PLANETARY 16113702-14:32

Fm CC ACP to COMSAT 17035B

ARCADIA COMMCEN DELETED DATA FILE

COMM Center ARCADIA COLONIAL PLANETARY 28113702-22:15

Fm CC ACP to COMSAT 17035B

ARCADIA COMMCEN DELETED DATA FILE

COMM Center ARCADIA COLONIAL PLANETARY 06123702-10:48

Fm CC ACP to COMSAT 17035B

Etwas ratlos reichte der Major das Blatt an Lieutenant Jervis weiter, der zunächst ebenso ratlos die Angaben studierte, bis sich seine Augen überrascht weiteten.

„Natürlich, das ist es!“

„Dürfen wir auch an ihrer Weisheit teilhaben, Lieutenant?“

„Bitte? Oh, selbstverständlich, Sir. COMSAT ist höchst wahrscheinlich einer der alten Kommunikationssatelliten, die schon vor etlichen Jahrzehnten von den neuen Relais-Plattformen abgelöst worden sind. Meines Wissens hat man die meisten Satelliten auf ihren alten Positionen belassen und nur die eingezogen, die gegen die Plattformen ausgetauscht wurden. Die Satelliten wurden aus dem Kommunikationskreis genommen und werden auch nicht mehr gelistet. Eigentlich hätten sie nach dem Erlöschen ihrer Brennstoffzellen den Betrieb einstellen müssen.“

„Offensichtlich hat mindestens einer das nicht getan. Was ist mit der letzten Nachricht? Stimmt das Datum?“

Devon Capers versuchte einen Blick auf das Blatt zu erhaschen und Terry Jervis hielt es ihm nun ganz hin.

„Der sechste Dezember! Das war der Tag des Überfalls. Gleich morgens zu Schulbeginn hat der Coach das Zusatztraining verkündet. Und die Nachricht ist um 10:48 Uhr rausgegangen. Das ist merkwürdig. Das ist genau nach der großen Pause.“

Ken sah Devon fragend an.

„Welche Pause?“

„Oh, drei Stunden Unterricht, dann 20 Minuten Pause. Dann drei Stunden Unterricht, danach die Mittagspause. Am Nachmittag noch einmal zwei Stunden, meistens Arbeitsgemeinschaften oder Selbststudium. An dem Tag folgte dann noch das extra angesetzte Training für die Basketballmannschaft und die Cheerleader.“

Terry Jervis konnte sich noch gut genug an seine eigene Schulzeit erinnern, um mit dem Kopf zu schütteln.

„Die Basketballmannschaft und die Cheerleader gleichzeitig in der Halle? Hätte das nicht zu einiger… äh, Ablenkung geführt?“

„Wir haben uns auch gewundert. Das war das erste Mal und die Jungs waren auch tatsächlich ziemlich abgelenkt. Aber wir hatten noch nicht einmal richtig angefangen, da landete auch schon das Schiff.“

Major Stanford begann überschlägig zu rechnen und stutzte.

„Moment, sie landeten, als ihr gerade angefangen hattet? Lieutenant Jervis, wie lange dauert ein Transit vom Eintrittspunkt bis nach Arcadia-City?“

Terry Jervis bemühte sein Datapad.

„Eine knappe Stunde, Sir.“

„Das heißt, sie wussten ganz genau, wann das Training beginnt. Sie mussten eine Stunde vorher hier sein, das Wachschiff und die Raumjäger ausschalten, auf dem Sportplatz landen und die Extraktion durchführen. Das bedeutet, eine Ankunft im Arcadia-System um etwa 16:00 Uhr. Die Nachricht über das Training wurde aber erst gegen 11:00 Uhr verschickt. Sie mussten sich also bereits in einer entsprechenden Reichweite zu Arcadia befinden, um rechtzeitig hier einzutreffen.“

Lieutenant-Colonel Capers sah mit ernstem Gesicht zu Boden.

„Es war alles genau vorbereitet,“ murmelte er.

„Erste Absprachen, der Termin, dann die genaue Uhrzeit. Jemand hat wahrscheinlich in der ersten Pause die Anfangszeit des Trainings durchgegeben. Sie waren rechtzeitig da.“

„Sieht ganz danach aus. Ich würde gerne wissen, wie weit wir mit dem Gouverneur… oh, verdammt, wir haben die Ansprache vergessen. Schnell, das muss stattfinden, bevor die GLADIUS den Gouverneur abfängt.“


„Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Einwohner von Arcadia. Noch einmal wende ich mich an sie, um sie nicht über die neuesten Entwicklungen im Unklaren zu lassen. Wie ich bereits in meiner ersten Ansprache deutlich gemacht habe, bin ich in meiner Eigenschaft als Kolonialrevisor nach Arcadia gekommen. Die hier vorgefunden Hinweise deuten auf eine aktive Rolle ihres Gouverneurs in dem Piratenüberfall auf Arcadia. Aus diesem Grund suspendiere ich den amtierenden Gouverneur von Arcadia, Mister Rohan Hellrundt, mit sofortiger Wirkung von seinem Dienstposten. Dies hat Gültigkeit bis zu einer endgültigen Klärung durch eine Untersuchungskommission des Kolonialministeriums. Des Weiteren erkläre ich in meiner Eigenschaft als Reichsgraf die Immunität des Nobilis Rohan Hellrundt für den Zeitraum adelsgerichtlicher Ermittlungen gegen ihn für aufgehoben.“

Der Reichsgraf sah ganz kurz etwas erstaunt nach rechts, als ihm von dort ein Zettel gereicht wurde. Er studierte die Nachricht kurz und nickte dann.

„Ich kann ihnen versichern, dass die oben genannten Maßnahmen keine Auswirkungen auf ihr tägliches Leben oder die Selbstverwaltung von Arcadia haben. Sollten sich im Laufe der Zeit die Ermittlungen auf Bürger von Arcadia ausweiten, werden diese zunächst von ihren lokalen Behörden durchgeführt. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.“

Als die rote Lampe vor ihm erlosch sah Ken leicht verärgert nach rechts. Dort standen neben Lieutenant-Colonel Capers nun drei Männer mittleren Alters und sahen etwa unglücklich drein.

„Commodore, sie gestatten, dass ich kurz vorstelle. Mister Andrew Carlyle, der Präsident des Parlamentes von Arcadia, dann Mister Patrick O’Brian, der Oppositionsführer im Parlament und Mister David Donahue, Bürgermeister von Arcadia-City.“

„Ich bin erfreut, meine Herren. Was kann ich für sie tun? Ich nehme an, ihr Besuch hat etwas mit der Nachricht zu tun, die ich während meiner Rede bekommen habe.“

„Allerdings. Es haben sich einige unerfreuliche Sachen ereignet, die wir gerne mit ihnen besprochen hätten.“

Ken betrachte mit leicht hochgezogenen Augenbrauen den Parlamentspräsidenten. Der etwas übergewichtige Mann mit der Halbglatze transpirierte heftig.

„Ich habe die Nachricht erhalten, dass unser Oberbefehlshaber der Miliz, Vizeadmiral Johnson soeben verstorben ist. Es ist noch nicht endgültig geklärt, aber…“

„Mein Gott, Andrew. Rede nicht um den heißen Brei herum. Er hat sich erschossen. Ich möchte nichts Schlechtes über ihn sagen, aber anscheinend hat er was gewusst über diesen Überfall.“

Der Präsident musterte den Oppositionsführer mit entsetztem Blick, während Ken ihn neugierig betrachtete. Der Mann war etwa Mitte vierzig, groß, breitschultrig und hatte hellrote Haare.

„Vorweg kurz etwas anders, Mister O’Brian. Sind sie zufällig der Vater von Jason?“

„Allerdings. Das wollte ich auch noch zur Sprache bringen. Wo ist er? Die ganzen Marines, die in der Ausbildung waren, sind nicht mit der MOHAWK zurückgekehrt.“

„Sie sind auf der GOLDEN BOY. Reichsfürst Rian Drake hat sie angefordert für ein Spezialunternehmen. Mehr kann ich ihnen leider dazu nicht sagen.“

Patrick O’Brian nickte lediglich. Dann wurde das Gespräch durch das Telefon des Bürgermeisters unterbrochen.

„Ja, Danny, was ist? Habt ihr ihn?“

Der Bürgermeister lauschte einen Moment, dann lächelte er grimmig und legte auf.

„Das war der Sheriff. Colonel Capers hat uns dankenswerter Weise informiert, dass es wohl eine Information an die Piraten über das Basketballtraining gegeben hat. Unsere eigenen Ermittlungen hatten schon ergeben, dass die Zusammenkunft der Mannschaft und der Cheerleader am Nachmittag sehr kurzfristig angesetzt worden war. Deshalb erschienen das Training und das Auftreten der Piraten ja auch rein zufällig zu sein. Doch jetzt, da wir wissen, dass der Zeitpunkt weitergegeben worden ist, ergibt das natürlich einen ganz anderen Sinn. Wir haben versucht Coach Williams, den Basketballtrainer, zu befragen, doch der war verschwunden. Die Ranger haben ihn gerade eben am Raumhafen aufgegriffen und dem Sheriff überstellt.“

„Was? Der Coach?!“

Devon Capers hatte die Unterhaltung mitbekommen und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann ließ er enttäuscht seine Ohren hängen. Terry Jervis klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

„Das Leben macht manchmal sehr merkwürdige Wendungen. Warte erst mal ab, was weiter passiert. Würdest du mir eventuell den Weg zum Krankenhaus zeigen?“

Devon sah den anderen Felidaner erstaunt an.

„Zum Krankenhaus? Warum denn… Oh, verstehe. Colton besuchen?“

Terry murmelte etwa Unverständliches, doch Devon grinste breit.

„Gute Idee. Vielleicht können wir danach zur MOHAWK? Da könnte ich dir… äh, ich meine, da könnte ich ihnen Brian vorstellen.“

Terry Jervis grinste nur.

„Du hast mich schon in der Schule auf Charon III geduzt. Nur weil ich jetzt eine Uniform trage, brauchst du das nicht zu ändern. Wer ist Brian?“

Jetzt lächelte Devon.

„Okay. Ganz einfach. Brian Summers ist mein Boyfriend.“

Terry hob erstaunt seine Augenbrauen, dann lachte er laut.

„Also gut. Zuerst zum Krankenhaus, dann zur MOHAWK. Ich muss mich nur erst bei meinem Bataillonskommandeur abmelden.“


Drei Stunden später war der Konferenzraum im Dienstsitz des Gouverneurs recht gut gefüllt. Neben dem Reichsgrafen, Major Stanford und Lieutenant Jervis waren auch Lieutenant-Colonel Capers und Ensign Mansfield erschienen. Auf Seiten der Vertreter von Arcadia waren der Präsident, der Oppositionsführer, der Bürgermeister, der Sheriff und der Direktor der High-School anwesend. Etwas verloren saß Commander Evans neben ihnen, die vorübergehende Oberbefehlshaberin der Miliz von Arcadia. Devon Capers war vom Reichsgrafen auf eine geheime Mission geschickt worden.

Noch einmal wurden die Vorgänge vor und während des Piratenüberfalls vorgestellt. Langsam füllten sich die Lücken und das Bild, das sich ergab war erschreckend, wenn auch nicht mehr sonderlich überraschend. Der Überfall war über einen langen Zeitraum vorbereitet worden. Der schlechte Personalstatus der Miliz führte bei den Wachschiffen von Arcadia zu dem wechselweisen Einsatz der Schiffe. Diese Lücke sollte anscheinend genutzt werden.

Die MOHAWK blieb auf dem Boden, während ein Teil ihrer Besatzung auf Befehl des Oberkommandos ihre Ausbildung auf der IROQUOIS machte. Während dieser Tage wurde an der High-School überraschend ein Extratraining für die Basketballmannschaft und die Cheerleader angesetzt. Die Piraten erschienen und die Schüler wurden entführt.

Kenneth Turner blickte nachdenklich in die Runde.

„Ladies und Gentlemen, bitte bedenken sie Eines. Diese Vorkommnisse haben eine ganze Anzahl von Aktivitäten veranlasst. Piraterie und Menschenraub sind Verbrechen, die unter die Föderationsgesetze fallen, wobei Arcadia als Kolonialplanet ohnehin noch unter Föderationsrecht steht. Die Föderationspolizei ist auf dem Weg hierher, um die Ermittlungen zu übernehmen. Ebenso ist ein Prosekutor der Navy auf dem Weg, um die Beteiligung von Militärpersonal zu untersuchen. Bis dahin gilt es, jeder noch so kleinen Spur nachzugehen und niemanden entkommen zu lassen. Der Raumhafen von Arcadia wurde für Starts komplett gesperrt. Das 193. Flottendienstgeschwader stellt die Durchführung sicher. Ebenfalls ist eine Untersuchungskommission des Kolonialministeriums auf dem Weg, um die eventuelle Mitwirkung des Gouverneurs in dieses Verbrechen zu untersuchen. Ein Vertreter des Adelsgerichtes von Terra II ist ebenfalls auf dem Weg, um meine Handlungen betreffs der Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Adelsstandes zu untersuchen.“

Etliche der Anwesenden sahen sich bezeichnend an und es setzte großes Gemurmel ein.

„Der suspendierte Gouverneur von Arcadia ist auf dem Weg zum Raumhafen Mountain Place von der GLADIUS aufgebracht und festgenommen worden. Er befindet sich momentan in Gewahrsam auf der GLADIUS. Der Coach des Basketballteams wurde dem Sheriffs Office von Arcadia überstellt und befindet sich dort ebenfalls in Gewahrsam. Ihm wird vorgeworfen, das gesonderte Training angeordnet und den Termin weitergegeben zu haben.“

„Das ist doch Unsinn. Den Termin kann jeder weitergegeben haben, der ihn am Morgen erhalten hat.“

Der Direktor der High-School war erregt aufgesprungen und gestikulierte wild.

„Das ist richtig. Deshalb wird auch alles von der Kooperation mit Coach Williams abhängen. Was mich allerdings mehr interessiert, ist das gesellschaftliche Zusammenleben auf Arcadia.“

Nun blickten fast alle etwas irritiert auf Kenneth Turner.

„Was ich sagen will: Der Gouverneur und der Oberbefehlshaber der Miliz haben einige fachliche und auch gesellschaftliche Berührungspunkte. Aber der Gouverneur und ein Basketball-Coach? Wo ist da die Verbindung?“

Es dauerte einen Moment, bis jeder die Frage durchdacht hatte. Der Schuldirektor setzte sich wortlos wieder hin und sah von links nach rechts, wo ihn etliche fragende Gesichter ansahen.

In diesem Moment meldete sich das Telefon von Major Stanford.

„Ja, sollen reinkommen.“

Die Tür öffnete sich und die Anwesenden sahen neugierig hinüber. Lieutenant-Colonel Capers hob vollkommen erstaunt seine Augenbrauen, während Major Stanford leicht grinsen musste.

Drei junge Männer traten ein, wovon zwei eine Panzerrüstung trugen. Es war nicht die rote Rüstung der Royal Marines, sondern die schwarze Rüstung der Royal Navy Special Forces. Devon Capers und Brian Summers hatten die Rüstungen an Bord der GLADIUS erhalten, wo sie aus dem Reservebestand denen der RNSF angeglichen worden waren. Devon trug keinerlei Rangabzeichen, doch bei Brian prangte eine einsame Raute.

Und so salutierte er auch als einziger.

„Sir. Ensign Summers und Recruit Capers mit einem Zeugen.“

„Vielen Dank, Mister Summers. Würden sie uns bitte berichten, um wen es sich handelt und warum er hier ist?“

Der junge Mann zwischen den beiden schwarz gepanzerten Gestalten sah sich etwas unsicher um, doch Devon hatte ihm versichert, dass alles gut ausgehen würde. Brian räusperte sich.

„Es handelt sich um Mister Lee Husketh, Schüler von Arcadia-High und Mitglied des dortigen Basketballteams. Er war ebenfalls unter den entführten Schülern und wir haben ihn im Krankenhaus zu den Vorkommnissen bei der Entführung befragt. Er möchte seine Aussagen hier noch einmal wiederholen.“

Nun richteten sich alle Augen auf den jungen Mann in der Mitte. Er war groß, schlank und hatte hellblonde, kurze Haare. Seine Augen wanderten unsicher zu Brian.

„Keine Angst Lee. Wenn ich das kann, kannst du das auch.“

Mit zusammengekniffenen Lippen nickte Lee.

„Es geht mehr um das, was vor der Entführung vorgefallen ist. Der Coach hat zwar gesagt, ich soll unter allen Umständen den Mund halten, aber so wie es jetzt aussieht, hat sich die Lage geändert und ich darf nicht länger schweigen. Also, um es kurz zu machen, Coach Williams und ich hatten ein Verhältnis.“

Eine bedrückende Ruhe legte sich über den Raum, während Brian Lee leicht anstieß.

„Wir kannten uns natürlich von der Schule, aber viel wichtiger, wir waren beide Mitglieder der ‚Gemeinschaft des reinen Gottes‘, dieser kleinen Kirchengemeinde von Reverend Summers. Daher sprachen wir auch öfter privat miteinander, bis er sich mir näherte. Ich habe mich nicht geweigert, weil ich mir schon vorher darüber im Klaren war, dass ich eines Tages der Verdammnis anheimfallen würde. Um es nochmal zu sagen, er hat mich nicht gezwungen oder so was. Ich habe freiwillig mitgemacht. Der Coach wurde im Laufe der Zeit allerdings immer panischer. Er wollte damit nicht aufhören und ehrlich gesagt, ich auch nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir eines Tages auffallen würden, wurde immer größer. Deshalb musste ich alle möglichen Ausreden erfinden und während unserer Treffen wurde es immer hektischer. Deshalb wollte ich Schluss machen, aber sogar am Tag der Entführung hat er mich noch mal zu sich bestellt.“

Weiterhin herrschte Schweigen. Devon und Brian sahen sich an, bis Devon mit den Schultern zuckte. Dann wandte er sich an Lee.

„Hast du mit niemandem darüber geredet?“

„Reden? Mit wem denn? Hätte ich es meinen Eltern erzählen sollen, oder Reverend Summers? Sorry, Brian. Nein. Ich wusste niemanden, aber am Ende habe ich es doch jemandem gesagt. Der hat mir zugesichert, dass es aufhören würde. Aber das hat es nicht.“

Die nächste Frage kam von Brian.

„Mit wem hast du darüber gesprochen?“

„Mit Mister Lurkwood, dem Direktor der High-School.“

Der Direktor sprang sofort von seinem Sitz auf.

„Das ist ja ungeheuerlich! Wie kommst du dazu, so etwas zu behaupten?“

Brian Summers nickte Devon zu. Der holte aus einer Außentasche der Kampfpanzerung sein Telefon.

„Weil er es noch am gleichen Tag auch einer Freundin erzählt hat. Mary O’Brian hat uns die Aussage bestätigt. Wenn nötig, können wir uns die Aufzeichnung anhören.“

„Ich muss mir das nicht alles anhören!“

Der Schuldirektor bewegte sich nun mit schnellen Schritten auf den Ausgang zu. Brian zog Lee auf die Seite und gemeinsam mit Devon blockierte er den Ausgang.

„Was soll das? Aus dem Weg!“

Devon betätigte eine Taste auf seinem Telefon.

Mein Name ist Mary O’Brian und ich bin Schülerin der Arcadia High-School. Ich wurde Mitte dieses Jahres von Lee Husketh, einem guten Freund von mir, angesprochen, ob er mir etwas Privates anvertrauen könne. Als ich ihm zusagte, unter allen Umständen darüber zu schweigen, gestand er mir, dass er ein sexuelles Verhältnis mit Coach Williams hatte. Das ging wohl schon eine Weile so und Lee wusste nicht mehr, was er machen sollte. Er hat gesagt, dass er sich klar darüber sei, dass er schwul wäre, aber die Sache würde ihm nun über den Kopf wachsen. Der Coach wollte ihn nicht gehen lassen und drohte damit, ihn vor der Schule und der Gemeinde zu outen. Im Oktober ist Lee damit zu unserem Schuldirektor gegangen, der ihm zugesagt hatte, sich um den Fall zu kümmern. Doch es passierte nichts. Diese Aussage habe ich nach Rücksprache mit Lee gemacht, der mich von meinem Schweigen entbunden hat. Die Aussage wurde freiwillig gemacht und entspricht in allen Teilen den Tatsachen, so wie ich sie kennengelernt habe.“

Devon betätigte eine weitere Taste und steckte das Telefon wieder weg. Der Schuldirektor versuchte nun, sich zwischen den beiden gepanzerten Gestalten hindurchzudrängen.

„Wohin so eilig, Mister Lurkwood?“

Sheriff Endicott hatte sich ebenfalls erhoben und zückte noch im Gehen ein paar Handschellen.

„Sie sind verdächtigt, an einer Konspiration im Zusammenhang mit Piraterie und Menschenraub teilgenommen zu haben. Ihre Handlungen ergeben einen hinreichenden Verdacht zur Fluchtgefahr und deshalb sind sie vorläufig festgenommen. Alles andere wird ein Ermittlungsrichter nach Sichtung aller Beweise feststellen.“


Die ganze Geschichte hatte damit begonnen, dass Devon eigentlich nur Terry Jervis zum Krankenhaus begleiten wollte. Dort waren sie jedoch gleich im Eingangsbereich von einer Ärztin aufgehalten worden.

„Sie sind doch der Sohn von Colonel Capers. Wissen sie etwas von den Leuten auf der MOHAWK?“

Devon sah etwas erstaunt auf ihr Namensschild und dann lächelte er.

„Doktor Mansfield. Keine Angst, Peter geht es gut. Die Besatzung der MOHWAK hat nur noch einige Sachen zu erledigen, dann kommt er sicherlich auch nach Hause.“

„Besatzung? Aber Peter gehört doch gar nicht zur MOHAWK.“

„Man hat die Offiziersanwärter dort zum Dienst verpflichtet. Er ist sogar Ensign geworden. Aber das kann er ihnen nachher wohl am besten selbst erklären.“

Doktor Mansfield sah den jungen Felidaner etwas verwundert an. Peter und Ensign? Sie wusste nicht so recht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte. Sie wollte nach ihrem Mann nicht auch noch irgendwo ihren Sohn dort draußen verlieren. Dann wurde sie wieder von ihren Besuchern abgelenkt.

„Colton Fraser? Oh ja. Der liegt auf Zimmer 203. Ihr könnt ruhig hoch.“

Zimmer 203 war nicht schwer zu finden. Zu ihrem Erstaunen hatte Colton bereits einen Besucher. Eine junge Dame saß auf dem Rand seines Bettes und sie flüsterten miteinander.

Als Devon und Terry eintraten sahen die beiden automatisch zur Tür und Colton stieß einen leisen Schrei aus.

„Mein Held!“

Darauf gab es von der jungen Dame einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.

„Benimm dich, Colton. Du bist hier nicht auf dem Schrottplatz.“

„Aua. Mary, das ist Terry Jervis, sorry, 2nd Lieutenant Terry Jervis. Er hat mich vor dem Tode errettet.“

Die junge Dame erhob sich und reichte Terry die Hand.

„Ich bin Mary O‘Brian. Eine Freundin von Colton. Hallo, Devon.“

Devon bekam ein Küsschen auf die Wange und Terry sah von Mary zu Colton.

„Eine Freundin, aha.“

Colton machte ein verwundertes Gesicht, doch Mary wusste sofort, was los war.

„Ja, eine Freundin, nicht seine Freundin. Nach dem, was Colton mir erzählt hat, ist es wohl wichtig, das zu betonen.“

Etwas auffällig musterte sie den Felidaner. Das hellrote Fell und die dunkelroten Haare betonten noch das jugendliche Gesicht mit den Sommersprossen. Er musste bestimmt zwei oder drei Jahre älter sein als Colton. Aber er sah richtig gut aus.

„Ein hübsches Fell. Du hast einen guten Geschmack, Colton.“

Terry tat ihr den Gefallen und nun lief auch noch sein Gesicht leicht rot an.

„Komm, Devon, lass uns mal nach draußen gehen. Wir lassen die beiden einen Moment alleine. Weißt du irgendetwas von meinem Bruder?“

Mary zog Devon förmlich aus dem Zimmer während die beiden drinnen sich schweigend in die Augen sahen.

„Nun erzähl schon, Devon. Was ist alles passiert? Hier erfährt man ja so gut wie nichts.“

Devon berichtete kurz von den Vorfällen und was sich hier auf Arcadia zugetragen haben musste. Dabei schielte er immer wieder auf die Tür zum Krankenzimmer und hoffte, dass die Beiden da drin keinen Unsinn machten. Dann wurde er von einer Bemerkung von Mary abgelenkt.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Coach Williams so ein riesiges Arschloch ist.“

„Was? Wieso?“

„Na, der hat doch hundertprozentig die Info an den Gouverneur gegeben. Wahrscheinlich hat er sogar den Auftrag bekommen, das Training genau dann anzusetzen.“

„Wie kommst du denn da drauf? Da gibt es keine Beweise.“

„Vergiss es. Glaubst du vielleicht, du und Brian, ihr seid die Einzigen? Oder die Beiden da drin?“

Devon grinste und dachte an Peter und Jason O’Brian. Mal sehen, was Mary davon hielt, wenn sie erfuhr, dass ihr Bruder sich auch einen Kerl geangelt hatte.

„Ja und?“

„Also, gesetzt den Fall, dass Coach Williams ein Geheimnis hatte, mit dem man ihn vielleicht erpressen konnte.“

„So ein Quatsch. Was denn für ein…“

Devon wurde plötzlich klar, wovon Mary die ganze Zeit sprach.

„Und wenn? Ist ja nicht verboten.“

„Auch nicht, wenn es ein Schüler ist?“

„Was!?“

Devon sah sich hektisch um, ob jemand seinen Ausbruch bemerkt hatte.

„Erzähl mir nicht, du weißt mehr darüber.“

„Doch, weisss ich. Aber ich musste ihm schwören, dass ich nichts verrate.“

„Mary, wir sind nicht mehr im Kindergarten. Das war Piraterie und Menschenraub. Wir wären fast alle verkauft worden und du weißt wohl am besten, was das für Folgen haben kann.“

Mary erstarrte. Devon hätte sie nicht daran zu erinnern brauchen, warum ihre Familie nach Arcadia gekommen waren. Ihre kleine Schwester wurde immer noch vermisst.

„Bitte, Mary. Du brauchst keinen Namen zu sagen, nur ein kleiner Hinweis vielleicht.“

Mary überlegte einen Moment, dann nickte sie.

„Du solltest Brian fragen.“

„Brian? Was hat der denn damit zu tun? Der war doch auf der MOHAWK.“

„Das ist alles, was ich dir sage. Wenn derjenige zustimmt, erzähl ich mehr, aber nur dann.“

Mit einem leichten Kuss auf die Wange entschwand Mary in Richtung der Treppe. Devon sah ihr kopfschüttelnd hinterher, dann wandte er sich der Tür zu. Hoffentlich bekam er nicht etwas zu sehen, was er nicht unbedingt sehen wollte.

Colton lag immer noch ruhig in seinem Bett und Terry saß auf der Bettkante. Hm, hatte Colton etwa ein paar hektische Flecken im Gesicht? Sollten die beiden wirklich?

Devon wusste, es gab Wichtigeres und erzählte kurz von der Unterhaltung mit Mary.

„Was hat Brian denn damit zu tun?“

„Das weiß ich auch nicht. Es gibt keine Berührungspunkte zwischen Brian und Coach Williams oder dem Basketballteam. Das wüsste ich.“

Colton schüttelte den Kopf.

„Nachdenken, Tiger! Da muss etwas sein.“

Beim dem Ausruf von Colton sah Terry ihn alarmiert an, doch Devon griff lediglich nach hinten und präsentierte Colton seinen senkrecht steil aufragenden Schweif.

„Sag noch einmal Tiger zu mir und du kriegst das Ding in voller Länge eingeführt. Wenn ich wüsste, was es ist, hätte ich es längst gesagt.“

Colton hob amüsiert seine Augenbrauen.

„Die ganze Länge? Versprochen?“

Das brachte ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf von Terry ein.

„Aua. Was ist denn heute mit euch. Erst Mary und dann du.“

„Darüber reden wir noch. Und du kannst dich bitte ein Bisschen zurückhalten.“

Devon grinste verstohlen. Oha, da war aber jemand schon sehr besitzergreifend. Devon wusste aus eigener Erfahrung, dass es am Anfang einer Beziehung für einen Felidaner schwierig war, dem Partner die nötigen Freiheiten zu lassen. Bei ihm und Brian war es besonders schwierig gewesen, wegen des ständigen Einflusses, den Brians Vater auf seinen Sohn ausgeübt hatte.

Brians Vater… die Kirche… Coach Williams… Plötzlich wusste Devon, um wen es sich handelte.

„Lee. Es ist Lee.“

„Was? Wer? Du meinst Lee Husketh?“

Devon nickte.

„Er und Coach Williams sind die einzigen aus dem Basketballteam, die zur ‚Gemeinschaft des reinen Gottes‘ gehören. Die Kirche ist der Berührungspunkt von dem Mary gesprochen hat. Wir sollten ihn befragen.“

„Bist du bescheuert? Du kannst doch nicht so einfach zu Lee gehen und ihn fragen, ob er mit dem Coach gevögelt hat.“

„Aua. Warum denn jetzt schon wieder?“

Devon grinste Colton und Terry an. Die beiden schienen ja gut zueinander zu passen. Terry zückte sein Datapad und kurz darauf sein Telefon.

„Ich bin kurz draußen und muss etwas mit Major Stanford besprechen. Bin gleich wieder da.“

Das Gespräch dauerte auch tatsächlich nicht lange und Terry kam mit einem breiten Grinsen wieder zurück.

„Schwing deinen Schweif, Devon. Wir haben was zu tun. Wir müssen erst auf die MOHAWK, dann auf die GLADIUS. Die Zeit drängt.“

Devon sprang auf und verabschiedete sich von Colton. Dann verließ er das Krankenzimmer. Die Verabschiedung von Terry und Colton dauerte etwas länger.

„Was wollen wir auf der MOHAWK?“

„Der Miliz von Arcadia einen hoffnungsvollen Offiziersanwärter entreißen.“

„Bitte?“

„Wirst du gleich sehen.“

Der Landepanzer, der sie zum Fernmeldezentrum und zum Krankenhaus gebracht hatte, lieferte sie nun bei der MOHAWK ab. Der Wache an der Bodenschleuse erklärte Terry, dass er Cadet Brian Summers sprechen wollte. Der wurde dann ausgerufen.

Drei Minuten später erschien ein neugieriger Brian an der Schleuse. Erfreut eilte er auf Devon zu, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss. Terry nickte. Er schien die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

„Brian, dies ist 2nd Lieutenant Terry Jervis. Ich kenne ihn schon von Charon III und er gehört zum Raumlandebataillon der GLADIUS.“

Brian bemerkte den zweiten Felidaner nun erst und wurde sich peinlich bewusst, dass er einen Offizier übersehen hatte.

„Sir!“

„Ist gut. Keine Förmlichkeiten. Wir haben nur wenig Zeit und dies wird wahrscheinlich wie ein Überfall wirken, aber ich habe eine offizielle Frage. Cadet Brian Summers, würden sie es erwägen, den Dienst in der Arcadia-Miliz zu quittieren und eine zunächst zweijährige Dienstzeit bei den Royal Navy Special Services anzutreten?“

Brian starrte den Lieutenant vollkommen sprachlos an, dann sah er zu Devon.

„Hast du das gewusst?“

Devon nickte.

„Er hat mich das Gleiche gefragt. Natürlich ohne den Teil mit der Miliz.“

„Ja, aber warum denn? Ich meine, was soll das alles? Die Special Services gehören doch… oh, der Reichsgraf. Das sind die Truppen eines Reichsadligen. Dessen Truppen stehen während ihres Einsatzes nicht unter dem Oberbefehl der Flotte. Geht es darum?“

„Gut aufgepasst. Der Reichsgraf möchte eine Ermittlung durchführen, die auch die Rechte einer unabhängigen Kirche berührt. Die Reichspolizei ist noch nicht da und die lokale Polizei hat dazu nicht die Befugnis.“

Brian sah Devon einen kurzen Moment prüfend an.

„Wie hast du dich entschieden?“

„Für Recht und Gesetz.“

Brian schloss für einen Moment seine Augen, dann nickte er langsam.

„Für Recht und Gesetz,“ murmelte er. „Ein Ziel, das sich lohnt.“

Jetzt trat Devon vor, umarmte Brian und gab ihm einen Kuss.

„Herzlichen Glückwunsch, Ensign Summers.“

„Was?!“

Terry Jervis nickte.

„Bei den Special Forces ist anscheinend so einiges anders als bei uns. Aber jetzt los. Du musst zuerst kündigen. Am besten wohl beim Kommandanten der MOHAWK. Dann müssen wir auf die GLADIUS zur Vereidigung. Danach werdet ihr ausgerüstet und dann geht’s zur Vernehmung. Die Zeit drängt.“


Sie hatten es noch geschafft, rechtzeitig zum Ende der kleinen Konferenz zu erscheinen. Der Direktor der High-School war festgenommen worden und Lee Husketh stand nun etwas verloren zwischen Devon und Brian. Er sah dem Direktor kopfschüttelnd hinterher.

„Es wird nie mehr so sein wie vorher.“

Brian sah ihn nachdenklich an.

„Willkommen im richtigen Leben, Lee. Es hat mich Jahre gekostet, bis ich gesehen habe, dass viele Menschen nur eine Fassade aufgebaut haben und ihr Leben dahinter ein völlig anderes war. Sie verbrauchen viel Zeit und Energie damit, diese Fassade aufrecht zu erhalten und würden am Ende alles dafür tun.“

Lee schüttelte immer noch etwas ungläubig den Kopf.

„Und ich war auf dem besten Weg dahin, hinter solch einer Fassade zu leben. Warum kann und darf ich nicht so sein, wie ich bin?“

Devon seufzte zustimmend.

„Weil die Menschen das Unbekannte fürchten. Sieh mich an. Ich bin ein Felidaner und ich bin schwul. Als ob eines davon noch nicht genug wäre. Felidaner sind keine Menschen, sie sind keine Schöpfung Gottes, richtig?“

Lee sah Devon entgeistert an.

„Fang nicht davon an. Ich habe die letzten Jahre mehr als genug davon gehabt. Zum Glück sind meine Eltern nicht ganz so fundamentalistisch wie der Reverend, aber… oh, sorry Brian.“

Brian verdrehte die Augen.

„Vergiss es. Ich bin mit dem Thema durch. Ich liebe einen schwulen Felidaner. Zu was macht mich das?“

Lee grinste ihn schüchtern an.

„Zu einem liebenswerten Menschen.“

„Hey, Moment mal. Das ist meiner! Such dir gefälligst selbst einen.“

Lee zuckte etwas zusammen, doch Devon lachte nur laut. Dann wurde er leise und sah Lee einen Moment an. Er trat dicht an ihn heran und gab dem überraschten Lee einen Kuss. Einen langen, intensiven Kuss.

Brian sah Devon einen Moment lang überrascht an, dann tippte er ihm auf die Schulter.

„Ich bin dran.“

Und bevor der verwirrte Lee wusste, was passierte, löste sich Devon von ihm und Brian gab ihm ebenfalls einen Kuss. Brian beendete den Kuss mit einem etwas verzerrten Gesicht.

„Dafür sind die verdammten Panzerrüstungen nicht gemacht.“

Lee sah ihn erstaunt an, doch Devon winkte ab.

„Die Dinger sind echt eng, besonders wenn sie nicht individuell angepasst sind. Da kannst du dir keine großen Veränderungen erlauben.“

Auf Lees immer noch fragendes Gesicht schnipste Devon mit einem Finger bei Brian genau zwischen die Beine.

„Oh.“

„Genau. Aber jetzt hab ich Hunger. Lasst uns was zu essen suchen, bevor jemand auf die Idee kommt, dass wir die Welt retten sollen.“

Planet Ashkalon IV

Der zweite Austritt der GOLDEN BOY aus dem Hyperraum erfolgte direkt im Ashkalon-System.

Die blaue Sonne hatte 36 Planeten von denen lediglich einer in der Biozone lag und theoretisch hätte besiedelt werden können. Da es sich aber um eine dichte Kohlendioxid-Atmosphäre handelte, hatte das Kolonialministerium bisher auf jeden Versuch verzichtet. Der etwas weiter zur Sonne hin gelegene Planet Nummer vier war eine heiße Staubwüste, den ein kleiner Mond von etwa 3000 Kilometer Durchmesser umkreiste.

„Das muss er sein. Ashkalon IV hat nur einen Mond. Keinerlei Atmosphäre und eine Gravitation von etwa 0,15 g. Keine Oberflächenbebauung.“

Chief Raynard hatte den Mond zusammen mit allen relevanten Daten auf dem Panoramaschirm eingeblendet.

„Sieht irgendwie unscheinbar aus.“

„Soll er wohl auch. Chief, was sagen die Sensoren sonst noch?“

„Starke Aktivitäten unter der Oberfläche. Es gibt größere Generatoren mit einem permanenten Energieausstoß. Moment, jetzt werden zwei weitere Generatoren hochgefahren. Alle Energieerzeuger befinden sich in Höhe des Äquators, nur etwa zwei Meilen voneinander entfernt.“

„Man scheint uns also bemerkt zu haben. Nun gut. Dann wollen wir mal sehen, was sie zu sagen haben. Logbuchaufzeichnungen starten.“

Tim Sheldon sah ein Handzeichen von der Kommunikationskonsole und betätigte einen Schalter.

„An die lunare Station auf Ashkalon IV. Hier ist das Special Forces Ship GOLDEN BOY. Im Namen seiner Majestät untersucht Reichsfürst Rian Drake Vorkommnisse, die den Herzog von Stowas-Lat betreffen. Sie werden aufgefordert, den Beauftragten des Reichsfürsten Zugang zu gewähren.“

Tim schaltete ab und wandte sich an Colin, der aufmerksam die Oberfläche des Mondes beobachtete.

„Nicht sehr elegant, aber ich wusste nicht, wie ich das sonst formulieren sollte.“

„Zumindest hat es gereicht. Hier ist die Reaktion auf deine Aufforderung.“

„Bewegung an der Oberfläche. Drei Hangartore werden geöffnet. Raumjäger im Anflug. Gefechtsdisplay.“

Tim nickte. Das war eine der Möglichkeiten, mit denen sie gerechnet hatten.

„Ausweichen. Feuererlaubnis erst, wenn sie uns angreifen.“

Die GOLDEN BOY entfernte sich von der Mondoberfläche, doch die Raumjäger folgten ihr sofort. Ihre Formation entsprach der Gefechtsformation der Navy und die Piloten waren anscheinend sehr gut ausgebildet.

Der große Panoramabildschirm zeigte nun auch wieder das Gefechtsdisplay mit zwölf roten Kontakten. Die angreifende Staffel hatte drei Gruppen zu vier Jägern gebildet und sich zu einem Angriffskeil formiert.

„Sie nehmen eine Standard-Angriffsformation gegen kleinere Gegner ein. Anscheinend können sie die GOLDEN BOY nicht einschätzen.“

Tim nickte. Es war ganz gut, dass die Fähigkeiten ihres Schiffes noch nicht allgemein bekannt waren. Aber sie würden in Zukunft wohl eine dauerhafte Eskorte brauchen.

„Erste Gruppe hat Feuer eröffnet.“

„Feuererlaubnis!“

Die erste Gruppe der Jäger fiel sofort ihrer Unwissenheit zum Opfer. Die nach vorne ausgerichteten Geschütze der GOLDEN BOY durchschlugen die Schirmfelder und vier kleine Sonnen gingen auf. Die beiden restlichen Gruppen gingen sofort auf Abstand.

„Worauf warten sie?“

„Ich fürchte, das werden wir gleich zu sehen bekommen.“

„Hangartore werden wieder geöffnet. Weitere Raumjäger steigen auf. Erfasst ist eine weitere Staffel Raumjäger und eine Staffel Abfangjäger Typ ROBUST.“

„ROBUST? Woher haben die denn Abfangjäger aus dem BfP? Egal. Wie sieht es aus? Können wir mit denen fertig werden?“

Brandon Taylor gab ein unwilliges Brummen von sich.

„Die Raumjäger sind nicht das Problem. Die Abfangjäger sind schwierig. Die sind fast so stark bewaffnet wie unsere Patrouillenkreuzer. Da sind sechs Stück schon schwierig, aber zwölf sind eine Herausforderung.“

„Verdammt. Was machen wir jetzt?“

„Uns bleibt nur noch die Option, auf unsere Verstärkung zu warten. Ausweichen ist kein Problem, die Abfangjäger sind nicht so schnell wie wir.“

Tim Sheldon seufzte frustriert.

„Also gut. Langsam absetzen. Einfach nur außer Reichweite bleiben. Damit dürfte unser Überraschungseffekt ja wohl dahin sein.“

„Kontakt! Aus dem Kernschatten von Ashkalon IV nähern sich drei Schiffe. Keine Transponder-Signale. Sensoren zeigen zwei leichte und einen schweren Kreuzer.“

„Was? Die Raumjäger und die Abfangjäger lasse ich mir noch gefallen, aber woher haben die die schweren Einheiten? Colin, ich brauche da ein paar Antworten. Phillipp, Abstand halten. Wir müssen auf jeden Fall außerhalb der Reichweite bleiben.“

„Die leichten Einheiten bleiben in einem Orbit über dem Gebiet mit den Hangaranlagen. Die drei Kreuzer bewegen sich auf uns zu.“

Rian Drake saß neben Colin Campbell an der D/C-Konsole und verfolgte wortlos das Spektakel auf dem Panoramabildschirm. Zahlreiche rote Punkte bevölkerten dort fast die gesamte Fläche.

„Hyperraumaustritt! Identifizierung läuft.“

Fast alle auf der Brücke sahen gespannt hinüber zur Kommunikationskonsole, bis SCPO Parker mit erleichterter Stimme meldete

„Kontakte identifiziert als 41. Trägergeschwader.“

Tim stieß überrascht seinen angehaltenen Atem aus.

„Ein ganzes Trägergeschwader? Jetzt wird die Sache interessant. Kontakt aufnehmen.“

Auf dem großen Panoramaschirm erschien ein Bildausschnitt, auf dem ein Unteroffizier zu sehen war, anscheinend der Bediener der Kommunikationskonsole.

„HMS FIREDRAGON, womit kann ich ihnen helfen?“

„Hier ist die HMSFS GOLDEN BOY. Ich bin Lieutenant-Commander Sheldon und ich…“

„Ah, einen Moment Commander, ich stelle durch.“

„Commander Sheldon? Ich bin Konteradmiral Mbusu. Man hat meinen ganzen Verband mit höchster Priorität hier herbeordert. Die einzige Information über den Einsatz war die knappe Bemerkung ‚Unterstützung der HMSFS GOLDEN BOY mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln‘. Dürfte ich erfahren, was denn hier so dringend ist?“

Die dunkelhäutige Frau in der Uniform eines Admirals der Raumflotte war augenscheinlich nicht sehr angetan von dem plötzlichen Aufbruch, den das Flottenkommando befohlen hatte. Deshalb schaltete sich Rian ebenfalls in den Kommunikationskreis.

„Ich bin Vizeadmiral Rian Drake, Kommandeur der Special Forces. Ich hätte sie gerne auf einem abgesicherten Kanal gesprochen.“

Wenige Sekunden später war nur noch das Tactical Display auf den Panoramabildschirm zu erkennen. Tim Sheldon beobachtete das weitere Verhalten der gegnerischen Einheiten. Die Raumjäger und auch die Abfangjäger waren in dem niedrigen Orbit um den Mond von Ashkalon IV verblieben. Die drei schweren Einheiten hatten ihre Geschwindigkeit verlangsamt. Man schien dort die neue Lage zu analysieren.

Viel Zeit blieb den drei Besatzungen allerdings nicht, als sich langsam aus dem Verband um die zwei Träger mehrere Schiffe lösten. Drei Schlachtkreuzer, gefolgt von jeweils zwei schweren Kreuzern bildeten drei kleine Kampfgruppen, die sich den drei feindlichen Einheiten mit hoher Fahrt näherten.

Chief Parker übertrug den Anruf des führenden Schlachtkreuzers auf die Brücke.

„Nicht identifizierte Schiffe über Ashkalon IV. Hier ist der Schlachtkreuzer HADES der terranischen Föderation. Sie befinden sich in einem System der terranischen Föderation und werden aufgefordert, sich zu identifizieren. Können sie sich nicht identifizieren wird ihr Eindringen als kriegerischer Akt gewertet und sie werden aufgefordert, sich zu ergeben und ein Boardingteam zu erwarten.“

Die Nachricht wurde im Laufe der Annäherung dreimal gesendet, doch es gab keinerlei Reaktion darauf. Als sich die Einheiten des Trägergeschwaders fast bis auf Schussreichweite genähert hatten, machten ihre Gegner einen verzweifelten Versuch. Die drei Schiffe trennten sich und strebten mit Höchstgeschwindigkeit in verschiedene Richtungen auseinander. Doch anscheinend hatte der Verbandsführer damit gerechnet und jede der drei Kampfgruppen folgte sofort einem der Gegner.

Da die drei kleineren Einheiten vorher ihre Geschwindigkeit vermindert hatten, mussten sie zunächst Fahrt aufnehmen, wobei ihre Verfolger sich bereits in voller Beschleunigung befanden. Das erste Opfer wurde der schwere Kreuzer, dessen Masse ungleich höher war als die der leichten Kreuzern. Deshalb dauerte bei ihm die Beschleunigung am längsten.

Eine volle Breitseite des führenden Schlachtkreuzers schlug in die Schirmfelder ein und führte zu einem teilweisen Zusammenbruch. Die nach folgenden schweren Kreuzer konzentrierten ihr Feuer auf das Heck mit der Triebwerkssektion.

Auf der GOLDEN BOY wurde registriert, dass auf dem feindliche Schweren Kreuzer der Energieausstoß fast bis auf null gesunken war.

„Das war’s wohl für den. Was ist mit den anderen?“

„Einer hat aufgegeben und ein Kapitulation gesendet. Der andere hatte nicht so viel Glück.“

Der dritte rote Leuchtpunkt mit dem Symbol eines leichten Kreuzers war erloschen.

„Wir können.“

Tim sah etwas irritiert zu Rian, der eine Hand gehoben hatte.

„Wir sollen uns in Bereitschaft halten. Die FIREDRAGON und die FIREBIRD übernehmen die kleineren Einheiten. Wir kriegen eine Eskorte bis zum Zielgebiet.“

Tim Sheldon nickte dankend und sah wieder auf das Tactical Display.

„Die Träger schleusen ihre Geschwader aus. Vier Korvetten im Anflug auf unsere Position.“

Fasziniert beobachtete Tim, wie die Träger ihre Raumjägergeschwader auf den Weg brachten. Jeder Träger hatte ein Geschwader mit jeweils vier Staffeln zu sechzehn Maschinen. Das waren insgesamt 128 Raumjäger, die dort auf den Mond zuflogen.

Dort schien man sich nicht kampflos ergeben zu wollen. Eine weitere Staffel von zwölf Abfangjägern wurde ausgeschleust und stellte sich den anfliegenden Raumjägern der Trägergeschwader. Die GOLDEN BOY ignorierte das beginnende Gefecht und flog mit hoher Geschwindigkeit auf den immer noch geöffneten Hangar zu.

„Passen wir da durch?“

„Wenn sie nicht anfangen zu schließen, auf jeden Fall. Hoffentlich funktionieren die Sicherheitseinrichtungen.“

Tim Sheldon wusste aus eigener Erfahrung, dass Hangartore geöffnet blieben, solange sich Schiffe in unmittelbarer Umgebung befanden. Im Gegensatz zu den Hangartoren auf Trägern waren diese horizontal auf der Oberfläche des Mondes verbaut. Im Normalfall hätte die GOLDEN BOY im Schwebeflug über dem Tor postiert und wäre dann langsam in ihrer horizontalen Lage abgesunken.

In diesem Fall hatte sich Phillipp Cameron für ein riskanteres Manöver entschlossen. Die GOLDEN BOY flog fast ungebremst mit gesenktem Bug direkt auf die Hangaröffnung zu. Wie er vermutet hatte, war der Hangar tief genug, um mit den sonst selten genutzten Schirmfeldern der Schubumkehr und der Antigraveinrichtung das Schiff rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

Noch schwebte es etwa zwei Meter über dem Boden, als sich die Hangartore zu schließen begannen. Tim Sheldon drückte den Knopf der Rundsprechanlage.

„Landungsabteilung klarmachen zum Ausschleusen. Hangar wird gerade geschlossen. Wir warten auf den Druckausgleich.“

Im Hangar der GOLDEN BOY waren die Marines schon längst vorbereitet. Scion Rhyder überlegte, was sie für Möglichkeiten hätten, wenn der Druckausgleich im Hangar nicht stattfand. Die einzigen, die das Schiff ohne zusätzlichen Raumanzug verlassen konnten, waren die Marines mit ihren Energierüstungen.

Das waren die elf Mann der MOHAWK und fünf Mann der HIGHLANDER, die mit den Energierüstungen ausgestattet worden waren. Sie bildeten die ersten beiden Gruppen, während die acht Marines der GOLDEN BOY die dritte Gruppe bildeten. Die zwei übrigen Marines der HIGHLANDER in ihren normalen Panzerrüstungen waren zusammen mit den beiden Gefechtsfeldsanitätern der HIGHLANDER dem Bergungstrupp zugeordnet.

Erleichtert vernahm Scion Rhyder die Stimme von Major Campbell.

„Hangar wird belüftet. Gruppe eins geht vor und erkundet den Hangar. Priorität hat die Sicherung der Hangarsteuerung. Gruppe zwei sichert Gruppe eins. Gruppe drei sichert den Landeplatz. Der Bergungstrupp verbleibt zunächst auf der GB. Standby.“

„Gruppenführer eins, Verstanden.“

Das war der junge 2nd Lieutenant von der MOHAWK.

„Gruppenführer zwei, Verstanden.“

Scion lächelte leicht. Das war Joel Cooper. Blieb nur noch er selber.

„Gruppenführer drei, Verstanden.“

Sie mussten auch nicht lange warten, bis der nächste Befehl kam.

„Hangar ist belüftet. Gruppen eins und zwei gehen vor wie befohlen. Gruppe drei Standby, bis die Hangarsteuerung gesichert ist. Hangar ist, soweit erkennbar, feindfrei. Ausschleusen auf Befehl Gruppenführer ab JETZT!“

Im Hangar der GOLDEN BOY waren die roten Warnlichter angegangen, die das Öffnen des Hangartores anzeigten. Jason O’Brian wartete nicht, bis das Tor ganz geöffnet war.

„Erste Gruppe folgen!“

Die acht Marines stürmten die Rampe herab und orientierten sich kurz. Der riesige Hangar war offensichtlich nicht nur für Raumjäger ausgelegt. Von der Deckenhöhe ausgehend, würden hier sogar Schiffe bis zur Größe eines Schweren Kreuzers landen können. Der Raum war rechteckig angelegt und Jason schätzte ihn auf gute 600 Meter Länge. In der Mitte einer Längswand war oben eine Art Kanzel vorgebaut worden. Jason vermutete dort die Landekontrolle und auch die Hangarsteuerung.

„Wir müssen dort hinüber. Erst bis zur Wand und dann müssen wir einen Eingang oder Aufgang finden. Los!“

Jason sprintete los und seine Marines folgten ihm in einer breit auseinander gezogenen Linie.

Joel Cooper war zu dem gleichen Ergebnis gekommen, wunderte sich allerdings, warum nichts passierte. Niemand war in den Hangar gekommen und es gab auch keine aktiven automatischen Verteidigungseinrichtungen. Das war alles deutlich zu ruhig.

In der GOLDEN BOY wartete Scion Rhyder ungeduldig auf die Meldung über die Hangarsteuerung. Erst wenn diese gesichert war, konnte er mit seinen Leuten nach draußen. Den Marines in den Energierüstungen würde nicht viel passieren, wenn der Hangar plötzlich wieder geöffnet werden würde, doch seine Leute hatten keinen ausreichenden Schutz.

Jason O’Brian war mit seinen Leuten inzwischen bis zur Hangarwand vorgerückt und starrte nun misstrauisch nach oben. Auch er fand es merkwürdig, dass keinerlei Reaktion erfolgt war. In der Wand vor ihnen gab es etliche Tore und auch Türen, doch alle verschlossen. Zu Jasons Missfallen waren alle Türen und Tore lediglich mit einem Code aus drei Buchstaben versehen.

„Was soll denn das?“ murmelte Jason mehr zu sich selber, doch er erhielt sofort eine Antwort.

„Gruppe eins, sie haben ein Problem?“

Jason erkannte die Stimme von Major Campbell.

„Hier sind mehrere Türen mit Buchstabencodes. Ich möchte ungerne irgendwo unvorbereitet reingehen, Sir.“

„Welche Codes?“

„Wir haben FCC, FMG, MLS und ASC.“

Sofort meldete sich eine weitere Stimme, die Jason nicht zuordnen konnte.

„FCC ist das Flight Control Center. Da müssen sie hin.“

Dann wieder Major Campbell.

„Überlassen sie Gruppe zwei das ASC. Das dürfte ein Security Center sein. FMG ist die Maintenance Group und MLS dürfte das Lager dafür sein. Warten sie auf Gruppe zwei.“

Joel Cooper war inzwischen herangekommen und besah sich die Türaufschriften. Dann deutete er auf die Tür mit FCC. Jason zuckte nur mit den Schultern und betätigte einen deutlich sichtbaren Türkontakt.

Tatsächlich öffnete sich die Tür und gab den Blick in eine Aufzugkabine frei. Es gab keinerlei Bedienelemente außer einem kleinen Sensorfeld.

„Wir brauchen eine Ausweiskarte.“

Joel Cooper nickte, obwohl das in der Rüstung niemand sehen konnte.

„Dann wollen wir mal sehen, ob ASC tatsächlich etwas mit Sicherheit zu tun hat.“

Die Tür mit der Aufschrift ASC öffnete sich genauso problemlos wie die Aufzugtür. Dahinter befand sich ein kleiner Raum mit zwei Schreibtischen, ein paar Schränken und einem guten Dutzend Überwachungsmonitoren, die verschiedene Räume und Gänge zeigten. Ein Monitor zeigte anscheinend die Flugkontrolle, wo drei Personen aufgeregt an einer Konsole arbeiteten.

„Wir müssen da hoch. Aber warum ist hier alles leer? Wo sind die alle?“

Joel Cooper musste Jason O’Brian zustimmen. Irgendetwas stimmte hier nicht.

„Alyssa, Peter, seht euch mal hier um.“

Zwei Gestalten in ihren schweren Energierüstungen bewegten sich etwas schwerfällig in den Raum hinein und begannen damit, sämtliche Schränke und Schubladen zu durchsuchen.

„Nichts.“

„Hier auch nicht. Moment…“

Einer der beiden Marines zog aus einer Schreibtischschublade ein schmales Band, an dem eine kleine Karte baumelte.

„Was ist das denn?“

Joel Cooper schnappte nach der Karte und besah sie sich genauer.

„Eine Zugangskontrollkarte. Sind die hier nur bescheuert, oder völlig ahnungslos? Wer lässt sowas denn herumliegen? Mal sehen. Sieht aus, wie ein ganz einfaches System mit fünf Buchstaben, A bis E. A und B sind durchgekreuzt, also kommen wir damit wohl in die Bereiche C bis E. Willst du das damit versuchen, Jason?“

Jason O’Brian zuckte etwas zusammen. So ganz hatte er sich immer noch nicht an den Umgangston gewöhnt. Das war etwas ganz anderes, als ihm beigebracht worden war. Außerdem hatte er auf den GOLDEN BOY ein kurzes Gespräch mit einem seiner Leute gehabt, der ziemlich aufgeregt auf ihn zugekommen war.

Hey, Jason, das ist hier ein ganz merkwürdiger Verein.“

Was soll das Kyle? Was willst du mir sagen?“

Wusstest du, dass hier eine ganze Anzahl von den Marines schwul sind?“

Jason stutzte. Wohin sollte das Gespräch jetzt führen?

Ja, und?“

Mann, ich meine ja nur. Von der HIGHLANDER mindestens die Hälfte und von der GOLDEN BOY sogar alle. Wusstest du, dass die gesamte Besatzung der GOLDEN BOY schwul ist?“

Kyle, was soll das? Das geht dich doch gar nichts an. Oder bist du interessiert? Dann solltest du damit aber nicht zu mir kommen, sondern denjenigen das wissen lassen.“

Kyle starrte Jason etwas entgeistert an, schloss dann aber seinen Mund und ging kopfschüttelnd weg. Jason fragte sich, was er sagen würde, wenn er erfuhr, dass sein Gruppenführer ebenfalls schwul war. Sofort fiel ihm Peter ein und Jason überlegte, ob sie nicht auf einem Schiff wie der GOLDEN BOY zusammen leben und arbeiten könnten.

Nach dem kurzen Moment der Erinnerung schnappte Jason nach der Karte.

„Auf geht’s. In den Aufzug passen höchstens zwei Mann. Oben sind, soweit erkennbar, nur drei Leute. Ich fahre mit Andy zusammen hoch.“

Andrew McMillan war der ruhigste und bedachtsamste seiner Leute und Jason hatte sich etwas gewundert, warum er sich nicht zur Offiziersausbildung gemeldet hatte.

„Pass auf, Andy. Wir wissen nicht, ob da oben wirklich nur drei Leute drin sind. Sobald die Tür sich öffnet, gehe ich nach rechts und du nach links. Geschossen wird nur auf Befehl oder zur Selbstverteidigung, verstanden?“

„Jawohl, Sir.“

Jason sah erstaunt zu Andy, aber der Blendschutz des Helms ließ sein Gesicht nicht erkennen. Was hatte der denn auf einmal?

Die Zugangskontrollkarte funktionierte tatsächlich und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Es dauerte eine Weile, bis er die knapp sechzig Meter Höhenunterschied überbrückt hatte. Jason und Andy zückten ihre schweren Laser und warteten darauf, dass die Tür sich öffnete.

Die drei Personen vor der Konsole wirkten noch genauso hektisch wie vor einigen Minuten auf dem Bildschirm. Zunächst schienen sie die Ankunft des Aufzugs gar nicht bemerkt zu haben, doch dann deutete einer von ihnen auf ein kleines, rot blinkendes Lämpchen. Langsam drehten sich alle drei um und sahen hinüber zur offen stehenden Aufzugtür.

Jason und Andy hatten den Aufzug längst verlassen und sich in entgegengesetzte Richtungen von ihm wegbewegt. Die beiden Männer und eine Frau vor der Konsole blickten sich nun suchend um.

„Hände hoch! Special Forces der Royal Navy. Ergeben sie sich ohne Widerstand!“

Leider blieb die Aufforderung ohne Wirkung. Alle drei Personen griffen fast gleichzeitig zu ihren Waffen. Andy und Jason feuerten gleichzeitig.

Vorsichtig näherten sie sich den drei Körpern auf dem Boden und Andy drehte einen der Männer mit dem Fuß um.

„Möchte mal wissen, was die nicht verstanden haben.“

„Egal, wir brauchen die Kontrollkonsole für den Hangar. Warte mal.“

„GB von Gruppe eins. Flight Control ist gesichert. Wir brauchen Ersatz hier oben.“

„GB verstanden. Gruppe drei ist auf dem Weg.“

Jason überlegte einen Moment, dann wandte er sich dem Aufzug zu.

„Stell dich mal in die Tür.“

Andy blockierte kommentarlos die Tür, während Jason mit der Zugangskontrollkarte den Aufzug aktivierte. Dann legte er die Karte auf dem Boden ab und verließ die Aufzugkabine. Andy gab die Tür frei und der Aufzug machte sich tatsächlich auf den Weg nach unten.

„Unglaublich. Von Sicherheitsmaßnahmen keine Spur.“

Während sie auf ihren Ersatz warteten, sah sich Jason neugierig um.

„Was ist das hier eigentlich?“

Ohne nachzufragen, nahm Andy McMillan seinen Helm ab und besah sich die Konsole, die von den drei Leuten so hektisch umlagert worden war.

„Das ist eine Energie-Steuerkonsole. Damit werden Energieerzeuger bestimmten Verbrauchern zugewiesen.“

„Was hatten die denn vor?“

„So wie das aussieht, wollten sie einen bestimmten Bereich von den Erzeugern trennen, aber die Notversorgung ist immer wieder angesprungen. Die lässt sich nicht so einfach überbrücken.“

„Woran siehst du das denn?“

„Hier, das Log für die Notfallversorgung. Andauernd an und aus. Sie haben versucht… Moment. Hier auf dem Display ist ein Lageplan. Sie haben versucht, diesen Sektor hier hinten komplett zu trennen.“

Nun nahm auch Jason seinen Helm ab.

„Du hättest wohl besser Techniker werden sollen.“

Der schwarzhaarige Andy sah etwas gequält zu Jason auf.

„Wollte ich auch, aber mein Alter war dagegen. Das heißt, gegen die Miliz konnte er schlecht was sagen, aber keine längeren Lehrgänge. Die eine Woche Survival haben meinen Alten fast wahnsinnig gemacht. Er musste in der Zeit die Farm ganz alleine bewirtschaften.“

„Alleine? Ich meine… ich dachte, die großen Getreidefarmen haben immer ein paar Helfer.“

„Wenn man sich die leisten kann, ja. Aber die letzte Ernte war nicht so berauschend, besonders weil eine Herde von Gigantoceratops den größten Teil des Erntens übernommen hat.“

„Oh, ihr wart das.“

„Ja, wir waren das.“

Andys Stimme klang nun bitter.

„Der Alte hatte seinen Dickschädel wieder durchsetzen müssen. ‚Wir brauchen keine Hochenergiezäune. Die alten tun das genauso gut‘. Haben sie aber nicht.“

„Ich kann mich erinnern, dass mein Vater einen Vortrag über die Wanderung der Pflanzenfresser gehalten und dabei auch die HE-Zäune empfohlen hat.“

Andy nickte.

„Ja, aber die Dinger sind teuer. Und mein Alter ist geizig. Es kam so, wie es kommen musste. Wir haben zwei Drittel unserer Ernte verloren und nun haben wir Schulden für die nächsten 30 Jahre. Nach der Schule wollte ich eigentlich Agrikultur auf dem Community-College studieren, aber das kann ich mir wohl abschminken.“

Jason schüttelte nur wortlos den Kopf, als sie durch die Ankunft des Aufzuges unterbrochen wurden. Obwohl nichts gemeldet worden war, zückten beide ihre Waffen.

In der Aufzugkabine waren zwei Personen, die eine in einer Energierüstung, die andere in einer Panzerkombi. Jason salutierte automatisch, was ihm leises Gelächter einbrachte. Beide Personen nahmen nun ihre Helme ab und Scion Rhyder lächelte immer noch.

„Das wird man nur sehr langsam wieder los. Eigene Erfahrung. Aber dann erzählt mal.“

Jason bemerkte, wie Andy McMillan neugierig zu Joel Cooper hinübersah. Leicht stieß er ihn an.

„Nicht so auffällig.“

Doch Joel schien ihn gehört zu haben.

„Kein Problem. Das kenne ich zur Genüge. Kommt mal her.“

Etwas verwirrt traten Jason und Andy näher. Jason hatte bisher nur einen einzigen Felidaner gesehen und das war Devon Capers mit seinen schwarz-gelben Streifen gewesen. Joel Cooper hatte ein sandgelbes Fell mit feinen kurzen schwarzen Streifen. Die Augen waren, im Gegensatz zu dem bei Felidanern weit verbreitetem Gelb oder Grün von einem strahlenden Blau.

Überraschend griff Joel nach Andys rechter Hand und führte sie an seinem Hals über das kurze Fell.

„So, jetzt kannst du sogar sagen, du hast einem Felidaner über das Fell gestrichen. War es so, wie du gedacht hast?“

„Es war… also im Vergleich zu… oh, mein Gott!“

Andy lief tiefrot an und drehte sich abrupt um, doch Jason fing ihn ab.

„Andy, was ist los?“

„Ich… ich hätte beinahe etwas gesagt, was mich… nein, laß mich!“

Joel Cooper näherte sich nun ebenfalls wieder und sah Andy fragend an.

„Im Vergleich zu was? Laß mich raten, ihr habt eine Hauskatze.“

Andy nickte stumm und Jason schnappte hörbar nach Luft. Wenn Joel es darauf anlegte, konnte die Äußerung von Andy ihn seine Mitgliedschaft bei der Miliz kosten.

„Nun, es ist wahrscheinlich schwer, Vorurteile abzulegen, aber ich bin nun einmal keine Hauskatze. Das Fell ist sehr ähnlich, aber das war’s auch schon. Lass dir die Begegnung eine Lehre sein, niemals, aber auch wirklich niemals, ein Lebewesen nach seinem Äußeren zu beurteilen.“

Andy nickte immer noch stumm und Jason atmete erleichtert aus. Joel schien sehr umgänglich zu sein in Fragen zu seiner felidanischen Abstammung. Andere waren da deutlich empfindlicher.

„Fertig? Dann können wir zur Übergabe schreiten.“

Jason zuckte zusammen und erklärte Scion Rhyder, was sie bisher herausgefunden hatten.


Während alle drei Gruppen der Marines weiter vorrückten, war das Flight Control Center von zwei Besatzungsmitgliedern der GOLDEN BOY besetzt worden.

Kevin Raynard war eigentlich Brücken-Unteroffizier und für die Sensor-Konsole zuständig. Mit 22 war er der zweitjüngste der Chief Petty Officers an Bord, lediglich Lars Winterfield war noch ein halbes Jahr jünger. Kevin fühlte sich immer noch ein wenig unwohl, weil er erst kurz vor seiner Versetzung an Bord der GOLDEN BOY zum Chief Petty Officer befördert worden war und nur wenige Tage später beim Wechsel zu den Special Forces sogar zum Senior Chief Petty Officer. Ein Dienstgrad, den er bei der Navy frühestens in zwei bis drei Jahren erreicht hätte. Ein wenig fühlte er sich wie ein Betrüger.

Der zweite Mann im Flight Control Center war Staff Petty Officer Alexander Bower aus der Versorgung. Mit 23 war er eigentlich schon etwas zu alt für diesen Dienstgrad, doch er war erst spät in die Navy eingetreten, nachdem er festgestellt hatte, dass ein Leben als Verwaltungsfachassistent nicht seine wirkliche Berufung war.

Kevin Raynard hatte die Hauptkontrollkonsole für den Hangar gecheckt, die Zugänge zum Hangar blockiert und mit einer Alarmfunktion versehen. Nun saß er vor einer weiteren Konsole mit einem besonders großen Display. Alex Bower stand hinter ihm und sah ihm über die Schulter.

„Was ist das denn? Das sind ja endlose Listen. Warte mal.“

Kevin hörte mit dem Scrollen auf und sah erwartungsvoll zu Alex.

„Hier, das sind Lagerlisten. Da ist der Eingangsvermerk und das da ist der Lagerort. Was zum Henker sind BIOHAZARD-FRZGEN-CON-0011?“

„Keine Ahnung.“

„Das haben wir gleich. GB von FCC. Ich bräuchte mal eine Verbindung zu Danny Simon.“

Es knackte kurz in der Verbindung und dann meldete sich eine etwas verschlafene Stimme.

„Petty Officer Simon.“

„Danny? Hier ist Alex. Was ist ein BIOHAZARD-FRZGEN-CON-0011?“

„Was? Spinnst du, mitten in der Nacht? Ein BIO… Moment, ein 0011? Bist du sicher?“

„Ja, natürlich. Lesen kann ich noch.“

„Ist ja gut. Reg dich nicht gleich auf. Also, ein BIOHAZARD-FRZGEN-CON ist eine Spezialcontainerreihe für den Transport von genetischem Material. Die Reihe 0017 ist meines Wissens nur ein einziges Mal zum Einsatz gekommen, als nämlich das Biolabor ausgeräumt wurde, in dem dieser Idiot die Felidaner gezüchtet hat. Aber von einer Reihe 0011 habe ich noch nie gehört. “

„Scheiße!“

„Was ist los, Alex?“

Wir haben hier die Entladeprotokolle des Hangars und da sind zwanzig von diesen Containern vor einem Monat hier entladen worden.“

„Was? Gibt es einen Lagerort?“

Alex Bower nickte stumm, während Kevin langsam herunterscrollte.

„Alex. Der Lagerort.“

„Als Lagerort ist angegeben: BIOLAB.“


An Bord der GOLDEN BOY gab es eine eilig einberufene Lagebesprechung. Major Campbell hatte nur wenig Informationen sammeln können.

„Es ist richtig, dass die Container der Serie 0017 die genetischen Zuchtproben der Felidaner enthalten haben. Sie sind in ein streng geheimes Forschungslabor der Föderation gebracht worden und die Proben sollten dort unter Aufsicht vernichtet werden. Es wird gerade überprüft, ob das auch tatsächlich passiert ist. Über eine Serie 0011 ist nichts bekannt. Es wird gerade mit der Herstellerfirma geklärt, ob es ältere Serien gegeben hat und wofür die eventuell verwendet wurden.“

Rian Drake schüttelte den Kopf.

„Darüber können wir später nachdenken. Wie weit ist unsere Landungsabteilung denn bereits vorgedrungen?“

„Die ganze Anlage ist ziemlich weitläufig. Die Hangars, es gibt, wie wir inzwischen wissen, insgesamt drei, sind vom Rest der Einrichtung etwas abgesetzt. Erstaunlicherweise sind unsere Truppen bisher auf keinen Widerstand gestoßen. Genauer gesagt, wir sind bisher keinem lebenden Wesen begegnet. Kein Sicherheitspersonal, keine Techniker oder was auch immer. Es sieht fast so aus, als hätte man die ganze Anlage evakuiert.“

„Aber was war denn mit den ganzen Abfangjägern?“

Tim Sheldon sah ebenso ratlos aus wie die beiden anderen Männer.

„Das ist ebenfalls unklar. Entweder, man hat sie ausgeschleust und dann sofort alles geräumt, oder in den Jägern hat das Wartungspersonal gesessen, was ich aber kaum glauben kann.“

„Vielleicht ja beides.“

„Wohl kaum, Colin. Als Pilot und auch als Wartungstechniker brauchst du eine jahrelange Ausbildung. Beides zusammen geht nicht besonders gut. Aber was machen wir jetzt mit unserer Landungsabteilung?“

Rian schlug mit einer Faust auf seine Sessellehne.

„Sie sollen versuchen, so schnell wie möglich den Bereich des Biolabors zu erreichen. Ich will wissen, was dort vor sich geht. Diese Hibernationsstationen gehen mir nicht aus dem Kopf. Wenn es wieder Experimente mit Menschen gegeben hat, trete ich diesen Idioten höchstpersönlich bis in die nächste Galaxis.“

„Apropos Idiot. Die Yacht ist in keinem der Hangars hier auf dem Mond. Anscheinend hat er sich woanders hin abgesetzt.“

„Das werden wir ja sehen. Zuerst das Labor! Ich wünschte, die Verstärkung wäre auch schon hier.“


Scion Rhyder stand mit Joel Cooper und Jason O’Brian vor der Einmündung zu einem großen quadratischen Platz, von dem zwei weitere Gänge wegführten. Alle drei Offiziere hatten eine schematische Zeichnung der Anlage auf ihr HUD projiziert, die ihnen Kevin Raynard übermittelt hatte.

„Von dem Platz führt ein Gang genau nach Westen zu dem Bereich, der mit BIOLAB gekennzeichnet ist. Der zweite Gang, der weiter nach Norden geht, führt zu einem Bereich, der mit HA gekennzeichnet ist, was immer das auch sein mag.“

Scion brummte belustigt.

„Ihr beide wart noch nicht oft in großen Kasernen untergebracht, oder? HA ist die Housing Area, das Wohngebiet. Das ist zunächst einmal nicht so interessant für uns. Wir versuchen es mit dem Gang direkt nach Westen. Jason, schick zwei Mann zum Aufklären.“

„Jawohl, Sir.“

Scion musste bei der Antwort lächeln. Es klang schon nicht mehr so verbissen, wie zu Anfang, jetzt schon eher etwas kameradschaftlich.

Jason hatte ihn während einer kurzen Pause aufgesucht.

Kann ich sie… dich mal kurz sprechen?“

Scion merkte, dass es wohl etwas Persönliches werden sollte und führte Jason ein paar Schritte von den anderen weg.

Was gibt’s?“

Ich… ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Also, ich bin von einem meiner Leute darauf angesprochen worden, dass von der Besatzung der GOLDEN BOY alle schwul sein sollen.“

Es gab eine längere Pause, weil Jason merkte, dass er gerade in ein Fettnäpfchen getreten war und Scion nicht so recht wusste, wie er reagieren sollte.

Und ist das ein Problem?“

Was? Nein! Das… sorry, dass das jetzt so rüber gekommen ist. Ich wollte eigentlich wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, bei euch anzufangen. Also, ich meine… oh, verdammt, das klingt schon wieder falsch.“

Beruhig dich erst mal wieder. Du willst bei uns anfangen, weil du schwul bist?“

Nein. Ja. Also, nicht weil ich schwul bin, sondern weil ich dann vielleicht mit meinem Freund zusammen auf ein Schiff… ach, verdammt.“

Moment. Du hast also einen Freund und der ist auch bei den Marines?“

Nein, der ist Pilot. Bei der Arcadia Miliz.“

Ein Pilot? Hm, ich gebe ja nur ungern Gerüchte weiter, aber du kannst dich erinnern, dass wir jemanden auf die MOHAWK abgegeben haben. Und dann kam die Nachricht, dass er zum Reichsgrafen ernannt worden ist.“

Ja, und?“

Nuuuun. So ein Reichsgraf benötigt natürlich auch ein eigenes Schiff, so wie die GOLDEN BOY. Und das besagte Gerücht lautet, dass er sich ebenso eine Besatzung wie bei uns zusammenstellen möchte.“

Was? Ernsthaft?“

Scion nickte.

Du solltest vielleicht mal mit unserem Kommandanten reden, wenn wir hier fertig sind.“

Ja. Vielen Dank. Hm, … eine Frage noch. Hoffentlich nicht allzu persönlich.“

Du willst wissen, ob ich an Bord einen Freund habe?“

Ja, woher…?“

Scion grinste lediglich.

War naheliegend. Meiner ist an Bord. Arbeitet in der Küche.“

Was? Welcher? Der Rothaarige?“

Nein, der andere. Der Rothaarige gehört zu ihm.“

Damit deutete Scion auf den Felidaner mit seinem hellen Leopardenmuster. Jason lächelte und schloss dann träumerisch die Augen.

Jason schickte seine zwei Mann bis zur Einmündung des Gangs vor. Diese kamen dann auch schnell zurück.

„Etwa zehn Meter hinter der Einmündung ist eine Straßensperre errichtet. Mehrere Bewaffnete waren zu erkennen. Wir haben sechs Mann gezählt, aber das ist nicht sicher. Bewaffnung ebenfalls unsicher.“

„Aha, jetzt geht es also tatsächlich los. Joel geht mit der zweiten Gruppe vor. Erste Gruppe folgt auf zwanzig Meter. Dritte Gruppe bleibt erst einmal hier als Reserve.“

Scion hatte ein ungutes Gefühl dabei, immer die anderen Gruppen vorzuschicken, aber die dritte Gruppe hatte nun einmal die schlechteren Rüstungen.

Nach einem kurzen Moment fügte er noch hinzu

„Corey und Liam gehen mit der zweiten Gruppe. Einsatz nur auf Anweisung Gruppenführer. Alle verstanden?“

Die Gruppenführer eins und zwei bestätigten, ebenso Corey Price.

Joel Cooper machte sich langsam auf zur Gangmündung, dicht gefolgt von seiner Gruppe. Jason blieb mit seiner Gruppe im Abstand von 20 Metern hinter ihm. An der Einmündung spähte Joel vorsichtig um die Ecke. Die Aufklärer hatten Recht. Es gab eine Straßensperre aus vorgefertigten Elementen, die über die halbe Straßenbreite reichte. Dahinter zählte er sechs Personen.

Doch das war nicht das Problem. In einiger Entfernung erkannte Joel eine weitere Straßensperre. Er bemühte die Optik seiner Energierüstung, konnte dort aber erstaunlicher Weise keine Personen entdecken.

„Zweite Gruppe in den Gang. Gerade Nummernrechts, ungerade Nummern links. Los!“

Damit bezog sich Joel auf die Nummerierung der einzelnen Rüstungen. Sie waren vor ihrem Abmarsch angebracht worden und zeigten bei der zweiten Gruppe die Nummern 2-01 bis 2-08.

Die Soldaten stürmten los und drangen in den Gang ein. Dort verteilten sie sich zunächst gemäß ihrer Anweisung. Ihre Annäherung war nicht unbemerkt geblieben und so schlugen die ersten schlecht gezielten Blasterschüsse ein.

„Deckung! Feuer erwidern. Erste Gruppe nachrücken.“

Auf dem Gang gab es wenig Deckung und so blieb den Marines nichts weiter, als sich zu Boden zu werfen.

Nun kam auch die erste Gruppe um die Ecke und nahm bereits an der Gangmündung auf voller Breite Deckung auf dem Boden. Es dauerte nicht lange, bis die Schüsse aus Richtung der Straßensperre aufhörten.

„Feuer einstellen! Jemand verletzt?“

Es gab keine Antwort und so sprang Joel Cooper auf und sprintete hinüber zur Absperrung. Seine Leute folgten ihm, während der erste Zug noch weiter verharrte.

Hinter der Absperrung lagen die Leichen von sechs Personen. Alle trugen eine Art Uniform mit dunkelblauer Hose und dunkelblauem Hemd. Joel beugte sich herunter und besah sich eine ID-Karte, die an ein Hemd geclippt war.

„Security Services Corporation. Ein ziviles Sicherheitsunternehmen?“

Joel war erstaunt. Besonders, weil die Sicherheitsleute Blastergewehre benutzt hatten, die für zivile Unternehmen nicht zugelassen waren.

„Was jetzt?“

„Hier ist gesichert. Ihr könnt heran schließen.“

Jason O’Brian ließ seine Gruppe ebenfalls bis zur Absperrung kommen.

„Scion? Was sollen wir weiter machen? Die nächste Absperrung ist in etwas fünfzig Metern Entfernung. Von hier sieht es so aus, als ob sie nicht besetzt wäre.“

„Dem Plan nach ist das eine Kreuzung. Wahrscheinlich sichern sie in einer anderen Richtung. Ihr könnt euch langsam annähern und sehen, was passiert. Aber denkt dran, dass hier wahrscheinlich ein paar mehr Leute sind. Wenn ihr losgeht, besetze ich mit der dritten Gruppe eure jetzige Position.“

„Verstanden. Erste Gruppe linke Gangwand, zweite Gruppe rechte Gangwand. Sicherheitsabstände einhalten. Vorrücken auf mein Zeichen.“

Joel gab Jason auf der anderen Seite ein Handzeichen und sie rückten langsam vor. Je näher sie der Absperrung kamen, desto merkwürdiger kam es Joel vor. Doch dann hörte er Kampflärm, der aus dem Gang auf der rechten Seite zu kommen schien. Man hörte das Zischen von Blastern und auch halblaute Rufe.

Joel umging die Absperrelemente und näherte sich vorsichtig der Gangmündung. Jason war auf der anderen Seite schon vorher stehengeblieben, damit er nicht vorzeitig entdeckt wurde.

Ein kurzer Blick von Joel um die Ecke bestätigte seine Vermutungen. Gut ein Dutzend Leute schossen mit Blastergewehren und Blasterpistolen auf einen weit im Hintergrund befindlichen Gegner. Die Leute trugen hauptsächlich die Uniform des Sicherheitsdienstes, aber Joel erkannte auch zwei Personen in langen, weißen Laborkitteln.

„Verdammt, auf wen schießen die denn da? Corey, zu mir.“

Corey Price und Liam Kennedy huschten heran und Corey verkabelte das Scharfschützengewehr mit seinem HUD. Liam Kennedy wurde als Spotter ebenfalls an das Gewehr angeschlossen. Corey legte das Gewehr an und schob es etwas vor. Dann drehte er den am vorderen Ende des Laufes angebrachten Teil seiner Spezialoptik. Die Vergrößerung war um einiges besser als die der Energierüstungen und so erkannten beide gleichzeitig, auf was die Männer dort schossen und ihre Reaktionen waren ähnlich.

„Oh, Scheiße.“

„Nein! Nicht schon wieder!“

Joel dreht sich verwirrt zu dem Scharfschützen um.

„Was ist los?“

„Wie es aussieht, versuchen sie gerade, die Ergebnisse ihrer Bioexperimente zu beseitigen!“

„Was? Verdammt, was sollen wir…“

„Feuererlaubnis!“ ertönte es gleichzeitig von Scion Rhyder und von Colin Campbell über Funk.

Corey und Liam zogen sich sofort zurück und Joel Cooper hob einen Arm. Als er ihn senkte, folgten ihm beide Gruppen um die Ecke. Die dort im Gefecht befindlichen Personen schienen sie zunächst nicht zu bemerken, doch als sich zufällig jemand umwandte, schlug ihnen sogleich Blasterfeuer entgegen. Nach nur wenigen Sekunden war das Gefecht vorüber.

Jason und Joel erhoben sich und traten zur Barrikade. Von dort spähten sie in den Gang und sahen in größerer Entfernung etwas auf dem Gang. Mit Hilfe der Helmoptik erkannte Jason eine improvisierte Barrikade, die anscheinend aus Büromöbeln und irgendwelchen Kisten erstellt worden war. Joel Cooper aktivierte seinen Helmlautsprecher.

„Hier sind die Special Forces der Föderation. Wir möchten mit ihnen reden. Kommen sie bitte unbewaffnet zu uns herüber!“

Dann schaltete er zurück auf den Funkkreis.

„Du oder ich?“

Jason drückte wortlos seinem Nebenmann sein Blastergewehr in die Hand und trat vor die Barrikade. Dort nahm er seinen Helm ab.

Dann ertönten plötzlich Geräusche, die er hier niemals zu hören vermutet hätte. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, der so ungeheuerlich war, dass er ihn sofort wieder verdrängte. Doch die Geräusche wurden lauter und als sich eine Gestalt langsam von der improvisierten Barrikade löste und auf sie zukam, musste er ein Aufstöhnen unterdrücken.

„Bitte schießen sie nicht! Können… können sie beweisen, dass sie nicht zu Denen gehören?“

Jason hörte einen klagenden Laut über sein Headset und sah dann einen der Marines in einer Energierüstung neben ihn treten. An den Markierungen erkannte er Joel Cooper.

Die Gestalt vor ihnen kam langsam näher und Jason musste sich zwingen, sie anzusehen. Der größte Teil des Körpers war der eines Pferdes. Ein ausgewachsener Pferdekörper mit einem tiefschwarzen Fell. Doch dort, wo eigentlich Hals und Kopf eines Pferdes sein sollten, ragte nun der Oberkörper eines Menschen auf. Der menschliche Körper hatte eine helle Haut. Das Gesicht war das eines jungen Mannes mit tiefschwarzen Haaren und braunen Augen. Unauffällig wanderten Jasons Augen an dem Pferdekörper entlang. Eindeutig ein Hengst.

Der junge – Mann? – trug ein schweres Blastergewehr in seinen Händen, das gleiche Modell, das auch der Sicherheitsdienst verwendete.

Ein Zentaur! Es hatte tatsächlich wieder jemand gewagt, die Grenzen der menschlichen Schöpfung zu übertreten!‘

In gut drei Metern Entfernung vor Jason blieb der Zentaur stehen. Trotz seiner 1,93 m musste Jason etwas zu ihm Aufsehen.

„Ich habe keine direkten Beweise. Ganz im Gegenteil.“

Jason stieß Joel Cooper leicht an und dieser nahm nun seinen Helm ab. Vollkommen erstaunt musterte der Zentaur den Felidaner, dann stieß er lediglich hervor.

„Ein Urvater!“

Blitzschnell wandte er sich um und galoppierte mit trommelnden Hufen den Gang hinauf, um dort hinter seiner Barrikade zu verschwinden.

Joel Cooper sah fragend zu Jason O’Brian auf.

„Bist du sicher, dass das jetzt richtig war? Der muss ja denken, dass du auch zu Leuten gehörst, die genetische Experimente machen.“

Jason schüttelte seinen Kopf.

„Nicht so ganz. Ich möchte vielmehr wissen, was dieser Urvater zu bedeuten hat.“

Joel seufzte nachdenklich.

„Wir waren das erste genetische Experiment, in dem erfolgreich eine Tierspezies mit einem Menschen gekreuzt wurde. Vielleicht bezieht sich das ja darauf.“

„Dann müssten sie aber von diesen Versuchen wissen. Glaubst du, man hat ihnen erzählt, wie die Experimente ausgegangen sind?“

„Keine Ahnung. Aber ich habe eine andere Befürchtung. Wir Felidaner wurden gezüchtet, um eine Art Supersoldaten zu erzeugen. Wenn die Experimente hier ebenfalls darauf aus waren, werden wir möglicherweise auf weitere Kreuzungen treffen. Denn, mal ehrlich, Zentauren sind nicht wirklich gut als Soldaten einsetzbar.“

„Aber wofür wurden sie dann gezüchtet?“

Auf einmal meldete sich eine weitere Stimme in ihren Headsets.

„Wenn wir das wüssten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Ich habe den Mond soeben zum Sperrgebiet erklärt und ein Schlachtschiffgeschwader der Flotte zur weiteren Absicherung angefordert, ebenso wie ein Landungsgeschwader. Seine Majestät und der Premierminister wurden informiert. Eine Einheit des Intelligence Corps ist ebenfalls auf dem Weg hierher. Wir gehen ganz normal weiter vor. Ich hätte ebenfalls gerne ein paar Antworten.“

„Jawohl, Admiral. Was machen wir jetzt mit den Zentauren?“

Die Stimme wechselte und Scion erkannte Colin Campbell.

„Unsere Landungsabteilung wird weiter vorrücken. Joel und Robin bitte ohne Helm nach vorne. Aber passt gut auf die Beiden auf. Scion, ihr müsst unbedingt wieder Kontakt aufnehmen. Dieser Zentaur kann bestimmt noch mehr erklären. Es liegt jetzt an euch, soviel wie möglich zu erfahren. Scion, you have it.“


Alexandros galoppierte so schnell er konnte zurück zu den Beobachtern. Er konnte es noch immer nicht fassen. Er hatte einen Urvater gesehen! Dabei dürfte es sie doch überhaupt nicht geben. Man hatte ihnen bedauernd mitgeteilt, die erste auserwählte Rasse sei vor über 200 Jahren von den Menschen der Föderation ausgerottet worden.

Doch er wusste, was er gesehen hatte. Mit bebenden Flanken kam er etwas rutschend zum Stehen.

„Was ist los? Was hast du gesehen?“

Neugierig kamen die Beobachter näher. Alexandros holte mit seinen oberen Lungen tief Luft.

„Sie haben einen Urvater dabei.“

„Was?“ - „Unmöglich.“ - „Warum?“

Die Kommentare und Fragen der anderen Zentauren schwirrten herum und nun näherte sich einer von ihnen Alexandros. Er lenkte seinen etwas kleineren Pferdekörper neben den tiefschwarzen Hengst und strich dann mit einer Hand über den menschlichen Rücken. Vom Kopf an abwärts verlief über die Wirbelsäule herunter ein schmaler Streifen von schwarzen Haaren, um dann in das ebenfalls schwarze Deckhaar überzugehen. Dieser schmale Streifen war das Überbleibsel der Mähne.

Der etwas kleinere Hengst hatte kastanienrotes Deckhaar und fuchsrotes Langhaar an Kopf, Rücken und Schweif.

„Beruhige dich, Alex. Erzähl einfach, was passiert ist.“

Alexandros drehte sich ein wenig mit seinem Pferdekörper und beugte seinen Oberkörper etwas herunter. Dann gab er dem jungen Zentaur vor sich einen flüchtigen Kuss.

„In Ordnung, Demi. Aber ihr könnt mir ruhig glauben, ich habe tatsächlich einen Urvater gesehen.“

Kurz berichtete Alexandros, was geschehen war. Einer der anderen Zentauren meldete sich aus dem Hintergrund.

„Und die Menschen haben tatsächlich den Wachposten der Schöpfer beseitigt? Kann das bedeuten, dass sie auf unserer Seite sind?“

„Ich weiß es nicht. Aber sie sind wahrscheinlich der Grund, warum der Alarm ausgelöst wurde und der Befehl zur Vernichtung gegeben worden ist. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, warum sie einen Urvater dabeihaben sollten. Beherrschen die Menschen die Urväter oder haben sie sogar neue gezüchtet? Wenn sie ebenfalls Züchter sind, wollen sie vielleicht das Labor mit den Jewels haben.“

„Und warum haben sie dich dann nicht eingefangen?“

„Ich bin ebenso ratlos wie ihr. Ich werde noch einmal nach vorne gehen und ihnen gegenübertreten. Sie haben beim ersten Mal nicht auf mich geschossen, werden es dann wohl auch jetzt nicht machen. Ob sie allerdings…“

Alexandros wurde von einem jungen Zentaur, einem Fohlen fast noch, lautstark unterbrochen.

„Da kommen welche! Zwei Menschen nähern sich unserer Absperrung!“

Rasch galoppierte Alexandros hinter dem Jungzentaur her und spähte in den Gang hinein und über ihre improvisierte Absperrung hinweg. Hier waren hauptsächlich Kisten und kleine Container aus den Lagerräumen verwendet worden.

Tatsächlich kamen dort zwei Gestalten langsam näher. Die eine in einer silbernen Rüstung, die andere in einer schwarzen Rüstung mit einem großen goldenen Stern. War das ein Anführer?

Unwillkürlich hielt Alexandros den Atem an. Die beiden gerüsteten Gestalten nahmen nun ihre Helme ab und er erkannte in dem einen sofort den Urvater mit dem hellbraunen Fell, den er schon zuvor gesehen hatte. Der andere war ebenfalls ein Urvater! Sein Fell war fast weiß, aber mit dunklen Flecken.

Dann sah Alexandros ungläubig zu, wie beide anfingen, ihre Rüstungen abzulegen. In kurzer Zeit lagen die Teile der Rüstungen auf dem Boden und beide waren nur noch in einen engen Anzug gekleidet, den sie nun auch noch ablegten. Nur mit ihrem Fell bekleidet kamen sie langsam auf Alexandros zu, der beide neugierig und auch etwas ängstlich musterte. Was wollten sie ihm mit ihrer Aktion sagen?


Joel und Robin hatten sich kurz unterhalten und beide hatten die gleiche Idee. Scion war etwas weniger davon begeistert, doch schließlich willigte er ein. Langsam machten sich die beiden Felidaner auf den Weg hinüber zur Absperrung, hinter der der Zentaur verschwunden war.

Schon nach wenigen Schritten erkannten sie, dass man sie bemerkt hatte. Es gab eine Bewegung hinter der Absperrung und kurz darauf erschien auch wieder der schwarzhaarige Zentaur von ihrer ersten Begegnung.

Wie abgesprochen, begannen Joel und Robin damit, ihre Rüstung abzulegen. Der Zentaur sah von weitem zu und er schien ehrlich erstaunt zu sein. Dann folgten die Jumpsuits. Joel grinste nur, als Robin spielerisch nach seinem Schweif griff.

„War das jetzt eine Einladung?“

„Wer weiß? Aber mal sehen, was unser neuer Freund da drüben zu sagen hat.“

Langsam bewegten sich die beiden Felidaner näher, als plötzlich weitere Hufgeräusche ertönten. Hinter der Barrikade kam ein weiterer Zentaur hervor, etwas kleiner als der schwarze und mit kastanienrotem Deckhaar und fuchsroten Kopfhaaren. Etwas zögernd trat er neben den Ersten.

Robin lächelte leicht.

„Erinnert mich ein Bisschen an David.“

Joel nickte und beobachtete nachdenklich die beiden Zentauren, die dicht nebeneinanderstanden, so dass ihre Pferdeleiber sich gegenseitig berührten.

Joel und Robin blieben etwa zwei Meter vor ihnen stehen und Joel sah zu dem schwarzhaarigen jungen Mann auf. Aus seiner jetzigen Perspektive konnte er ihn nicht anders als einen jungen Mann wahrnehmen, der ihn etwas unsicher ansah.

„Guten Tag. Mein Name ist Joel Cooper und ich bin ein Offizier der Streitkräfte der Föderation.“

Nichts hätte die beiden Zentauren wohl mehr erschrecken können als diese Aussage. Der kleine Rothaarige stieß einen leisen Schrei aus und Robin bemerkte, dass der Pferdekörper nervös hin und her zuckte. Der Schweif war in ständiger Bewegung. Der Schwarzhaarige starrte Joel ungläubig an.

„Ein… ein Offizier der Föderation? Aber… aber, die Föderation hat doch die Urväter ausgerottet.“

Joel und Robin sahen sich kurz an. Das würde schwierig und langwierig werden.

„Nun, wir sind hier und unsere Rasse wurde keineswegs ausgerottet. Wir haben von der Föderation sogar einen eigenen Planeten bekommen, wo wir uns niederlassen konnten.“

Beide Zentauren schienen wie erstarrt. Robin sah betroffen, wie dem kleineren langsam die Tränen herunterliefen und auch der größere der beiden schien sichtlich ergriffen.

„Ich muss mich entschuldigen, ich war unhöflich. Mein Name ist Alexandros und ich bin einer der Betreuer der Jewels. Dies hier ist Demetrius, mein Partner.“

Joel und Robin verzogen keine Miene bei der Vorstellung, machten sich aber ihre Gedanken, was die Bezeichnung Partner wohl genau bedeutete.

„Wir möchten ganz gerne wissen, warum die Föderation hier ist und ob sie uns helfen kann.“

„Wir sind hergekommen, weil es Hinweise auf genetische Experimente auf diesem Mond gab. So wie es aussieht, stimmen diese Hinweise. Nach den Gesetzen der Föderation sind sämtliche Experimente, die extreme Veränderungen an menschlichen Genen vornehmen, strengstens verboten. Explizit stehen genetische Experimente mit Tiergestalten unter Todesstrafe. Die Wissenschaftler und auch ihre Helfer müssen verhaftet und bestraft werden.“

„Was ist mit uns? Werden wir ebenfalls bestraft oder getötet?“

„WAS?! Warum solltet ihr? Ihr seid die Opfer dieser Experimente. Die Föderation schuldet euch sogar etwas, denn ihr seid entstanden, weil die Gesetze nicht ausreichend überwacht und durchgesetzt werden konnten. So ungerne ich jetzt frage, aber gibt es außer euch noch andere Veränderungen, die in diesen Biolaboren hergestellt worden sind?“

Alexandros und Demetrius sahen sich schweigend an, dann antwortete Demetrius.

„Ja, es gab noch weitere Experimente mit anderen Tiergestalten. Allerdings waren nicht alle erfolgreich. Einige waren geistig instabil, andere hatten starke körperliche Missbildungen, die nicht korrigiert werden konnten. Außer uns gibt es von den Tierkreuzungen nur noch wenige Caniden, die momentan von den Schöpfern als Wächter eingesetzt werden. Sie sind, wie gesagt, etwas geistig instabil und greifen alles an, was ihnen vor die Fänge kommt. Und dann sind da noch die wenigen übriggebliebenen Aves.“

Robin schloss entsetzt seine Augen.

„Aves? Das sind Vögel. Man hat den Genotyp von Vögeln verwendet?“

Alexandros räusperte sich verlegen.

„Ja. Man wollte Menschen haben, die fliegen können. Sie haben ein Flügelpaar auf den Rücken bekommen. Doch das war natürlich vergeblich. Die Schwingen waren viel zu klein, um das Gewicht zu tragen. Wurden die Schwingen größer, war die Muskulatur unzureichend. Dann hat man das Knochengerüst leichter gemacht. Doch das führte zu vielen Todesfällen bei Abstürzen. Die letzten Aves können nicht wirklich fliegen, sie können nur gleiten. Aber es gibt auch nur noch knapp vierhundert von ihnen.“

„Wir müssen unseren Vorgesetzten berichten, was wir erfahren haben. Und dann müssen wir die Verantwortlichen finden.“

„Nein, ihr müsst zuerst die Jewels beschützen!“

„Bitte?“

Alexandros stieß Demetrius leicht an, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Wir sind die Betreuer und nun auch die Wächter der Jewels. Nachdem die Versuche mit tierischer DNA fehlgeschlagen waren, hat man auf etwas anderes zurückgegriffen. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert, aber es ist ein Implantat, das über die ganze Hautoberfläche reicht. Sie haben es Körperjuwelen genannt. Eine Legierung, die in den verschiedensten verschlungenen Mustern auf der Haut angebracht wird. Wenn Energie zugeführt wird, sollen die Implantate die körperliche Leistungsfähigkeit stark erhöhen können.“

„Cyborgs? Menschliche Körper mit Technik? Wie grausam ist das denn?“

„Ziemlich, denn die Implantate werden in die Haut eingebrannt. Und damit sie mit dem Körper mitwachsen, werden sie jedes Jahr ergänzt.“

„Mitwachsen?“

„Oh, ja. Die Jewels bekommen ihre Implantate mit etwa zwölf oder dreizehn. Dann beginnt die Ausbildung damit. Natürlich wachsen die Körper noch und die Implantate müssen angepasst werden. Würden sie das nicht, bliebe das Metall in der ursprünglichen Größe und was das dann für den Körper bedeutet, ist klar.“

Joel erschauerte. Was gab es denn noch alles in diesem Labor?

„Die Wächter haben bei Auslösen des Alarms versucht, unser Labor, die Reproduktionszone und unsere Wohnbereiche zu zerstören. Wir konnten sie daran hindern, doch es ging nicht ohne große Verluste. Wir können den Wohnbereich der Jewels nicht mehr lange halten. Dort leben etwa 400 Kinder und Jugendliche, die älteren Jahrgänge schon mit den Implantaten.“

„Gibt es ein Problem, wenn wir mit unseren Soldaten zu euch stoßen sollten?“

„Die anderen sind Menschen? Nun, uns hat man beigebracht, die Menschen würden uns verachten. Sie wären neidisch auf unsere besseren Körper und die größere Leistungsfähigkeit. Deshalb hätten die Menschen ja auch alle Urväter ausgerottet, weil sie keine Konkurrenz neben sich haben wollten.“

„Nun, dann werdet ihr wahrscheinlich eine kleine Überraschung erleben. Etliche unserer Soldaten sind auf unterschiedlichen Welten aufgewachsen und man hat dort genetische Veränderungen vorgenommen, um sie an ihre Umwelt anzupassen. Aber eben nur die eigene DNA, nicht eine extra zugefügte. Menschen sind nicht alle gleich, deshalb besteht auch kein Neid auf irgendwelche Leistungsfähigkeit. Der Unterschied, auf den es ankommt, der existiert hier.“

Damit tippte sich Joel gegen die Stirn. Beide Zentauren nickten zustimmend.


Joel Cooper und Robin Yeats hatten ausführlich von ihrer Begegnung berichtet und nun wurde es hektisch auf der GOLDEN BOY. Die zusammengefassten Berichte wurden an verschiedene Stellen übermittelt und schon nach kurzer Zeit kamen die ersten Antworten. Tim Sheldon sah nachdenklich auf ein Display in seiner Kammer.

„Wir kriegen noch mehr Besuch. Jetzt nimmt die Angelegenheit so richtig Fahrt auf. Das Flottenkommando hat ein weiteres schweres Kampfgeschwader her befohlen. Die Föderationspolizei ist unterwegs, begleitet von einem Ermittlungsrichter. Der Herzog von Haldron ist ebenfalls auf dem Weg hierher und dann noch eine Abordnung der Abteilung für Genetische Anpassung des Kolonialministeriums.“

Colin Campbell schüttelte lediglich den Kopf, während Rian Drake leise seufzte.

„Dann müssen wir noch eine Menge vorbereiten. Das Kampfgeschwader soll die Eintrittspunkte überwachen. Ich will niemanden hier herumfliegen haben, der hier nichts zu suchen hat. Für den Herzog und den Ermittlungsrichter können wir schon mal die ganze Vorgeschichte bis hin zur Landung hier aufbereiten. Die Typen vom Kolonialministerium will ich erst hier unten haben, wenn alles gesichert ist. Die wollen wahrscheinlich an die Datenbanken mit den Versuchen. Da müssen wir sehen, ob wir das nicht verhindern können.“

„Wie willst du das denn verhindern?“

„Mit dem Gesetz zum genetischen Eigentumsrecht. Das ist damals erlassen worden, als die Felidaner mit Erfolg ihr Recht auf Eigentum an der eigenen genetischen Sequenz eingeklagt haben. Wenn hier denkende Wesen erschaffen worden sind, haben sie das alleinige Verfügungsrecht auf ihre genetischen Daten.“

„Das gibt es tatsächlich?“

„Ja, ist nicht besonders bekannt, aber es existiert immer noch. Man hat es wohl damals so großzügig ausgelegt, weil man dachte, das passiert sowieso nicht wieder. Und dann war es natürlich auch ein Grund für große Konzerne, keine genetischen Experimente zu machen. Sollten sie denkende Wesen erschaffen, hätten sie damit automatisch alle Rechte an ihre Opfer abgetreten müssen.“

„Das müssen wir den Betreffenden genau erklären, bevor die Typen vom Kolonialministerium kommen. Ich traue denen nicht über den Weg,“

Colin lehnte sich etwas zurück und sah Rian fragend an.

„Hast du schon eine Idee, was mit den Zentauren geschehen soll, wenn wir hier fertig sind?“

„Das muss sich entwickeln. Rein theoretisch hätten sie das Recht auf einen eigenen Planeten, wenn man die Felidaner als Exempel nimmt. Aber die Frage ist, was wollen sie selber?“

„Also erst mal zurückstellen. Irgendetwas, was wir noch beachten sollten?“

„Wir müssen sehen, wann die Marines eintreffen. Es kommt ein komplettes Landungsgeschwader, das ist eine ganze Division. Ich werde versuchen, dem Kommandeur nicht allzu sehr auf die Füße zu treten. Wieviel brauchen wir hier unten denn tatsächlich?“

Colin Campbell dachte einen Moment lang nach.

„Die Hangaranlagen müssen gesichert werden. Dann die umliegenden Einrichtungen. Fürs erste dürfte ein Bataillon reichen. Je nachdem, was wir noch entdecken und welcher Widerstand uns entgegengesetzt wird, können wir immer noch nachfordern.“

„Na gut. Dann wollen wir mal sehen, wer als erster eintrifft.“


Scion Rhyder hatte seine gesamten Truppen zum Sammelplatz der Zentauren gebracht. Von ihrer selbstgebauten Barrikade auf dem Gang führte eine Tür in einen mit BIOLABOR gekennzeichneten Bereich. Dort hatten sie direkt in der Nähe der Tür einen Lagerraum als Unterstand hergerichtet. Von hier aus wurde die Barrikade in Schichten besetzten.

Die Marines waren etwas zurückhaltend begrüßt worden, die beiden Felidaner jedoch wurden mit scheuen Blicken bedacht.

Jason O’Brian machte Scion ein Zeichen, dass er ihn unter vier Augen sprechen wollte.

„Was gibt es?“

„Ich habe ein kleines Problem. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber einige meiner Jungs sind wohl noch ein Bisschen, hm… in ihrer Pubertät steckengeblieben.“

„Hu?“

„Na ja. Es gab da wohl ein paar unschöne Äußerungen über die Zentauren.“

„Was? Wenn sie jemanden beleidigen, ist das Anlass für eine disziplinare Maßnahme.“

„Es ist keine direkte Beleidigung. Aber die Zentauren tragen nun mal keine Bekleidung. Und da gab es wohl so Kommentare wie ‚Riesenschwengel‘ und ‚dicke Eier‘ und sowas.“

Scion musste unwillkürlich grinsen.

„Sag ihnen beim nächsten Mal, sie sollen einfach nicht neidisch sein. Wenn sie auch sowas haben wollen, müssten sie schon als Zentaur geboren sein. Aber sie können meinetwegen gerne ihre Sachen ablegen und sich einem Vergleich stellen.“

Jason lächelte schwach.

„Wohl kaum. Die wissen genau, wie das ausgeht.“

„Aber es ist schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Bei einem Tier sieht man einfach darüber hinweg. Aber das sind denkende und fühlende Wesen. Apropos fühlend. Hast du die beiden mal genauer beobachtet?“

Scion deutete unauffällig zu Alexandros und Demetrius, die dich nebeneinanderstanden. Jason blickte ebenfalls hinüber.

„Du meinst, die beiden sind zusammen?“

„Kommt mir jedenfalls so vor. Aber ist dir schon mal etwas anderes aufgefallen? Es gibt hier keinen einzigen weiblichen Zentauren.“

„Hm, stimmt. Entweder, sie wollen sie nicht an vorderster Front haben, oder es gibt nur wenige von ihnen. Oder es gibt sogar gar keine.“

„Was? Wieso?“

„Die genetischen Experimente müssen am Anfang zumindest in Brutkästen und dann in Aufzuchttanks durchgeführt worden sein. Vielleicht hat man deshalb ganz auf weibliche Exemplare verzichtet.“

„Wahrscheinlich werden sie es uns im Laufe der Zeit ohnehin erklären. Wir müssen sehen, dass wir weiterkommen. Wir haben Befehl, die Laboreinrichtungen mit den Datenbänken zu sichern. Dann müssen wir dafür sorgen, dass dieser ominöse Vernichtungsbefehl nicht weiter ausgeführt wird. Dazu müssen wir wohl diese Jewels befreien und die restlichen Bewohner vor der Security beschützen. Auf geht’s.“

Liam Kennedy hatte sich etwas von seinen Kameraden abgesetzt und beobachtete das gute Dutzend Zentauren, die sich in dem Lagerraum versammelt hatten. Er hatte seine letzten Jahre auf einer Ranch mit einer ganzen Anzahl von Pferden verbracht und kannte sich ziemlich gut aus, was Reiten und Pferdepflege betraf. Aber das hier war etwas ganz anderes.

Die Zentauren waren denkende Wesen, deren Körper lediglich zu einem gewissen Teil aus einem Tier bestand. So wie er die Felidaner als Menschen akzeptierte, musste er das auch bei den Zentauren machen.

Bewundernd betrachtete Liam einige der Pferdekörper, die anscheinend von verschiedenen Pferderassen stammten. Die meisten schienen Quarterhorses zu sein, aber er erkannte auch einen Araber und einen Friesen.

„Na, interessant?“

Liam fuhr erschreckt herum und sah sich einem wirklich schweren Pferdekörper gegenüber. Das Fell war braun mit weißen Abzeichen an den Beinen. Die Langhaare der Restmähne und des Schweifs waren dunkelbraun. Der menschliche Oberkörper schien genauso muskulös wie der Pferdekörper, doch das jugendliche Gesicht passte irgendwie nicht ganz dazu. Die dunkelbraunen Haare hatten eine auffällige weiße Strähne über der Stirn. Braune Augen sahen nachdenklich auf Liam herab.

„Ja. Du bist ein Clydesdale, richtig?“

Erst als er den Satz ausgesprochen hatte, merkte Liam, dass er wohl einen Fehler gemacht hatte. So, wie die Felidaner niemals mit einer Hauskatze verglichen werden wollten, so würden die Zentauren es wohl auch kaum mögen, auf ein Pferd reduziert zu werden.

Das Gesicht des jungen Zentauren verdüsterte sich auch prompt. Doch dann stutzte er.

„Du kennst dich mit den Pferderassen aus?“

„Äh, ja. Ich habe einige Jahre auf einer Ranch gearbeitet und dort hatten wir mit Pferden zu tun.“

Liam verkniff sich die Bemerkung, dass sie die Pferde auch als Reittiere genutzt hatten.

„Ach so? Was ist eine Ranch?“

Liam versuchte nun etwas umständlich den Zweck einer Ranch zur Viehhaltung und das Leben dort zu erklären.

„Das ist interessant. Davon haben viele von uns schon geträumt. Einmal über richtiges Gras zu laufen und eine fast unendliche Weite zu genießen. Wenn du Zeit hast, müssen wir uns unbedingt etwas mehr darüber unterhalten. Ach so, entschuldige bitte, mein Name ist Myron aus dem fünften Jahrgang.“

„Ich bin Liam. Was hat es mit dem Jahrgang auf sich?“

„Wir wurden alle in den Brutanlagen des Labors aufgezogen. Da es für Zentauren nur 100 Tanks gibt, hat man verschiedene Jahrgänge eingerichtet. Ich gehöre zum fünften Jahrgang. Alexandros zum Beispiel gehört zum ersten Jahrgang.“

„Wieviel Jahrgänge gibt es denn?“

„Achtzehn. Man hat die Nachzucht der Zentauren eingestellt, als sie festgestellt haben, dass die Experimente mit den Jewels erfolgreich waren.“

Liam war während des Gesprächs etwas näher an Myron herangetreten. Es war etwas unangenehm, die ganze Zeit nach oben zu blicken. Wollte man eine vernünftige Unterhaltung führen, musste man schon fast drei Meter vor dem Zentauren stehen. Doch Myron schien es nicht zu stören, dass Liam nun fast direkt neben ihm stand und ihm nicht mehr ins Gesicht sah.

„Dein Fell ist sehr hübsch.“

„Oh, danke. Ich bin zwar der Ansicht, dass es nichts Besonderes ist, aber wenn du meinst…“

„Klar, meine ich.“

Ohne sich darüber bewusst zu sein, strich Liam mit einer Hand über das Fell, dort wo sich der Übergang vom nackten Oberkörper zum Pferdekörper befand.

„Du weißt aber schon, was du da machst, oder?“

„Bitte?“

Myron seufzte leicht und grinste dann, was Liam aber nicht sehen konnte.

„Es gibt nur zwei Gründe, über das Fell eines Zentauren zu streichen. Der eine ist die Fellpflege.“

Liam stutzte.

„Und der andere?“

„Dürfte für dich weniger in Frage kommen.“

Liam überdachte die Äußerung einen Moment, bis er erkannte, worauf Myron anspielte. Sofort nahm er seine Hand zurück.

„Du brauchst nicht aufhören. Es ist ein angenehmes Gefühl. Ich könnte wohl ein wenig Fellpflege gebrauchen.“

Liam war nun etwas verwirrt, strich aber wieder über das Fell, bis er hinter sich eine andere Stimme hörte.

„Hier, wirst du brauchen.“

Erstaunt drehte er sich um, um dann sogleich nach oben zu sehen. Demetrius reichte ihm mit einem breiten Lächeln Striegel und Kardätsche und entfernte sich dann wieder kommentarlos. Wortlos machte sich Liam ans Werk.

Scion, Jason und Joel sahen aus einiger Entfernung zu und Joel Cooper schüttelte nur seinen Kopf.

„Was hat er denn vor? Das könnte möglicherweise zu Problemen führen. Aber wir müssen sehen, dass wir weiterkommen. Irgendwelche neuen Nachrichten?“

„In der Föderation ist so etwas wie operative Hektik ausgebrochen. Man hat eine ganze Division Marines herbeordert. Allerdings wüsste ich nicht, wie die uns helfen könnten.“

Joels Ohren zuckten etwas nervös hin und her.

„Die sollen am besten da bleiben, wo sie sind. Die verbreiten nur Unruhe.“

Scion lachte.

„Das sag denen mal. Ah, Alexandros kommt herüber. Mal sehen, was er Neues erfahren hat.“

Der Zentaur blieb vor den drei Offizieren stehen und sah auf sie herab.

„Der Zugang zu den Quartieren der Jewels ist abgeriegelt. Was die Jewels anbelangt, sind wir allerdings nicht sicher, wie sie überhaupt auf die Veränderungen reagieren.“

„Was willst du damit sagen?“

„Die Kinder, die man für die Verwendung als Jewels herangezüchtet hat, haben eine ziemlich fordernde Ausbildung erhalten. Hauptsächlich natürlich körperliche Ertüchtigung, aber auch eine schulische Ausbildung. Ähnlich wie bei uns hat man ihnen beigebracht, dass die Föderation sie sofort töten würde, wenn sie entdeckt werden. Man würde bei der Föderation keine genetischen Experimente dulden. Alles müsste vernichtet werden. Als neue Supermenschen wären sie besonders gefährdet. Erst wenn genug von ihnen vorhanden sind, könnte man daran gehen, die Föderation zu erobern und zu beherrschen.“

„Was? Im Ernst?“

„Mit den jüngeren könnte es einfach werden, aber die vier oberen Jahrgänge haben ihre Juwelen schon. Sie haben auch die nötigen Kampffertigkeiten und mit den aktivierten Juwelen sind sie nahezu unschlagbar.“

„Keine guten Aussichten.“

„Nein. Aber es kommt noch schlimmer. Ich habe bereits die Erneuerung der Juwelen erwähnt. Wenn die Jungen überleben sollen, müssen wir auch die komplette Anlage sicherstellen und ihre Funktion lernen. Wir brauchen…“

Alexandros wurde durch einen heranpreschenden Zentaur unterbrochen. Der noch junge Zentaur mit dem hellen Fell und zahlreichen dunklen Flecken war anscheinend der Kurier für die kleine Abteilung.

„Bias, nicht jetzt.“

„Aber es ist wichtig!“

Alexandros wandte sich zunächst an Scion.

„Tut mir leid, aber Alkibiades ist noch neu. Er ist unsere Verbindung zu unseren anderen Gruppen. Was gibt es?“

„Helios lässt ausrichten, dass die Aves das Rechenzentrum des Biolabors besetzt haben. Aber sie wissen nicht, wie lange sie sich dort halten können.“

„Was? Wir brauchen den Rechner für die Anlage der Jewels und wir brauchen auch all unsere Reproduktionsprotokolle.“

Joel Cooper sah Scion alarmiert an. Dann wandte er sich an Alexandros.

„Was für Reproduktionsprotokolle? Ihr seid doch nicht geklont.“

„Nein, sind wir nicht. Aber es gibt da Schwierigkeit bei den Zentauren und auch bei den Aves.“

Alexandros sah Alkibiades einen Moment lang an, doch dann zuckte er mit den Schultern.

„Er kann es auch ebenso gut jetzt erfahren. Wenn sich Zentauren fortpflanzen, geschieht das auf die traditionelle Art.“

Joel seufzte erleichtert.

„Also gibt es weibliche Zentauren.“

„Ja, tut es. Allerdings wären weder ein menschlicher noch ein Pferdekörper dazu geeignet, einen Zentauren auszutragen. Die Proportionen stimmen nicht mit den vorhandenen Organen überein. Deshalb werden die Embryonen schon im frühen Stadium entnommen und in einem Brutkasten entwickelt. Es dauert fast zwei Jahre, bis ein Zentaur ‚geboren‘ wird. Dann kommt er in einen Aufzuchttank für weitere vier Jahre. Dort muss die unterschiedliche Entwicklung des menschlichen und des Pferdekörpers abgewartet werden. Erst wenn die Kleinen so weit sind, sich selbständig zu orientieren und bewusst zu denken, können sie auch gefahrlos ihren Körper einsetzen.“

„Lass mich raten. Die Reproduktionsprotokolle steuern Brutkasten und Aufzuchttanks. Ohne sie wären die Zentauren vom Aussterben bedroht. Ähnlich ist es bei den Aves. Die Schwingen sind zu groß.“

Alexandros nickte traurig.

„Wie weit sind wir von diesem Rechenzentrum entfernt?“

„Der Grundriss des Biolabors ist rechteckig. Ein breiter Gang läuft außen um das ganze Labor herum. Drei weitere Gänge teilen das Labor in vier Sektoren. Wir befinden uns hier im östlichsten Teil. Da sind die Trainings- und Ausbildungsanlagen untergebracht. Im nächsten Sektor sind die Reproduktionsanlagen. Fast ausschließlich Brutkästen und Aufzuchttanks. Von unseren hundert Tanks sind noch fünfundzwanzig in Betrieb mit dem letzten Jahrgang. Die Aves haben keine mehr. Aber sie haben die fünfzig Tanks der Caniden und die fünfzig Tanks der Aves für ein neues Projekt umgerüstet. Allerdings weiß ich nicht, worum es sich handelt. Dort durften wir nie hin.“

„Sie haben noch ein neues Zuchtprogramm entwickelt, obwohl sie bereits mit den Jewels experimentiert hatten?“

„Keine Ahnung. Gerüchten zufolge soll es sich um Begleiter für die Jewels handeln. Aber von uns hat noch keiner etwas davon gesehen.“

„Okay, weiter. Was ist hinter den Reproduktionsanlagen?“

„Westlich davon ist der Labortrakt. Da sind die eigentlichen Forschungslabors mit den jeweiligen Datenstationen. Von dort aus werden auch die Reproduktionsanlagen gesteuert.“

„Was ist denn mit dem Rechenzentrum?“

„Das befindet sich im letzten, dem westlichsten Sektor. Hier steht der Zentralrechner mit allen relevanten Daten. Hier wird die Rechenkapazität für die Datenstationen vorgehalten. Und hier sind auch sämtliche Daten über alle Experimente, die jemals hier stattgefunden haben, abgespeichert.“

Scion seufzte. Das war deutlich mehr, als sie auf die Schnelle schaffen konnten.

„Also brauchen wir die Datenstationen für die einzelnen Reproduktionsanlagen und das Rechenzentrum mit dem zentralen Speicher. Das könnte eng werden. Was wird uns dort erwarten?“

„Ich bin mir nicht sicher. Die Aves haben das Rechenzentrum eingenommen, aber ich weiß nicht, wie lange sie sich dort halten können. Sie wollten ursprünglich versuchen, die Security dort zu binden, damit wir die Jewels befreien können. Zu den Jewels konnten wir ja auch durch, allerdings haben wir von dort noch keine Antwort.“

„Um ins Rechenzentrum zu gelangen, müssen wir also erst durch den Laborbereich, richtig?“

„Ja, das ist der einfachste Weg, allerdings auch der gefährlichste. Die Security hat im Laborbereich die Caniden freigelassen, damit wir nicht an die Datenstationen kommen.“

„Und wie sind die Aves durchgekommen?“

Alexandros bedachte Scion mit einem mitleidigen Blick.

„Caniden können weder klettern, noch fliegen.“

Scion Rhyder nickte etwas peinlich berührt und machte die ersten Durchsagen an das Landungskommando. Dann berichtete er der GOLDEN BOY, was sie herausgefunden hatten.

Liam Kennedy drückte Myron bedauernd Striegel und Kardätsche in die Hand.

„Ich muss leider los. Es geht weiter.“

„Schade. Es war so angenehm. Nicht nur die Fellpflege, auch deine Gesellschaft.“

Liam sah erstaunt zu Myron auf, während Myron nachdenklich auf Liam herabsah. Dann lächelte er leicht.

„Stell dich mal bitte dort drüben hin.“

Liam sah sich um und erkannte, was Myron meinte. Schnell kletterte er auf eine der zahlreichen leeren Kisten des Lagerraumes. Das passte. Nun konnte er Myron direkt in die Augen sehen. Langsam kam der Zentaur näher und nun standen sie sich gegenüber, dass sie sich fast berührten.

Etwas zögernd hob Liam seine Hand und legte sie dem Zentauren auf die nackte Brust.

„Du bist wunderschön. Werden wir uns wiedersehen?“

„Das würde ich gerne, aber denkst du nicht, dass es für uns beide etwas schwierig werden könnte?“

„Ich mag dich. Was sollte daran schwierig sein? Alles andere ist erst einmal zweitrangig. Aber ich weiß, woran du gerade gedacht hast. Wir werden auch dafür eine Lösung finden.“

Myron nickte leicht und Liam zog seinen Kopf zu ihm hin. Der Kuss war sanft und irgendwie zögernd, fast fragend. Liam fragte sich, ob das wirklich richtig war, was er hier machte.

Etwas unsicher und auch etwas traurig hüpfte Liam von seiner Kiste und sah zurück zu Myron. Konnte das wirklich etwas werden, zwischen ihnen beiden?


Scion versuchte, sich auf den Weg zu konzentrieren und nicht immer nach links und rechts zu sehen. Wie sie erfahren hatten, war die Reproduktion der Zentauren eingestellt worden, als der erste Jahrgang der Jewels erfolgreich getestet worden war. Man hatte die Embryonen aus den Brutkästen entfernt, lediglich der letzte Jahrgang der Zentauren befand sich noch in einem Aufzuchttank.

Scion wurde fast übel, als er die ganzen kleinen Zentauren in der Biolösung treiben sah, mit einem Schlauch wie mit einer Nabelschnur mit der Welt verbunden. An den Köpfen waren Bündel mit Kabeln angebracht und gaben dem Ganzen einen bizarren Eindruck.

„Neurale Stimulation,“ ertönte Alexandros‘ Stimme.

„Die ersten sensorischen Eindrücke werden vermittelt. Wenn die Kleinen geboren werden, können sie laufen, was der Pferdekörper eigentlich schon vorher leisten könnte. Aber die Entwicklung der beiden Spezies wurde dermaßen angepasst, dass die Größenverhältnisse jetzt einigermaßen stimmen.“

Scion versuchte, die gelegentlichen Kommentare auszublenden, doch es gelang ihm nicht immer. Verzweifelt fragte er sich immer wieder, wie jemand so etwas tun konnte.

Der Übergang von der Reproduktionszone zum Biolabor war von einem großen Trupp Zentauren besetzt, der ihnen neugierig entgegensah. Alexandros hatte ihr Erscheinen angekündigt und so kam es zu keinen unangenehmen Zwischenfällen.

„Hier wurden die eigentlichen Forschungen und Anpassungen durchgeführt. Man hat über dreißig Jahre daran gearbeitet und es gab zu Anfang wohl auch etliche Rückschläge. Man hat uns erzählt, die Pferde seien ausgewählt worden, weil es auf der alten Erde angeblich schon einmal Zentauren gegeben haben soll.“

Scion war etwas ratlos und gab die Information an die GOLDEN BOY weiter. Auch dort musste man erst einmal die Datenbanken bemühen.

„Scion, kannst du mich hören?“

„Jawohl, Admiral.“

„Ihr werdet wohl erst lockerer, wenn wir alle zusammen in einem Darkroom waren, oder was? Pass auf. Die Zentauren entstammen aus einem kleinen Kulturkreis von Terra I und waren dort eine Sagengestalt. Keine realen Wesen, sondern sie stammen aus mythischen Erzählungen. Und das noch vor Beginn unserer Zeitrechnung.“

„Das habe ich verstanden, Admiral. Darf ich das mit dem Darkroom auch weitergeben?“

„Meinetwegen. Aber beschwert euch nicht, wenn das tatsächlich stattfindet. GB Ende.“

Scion gab die Information über die Zentauren weiter und wunderte sich ein wenig. Vor Beginn der Zeitrechnung? Das waren mindestens 3.700 Jahre. Wer wusste denn sowas? Oder hatte man bei den Versuchen absichtlich auf solche vagen Geschichten zurückgegriffen?

„Da vorne kommt gleich der Durchgang zum Laborbereich. Wartet bitte einen Moment, ich möchte zuerst mit Helios sprechen.“

Alexandros galoppierte davon und Scion sah ihm nachdenklich hinterher. Was würden die Zentauren machen, wenn sie diesen Mond verlassen mussten?

Nach einer Weile kehrte Alexandros zurück. In seiner Begleitung befand sich ein weiterer Zentaur mit fast goldgelbem Langhaar und hellbraunem Deckhaar. Der junge Mann schien genauso alt zu sein wie Alexandros, doch sein Gesicht wirkte verschlossen. Neben den beiden bemerkte Scion nun eine weitere Person. Er hatte gedacht, es würde ihn so schnell nichts überraschen können, doch die Beschreibungen der Aves trafen ihr tatsächliches Erscheinungsbild nur unzureichend.

Der junge Mann war, gemessen an den Zentauren nicht übermäßig groß, doch Scion schätzte ihn ohne weiteres auf 1,90 m. Die Statur war beeindruckend, mit breiten Schultern und einer ausgeprägten Brustmuskulatur. Der junge Mann trug lediglich eine kurze Hose und der Grund dafür stach dann auch sofort ins Auge. Es waren zwei mächtige Schwingen, die zusammengefaltet hinter seinem Rücken aufragten und den Kopf wohl noch um einen halben Meter überragten.

Die Federn der Schwingen waren schneeweiß, ebenso wie die Haare des jungen Mannes. Sein Gesicht sah etwas verkniffen aus, als ob er Schmerzen hätte.

Alexandros ergriff als erster das Wort.

„Scion, dies sind Helios, der Anführer der Wächter und Itzcali, eine der Ersten Schwingen der Aves.“

„Dies ist Scion, der Anführer der Truppen der Föderation.“

Helios nickte schweigend, während Itzcali Scion von oben bis unten musterte.

Scion schwieg ebenfalls und wartete auf eine Reaktion. Als nach einer Weile nichts passierte, musste er sich etwas einfallen lassen.

„Joel, Robin, nach vorne.“

Die beiden inzwischen wieder voll ausgerüsteten Felidaner kamen nach vorne und stellten sich links und rechts von Scion auf. Dann nahmen sie ihre Helme ab. Helios starrte sie immer noch schweigend an, während Itzcali fast ungläubig von einem zum anderen sah.

„Ich konnte es nicht glauben. Oder vielleicht wollte ich es auch nicht. Wie konnten die Urväter überleben?“

Noch einmal wiederholte Joel Cooper kurz die Geschichte der Felidaner. Nun meldete sich zum ersten Mal auch Helios zu Wort.

„Den Urvätern einen eigenen Planeten zu überlassen ist eine Sache. Aber was ist mit uns? Wir können uns nicht eigenständig fortpflanzen. Wir können auch keine Planeten besiedeln. Von den ehemals 1.800 Zentauren leben gerade einmal noch die Hälfte. Wir sind auf die Anlagen hier angewiesen, wollen wir weiterhin existieren. Ich bezweifle, dass man uns hier auf diesem Mond leben lassen wird.“

Scion atmete tief durch und wandte sich an den Aves.

„Wie viele der Aves leben noch?“

„Etwa vierhundert. Aber wenn es so weiter geht im Rechenzentrum, wird bald nur noch die Hälfte davon übrig sein.“

Scion zuckte zusammen. Sie hatten einen Auftrag zu erfüllen.

„Das ist der Grund, warum wir hier sind. Wir werden euch helfen, das Rechenzentrum zu erobern. Mit den Daten können auf jedem beliebigen Planeten Aufzuchtanlagen betrieben werden.“

Helios sah Scion mit großen Augen an.

„Das wird man nicht machen. Das wäre viel zu teuer.“

Joel schüttelte lächelnd den Kopf.

„Das würde die Regierung den Kopf kosten. Sie müssen sich an unsere einmal beschlossenen Gesetze halten, koste es, was es wolle. Außerdem gäbe es immense Schwierigkeiten mit Charon III, meinem Heimatplaneten. Niemand möchte 60.000 aufgebrachte Felidaner erleben.“

„Sechzigtausend?!“

„Es sind mehr als zehntausend überlebende Felidaner angesiedelt worden. Wir haben eine etwas höhere Reproduktionsrate als Menschen, deshalb sind es nach 200 Jahren schon so viele.“

„Das ist alles faszinierend und doch verwirrend. Wie könnt ihr uns helfen?“

„Wir haben drei Kampfgruppen mit jeweils acht Soldaten in Energierüstungen und in Panzerrüstungen. Wir brauchen eine Übersicht über das Biolabor. Wo haben sich welche Gegner verschanzt und wie stark sind sie bewaffnet. Dann müssen wir wissen, wo sich die Datenstationen für die Reproduktion befinden.“

Helios nickte zustimmend.

„Die Datenstationen sind lediglich kleine Flachbauten mit einer Einrichtung für den Schichtdienst. Um sie herum gliedern sich die Büros und Laboreinrichtungen für das jeweilige Forschungsprogramm. Es gibt vier Datenstationen. Jeweils eines für Zentauren, Aves und die Jewels. Die Station und die Labors für die Caniden wurden abgesperrt und dort wird jetzt ein neues Programm gestartet. Im Labor hat sich die Security zurückgezogen, weil sie dort die letzten überlebenden Caniden freigelassen haben. Sie sind nicht bewaffnet, aber äußerst gefährlich.“

Helios deutete auf Alexandros.

„Alexandros hat euch sicherlich von den Caniden berichtet. Sie sollten ähnlich wie die Urväter gestaltet werden, doch hat man die genetischen Sequenzen nicht ausreichend aufeinander abstimmen können. Deshalb hat man der Einfachheit halber nur leichte Veränderungen vorgenommen. Größe und aufrechter Gang stammen von den Menschen. Kopf und Haut sind hauptsächlich von Wölfen. Sie sind geistig instabil und fallen alles an, was ihnen in die Quere kommt. Mit Auslösen des Vernichtungsprogramms hätten sie als erste liquidiert werden müssen, doch die Security hat sie, wie gesagt, im Laborbereich freigelassen.“

Joel sah zu dem Zentaur auf.

„Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als es mit ihnen aufzunehmen, wenn wir an die Daten wollen.“

Helios nickte lediglich und Itzcali sah sich nervös um.

„Wir müssen uns beeilen. Wir hatten, ehrlich gesagt, nicht an einen Erfolg geglaubt. Doch jetzt, wo es tatsächlich einen kleinen Schimmer von Hoffnung gibt, müssen wir alles unternehmen, damit wir überleben können.“

Scion war erschüttert. Die Aves waren dicht vor ihrer Ausrottung und nur ihr kleiner Landungstrupp konnte ihnen helfen. Er musste auf der GOLDEN BOY anfragen, welche Möglichkeiten der Unterstützung es noch gab.


„Bist du bescheuert? Was willst du da vorne? Du bist Einsatzleiter.“

„Bitte, Tim. Du solltest das doch am besten verstehen. Wir haben nichts anderes mehr, um den Landungstrupp zu unterstützen. Wenn sie diese Datenstationen nicht rechtzeitig erobern, sind alle Daten unwiederbringlich verloren und eine Reproduktion kann für die Aves und die Zentauren nicht mehr stattfinden. Die Jewels würden einen qualvollen Tod sterben.“

„Okay, Aber du weißt, ich lasse dich nur ungerne gehen.“

„Das ist unser Schicksal. Wir sind Soldaten und müssen mit dem Gedanken leben, dass wir eines Tages nicht zurückkehren. Auch mir fällt es schwer, das kannst du mir glauben.“

Tim nähert sich Colin und sie umarmten sich. Der Kuss dauerte sehr lange und erst als Colin die Kabine verlassen hatte, erlaubte sich Tim ein paar Tränen.

Im Hangar der GOLDEN BOY waren acht Mann angetreten. Vier von ihnen waren die beiden Gefechtsfeldsanitäter und die sie begleitenden Marines der HIGHLANDER. Die anderen waren zunächst Staff Petty Officer Simon und Petty Officer Ricky Norman aus dem Logistikbereich und dann Chief Petty Officer Seegers und Flottillenarzt Farnsworth.

Tim Sheldon hatte vergeblich gegen die Teilnahme des Arztes protestiert, war aber überstimmt worden.

Nun erschien auch Admiral Drake in seiner Dienstuniform, gefolgt von Major Campbell in einer Panzerrüstung.

„Meine Herren, ich muss ihnen zunächst für ihre freiwillige Meldung danken. Es hat mich nicht überrascht, dass nach dem ersten Aufruf sich ausnahmslos alle Besatzungsmitglieder freiwillig gemeldet haben. Wie sie sehen, kommen wir mit der GOLDEN BOY damit an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Allerdings war das Schiff auch niemals für einen solchen Einsatz vorgesehen. Ich habe ihrem Einsatz nur schweren Herzens zugestimmt und hoffe, dass unser Entsatz so schnell wie möglich eintrifft. Major Campbell, bitte übernehmen sie.“

Colin Campbell grüßte den Admiral kurz und übernahm das Kommando.

„Rechts um machen. Ohne Tritt, marsch.“

Langsam bewegte sich der Unterstützungstrupp durch den Hangar und dann die Rampe herab. Rian Drake blieb die ganze Zeit grüßend stehen, bis der letzte aus seinem Sichtbereich verschwunden war. Mit hängenden Schultern machte er sich dann auf den Weg zur Brücke.

Special Forces Chief Petty Officer Cedric Joyce hatte zusammen mit anderen Unteroffizieren der Technik die Wache an der Bodenschleuse übernommen. Er beobachtete ergriffen, wie Rian zur Treppe ging und ihm dabei die Tränen herunterliefen. Schnell drehte er sich zu Phillipp Sanders.

„Einen Moment, Phil. Ich muss nur kurz unseren Fürsten abfangen. Der Junge braucht ein paar aufmunternde Worte.“

Erstaunt verfolgte SCPO Sanders, wie der dienstgradhöchste Unteroffizier der GOLDEN BOY mit schnellen Schritten dem jugendlichen Admiral folgte.

Auf der Brücke der GOLDEN BOY verfolgte Tim Sheldon den Weg des Unterstützungstrupps, während Chief Petty Officer Parker Funk und Sensoren überwachte.

„Die FIREDRAGON hat mit ihren Sensoren einen einkommenden Flottenverband erfasst. Identifizierung läuft.“

Tim ruckte herum und sah auf den Panoramabildschirm. Dort waren etliche kleine rote Punkte erkennbar, die nun plötzlich ihre Farbe wechselten. Sie wurden grün.

„Identifizierung erfolgt. Es ist das 59. Schwere Landungsgeschwader mit der 59. Raumlande-Division.“

„Sie haben tatsächlich eine komplette Division geschickt.“ murmelte Tim überrascht.

Rian Drake erschien soeben auf der Brücke, als auch der erste Anruf hereinkam.

„Anruf vom Landungsgeschwader.“

„Stellen sie durch, Chief.“

Auf dem Panoramabildschirm erschien ein Commodore der Raumflotte.

„Commodore Haynes, Kommandeur des 59. Landungsgeschwaders. Wir wurden auf Befehl des Flottenkommandos herbeordert. Was zum Teufel ist bei ihnen dort unten los?“

Rian verdrehte seine Augen. Anscheinend hatten so einige Kommandeure Probleme damit, einfache Befehle auszuführen.

„Hier ist Vizeadmiral Rian Drake. Ich bin der Oberbefehlshaber der Royal Navy Special Forces. Zu ihrer Information, Commodore, ich bin hier unten und ich kann ihnen garantieren, dass ist überhaupt nicht lustig. Geben sie mir den Divisionskommandeur.“

Das Gesicht des Commodore wechselte von überrascht zu hektisch und wurde durch das Gesicht eines älteren Mannes in der Uniform der Royal Marines ersetzt.

„Generalmajor deJong, Sir. Kommandeur 59. Division. Was benötigen sie?“

Rian lehnte sich aufatmend zurück. Marines galten im Allgemeinen als etwas weniger intellektuell, aber sie hatten einen unbestreitbaren Vorteil: Sie wussten, worauf es ankam.“

„Wir benötigen zwei Bataillone. Eines, um die Hangars und die Energieerzeuger zu sichern, ein weiteres für ein Gefecht mit den Sicherheitstruppen der Einrichtung.“

Der Generalmajor brauchte nur wenige Sekunden für eine Entscheidung.

„Ich schicke ihnen die Bataillone 59-01 und 59-17. Das 01 ist das Führungsbataillon der Division. Ich werde selbst mit runterkommen. Das Siebzehner ist das beste Kampfbataillon der Division. Wir brauchen etwa… eine Stunde bis zur Oberfläche.“

„Vielen Dank, General. Wir erwarten sie.“

Als die Verbindung abbrach, wandte sich Tim Sheldon an den Admiral.

„Was will der General denn hier unten?“

„Was glaubst du denn? Aufpassen, dass wir hier keinen Unsinn machen.“


Die Landeeinheit der GOLDEN BOY erhielten die Nachricht, dass ein Raumlandebataillon auf dem Weg war. Scion Rhyder beriet sich mit den anderen beiden Gruppenführern.

„Die brauchen noch mindestens anderthalb Stunden, bis sie hier sind. Da kann es vielleicht schon zu spät sein. Wir müssen was tun.“

„Wir sollten wenigstens warten, bis Major Campbell hier ist. Vielleicht hat der ja eine bessere Idee.“

„Was denn? So wie es aussieht, bleibt uns nicht viel übrig.“

„Also gut, wie wollen wir vorgehen?“

„Wir müssen an die einzelnen Datenstationen. Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als das Gefecht mit diesen Caniden aufzunehmen. Der Beschreibung nach agieren sie wie Raubtiere, deshalb müssen wir uns wohl eher auf Nahkampf einstellen. Ich möchte aber den Raum zuerst erkunden. Mal sehen, was wir für Möglichkeiten haben.“

„Also?“

Scion sah Joel an.

„Wir schicken einen Erkundungstrupp. Zwei Mann dürften reichen. Ich möchte gerne dich und Leo van Berg schicken.“

Joel Cooper nickte. Das machte Sinn. Major Campbell hatte seinen Intelligence-Mitarbeiter für diese Unternehmung wieder abgeben müssen und so sah sich Leo van Berg im Kreis seiner alten Kameraden wieder. Er war für Aufklärungsarbeiten der am besten geeignete Soldat vor Ort.

„Dann los. Viel Glück.“

Joel Cooper drehte sich um und beorderte Leo van Berg über Funk zu sich. Dann machten sich die beiden auf, Itzcali zu suchen.

Der Aves war immer noch im Gespräch mit Helios und Alexandros und sah nun etwas erstaunt den beiden einzelnen Soldaten in ihren Rüstungen entgegen. Joel trug seine Energierüstung, doch Leo van Berg hatte lediglich eine der schwarzen Panzerrüstungen. Joel Cooper wandte sich an Itzcali.

„Wir möchten gerne das Gebiet mit den Datenstationen erkunden. Wir brauchen mehr Informationen über die Gegner. Wo genau sie angreifen und wie stark sie bewaffnet sind.“

„Was? Nur sie beide?“

„Ja, warum? Ich will ja nicht ins Gefecht.“

„Dann folgen sie mir, bitte.“

Die beiden Marines folgten dem Aves durch eine schwere Sicherheitstür hinaus auf einen von Nord nach Süd verlaufenden Gang. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs war ebenfalls eine Sicherheitstür, diesmal mit einer Aufschrift:

ACHTUNG Sperrgebiet - Laborbereich 1 - Zutritt nur mit Sicherheitsstufe B.

Itzcali ignorierte den Hinweis und öffnete die Tür mit einem Handrad.

„Wir konnten die elektronischen Sicherheitseinrichtungen auf dieser Seite überbrücken. Beim Rechenzentrum hatten wir nicht so viel Erfolg. Da mussten wir durch die Wand.“

Hinter der Tür befand sich ein Sicherheitsposten der Aves, der mit sechs Leuten besetzt war. Joel bemerkte fast gleichzeitig zwei Dinge. Erstens gab es unterschiedliche Farben der Befiederung, die sich auch in den Haaren widerspiegelte und zweitens sah er hier auch zum ersten Mal weibliche Aves.

Joel nahm etwas erstaunt zur Kenntnis, dass auch die weiblichen Mitglieder dieser Spezies keine Bekleidung am Oberkörper trugen. Dann überlegte er, dass eine entsprechende Bekleidung wohl das Ausbreiten der Flügel behindern konnte. Aber es hätte doch sicherlich eine Möglichkeit gegeben?

„Hier entlang, bitte. Im Bereich der Wachen greifen die Caniden nicht mehr an, da hatten sie schon zu viel Verluste. Aber im restlichen Bereich laufen sie frei herum. Sie sind äußerst aggressiv. Zum Glück gibt es nicht mehr so viele von ihnen. Die Bereiche an den Zugängen konnten wir alle sichern, weil sie nicht klettern können.“

Itzcali zeigte nach oben und Joel bemerkte zahlreiche Aves, die sich in der etwa acht Meter hohen Halle über Wartungsbrücken und Beleuchtungshalterungen bewegten.

„Solange wir sie von dort erwischen können, droht keine Gefahr. Das Problem sind die Datenstationen und die Laborräume. Die sind nicht so hoch und wir müssten uns auf dem Boden bewegen.“

Plötzlich ertönte ein Pfiff von oben und Itzcali ruckte herum.

„Da kommen welche. Es wundert mich, dass sie bis hier herkommen. Aber wahrscheinlich haben sie euch gewittert.“

Oben bei den Aves gab es einige Bewegung als die Schützen versuchten, ihre Ziele zu finden.

„Dort drüben!“

Am gegenüberliegenden Ende der Halle, wo sich auf einer freien Fläche etliche Kisten und Container stapelten, erkannte Joel Cooper nun mehrere dunkle Gestalten. Er bemühte die Optik seiner Energierüstung und atmete zischend aus.

Die Caniden sahen tatsächlich aus, als wäre das Experiment schief gegangen. Die Mischung aus menschlichem und Wolfskörper schien zufällig erfolgt. Ein aufrecht gehender menschlicher Körper bekam durch die an der Hüfte angesetzten Wolfsbeine mit den hochstehenden Kniegelenken und den abgeknickten Fußgelenken ein bizarres Aussehen. Die Arme waren fast menschlich, doch der Kopf war ausschließlich der eines Wolfes. Das ganze Wesen wurde von dunklem Fell eingehüllt.

Die ersten Schüsse von oben trieben die Caniden aus ihrer Deckung und Joel bemerkte erstaunt, dass sich die Wesen selbst bei einem einzelnen oder manchmal sogar zwei Treffern noch weiterbewegten.

Man hatte sie anscheinend bemerkt, denn jetzt stürmte ein ganzes Rudel von Caniden aus unterschiedlichen Richtungen auf sie zu.

„Sie haben sich gesammelt. Woher wussten sie, dass wir kommen?“

Itzcali hatte sich in Deckung begeben und feuerte nun Schuss um Schuss auf die anstürmenden Caniden. Auch von oben gab es einen wahren Feuersturm, doch immer noch rannten mehrere der Wesen mit langen, kraftvollen Sprüngen auf Joel und Leo zu.

Die letzten beiden Caniden erreichten fast gleichzeitig die gepanzerten Gestalten und setzten zu einem mächtigen Sprung an. Das Blasterfeuer war verstummt, um die beiden Marines nicht zu gefährden, doch die setzten voll auf ihre Rüstungen.

Der erste, den ein Canide erreichte, war Joel Cooper. Er hatte ebenfalls das Feuer eingestellt und wartete auf den Anprall. Der Canide reagierte instinktiv und versuchte, sich in seinem Opfer zu verbeißen. Die Rüstung hielt jedoch stand und der Angreifer verlor aufjaulend ein paar Zähne. Joel umarmte den Caniden und ließ sich fallen. Sein Gegner versuchte sich zu entwinden und schnappte weiter nach dem behelmten Kopf, obwohl er schon beim ersten Mal keinen Erfolg gehabt hatte. Nun gab Joel den Körper frei und griff mit beiden Händen zum Kopf des Caniden. Nach einer schnellen Drehung erschlaffte der riesige Körper über ihm.

Leo van Berg setzte mehr auf seine Waffen. Er ließ das Blastergewehr fallen, mit dem sie alle ausgerüstet waren und griff zur Pistole. Eine kleinere Blasterpistole oder auch eine Laserpistole hätten wahrscheinlich nicht viel Wirkung gezeigt, doch die Soldaten der GOLDEN BOY waren vor dem Einsatz mit einer schweren Plasmapistolen ausgerüstet worden. Die waren zwar erheblich stärker in ihrer Wirkung, hatten aber den Nachteil, dass sie einen Plasmatank benötigten, der nur etwa fünf Schüsse erlaubte.

Leo war nicht umsonst einer der besten Schützen der Einheit und so traf der Plasmastrahl den Caniden mitten im Sprung. Wie ein nasser Sack fiel er sofort zu Boden und bewegte sich nicht mehr.

Itzcali kam staunend aus seiner Deckung.

„So etwas habe ich ja noch nie gesehen. Einen Caniden im Nahkampf besiegt. Und was ist das für eine Waffe?“

Bevor jemand antworten konnte, ließ ein Geräusch von oben alle hochblicken. Nun bekamen Joel und Leo zum ersten Mal einen Aves im Flug zu sehen. Ein junger Mann hatte seine Schwingen ausgebreitet und war von einer Wartungsbrücke gesprungen.

Die Flügel hatten eine Spannweite von gut drei Metern und bogen sich an den Enden deutlich nach oben. In einem weiten Bogen schwebte der Aves ziemlich schnell herab und im ersten Moment hatte Joel Angst, er würde auf dem Boden aufprallen. Doch mit vorgestreckten Beinen landete der junge Mann einigermaßen sicher. Itzcali sah ihm skeptisch entgegen.

„Das ist Xipilli. Er ist der Anführer unserer Aufklärer.“

Xipilli schien etwas jünger zu sein als Itzcali und hatte blaue Schwingen. Sie leuchteten fast in einem irisierenden blau mit kleinen helleren Punkten. Ebenso waren die etwas unbändig abstehenden Haare von einem dunklen blau mit hellen Strähnen.

Joel und Leo nahmen ihre Helme ab und Quetzal sah den Felidaner mit großen Augen an.

„Es ist tatsächlich kein Gerücht. Ich bin geehrt, dich treffen zu dürfen.“

„Xi, benimm dich. Der Urvater ist ein Offizier der Föderation.“

Jetzt sah ihn der junges Aves noch einmal mit großen Augen an und Joel erkannte, dass selbst die Iris der Augen blau leuchteten und kleine helle Einsprengsel hatten.

„Ich bin Lieutenant Joel Cooper von den Special Forces. Dies ist Leo van Berg. Wir wollen in Erfahrung bringen, wie stark der Gegner hier im Laborbereich ist. Wir beabsichtigen, die Datenstationen einzunehmen und alle Daten zu sichern.“

„Das ist ziemlich einfach. Nach Auslösen des Vernichtungsbefehls wurden begonnen, die einzelnen Punkte abzuarbeiten. Zunächst wurden alle Mitarbeiter interniert. Dann sollte die Security die einzelnen Exemplare der Experimente einfangen und terminieren. Der nächste Punkt wäre die Löschung des Zentralrechners gewesen und danach die Zerstörung sämtlicher Datenstationen und Laboreinrichtungen.“

„So weit sind sie aber nicht gekommen.“

„Nein. Sie sind schon am zweiten Punkt gescheitert. Wir wussten, was der Vernichtungsbefehl beinhaltet und hatten uns schon länger darauf vorbereitet. Als die Security die Mitarbeiter verhaftet hat, haben wir uns ausgerüstet und versucht, den Zentralrechner zu erreichen. Sie waren wohl auf so großen Widerstand nicht gefasst. Als erstes haben sie die Caniden freigelassen und versuchen nun, genau wie wir, in den Sicherheitsbereich des Zentralrechners zu kommen.“

„Wo ist das Problem?“

„Sie haben den Zugangscode, wir nicht. Aber wir können den Zugangsbereich halten.“

„Also ein Patt. Wir brauchen den Zugangscode.“

„Das ist ziemlich aussichtlos. Den hat der Leiter der Security. Und der kommt erst aus seiner kleinen Festung, wenn alles gesichert ist.“

„Vielleicht hat noch jemand anderes eine Idee,“ murmelte Joel.

„Scion, schickt ihr bitte Andy Fraser nach vorne.“

„Irgendetwas konkretes?“

„Nein. Das Problem mit dem Zentralrechner ist der Zugangscode.“

„Ah, okay. Andy ist unterwegs.“

Kurze Zeit später traf eine große Gestalt in einer der schwarzen Panzerrüstungen der GOLDEN BOY ein. Als Andrew Fraser seinen Helm abnahm konnten die beiden Aves ihr Erstaunen kaum verbergen.

„Entschuldigung, aber rote Haare sind bei uns sehr selten. Es gibt nur einen Farbschlag, der diese besitzt.“

„Ein Papagei?“

Beide Aves bedachten Leo van Berg mit einem vernichtenden Blick.

„Nein, Papageien wurden bei uns nicht berücksichtigt. Es ist ein Kardinalvogel. Man hat bei uns in den letzten Zuchtreihen hauptsächlich kleine und leichte Vogelarten verwendet.“

Andrew Fraser nickt und deutete auf Xipilli.

„Eisvogel, nehme ich an.“

Erstaunt und auch erfreut sah Xi zu dem rothaarigen Menschen auf.

„Richtig. Den erkennen nur wenige auf Anhieb.“

Andrew lächelte den jungen Aves an und Joel räusperte sich laut und deutlich.

„Wir haben ein Problem mit dem Zugangscode für den zentralen Rechnerbereich. Anscheinend besitzt nur der Leiter der Security den entsprechenden Code. Und der Typ hat sich in einer Art Festung verbarrikadiert.“

„Dann kommt der erst mal nicht in Frage. Wer hat oder hatte dann sonst Zugang zum Zentralrechner?“

„Die Leitenden Wissenschaftler natürlich.“

„Aha. Ich vermute, es ist ein Chipkartensystem, so wie wir es bereits im Hangar vorgefunden haben. Und ich denke, es gibt noch eine andere Personengruppe, die Zugang hatte.“

„Was? Wer sollte das denn sein?“

„Jemand, der immer gerne vergessen wird. Das Wartungspersonal. Softwareprobleme können notfalls von außerhalb behoben werden, Hardwareprobleme nicht. Gibt es hier im Bereich irgendwo eine Wartungsstation?“

„In jeder der Datenstationen für die einzelnen Spezies gibt es abgesetzte Rechner, welche die Daten für die Labore und die Reproduktionszentren vorhalten. Aber ich habe noch nie einen Techniker dort gesehen.“

„Ihr konntet euch durch die Anlagen frei bewegen?“

Nun meldete sich Itzcali wieder zu Wort.

„Man hat einige von uns in die Arbeit eingebunden. Zentauren wurden zum Beispiel als Betreuer für die Jewels eingesetzt, oder als Hilfsarbeiter in den Reproduktionszentren. Einige Aves hat man zu Laboranten oder Schreibkräften ausgebildet. Wir wurden dann entsprechend in den Laboren eingesetzt. Die Datenstationen und das Rechenzentrum durften wir nur in Begleitung betreten.“

„Dann müssen wir sehen, dass wir hier einen der abgesetzten Rechner finden. Vielleicht ist dort ja auch irgendwo ein Wartungspunkt. Welche Datenstation ist am nächsten?“

„Zentauren.“ kam es gleichzeitig von Itzcali und Xipilli.

„Aber der Bereich ist nicht sicher. Wir wissen noch nicht, ob wirklich alle Caniden erwischt worden sind.“

Joel Cooper nickte zustimmend.

„Dann müssen wir den Bereich hier säubern. Jason, ist die erste Gruppe einsatzbereit?“

„Sind klar zum Einsatz.“

„Gut, dann erste und zweite Gruppe zu mir aufschließen.“

Es dauerte eine Weile, bis beide Gruppen vollzählig versammelt waren. Joel beorderte Jason O’Brian zu sich zu seiner kurzen Einsatzbesprechung. Als Jason seinen Helm abnahm, gab es wieder erstaunte Blicke bei den Aves.

„Die roten Haare sind ziemlich oft vertreten.“

Jason und Andrew lachten gleichzeitig.

„Eigentlich nicht. Das ist jetzt nur Zufall.“

Joel Cooper schüttelte seinen Kopf und deutete in den Raum hinein.

„Wir müssen davon ausgehen, dass dieser Teilbereich von Caniden patrouilliert wird. Zwei Exemplare liegen dort vorne. Für eine systematische Säuberung des Bereiches teilen sich die beiden Gruppen in jeweils zwei Trupps auf. Diese Trupps dürfen unter keinen Umständen weiter aufgeteilt werden. Der Gegner ist mit Blasterwaffen nur schwer zu erlegen. Hier sind Plasmawaffen deutlich besser geeignet. Jemand damit ausgerüstet?“

„Nur die dritte Gruppe.“

„Die GOLDEN BOY hat Plasmapistolen ausgegeben? Scion, könnt ihr uns die Pistolen geben?“

Es dauerte einen Moment, bis Scion Rhyder sich meldete.

„Äußerst ungerne. Wir haben schon die schlechteren Rüstungen und dann keine Nahkampfwaffen mehr. Aber ich habe einen anderen Vorschlag. Ich schicke zwei Mann nach vorne, die mit den Aves zusammen auf die Wartungsbrücken gehen.“

„Im Ernst?“

„Wart’s ab.“

Nach dieser kryptischen Nachricht sah Joel Cooper gespannt zum Durchgang, wo dann einige Zeit später Robin Yeats und Corey Price auftauchten. Beide hatten ihre Panzerrüstung abgelegt und trugen nur noch den Jumpsuit mit einem Gürtel und der Plasmapistole.

„Was habt ihr denn vor?“

Robin zeigte nach oben.

„Da hoch. Ich habe das schon öfter gemacht. Und Corey hat für seine Scharfschützenausbildung extra einen Kletterlehrgang gemacht.“

Joel warf den beiden eine skeptischen Blick zu und auch Xipilli schien nicht besonders überzeugt zu sein.

„Na gut. Wir gehen zunächst an den Außenwänden entlang vor. Erster Trupp klärt auf, zweiter Trupp sichert. Gruppe eins fängt im Süden an, Gruppe zwei im Norden. Noch Fragen?“

Der Einzige, der sich meldete war zu Joels Überraschung Xipilli.

„Ja, bitte.“

„Wir werden ihnen ebenfalls oben in beiden Richtungen folgen, soweit die Brücken und Halterungen es zulassen. Von dort aus haben wir auch einen weiteren Sichtbereich. Wie können wir uns bemerkbar machen?“

Joel Cooper sah sich fragend um, während Andrew Fraser in seinen Taschen wühlte. Lächelnd holte er ein Headset hervor, das er Xipilli überreichte. Der nahm es freudig entgegen und lächelte schüchtern.

„So, Leute. Auf geht’s. Erste und zweite Gruppe, marsch.“


Colin Campbell war mit seiner Unterstützungsgruppe gerade eben bei Scion Rhyder eingetroffen, als er die Nachricht vom Eintreffen der beiden Landungsschiffe erhielt.

„Hervorragend, dann haben wir endlich die notwendige Kampfunterstützung. Ich brauche aber noch einen genauen Überblick über die Lage. Joel Cooper ist inzwischen im Laborbereich und versucht, die Datenstationen zu sichern. Wir warten mit den schweren Sachen erst einmal ab, bis er dort fertig ist. Die Bataillone können zunächst erst mal die Hangars und die umliegenden Räume sichern. Wichtig wären auch noch die Energieerzeuger im Osten. Ach ja, noch was. Wenn eines der Bataillone dann hier im Gefecht eingesetzt wird, brauchen die Leute eine intensive Einweisung. Ich will nicht, dass versehentlich ein Zentaur oder ein Aves verletzt wird.“

„Nun hol doch erst mal Luft, Colin. Die Landungsschiffe sind eben erst eingetroffen. Der Divisionskommandeur kommt mit den beiden Bataillonskommandeuren auf die GOLDEN BOY und bekommt seine Einweisung. Wir warten auf eure Nachrichten, was passieren soll.“

„Ja, hab ich verstanden. Ich habe da eine Idee. Der Unterstützungstrupp ist ja nun nicht mehr notwendig. Ich schicke die Logistiker und den Doktor wieder zurück. Vielleicht kann ich ja einen Zentauren oder einen Aves überreden, sie zu begleiten.“

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee… Ach so. Da haben die Marines gleich einen Eindruck davon, worum es hier geht.“

„Genau. Und ich denke, ihr solltet zusammen mit ihnen schon mal Kontakt aufnehmen mit unserem Oberbefehlshaber.“

Rian Drake holte tief Luft.

„Ja, das dürfte wohl angebracht sein. Ich muss weiter, der Divisionskommandeur ist da.“

„Bis nach her. Und grüß meinen Kerl.“

„Mach ich.“

Rian eilte hinüber in seine Suite, wo Brandon Taylor in Begleitung der drei Offiziere wartete. Ashton hatte bereits Getränke serviert. Rian fand, dass sich der junge Mann bisher gut gemacht hatte. Ohne die Bevormundung durch selbstgefällige Palastschranzen hatte er eine Menge gelernt in der Küche und auch von der Logistik. Außerdem stand ihm die schmucklose schwarze Uniform deutlich besser als das bunte Kostüm.

„Admiral, dies ist Generalmajor de Jong, Kommandeur 59. Landungsdivision. Die Herren sind Lieutenant-Colonel Peters, Kommandeur des Landungsbataillons 59-01 und Major Reins, Kommandeur des Landungsbataillons 59-17. Meine Herren Vizeadmiral Rian Drake. Befehlshaber der Royal Navy Special Forces.“

Rian ging auf den General zu und schüttelte seine Hand.

„Wir haben uns ja schon kurz gesprochen.“

Dann begrüßte er auch die beiden Bataillonskommandeure. Colonel Peters war ein breitschultriger, großer Mann mit einem kantigen Gesicht. Nicht umsonst war er wohl Kommandeur eines Führungsbataillons geworden. Major Reins mit seiner dunklen Haut und den violetten Haaren stammte sichtlich von Odalis III.

„Verzeihen sie, Major, aber ihr Name…“

„Ich weiß schon, was sie sagen wollen, Admiral. Mein Neffe ist hier an Bord bei ihnen. Oder besser, er ist wahrscheinlich dort draußen irgendwo.“

„Ah ja, sehr interessant. Aber sie haben natürlich auch gleich das Stichwort gegeben. Captain Taylor wird eine Lageeinweisung geben und dann werde ich ihnen darlegen, was ich mir von ihrem Einsatz erhoffe.“

Der General hob etwas die Augenbrauen, lauschte dann aber kommentarlos dem Bericht.

„Sie sehen, wir sind mitten in etwas gelandet, das nicht hätte sein dürfen. Wie es dazu kommen konnte, brauchen wir nicht hier und jetzt zu beleuchten. Wir können nur die Verantwortlichen dingfest machen und ihrer Bestrafung zuführen. Oberste Priorität hat die Sicherung aller relevanten Daten über diese Basis und die hier vorgenommenen Experimente. Die Daten über die genetische Sequenzierungen sind gemäß dem Gesetz zum genetischen Eigentumsrecht das alleinige Eigentum der hier erschaffenen Wesen. Das ist wichtig. Ich möchte keinen Rechtsstreit über diese Daten erleben.“

Die beiden Bataillonskommandeure sahen sich an, kommentierten aber nichts.

„Zweite Priorität hat das Überleben aller hier befindlichen Personen, egal welcher Spezies. Wir sind uns immer noch nicht darüber im Klaren, was mit den Mitarbeitern hier geschehen ist. Sollten sie noch hier sein und leben, sind sie wertvolle Zeugen. Das gleiche gilt besonders für die hier erschaffenen Lebewesen. Niemand von ihnen möchte sicherlich gerne seiner Majestät oder möglicherweise der Präsidentin von Charon III Rede und Antwort stehen müssen.“

Brandon Taylor ließ ein leichtes Lächeln erkennen.

„Nun zu den genauen Zielen.“

An einer Wand der Suite erschien eine Projektion der Basis, so wie sie die Pläne vorgefunden und ergänzt hatten.

Rian wies auf die Projektion.

„Hier unten im Süden sind die Hangars und die entsprechenden Lager. Östlich davon befindet sich ein Energieverteiler mit drei Generatoren. Die Laboreinrichtungen sind im Nord-Westen. Der einzige Zugang von hier aus ist ein Gang, der Zunächst nach Norden führt und dann dort bei diesem Platz nach Westen ins Labor abzweigt. Weiter im Norden ist nur noch der Zugang zur Housing-Area.“

Die Daten wurden auf die Datenpads der beiden Bataillonskommandeure übertragen und beide machten sich Notizen.

„Wie genau es in den einzelnen Sektoren des Biolabors aussieht wird gerade erkundet. Wir müssen auf jeden Fall in den westlichsten Sektor gelangen, denn dort befindet sich der Zentralrechner. Irgendwelche Vorschläge?“

Die Bataillonskommandeure sahen etwas überrascht ihren General an, der aber lediglich zustimmend nickte.

„Das ist ihre Aufgabe, Major Reins.“

Der Major blickte nachdenklich auf die Projektion und dann auf seine Notizen.

„Uns bleiben da nicht viele Möglichkeiten. Ich schlage vor, wir gehen zunächst mit jeweils einer Kompanie über die beiden Quergänge von Ost nach West vor. Wie weit, müssen wir sehen, wenn wir Aufklärungsergebnisse von dort haben. Dann brauchen wir eine weitere Kompanie, um die Zugänge aus der Housing-Area zu sichern und zu überwachen. Meine letzten beiden Kompanien würde ich dann gerne vorziehen bis zu der großen Kreuzung vor dem Labor oder, wenn möglich, in einen der Laborbereiche. Dort können sie dann schnell zum Einsatz gebracht werden, falls erforderlich.“

Rian blickte ebenfalls auf die Karte und nickte.

„So machen wir es. Irgendwelche Einwände, General?“

Der schüttelte nur lächelnd den Kopf.

„Gut, dann werde ich meine Truppen informieren. Sie können beginnen, Major Reins.“


„Die Kavallerie kommt. Die Marines ziehen ein Bataillon in Richtung Biolabor vor. Jeweils eine Kompanie kommt auf dem Gang nördlich und südlich von uns bis in unsere Höhe.“

„Wie viele sind in einer Kompanie?“

Joel Cooper sah zu Xipilli hoch, der über ihnen waghalsig über eine Beleuchtungsbrücke balancierte.

„Hundertzwanzig Mann. Das Bataillon hat fünf Kompanien.“

„Sechshundert Soldaten? Das sollte auf jeden Fall ausreichen.“

Joel war zwar nicht dieser Meinung, aber er hielt sich besser bedeckt. Sie hatten immer noch keine Ahnung, wie stark die Security wirklich war und was sie für Möglichkeiten hatte.

„Wenn sie den südlichen Gang benutzen, kommen sie direkt am Quartier der Jewels vorbei. Dort dürfte mit starken Kräften der Security zu rechnen sein. Und am Ende des nördlichen Gangs ist das Hauptquartier der Security.“

„Major Campbell, haben sie mitgehört?“

„Ja, hab ich. Ich werde den Bataillonskommandeur informieren.“

Es gab nur eine winzige Pause, bis Xipilli sich wieder meldete.

„Da drüben ist das Ende des Laborbereichs. Durch die Panzertür kommt man auf einen Gang und von dort direkt gegenüber durch eine weitere Panzertür in den Bereich des Zentralrechners. Wir haben auf diesem Weg den Bereich erfolgreich besetzen können, bevor die Security hereinkommen konnte. Den Eingang auf der gegenüberliegenden Seite, im Westen, hat die Security besetzt und versucht immer wieder, den Bereich von dort aus unter ihre Kontrolle zu bringen.“

„Und hier sind irgendwo die Datenstationen?“

„Genau. Dort drüben ist die Station der Zentauren.“

Joel sah um eine Ecke und erkannte einen kleinen quadratischen Flachbau ohne irgendwelche Fenster oder Türen.

„Der Eingang ist auf der anderen Seite.“

Joel erhob sich aus seiner Deckung und ging sichernd in Richtung des Flachbaus. Sie hatten bisher nur vier Caniden erlegt und er war sich nicht sicher, ob das alle waren. Vorsichtig spähte er um die Ecke und zuckte zurück. Wer hatte behauptet, die Caniden wären nicht intelligent? Zwei von ihnen hatten sich jedenfalls genau vor der Tür postiert und sahen sich lauernd um.

„Da sind zwei Caniden, genau vor der Tür.“

„Von hier oben kommen wir nicht ran. Da gibt es keine Übergänge.“

„Und wenn wir sie herauslocken?“

„Viel Glück.“

„Zweite Gruppe aufpassen. Gleich kommen zwei Caniden hinter dem Flachbau hervor. Verwechselt mich nicht mit dem Ziel.“

„Was wollen sie…“

Joel brauchte nicht lange um die Ecke zu sehen, bis die Caniden ihn bemerkten. Mit einem lauten Jaulen sprinteten sie sofort los und Joel musste die volle Energie seiner Rüstung aufwenden, um den Abstand zu halten. Nachdem die Caniden um die Ecke gebogen waren, lief Joel noch etwa zehn Meter, um sich dann auf den Boden zu werfen. Sofort feuerten die sieben verbliebenen Mitglieder seiner Gruppe mit ihren Blastergewehren.

Auch von oben kamen jetzt vereinzelte Schüsse und Joel bemerkte das durchdringende Zischen eines Plasmastrahls. Die Caniden wurden langsamer, dann stoppten ihre Bewegungen und sie brachen zusammen.

„Los, alle mir nach. Wir müssen versuchen, ob wir hier reinkommen.“

„Die Tür ist mit einem Codeschloß gesichert. Einem Moment.“

Zum zweiten Mal konnte Joel Cooper nun beobachten, wie Xipilli langsam zu Boden schwebte.

„Ich habe noch eine Zugangskontrollkarte. Die dürfte für diesen Bereich ausreichen.“

Schnell bewegte sich der junge Aves zum Eingang und hielt eine Karte vor den Leser. Mit einem leisen Summen öffnete sich die Tür.

„Eingangsbereich sichern. Und Corporal Fraser soll nach vorne kommen.“

Zwei seiner Leute gingen in das Gebäude und suchten die einzelnen Räume ab. Joel und Xipilli folgten ihnen etwas langsamer.

„Drei Räume. Ein Büro mit einem Terminal, ein Aufenthaltsraum mit Tisch und Stühlen und ein Nassraum mit Toiletten, einer Dusche und vier Spinden. Alles frei.“

„Okay, danke.“

Etwas atemlos kam Andrew Fraser um die Ecke und spähte neugierig in den Raum mit dem Terminal.

„Ich hoffe, es hat keiner was angefasst.“

„Nein, alles noch so wie es war.“

Neugierig trat Andrew näher und beäugte das Terminal mit seiner Tastatur.

„Es ist eine elektronische Tastatur, keine projizierte virtuelle. Also gibt es wahrscheinlich einen Kartenleser anstatt eines Passwort-Systems.“

Joel beobachtete, wie Andrew die Tastatur anhob und genau inspizierte. Dann meldete sich plötzlich Xipilli.

„Ich habe mal gesehen, wie einer der Wissenschaftler eine kleine Schublade aufgezogen hat.“

Andrew tastete an der Unterkante des Tisches herum und tatsächlich schob sich ein kleines Fach hervor.

„Hm, jetzt brauchen wir nur noch eine Karte.“

Xipilli reichte ihm seine Karte und Andrew legte sie ein. Das Fach schloss sich und der Bildschirm leuchtete auf.

Zugangskontrollkarte ungültig. ZUGANG VERWEIGERT.‘

„Das war’s also nicht. Wir brauchen eine Karte für den Rechner.“

Während im Büro alle etwas ratlos um das Terminal herumstanden, durchsuchten Alyssa Klein und Peter Quinn den Aufenthaltsraum.

„Die könnten aber auch mal aufräumen. Offene Chipstüten, dreckige Kaffeetassen und… hey, was ist das denn?“

„Was hast du gefunden?“

„Ob du es glaubst, oder nicht, Peter, aber die Typen hier waren dämlicher als die Polizei erlaubt. Hier, lies mal.“

Alyssa streckte Peter zwei Blätter hin, von denen er das erste kurz überflog.

Jepsen, Raymond, Techniker Stufe IV, IT-Wartung

An

Leiter Security

Hiermit melde ich den Verlust meiner Zugangskarte für die abgesetzten Rechner der Laborbereiche Entwicklung. Die Karte ist mir während des Umziehens vom Spind gerutscht und in einem Spalt zwischen den Spinden verschwunden. Bergungsversuche blieben erfolglos.

Jepsen, Tech IV

Leiter Security

Raymond Jepsen

Das zweite Blatt war da schon interessanter.

Security Administration

An

IT-Wartung

Raymond Jepsen

Die Meldung betreffs des Verlustes der Zugangskarte wurde registriert. Melden sie sich unverzüglich im Security-Service-Point zur Ausstellung einer neuen Karte.

Danach melden sie sich bei ihrem Abteilungsleiter zur disziplinaren Würdigung.

Im Auftrag

Lonobarg

Assistant Chief Security

„Hm, kein Datum drauf, merkwürdig.“

„Das ist unten am Rand. Zusammen mit dem Pfad.“

„Das war ja… Joel!“

Joel Cooper drehte sich erstaunt zu seinen beiden hektisch hereinstürmenden Soldaten.

„Was habt ihr denn?“

„Hier, lies mal.“

Joel Cooper las die beiden Blätter zweimal, bevor er sie wortlos Andrew Fraser in die Hand drückte und dann in Richtung des Nassraumes rannte.

Drei Minuten später angelte Joel Cooper mit einer Hand zwischen zwei herausgerissenen Spinden nach einer kleinen Karte.

„Wollen hoffen, dass die hier wirklich so schlampig sind, wie es aussieht.“

Der kleine Trupp eilte ins Büro zurück und Andrew Fraser versuchte sich ein zweites Mal an dem Kartenleser.

Wieder flammte der Bildschirm auf, doch diesmal mit einem anderen Text.

Zugangskontrollkarte erkannt. Willkommen, Techniker Jepsen.‘


Im Reproduktionsbereich wartete Major Campbell zusammen mit 1st Lieutenant Rhyder auf die Rückkehr der beiden Gruppen. Wie Joel Cooper gemeldet hatte, war es ihnen gelungen einen Zugang zu einer der Datenstationen zu erlangen und alle Daten des abgesetzten Rechners zu sichern. Für die Zentauren waren jetzt alle relevanten Daten vorhanden.

Nun würden sie das Gleiche für die Bereiche der Aves und der Jewels machen müssen. Dann stand da noch ein Geheimprojekt offen, von dem keiner wusste, was es beinhaltete. Aber damit wollte Colin Campbell warten, bis die angekündigten Marines eingetroffen waren.

Mit dem Bataillon dauerte es noch etwas, denn es war im Hangar kurz vor dem Abmarsch aufgehalten worden.

Dr. Farnsworth war in Begleitung seines Assistenten und der beiden Logistiker wieder vom Biolabor zurückgekehrt. Etwas aufgeregt hatte die Wache gemeldet, dass noch vier weitere Personen eingetroffen waren.

Rian Drake und Tim Sheldon eilten sofort hinunter zur Bodenschleuse. Wie Colin Campbell es angekündigt hatte, wurden die Rückkehrer von zwei Zentauren und zwei Aves begleitet. Rian ging die Rampe hinab und er musste sich, wie auch alle anderen anwesenden Besatzungsmitglieder der GOLEN BOY, sehr beherrschen, um nicht seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

„Flottillenarzt Doktor Farnsworth. Melde mich zurück, Sir.“

„Danke, Doktor. Ich sehe, sie haben Begleitung.“

„Jawohl, Sir. Ich möchte sie gleich vorstellen. Zuvor eine kurze Bemerkung. Sie haben erwähnt, dass sie keine sehr förmlichen Umgangsformen haben. Da sie keine Nachnamen besitzen, genügt es, wenn sie mit dem Vornamen angeredet und geduzt werden.“

Rian hob etwas erstaunt seine Augenbrauen, erwiderte aber nichts.

„Die beiden Zentauren hier vorne sind Myron und Alkibiades. Die beiden Aves daneben sind Quetzal und Yaotl. Meine Herren, ich möchte ihnen den Oberbefehlshaber der Special Forces vorstellen, Admiral Rian Drake.“

Die beiden Zentauren verbeugten sich leicht, während die Aves zunächst einen verwunderten Blick tauschten. Rian bemerkte den Blick und wandte sich an die beiden Aves.

„Gibt es ein Problem, meine Herren?“

„Was? Nein, nein. Überhaupt nicht. Wir waren nur verwundert über… äh…“

Der junge Mann mit dem grünen Gefieder stotterte etwas, doch sein Nebenmann mit einem braun-weißen Gefieder holte kurz Luft.

„Was mein Partner sagen möchte, ist, dass wir etwas verwundert sind wegen ihres Alters, Admiral. Wir haben gelernt, dass bei den Menschen solche Führungspositionen erst in fortgeschrittenem Alter vergeben werden.“

Unwillkürlich musste Rian grinsen. Und er bewunderte den Mut, mit dem die Zweifel vorgetragen worden waren.

„Das hat einen besonderen Hintergrund, den ich ihnen gerne erläutern werde. Aber im Moment haben wir wenig Zeit dafür. Dafür habe ich eine große Bitte. Wir haben hier ein Bataillon Marineinfanterie, das in Kürze im Biolabor eingesetzt werden soll, um die dort verschanzte Security auszuschalten. Die Soldaten wissen zwar, dass sie dort auf bisher noch nicht bekannte Lebensformen treffen werden, aber es ist meiner Ansicht nach besser, ihnen diese vor dem Einsatz zu zeigen. Wir wollen alle nicht, dass jemand dort versehentlich verletzt wird.“

Der große, massive Zentaur sah fragend von links nach rechts, dann wandte er sich an Rian.

„Das heißt also, wir dienen hier als Anschauungsobjekte.“

Rian schloss entsetzt kurz die Augen. Das war kein guter Anfang. So hatte es natürlich nicht rüberkommen sollen.

„Nein, natürlich nicht. Es ist ihnen freigestellt das zu tun. Es wäre nur eine große Hilfe, wenn sie es machen würden.“

Die beiden Zentauren flüsterten einen Moment miteinander und dann wandte sich der größere von ihnen dem Aves mit den braunen Schwingen zu.

„Was meinst du, Yao?“

„Wir machen es. Ich will nicht, dass ein nervöser Soldat einen der unseren von der Decke holt.“

„Also gut, Admiral. Yaotl und ich werden es machen. Bias und Quetz können sicherlich solange irgendwo hier bleiben.“

„Das ist kein Problem. Allerdings sind wir an Bord nicht auf Zentauren eingerichtet. Wir haben nur eine Rampe im unteren Schleusenbereich und einen Lastenaufzug bis ins Lazarett. Die oberen Etagen sind lediglich über Treppen zu erreichen.“

Myron nickte verstehend. Ihre Statur war schon immer ein kleines Problem gewesen, beginnend mit der großen Körperhöhe. Er hatte ein Stockmaß von 1,83 m, dazu kam dann noch der menschliche Oberkörper von 94 cm. Mit 2,77 m passte man eben nur durch sehr wenige Türen.

„Wir werden eine Lösung finden. Aber wenn sie mir jetzt bitte folgen wollen. Dr. Farnsworth wird die anderen beiden Herren so lange betreuen und ihnen schon mal einen Teil der Besatzung vorstellen.“

Wortlos folgten Myron und Yaotl dem Admiral in den Hangar folgten, in dem das Bataillon angetreten war, führte der Doktor die beiden verbliebenen Besucher die Rampe hinauf in den Schleusenbereich. Oben erwartete sie Tim Sheldon und Brandon Taylor.

„Willkommen an Bord. Ich bin Tim Sheldon, der Kommandant der GOLDEN BOY. Dies ist Brandon Taylor, mein Erster Offizier.“

„Vielen Dank, Mister Sheldon. Ich bin sehr beeindruckt. Und es sind sogar noch weitere Ur… ich meine, Felidaner an Bord.“

Der Doktor hatte sie auf dem Weg hierher über die Geschichte der Felidaner aufgeklärt und auch einige Hinweise auf die GOLDEN BOY und ihre Besatzung gegeben.

Tim Sheldon lächelte leicht.

„Mister Taylor und Mister Yeats, den sie bereits kennengelernt haben, gehören zu unserer Besatzung. Mister Cooper, der Felidaner mit dem gelben Fell, gehört zur Besatzung der HIGHLANDER, unserem Versorgungsschiff.“

Kurz wandte er sich an Brandon Taylor.

„Wann werden die eigentlich eintreffen?“

„Die sollten eigentlich jeden Moment…“

Der Lautsprecher der Schleuse wurde aktiviert.

„Kommandant von Brücke. Die HIGHLANDER ist im Landeanflug. Frage, Erlaubnis zum Einschleusen?“

Tim Sheldon hob aufseufzend seinen linken Arm mit dem Kommunikationsarmband.

„Das dauert einen Moment. Ist die Anflugkontrolle benachrichtigt?“

„Die sind bereit. Sie warten nur noch auf uns.“

„In Ordnung, Phillipp. Schleuse schließen. Wenn alles dicht ist, Nachricht an die Anflugkontrolle.“

„Jawohl, Sir.“

Alkibiades und Quetzal zuckten etwas zusammen, als die Warnsirenen ertönten, während das Schleusentor geschlossen wurde.

Als die Anflugkontrolle die Bestätigung der GOLDEN BOY bekam, wurde das große Hangartor geöffnet. Die HIGHLANDER schwebte langsam ein und setzte neben der GOLDEN BOY auf. Sofort wurde das Hangartor wieder geschlossen und der Druckausgleich begann.

Auf der GOLDEN BOY hatte sich Quetzal näher an Alkibiades herangedrängt und sah sich nun unsicher um. Doktor Farnsworth bemerkte den Blick und eilte sofort zu ihm.

„Keine Angst, es passiert euch nichts. Wir müssen nur warten, bis die HIGHLANDER gelandet ist. Dann geht das Schleusentor auch wieder auf.“

Die in der Schleuse beschäftigten Techniker hatten die beiden Besucher neugierig betrachtet und nun kam einer von ihnen zögernd näher. Doktor Farnsworth erkannte etwas erleichtert Chief Joyce.

„Hallo Chief, können wir etwas für sie tun?“

„Ich habe gerade mit meinen Jungs von der Technik gesprochen. Wir haben da ja wohl ein kleines Transportproblem. Darf ich fragen, wieviel die Zentauren wiegen?“

Alkibiades wandte sich erstaunt dem älteren Mann zu.

„Ich bin jetzt bei etwas über 370 kg, aber Myron dürfte wohl so um die 1.000 haben.“

„Vielen Dank. Dann kommt nur der Containeraufzug in Frage. Und der geht leider nur bis zum zweiten Deck.“

„Das zweite Deck? Da ist doch nichts weiter außer dem Lazarett.“

Alkibiades zuckte mit den Schultern.

„Das ist schon in Ordnung. Wir haben gelernt, dass die Einrichtungen der Menschen nicht für unseren Körperbau geeignet sind. Unsere Unterkünfte hier im Labor sind wirklich absolute Sonderanfertigungen. Angefangen von den Türen mit einer Durchgangshöhe von drei Metern bis hin zu den Sanitäreinrichtungen.“

Chief Joyce und der Doktor nickten gleichzeitig, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Der Chief überlegte gerade, wie denn wohl die Sanitäreinrichtungen aussehen könnten, während der Doktor gerade überlegte, welche ernährungsphysiologischen Probleme Zentauren haben könnten.

Doktor Farnsworth winkte ab.

„Das klären wir gleich. Ich weiß nicht, wie lange die Herren uns hier besuchen werden. Möglicherweise müssen sie auf die Einrichtungen des Hangars zurückgreifen. Ich nehme doch an, hier sind entsprechende Sanitäreinrichtungen installiert?“

„Oh, ja. Wir mussten sehr oft hier arbeiten und da gibt es die entsprechenden Einrichtungen. Ebenso einige Ausgabestellen für die Zusatznahrung.“

„Ah, danach wollte ich gerade fragen. Dann ist ja fürs erste für alles gesorgt. Haben sie auch eine spezielle Nahrung oder besondere Anforderung, vielleicht an die Sitzmöbel?“

Quetzal lächelte leicht.

„Wir bekommen die normale Nahrung, die auch die Jewels kriegen. Aber sie haben recht. Stühle mit Rückenlehne sind etwas unpraktisch. Ideal wären da Hocker.“

Damit drehte sich Quetzal herum, damit der Doktor sehen konnte, dass die Spitzen der beiden Flügel fast bis zur Hälfte der Oberschenkel herabreichten. Doktor Farnsworth nickte.

„Auch dafür wird sich sicher eine Lösung finden lassen.“


Der Besuch bei den Marines war ohne Probleme abgelaufen. Nach einer kurzen Ansprache des Bataillonskommandeurs waren die Truppen an ihrem General, dem Admiral und seinen beiden Begleitern vorbeimarschiert und hatten den Hangar dann in Richtung Biolabor verlassen.

Nur einmal war es kurz unruhig geworden, als Yaotl seine Schwingen auf die volle Spannweite von fast vier Metern ausgebreitet hatte.

„Ich habe gerade die Nachricht erhalten, wir müssen noch einen Moment warten. Die HIGHLANDER ist soeben neben der GOLDEN BOY gelandet.“

Myron und auch Yaotl kannten das Verfahren und geduldeten sich. Als sie den Hangar wieder betraten, stieß Myron einen überraschten Ruf aus.

„Was ist?“

„Entschuldigung. Das Schiff sieht fast so aus wie die LOINCLOTH. Aber dann habe ich gesehen, es gibt Unterschiede.“

Rian grinste kurz. LOINCLOTH? Wer nannte sein Schiff denn ‚Lendenschurz‘?

„Ist das Schiff denn öfter hier gelandet?“

„Etwa einmal im Monat. Es hat Versorgungsgüter gebracht. Einige von uns waren bei der Logistik eingesetzt, ich war dort Gruppenleiter. Ach ja, und einmal im halben Jahr gab es eine Lieferung von Tiefkühlcontainern mit Biomaterial. Die hat allerdings immer gleich ein Team aus dem Labor abgeholt.“

Tiefkühlcontainer? Rian fielen plötzlich die BIOHAZARD-FRZGEN-CON-0011 ein.

„Woher kam das Schiff denn, oder wurde das nie erwähnt?“

Yaotl grunzte etwas abfällig.

„Diese Idioten haben sich benommen, als ob wir sie nicht verstehen würden. Haben uns Fledermäuse geschimpft und die Zentauren als Zuchthengste bezeichnet. Alkibiades hat einmal einem von der Besatzung ein paar verpasst. Der lag dann sechs Wochen im Lazarett.“

„Alkibiades? Der andere junge Mann, der jetzt auf der GOLDEN BOY ist?“

Myron nickte.

„Genau der. Ein paar Leute von der Besatzung der LOINCLOTH wollten wohl besonders witzig sein und haben eine Wette abgeschlossen. Jedenfalls hat einer versucht, Bias von hinten an die Eier zu gehen. Da hat er ausgekeilt.“

Yaotl nickte ebenfalls und fuhr fort.

„Aber was ich sagen wollte. Sie haben öfter miteinander geredet, also ob wir nicht da wären. Die Versorgungsgüter stammten von Stowas-Lat, aber die Kühlcontainer haben sie irgendwo abgeholt, dass sie Eden genannt haben. Keine Ahnung, was das war.“

„Das muss irgendwo im Weltraum sein, denn einmal sprachen sie davon, dass das Andockmanöver beinahe schiefgegangen wäre.“

„Eden? Im Weltraum? Ein anderes Schiff vielleicht. Wir werden sehen, ob wir etwas herausbekommen können.“

Rian beobachtete amüsiert, wie Alkibiades mit kleinen Sprüngen die Rampe herunterkam und ihnen entgegenlief.

„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber wie nennt man eigentlich die Fellfarben bei ihnen korrekt?“

„Oh, das ist ganz einfach. Von der Farbe her bin ich ein Sabino und Bias ist ein Tigerschecke. Die ursprünglich zugrunde gelegten Pferderassen haben sich etwas vermischt, aber bei mir war es wohl ein Clydesdale und bei Bias wahrscheinlich ein Appaloosa.“

Alkibiades kam heran und bremste vor Myron.

„Das ist richtig aufregend, so ein Raumschiff. Glaubst du, dass wir auch eines Tages mit einem fliegen können?“

Myron hob erstaunt seine Augenbrauen und sah hinüber zur GOLDEN BOY.

„Ich glaube nicht, Kleiner. Wir sind für so etwas nicht geeignet.“

Rian Drake schüttelte den Kopf.

„Warum nicht? Es ist alles eine Frage der Ausstattung und Ausrüstung. Vielleicht wird es ja eines Tages auch ein Schiff geben, mit dem Zentauren den Weltraum erobern können.“

Alkibiades strahlte den Admiral förmlich an, während Myron lediglich etwas ungläubig den Kopf schüttelte.

„Wenn sie dazu Fragen haben, können sie sich gerne an den Kommandanten der GOLDEN BOY wenden. Commander Sheldon ist dafür bekannt, das Unmögliche möglich zu machen.“

„GOLDEN BOY. Ein seltsamer Name für ein Kriegsschiff.“

„Das hat etwas mit unserem ersten Einsatz zu tun. Und mit der Besatzung.“

Myron lächelte leicht.

„Ich hatte es mir gedacht. Liam hat mir einiges erzählt.“

„Liam? Liam Kennedy? Sie haben ihn kennengelernt?“

Bevor Myron antworten konnte, nickte Alkibiades heftig.

„Ja, er hat ihn gestriegelt. Und dann haben sie sich geküsst und…“

„BIAS!“

Eingeschnappt schloss der junge Zentaur seinen Mund, während Quetzal und Yaotl den großen Zentaur lediglich anstarrten.

„Schau an. Mister Unnahbar hat einen seltenen Geschmack.“

Myron funkelte die beiden Aves an, während Rian die Einzelheiten der Bemerkungen langsam zusammensetzte. Wie es schien, hatte nicht nur Myron einen seltenen Geschmack. Auch Liam schien davon betroffen zu sein.

„Bevor wir uns in weiteren Einzelheiten verlieren, habe ich noch ein weiteres Anliegen. Wir haben natürlich unseren vorgesetzten Dienststellen laufend berichtet. Die Special Forces unterstehen direkt dem Oberkommando und haben einen Sonderauftrag. Das ist auch der Grund, warum ich in diesem Alter bereits Admiral bin. Doch zunächst eine Frage. Hat man ihnen etwas über das politische System der terranischen Föderation erzählt?“

Rian war einigermaßen überrascht, als ihm Quetzal einen kurzen, aber doch umfassenden Abriss über die politischen Einrichtungen der Planeten, Systeme, Sektoren und des Reiches gab.

„Fast perfekt. Ich bin überrascht.“

„Man hat uns gesagt, wir müssten unsere Gegner so gut wie möglich kennenlernen, um Schwachstellen in ihrem System entdecken zu können.“

„Nun, das ist auch eine Betrachtungsweise. Sie haben am Ende auch das Königshaus und den Adel erwähnt. Ebenso seine Verflechtung in den politischen Gremien. Um es kurz zu machen, ich bin nicht nur Admiral, sondern auch ein sogenannter Reichsfürst.“

„Die Jagd hat begonnen.“ flüsterte Yaotl überraschend.

„Bitte?“

Wenn die Reichskrieger erscheinen, beginnt die Jagd. Sie sind die einzigen, die euch zur Strecke bringen können.“

Yaotl sah den Admiral mit schmerzlich verzogenem Gesicht an.

„Tut mir leid, aber das war ein Zitat aus den ‚Richtlinien des Schöpfers‘. Ein Sammlung von Zitaten des sogenannten Schöpfers, des Erbauers dieser Anlage. Er soll sie vor über vierzig Jahren begonnen haben und angeblich ist er vor sieben Jahren verstorben. Aber es hieß auch, der Schöpfer soll noch vor wenigen Monaten hier gewesen sein. Ich habe keine Ahnung, was stimmt.“

„Das werden wir herausbekommen. Aber warum ich eigentlich erwähnt habe, dass ich Reichsfürst bin, hat einen anderen Grund. Mein Vorgesetzter möchte gerne mit ihnen sprechen und, wenn sie einverstanden sind, dieses Gespräch dann nachher in der gesamten Föderation veröffentlichen.“

„Ihr Vorgesetzter? Aber als Reichsfürst…“

„Ganz richtig. Ich spreche von seiner Majestät, König Simon dem XLVII.“


„So, die Datenstationen der Aves und der Jewels haben wir auch. Jetzt fehlt nur noch der speziell abgetrennte Bereich.“

Colin Campbell nickte zu dem Bericht von Scion Rhyder und drehte sich um, als hinter ihm Stimmen laut wurden.

„Das ist in Ordnung! Ich erwarte noch jemanden!“

Die Zentauren hinter ihm begleiteten einen Soldaten in der dunkelroten Panzerrüstung der Royal Marines zu ihm. Als der Marine sah, dass Colin Campbell seinen Helm nicht trug, nahm er seinen ebenfalls ab.

„Sind sie Major Campbell?“

„Allerdings. Major Colin Campbell, Special Forces Marines. Ich bin der Einsatzleiter vor Ort.“

„Jawohl, Sir. Major Reins, Kommandeur 17. Raumlandebataillon der 59. Division. Ich wurde zu ihrer Unterstützung hergeschickt.“

Colin Campbell konnte die Gefühle von Major Reins nachvollziehen. Er war Bataillonskommandeur und sollte nun den Anweisungen eines anderen Majors folgen, von dem er nicht mal genau wusste, was der Tat oder wusste.

„Das Schicksal ist ungerecht, Major. Haben sie einen Lageplan?“

Major Reins nickte.

„Gut. Dann ist es umso einfacher. Moment, warten sie.“

Colin Campbell legte seinen Helm auf einen Kistenstapel und verdrehte die Optik. An der Wand neben den Kisten erschien eine kleine Projektion des Lageplans.

„Sehen sie, Hier ist der quadratische Platz mit den drei Gängen. Durch den Gang, der nach Westen führt dürften sie gerade gekommen sein. Der Gang nach Norden führt in die Housing-Area. Wir befinden uns jetzt im östlichen Teil des Biolabors. In der Halle, in der wir uns gerade befinden, ist das Reproduktionszentrum. Hier ist alles, bis auf eine Ausnahme, gesichert. Ebenso wie in der Halle direkt westlich von uns. Dort befinden sich insgesamt vier Datenstationen, von denen wir drei gesichert haben. Alle dort befindlichen Daten wurden ebenfalls gesichert.“

Major Reins sah lediglich auf die Karte und nickte.

„Die noch übrige Datenstation und die Reproduktionsabteilung auf dieser Seite sind speziell abgesichert. Sie sind mit Hochenergiezäunen und automatischen Abwehranlagen ausgestattet. Wir haben nicht die notwendige schwere Ausrüstung, um sie wirkungsvoll zu bekämpfen.“

„Jawohl, Sir. Wieviel dürfen wir kaputtmachen?“

„Im Idealfall gar nichts. In der Datenstation befinden sich äußerst wichtige Daten und in der Reproduktionsabteilung sind mit fast absoluter Sicherheit irgendwelche Lebewesen in den Zuchttanks. Ihnen darf unter keinen Umständen etwas passieren.“

Major Reins dachte an die Aufzuchttanks zurück, an denen er gerade vorbeigekommen war. Er hatte sich immer für einen unerschütterlichen Soldaten gehalten, aber dies hier hatte ihn sehr nachdenklich werden lassen.

„Ich denke, für jeden Einsatzort dürfte eine Kompanie reichen. Wir können versuchen, mit dem Pioniergerät durch die HE-Zäune zu kommen. Die automatischen Abwehrgeschütze können mit den mobilen überschweren Blastern bekämpft werden. Das sollte ausreichen. Was passiert, wenn wir drin sind?“

„Jede ihrer Kompanien wird von einer meiner Gruppen begleitet. Bei der Gruppe für die Datenstation ist unser IT-Spezialist dabei. Sorgen sie nur dafür, dass er in Ruhe arbeiten kann. Die Gruppe bei den Aufzuchttanks werden wir beide begleiten. Ich brauche so viel wie möglich Zeugen für das, was wir eventuell vorfinden.“

Nun wurde Major Reins nachdenklich. Was glaubte Major Campbell, was sich in diesen Aufzuchttanks Merkwürdiges befinden konnte?

Die beiden Kompanien rückten heran und Jason O’Brian begleitete sie mit seiner Gruppe und Andrew Fraser in den angrenzenden Bereich.

Die Gruppe von Joel Cooper führte die Marines zum abgesperrten Bereich in der Reproduktionszone.

Der Kompaniechef war eingehend instruiert worden und so dauerte es nicht lange, bis der HE-Zaun überwunden war. Ein kleiner Durchgang wurde freigeräumt. Und Joel Cooper ließ seine Gruppe langsam vorgehen.

„Was ist das denn? Die sind ja alle voll.“

Dann passierte eine ganze Weile gar nichts.

„Fünfzig Stück. Es sind fünfzig Aufzuchttanks und alle sind belegt.“

Joels Stimme klang etwas belegt und Colin machte sich nun noch mehr Sorgen.

„Was ist los da drin?“

„Keine Gegner. Alles gesichert. Wenn sie jetzt bitte hereinkommen würden. Die haben tatsächlich noch eine weitere Spezies erschaffen. Allerdings kann ich nicht genau erkennen, um was es sich handelt.“

Verwundert sahen sich die beiden Stabsoffiziere an, dann gingen sie auf den Durchgang zu.

Colin erreichte ihn als erster und sah sich um. Zu seiner linken begann eine Reihe riesiger Zuchttanks, die bis oben hin mit der Nährflüssigkeit gefüllt waren. Zu erkennen war zunächst nichts, bis er näher trat.

Im Tank befand sich ein kleines Kind. Major Campbell war nicht besonders vertraut im Umgang mit kleinen Kindern oder Säuglingen und so war er sich nicht sicher, wie alt dieses hier war. Auch das Aussehen gab ihm einige Rätsel auf. Das Gesicht war überwiegend menschlich, doch den Körper überzog ein Fell, dessen Farbe durch die Nährflüssigkeit nicht genau auszumachen war. Etwas auffällig waren die hoch am Kopf angesetzten Ohren, die lang herunterhingen.

„Was“ flüsterte er „ist das denn? An was haben sie sich denn nun noch vergriffen?“

Major Reins war neben ihn getreten und sah etwas ratlos in den Tank.

„Was soll das sein?“

Colin Campbell sah sich suchend um. Dann entdeckte er auf dem Bedienpult des Tanks eine kleine Datenanzeige.

Tank 0012 – Belegt mit einem Exemplar der Zuchtreihe 149 Versuchsanordnung 083. Hybrid der Gattungen Homo sapiens und Odocoileus virginianus – ACHTUNG – Versuchsanordnung in Testphase 3. Überwachung dringend erforderlich.

„Odocoileus virginianus? Was hat man da erschaffen?“

Major Reins bemühte ein Datapad und ließ es dann mit einem Aufseufzen sinken.

„Das ist ein Weißwedelhirsch. Sie haben einen Hirschhybriden erschaffen.“

„Hirsch? Es sieht so aus, als ob sie es diesmal anders als bei den Zentauren gemacht haben. Der Körper sieht ziemlich menschlich aus. Lediglich der Kopf ist ein wenig anders. Und dann natürlich das Fell.“

Etwas ratlos drehte sich Colin zu Major Reins um.

„Kriegen die ein Geweih, wenn sie erwachsen sind?“


Bei der Datenstation verlief es ähnlich wie bei den Aufzuchttanks. Das Pioniergerät der Marines machte kurzen Prozess mit dem Zaun und Andrew Fraser begann seine Arbeit. Während er die Daten herunterlud, verfolgte er auf dem Bildschirm den Fortschritt des Downloads. Dahinter waren Ausschnitte aus den gerade aktuellen Daten zu erkennen.

„Lieutenant O’Brian, können sie bitte einmal herkommen?“

Jason wunderte sich, warum der Corporal auf einmal so förmlich war, doch dann erkannte er auf dem Bildschirm, was gerade heruntergeladen wurde.

„Diese Bastarde. Wenn ich sie erwische, bringe ich sie um.“

„Hier. Sie mussten ihre aktuelle Arbeit unterbrechen, weil Alarm ausgelöst worden war. Die 50 Aufzuchttanks sind fertig. Sie hätten heute geleert werden sollen.“

„Sie meinen, die kleinen… Wesen sind fertig?“

„Sieht so aus.“

„Wir brauchen ein verdammtes Lazarettschiff.“


Auf der GOLDEN BOY herrschte nun absolute Ratlosigkeit. Rian Drake starrte fast eine Minute lang gegen eine Wand, bis er sich langsam umdrehte.

„Chief Parker, ich brauche eine Verbindung mit Terra II. Auf der Sonderleitung.“

„Der Empfänger auf der Sonderleitung ist nicht erreichbar. Wir sollen es mit der MAJESTY versuchen.“

Rian war verblüfft. Die RHNS MAJESTY war das Flaggschiff der Royal Household Navy.

„Er kommt her.“

Rian zuckte zu Tim Sheldon herum.

„Was? Warum?“

„Weil das Ganze sich allmählich zu einem Desaster entwickelt. Zweihundert Jahre lang hat man der gesamten Föderation versichert, dass so etwas nicht wieder vorkommen würde. Und was ist passiert? Das Ganze ist nicht nur von einem verrückten Wissenschaftler verursacht, sondern auch noch von einem Herzog. Rian, die Existenz des Königshauses und des gesamten Adels in der terranischen Föderation steht auf dem Spiel.“

„Sir, ich habe die MAJESTY kontaktiert. Seine Majestät befindet sich dort nicht mehr. Er ist in eine Kurierkorvette umgestiegen.“

Rian lachte laut auf.

„Das Schnellste, was wir zu bieten haben. Bin gespannt, wann er hier eintrifft.“

„Ich auch. Brandon, was haben wir über Eden herausfinden können?“

„So gut wie nichts. Es gibt zwei Planeten mit diesem Namen. Aber das war’s auch schon.“

„Zwei? Wieso denn zwei? Ich dachte immer, Planeten müssen eine eindeutige Bezeichnung haben, wenn sie besiedelt werden.“

„Da ist nicht ganz richtig.“

Nun drehten sich alle zu Phillipp Cameron, der vorne an der Navigationskonsole saß.

„Planeten bekommen ihren Namen schon vor der Besiedlung, damit die Siedler eine emotionale Beziehung zu ihm aufbauen können. Früher war es so, dass auch das Siedlerschiff so benannt wurde.“

„Aha, und weiter.“

„Es gibt einen Planeten Eden, im Hastix-System. Ursprünglich Hastix II. Der ist vor 230 Jahren besiedelt worden. Und dann gibt es im System CX-0027 den Planeten Nummer III, der ebenfalls den Namen Eden trägt. Er ist allerdings niemals besiedelt worden.“

„Was? Warum nicht?“

„Einen Moment. Ah, hier. Das Siedlerschiff ist dort nicht angekommen. Es ist vor 687 Jahren auf Terra II gestartet, aber dann spurlos verschwunden. Das Kolonialministerium hat den Planeten damals nicht für eine erneute Besiedlung vergeben, weil die Möglichkeit bestanden hätte, dass die HMCS EDEN doch noch eintrifft.“

„Was? Mit zehntausend Siedlern an Bord?“

„Die EDEN war eines der letzten Siedlerschiffe, die Hibernationsanlagen an Bord hatten.“

Rian schossen gerade die Bilder von Lager 25 durch den Kopf.

„Oh, was für eine… ein Mist! Wir müssen die EDEN finden!“

„Und wie willst du das anfangen?“

„Frag mich was Leichteres.“


„Was jetzt, Major Campbell?“

„Jetzt bleiben uns nur noch zwei Dinge. Wir müssen das Rechenzentrum mit der zentralen Steueranlage erobern und dann müssen wir die letzten Verteidigungspositionen der Security erledigen. Außerdem wüsste ich ganz gerne, wohin die Wissenschaftler und das ganze Hilfspersonal verschwunden sind.“

„Was ist mit den Aufzuchttanks? Wir können es nicht lange geheim halten, dass bereits eine weitere Spezies erschaffen worden ist.“

„Ist mir schon klar. Es ist wohl besser, wir zeigen es, als dass wilde Gerüchte umlaufen. Die Kompaniechefs und die Zugführer der beiden beteiligten Kompanien können sich das gerne ansehen. Sie werden dafür sorgen müssen, dass es so neutral wie möglich rüberkommt. Haben sie Felidaner in ihrem Bataillon?“

„Nur einen, aber der ist nicht hier vorne.“

„Gut, ich musste meine beiden für eine halbe Stunde festsetzen lassen. Sie hätten wahrscheinlich versucht, das Security-Center alleine zu stürmen.“

Major Reins nickte lediglich, dann sah er sich suchend um.

„Ich sage es den Chefs. Und dann kümmern wir uns um das Rechenzentrum.“


„Ein Kurierfahrzeug von Terra II hat sich gemeldet und bittet um Landeerlaubnis.“

„Haben sie gesagt, wer sich an Bord befindet?“

„Äh, ja. Zunächst der Herzog von Haldron, dann der Generalstaatsanwalt der terranischen Föderation und dann ein Special Agent Morris von der Föderationspolizei.“

„Was, ehrlich? Alle in einem Fahrzeug? Sie sollen im Hangar neben dem Stabsbataillon landen. Wir können einen Lagevortrag halten, sobald sie hier eingetroffen sind. Was ist mit dem Lazarettschiff, das Lieutenant O‘Brian haben wollte?“

„Admiral Frey, der Sektorbefehlshaber hat deswegen angerufen, Sir. Ich wollte ihn durchstellen, aber er wollte nur von mir wissen, was hier los ist. Ich habe ihm gesagt, dass wir ein neues Biolabor entdeckt haben. Daraufhin hat er gemeint: ‚Ich schicke ihnen die gesamte verdammte Sektorflotte, wenn es sein muss‘. Ich habe ihn dann auf ein Lazarettgeschwader heruntergehandelt.“

Rian musste unwillkürlich lachen. Er kannte den alten Admiral persönlich und wunderte sich nicht. Er war mit einer Felidanerin verheiratet. Eine seltene Kombination, aber es gab sie. Und noch viel seltsamer waren die Kinder dieser Ehe. Mrs. Frey hatte Drillinge bekommen. Zwei Felidaner und ein Menschenkind.

„Beim nächsten Mal stellen sie ihn durch, Chief. Ich möchte auf jeden Fall noch mit ihm sprechen.“

SCPO Parker atmete sichtlich erleichtert aus. Die Nummer war deutlich außerhalb seiner Kompetenz gewesen, aber der Admiral schien zufrieden damit.

Der Admiral war deutlich unzufrieden. Am meisten allerdings mit sich selber. Dies war sein erster richtiger Einsatz und er hatte das Gefühl, dass so einiges dabei schiefgelaufen war. Hatte er die richtigen Entscheidungen getroffen? Was hätte man besser machen können? Würden sich seine Aktionen hier tatsächlich auf die fast anderthalbtausend Jahre alte Institution des Königshauses auswirken?

„Sir, was machen wir mit dem Lazarettgeschwader, wenn es eintrifft? Wir haben keinen freien Hangar mehr zur Verfügung.“

Rian überlegte kurz. Im Hangar mit der GOLDEN BOY und der HIGHLANDER konnten höchstens noch zwei kleine Einheiten unter hundert Meter landen. Das würde das Kurierschiff des Staatsanwalts sein und die Korvette mit seiner Majestät. Ein Hospitalschiff mit seinen 400 Metern passte ohnehin in keinen der Hangars, also würde ein Lazarettschiff landen müssen. Das Flaggschiff der Marineinfanteriedivision würde sein Bataillon wohl komplett ausschleusen und in den Orbit zurückkehren müssen.

„Brandon, sag General deJong, dass wir den Platz für ein Lazarettschiff brauchen. Er soll die beiden Schiffe der Landungsbataillone wieder zum Geschwader schicken. Wie weit ist Colin mit dem Bataillon vorangekommen?“

„Die brauchen erst mal eine Pause. Eine der Kompanien sichert jetzt den Aufzuchtbereich. Doktor Farnsworth, Doktor Cameron von der HIGHLANDER und der Bataillonsarzt sind ebenfalls auf dem Weg dorthin.“

„Was wollen die denn… ja, okay. Dann bleibt uns nichts weiter übrig, als zu warten.“


Das Rechenzentrum war der am weitesten westlich gelegene Teil des Biolabors. Es hatte zwei Zugänge, einen im Osten und den anderen genau gegenüberliegend im Westen. Durch den Zugang im Osten waren die Aves eingedrungen und hatten sich dort verschanzt, um die aus dem Westen kommenden Sicherheitsleute daran zu hindern, das in der Mitte gelegene Gebäude mit dem Zentralrechner und der Serverfarm zu besetzen.

Der westliche Zugang wurde schwer umkämpft und in dem gesamten Bereich darum lagen mehrere Tote beider Seiten.

Major Reins folgte dem jungen Aves mit den blauen Schwingen und dem komischen Namen. Von ihrer Position aus konnten sie die Sicherheitstür der Personenschleuse erkennen, die in den Rechnerbereich führte. Die Personenschleuse bot Platz für höchstens sechs Mann und das war der einzige Grund, warum die Aves sich überhaupt so lange hatten halten können. Mehr als sechs Sicherheitsleute konnten nicht gleichzeitig eindringen. Die nächsten brauchten fast volle drei Minuten und das war deutlich zu lange für einen koordinierten Angriff.

„Sie zerstreuen sich, sobald sie hier hereinstürmen. Sie versuchen, sich so lange zu halten, bis Verstärkung kommt. Bisher konnten wir die meisten immer noch aufspüren und ausschalten, aber das wird immer schwieriger. Einige konnten sich verstecken und arbeiten als Scharfschützen. “

Major Reins nickte. Er wusste nicht, wieviel Personal dieser sogenannte Sicherheitsdienst zur Verfügung hatte, aber er musste von der ungünstigsten Lage ausgehen. Vorsichtig begaben sie sich zurück zu ihrem vorgeschobenen Befehlsstand.

Xipilli sprach mit einigen der dort wartenden Aves und Major Reins hatte eine Idee.

„Holen sie Captain Ferguson nach vorne.“

Der Befehl wurde weitergegeben und nach einiger Zeit erschien ein älterer Mann in der roten Kampfpanzerung der Marines, aber mit den schwarzen Abzeichen des technischen Dienstes.

Major Reins wandte sich nun an Major Campbell und an Xipilli, der den Neuankömmling interessiert beobachtet hatte. Es war der erste Mensch den er zu sehen bekam, der keine Haare hatte. Das musste bestimmt einen Grund haben.

„Meine Herren, dies ist Captain Ferguson, der technische Offizier des Bataillons. Ich habe eine Idee, wie wir das Problem mit der Security fürs erste Loswerden. Ich brauche nur von Captain Ferguson die Bestätigung, dass wir die Möglichkeiten dafür haben.“

Auch der Captain schien, wie die beiden anderen Zuhörer, etwas erstaunt zu sein.

„Der Gegner dringt durch eine Personenschleuse Klasse sechs ein. Die Schleuse ist entsprechend ihrer Konzeption als Sicherheitskontrollpunkt entsprechend gepanzert. Sie zu zerstören, dürfte schwierig werden, abgesehen von den strukturellen Schäden, die entstehen könnten.“

Captain Ferguson nickte leicht, sagte aber nichts.

„Ich weiß, dass wir im Bestand diese Thermitladungen haben, mit denen normalerweise Löcher oder Durchgänge in Raumschiffen geschaffen werden. Was passiert, wenn eine solche Ladung an einer Panzertür angebracht wird?“

Captain Ferguson erkannte, dass die Frage an ihn gerichtet worden war.

„Nun, Sir. Eine normale Thermitladung ist für das Aufbrechen einer Panzertür nicht geeignet. Aber ich denke, ich weiß, worauf sie hinauswollen. Wenn wir die Ladung am Dichtungsring anbringen, dürfte sie ausreichen, den äußeren Bereich von Schott und Rahmen zu schmelzen.“

Xipilli versuchte gerade, sich das bildlich vorzustellen.

„Wenn das Metall der Tür und der Fassung schmilzt und dann erkaltet…“

„…ist der Zugang provisorisch verschweißt“ beendete Captain Ferguson den Satz.

Major Reins lächelte. So ungefähr hatte er sich das vorgestellt.

„Haben wir das Material zur Verfügung?“

„Jawohl, Sir. Der Pioniertrupp II hat entsprechende Ladungen. Soll ich ihn anfordern?“

„Ja. Das müssen wir so schnell wie möglich durchziehen.“

Colin Campbell schien nicht ganz überzeugt davon zu sein.

„Was passiert, wenn sie mitbekommen, dass der Durchgang versperrt ist? Werden sie nicht versuchen, auf einem anderen Weg hereinzukommen?“

Xipilli schüttelte den Kopf.

„Es gibt keinen weiteren Eingang. Da müssten sie schon durch die Wand kommen.“

„Eben. Wir müssen die Wände beobachten. Wenn sie verzweifelt genug sind, gehen sie möglicherweise das Risiko ein.“

Major Reins nickte.

„Wir brauchen eine Kompanie zur Sicherung des Eingangs, wenn dort gearbeitet wird. Dann eine weitere zur Beobachtung der Wände.“

„Es sind immer noch Sicherheitsleute versteckt im Bereich.“

„Dann eine dritte Kompanie zur planmäßigen Erkundung und Säuberung. Noch jemand einen Beitrag?“

Alle schüttelten den Kopf und Captain Ferguson machte sich auf zu seinen Pionieren.

Zunächst trafen die einzelnen Kompanien des Bataillons ein und bekamen ihre Aufgaben zugewiesen. Schon bald gab es die ersten kleinen Feuergefechte.

Die Kompanie zur Sicherung des Eingangsbereiches traf gerade rechtzeitig ein, um einen neuen Durchgang abzufangen. Dann kamen die Pioniere. Es waren lediglich zwei Personen, ein Master Sergeant und ein Private mit leichtem Gepäck.

„Master Sergeant Sanchez und Private Thanakorn wie befohlen, Sir.“

„Danke, Sergeant. Dies ist Major Campbell, der Einsatzleiter und dies ist Xipilli, einer der leitenden Beobachter der Aves.“

Der Master Sergeant grüßte Major Campbell, dann sah er etwas überrascht den Aves an.

„Xipilli? Das heißt in etwa Prinz der Juwelen. Haben alle Aves einen aztekischen Namen?“

Xipilli stutzte. Er hatte nicht gewusst, dass sein Name eine Bedeutung hatte. Auch Major Campbell sah den Master Sergeant nun fragend an.

„Aztekisch? War das nicht ein Kulturkreis auf Terra I?“

„Jawohl, Sir. Die sind aber so gut wie ausgestorben, noch bevor Terra I gesperrt wurde. Auf meinem Heimatplaneten gibt es noch einige wenige Nachfahren und die haben die letzten Reste der Kultur und auch ihrer Sprache erhalten.“

„Erstaunlich. Das müssen wir vertiefen, aber nicht jetzt. Xipilli wird sie nach vorne bringen und ihnen ihr Zielobjekt zeigen.“

Der Master Sergeant lächelte leicht und stieß seinen Begleiter an.

„Also los, Song. Fangen wir an.“

Der Private mit den dunklen Haaren und den etwas geschlitzten dunklen Augen lächelte zustimmend. Wortlos nahm er den Rucksack wieder auf, den er vorher vorsichtig abgesetzt hatte. Neugierig sah er dem breiten Rücken mit dem strahlend blauen Gefieder hinterher.

Die Thermitladungen anzubringen war nicht schwierig gewesen. Sie waren lediglich einmal von einem Gegner mit einem Schuss bedacht worden, doch der verfehlte Private Thanakorn zum Glück. Xipilli war sauer, weil die Marines doch für ihren Schutz sorgen sollten. Mit wenigen Gesten schickte er einige Aves auf höher gelegene Positionen.

Als sich der Pioniertrupp zurückzog, um die Thermitladung zu zünden, kam es zu einem unerwarteten Feuergefecht. Mehrere Sicherheitsleute feuerten aus ihren Verstecken heraus und die ersten Blasterschüsse schlugen ein. Die Marines versuchten verbissen, ihre Angreifer zu erledigen, doch die hatten ihre Verstecke gut ausgewählt. Lediglich die höher positionierten Aves konnten sie erwischen, aber auch sie wurden Ziel der Security.

Private Thanakorn fuhr herum, als ein Aufschrei über ihm ertönte und einer der Aves mit ausgebreiteten Schwingen, aber in einem unkontrollierten Fall nach unten kam. Er schlug direkt neben dem Private auf und stöhnte laut.

Der Private wandte sich ihm zu und erkannte einen Blastertreffer in der linken Schulter des jungen Mannes. Junger Mann? Der war höchstens sechzehn oder siebzehn, wenn man von menschlichen Maßstäben ausgehen würde. Und er war ausnehmend hübsch.

Songhai Thanakorn seufzte. Dafür war jetzt nun wirklich keine Zeit und wohl auch nicht die passende Gelegenheit. Rasch zückte er ein Verbandpäckchen für Blastertreffer und fixierte es schnell über der Wunde. Die dort eingebrachten Medikamente wirkten sofort und das Stöhnen wurde etwas leiser.

„Bist du sonst noch verletzt? Irgendetwas gebrochen?“

Voller Panik sah der junge Aves nun Songhai an und versuchte, sich zu konzentrieren. Jeden einzelnen Knochen untersuchte er, so wie er es bei den Meditationsübungen gelernt hatte. Dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, sieht nicht so aus. Danke.“

Songhai sah nun zu seinem Master Sergeant, der ihn aufmerksam beobachtet hatte.

„Fertig? Dann wollen wir mal.“

Songhai nickte und Master Sergeant Sanchez aktivierte sein Headset.

„Pionier zwo an alle Stellen. Klar zum Sprengen. Sprengen in drei, zwei, eins, jetzt!“

Dann drückte er den Fernzünder. Es geschah nichts Spektakuläres, lediglich die angebrachten Thermitladungen flammten auf und erloschen nach etwa fünf Sekunden.

Master Sergeant Sanchez erhob sich und wanderte langsam hinüber zu seinem Werk. Die Thermitladungen hatten, wie erwartet, ganze Arbeit geleistet und das Schott der Personenschleuse war nun fest mit dem Rahmen verschweißt.

Langsam kehrte er zu Private Thanakorn zurück, der sich wieder um den abgeschossenen Aves kümmerte. Nun kniete auch Xipilli neben dem jungen Mann.

„Was soll ich mit dir machen, Xiu? Du solltest doch in Deckung bleiben. Wir oft habe ich es dir gezeigt? Warte noch etwas, dann kommen wir dich holen.“

„Ich bleibe so lange bei ihm.“

Xipilli sah den jungen Soldaten erstaunt an. Dann sah er den Blick, mit dem dieser Xiu bedachte und Xipilli wunderte sich nicht mehr. Gab es viele Menschen, die so fühlten?

Bei ihnen waren es einige. Die Versuchsreihen hatten vielversprechend gestartet, aber da die Aves in Zuchttanks aufwachsen mussten, hatte es keinen großen Bedarf an weiblichen Mitgliedern der Spezies gegeben. Sie waren lediglich zur Fortpflanzung da und da schienen lediglich dreißig Prozent mehr als ausreichend. Keiner schien sich Gedanken gemacht zu haben, wo die männlichen Mitglieder mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen bleiben sollten.

Ähnlich ging es auch den Zentauren, die sogar nur zwanzig Prozent weiblichen Anteil hatten. Waren die Schöpfer etwa der Ansicht gewesen, sie brauchten keine Beziehungen, nur weil sie Pferdekörper hatten?

Auf jeden Fall entwickelte sich eine Kultur der Toleranz und die Listen für die Bewerber zur Fortpflanzung wurden im Laufe der Zeit immer ein wenig kürzer. Erstaunlicherweise schien das die Schöpfer überhaupt nicht zu interessieren. Solange ihre Erwartungen in der körperlichen Leistungsfähigkeit erfüllt wurden, konnten sie so ziemlich alles machen, was sie wollten.

Und so wunderte sich Xipilli nicht, dass Xiu den jungen Soldaten ebenso interessiert ansah wie dieser ihn.

Schon eilten einige Aves mit einer Trage heran und Xiu wurde darauf gebettet. Bevor sie ihn abtransportieren konnten, langte er mit dem Arm seiner unverletzten Schulter nach oben und strich sich über das Gefieder. In seiner Hand hielt er dann eine einzelne rotgoldene Feder.

„Hier, die ist für dich.“

Vollkommen erstaunt nahm Songhai die Feder entgegen und sah dem jungen Aves hinterher, der nun weggetragen wurde. Xipilli trat neben Songhai und sah nachdenklich auf die Feder.

„Ich nehme an, du weißt nicht, was das bedeutet?“

Songhai schüttelte den Kopf.

„Er möchte dich wieder treffen, dich kennenlernen. Und vielleicht…“

„Was?“

Songhai fuhr zu Xipilli herum und sah ihn überrascht an.

„Ernsthaft? Aber ich weiß nicht einmal, wie er heißt.“

„Er heißt Xiutecuhtli. Du scheinst dich nicht daran zu stören, dass es ein junger Mann ist.“

Songhai lächelte versonnen.

„Niemand entgeht seinem Schicksal. Und wenn es einen jungen Mann für mich vorgesehen hat, wer bin ich, dass ich widersprechen dürfte. Er ist hübsch und scheint sehr nett zu sein. Ich möchte ihn auf jeden Fall kennenlernen.“


„Zunächst brauchen wir einen Einblick in die Vorgänge, die hier stattgefunden haben. Dazu brauchen wir auch eine lückenlose Dokumentation. Ich muss zugeben, ich war von den ersten Meldungen wenig überzeugt, doch die Anwesenheit dieser beiden Herren lässt keine Zweifel offen. Ich möchte zunächst meinen Kollegen vom Adelsgerichtshof bitten, seine Sicht und seine weitere Vorgehensweise zu erläutern.“

Es war etwas eng in Rians Suite, aber für einen kurzen Vortrag sollte das reichen. Die Projektionsanlage musste wieder herhalten und Brandon Taylor gab einen minutiösen Bericht über den Ablauf der Geschehnisse, beginnend mit dem Eintreffen der GOLDEN BOY bei dem Bergungsschiff.

Es dauerte über eine halbe Stunde, bis alle Informationen vorgetragen worden waren.

„Eine Frage, Admiral Drake. Was hat sie veranlasst, diesen Mond sofort anzufliegen und nicht erst auf Unterstützung durch die Föderationspolizei oder die Ranger zu warten?“

Brandon Taylor warf dem Staatsanwalt einen giftigen Blick zu, doch Rian winkte ab.

„Der Zeitansatz. Ich habe zwar Unterstützung angefordert, aber in Anbetracht der Umstände, wäre es wohl müßig gewesen, auf die Föderationspolizei oder die Space Ranger zu warten. Sie hätten hier in der Anfangssituation ohnehin nicht viel ausrichten können. Außerdem bin ich der Ansicht, wären wir nur drei oder vier Stunden später hier erschienen, wären alle Spuren beseitigt gewesen. Und damit meine ich alles, was hier je existiert hat.“

Rian wurde durch einen Anruf auf seinem Kom-Armband unterbrochen.

„Was ist? Ich wollte nicht gestört werden.“

„Ich weiß, aber es handelt sich um die Abordnung des Kolonialministeriums. Ich habe ihnen gesagt, dass dies ein Sperrgebiet ist, doch dieser Idiot hat mir gedroht mit einer Anklage wegen Behinderung einer Föderationsbehörde.“

„Was? Wer war das?“

„Ein gewisser Ronald von Jester, Pfalzgraf von Dergold.“

„Pfalzgraf von Dergold? Wer soll das denn sein? Von dem hab ich noch nie gehört.“

„Ich hab ihn nachgeschlagen. Er gehört zum Titularadel. Ist ihm verliehen worden wegen besonderer Verdienste in der Koordination der Verwaltung von Kolonialplaneten.“

„Echt? Stell ihn durch.“

Die anderen vier anwesenden Herren lehnten sich erwartungsvoll zurück, lediglich der Herzog von Haldron tippte eifrig auf seinem Datapad.

„Admiral Drake. Sie wollten mich sprechen?“

Die Aufnahme des Gesprächspartners wurde nun ebenfalls auf der Projektionsfläche angezeigt. Der Graf war ein asketisch aussehender Mittvierziger mit einer ernsten Miene.

„Allerdings. Ich bin der Pfalzgraf von Dergold und Abteilungsleiter III des Kolonialministeriums. Ich muss nachdrücklich darauf bestehen, dass mir und meinen Mitarbeitern sofortiger Zugang zu diesem Mond gewährt wird. Es handelt sich um eine Datensicherung der Kategorie I A im Sinne des Gesetzes über genetische Veränderungen. Ich denke, ich brauche da nicht extra die vorrangige Priorisierung dieses Projektes zu betonen.“

„Was bitte, haben sie nicht davon verstanden, dass der Mond ausdrücklich Sperrgebiet der Stufe ROT ist. Außer den hier im Gefecht befindlichen Truppen hat niemand, und ich wiederhole, niemand, ohne eine ausdrückliche Genehmigung das Recht, auf diesem Mond zu landen. Und weder sie persönlich noch ein Beauftragter des Kolonialministerium stehen auf dieser Liste.“

„Das ist vollkommen irrelevant. Ich bin Pfalzgraf und unterliege nicht dieser einschränkenden Rechtsprechung.“

„Das Einzige, was ihnen hier unterliegt, ist ein ziemlich großer Fehler. Sie wissen anscheinend nicht einmal wer ich bin. Sagt ihnen der Titel Reichsfürst etwas? Ich denke, ich kann ihr Ansinnen ohne weiteres zurückweisen. Falls sie aber noch Fragen haben sollten, kann ich sie an den Herzog von Haldron hier neben mir verweisen. Falls es ihnen nicht bekannt sein sollte, er ist der Staatsanwalt des Adelsgerichtshofes. Wenn sie sie nicht innerhalb der nächsten Stunde aus dem System verschwunden sind, lasse ich sie von der Navy aufbringen und arrestieren. Die Anklage wird lauten auf Behinderung einer Ermittlung, Bedrohung eines Amtsträgers und Amtsanmaßung. Guten Tag.“

Rian schaltete entnervt die Verbindung ab und all vier anderen Anwesenden sahen ihn erstaunt an. Der Herzog von Haldron, der Rian am nächsten saß, tätschelte leicht seine Hand.

„Ist ja gut, Junge. Nicht gleich aufregen.“

Die anderen drei sahen den Herzog erstaunt an und Brandon brummte belustigt. Der Herzog zuckte nur mit den Schultern.

„Ich kenne ihn schon, da konnte er noch nicht einmal laufen. Ich hätte es wahrscheinlich etwas dezenter formuliert, aber im Kern hat der Fürst recht. Wir müssen uns auch etwas einfallen lassen, sobald die militärische Aktion hier abgeschlossen ist. Wir brauchen Beweismaterial.“

Special Agent Morris räusperte sich leise.

„Da habe ich etwas vorbereitet, Sir. Wenn sie und der Generalstaatsanwalt einverstanden sind, werden nach Abschluss der Kämpfe hier zwei Teams der Föderationspolizei mit der Spurensicherungsabteilung alle Beweise sichern. Zur Unterstützung und Absicherung könnten wir auf eine Bereitschaftshundertschaft der Space Ranger zurückgreifen.“

„Was ist mit den Überlebenden der Experimente?“

Der Generalstaatsanwalt seufzte vernehmlich.

„Das ist eine heikle Angelegenheit. Zunächst müssen wir offiziell klären, ob sie alle tatsächlich die Ergebnisse einer künstlich herbeigeführten genetischen Veränderung sind. Das dürfte sich als äußerst wahrscheinlich erweisen. Dann müssen wir klären, ob sie sich in irgendeiner Form strafbar gemacht haben. Also Anwendung von Gewalt über das zugestandene Maß der Selbstverteidigung hinaus. Wenn die Punkte geklärt sind, würde ich vorschlagen, sie sollten diesen Mond verlassen. Mir ist klar, dass das nicht so ohne weiteres möglich ist, deshalb sollten wir, was das betrifft, eine Entscheidung der Politik abwarten. Apropos Politik. Die Gruppierungen der Aves und der Zentauren sollten sich vielleicht überlegen, ob sie einen oder mehrere Vertreter wählen, die sie nach außen hin repräsentieren.“

Rian machte dicke Backen. Er wusste schon, warum er Politik nicht mochte.


Auf der Brücke der GOLDEN BOY hatte Tim Sheldon alle Hände voll zu tun, eintreffende Anfragen abzuwimmeln.

„Wie kommen die ausgerechnet auf uns? Was haben wir mit der Presse zu tun?“

„Von der GOLDEN BOY wurde der Befehl für das Sperrgebiet ausgegeben. Hier residiert der befehlshabende Admiral. Was glaubst du denn?“

Christoph deCoeur lächelte und sah mit ein wenig Schadenfreude hinüber zur Kommunikationskonsole, wo neben Chief Parker nun auch Petty Officer Simon aus der Verwaltung Platz genommen hatte. Die beiden bearbeiteten die eingehenden Sprüche und Christoph dachte sich, besser die als ich.

„Ich glaub’s ja nicht. Eine Beschwerde von der Personalabteilung der Flotte.“

Tim Sheldon sah etwas abgekämpft hinüber.

„Was wollen die denn?“

„Wir sollen denen die Arbeit abnehmen. Im Laufe der letzten sechs Tage sind 3.841 Bewerbungen für die Special Forces dort eingegangen!“

„Was? So ein Unsinn.“

„Nein, das stimmt. Der angehängte Bericht spricht von Bewerbungen aus allen Teilen der Flotte und sogar von ungedienten Bewerbern. Mehr als zwei Drittel sollen ungefragt angegeben haben, schwul zu sein.“

Verblüfft sah Tim Sheldon zu Denny Simon hinüber.

„Was soll denn das? Was glauben die denn, was hier passiert? Wir sind doch kein fliegender Puff!“

„Anscheinend hat es da irgendwo ein Leck gegeben.“

„Als ob wir nichts Wichtigeres zu tun hätten. Hat sich Colin schon wieder gemeldet?“

„Ja. Der Bereich mit der zentralen Rechneranlage konnte provisorisch gesichert werden. Sie sind dabei, den Zentralrechner zu überprüfen. Allerdings scheinen sie ein Problem mit der Serverfarm zu haben.“

„Warum?“

„Die Datenmenge ist zu groß. Wir haben nichts, worauf sie gesichert werden könnte.“

Tim Sheldon war etwas ratlos. Es war naheliegend, dass ein solches Projekt riesige Mengen an Daten benötigte. Die zu sichern war natürlich nicht so ohne weiteres möglich. Sie einfach zu übertragen, schien angesichts der Brisanz des Inhaltes auch nicht in Frage zu kommen. Übertragen… Da war doch was.

„Chief Parker, ich brauche eine Verbindung zur FIREDRAGON.“

„Kommt sofort.“

„Captain Dellbruck, Kommandant der FIREDRAGON. Was kann ich für sie tun, Commander?“

„Ich habe eine Nachfrage, Captain. Führen die Träger immer noch zwei Kommunikationssatelliten mit sich, für den Fall, dass die Raumjäger an verschiedenen Orten ausgesetzt werden müssen?“

„Ja, natürlich. Das gehört zum Standard für ein versetztes Gefecht. Darf ich fragen, was sie zu dieser Anfrage führt?“

„Ich habe ein kleines Attentat auf sie vor. Ich benötige einen dieser Satelliten.“

„Wozu brauchen sie denn auf einem Mond einen Kommunikationssatelliten?“

„Ich benötige nicht den Satelliten an sich, sondern seine Datenspeicher. Soweit ich mich erinnern kann, sind diese darauf ausgelegt, die Sensordaten von ganzen Raumschlachten zu speichern.“

Der Captain lächelte schwach.

„Das ist richtig. Und ich denke, ich weiß, wofür sie ihn brauchen. Ich schicke eines unserer Reparaturshuttles mit einem Satelliten runter zu ihnen. Haben sie denn genug Platz, um ihn nachher unterzubringen?“

Tim konnte sich erinnern, dass der Satellit aus einem Zylinderkern bestand von etwa sechs Metern Länge und einem Meter Durchmesser. Etwa in der Mitte gab es einen fast zehn Meter durchmessenden Ring mit den verschiedensten Antennen.

„Den muss die HIGHLANDER nehmen. Können sie ihn sofort schicken?“

„Ich werde die Techniker sofort anweisen. Viel Glück, Commander.“

Bevor Tim sich bedanken konnte, war die Verbindung auch schon beendet worden.

„Ihr könnt Colin sagen, ich habe einen Datenspeicher der groß genug ist. Sobald er auf der HIGHLANDER untergebracht ist, können sie mit dem Datentransfer beginnen. Dann brauche ich eine Verbindung mit Kapitän Cameron.“


Colin Campbell lehnte sich aufseufzend zurück und bewunderte ein wenig das Improvisationsgeschick der Marines. Sie hatten auf einer freien Fläche mitten in der Laborzone ein kleines Zelt aufgebaut und eine Feldküche installiert. Im Moment wurde gerade warmes Essen ausgegeben.

„Nun Major, gar nichts essen?“

Colin sah hoch und erkannte Major Reins, der auf etwas herumkaute, was aussah wie ein Stück Fleisch in einem Brötchen.

„Ich wollte mich nicht vordrängeln. Erst die Leute, die ihre Arbeit getan haben.“

„Das haben wir alle.“

Major Reins deutete hinüber zur Essensausgabe, wo zwei Zentauren den Soldaten über die Schultern sahen und etwas misstrauisch das Essen beäugten. Etwas weiter saßen zwei Marines zusammen mit zwei Aves an einem der aufgebauten Tische und aßen anscheinend mit Begeisterung, was immer es auch dort gab.

„Wir haben noch zwei Punkte offen. Zum einen müssen wir uns um diese Jewels kümmern. Sie haben bis jetzt weder etwas von sich hören noch sich sehen lassen. Angeblich befinden sie sich in einem eigenen Wohnbereich, der vom Sicherheitsdienst abgesperrt worden ist. Das müssen wir überprüfen.“

Major Reins nickte, während Colin fortfuhr.

„Und dann dieser Sicherheitsdienst. Von einer ‚Security Services Corporation‘ habe ich bisher noch nie gehört. Die GOLDEN BOY sollte da nachforschen, aber sie haben bisher noch nichts gefunden. Irgendwie habe ich da ein ungutes Gefühl. Besonders, weil die gesamten Forscher und das ganze Hilfspersonal verschwunden zu sein scheinen.“

„Sie glauben, dass dieser sogenannte Vernichtungsbefehl auch für sie gilt?“

„Wenn sie hier alles verschwinden lassen wollen, können sie sich keine Zeugen leisten.“

Major Reins erwiderte nichts.

Einer der Aves am Tisch war Xipilli und die beiden Marines waren Master Sergeant Sanchez und Private Thanakorn. Der zweite Aves war ein junger Mann, etwa Mitte Zwanzig, mit braun-weißen Schwingen.

„Cahautemoc möchte gerne etwas über die Namen erfahren, die man uns gegeben hat. Sie scheinen etwas mehr darüber zu wissen, Mister Sanchez.“

Der Master Sergeant musterte zunächst das braune Gefieder und dann das ernsthafte Gesicht des jungen Mannes. Langsam nickte er.

„Hat man ihnen erzählt, dass alle Menschen von einem einzigen Planeten abstammten?“

Die beiden Aves nickten.

„Er soll überbevölkert gewesen sein, das Klima war zerstört und er wurde langsam unbewohnbar.“

„Das war Terra, oder besser, Terra I. Auf der Oberfläche hatten sich die Menschen ausgebreitet und ihre Staaten gegründet, so wie heute die einzelnen Planeten besiedelt sind. Aber sie hatten tausende von Jahren Zeit für ihre Entwicklung und so entstanden sehr viele unterschiedliche Kulturen mit unterschiedlichen Ansichten, unterschiedlichem Glauben und sogar unterschiedlichen Sprachen.“

„Was? Wie haben sie sich denn verständigt?“

„Es gab Leute, die konnten mehrere Sprachen und haben dann vermittelt. Aber als dann die Entwicklung der Raumfahrt voranging und man entdeckte, dass es tatsächlich Planeten gab, auf denen man überleben konnte, begann der Sturm in den Weltraum. Der große Durchbruch kam mit der Erfindung des Überlichtantriebes. Jetzt dauerten Reisen zwischen den Sternen nicht mehr Jahre oder Jahrhunderte. Obwohl es zu Anfang immer noch mehrere Jahre dauerte, ganz weit entfernte Systeme anzufliegen.“

Die beiden Aves sahen sich fragend an. Diesen Aspekt hatte man bei ihrem Unterricht anscheinend ausgelassen.

„Zunächst bauten die großen Staaten der Erde jedes ihre eigenen Siedlungsschiffe. Das ist der Grund, warum einige Planeten auch heute noch sehr stark von einer homogenen Bevölkerungsgruppe bewohnt sind. Das beste Beispiel ist wohl Nova Scotia. Ich nehme an, Major Campbell kommt von dort.“

Fast automatisch sahen die Aves hinüber zu dem großen rothaarigen Major, der gerade mit dem Bataillonskommandeur sprach.

„Der Planet Aztec wurde hauptsächlich von Leuten aus dem ursprünglichen Mittelamerika besiedelt.“

Die Aves sahen den Master Sergeant fragend an.

„Das ist nicht so wichtig. Interessant ist, dass sie das Wissen über die Kulturen ihrer Vorväter mitbrachten, die bereits auf der ersten Erde vor Jahrhunderten schon ausgestorben waren. Von einer dieser Gruppen stammen eure Namen. Ich nehme an, man sie deshalb ausgewählt, weil die alten Azteken eine Vorliebe für Vögel und Gefieder hatten. Etliche ihrer alten Götter waren geflügelte oder befiederte Wesen. Der Name Cahautemoc bedeutet etwa ‚landender Adler‘.“

Cahautemoc sah den Master Sergeant eine ganze Zeit lang schweigend an. Dann erhob er sich.

„Ich danke ihnen sehr für diese Auskunft. Wir werden uns mit den Ältesten beraten und überlegen, ob wir diese Tradition fortführen wollen.“

Master Sergeant Sanchez sah dem Aves nachdenklich hinterher, dann wandte er sich an Xipilli.

„Die Ältesten? Wer sind denn die Ältesten?“

Xipilli lachte und deutete auf den entschwindenden Cahautemoc.

„Der erste Jahrgang. Es hat insgesamt nur sechzehn Jahrgänge gegeben. Der älteste Jahrgang ist jetzt zweiundzwanzig. Cahautemoc ist einer von ihnen. Soviel ich weiß, sind von den 50 Ältesten nur noch zwanzig oder fünfundzwanzig übrig.“

„Und bei den Zentauren?“

Xipilli sah sich suchend um, zuckte aber dann mit den Schultern.

„Ich bin mir nicht sicher. Bei ihnen hat es achtzehn Jahrgänge gegeben. Allerdings waren das auch 100 Geburten pro Jahrgang. Deren erster Jahrgang ist genauso alt wie unser erster Jahrgang, also zweiundzwanzig.“

„Und aus welchem Jahrgang bist du?“

Xipilli sah lächelnd zu Songhai, der Master Sergeant runzelte die Stirn.

„Keine Angst. Das ist kein Problem, nach dem Alter zu fragen. Bei den Zentauren wird sogar viel Wert auf den Jahrgang gelegt. Ich gehöre zum dritten, bin jetzt also neunzehn. Und Xiutecuhtli gehört zum vierten.“

Songhai sah auf die Tischplatte und der Master Sergeant musterte ihn erstaunt. Er hatte schon mitbekommen, dass da was gewesen war, doch anscheinend war es ernsthafter, als er gedacht hatte.

Während die anderen beim Essen waren, saß Staff Corporal Andrew Fraser im Sessel des Bedienpultes für die Serverfarm. Mit großer Erleichterung hatte er vernommen, dass man eine Möglichkeit gefunden hatte, die gesamte Datenmenge komplett zu sichern. Er war mit Major Campbell einer Meinung, dass es möglicherweise Sicherheitseinrichtungen gab, die die Daten löschen oder gar die Server komplett vernichten würden. Darauf wollten sie nicht warten.

Bis die Datenübertragung starten konnte, beschäftigte sich Corporal Fraser mit der Suche nach verschiedenen Stichworten, die ihm von der GOLDEN BOY übermittelt worden waren. Bei einigen gab es gar keine Treffer, andere waren äußerst umfangreich. Plötzlich richtete er sich in seinem Sessel etwas auf. Das war interessant.

Suchwort: EDEN

Data found:

Schule/Unterricht/Philosophie/Eden,

Humanressources/Technik/Hangarpersonal/Eden,

Technik/Backup/Navigationaldata/Eden

Andrew rief den Pfad mit den Navigationsdaten auf.

His Majestys Colony Ship EDEN, Status: Flugunfähig, minimale Energieversorgung, Position: X= -269,17 Y= 112,36 Z= -79,25 stationärer Orbit.

„Major Campbell, können sie bitte ins Rechenzentrum kommen, ich habe da etwas, was sie interessieren könnte.“


Rian Drake befand sich zum wiederholten Mal in einem Dilemma. Was sollte er als erstes machen? Die HMCS EDEN war in den Datenbanken des Biolabors vorhanden, laut Zeugenaussagen sollten von dort Genproben stammen. Sie mussten so schnell wie möglich zur EDEN, denn die Raumyacht dieses merkwürdigen Herzogs war ja immer noch nicht aufgetaucht. Rian hatte den unbestimmten Verdacht, dass auch die EDEN beseitigt werden sollte. Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, dass die ursprünglichen Siedler in ihren Hibernationsstationen immer noch leben könnten.

Dann waren hier noch die Jewels zu befreien, der Sicherheitsdienst festzusetzen und es fehlte immer noch jede Spur von den Wissenschaftlern und dem Hilfspersonal.

Persönlich war er der Ansicht, dass die EDEN Vorrang hatte. Hier auf dem Mond konnten die Marines der beiden Bataillone ohne weiteres mit jeder Situation fertig werden.

Das einzige Problem, dass es gab, wenn er verschwinden würde, war die Sache mit der Befehlsgewalt. Er hatte den unbestreitbaren Vorteil gleichzeitig Admiral und Reichsfürst zu sein. Wenn noch so ein Idiot wie der vom Kolonialministerium auftauchte, konnte es vielleicht wirklich zu Schwierigkeiten kommen.

„Rian, er ist da.“

Die kurze Nachricht von Tim nahm Rian mehr als erleichtert zur Kenntnis. Er wusste genau, wen Tim meinte. Wenn alles klappte, würden sie in einer Stunde starten und der HMCS EDEN doch noch einen Besuch abstatten können.

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