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Freibeuter der Meere

Teil 8

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Informationen

 

Die Scouts verließen, gefolgt von Caelin, das Büro von Hauptmann Owen. Draußen im Vorraum hielt der Hauptmann sie auf.

„Moment, wo wollt ihr hin? Hier in diesem Flügel des Palastes ist es sicher, aber ich habe eine Nachricht von… einem Bekannten bekommen, dass die Palastwache es anscheinend auf den Logger und deren Besatzung abgesehen hatte. Ich denke, ihr wollt ihnen nicht unbedingt über den Weg laufen.“

Clyde hob die Augenbrauen.

„Die Palastwache? Aber ich dachte, die untersteht dem Lordkanzler.“

„Im Prinzip schon. Aber jeder der Angehörigen des geheimen Rates kann darauf zurückgreifen. Ich weiß nicht, von wem sie Anweisungen bekommen haben. Aber ihr solltet euch bedeckt halten.“

„Hm, und wie kommen wir jetzt unerkannt aus dem Palast?“

„Ich hätte da eine Idee.“

Wieder einmal drehten sich die Scouts zu dem jungen Novizen. Der lächelte etwas schüchtern, als ihn alle so erwartungsvoll ansahen.

„Dieser Flügel hier ist über einen Durchgang mit dem Steinernen Hain verbunden.“

„Ich weiß, aber von da aus gibt es auch keinen Weg nach draußen, ohne dass wir auf Wachen treffen.“

„Nein, aber dort gibt es einen Lagerraum. Wir hätten da noch einen Vorrat an Roben.“

Clyde sah Caelin entgeistert an.

„Wir sollen die Robe eines Druiden tragen? Bist du bescheuert?“

„Nein, nein. Keine Weißen. Wir haben aber noch einen ausreichenden Vorrat an Novizenroben. Ich weiß es genau, denn ich musste erst vor kurzem das Lager aufräumen.“

Clyde sah hilfesuchend zu Hauptmann Owen, doch der hob abwehrend seine Hände.

„Da halte ich mich raus. Aber Druiden werden von der Palastwache nicht kontrolliert.“

Clyde seufzte, nickte dann und stieß Caelin leicht an.

„Also los, du gehst voran. Wir wollen nur hoffen, dein Plan gelingt.“

„Moment noch. Wir haben da noch ein kleines Problem. Ihr könnt eure Waffen nicht mitnehmen.“

„Was? Warum nicht?“

Caelin sah Clyde kopfschüttelnd an.

„Druiden tragen keine Waffen, nicht einmal die Novizen. Oder sollte ich sagen, gerade die nicht. Und schon gar nicht solche.“

Damit wies er anklagend auf die riesige Axt auf Finns Rücken. Der reagierte auch sofort.

„Hey, Moment. Ich lasse meine Waffen nicht zurück. Ohne sie fühle ich mich irgendwie nackt.“

„Nackt siehst du anders aus.“

murmelte Clyde und nur Caelin dicht neben ihm konnte ihn hören. Die kleine Bemerkung trieb ihm etwas das Blut in die Wangen.

„Wir können die Waffen alle hier bei uns in der Waffenkammer einschließen. Da passiert nichts.“

Clyde nickte Hauptmann Owen dankbar zu. Um ungesehen aus dem Palast zu entkommen würde ihnen wahrscheinlich nichts anderes übrigbleiben.

Beim Steinernen Hain angekommen musste Clyde feststellen, dass es rings um den eigentlichen Hain noch etliche weitere Wohnräume, Büros und auch Lagerräume gab. Während er Caelin zunächst alleine in einen der Lagerräume folgte, wanderte der Rest neugierig durch den Hain.

Der Boden im Bereich des Gartens war nicht gepflastert. Dunkle Erde bedeckte die ganze Fläche und war an einigen Stellen von verschiedensten Gräsern bedeckt. Wie scheinbar planlos waren Büsche und Sträucher gepflanzt worden. Mehrere hölzerne Bänke waren im Garten verteilt, jede so angeordnet, dass jemand, der darauf saß, einen direkten Blick auf die Statue einer der Gottheiten hatte.

Arje beobachtete überrascht, wie Dian und Finn an den Statuen der Gottheiten vorbeigingen und sie leicht mit ihren Fingerspitzen berührten.

Finn bemerkte Arjes Blick und ging zum ihm hinüber.

„Du wunderst dich sicherlich ein wenig. Aber unsere Götter sind nicht unsichtbar und weit entfernt. Sie sind zum Anfassen, sie sind hier und wenn ich sie berühre, dann in der Hoffnung, einen Segen zu bekommen.“

„Aber es sind so viele.“

Finn schüttelte den Kopf.

„Das sieht nur so aus. Es sind sieben. Zumindest die Druiden folgen dem Weg dieser sieben Götter. Aber in jeder Region werden auch noch weitere verehrt. Nimm zum Beispiel diesen hier.“

Finn führte Arje zu einer Säule, auf deren Vorderseite das Bildnis eines Mannes fein ausgestaltet war.

„Lugos, der Gott der Krieger. In meiner Heimat auch als Lugh bekannt. Übrigens der Enkel von Dian Cecht, nach dem Dian benannt worden ist. Ein großer Krieger und König der Túatha Dé Danann. Einige behaupten, seine größte Leistung war, dem Land einen Feiertag zu stiften, einen Gedenktag an seine Ziehmutter. Lughnasadh ist noch gar nicht so lange her. War am Ersten August.“

Arje hörte Finns Ausführungen zu und strich gedankenverloren mit seinen Fingerspitzen über die Säule. Kam es ihm nur so vor, oder spürte er wirklich ein leichtes Prickeln in seinen Fingern?

Langsam wanderte Arje weiter und blieb vor einer weiteren Säule stehen.

„Wer ist das denn?“

Finn kam näher und betrachtete das Abbild eines Mannes mit einem Hirschgeweih.

„Das ist Cernunnos, der Gott des Waldes, der Natur, der Tiere und auch der Fruchtbarkeit.“

„Fruchtbarkeit?“

Finn nickte und deutete etwas tiefer auf die Säule, wo eine Erektion deutlich sichtbar ausgearbeitet worden war.

Arje starrte erstaunt darauf, doch Finn gab ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.

„Du brauchst auf gar keine dummen Gedanken kommen. Die Gottheit symbolisiert die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier. Schließlich sollen die Menschen ja nicht aussterben und die Tiere auch nicht. Was sollen wir denn sonst jagen?“

Arje spürte den leichten Unterton und fühlte sich plötzlich irgendwie als Jagdbeute.

Clyde ging inzwischen mit Caelin einen Stapel von Novizenroben durch.

„So, die müssten passen, sogar dem Muskelprotz.“

Clyde sah amüsiert zu Caelin.

„Laß ihn das nicht hören. Er mag zwar groß und stark sein, aber er ist auch gebildet und hat eine höfische Erziehung. Kann es sein, dass dir irgendetwas an ihm nicht gefällt? Oder gefällt dir an ihm vielleicht gerade etwas ganz besonders?“

Caelin senkte seinen Blick auf den Stapel mit Roben und murmelte etwas Unkenntliches. Clyde nickte lächelnd und beließ es dabei. Dann rafften sie die Sachen zusammen und gingen nach draußen.

„Was? Das sollen wir anziehen?“

Finn hatte die für ihn vorgesehene Robe aufgenommen und hielt sie an einem Arm hoch.

„Ja. Was ist damit?“

„Da pass ich doch nie rein.“

„Ich werde dir dabei helfen.“

Finn betrachtete Caelin etwas merkwürdig, versuchte dann aber die graue Robe überzuziehen. Bei den anderen waren sie weit genug, so dass sie problemlos über der Uniform getragen werden konnten, bei Finn ließ sie sich schwer herunterziehen.

„Du musst deine Jacke ausziehen.“

Finn warf Clyde einen bösen Blick zu, entledigte sich aber der Uniformjacke. Während die anderen Finn schon unbekleidet gesehen hatten, starrte Caelin nun fasziniert auf die Tätowierungen in Form eines Fabeltiers, die sich über Finns Brust zog.

Fast automatisch strich Caelin mit seinen Fingerspitzen die Kontur der Tätowierung nach, bis er die linke Brustwarze erreichte. Dort schnappte Finn nach seiner Hand.

„Keine Zeit für so was. Wenn wir hier raus sind, kann ich dir auch gerne den Rest meines Körpers unbekleidet zeigen.“

Caelin zuckte zurück und drehte sich von Finn weg. Er murmelte wieder etwas und zeigte auf den Ausgang.

„Wenn alle fertig sind, können wir los. Es gibt vielleicht ein kleines Problem, aber da muss ich mir was einfallen lassen.“

Er hob den Saum seiner Robe an und alle sahen, dass er lediglich Sandalen trug.

„Mit den Stiefeln seid ihr natürlich auffälliger. Aber erstens haben wir nicht so viele Sandalen und zweitens wollt ihr sicherlich nicht auf die Stiefel verzichten.“

Clyde sah nachdenklich nach unten, nickte dann aber zustimmend.

„Wir werden sehen, wie weit wir damit kommen. Los geht’s.“

So wanderten dann acht Novizen der Druiden durch die Gänge des Palastes. Zwei nebeneinander und vier hintereinander. Die Kapuzen weit über die gesenkten Köpfe gezogen, gingen sie gemessenen Schrittes auf das Westportal zu. Die Wachposten sahen ihnen neugierig entgegen.

„Halt! Wohin wollt ihr?“

Der vorderste Novize schob seine Kapuze zurück und sah den Wachmann aus grauen Augen vorwurfsvoll an.

„Wir sind auf dem Weg in die Ferne. Die Straße wird uns an unser Ziel führen. Aber wenn ihr wissen wollt, warum wir unterwegs sind, dann könnt ihr das auch gerne fragen.“

Verblüfft sah der Wachmann zu dem Novizen mit den dunklen Haaren hinüber. Die anderen hatten ihre Kapuzen aufbehalten und verhielten sich still. Wollte man ihn jetzt veralbern? Der Wachmann räusperte sich.

„Also gut. Warum seid ihr unterwegs?“

„Wir haben den Ruf der Götter erhalten. Jeder von uns wird zu einem Heiligen Hain reisen, um dort seinen Dienst im Namen seines Gottes zu beginnen.“

Oha, da hätte er doch beinahe einen Fehler begangen. Druiden, die im Namen der Götter unterwegs waren, sollte man tunlichst nicht aufhalten. Die Götter können bei so was leicht verstimmt werden.

Caelin, der Novize, der mit dem Wachmann gesprochen hatte, hob seine rechte Hand. Um sie herum erschien ein sanftes helles Leuchten.

„Der Segen der Götter sei dir gewiss.“

Freudig dankte der Wachmann und riss förmlich den Torflügel auf, um die Reisenden in die Welt ihrer Götter zu entlassen.

Während ihres kleinen Marsches durch die Stadt behielten die acht ‚Novizen‘ ihre Formation bei und zogen manch neugierige Blicke auf sich.

Neben Caelin ertönte Clydes Stimme.

„Was war das denn mit dem Segen? Hast du damit nicht ein Bisschen übertrieben?“

Caelin kicherte leise.

„Na ja, wenn Bruder Thibalt das mitbekommen hätte, würde es bestimmt Ärger geben. Wir sollen die Gläubigen nicht mit irgendwelchem magischen Mumpitz beeindrucken. Die Götter wirken ja auch unerkannt. Aber die Gelegenheit war günstig. Und es hat funktioniert.“

„Und was war das jetzt?“

„Oh, das war ein einfacher Lichtzauber. Ist am Abend ideal zum Lesen.“

Clyde schüttelte den Kopf. Irgendwie hatte er den jungen Druidenschüler falsch eingeschätzt. Na, ihre erste Begegnung war ja auch nicht gerade sehr freundlich verlaufen.

„Wo wollen wir eigentlich hin? Um den Palast zu verlassen war die Verkleidung ja ganz brauchbar, aber hier draußen fallen wir damit doch etwas auf.“

Finn fand es anscheinend nicht sehr angenehm, in der Robe herumlaufen zu müssen.

„Stimmt. Wo können wir die Dinger unauffällig loswerden?“

Caelin überlegte einen Moment.

„Wir können sie einfach ablegen und irgendwo verstauen. Sie sind nicht besonders teuer und wir können einen solchen Verlust wohl verschmerzen. Hoffe ich wenigstens.“

„Was ist mit dir?“

„Ich? Oh, ich darf die Robe nicht ablegen. Aber ein einzelner Novize hier in der Stadt ist völlig normal. Da sind selbst eure Uniformen noch auffälliger.“

In einer halbdunklen unbelebten Seitengasse entledigten die Scouts sich schnell ihrer Roben. Caelin beobachtete Finn, der in aller Ruhe seine Jacke wieder anzog. Clyde machte sich so seine Gedanken. Arje und Dian verstauten die abgelegten Roben in einem leeren Fass in der Gasse.

„Na, da wird sich jemand aber wundern, wenn er da reinsieht.“

Dian zuckte lediglich mit den Schultern.

„So, und jetzt auf zum Hafen.“

Frank hob fragend die Augenbrauen und Clyde sah sich um, ob alle abmarschbereit waren.

„Die ESTRAY wartet auf uns bei den Werften. Bei den reparaturbedürftigen Schiffen ist immer viel Betrieb und da fällt ein Kutter nicht so stark auf. Außerdem würde ich in einer Werft als letztes nach einem Schiff suchen, das eigentlich auf der Flucht ist.“

Frank dachte einen Moment nach und sah zu Mario, der leicht zustimmend lächelte.

„Also gut, dann auf zur Werft.“


Auf der FAIRYTALE war die Mannschaft inzwischen bei einer herausfordernden Arbeit. Am frühen Morgen hatte der Captain verkündet, dass er die LE COMBATTANT bergen wolle und sie dafür nach Tarray geschleppt werden musste.

Dieser Entscheidung war eine längere Diskussion vorausgegangen. Percy Seymore hatte sich zunächst entschieden gegen eine solche Aktion ausgesprochen.

„Das kostet Zeit, die wir nicht haben. Die LE COMBATTANT ist nicht im besten Zustand und wir wissen nicht, ob wir sie heil nach Tarray bringen werden. Außerdem ist ein solches Schleppmanöver immer eine riskante Sache. Da kann eine Menge bei schief gehen. Was willst du überhaupt mit dem Ding?“

Daniel Hansom seufzte und strich dem neben ihm liegenden Percy über die nackte Brust.

„Du erinnerst dich an das Handelsabkommen mit dem Earl of Argyll?“

„Wegen der Benutzung der Häfen und dem Schutzabkommen für die Handelsschiffe?“

„Genau. Wir dürfen in Linderney zu verminderten Gebühren festmachen, was auch für alle Schiffe aus Argyll bei uns betrifft. Zugleich haben wir uns gegenseitig verpflichtet, uns bei eventuellen Überfällen gegenseitig zu unterstützen. Das können wir nur, gesetzt den Fall, die FAIRYTALE oder nun auch die ESTRAY sind in der Nähe. Der Earl of Argyll hat keine eigenen Kriegsschiffe. Er hat auch keinen Kaperbrief, also auch keine Freibeuter.“

„Du willst die LE COMBATTANT an den Earl of Argyll verkaufen?“

„Nein, das geht nicht. Ein eigenes Kriegsschiff darf er nicht unterhalten, das würde die Navy nicht erlauben. Und einen Kaperbrief hat er nicht, wie ich bereits sagte. Also hat Brian einen anderen Vorschlag gemacht. Wir nehmen die LE COMBATTANT in Besitz und gliedern sie unseren Freibeutern ein.“

„Ach so? Also jetzt doch wir?“

„Nein, nicht ganz. Wir verchartern sie einfach an den Earl of Argyll. Sie behält unsere Flagge und fällt somit immer noch unter unseren Kaperbrief. Die Besatzung und Ausrüstung stellt Argyll. Er kann mit ihr Handel treiben und ganz offiziell auch als Freibeuter arbeiten. Ich weiß nur nicht, wie das mit den Prisengeldern sein wird, denn die gehen ja dann immer noch an uns. Aber da wird sich sicher etwas finden.“

Percy Seymore schwieg eine ganze Weile.

„Du hast mit Brian schon darüber gesprochen. Der Plan existiert schon länger?“

„Schon seit dem ersten Abkommen mit Argyll. Wir wussten nur nicht genau, wie wir es machen sollten. Es gab keine passenden Schiffe und ein Neubau wäre dann doch zu teuer gekommen.“

„Jetzt sollen wir also dieses halbe Wrack bis nach Tarray schleppen, um es dort Instandsetzen zu lassen. Bist du wirklich sicher, dass das Ding bis dahin zusammenhält?“

„Meister Focke hat gesagt, es hält. Und wenn er es sagt, will ich es auch glauben. Percy, wir müssen auch hin und wieder mal ein Risiko eingehen.“

Percy lachte leise.

„Hin und wieder mal? Unser ganzes Leben ist ein Risiko. Hast du dir eigentlich schon einmal überlegt, wer denn der nächste Earl of Scythe werden sollte, falls dir etwas passiert?“

Daniel Hansom sah seinen Partner erstaunt an. Dann erinnerte er sich schmerzhaft an den Tod von Robert. Dem war es damals wichtig gewesen, einen Nachfolger zu haben, sollte ihm bei seinen Unternehmungen etwas zustoßen. Daniel selbst hatte sich diesem Problem noch gar nicht gestellt. Gab es überhaupt jemanden, der die Fähigkeit hatte, sich am Hofe und im Adel durchzusetzen und in gleicher Weise als Captain der FAIRYTALE oder eines anderen Schiffes zu agieren?

Etwas unwillig schüttelte der jetzige Captain seinen Kopf. Das konnte noch etwas warten.

„So schnell passiert nichts. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was unmittelbar vor uns liegt.“

„Ja, ja. Hab schon verstanden. Also ein Schleppmanöver. Du kannst dich schon mal drauf einstellen, dass es nicht einfach wird. Und wir werden eine ganze Zeit brauchen, bis wir in Tarray sind.“

Percy wollte sich von seiner Decke befreien und aufstehen, doch Daniel zog ihn noch einmal zurück. Er grinste ihn erwartungsvoll an.

„Wo willst du hin? Wir sind hier noch nicht fertig.“

Den Vormittag verbrachte ein Teil der Besatzung der FAIRYTALE mit der Vorbereitung des Schleppgeschirrs. Ein anderer Teil versuchte, unter der Leitung des Zimmermanns, die gröbsten Schäden auf der LE COMBATTANT zu beheben und den Rumpf schwimmfähig zu halten.

Percy Seymore stand mit Reinhard Focke auf dem Achterdeck der LE COMBATTANT und beide sahen hinunter auf das große Loch, das die Kugeln der FAIRYTALE in den Heckaufbau gerissen hatten.

„Zum Glück hat es keine größeren Schäden unterhalb der Wasserlinie gegeben. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Heckspiegel lediglich im oberen Teil beschädigt ist. Das Batteriedeck wurde verwüstete und hier oben die Aufbauten mit der Kommandantenkammer. Leider ist dabei auch die Ruderanlage getroffen worden. Das Ruderblatt ist noch vorhanden, aber die Steuerseile und die Umlenkrollen wurden getroffen.“

Percy Seymore spähte nach unten und grunzte unwillig. Wäre ja auch zu schön gewesen.

„Na gut. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Treibanker aufzuriggen. Leere Fässer haben wir ja wohl noch.“

„Aye, Sir. Ich würde vorschlagen, vier Stück. Das müsste vom Gewicht her reichen.“

Der Treibanker wurde aus halb mit Seewasser gefüllten Fässern improvisiert. Sie wurden zusammengelascht und an einer Trosse hinter dem Schiff hergeschleppt. Das Gewicht der Fässer und ihr Widerstand im Wasser hielten das Heck des Schiffes davon ab, beim Schleppen hin und her zu schwingen.

„Ich werde Lionel damit beauftragen. Sie können dann mit ihren anderen Arbeiten fortfahren. Wie sieht es vorne aus? Haben wir eine anständige Aufnahme für die Schlepptrosse?“

Während die beiden Männer zum Bug wanderten, schweifte Percys sachkundiger Blick von einer Seite auf die andere. Zugegeben, das Schiff würde gut aussehen, wenn es denn wieder repariert war. Man würde sich nur entscheiden müssen, ob die Geschwindigkeit nicht doch zu Kosten der Bewaffnung reduziert würde.


Die ESTRAY war tatsächlich nicht leicht zu finden. Sie lag längsseits eines weiteren Kutters, der zur Ausrüstung an der Pier lag. An Bord waren dort nur ein paar Werftarbeiter, die sich an der ESTRAY aber nicht zu stören schienen.

Kurz nach dem die Scouts wieder an Bord waren, legte die ESTARY auch schon wieder ab.

„Nach Caerdydd also. Das ist kein Problem. Das liegt direkt in der Flussmündung an der Nordseite des Tyne. Und wo genau sollen wir da hin?“

Clyde sah Thorben etwas ratlos an.

„Keine Ahnung. Gibt es da eine größere Auswahl?“

„Ja, leider. Wir haben da den Handelshafen. Nicht so groß wie in Caerdon, aber trotzdem mehrere Hafenbecken. Dann haben wir das Werftgelände. Sogar größer als hier. Der Grund ist, dass Caerdydd der Hauptanlaufhafen für die Schiffe aus der Neuen Welt ist. Nach den Überfahrten brauchen sie öfter eine Instandsetzung. Und drittens hätten wir da noch einen Hafen der Navy. Er ist der Versorgungsstützpunkt für die westliche Flottille.“

„Die Navy? Gibt es da Schwierigkeiten?“

Thorben schüttelte den Kopf.

„Kaum. Die Schiffe sind fast immer draußen auf See und patrouillieren an der westlichen Durchfahrt durch die Enge. Und den Hafenkapitän dort wird ein kleiner Kutter der Freibeuter kaum stören.“

„Wir nehmen wohl doch besser den Handelshafen. Sicher ist sicher.“

Thorben nickte und die Reise ging den Fluss hinab. Als sich die Mündung des Tyne öffnete, nahm die ESTRAY Kurs auf die Ansteuerung von Caerdydd. Doch bevor sie den Kurs geändert hatten, meldete sich der Ausguck.

„An Deck! Steuerbord voraus. Ein Kutter der Navy läuft direkt auf uns zu.“

Thorben fuhr herum und starrte nach vorne. Tatsächlich, ein Kutter mit der weißen Flagge der Royal Navy hielt auf sie zu. Im Gegensatz zu der dunkelblauen Flagge der Freibeuter und der roten Flagge der Handelsschiffe mit den drei goldenen Löwen der Königin von Britannica zeigte die weiße Flagge der Navy drei rote Löwen.

„An Deck! Sie haben ein Signal gesetzt!“

Manuel sah nun ebenfalls nach vorne, konnte aber nicht viel erkennen. Kurz entschlossen enterte er auf und versuchte das Signal zu entziffern. Wieder zurück an Deck blätterte er hektisch in seinem kleinen Buch. Dann setzte er den Antwortwimpel halb.

„Sir, Signal vom Kutter OAKLEAF. Sie haben unseren Namen gesetzt und das Signal ‚haben Post‘.“

„Sie haben Post für uns? Merkwürdig. Aber egal. Zeig verstanden.“

Manuel bestätigte das Signal und die OAKLEAF drehte nun bei. Thorben wusste, was zu tun war. Er verringert ebenfalls die Geschwindigkeit und setzte sich in eine Position in Lee von der OAKLEAF. Hier in der Flussmündung war etwas wenig Platz, aber dafür dürfte es reichen.

Von der OAKLEAF löste sich nun ein kleines Beiboot und kam näher. Als es an der ESTRAY angelangt war, stieg ein Seekadett der Navy die schmale Strickleiter empor. Oben angekommen, sah er sich neugierig um. Dann fiel ihm wohl der Grund seines Hierseins ein.

Es gab nur zwei Männer an Deck, die eine Uniform trugen, die derjenigen der Navy bis auf die Farbe nachempfunden war. Bei einem sah sie aus wie seine eigene, bei dem anderen glich sie dem eines Lieutenants.

„Seekadett Richardson, Sir. Ich habe zwei eilige Depeschen zu übergeben.“

„Dann willkommen auf der ESTRAY, Mister Richardson. Mein Name ist Thorben Dagursson und ich bin der Schiffsführer.“

„Jawohl, Sir. Dann ist diese Nachricht hier für sie.“

Thorben nahm einen verschlossenen Umschlag entgegen und sah den Kadetten erwartungsvoll an, als dieser eine weitere Nachricht zückte. Für den Adressaten musste er noch einmal auf den Umschlag sehen.

„Diese hier ist für seine Hochwohlgeboren Lord Clyde Cameron, Leutnant der Scythe Scouts.“

Hinter dem Kadetten brach gerade ein leises Kichern aus, doch als er sich umdrehte, trat ein rothaariger junger Mann in einer grünen Uniform vor. Die anderen Leute in der gleichen Uniform schienen da irgendetwas besonders Lustig zu finden.

„Das bin dann ich.“

„Oh. Äh, ich meine, jawohl euer Lordschaft.“

Clyde nahm mit hochgezogenen Augenbrauen den Umschlag entgegen, während der Kadett ein kleines Büchlein zückte.

„Wenn ihr bitte hier quittieren wollt, euer Lordschaft.“

Clyde zog nun seine Augenbrauen zusammen und musterte den Kadetten halb amüsiert, halb verärgert. Doch der schien sich keiner Schuld bewusst.

Plötzlich trat Diethard Wegener neben Clyde und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Kadett Richardson sah irritiert von Clyde zu Diethard, doch der ging wieder zurück zu seiner Position neben dem Rudergänger.

Clyde musste sich eingestehen, dass Diethard Recht hatte. Sein Aufenthalt auf der FAIRYTALE und bei den Scouts hatte ihn die Etikette des Adels und der mit ihnen in Kontakt stehenden Personen etwas vergessen lassen. Der junge Mann war vollkommen im Recht mit seiner Anrede und den höflichen Umgangsformen.

Clyde lächelte ihn nun an und nahm das Quittungsbuch entgegen. Als er es zurückgab, bemerkte er, dass der Seekadett leicht zitternde Hände hatte und sein Gesicht etwas an Farbe zugenommen hatte.

Dies war nicht das erste Mal, dass Clyde sein Glamour heimlich verfluchte.

„Einen Moment, bitte. Ich möchte es kurz lesen, dann können sie eine eventuelle Antwort gleich mitnehmen.“

„Jawohl, euer Lordschaft.“

„Diethard, begleite Mister Richardson bitte in die Kapitänskajüte. Dort kann er etwas von der Spezialität der Insel probieren.“

Diethard wandte sich an den Besucher, der ihn immer noch unsicher mit Clyde verglich.

„Wenn sie mir bitte folgen wollen, Mister Richardson.“

Clyde sah ihnen hinterher, dann öffnete er seinen Umschlag.

‚An den Sohn beider Welten. Wir haben den Bären in Sicherheit gebracht. Sorge dich nicht. Wenn du das Erbe der anderen Welt eingehend betrachtest, wirst du alle vier Elemente finden. Sprich mit ihnen. Fürchte dich nicht, denn das ist das Leben. In dieser Welt könnt ihr dem Pfad der See folgen. Er wird euch in eine sichere Zuflucht geleiten. Gwydion.‘

Erstaunt las Clyde das Schriftstück ein zweites Mal.

„Wer ist Gwydion?“ murmelt er.

Caelin horchte auf.

„Gwydion? So heißt der Erzdruide. Darf ich mal sehen?“

Clyde reichte Caelin das Schriftstück und der Novize lächelte leicht.

„Na, das ist ja mal eine Aufgabe. Aber hier unten, das ist das Siegel des Erzdruiden.“

Caelin legte seinen Daumen auf das Siegel und es begann aus sich heraus zu leuchten.

„Es ist echt. Das hat tatsächlich der Erzdruide geschrieben.“

Clyde nickte erfreut, dann wandte er sich an Thorben.

„Und was steht in deinem Brief?“

„Der ist vom Hafenkapitän von Caerdydd. Eine Einladung, den Hafen und die Versorgungseinrichtungen der Navy zu nutzen. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, was das soll. Sonst ist die Navy immer etwas abweisend und zickig, wenn es um Freibeuter geht.“

„Keine Angst. Diesmal sieht es wohl anders aus. Der Erzdruide hat mir geschrieben. Unter anderem steht da, dass wir ‚dem Pfad der See folgen können‘. Er soll uns zu einer Zuflucht bringen.“

„Deshalb also das Empfangskomitee. Na gut. Manuel, hol bitte Mister Wegener und Mister Richardson. Wir haben eine Antwort.“

Schweigend kamen die beiden Kadetten aus der Kajüte und Thorben betrachtete den jungen Mann der Navy näher. Die dunkelblonden Haare und ein durchaus trainierter Körper gaben keinen Aufschluss darauf, aus welchem Teil von Britannica er stammte. Auch der Name war auf der ganzen Insel verbreitet.

„Nun, hat ihnen Mister Wegener etwas von der Spezialität von Scythe angeboten?“

Peter Richardson verzog etwas sein Gesicht, lächelte aber.

„Jawohl, Sir. Vielen Dank, Sir.“

„Na, ist nicht jedermanns Sache. Aber das beliebteste Getränk ohne Alkohol auf der Insel. Apfelsaft aus der Grafschaft Scythe, versetzt mit etwas Wasser. Es gab ein altes Sprichwort darüber, dass die Äpfel so sind wie die Einwohner – hart und sauer. Das ist aber nun etwas abgeändert worden. Jetzt heißt es zwar immer noch, dass die Einwohner so sind wie die Äpfel – diesmal aber sind manche sauer, einige süß, aber alle haben eine raue Schale.“

Sauer? Süß? Peter Richardson brauchte eine Weile, bis er die Zweideutigkeit erkannte. Man konnte es an seinem überraschten Gesichtsausdruck und der etwas dunkleren Farbe dort erkennen. Der junge Mann war mehr als überrascht von dem, was er hier an Bord zu sehen bekam. Den Beschreibungen nach, die über die Freibeuter in Umlauf waren, hatte er hier an Bord erheblich mehr Chaos und Unordnung erwartet. Und dann erst die Gerüchte über die Freibeuter von Scythe. Hieß es nicht, sie würden halbnackt herumlaufen und in aller Öffentlichkeit Unzucht treiben?

Zu sehen war davon nichts. Ganz im Gegenteil. Die Ordnung an Deck war vorbildlich. Er wünschte sich, dass es auf der OAKLEAF auch immer so aussehen würde.

„So, Mister Richardson. Wir werden ihnen nach Caerdydd folgen und ich nehme an, wir sollen dort in dem Hafen der Navy festmachen.“

„Jawohl, Sir. Wenn sie erlauben, würde ich gerne mein Boot zurückschicken und sie hier an Bord bis zum Hafen begleiten.“

Thorben hob seine Augenbrauen, nickte aber zustimmend.

„Das dürfte kein Problem sein.“

„Vielen Dank, Sir.“

Seekadett Richardson ging zur Reling und ließ das Beiboot zur OAKLEAF zurückkehren. Als er sich umdrehte, sprach der Schiffsführer gerade mit einem der Mannschaften.

„Manuel, ein Signal an die OAKLEAF. Folgen ihnen nach Caerdydd.“

Manuel nickte zu dem Befehl von Thorben und machte sich an die Arbeit. Seekadett Richardson sah fast ungläubig zu, wie die Flaggen in Windeseile emporstiegen.

„Signal erkannt und bestätigt.“

„Ja, danke. Sehr schön. Sven, wir folgen OAKLEAF im Abstand von zwei Kabellängen.“

Peter Richardson zögerte ein wenig, trat dann aber auf Thorben zu.

„Verzeihung, Sir. Ich möchte nicht neugierig wirken, aber sie lassen den Signaldienst wirklich von einem Mannschaftsdienstgrad machen?“

Thorbens Gesicht verfinsterte sich etwas, doch dann verstand er den Sinn der Frage.

„Manuel ist nicht nur ein Mannschaftsdienstgrad, er gehört auch noch zu den Schiffsjungen. Bei uns werden alle Schiffsjungen in Lesen und Schreiben ausgebildet, so dass sie, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, ohne weitere auch als Seekadetten arbeiten könnten. Auf der FAIRYTALE stammen momentan drei von sechs Seekadetten aus den Reihen der Schiffsjungen.“

Erstaunt sah Seekadett Richardson nun zu Manuel hinüber, der in aller Ruhe seine Flaggen wieder in den Säcken verstaute. Kopfschüttelnd ging er zu dem jungen Mann und sah ihm einen Moment zu.

„Hast du einen Moment Zeit?“

Etwas irritiert sah Manuel auf. Eine solche Frage zielte normalerweise auf etwas ganz Bestimmtes, aber bei dem Kadetten der Navy konnte er davon ausgehen, dass der nichts von ihm wollte.

„Jawohl, Sir.“

„Ich bin kein Offizier. Ich bin Seekadett Richardson von der OAKLEAF. Ich habe dich gerade mit den Flaggen beobachtet. Ist es nicht sehr zeitraubend, sie in den Säcken zu suchen und wieder zu verstauen.“

„Hm, ja sicher, Mister Richardson. Aber irgendwo muss ich sie ja lassen.“

„Ihr habt doch sicherlich einen Zimmermann an Bord.“

„Hu? Verzeihung, Sir. Aber ja, wir haben einen. Darf ich fragen, warum?“

„Wir haben auf der OAKLEAF für die Signalflaggen einen speziellen Flaggenkasten. Fast nur ein Brett mit Haken für jede einzelne Flagge. Die werden aufgerollt und zusammengesteckt und kommen dann an den entsprechenden Haken. Da können sie dann schnell entnommen werden. Wenn der Kasten nicht benötigt wird, ist er mit einer Persenning geschützt.“

Manuel versuchte sich vorzustellen, was der fremde Seekadett ihm erklärt hatte.

„Können sie mir bitte folgen, Mister Richardson?“

Peter Richardson blieb nichts anderes übrig, als dem flinken kleinen Schiffsjungen nach vorne zu folgen, wo ein großer blonder Mann in der Jacke eines Maaten die Befestigungen des Klüverbaums kontrollierte.

„Das ist Jens Fiedler, unser Zimmermann. Können sie ihm bitte noch einmal erklären, was sie mir gerade gesagt haben?“

So kam die ESTRAY während ihrer Fahrt nach Caerdydd zu einem Flaggenspind, während Clyde unterdessen noch einmal die Nachricht des Erzdruiden las.

Wenn du das Erbe der anderen Welt eingehend betrachtest, wirst du alle vier Elemente finden. Sprich mit ihnen‘.

Clyde seufzte leise, als ihm klar wurde, dass er dafür wieder seinen Zirkel einberufen musste. Er sollte mit den Elementen reden. Wie er das machen sollte, war ihm irgendwie noch nicht so ganz klar, doch es würde sich sicherlich ein Weg finden.

Clyde wandte sich an Thorben.

„Wie lange wird es dauern, bis wir in Caerdydd sind?“

„Etwa noch zwei Stunden, warum?“

„Ich muss etwas vorbereiten, bevor wir dort ankommen. Kann ich mir Diethard für die Zeit ausleihen?“

Thorben sah kurz zu Sven, dann nickte er.

Clyde versammelte seine Leute zusammen mit Diethard in der Segellast. Unsicher sah er sich um.

„So, Leute. Diesmal haben wir eine richtige Aufgabe vor uns. Ich habe eine Nachricht vom Erzdruiden erhalten, dass ich mit den vier Elementen reden soll. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wie das gehen soll. Aber ich nehme an, wir sollen dafür wieder einen Zirkel bilden. Wir haben nicht viel Platz hier unten, deshalb machen wir es diesmal etwas anders.“

Clyde sah sich prüfend um und sein Blick blieb an Mario hängen.

„Ach so. Ich vermute, das wird diesmal etwas intensiver als beim letzten Mal. Wir sollten vielleicht die Kleidung ablegen.“

Mario grinste zustimmend und schälte sich flink aus seiner Uniform.

„So, jeder Magier nimmt sich seinen nichtmagischen Partner. Das wären also Diethard und Frank, Finn und Mario, Dian und Eldar. Ragnar fehlt, also kommt Arje zu mir. Macht es euch einfach bequem. Ihr werdet schon merken, wenn es losgeht. Versucht einfach, an nichts zu denken, außer vielleicht an euren Partner neben euch. Es kann sein, dass jeder die gleiche Vision bekommt, oder jede eine unterschiedliche. Ich weiß es nicht.“

Clyde legte nun auch seine Sachen ab und begab sich zu Arje, der ihn schon erwartete. Clyde legte sich neben ihn und betrachtete eingehend das unschuldig aussehende Gesicht mit den rotgoldenen Locken. Dann fuhr sein Blick herab und er lächelte. Ein Gedanke schoss ihm dabei durch den Kopf.

„Hättest du dich wirklich für zwei Sovereigns verkauft?“

Arje zögerte ein wenig, doch dann schüttelte er seinen Kopf.

„Nein. Es gehört etwas mehr dazu, als ein Bisschen Geld.“

Sie fanden sich beide zu einem langen Kuss. Noch während sie sich küssten, wurde Clyde von weiteren Empfindungen überflutet. Er spürte Marios Hand, die verlangend über Finns breite Brustmuskeln strich. Dann plötzlich Diethard und Frank, die entspannt nebeneinander lagen und sich tief in die Augen sahen. Dian erkundete neugierig Eldars Bauchnabel und wanderte dann tiefer. Clyde spürte, wie die erste Erregung sich in ihm sammelte.

Dann wurden seine Gedanken förmlich von ihm weggezogen, in eine tiefe Dunkelheit. Ein kleiner Lichtpunkt vergrößerte sich schnell und strahlende Helle umgab Clyde. Vor ihm stand ein unbekleideter Mann mit einem strahlenden Äußeren. Alles an ihm schien hell und leuchtend zu sein, selbst sein Lächeln.

Du hast also hergefunden, Sohn beider Welten. Selten kommt jemand mit deinen Gaben, doch wir haben dich erwartet. Du hast einen Krieger mitgebracht, einen Sohn der Insel. Seine Gabe wird erweckt werden. Sie ist eines Kriegers würdig. Und du hast ihn in den Kreis des Lebens aufgenommen. So sind Leben und Tod wieder vereint, wie es sein soll im ewigen Kreislauf‘.

Das strahlende Licht erlosch und Clyde verspürte die Erregung die Finn durchlief und sich dann gemeinsam mit Mario entlud. Doch schon lenkte ihn ein erneutes Geschehen ab.

Eldar gab ein undefinierbares Geräusch von sich und Clyde sah hinüber. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Dian hatte sich halb aufgerichtet und an seinem Kopf prangte ein riesiges Hirschgeweih, mit dem er an die niedrige Decke stieß. Rehbraune Augen sahen Clyde aus Dians Gesicht an.

Der Bringer von Leben und Tod ist eingetroffen. Du hast einen Begleiter erwählt, dessen Name alleine schon eine Ehrung der Vorväter ist. Ihr alle bringt den Tod, doch nur du weißt, was es heißt, Leben zu erhalten. Nun soll sich auch das Schicksal des Namensträgers erfüllen‘.

Dians Körper schüttelte sich und noch in seiner halb sitzenden Position mit dem Geweih auf dem Kopf überrollte ihn sein Höhepunkt. Clyde starrte halb fasziniert, halb entsetzt zu Dian herüber und auch die anderen sahen stumm zu, wie das Geweih verschwand und Dian erschöpft in Eldars Arme sank.

Diethard sah nun fragend, fast anklagend zu Clyde, doch der zuckte nur ratlos mit den Schultern.

Diesmal ertönte eine leise Stimme in Clydes Kopf und so wie es aussah, schienen alle sie hören zu können. Es war die Stimme einer Frau und sie klang müde und verbittert.

Der Sohn des zerrissenen Landes ist zurückgekehrt. Die Menschen haben das zerstört, was sie beherbergt und ernährt. Das Land braucht einen, der ihm dient und du hast ihn zurückgebracht. Findet etwas von dem, was ihm gehört und sein Erbe wird erwachen‘.

Hektisch sahen sich nun alle um. Was war es, das ihm gehörte? Frank hatte plötzlich eine Eingebung. Er erhob sich und ging hinüber zu dem kleinen Vorrat an Sand, der für verschiedene Zwecke an Bord gebraucht wurde, hauptsächlich für das Scheuern des Oberdecks.

Mit einer Handvoll Sand kehrte Frank zurück und ließ ihn langsam auf Diethards Brust rieseln. Diethard stöhnte auf und der Sand begann plötzlich zu glühen. Ruckartig kam Diethard hoch, doch der Sand blieb an ihm haften und glühte immer noch. Langsam ließ das Glühen nach und dann rieselte der Sand plötzlich zu Boden. Dort, wo er auf Diethards Brust gewesen war, leuchtete jetzt ein kleines Symbol, das langsam verblasste. Nach wenigen Momenten war nur noch eine Narbe in Form des Symbols zu sehen.

Neugierig streckte Frank die Hand aus und berührte die Narbe. Diethard zog Frank nun fest an sich, so dass ihre Oberkörper sich berührten. Clyde spürte die Erregung, die sich bei beiden schnell aufbaute und dann entlud.

Feuer, Luft und Erde. Fehlte nur noch…

‚Das Wasser. Der Sohn des Eises ist verletzt. Seine Seele ist verletzt, denn er war nicht darauf vorbereitet, dem Bären zu begegnen. Du musst ihn aufnehmen in den Kreis der Elemente. Du musst seine Seele von der Last des Todes befreien. Der Bär hat getötet, ohne dass die Seele es erlauben konnte. Sie müssen beide in Einklang gebracht werden. Er muss wieder lernen, dass Leben und Tod zusammengehören und beides untrennbar miteinander verbunden ist. Gib ihm etwas von deinem Leben und akzeptiere etwas von seinem Tod‘.

Clyde erkannte nun eine schimmernde Gestalt vor sich, die zu ihm gesprochen hatte. Sie manifestierte sich immer deutlicher und zeigte nun einen alten Mann in Kleidung aus Fellen in der Tradition von Isafjord. Er hatte einen langen, grauen Bart und trug eine Augenklappe.

Alle anderen schienen sie auch wahrzunehmen, denn Eldar stieß einen leisen Schrei aus.

Die Erscheinung verblasste und Clyde wurde nachdenklich. Leben und Tod mussten in Einklang gebracht werden. Dann nickte er unbewusst.

„Los, kommt alle her zu mir. Nein, Dian, es ist mir egal, ob du klebrig bist oder nicht. Los kommt her. Alle so dicht wie möglich zusammenrücken.“

Clyde kam es so vor wie ein Wurf von Welpen, die einen dichten Haufen bildeten. Dann versuchte er sich auf Ragnar zu konzentrieren.

Tatsächlich erreichte er den Geist von Ragnar, doch der schien immer noch von einer anderen Macht beherrscht zu sein. Clyde empfing immer deutlicher die Präsenz eines riesigen weißen Bären, der Ragnar anscheinend dominierte.

Ebenso spürte Clyde aber auch die Anwesenheit aller anderen, die zusammen mit ihm zu Ragnar gekommen waren. Wie in einer geisterhaften Erscheinung trat nun die Gestalt von Finn nach vorne und schlug mit seiner Axt nach dem Bären.

Der Bär wurde leicht an der Schulter verletzt und zog sich brummend zurück. Nun trat Dian vor und näherte sich dem Bären. Dicht vor ihm blieb er stehen und hob eine Hand. Ein sanftes blaues Leuchten erschien und die Wunde des Bären war geheilt.

Der Bär sah Dian fast verwundert an, dann kam die Erscheinung von Diethard dazu. Er näherte sich ebenfalls dem riesigen Bären, doch er schüttelte nur den Kopf, als das Tier zu ihm aufsah. Mit einem ausgestreckten Arm wies Diethard in die Ferne. Der Bär drehte sich um und dann, ganz langsam, zog er in die angegebene Richtung davon.

Clyde versuchte noch diese geisterhaften Erscheinungen zu interpretieren, als es für ihn einen plötzlichen Ortwechsel gab.

Von einem Moment auf den anderen befand er sich in einer grünen Landschaft voller Gräser, Büsche und blühender Blumen. Verwirrt versuchte er sich zu orientieren. Um ihn herum nahm er auch die anderen Mitglieder seines Zirkels wahr und sie trugen alle immer noch so viel, wie im Moment ihrer Geburt. Auch sie sahen sich staunend um, bis Diethard auf einen riesigen Baum deutete, der in einiger Entfernung zu erkennen war.

Ein Baum, so hoch, dass seine Krone fast nicht mehr zu erkennen war. Der Stamm war gewaltig und das Wurzelwerk verzweigte sich kurz über der Erde in drei riesige Ausleger. Jedes der drei Wurzelgeflechte endet in einem kleinen See.

Vor einem dieser Seen standen sie jetzt und Clyde sah erstaunt zu Ragnar, der vollkommen ruhig auf einem Stein am Ufer des Sees saß. Langsam erhob er sich.

„Willkommen in der Mitte der Welt.“

Finn, Dian und Diethard sahen sich staunend um. Dian war der einzige, der langsam ahnte, wo sie sich befanden. Sein Gesichtsausdruck zeigte unverhohlene Neugier und er schien alles aufnehmen zu wollen, was um sie herum vor sich ging.

Dort drüben, am Ufer des Sees schien eine weitere Person zu schlafen. Doch selbst wenn man die Entfernung berücksichtigte, musste die Person riesig sein.

Dann der Baum. Dian wusste, dass es eine Esche war. Er hatte die Blätter erkannt und war sich nun umso sicherer, dass er wusste wo sie sich befanden. Dort, ein kleines Eichhörnchen sprang eilig die Äste nach oben. Oder dort drüben. Ein Hirsch fraß in aller Ruhe von den tief hängenden Blättern.

„Wo sind wir?“

„Wie ich schon sagte, in der Mitte der Welt. So, wie sich mein Volk die Mitte vorstellt. Die Verbindung von Himmel, Erde und Unterwelt, alles vereint in Krone, Stamm und Wurzeln der Weltesche.“

„Yggdrasil.“ murmelte Dian.

Ragnar lächelte Dian an.

„Ja. Yggdrasil, die Weltesche. Ich wurde hier hergebracht, damit ich darüber nachdenken kann, ob ich wirklich das Erbe meiner Väter antreten möchte. Der Berserkr ist nun eingesperrt. Er wird nur noch dann gerufen werden, wenn ich es wirklich will. Meine Magie wurde mir offenbart, ich muss nur noch lernen, sie sicher anzuwenden. Die Frage aber ist, will ich das überhaupt?“

Finn nickte langsam.

„Du hast es, aber du willst es nicht. Viele andere wollen es, haben es aber nicht. Sie tun alles dafür, morden sogar, um ein kleines Zipfelchen Magie zu erlangen. Du hast Angst, es könnte dich auch so weit treiben?“

Ragnar seufzte leise.

„Das ist es nicht alleine. Nimm zum Beispiel den Berserkr. Ich habe seine Gefühle gespürt, seine Handlungen mitvollzogen und konnte doch nicht eingreifen. Seine Natur ist das Töten aller Feinde und es erschien mir da so selbstverständlich, so richtig, dass es mir nun Angst macht. Du hast Recht, wenn du sagst, dass ich Angst habe. Angst vor der Verantwortung, die diese Begabung mit sich bringt. Angst, dass ich nicht immer dem richtigen Weg folge.“

Dian sah Ragnar in die eisblauen Augen.

„Da bist du nicht der einzige. Aber ich habe mich inzwischen mit dem Gedanken angefreundet, Magie zu besitzen. Ich werde gerne ihre Anwendung lernen. Was die Verantwortung betrifft, musst du deinem Herzen folgen. Den Werten und Idealen, die du schon immer für richtig erachtet hast. Und wenn du Zweifel hegst, dann frage einfach. Denn ich denke, unser Zirkel ist genau dafür da. Er gibt uns Sicherheit in allen Situationen, er gibt uns Schutz, er gibt uns Wissen und …“

Jetzt lächelte Dian etwas, sah aber tapfer weiter Ragnar an

„… er gibt uns Liebe und körperliche Nähe.“

Alle fünf mussten nun lächeln und sie rückten näher zusammen. Sie umarmten sich mit Ragnar in der Mitte, als der plötzlich ein ersticktes Keuchen ausstieß.

„Was…“

Ein himmelblauer Strahl schoss aus Ragnar heraus in den Himmel und kurz darauf folgten die anderen vier, von denen sich ebenfalls ein Strahl löste, jeder in einer verschiedenen Farbe. Hoch am Himmel vereinigten sich die Strahlen um sich dann langsam gleichmäßig nach allen Seiten auszubreiten. Wenige Momente später legte sich eine hell leuchtende Glocke um die fünf Magier, die in allen Farben des Regenbogens funkelte.

„Was? Was ist das?“

„Der Schutz des Regenbogens.“ ertönte plötzlich eine laute Stimme hinter ihnen.

Sie fuhren auseinander und die Glocke zerbarst in Millionen kleiner Funken. Hinter ihnen stand ein Riese. Und es war wahrlich ein Riese. Clyde schätzte ihn auf mindestens vier Metern Größe. Doch im Gegensatz zu den meisten Riesen in den Sagen sah dieser hier nicht so ungeschlacht aus. Er glich eher einem überdimensionalen Isafjorder, der in Felle gekleidet nun auf sie herabsah.

„Der Schutz des Regenbogens wurde euch durch die Götter zuteil. Durch viele Götter, die diese und auch ferne Lande bewohnen und wo der Glaube an sie noch nicht erloschen ist.“

Alle sahen automatisch zu Diethard, in dessen Heimat die Kirche der Reuigen Sünder den Glauben der Menschen dominierte. Der sah nun passender weise zu Boden.

„Die alten Götter wurden vertrieben, doch ein Glaube hat sich stets und überall gehalten. Es ist Mutter Erde, keine persönliche Gottheit, sondern eher der Glaube an das Leben und den Tod, den die Erde allen Lebewesen schenkt und in dem sie auch wieder dorthin zurückkehren.“

„Sie war es also“, murmelte Clyde, während er zu dem Riesen aufsah.

Der winkte nun Clyde zu, näherzutreten. Etwas unsicher ging Clyde näher heran, während der Riese mit einem ausgestreckten Arm auf die Weltesche wies. Clyde wusste erst nicht worauf er hinauswollte, doch dann sah er es. Eines der Blätter des Baumes war braun geworden.

Clyde wusste nicht, was es bedeuten sollte, doch als Ragnar seinem Blick folgte, schrie er fast auf.

„Nein! Alles, aber nicht das.“

„Was ist los?“

Der Riese sah wieder auf Clyde hinab.

„Wenn die Blätter der Weltesche alle braun sind, beginnt Ragnarök, der Weltuntergang. Die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse. Dieses eine Blatt ist der Anfang. Ihr müsst los und die Bedrohung beseitigen.“

Clyde sah sich ratlos zu den anderen um, doch die zuckten alle mit den Schultern.

„Was ist das für eine Bedrohung. Und wo sollen wir hin?“

„Der Bedrohung seid ihr schon lange auf der Spur. Doch das Wo ist eine schwierige Frage. Wollt ihr der Quelle diese Frage stellen?“

„Nein!“

Ragnar sah erbost zu dem Riesen auf.

„Die Quelle ist das Wasser der Weisheit und des Wissens. Selbst Odin musste einen Preis dafür bezahlen und seit diesem Tag trägt er seine Augenklappe.“

Clyde schrak zurück. Ein wahrhaft stolzer Preis. Doch dann lachte der Riese.

„Ja. Der einsame Wanderer hat seinen Preis bezahlt. Doch im Angesicht der Götterdämmerung werde ich euch die Frage beantworten. Sie lautet: Izenah.“

„Was ist das denn?“

„Das wäre eine weitere Frage und die kostet nun wirklich einen Preis.“

Clyde schüttelte entschlossen den Kopf.

„Dann grüßt mir Midgard.“


Manuel hatte die in seinen Augen undankbare Aufgabe, dem Leutnant der Scouts die Nachricht zu überbringen, dass sie in einer halben Stunde in Caerdydd einlaufen würden.

Nach zweimaligem Klopfen an der Luke zur Segellast wagte es Manuel, den Deckel zu heben und hinunter zu gehen. Was er dort sah, verschlug ihm fast den Atem. Alle Scouts und auch Seekadett Wegener lagen in einem großen Haufen auf- über- und nebeneinander. Doch damit bei weitem nicht genug. Sie waren alle vollkommen unbekleidet. Drittens, und das war es, was Manuel am Meisten Staunen ließ, waren einige von ihnen in einem Status von Erregtheit, die nichts zu deuten übrigließ. Außerdem waren die Spuren von dem, was wohl gerade passiert war, deutlich zu sehen und auch zu riechen.

Manuel erschauerte bei dem Anblick. Er würde in wenigen Wochen vierzehn werden und er war bei weitem nicht unbedarft, was das anging. Doch der Anblick hier verschaffte ihm gerade genügend Vorlagen für seine Träume auf Jahre hinaus.

Laut räusperte er sich.

„Verzeihung. Leutnant Cameron, der Kommandant lässt ausrichten, dass wir Caerdydd in einer halben Stunde erreichen.“

Ein Kopf drehte sich und grüne Augen sahen Manuel verwirrt an. Clyde fand etwas schwer in die Wirklichkeit zurück, doch dann sah er sich fast panisch um.

„Äh, ja. Danke. Und was das hier betrifft…“

Manuel konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

„Ich habe lediglich eine Meldung überbracht, Sir. Soll die Pumpe an Deck klargemacht werden, Sir?“

Clyde starrte Manuel nun verblüfft an, dann lachte er leise.

„Ja. Bestell dem Bootsmann meine Empfehlung und wir kommen gleich zum Waschen hoch. Soviel Zeit dürfte noch sein. Und Danke.“

Manuel salutierte und immer noch grinsend machte er, dass er nach oben kam.

An Deck gab er dem Kommandanten eine Rückmeldung und Thorben verdrehte nur die Augen. Dann wies er auf Peter Jaden und Manuel nickte. Wenig später kamen die Scouts dann tatsächlich an Deck. Niemand nahm groß Notiz von ihnen, als sie sich unter den Strahl der Deckwaschpumpe stellten. Die Pumpe wurde täglich genutzt und nackte Seeleute waren kein seltener Anblick.

Lediglich einer sah mit großen Augen hinüber, bis er von Thorben leicht angestoßen wurde.

„Ich nehme an, Mister Richardson, auf ihrem Schiff ist das nicht so üblich.“

Peter Richardson zuckte zusammen und errötete etwas.

„Nein, Sir. Zumindest nicht so hmm… öffentlich.“

Eigentlich gar nicht. Kein Kommandant würde so etwas erlauben. Da könnte ja jemand auf dumme Ideen kommen. Kamen daher die Gerüchte? Nun, dann wusste er jetzt, dass sie nicht nur halbnackt, sondern sogar vollkommen nackt herumliefen. Warum schien ihn das nicht besonders zu stören?

Peter sah immer noch hinüber, wo nun ein wahrer Riese mit rotblonden Haaren einem erheblich kleineren goldblonden Lockenkopf den Rücken wusch. Peter schüttelte unbewusst seinen Kopf und bemerkte zu seinem Entsetzen ein sehr bekanntes Ziehen, das sich in seinen unteren Regionen ausbreitete.

Thorben hatte bemerkt, dass der Seekadett der Navy etwas arg abgelenkt war vom Anblick der nackten Gestalten, die sich unter dem harten Wasserstrahl drehten. Der arme Kerl hatte so etwas wahrscheinlich noch nie gesehen und Thorben war sich nicht sicher, aber er meinte, so etwas wie Sehnsucht in den Blicken des Kadetten gesehen zu haben. Sein Schicksal.

„Mister Richardson. Sie können doch sicherlich dem Steuermann etwas über den Hafen und unseren Liegeplatz sagen.“

Peter Richardson wurde etwas unsanft aus seinen Betrachtungen gerissen, doch er nickte sofort.

„Jawohl, Sir. Der Kommandeur hat einen Liegeplatz direkt vor dem Stabsgebäude vorgesehen. Die OAKLEAF wird nach den Molenköpfen zu ihrem eigenen Liegeplatz verholen. Sie werden im Stabsgebäude bereits erwartet.“

Thorben hob fragend die Augenbrauen.

„Der Kommandeur?“

„Oh ja, Sir. Caerdydd ist ein großer Stützpunkt. Er ist Heimathafen für die Schiffe der westlichen Flottille, Ausbildungszentrum für neu eingestellte Seekadettenanwärter und hier liegt auch das Austauschgeschwader für die Neue Welt. Außerdem gibt es das Arsenal mit einem Ausrüstungs- und einem Werftbetrieb. Das Kommando über den gesamten Stützpunkt mit allen Einrichtungen hat Konteradmiral Sir Jared Moorehead.“

Caelin hatte die ganze Zeit in Hörweite gestanden, war aber durch die Aktion mit der Pumpe etwas stark abgelenkt. Fasziniert betrachtete er Finn, wies dieser nun von Arje abgeseift wurde. Wie gerne hätte er jetzt mit dem kleinen Nassouwer getauscht.

Dann schnappte er im Hintergrund einen Namen auf, der ihn herumfahren ließ.

„Sir Jared Moorehead? Von den Mooreheads aus Elmet?“

Peter Richardson wandte sich etwas irritiert zu dem jungen Mann in der Robe eines Novizen der Druiden.

„Äh, keine Ahnung. Aber ich glaube, ja. Ist das wichtig?“

„Nun, wenn er tatsächlich zu den Mooreheads aus Elmet gehört, dann ist es, soviel ich weiß, der jüngere Bruder von Gwydion Moorehead, dem Erzdruiden von Britannica.“


Die ESTRAY hatte kaum festgemacht, als ein Bote der Kommandantur erschien mit der Bitte des Admirals, das kleine Schiff um sechs Glasen der Nachmittagswache besichtigen zu dürfen. Thorben sah hektisch auf das Stundenglas. Das war ja in knapp einer Stunde. Sven und Diethard sahen sich fragend an, während Clyde heftig mit Caelin tuschelte.

Seekadett Richardson hatte sich schon entfernen wollen, als mit dem gleichen Boten auch eine Nachricht für ihn eintraf, bis zum Erscheinen des Admirals an Bord der ESTRAY zu verbleiben, so der Kapitän dort keine Einwände hatte.

Thorben zuckte nur mit den Schultern.

„Das ist kein Problem. Anscheinend möchte der Admiral mit dir ein paar Worte wechseln.“

Peter erbleichte.

„Was? Mit mir? Was kann er denn von mir wollen?“

„Keine Ahnung, aber er wird es dir sicherlich sagen, wenn es soweit ist. Mister Jaden! Mister Fiedler! Klar machen zum Empfang. Clyde, kannst du die Scouts als Seesoldaten abstellen? Mist, wir haben nur noch einen Bootsmannsmaaten. Sven, ich brauche alle sechs Schiffsjungen!“

Thorben begann hektisch hin und her zu laufen wobei er alles aufscheuchte, was ihm in den Weg kam. Kurz vor dem Besichtigungstermin sah er seufzend über das Deck und die Mannschaft. Ein Kutter war nun mal kein Dreidecker und was konnte man da schon erwarten.

Direkt an der Stelling standen die sechs Schiffsjungen, paarweise sich gegenüber. Dann kamen Peter Jaden und sein Bootsmannsmaat. Weiter zum Mast hin hatte Clyde mit seinen Scouts Aufstellung genommen.

Pünktlich mit dem Schlag der Glasenglocke erschien in der Tür des Stabsgebäudes ein älterer Mann in der unverkennbaren Uniform eines Admirals der Royal Navy. Begleitet wurde er von einem weiteren Offizier und von Ragnar!

Gemessen Schrittes näherte sich die kleine Gruppe der Stelling der ESTRAY und Thorben nickte Clyde zu. Der zog seinen Säbel und nun erschallten die Kommandos für das Präsentieren der Karabiner.

Der Admiral betrat die Stelling und Thorben befahl

„Seite!“

Das helle Schrillen der Bootsmannsmaatenpfeifen ertönte und der Admiral kam grüßend an Deck. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Thorben erstaunt, dass die Flagge eines Konteradmirals an ihrem Mast emporstieg. Woher hatte Manuel die denn?

„Abpfeifen!“

Clyde ließ die Karabiner wieder abnehmen. Dann übergab er das Kommando an Frank Beutler und stellte sich zu den Offizieren des Schiffes.

Der Admiral sah sich kurz um und ging dann auf Thorben zu.

„Lieutenant Dagursson. Ich freue mich, dass sie meiner kleinen Bitte zugestimmt haben. Ich bin Konteradmiral Moorehead. Der Herr hinter mir ist Captain Lavender, mein Stabsoffizier. Und den anderen Herren werden sie wohl besser kennen als ich.“

Thorben war sichtlich erstaunt. Nicht nur, dass er mit einem Dienstgrad angesprochen wurde, der eigentlich der Royal Navy vorbehalten war. Der Admiral war auch deutlich freundlicher als er erwartet hatte.

„Ich freue mich, sie an Bord begrüßen zu dürfen, Sir Jared. Dies sind Sven Storebjörn, unser Master, Seekadett Diethard Wegener und Leutnant Clyde Cameron von den Scythe Scouts. Der Kadett der Navy ist Seekadett Peter Richardson, der so freundlich war, uns eure Einladung zu überbringen.“

Zur Überraschung der meisten, gab der Admiral jedem die Hand und nickte dann.

„Ich habe schon viel Interessantes und Abenteuerliches von ihnen und ihrem Schiff gehört, Lieutenant. Besonders natürlich auch von Lord Clyde.“

Clyde nickte höflich zur Bestätigung und der Admiral wandte sich an Seekadett Richardson.

„So, Mister Richardson. Ich erinnere mich dunkel, kürzlich ihre Prüfungsergebnisse für das Leutnantsexamen gesehen zu haben. In der Theorie hervorragend, aber in der Praxis? Das hat sie ein ganzes Stück nach unten in der Beförderungsliste verschoben.“

„Jawohl, Sir.“

Peter Richardson war versucht, auf den Boden zu blicken, doch der Admiral war noch nicht fertig.

„Ich hätte da allerdings eine Aufgabe, die mir durch den Marineminister angetragen wurde und die sich, sagen wir, gewisser Unbeliebtheit erfreut in den Kreisen der jüngeren Offiziere.“

Peter wurde nun aufmerksam. Wo wollte der Admiral ihn hinschicken? In die Neue Welt? Da gab es nur das Wachgeschwader. Und das war gar nicht mal so unbeliebt. Was dann? Die einzige Aufgabe, die bei den jüngeren Lieutenants unbeliebt war, war der Dienst in einem großen Stab, wo verstaubte Akten hin und her geschoben wurden. Das war eigentlich eine Aufgabe für zivile Schreiber und Sekretäre, doch auch so mancher aufstrebende junge Offizier sah hier dem Ende seiner Karriere entgegen.

„Ihre Majestät, die Königin, hat den Marineminister damit beauftragt, die Beziehungen zwischen der Royal Navy und den Freibeutern zu verbessern. Der Marineminister hat daraufhin entschieden, dass den Kapitänen mit einem Kaperbrief angeboten wird, ihnen einen Verbindungsoffizier zuzuordnen.“

Nun wurden auch die Offiziere der ESTRAY hellhörig. Welch merkwürdigen Änderungen taten sich da auf? Die Marine war sonst eigentlich nicht gut auf die Freibeuter zu sprechen, die in ihren Augen nur private Dilettanten waren und es lediglich auf Beute abgesehen hatten.

„Auf Grund seines, ähem… exzentrischen Rufes, hat die Navy bisher vergeblich nach einem passenden Offizier gesucht, der sich bereiterklären würde, zu den Freibeutern des Earls of Scythe zu gehen.“

Thorben unterdrückte ein Grinsen und Clyde schloss ergeben die Augen. Er wusste genau, was nun kommen würde. Auch Peter ahnte etwas und er gab unbewusst seine Gedanken preis, in dem er sich kurz zu Diethard Wegener umdrehte und ihn ansah.

Was hatte man ihm schon am Anfang seiner Karriere gesagt? Melde dich niemals für etwas freiwillig. Wer sich freiwillig meldet, ist entweder verrückt, oder hat was falsch verstanden. Deshalb war er auch sehr überrascht, als er sich selber etwas sagen hörte, dass er eigentlich gar nicht sagen wollte.

„Ich möchte mich für diesen Dienstposten bei den Freibeutern des Earls of Scythe bewerben, Sir.“

Jetzt musste auch Clyde ein Grinsen unterdrücken, während Diethard Peter mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.

„Sehr löblich, Mister Richardson. Ich werde den Marineminister persönlich davon unterrichten. Sollte seine Durchlaucht, der Earl of Scythe zustimmen, werdet ihr ordnungsgemäß versetzt. Nach einer entsprechenden Beförderung selbstverständlich. Ihr untersteht dann dem Leiter des Verbindungskommandos welcher ich zu sein die Ehre habe.“

„Vielen Dank, Sir.“ stotterte Peter

War er jetzt ein Opportunist? Hatte er diesen Dienstposten nur angenommen, weil er geahnt hatte, dass er befördert werden würde? Peter Richardson war vollends verwirrt und als er sich umsah, blickte er in die grünen Augen von Diethard. Nein, er war nicht verwirrt. Er hatte einmal im Leben das getan, was er wirklich wollte.

„Wenn ich etwas dazu sagen dürfte, Sir Jared.“

Der Admiral wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck an Clyde.

„Aber bitte, Lord Clyde.“

„Ich würde vorschlagen, dass Mister Richardson schon mal an Bord der ESTRAY bleibt und mit uns nach Tarray zurückkehrt. Ich kann natürlich nicht für den Earl sprechen, doch ich bin mir sicher, dass seine Durchlaucht einen Verbindungsoffizier der Navy in außergewöhnlichem Maße begrüßen dürfte. Insbesondere da es augenscheinlich der ausdrückliche Wunsch ihrer Majestät ist.“

Clyde kam sich etwas dämlich vor, doch langsam kam ihm wieder in Erinnerung, was er alles über Etikette, Konversation und Umgangsformen gelernt hatte. Gerade das diplomatische Parkett war ein ganz schön heißes Pflaster.

„Ich bin erfreut das zu hören. Ich denke, das lässt sich einrichten. Captain Lavender wird noch heute die nötigen Anweisungen erstellen.“

Der unscheinbare Captain hinter dem Admiral nickte zustimmend.

„Aber nun etwas anderes. Ihr seid, wie ich hörte, der leitende Offizier der Scouts. Eine bemerkenswerte kleine Truppe, wie man mir versicherte.“

Clyde warf Ragnar einen fragenden Blick zu, doch der zuckte nur kurz mit den Schultern.

„Unsere Truppe mag klein sein, aber sie ist schlagkräftig und effektiv. Wenn ihr mir bitte folgen wollt, Sir Jared.“

Frank Beutler hatte mitbekommen, dass sich Clyde nun zu ihnen wandte und ließ die Scouts stillstehen. Clyde begab sich vor die Truppe, zog seinen Säbel und meldete dem Admiral die Scythe-Scouts.

Wie bei einer großen Parade schritt der Admiral die Front der wenigen Leute ab und musterte jeden von ihnen neugierig. Am Ende meldete Clyde erneut.

„Vielen Dank, Lord Clyde. Ich bin aber nun doch neugierig, was euch zu der Auswahl dieser Mannschaft bewogen hat.“

Clyde erklärte mit kurzen Worten das Einsatzkonzept der Scouts und erwähnte auch beiläufig, dass sich Magier unter ihnen befinden würden. Der Admiral wurde hellhörig.

„Magier sind selten, besonders bei militärischen Einheiten. Sie sind doch eher an Höfen zu finden oder Selbständige, wo sie ja wohl erheblich mehr verdienen können, als bei uns. Auch möchte ich sagen, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, dass Magier manchmal dazu neigen, Befehl und Gehorsam etwas weit zu interpretieren. Darf ich fragen, von wie vielen Magiern ihr sprecht, Lord Clyde?“

Clyde musste bei dem Gedanken an die Interpretation von Befehl und Gehorsam leicht lächeln. In gewisser Weise war der Umgang bei der Navy nicht der Gleiche wie bei den Freibeutern.

Clyde hob lediglich eine Hand und Finn und Dian traten zwei Schritte vor. Er selbst trat neben die beiden und Diethard und Ragnar stellten sich ans Ende.

„Admiral, das Magie-Corps der Grafschaft Scythe.“

Mit großen Augen blickte der Admiral die Reihe entlang.

„Fünf? So viele gibt es in ganz Caerdydd zusammen nicht. Ich muss sagen, ich bin tief beeindruckt.“

Clyde ließ die Magier wieder zurücktreten und der Admiral sah die Scouts noch einmal nachdenklich an. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich an Thorben.

„Lieutenant Dagursson, ich danke ihnen für die freundliche Aufnahme hier an Bord. Ich möchte sie und ihre Offiziere heute Abend zu einem kleinen Essen einladen. Um acht Glasen in der Messe des Offizierskasinos. Ich empfehle mich.“

Der Admiral hatte bei seiner Einladung mit einer kurzen Handbewegung angedeutet, dass er alle Offiziere der ESTRAY meinte und somit auch Sven und Diethard eingeschlossen. Dann drehte er sich noch einmal kurz um.

„Ach so. Mister Richardson, sie natürlich auch.“

Mit entschlossenen Schritten ging er nun auf die Stelling zu und Clyde ließ die Scouts wieder präsentieren.

„Seite!“

Der schrille Ton der Bootsmannsmaatenpfeifen begleitete den Admiral bis auf die Pier.

„Abpfeifen!“

Der Admiral grüßte noch einmal freundlich und ging dann forschen Schrittes zurück zum Stabsgebäude. Von der anderen Seite kam eine kleine Gruppe von Seeleuten unter der Führung von Mickey Fraser auf die ESTRAY zurück.

„Melde mich mit fünf Mann, zwei Seesoldaten und einem Zivilisten zurück.“

Thorben nickte und sah an der Gruppe entlang. Keine großen Verletzungen, wie es aussah. Die Zwillinge trugen keine Uniform und der junge Mann am Ende der Reihe glich ihnen verblüffend in seinem Aussehen.

„In Ordnung. Wenn es allen gut geht, möchte ich erst deine Geschichte hören, Mickey. Aber vorher dürfte ich bitte erfahren, wer der junge Mann ist, den du mir so einfach mitgebracht hast.“

„Oh, das wird eine längere Geschichte. Aber das da hinten ist Floris Behrendt. Der jüngere Bruder der Zwillinge. Hat uns vor einem Überfall gerettet.“

Thorben hob seine Augenbrauen und sah sich zu Clyde um.

„Wie machen wir das am besten? Wir müssen sie ja nicht alles dreimal erzählen lassen.“

Clyde sah hinüber an Land. Dann wandte er sich an Peter.

„Gibt es hier einen Raum, wo wir mit zwanzig Mann eine Besprechung abhalten können?“

„Was? Oh, ja. Im Stabsgebäude gibt es Besprechungsräume. Ich denke, dass wir einen davon wohl bekommen könnten.“


Eine halbe Stunde später war der kleine Raum voll besetzt. Die Scouts waren vollzählig erschienen, ebenso Ragnar und Diethard. Mickey war mit seinen fünf Mann dabei und die Zwillinge mit Floris. Zur Überraschung der Meisten ebenfalls Peter Richardson und auch Caelin. Thorben war in seiner Eigenschaft als Kapitän der ESTRAY ebenfalls anwesend. Clyde erachtete es als besser, ihn in die meisten Dinge einzuweihen, denn schließlich musste er über den Einsatz des Schiffes entscheiden.

„Wir müssen noch einen Moment warten. Wir erwarten noch weitere Teilnehmer.“

Etliche sahen sich fragend an, lediglich die vier anderen Magier außer Clyde nickten zustimmend. Sie hatten den kurzen geistigen Kontakt gespürt, als jemand eine Nachricht für Clyde hinterlassen hatte.

„Bevor es denn losgeht habe ich noch etwas anderes. Ich habe Mister Richardson gebeten hier teilzunehmen, weil ich der Ansicht bin, dass die Navy ruhig wissen soll, was wir hier treiben. Es hat in der Vergangenheit wohl schon mehrere Gerüchte über die obskuren Reisen der Freibeuter, insbesondere der von Scythe, gegeben. Wir wollen keine Zweifel daran lassen, dass unsere Handlungen nicht gegen die Krone oder das Land gerichtet sind und schon gar nicht gegen die Navy, die ohnehin in diesen Kriegszeiten mehr als genug zu tun hat.“

„Eine interessante Einstellung.“

Die Stimme von der Tür ließ alle sich umblicken und die meisten von ihnen erkannten den Erzdruiden von Britannica, gefolgt von drei Begleitern.

„Meine Herren, der Erzdruide von Britannica.“

Fast gleichzeitig erhoben sich alle von ihren Plätzten und Clyde deutete eine kleine Verbeugung an.

„So schnell sieht man sich wieder, Lord Clyde. Vielen Dank, aber sie können sich ruhig wieder alle setzen. Für diejenigen, die sie noch nicht kennen, dies sind Andrew Fraser, Tarek Jones und Leif Fossit. Auf ihre Aufgabe komme ich gleich noch zu sprechen. Wie ich sehe, habt ihr meinen Novizen ebenfalls mitgebracht. Das ist sehr erfreulich.“

„Wenn ihr bitte Platz nehmen wollt. Ich würde vorschlagen, Ragnar beginnt mit seinem Bericht an der Stelle, als er mit dem Logger nach Caerdon aufgebrochen ist.“

Ragnar warf Clyde einen fragenden Blick zu, berichtete aber alles wahrheitsgemäß. Lediglich die Identität der Mitarbeiter des Geheimdienstes blieb auch weiterhin geheim. Die Unterkunft im ‚Kings Quarter‘ wurde von etlichen mit einem breiten Grinsen zur Kenntnis genommen, doch nicht einmal Mario wagte es, in Anwesenheit des Erzdruiden eine Bemerkung zu machen.

Das Ende des Berichts wurde von Mickey Fraser abgegeben, der sehr ausführlich die Verwandlung von Ragnar und den Kampf beschrieb, bis zu dem Punkt, als der Erzdruide eintraf. Der nickte öfter einmal während der Erzählungen und sah am Ende zu Clyde.

„Dann werde ich kurz sagen, was weiterhin passiert ist. Es wird vielen der Anwesenden nicht klar sein, aber unter uns lebt eine ganze Anzahl von Kindern beider Welten. Sie sind Kinder der Menschen und der Sidhe, mit Magie begabt und sie gehören ebenso zu den Kindern dieses Landes wie jeder von euch.“

Als ob sie sich verabredet hätten, griffen Clyde und Andrew gleichzeitig zu ihren Ohren um den Zauber aufzuheben, der sie verdeckte. Viele der Anwesenden wussten es von Clyde und so war es keine große Überraschung. Lediglich Peter Richardson starrte mehr fasziniert als erschreckt auf die spitzen Ohrmuscheln.

„Einigen dieser Kinder der Sidhe ist die Gabe von Wissen und Vergessen zuteil geworden. Sie beinhaltet eine Reihe alter Zauber über den Geist der Menschen. Einer der faszinierendsten ist in meinen Augen die ‚Stille Post‘. Ein derart Begabter kann eine kurze Nachricht an einen anderen Magier übermitteln, nur mit der Kraft seiner Gedanken. Es gibt da noch etliche Einschränkungen, aber die sind hier nicht relevant.“

Clyde sah zu Andrew, der ihm kurz zuvor noch eine solche Nachricht gesandt hatte.

Der Erzdruide möchte an eurer Besprechung teilnehmen‘.

Zunächst war Clyde überrascht gewesen, aber dann erkannte er, dass er selbst unaufmerksam war. Hätte er besser auf seine geistige Abschirmung geachtet, wäre Andrew nicht so ohne weiteres durchgedrungen.

„Wie dem auch sei. Andrew Fraser hat in der Nacht eine Nachricht von Lady Gallagher bekommen. Ihr Haus würde von Dunkelmagiern überfallen. Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, mussten aber feststellen, dass die Gefahr bereits beseitigt war. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass ich etwas überrascht war, einen Berserkr vorzufinden. Aber so viel ich mitbekommen habe, ist das Problem ja zumindest vorläufig gebannt. Ach so, Floris. Die Lady ist unverletzt entkommen. Etliche der Bediensteten des Hauses nicht. Ich fürchte, es wird in nächster Zeit nicht wieder öffnen.“

Floris ließ traurig seinen Kopf hängen. Und was sollte jetzt aus ihm werden?

„Ungeachtet unserer bisherigen Schwierigkeiten, haben wir ein viel größeres Problem.“

Nun hatte der Erzdruide die ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Aus den ganzen kleinen Hinweisen, die ihr alle gesammelt habt und die von… ähh einer ungenannten Person ausgewertet und mit einander verbunden wurden, hat sich ein klares Bild ergeben. Der Verräter ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls der Anführer der Dunkelmagier, wenn nicht sogar ebenfalls magisch begabt. Er ist, wie Lord Clyde es erfasst hat, Mitglied des geheimen Kronrates und Teil der Regierung ihrer Majestät der Königin.“

Bezeichnende Blicke wurden am Tisch gewechselt und Clyde sah zu Andrew, der mit Leif flüsterte.

Der geheime Kronrat bestand aus zehn Mitgliedern, wie Clyde wusste. Zum einen war es immer der Souverän mit seinem Thronfolger und dem Ehepartner. Das war im Moment lediglich die Königin alleine. Dann die sieben Berater: Der Lordkanzler, der Erzdruide, der Schatzkanzler, der Marineminister, der Kriegsminister, der Lordoberrichter und zum Schluss der Hofmarschall.

Wer sollte es sein? Der Lordkanzler? Sehr unwahrscheinlich. Was würde ihm ein Sturz der Königin einbringen?

Mit einem schnellen Blick zur Seite schloss Clyde den Erzdruiden ebenfalls aus.

Der Schatzkanzler war der Duke of Elmet. Clyde kannte ihn nicht persönlich, doch er verwaltete das Staatsvermögen und galt als sehr penibel.

Dann der Marineminister. Er war neu, der Earl of Kirkwall. Er war erst seit kurzem Mitglied des geheimen Kronrates. Er hätte die Sache in dieser Form so kurzfristig gar nicht einfädeln können.

Dann der Kriegsminister, der Jarl of Mercia. Kam wohl auch weniger in Frage. Ein älterer Mann in der Tradition der Nordmänner der Eastmarshes. Er hatte einen sehr hohen Anspruch auf Ehre und Treue. Sehr unwahrscheinlich.

Der Lordoberrichter? Gerüchte besagten, man hätte ihm den Posten gegeben, damit er bei den Gerichtsverhandlungen nicht mehr so peinlich auffallen konnte. Nun brauchte er nur noch von seinem Arbeitszimmer aus Urteile zu bestätigen, die vorher vom Lordkanzler oder Königin überprüft worden waren. Wenn er nicht ein begnadeter Schauspieler war, kam er ebenfalls nicht in Frage.

Blieb nur noch der Hofmarschall. Eher ein Posten für verdiente Höflinge. Mit Intrigen waren sie im Palast ja wohl des Öfteren beschäftigt. Clyde wusste fast gar nichts über ihn, was auch nicht verwunderlich war. Wann hatte man jemals etwas mit ihm zu tun?

Clyde war so ratlos wie vor der Bemerkung des Erzdruiden. Hatte er etwas übersehen? Am Tisch war auch alles ruhig, lediglich Dian, Arje und Eldar waren in eine heftige Diskussion verstrickt. Der Erzdruide sah zu ihnen herüber und folgte lächelnd ihren Ausführungen.

„… sind sogar Goldbarren aufgetaucht. Ragnar hat erzählt, bei der Kaperung der SIRÉNE hat man frisch geprägte Sovereigns gefunden. Worauf deutet das?“

„Das ist aber kein Beweis. Ragnar, was war in dem Medaillon zu sehen, dass ihr bei dem Verräter gefunden habt?“

„Ein Wappen. Ziemlich einfach. Ein roter Wappenschild mit einer weißen Lilie über zwei blauen Wellen.“

Clyde schnappte nach Luft. Das also war des Rätsels Lösung.


Die FAIRYTALE war auf ihrem mühseligen Weg nach Tarray. Das Abschleppen der LE COMBATTANTE erwies sich als recht anstrengend, sowohl für das Schiff, als auch für die Besatzung.

Lionel Holland war mit einer kleinen Mannschaft an Bord der LE COMBATTANTE verblieben. Sie beaufsichtigten das Schleppgeschirr und den Treibanker. An jeder der beiden Positionen war ein Seemann mit einer Axt zur Stelle um die Verbindungen jederzeit trennen zu können.

Ebenso beaufsichtigte Percy Seymore die Seeleute im Zwischendeck der FAIRYTALE, wo die beiden Enden der schweren Schlepptrosse links und rechts durch die Öffnungen liefen, die eigentlich für die Ersatzketten des Ruderblatts vorgesehen waren.

Auf der LE COMBATTANTE hatten sie erfreut festgestellt, dass sie statt der doch immer noch sehr weit verbreiteten Ankertaue auf der Steuerbordseite eine Ankerkette besaß. Da die Besegelung ohnehin nicht mehr brauchbar war, wurde der Klüverbaum mühselig entfernt und die Ankerkette ohne den Anker neben dem Bugspriet nach vorne geführt. Von der FAIRYTALE wurde dann ein Ende der Schlepptrosse durch einen Schäkel an der Ankerkette gezogen und wieder zurück zum Schiff gebracht. Da die Enden der Schlepptrosse an Backbord und an Steuerbord belegt worden waren, wurde die Last zunächst auf zwei Aufnahmen verteilt und der Schäkel der Ankerkette konnte frei an der Schlepptrosse entlanglaufen, unabhängig von gegenläufigen Bewegungen der Schiffe.

Als Seekadett Cantori auf seine Wache aufzog, sah er neugierig achteraus. Dort war die LE COMBATTANTE und man konnte deutlich die Kette und Schlepptrosse erkennen, die bei der geringen Fahrt fast bis zur Wasseroberfläche durchhingen.

Etwas nachdenklich sah er nach oben, wo die FAIRYTALE die Marssegel eingeholt hatte und deutlich langsamer fuhr als sie könnte.

„Na, nicht einverstanden?“

Alessandro zuckte zusammen, als hinter ihm die Stimme des Masters ertönte.

„Ich weiß nicht, Mister Lawrence. Wir könnten doch sicherlich schneller segeln. Die Schlepptrosse hängt ja ziemlich durch.“

Jason Lawrence hob die Augenbrauen, lächelte aber. Dann holte er die Schiefertafel vom Kompasshäuschen, sah sich um und winkte Thomas Meinhardt, den zweiten Seekadetten der Wache heran.

„Ihr habt beide gesehen, wie das Schleppgeschirr aufgeriggt worden ist. Die Schlepptrosse ist zweihundert Meter lang und mit beiden Enden befestigt. Wie weit geht sie achteraus?“

Beide Jungen begannen zu rechnen, doch Alessandro war schneller.

„Der Verlust ist gering. Das sind mindestens 99 Meter.“

„Stimmt. Dann kommt die Ankerkette der LE COMBATTANTE. Warum hat sie eigentlich eine Kette und wir nur ein Ankertau?“

Das wusste Thomas.

„Die Ketten sind schwerer. Bei Schiffen, die Fracht aufnehmen, verbrauchen sie zu viel Gewicht.“

„Richtig. Aber sie haben auch Vorteile. Beim Ankern wird auch ein guter Teil der Kette zusammen mit dem Anker auf den Meeresboden ausgelegt. Sie hält durch ihr Gewicht den Anker besser auf Position. Schiffe mit Kette vertreiben nicht so schnell. Wie viel wiegt eine Ankerkette?“

Die beiden Jungen sahen sich fragend an. Die Antwort kam von Diego Escundo. Der Steuermannsmaat der Wache hatte amüsiert zugehört, als der Master mit seinen Unterrichtungen begonnen hatte.

„Eine Kette ist in Abschnitte unterteilt, jeder etwa 25 Meter lang. Einer dieser Abschnitte, Kettenlänge genannt, wiegt etwa so viel wie der Anker alleine.“

„Hey, unser Anker wiegt über zwei Tonnen!“

„Stimmt. Und dann geh mal davon aus, dass du neun oder zehn Kettenlängen hast. Da wiegt die Kette schon mal zwanzig Tonnen.“

Alessandro sah noch einmal achteraus.

„Wenn die Ankerkette fast ganz draußen ist, sind das ja über 200 Meter. Aber so weit ist sie doch nicht weg, oder?“

„Nein. Es sind nur vier Kettenlängen. Etwa hundert Meter von uns und hundert Meter von drüben.“

„Aber warum dann die Kette? Man hätte doch auch die ganze Schlepptrosse nehmen können.“

Der Master schüttelte den Kopf.

„Das würde vielleicht bei ruhiger See funktionieren, aber nicht hier, wo wir Windsee und Dünung aus verschiedenen Richtungen haben. Ihr könnt sicherlich sehen, dass die LE COMBATTANT leicht hin und her schwingt. Ebenso geht sie auf und nieder. Was passiert, wenn wir uns gerade in einem Wellental befinden und sie sich in einer Aufwärtsbewegung?“

„Der Abstand wird größer. Wir werden etwas schneller und sie wird etwas langsamer. Aber dann…“

Alessandro versuchte sich gerade vorzustellen, was dann mit der Schlepptrosse passierte.

„Ich hab’s! Durch das Gewicht hängt die Schlepptrosse durch. Ändert sich der Anstand, kommt sie hoch um dann bei geringerem Abstand wieder durchzuhängen. Wenn sie vorher schon steif durchgesetzt ist, bricht die Trosse bei großer Belastung.“

„Schau an. Da haben wir also doch den Richtigen ausgesucht. Lass dir von Diego mal die Einzelheiten über das Ankern mit Kette erklären.“

Der Master wandte sich nun ab und Alessandro strahlte über das Lob, obwohl er es sich nicht anmerken lassen wollte. Thomas Meinhardt grinste ihn an.

„Und du hattest Angst, Seekadett zu werden?“

Alessandro sah auf das Deck.

„Na ja. Eigentlich war ich etwas überrascht, als ich ausgewählt wurde. Als Schiffsjunge bist du unter Gleichaltrigen, sicher beschützt und die Arbeit ist auch nicht schwer. Ich war mir nicht sicher, ob ich an Bord bleiben sollte. Ich bin nun alt genug, dass ich mich mit jemandem einlassen könnte, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich will. Ich meine, bei den Schiffsjungen sind auch ein paar lustige Sachen passiert, aber so richtig…“

Thomas sah Alessandro in die Augen.

„Du bist noch ähh… unschuldig?“

Alessandro lachte einmal kurz auf.

„Nein. Nicht wirklich. Aber warte mal.“

Dann zog er Thomas auf die Leeseite, aber immer noch in Sichtweite von Liam, der ihr Wachhabender Offizier war.

„Ich kann es dir gerne erzählen, aber du brauchst es nicht weiter zu verbreiten. Ich war zehn, als ich auf einem rotanischen Handelsschiff als Schiffsjunge angefangen habe. Wir waren zu dritt und bekamen zu unserem Leidwesen mit, dass der Kapitän eine Vorliebe für Schiffsjungen hatte.“

„Du meinst, er hat euch…“

„Ja, hat er. Und das zwei Jahre lang. Dann wurden wir gerettet und das ausgerechnet von einer Frau.“

„Einer Frau?“

„Sie ist Lotse an der Station in Tarray. Sie hat unser Schiff damals abgefertigt und ist aus irgendeinem Grund noch einmal an Bord gekommen. Ich weiß nicht, was sie noch vergessen hatte, aber sie hat den Kapitän im wahrsten Sinne des Wortes mit heruntergelassenen Hosen erwischt. Hast du mal eine Isafjorderin mit einer Streitaxt gesehen?“

„Ehrlich? Was ist passiert?“

„Sie hat dem Kapitän befohlen, uns drei zu entlassen und an Land zu setzen. Ansonsten würde sie mit der Axt dafür sorgen, dass er niemanden mehr belästigen kann. So kamen wir in Tarray an Land. Luigi und Ronaldo haben eine Anstellung in der Stadt gefunden. Ich habe mich für die FAIRYTALE entschieden.“

„Obwohl du wusstest, dass du mit vierzehn die Schiffsjungen verlassen musst?“

Alessandro nickte.

„Ich- na ja, ich dachte, vielleicht finde ich in der Zeit ja jemanden, der mir gefällt.“

„Und hast du jemanden gefunden?“

Alessandro nickte leicht und sah sich vorsichtig um. Dann flüsterte er Thomas etwas ins Ohr. Der riss vor Erstaunen die Augen auf und sah sich kurz hektisch um.

„Was? Ehrlich? Das wird schwierig. Aber versuch es einfach. Man kann nie wissen.“


Clyde spürte die Augen des Erzdruiden auf sich ruhen und lehnte sich zurück.

„Der Herzog von Elmet, also.“

Es gab etliche erstaunte Gesichter am Tisch und einige ratlose. Clyde sah zu Eldar und Arje, die sich fragend ansahen.

„Das Herzogtum Elmet gehört zu den fünf Herzogtümern des alten Königreiches Anglia. Das war früher das größte Königreich der Insel. Die anderen Herzogtümer sind Rheged, ganz im Norden an der Grenze zu Lonlothian, dann kommt Elmet. Noch weiter südlich liegt Glovia, dort ist Königin Maeve auch gleichzeitig Herzogin. Im Südosten liegt Lundein und im Südwesten Cerniw. Beide direkt an der Küste gegenüber von Herblonde.“

„Und was hat das nun mit dem Herzog von Dingsda - von Elmet auf sich?“

Der Erzdruide sah amüsiert zu Mario.

„Ganz einfach. Besagter Herzog ist eines der Mitglieder des geheimen Kronrates. Und zwar in seiner Eigenschaft als Schatzkanzler ihrer Majestät.“

„Was? Der Schatzkanzler? Kein Wunder, dass wir Gold gefunden haben. Aber warum um alles in der Welt, sollte er so etwas machen?“

Mario sah sich fragend um und fast alle zuckten mit den Schultern. Auch Clyde war zunächst etwas ratlos. Doch dann räusperte sich Leif Fossit. Er sah etwas unglücklich aus, als er bemerkte, dass er nun im Mittelpunkt stand.

„Das Königreich Anglia mit seinen fünf Herzogtümern war in der Frühzeit das größte Staatsgebilde auf Britannica. Daneben gab es noch Lonlothian im Norden unter einem Clankönig, das Königreich Cymru und das kleine Königreich Eastmarsh. Während der Invasion der Rotaner hat der damalige König von Anglia zum gemeinsamen Krieg aufgerufen. Die vereinte Streitmacht hat die Rotaner geschlagen und von der Insel vertrieben. Allerdings gab es dann einen Eklat. Der König von Anglia, der damalige Herzog von Elmet, hatte gar nicht an der Schlacht teilgenommen, sondern saß in seinem Schloss in Marlecaster und wartete auf Nachricht. Der Heerführer der gesamten Streitmacht war der Herzog von Glovia.“

„Ich glaube, ich weiß, was jetzt kommt“ flüsterte Mario so laut, dass alle es hören konnten.

„Herzog Dunstan von Glovia hat noch am Tag der Schlacht die ersten Gespräche über die Bildung eines gemeinsamen Königreichs geführt. Und da war er genauso erfolgreich wie auf seinem Feldzug. Das Clankönigreich Lonlothian wurde Herzogtum. Jeder Clan bekam eine eigene Grafschaft. Das Königreich Cymru bekam ebenfalls den Status eines Herzogtums, obwohl der Brenin ap Cymru seinen Titel behalten hat. Ebenso erging es dem Königreich Eastmarsh, das zwar immer noch einen Großkönig hat, aber im Rat den Status eines Herzogtums. Damit hätten wir die acht auch heute noch existierenden Herzogtümer Britannicas. Ach so, ja. Herzog Dunstan von Glovia wurde als Dunstan der III. der erste König von Britannica.“

Clyde sah hinüber zu Leif, der gerade von Micky Fraser abgelenkt wurde.

„Wieso denn Dunstan III. wenn er der erste König war?“

„Er wäre der dritte Dunstan als König von Anglia gewesen, doch da saß ja immer noch König Aethelred II. Der sah sich plötzlich in einer schwierigen Situation. Die Herzöge seines Königreiches hatten plötzlich alle einem anderen, einem neuen König die Treue geschworen, der dazu auch noch Herzog seines eigenen Königreiches gewesen war. Ihm blieb nichts weiter, als in seiner Eigenschaft als Herzog von Elmet das Gleiche zu tun. Seinen Titel als König von Anglia durfte er behalten, doch es gab kein Königreich Anglia mehr, weil alle Herzöge ihren Lehenseid aufgekündigt hatten. Bis heute allerdings beharren die Herzöge von Elmet darauf, dass sie eigentlich die Könige von Britannica sein sollten, denn schließlich wäre Britannica nichts weiter als eine Erweiterung des alten Königreiches Anglia.“

„Träum weiter“ murmelte Mario, während Arje aufseufzte.

„Zu viele Könige und zu viele Herzogtümer. Da kommt ja kein Mensch mehr mit. Wann war das überhaupt?“

Clyde grinste ihn an.

„Das ist schon mehr als 600 Jahre her.“

„Na toll. Und ausgerechnet jetzt greift der Mann nach der Krone von Britannica?“

Der Erzdruide schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist nicht plötzlich gekommen. Im Laufe der Jahrhunderte hat immer wieder einer der Herzöge von Elmet versucht, die Macht an sich zu reißen. Mal durch Intrigen, mal durch militärische Gewalt, doch immer sind sie bisher gescheitert. Beim letzten Mal, vor ungefähr 90 Jahren, gab es eine Verschwörung, bei der ein Beauftragter des Herzogs versucht hatte, unter dem Palast eine Anzahl von Pulverfässern zu zünden.“

Einige am Tisch wirkten erstaunt, doch die Britannier unter ihnen nickten nur.

„Was ist denn mit der Vermutung, der Herzog wäre ebenfalls magisch begabt? Ist er dann nicht auch gefährlich? Er ist bestimmt sehr oft im Palast. Wenn er meint, er wäre aufgeflogen macht er vielleicht etwas Unüberlegtes.“

Der Erzdruide sah etwas überrascht zu Floris. Dann nickte er langsam.

„Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass der Herzog sich auf sein Schloss nach Elmet zurückzieht. Aber in Caerdon hätte er natürlich auch Zugriff auf seine Helfershelfer. Was meinst du damit, er würde etwas Unüberlegtes tun?“

Floris sah sich etwas unbehaglich um. Er war es zwar gewohnt, Ziel der Aufmerksamkeit von anderen zu sein, doch dies hier waren nicht seine übliche Umgebung und schon gar nicht ein Thema, bei dem er sich sicher war.

„Na, also wenn ich für eine Aktion alles lange vorbereitet hätte und fast am Ziel war und dann kommt etwas dazwischen, würde ich trotzdem versuchen, mein Ziel zu erreichen. Mit allen mir noch zur Verfügung stehenden Mitteln.“

Mario nickte heftig.

„Wenn er verzweifelt genug ist, setzt er alles auf eine letzte Karte. Was ist sein Ziel? Er will König von Britannica werden. Was hindert ihn daran?“

„Die Königin!“

Clyde fuhr von seinem Stuhl hoch und sah hinüber zu Thorben.

„Klarmachen zum Auslaufen! Wir müssen so schnell wie möglich zurück nach Caerdon!“

Thorben sprang ebenfalls auf und sah sich nur kurz um.

„ESTRAY, mir folgen!“

Die Besatzungsmitglieder des Kutters erhoben sich rasch, einschließlich Diethard und Ragnar.

„Halt! Die Magier brauch ich hier noch einen Moment. Peter, könntest du den Admiral bitten, dass die OAKLEAF uns begleitet? Ihr beide nehmt euren Bruder und geht auch auf die ESTRAY. Frank, ich möchte, dass die Scouts sich auf Fern- und Nahkampf einrichten. Bis auf die Magier geht ihr auch schon mal auf den Kutter und bereitet die Waffen vor. Ah, Floris, eine Frage. Freibeuter oder Seesoldaten?“

Floris sah Clyde vollkommen erstaunt an, dann verstand er den Sinn der Frage. Er zögerte sichtlich mit seiner Antwort.

„Scouts?“

Clyde stutzte und dachte einen Moment nach. Der Captain hatte ihm freie Hand gelassen und nur zur Bedingung gemacht, dass alle in ihrem Deck unterkommen mussten. Warum eigentlich nicht.

„Melde dich bei Frank. Der wird alles erledigen. Ab sofort haben die Scouts einen Mann mehr.“

Frank Beutler war schon fast draußen und sah nun etwas verblüfft zurück zu Floris, winkte ihm aber, ihm zu folgen. Am Tisch hörte Clyde ein leises Lachen. Andrew Fraser hatte den Ausbruch von Aktivitäten mit leichter Belustigung verfolgt.

„Sieh da. Mein kleiner Bruder entwickelt sich zu einem wahren Anführer. Du weißt, was du willst. Was hast du für uns?“

Clyde sah Andrew irritiert an, dann kam ihm die Erkenntnis, dass man anscheinend ihm die Verantwortung für diese Operation überließ. Etwas irritiert sah er von Andrew zum Erzdruiden, der ihm freundlich zunickte. Andrew fuhr fort.

„Wir werden uns in deine Planung nicht einmischen. Sag einfach, was du von uns erwartest.“

„Oh, also… ich habe mir über das Vorgehen in Caerdon noch keine großen Gedanken gemacht. Wir müssen Verbindung mit Sir David Owen aufnehmen und erfahren, ob die Königin in Sicherheit ist. Dann wüsste ich gerne, ob der Steinerne Hain eine sichere Zuflucht ist und auch vor Dunkelmagiern geschützt werden kann. Sind überhaupt noch Druiden im Hain? Was ist mit der Palastwache? Welchen Befehlen folgt sie?“

Andrew nickte und sah den Erzdruiden an, der nachdenklich über seinen Bart strich.

„Zwei der Fragen kann ich beantworten. Der Steinerne Hain ist definitiv sicher vor jeder Bedrohung. Seine Schutzmaßnahmen können auch magischen Angriffen standhalten. Ob noch jemand im Hain ist…, Caelin?“

Clyde bemerkt erst jetzt, dass der Novize sich unauffällig genähert hatte und schweigend zuhörte.

„Bruder Thibalt müsste dort sein und Bruder Norgat. Wir haben auch noch zwei Rückkehrer von Erin erwartet. Zwei Novizen auf ihrer Wanderschaft.“

„Vier Druiden im Steinernen Hain. Die Schutzzauber sind alle aktiv. Die Türen sind verstärkt und können magisch versiegelt werden. Wie lange sie standhalten, kann ich nicht sagen.“

Clyde versuchte, sich den Grundriss des Palastes in sein Gedächtnis zurückzurufen, wurde aber von Andrew unterbrochen.

„Was ist mit dem Einsatz unserer eigenen Magier?“

Clyde sah sich um. Ragnar, Diethard, Dian und Finn. Dann Andrew, Leif und Tarek. Die Druiden durfte er für den Kampfeinsatz nicht mitrechnen. Und dann natürlich auch er selber.

„Acht Magier. Wie sie eingesetzt werden, können wir erst entscheiden, wenn wir dort sind. Das heißt, Dian, du bereitest bitte an Bord der ESTRAY ein Lazarett vor, für alle Fälle.“

Dian wollte etwas sagen, schloss dann aber den Mund und nickte lediglich. Der Erzdruide musterte ihn neugierig.

„Ein Heiler? Erstaunlich. Heiler sind sehr selten. Caelin hier ist ein begabter Heiler. Er wird dir sicherlich helfen können.“

Caelin sah ob des Lobes peinlich berührt zu Boden, hob dann aber den Kopf und lächelte Dian zu.

„Gut, dann lasst uns auch zurück auf die ESTRAY gehen. Ich nehme an, die Vorbereitungen für das Auslaufen sind abgeschlossen.“

Vor der ESTRAY traf gerade der etwas atemlose Peter Richardson ein.

„Wir müssen noch einen Moment warten. Der Admiral hat alles alarmiert, was noch verfügbar ist. Die OAKLEAF und die BEECHLEAF nehmen jede noch einen Halbzug Marineinfanterie an Bord, dann legen sie ab und folgen uns.“

Clyde hob überrascht die Augenbrauen.

„Einen was?“

„Einen Halbzug. Beim Einschiffen auf kleinere Einheiten werden die Seesoldaten getrennt. Die beiden Schiffe nehmen jeweils die Hälfte eines Zuges an Bord. Ein Zug sind 30 Mann unter dem Kommando eines Sergeanten.“

Zwei Schiffe und ein Zug Marineinfanteristen. Da war die Navy aber mal großzügig. Als Clyde und Peter an Bord gingen, legte die ESTRAY auch sofort ab. Peter ging hinüber zu Thorben und übergab ihm ein Schriftstück. Der las es mit großen Augen und winkte Clyde hektisch herüber.

„Was ist? Was hast du bekommen?“

„Von Admiral Moorehead. Eine befristete Bestallung zum Commander der Royal Navy und die Unterstellung der beiden Kutter unter mein Kommando für die Zeit des Einsatzes.“

„Was? Das geht so einfach?“

„Keine Ahnung, aber wir wollen hoffen, es funktioniert. Manuel! Signale klarmachen. Wir sind jetzt Führungsschiff.“

Thorben war mehr als froh, dass Captain Hansom nicht nur die schicken Uniformen denen der Navy nachempfunden hatte. Ebenso war bei der Ausbildung der Seekadetten und Offiziere Wert darauf gelegt worden, dass sie neben ihrem Handwerk als Handelsschiffsoffiziere auch die Kenntnisse eines Seeoffiziers der Navy erhielten.

Clyde konnte sehen, wie sich von weiter hinten im Hafenbecken zwei Kutter näherten. An Oberdeck waren deutlich die hellroten Uniformen von Marineinfanteristen zu erkennen, die den Leuten den Spitznamen ‚Hummer‘ eingebracht hatten.

Clyde drehte sich zu Thorben und konnte sich eine kleine Spitze nicht verkneifen.

„Nun, Commander, wie lange wird es dauern, bis wir in Caerdon sind?“

Thorben sah Clyde erbost an, blätterte dann aber im Tidenkalender.

„Etwa vier Stunden. Wir erwischen noch das Ende des ablaufenden Wassers.“

„Vier Stunden? Dann ist es ja schon fast Dunkel.“

Sven kritzelte auf seiner Schiefertafel.

„Sonnenuntergang ist um 20:51 in Caerdon. Das schaffen wir gerade noch.“

Clyde nickte dankend und sah sich suchend um. Im Hintergrund bemerkte er Peter Richardson, der Manuel dabei half, seine Flaggen zu sortieren. Auf der anderen Seite standen Dian, Hendrik Simonsen und der Bootsmann in ein Gespräch vertieft und vor dem Mast probierte Floris gerade, ob ihm eine der Uniformen passte, die die Scouts noch an Bord hatten.

Als die Flussmündung sich verengte, meldete der Ausguck voraus einen fremden Kutter, der anscheinend etwas ziellos hin und her kreuzte. Thorben brummte angehalten.

„Sie warten auf uns. Sie überlassen nichts dem Zufall. Sie wissen, dass wir ihnen entwischt sind und nun wollen nun kein Risiko mehr eingehen und uns nicht wieder hereinlassen.“

„Was machen wir? Wir haben nicht so viel Zeit.“

Thorben sah nach oben um die Windrichtung zu bestimmen und dann auf den Kompass.

„Wir sind zu dritt. Damit konnten sie nicht rechnen. Wir machen einfach ein Passiergefecht.“

Auf Clydes fragenden Blick lachte Thorben leise.

„Wir fahren schlicht aneinander vorbei und schießen. Mit jeweils einem Gegner ist das ein blödes Manöver. Großer Schaden entsteht da meistens nur durch einen Zufallstreffer. Das wird auch nur gemacht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, sich in eine bessere Position zu bringen. Manuel! Signal an den Verband. Erstens: Feind in Sicht. Zweitens: Feuern nur, wenn Gefecht eröffnet. Und dann: Passiergefecht!“

Der gegnerische Kutter hatte ihre Annäherung bemerkt und nahm nun Kurs auf die ESTRAY. Entweder hatte er die Kutter der Navy noch nicht bemerkt, oder ihre Anwesenheit nicht mit der ESTRAY in Verbindung gebracht.

„Bachbordbatterie klarmachen zum Feuern! Vollgeschosse.“

Die Schiffsjungen eilten los die Pulverkartuschen zu holen und die Kanonen wurden geladen. Clyde sammelte seine Leute mittschiffs vor dem Mast.

„Das wird ein klassisches Seegefecht. Sobald die Kanonen gefeuert haben und wir wieder etwas sehen können, werden wir ebenfalls eingreifen. Feuert nur auf erkannte Ziele. Das sind Offiziere oder Leute, die erkennbar Befehle geben.“

Frank Beutler nickte und gab zusätzliche Erklärungen über das Aussehen von Schiffsführern und auch den Vorhaltewinkel bei Passiergefechten. Clyde überlegte, ob er wieder einen Feuerball zum Einsatz bringen sollte, aber Thorben winkte ab.

„Zu gefährlich. Wir wissen nicht, wie weit wir rankommen und wenn der Gegner plötzlich führerlos wird und uns rammt oder sowas, können wir nicht riskieren, dass das Feuer überspringt.“

Clyde nickte und sah nun an Backbord voraus den gegnerischen Kutter schnell näherkommen. Vollkommen überrascht war er allerdings von dem auf sie zurasenden Feuerball, der das Großsegel der ESTRAY nur haarscharf verfehlte.

„Sie haben einen Magier an Bord!“

Clyde fuhr herum und deutete auf Frank Beutler.

„Los, komm her. Kannst du was erkennen?“

Frank schüttelte den Kopf, öffnete aber seine Jacke. Clyde grinste ihn an, während einige andere verwirrt herübersahen. Clyde zog Frank das Hemd aus der Hose und griff ihn an beiden Seiten über der Hüfte.

Für Frank erschloss sich ein schon fast vertrautes Bild. Der fremde Kutter war nun erheblich näher zu erkennen und er konnte einen Mann in einer dunklen Robe sehen, der dort an der Reling stand und wild mit seinen Händen gestikulierte.

Frank hob seinen Karabiner, doch die Bewegung des Ziels und die des eigenen Schiffes ließen die Zielmarkierung unkontrolliert hin und her schwanken.

„Ich krieg‘s nicht hin. Wir sind noch zu weit. Das wandert alles aus.“

Clyde nickte und überlegte, wie er das Problem lösen konnte, als ein weiterer Feuerball auf sie zugeschossen kam. Diesmal war er auch nicht besser gezielt, verfehlte das Segel ebenfalls, schlug aber in den Aufbau des achteren Niedergangs ein. Das Holz explodierte fast in einem Funkenregen und überall regnete es glimmende Holzsplitter. Clyde fuhr fluchend herum, als er Ragnar beobachtete, der mit großen Augen auf die herumtanzenden Flammen starrte.

Ragnar hob einen Arm und dann hörte man ein lautes Rauschen. An ihrer Steuerbordseite erhob sich eine riesige Welle und schlug über die Reling, die ganzen Flammen unter sich begrabend. Das Schiff schüttelte sich bei der Menge an Wasser die sie übergenommen hatten, doch schon lief es auch durch die Speigatten wieder zurück ins Meer.

Clyde sah Ragnar, der ganz erstaunt auf seine rechte Hand blickte, während Thorben ihm einen skeptischen Blick zuwarf und sich vergewisserte, dass das Wasser ordentlich ablief.

„Na, warte.“

Frank Beutler hatte sich nach vorne begeben und lag nun bäuchlings neben dem Bugspriet auf dem Vorsteven. Nun machte er lediglich noch die langsame Auf- und Abbewegung beim Stampfen des Kutters. Mario hatte sich neben ihn gekniet und mehrere Karabiner mitgebracht.

Clyde legte sich neben ihn und fuhr mit der Hand unter das Hemd auf Franks Rücken.

„Geht das besser so?“

„Ich werde es versuchen. Mario hat ein paar Karabiner geladen. Ich habe also mehrere Versuche.“

Der erste Schuss brach und nichts passierte. Frank murmelte etwas und dann brach der zweite Schuss. Lautes Geschrei auf dem gegnerischen Kutter sagte Clyde, dass Frank etwas getroffen haben musste.

Frank erhob sich mit einem Grinsen.

„Ich hab ihn. Hat sich auch präsentiert wie eine Zielscheibe. Hat wieder mit den Armen rumgefuchtelt.“

Hinter ihnen gab es einen kleinen Zwischenfall. Als der erste Feuerball auf die ESTRAY zuraste scherte die BEECHLEAF aus der Formation aus und drehte nach Steuerbord.

„BEECHLEAF verlässt Formation.“ meldete Manuel und Thorben fuhr herum.

„Signal an BEECHLEAF! Station halten.“

„An BEECHLEAF, Station halten.“

Manuel suchte sich nach einem kurzen Blick in sein Signalbuch die Flaggen zusammen während Peter fast ungläubig nach hinten starrte. Aber noch während die Flaggen nach oben stiegen drehte die BEECHLEAF zurück und nahm ihre Position im Kielwasser der OAKLEAF wieder ein.

„Was war das denn?“

„Das gedenke ich herauszufinden. Aber das muss erst einmal warten. Klar zum Feuern!“

Ragnar hatte sich zu seiner Batterie begeben und den Säbel gezogen. Der fremde Kutter kam rasch näher und nun waren schon die ersten Gesichter zu unterscheiden.

„Zielt auf die Wasserlinie. Wir haben keine Zeit, uns mit ihm aufzuhalten. Feuererlaubnis.“

Ragnar nickte, senkte seinen Säbel und gleichzeitig ertönte die Batteriepfeife. Die Abschüsse der Kanonen der ESTARY kamen nur kurz vor denen ihres Gegners. Hier war man sich anscheinend nicht ganz einig über die Zielzuweisung, denn einige Kugeln schlugen in den Rumpf der ESTRAY, während andere über das Oberdeck fegten.

Es gab nur einen Einschlag an Oberdeck, der auch noch ausgerechnet in die traurigen Reste des achteren Niederganges einschlug. Splitter schwirrten umher und die Schreie von Verletzten ertönten. Clyde drehte sich suchend um und sah seine Scouts aufgelockert nebeneinander stehen. Fast so ruhig wie auf dem Schießplatz feuerten die Karabiner, während Finn und Arje mit dem nachladen beschäftigt waren. Ihre Waffen lagen immer noch in der Waffenkammer der königlichen Leibwache.

Jeder der Scouts war gerade mal zu einem zweiten Schuß gekommen, als der fremde Kutter auch schon an ihnen vorbei war. Hinter ihnen ertönten einige Augenblicke später auch die Abschüsse der OAKLEAF. Clyde glaubte nicht, dass ihr Gegner Zeit genug gehabt hatte, um seine Kanonen nachzuladen.

Grimmig beobachtete Thorben, wie die OAKLEAF mit einer Salve Kettenkugeln den fremden Kutter entmastete. Ihr Kommandant hatte richtig geschlossen, dass der Gegner keine große Gefahr mehr war und wollte sicher gehen, dass er ihnen nicht folgte.

Peter Jaden kam mit dem Schadensbericht auf das Achterdeck.

„Drei Treffer im Rumpf, keine durchgebrochen. Ein Treffer im Decksaufbau. Fünf Verletzte, davon einer schwer.“

„Was ist passiert?“

„Ein Holzsplitter hat ihm die Halsschlagader aufgerissen. Ist unten im Lazarett. Wie weit die unten sind, kann ich nicht sagen. Einer der vier Leichtverletzten ist ein Schiffsjunge. Hab ihn auch runtergeschickt.“

Thorben hob fragend die Augenbrauen und Peter musste trotz der ernsten Situation etwas grinsen.

„Auch ein Holzsplitter. Aber den müssen sie ihm aus dem Allerwertesten ziehen.“

Thorben verdrehte die Augen und lachte leise.

„Sehr gut. Seht zu, dass alles wieder einsatzbereit ist. Wir wissen nicht, was uns noch erwartet.“

Clyde sah inzwischen nach seinen Scouts. Frank hatte seine Sachen wieder in Ordnung gebracht und Mario erklärte Floris ziemlich ausführlich, was Clyde und Frank da gerade gemacht hatten.

„Und das geht tatsächlich? Die Magie wird übertragen?“

Clyde wandte sich ihnen zu.

„Nein, nicht direkt. Ich wirke den Zauber und die andere Person nimmt passiv daran teil. So, als würdest du durch ein Fernglas sehen.“

„Und was ist mit dem äh… Nebeneffekt?“

Clyde warf Mario einen finsteren Blick zu, doch der blickte unschuldig in den Himmel.

„Das weiß ich auch nicht so genau, warum er ausgerechnet dabei auftritt. Das ist für das Zielen aber ja auch nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass ihr euch davon nicht ablenken lasst, wenn ich den Zauber mal bei jemandem einsetze.“

Nun erst bemerkte Clyde, dass Floris und auch alle anderen Scouts sich mit Karabinern ausgerüstet hatten.

„Wo sind die denn her?“

„Aus der Handwaffenlast der ESTRAY. Wir haben sechs Ersatzkarabiner an Bord. Arje und Finn wollten keinen, also haben die Zwillinge einen bekommen.“

Thorben kam langsam näher und winkte Clyde zu.

„Ich denke, ich habe eine gute Nachricht. Der Wind hat etwas gedreht und wenn wir Glück haben, sind wir in drei Stunden da.“

„Sehr gut. Dann sollten wir uns überlegen, wie wir es am besten…“

Clyde sah sich um und bemerkte erst jetzt, dass sich weder die beiden Druiden, noch die zu ihnen gehörenden Magier an Deck befanden. Thorben bemerkte seine Blicke.

„Sie sind in der Kapitänskajüte. Wäre doch etwas peinlich, sollte der Erzmagier durch Zufall im Gefecht getroffen werden.“

„In Ordnung, kommst du bitte mit? Wir brauchen einen Plan.“

Thorben sprach kurz mit Sven und folgte dann Clyde in die Kapitänskajüte.


Der königliche Yachthafen lag verlassen da. Nicht ein Schiff hatte dort festgemacht und auch die Pier war wie leergefegt.

Clyde drehte sich zum wiederholten Male um zu den beiden Marinekuttern um, die in ihrem Kielwasser folgten. Dann wandte er sich an Manuel.

„Sie haben ihre Befehle alle verstanden?“

Manuel verdrehte die Augen. Das war jetzt das dritte Mal innerhalb von zehn Minuten die gleiche Frage.

„Jawohl, Sir. Hinter uns anlegen, die Seesoldaten ausschiffen und ein Kontingent von jeweils zehn Matrosen für ein Landekommando bereitstellen. Die Signale sind als verstanden quittiert worden.“

Clyde seufzte. Jetzt konnte er nur noch warten. Hoffentlich lief alles nach Plan. Aber wie ihm mal jemand gesagt hatte, der beste Plan geht sowieso nach dem ersten Schuss den Bach runter.

Auf der ESTRAY machten sich die zehn Matrosen unter dem Kommando von Ragnar klar um von Bord zu gehen. Auch die Scouts waren abmarschbereit. Verstärkt durch die Zwillinge, nun ebenfalls wieder in grünen Uniformen. Clyde wunderte sich, wo sie die hier an Bord aufgetrieben hatten. So ganz passten sie nämlich nicht.

Frank Beutler ging die Reihe ab und überprüfte die Ausrüstung. Clyde musste unbedingt mit Feliciano reden und ihn fragen, wie das mit den Beförderungen der Unteroffiziere aussah.

Auch der Erzdruide war mit seinem Novizen und seinen drei Magiern erschienen und sah neugierig hinüber zu dem Flügel des Palastes, der dem Hafenbecken am nächsten war. Doch nichts rührte sich dort drüben.

Knirschend ging die ESTRAY an die Pier und noch bevor sie richtig fest war, sprangen die Matrosen des Landekommandos bereits von Bord. Clyde sah nach hinten und beobachtete das Ausschiffen der Seesoldaten der Navy. Er war sich nicht sicher, wie er dort empfangen werden würde, aber er leitete nun einmal diese Operation und musste seine Befehle geben.

Die Scouts standen auch schon auf der Pier, als Clyde zur Navy hinüberging. Der Zug der Seesoldaten war wie auf dem Exerzierplatz angetreten und der Sergeant vor ihnen sah Clyde herannahen.

Zu Clydes Überraschung bekam er eine ordnungsgemäße militärische Meldung.

„Sergeant Jones mit dem ersten Zug, dritte Kompanie Marineinfanteriebataillon West angetreten, Sir.“

„Danke, Sergeant. Lassen sie rühren.“

Der Sergeant gab seine Befehle und da näherten sich auch schon zwei Unteroffiziere der Navy. Augenscheinlich die Führer der beiden Landungsabteilungen.

„Steuermannsmaat Fossit von der OAKLEAF mit zehn Mann, Sir. Dies ist Bootsmannsmaat Lunedin von der BEECHLEAF, ebenfalls mit zehn Mann, Sir. Wir sollen ein Landungskommando verstärken, wie uns gesagt wurde.“

„Richtig. Ich bin Leutnant Cameron von den Scythe Scouts und leite diesen Einsatz. Die ESTRAY stellt ebenfalls zehn Mann. Melden sie sich mit ihren Leuten bei Lieutenant Thorsson. Er befehligt den Landungszug.“

Die beiden Unteroffiziere nickten und zogen los in die Richtung, in die Clyde deutete. Dann wandte er sich wieder an den Sergeanten.

„Nun, Sergeant. Auf ihre Leute kommt wahrscheinlich die meiste Arbeit zu. Sollte es wirklich zu einem Gefecht kommen, werden wir die Palastwache als Gegner haben.“

Der Sergeant hob erstaunt die Augenbrauen.

„Sir?“

„Sie haben richtig gehört. Es gibt im Moment eine unklare Situation im Palast und wir müssen möglicherweise die Leibwache der Königin unterstützen gegen die Palastwache. Es sieht so aus, als ob die Palastwache, zumindest teilweise, den Befehlen des Schatzkanzlers folgt, der dabei ist, einen Umsturz durchzuführen.“

„Das ist mehr als verwirrend, Sir. Die Palastwache besteht aus einem ganzen Bataillon. Jede der fünf Kompanien wird von einem der alten Herzogtümer Anglias gestellt. Wenn es stimmt, was ihr gesagt habt, wird hoffentlich nur die Kompanie aus Elmet den Befehlen des Herzogs folgen.“

Das war neu für Clyde. Bestand da etwa die Chance, die anderen Kompanien zumindest zum Stillhalten zu bewegen? Wäre das nicht eine Aufgabe für den Erzdruiden? Nein, halt. Der stammte ja auch aus Elmet. Dann schoss Clyde ein anderer Gedanke durch den Kopf.

„Was ist mit euren Leuten? Können sie sich auf sie verlassen?“

Sergeant Jones erlaubte sich ein schwaches Lächeln.

„Meine Leute stammen, so wie ich, alle aus Cymru. Die Garnison Caerdydd ist nicht besonders beliebt und da gibt es fast nur Leute aus dem Umland.“

Clyde nickte und vergaß beinahe zu grüßen, als er den Sergeanten verließ. Vor der ESTRAY wartete geduldig der Erzdruide.

„Nun, Lord Clyde? Wie wollen wir es am besten versuchen?“

„Ich habe gerade erfahren, dass möglicherweise nur die Kompanie aus Elmet den Befehlen des Schatzkanzlers gehorcht. Was mit den anderen ist, ist völlig unklar. Ich schlage vor, wir betreten den Palast hier durch den Zugang vom Hafen aus. Alles andere würde uns nur Zeit kosten. Wenn ich es richtig im Kopf habe, führt ein Weg durch den Flügel in den Innenhof und dann weiter zum eigentlichen Schloss. Dort sollten wir zunächst nach der Leibwache sehen und versuchen herauszufinden, was mit der Königin ist.“

Der Erzdruide überlegte einen Moment, nickte aber dann.

„Ja, es wird wohl nichts anderes übrigbleiben. Es ist etwas ungewohnt, mit einer halben Armee in den Palast einzudringen.“

Clyde antwortete nicht und der Erzdruide seufzte.

„Also gut. Wie wollt ihr vorgehen?“

„Wir gehen mit den Scouts voran. Dafür sind sie schließlich da. Dann folgen die Seesoldaten und den Abschluss macht die Landungsabteilung. Die Magier sollten sich auf die einzelnen Gruppen aufteilen. Bei der Landungsabteilung sind ein Wasser- und ein Erdmagier. Bei den Scouts ein Feuer- und ein Kampfmagier. Ich würde empfehlen, ihr begebt euch zu den Seesoldaten. Was eure Begleiter anbelangt…“

„Wir bleiben vorne bei dir, Kleiner.“

Andrew grinste Clyde breit an und dieser verdrehte nur die Augen.

„Was ist mit eurem Heiler, Lord Clyde?“

„Oh, Dian. Hm, den werde ich auch bei der Landungsabteilung lassen. Falls wir Ausfälle haben, können wir eine kleine Gruppe von ihnen für den Heiler zum Schutz abteilen.“

Der Erzdruide nickte und Clyde winkte Frank, Ragnar und Sergeant Jones heran. Mit kurzen Worten erklärte er ihr Vorgehen und dann wurden sie zu ihren Einheiten entlassen.

Bei den Scouts waren alle, bis auf Finn, mit einem Karabiner ausgerüstet. Frank gab letzte Anweisungen und die Truppe verteilte sich nun auf der Pier. Langsam rückten sie auf das vor ihnen aufragende Außengebäude der Palastanlage vor. Nichts passierte.

Etwa 50 Yards vor dem Eingang gab Frank ein Zeichen und die Linie blieb stehen. Clyde, der am rechten Flügel gegangen war, ging zu Frank.

„Da drüben. Am Eingang stehen zwei Wachposten. Sie haben uns gesehen, aber nicht reagiert.“

Clyde sah nun ebenfalls zum Eingang und erkannte unter einem dachartigen Vorbau zwei Soldaten in der gelb-roten Uniform der Palastwache. Sie sahen neugierig herüber, unternahmen aber immer noch nichts.

„Ihr bleibt hier.“

Frank wollte protestieren, doch Clyde schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Langsam ging er auf die Wachen zu. Als er etwa fünf Schritte von ihnen entfernt war, reagierte nun doch einer.

„Halt! Wer seid ihr und was führt euch in den Palast ihrer Majestät?“

Clyde sah von einem zum anderen. Zwei Männer mittleren Alters in der Uniform der Palastwache ohne weitere Abzeichen, bewaffnet mit jeweils einer traditionellen Hellebarde. Doch halt. Auf der linken Brustseite befand sich das königliche Wappen mit den drei goldenen Löwen auf rotem Grund. In der Mitte aufgelegt war ein weiterer kleiner Schild mit dem Wappen eines Herzogtums. In diesem Fall das von Rheged.

„Ich bin Lord Clyde Cameron in Begleitung seiner Exzellenz des Erzdruiden von Britannica. Wir wünschen, ihrer Majestät unsere Aufwartung zu machen.“

Langsam wanderte der Blick der beiden Wachen über die versammelten Soldaten. Sie wechselten nur einen kurzen Blick und dann stellten sie salutierend die Hellebarden senkrecht.

„Sehr wohl, Lord Clyde. Wenn ihr dem Weg zur rechten folgen wollt. Dort befindet sich im Moment auch Colonel Montrose, unser Bataillonskommandeur.“

Clyde salutierte dankend und gab Frank ein Zeichen. Die Scouts rückten weiter vor und Clyde sah sich nach Mario um. Wenige Augenblicke später war der kleine Rotaner unterwegs zu den anderen beiden Einheiten um sie auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.

Im Gebäude selbst bildeten die Scouts zwei Reihen hintereinander jeweils links und rechts in den jeweiligen Gängen. Vor ihnen schlich zu Clydes Erstaunen Floris von links nach rechts um den nächsten Gang oder den nächsten Raum zu erkunden.

Von der vor ihnen liegenden Gangbiegung kam Floris rasch wieder zurück.

„Der Gang zur rechten ist mit einer Barrikade abgesperrt. Dahinter sind Leute zu erkennen. Der Uniform nach Palastwache, aber keine Ahnung von welcher Kompanie.“

Clyde verwuschelte Floris seine goldblonden Haare und der grinste nur. Dann machte sich Clyde auf den Weg um die Ecke.

Floris hatte ganz richtig erkannt, dass der Gang auf seiner gesamten Breite durcheine Barrikade aus Möbeln abgesperrt war. Dahinter waren mit Gewehren bewaffnete Männer erkennbar.

„Halt! Erklärt euch!“

„Mein Name ist Clyde Cameron. Ich bin von den Scythe-Scouts und suche Colonel Montrose.“

Es gab einen erstaunten Ausruf, dann aufgeregtes Getuschel.

„Seid ihr ein Sohn von Donald Cameron, Duke of Lonlothian?“

Clyde wunderte sich etwas, aber er nickte.

„Ja, wie gesagt, Clyde Cameron, vierter Sohn des Herzogs von Lonlothian.“

„Tretet näher, euer Lordschaft.“

In der Barrikade wurde etwas beiseite gerückt und nun war ein schmaler Durchgang erkennbar. Clyde trat näher und ein großer Mann in der Uniform der Palastwache mit den Abzeichen eines Sergeanten musterte ihn gründlich.

„Er ist es tatsächlich. Lasst ihn passieren.“

Clyde wunderte sich ein wenig, dass er erkannt worden war, doch der Sergeant trat beiseite und Clyde zwängte sich durch die Lücke.

„Verzeiht, euer Lordschaft, aber die Lage ist im Moment etwas unübersichtlich. Die Kompanie von Elmet hat eine Meuterei angezettelt. Folgt mir bitte zum Colonel.“

Colonel Montrose war ein großer, imposanter Mann etwa Anfang vierzig, ebenfalls in der gelb-roten Uniform der Palastwache. Neugierig sah er Clyde in Begleitung des Sergeanten auf sich zukommen.

„Lord Clyde Cameron, Sir. Von den Scythe-Scouts.“

„Danke, Sergeant. Lord Clyde, welch eine Überraschung. Aber ich hätte mir denken können, dass der Earl of Scythe die Königin nicht im Stich lässt. Könnt ihr mir wenigstens verraten, was hier los ist? Meine ganze 3. Kompanie, die aus Elmet, scheint durchgedreht zu sein. Sie sind heute Nachmittag in das Zentralgebäude eingedrungen und haben versucht, zur Königin zu gelangen. Sir David hat fast die Hälfte seiner Leute verloren, als er versuchte, die Königin in Sicherheit zu bringen. Ich weiß nicht, was da drüben los ist. Wir haben keinerlei Informationen. Jedes Mal, wenn wir uns nähern, wird sofort geschossen.“

Clyde sah den Colonel kopfschüttelnd an. Dann berichtete er kurz, was der Hintergrund dieses Aufstands war.

„Der Schatzkanzler also. Kaum zu glauben. Aber ihr habt gesagt, dass der Erzdruide euch begleitet. Wo befindet er sich?“

„Unsere Truppen sind hier im Gebäude. Ich würde es begrüßen, wenn wir sie irgendwo versammeln können und dann vielleicht eine kurze Besprechung abhalten.“

„Selbstverständlich. Sergeant Stewart!“


Die Besprechung fand an einem Tisch statt, den die Soldaten von der Barrikade gelöst und seiner ursprünglichen Aufgabe wieder zugeführt hatten. Neben Clyde waren nun auch der Erzdruide, Ragnar, Frank und Sergeant Jones anwesend.

„Die Elmet-Kompanie ist in den inneren Palast vorgedrungen und hat versucht, in die Privatgemächer ihrer Majestät zu kommen. Sie wurden von der Leibwache der Königin erfolgreich daran gehindert. Soweit wir sehen konnten, haben sie sich in den Steinernen Hain zurückgezogen und dort verschanzt.

„Was ist mit euren anderen Kompanien, Colonel?“

Colonel Montrose machte ein verbittertes Gesicht.

„Hier habe ich nur die Kompanie aus Rheged. Ich selbst stamme von dort und ich möchte behaupten, die Soldaten sind aus diesem Grund geblieben. Die Kompanien aus Lundein und Cerniw haben sich in ihre Kasernen zurückgezogen. Ich weiß von Hauptmann Montalban von der Kompanie aus Glovia, dass ein Unbekannter den Soldaten jeweils 10 Sovereigns geboten hat, sollten sie an der Seite von Elmet kämpfen und fünf Sovereigns nur dafür, wenn sie sich ruhig verhalten. Hauptmann Montalban hat man sogar Land und Titel versprochen, sollte er mit seinen Leuten die Seiten wechseln.“

„Dem hat er offensichtlich widerstanden.“

„Ja, die Kompanie aus Glovia hält Momentan den Innenhof und den Durchgang zum eigentlichen Palast. Was da drinnen vor sich geht, weiß ich nicht. Hauptmann Montalban hat gemeldet, dass die Leibwache schwere Verluste hatte, wie hoch die Verluste von Elmet sind, kann ich auch nicht genau sagen. Ich möchte ungerne gegen die Aufrührer vorgehen. Ich bin mir nicht sicher, wie weit meine Soldaten tatsächlich dem Angebot dieses Unbekannten widerstehen können, sollte es noch einmal Erwähnung finden.“

Der Erzdruide hatte der kurzen Unterhaltung wortlos zugehört, doch nun wandte er sich an den Colonel.

„Colonel Montrose, habt ihr oder eure Männer den Gebrauch von Magie bemerkt während der Kämpfe?“

„Nein, euer Exzellenz. Aber wir waren auch nicht direkt in Kämpfe verwickelt. Ich müsste Hauptmann Montalban befragen, ob seine Aufklärer irgendetwas bemerkt oder gefunden hätten.“

„Ich bitte darum.“

Es gab eine kurze Verzögerung, als der Hauptmann von seinem Posten im Innenhof geholt wurde. Clyde war etwas überrascht, denn der Hauptmann war jünger als er vermutet hatte und seine rot-gelbe Uniform war vollkommen verdreckt, als ob er durch den Innenhof gerobbt wäre. Colonel Montrose hob die Augenbrauen, kommentierte das Aussehen aber nicht.

Nach einer kurzen Vorstellung wurde dann dem Hauptmann ebenfalls die Frage nach der Anwendung von Magie gestellt. Er überlegte einen ganzen Moment, dann sah er unsicher zum Erzdruiden.

„Ich bin mir nicht sicher, euer Exzellenz. Wir haben etwas gefunden, was wir nicht erklären konnten, doch ich weiß nicht, ob es etwas mit Magie zu tun hat.“

„Erzählt ruhig, Hauptmann. Jede Einzelheit ist wichtig.“

„Nun ja. Einer der Aufklärungstrupps kam zurück mit der Meldung, dass die Aufständischen der Leibwache quer durch den Palast folgen würden. Auf dem Weg haben sie die Toten beider Seiten einfach liegen lassen. Eine der Leichen soll regelrecht verbrannt gewesen sein, obwohl weiter kein Feuer zu sehen war. Und dann war da die merkwürdige Leiche eines der Elmet-Soldaten. Die Sache war schon etwas Merkwürdig. Der Mann trug nämlich keine Sachen mehr. Splitternackt und dann war brutal der Brustkorb geöffnet worden und das Herz fehlte.“

Clyde fluchte auf Gälisch und der Erzdruide schloss für einen Moment die Augen.

„Sie haben tatsächlich Dunkelmagier mit. Und so wie es aussieht, bereiten sie einen ziemlich starken Zauber vor. Wir müssen sie so schnell wie möglich aufhalten. Vorschläge, Lord Clyde?“

Clyde sah zu Frank Beutler.

„Wir müssen in Erfahrung bringen, was da vor dem Steinernen Hain los ist. Wir brauchen zwei Aufklärungstrupps.“

„Die sind nicht einsatzbereit. Unsere Waffen sind immer noch in der Waffenkammer der Leibwache. Wenn wir lautlos vorgehen wollen, brauchen wir sie.“

Hauptmann Montalban sah fragend zu Frank, dann zu Clyde.

„Die Waffenkammer der Leibwache? Die ist hier auf dieser Seite. Vom Innenhof leicht zu erreichen. Ich weiß nur nicht, wie wir dort hineinkommen können.“

Frank Beutler stand auf.

„Einen Moment, bitte. Ich werde mal jemanden fragen, der sich da auskennen sollte.“

Kurze Zeit später war Frank wieder da, gefolgt von Finn.

„Ich habe gehört, ihr wollt in die Waffenkammer. Ich war ja nun einige Zeit bei der Leibwache und auch in der Waffenkammer. Ich weiß, dass es drei Schlüssel dafür gibt. Einen hat Sir David, den zweiten der Waffenkammersergeant und der dritte ist in einem Versteck im Vorraum der Kammer.“

Es gab einige verblüffte Gesichter.

„In einem Versteck?“

„Ja. Keine Ahnung warum. Aber ich nehme an, für Fälle wie den im Moment.“

„Dann los. Hauptmann Montalban, könnt ihr uns mit ein paar Leuten bis zur Waffenkammer begleiten? Die Scouts werden sich dort ausrüsten und dann werden wir versuchen herauszufinden, was eigentlich genau los ist.“


Der Weg bis zur Waffenkammer war problemlos. Aber auch hier lagen ein paar tote Soldaten beider Seiten. Dennoch schien die Waffenkammer von keinem besonderen Interesse für die Angreifer gewesen zu sein.

Im Vorraum der Waffenkammer bat Finn darum, einen Moment allein gelassen zu werden. Schon nach wenigen Augenblicken ließ er seine Kameraden wieder ein.

„War nicht schwer. Der Schlüssel war genau da, wo er sein sollte.“

Mit dem schweren Schlüssel bewaffnet öffnete Finn die gepanzerte Tür und die Scouts kamen endlich wieder zu ihren Waffen.

Fast liebevoll strich Finn über den Griff der schweren Streitaxt, während Arje misstrauisch seine Armbrust inspizierte. Auch Frank untersuchte seinen Karabiner, den er sich extra hergerichtet hatte.

Floris sah sich neugierig um, bis sein Blick auf etwas fiel, das ihn strahlen ließ. Vorsichtig nahm er die beiden kleinen Äxte aus ihren Halterungen. Mario sah ihm mit erhobenen Augenbrauen zu.

„Du kannst mit den Dingern umgehen?“

„Klar. Damit treffe ich jeden auf 20 Yards. Thies hat mir das erste Paar geschenkt, als ich sechs wurde. Bei uns in der Familie kann jeder mit einer Waffe umgehen. Ein Schwert wäre damals für mich zu schwer gewesen, ein Speer zu unhandlich und für einen Bogen bin ich auch heute noch nicht stark genug. Aber Wurfäxte sind da eine ganz andere Sache.“

„Alle fertig? Gut. Wir bilden zwei Aufklärungstrupps. Jeweils ein Beobachter, ein Schütze mit einer lautlosen Waffe und ein Beschützer mit einer Feuerwaffe. Die Beschützer haben hier noch die Möglichkeit, sich zusätzlich zu ihrem Karabiner mit Pistolen auszurüsten.“

Clyde hoffte, dass Sir David nichts dagegen hatte, wenn er sich hier so großzügig bediente.

„Der Trupp eins besteht aus Frank, Arje und Thies. Trupp zwei aus Mario, Finn und Henk. Eldar und Floris bleiben bei mir.“

Floris machte ein enttäuschtes Gesicht, doch Clyde kannte seine Fähigkeiten noch nicht und wollte kein Risiko eingehen. Dann machten sich die beiden Trupps auf den Weg.

Die Ergebnisse der Aufklärung waren nicht besonders aufschlussreich. Die Lagebesprechung fand wieder im improvisierten Hauptquartier von Colonel Montrose statt.

„Wir konnten bis zu den Gemächern der Königin vordringen. Keine lebende Seele mehr. Etliche getötete Leibwächter und einige der Palastwache. So wie es aussieht haben sie mindestens einen Feuermagier dabei.“

Clyde nickte Frank dankend zu und wandte sich an Mario.

„Wir haben versucht, zum Steinernen Hain zu gelangen. Dort ist alles abgeriegelt von Angehörigen der Palastwache. Da laufen auch einige rum in schwarzen Roben. Wir haben insgesamt vier gezählt. Und dann war da so ein Typ in einem dunkelblauen Anzug. Sah aus wie Samt. Feiner Pinkel, würde ich sagen. Der hat die ganzen Anweisungen gegeben. Ob der magisch begabt war, konnten wir nicht feststellen. Ehrlich gesagt hätte ich da auch keinen Bock drauf gehabt, das zu erfahren.“

Clyde sah sich fragend um, doch die Anwesenden schüttelten den Kopf. Lediglich der Erzdruide strich sich nachdenklich durch den Bart.

„Dieser Mann im blauen Anzug. Anfang vierzig, klein, dunkle Gesichtsfarbe und eine auffällige Hakennase?“

„Ja, genau. Das ist er.“

„Alexander Renfrew. Der Privatsekretär des Schatzkanzlers. Und anscheinend auch sein Beauftragter bei anderen Aufgaben. Wenn es irgendwie geht, müssen wir ihn lebend bekommen.“

Clyde drehte sich wieder zu seinen Leuten.

„Ihr habt es gehört. Wir werden jetzt versuchen, die Belagerung des Steinernen Hains zu durchbrechen und aufzulösen. Wenn irgend möglich ist dieser Sekretär im blauen Anzug lebend zu fangen. Bei den Magiern in den schwarzen Roben besondere Vorsicht. Wir wissen nicht, welche Art von Magie der einzelne beherrscht.“

„Colonel, welcher Zugang wäre für die Belagerer am schwersten zu verteidigen?“

Der Colonel wechselte einen Blick mit Hauptmann Montalban, der dicke Backen machte.

„Die Zugänge sind vor dem Hain gleich. Sie sind in zwei Quergängen parallel und spiegelverkehrt angelegt. Der eine beginnt in der Nähe eines Versorgungstraktes, der andere in einer Verbindungshalle.“

Clyde konnte sich an die Halle erinnern, in der er sich kurzfristig als Statue getarnt hatte.

„Wir gehen durch die Halle vor. Colonel, könnten ihre Soldaten den Versorgungstrakt abriegeln? Wenn wir angreifen sollen sie keine Möglichkeit haben, zur anderen Seite auszuweichen. Außerdem möchte ich nicht, dass uns jemand in den Rücken fällt. Die Scouts gehen zur Erkundung vor und dann setzen wir als erste unsere Magier gegen die erkannten Dunkelmagier ein. Die Seesoldaten und der Landungszug bleiben direkt hinter uns und müssen bei Bedarf die Palastwache bekämpfen.“

Colonel Montrose wechselte lediglich einen Blick mit Hauptmann Montalban, der auch sofort nickte.

„Sehr schön. Diethard, sammel bitte alle Magier, die wir hier vorne haben. Ich will da auch noch kurz was sagen.“

Diethard Wegener sah sich suchend um. Ragnar, Finn und er selbst waren von den Scouts und der ESTRAY. Bei Dian überlegte er einen Moment, holte aber auch ihn. Die drei Magier in den Diensten der Druiden wurden ebenfalls eingeladen.

„So, wir haben es voraussichtlich mit vier Dunkelmagiern zu tun, von denen mindestens einer ein Feuermagier ist. Was die anderen können ist unbekannt. Ich werde noch einmal die Scouts vorschicken und sehen, wie weit wir unbemerkt kommen können. Dann rücken wir zusammen mit den Scouts vor und bekämpfen die Magier. Erst wenn Diese ausgeschaltet sind, gehen die Seesoldaten vor und bekämpfen die Palastwache. Soweit verstanden?“

„Wie willst du die Dunkelmagier bekämpfen?“

„Wir sind insgesamt acht Mann. Wir bilden vier Zweiergruppen. Immer verschiedene Begabungen. Jede Gruppe bekommt, wenn vorher möglich, ein Ziel zugewiesen. Der Angriff muss schnell und hart erfolgen. Wir haben keine Zeit um Rücksicht zu nehmen. Schon gar nicht in der jetzigen Situation.“

Andrew nickte und sah die Reihe der Magier entlang.

„Ach so. Da muss auch noch der Sekretär des Schatzkanzlers sein. Ein Mann Mitte vierzig in einem auffälligen dunkelblauen Samtanzug. Wir hätten da noch einigen Fragen an ihn. Also wenn möglich unverletzt lassen.“

Bei den Scouts waren die Vorbereitungen ebenfalls abgeschlossen. Frank hatte sich Gedanken über die Aufklärung und das Ausschalten der Wachposten gemacht.

„Wir versuchen, so lautlos wie möglich zu arbeiten. Deshalb gehen Mario, Arje und Finn.“

„Ich brauche Finn bei den Magiern.“

„Ich weiß, aber die kommen doch erst zum Einsatz, wenn wir die Posten ausgeschaltet haben und weit genug vorne sind. Wenn die drei zurück sind, können die anderen Gruppen vorrücken. Wir bleiben bei der Landungsabteilung der ESTRAY.“

Frank winkte Mario heran.

„Mario war ja schon einmal bei der ersten Aufklärung ziemlich weit vorne. Wir lassen den lautlosen Trupp den Zugang zum Hauptkorridor frei räumen und dann haben die Magier erst mal freie Bahn.“

Clyde sah zögernd zu Mario, Arje und Finn, nickte aber dann.

„Also gut. Aber solltet ihr entdeckt werden, kommt sofort zurück. Keine Kämpfe mit überlegenen Gegnern und besonders kein Nahkampf.“

Mario und Arje nickten, lediglich Finn verzog etwas sein Gesicht. Dann begannen sie, zu Clydes Überraschung, sich die Stiefel auszuziehen. Mario grinste.

„Ist erheblich leiser. Wir lassen alles hier, was Lärm machen oder uns behindern könnte.“

Dazu zählten dann auch Marios Pistolen und nach kurzem Zögern Finns Schwert und Streitaxt. Er hatte sogar seine Jacke abgelegt und trug nun nur noch seinen Bogen und den Köcher. Arje hatte seine Armbrust geschultert und Mario trug seine Bandeliers mit den Wurfmessern.

„Also los. Denkt dran, keine Kämpfe, am besten unerkannt bleiben.“

Mario winkte kurz und die beiden anderen folgten ihm fast geräuschlos durch die Gänge.

Vor dem Eingang zur Durchgangshalle stand ein einsamer Wachposten. Die Einmündung des Gangs durch den die Scouts gekommen waren, war etwa dreißig Fuß von dem Posten entfernt. Zu weit für die Wurfmesser und erheblich zu weit um ihn direkt zu erreichen.

Mario sah sich kurz um, dann winkte er Arje heran. Der spähte nun ebenfalls kurz um die Ecke.

Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht nahm er seine Armbrust vom Rücken und legte sich flach auf den Boden. Noch einmal spähte er mit der Armbrust um die Ecke. Ja, das würde gehen. Die meisten Posten kontrollierten ihre Umgebung in Augeshöhe, auf dem Boden wurde ein Gegner seltener wahrgenommen. Dann griff Arje nach vorne um die Sehne der Armbrust zu spannen. Das war im Liegen nun aber deutlich schwieriger als im Stehen. Eine große Hand griff über ihn hinweg und zog mit scheinbarer Leichtigkeit die Armbrustsehne bis zur Arretierung.

Arje sah lächelnd nach oben und machte einen Kussmund. Finn hatte sich neben ihm in die Hocke niedergelassen und tätschelte nun Arjes Hinterteil. Dann beugte er sich noch weiter hinunter und flüsterte

„Meine Belohnung.“

Arje grinste nur und spähte nochmals um die Ecke, wo der ahnungslose Wachposten etwas gelangweilt in die andere Richtung starrte. Er konnte zwar noch das Klacken der Sehne hören, doch dann fand der Bolzen auch schon sein Ziel und der Posten sackte zusammen.

Arje wollte aufspringen, doch Mario hielt ihn zurück. Aufmerksam lauschten sie auf verdächtige Geräusche. Nach einem Moment patschte Mario leicht auf Arjes Hinterteil und der erhob sich nun auch. Vorsichtig schlichen sie zum Eingang der Halle.

Die Halle war leer. Nichts und niemand befand sich darin. Selbst auf der gegenüberliegenden Seite war an der Einmündung zum nächsten Gang niemand zu sehen. So leise und so schnell wie möglich schlichen sie durch die Halle und Mario spähte um die Ecke. Als er sich wieder umwandte flüsterte er mit Arje und Finn.

„Aha. Das ist der vordere Quergang. Da drüben, am anderen Ende, geht es zu diesem Versorgungstrakt. Da sind wir beim letzten Mal durchgewandert als wir raus sind. Von dem Quergang gibt es nur eine Abzweigung. Dieser Gang verläuft am Eingang des Steinernen Hains vorbei und mündet nach etwa sechzig Fuß in einen der inneren Gärten.“

„Wenn wir von hier angreifen, können sie da nicht in den Garten flüchten?“

„Eigentlich schon, aber ich hoffe ja, dass der gute Hauptmann auch dort seine Truppen hat. Hat ja so ausgesehen, als wäre er schon eine Weile durch den Garten gekrochen.“

„Wie wollen die denn eigentlich entkommen? Es gibt hier doch keine Möglichkeit um ohne großen Kampf raus zu kommen.“

Arje schüttelte den Kopf und schnippte spielerisch nach Finns linker Brustwarze.

„Denk mal nach. Wenn sie die Königin als Geisel haben, kommen sie überall durch.“

Mario nickte heftig.

„Los, einer muss zurück. Wir wissen nicht, ob nicht die Ablösung für den Posten kommt, den wir beseitigt haben. Arje, hast du alles behalten?“

Arje nickte und machte sich eilig auf den Rückweg.

Als Clyde mit den Magiern eintraf, wedelte Mario gerade hektisch mit einer Hand. Alle verhielten sich still und im Durchgang erschien in diesem Moment auch tatsächlich die Wachablösung. Der vollkommen überraschte Soldat blieb stehen und sah sich erschreckt um. Noch bevor er weiter reagieren konnte trat Finn vor, packte seinen Kopf und drehte ihn ruckartig. Nach einem hässlich knirschenden Geräusch sank der Mann zu Boden.

„So, da vorne ist die Einmündung. Der Eingang zum Steinernen Hain ist nach etwa Dreißig Fuß. Nach sechzig Fuß endet der Gang in einem Garten.“

Clyde sah sich kurz um.

„Finn und Tarek, Diethard und Leif, Ragnar und Dian und Andrew mit mir zusammen. Jemand Einwände?“

Alle schüttelten den Kopf.

„Dann los. Wir gehen bis zur Einmündung des Gangs. Dort dürften die Magier wohl alle vor dem Eingang zum Steinernen Hain versammelt sein. Wo die restlichen Truppen der Palastwache sind, weiß ich nicht, aber wir müssen vorsichtig sein. Jeder bleibt so gut in Deckung wie möglich. Ich mache mit Andrew eine kurze Erkundung. Dann werden die Ziele zugewiesen. Dann unser Einsatz. So bald alle Magier erfolgreich bekämpft wurden, ziehen wir uns sofort zurück. Das Kopfende des Gangs wird dann von den Seesoldaten abgeriegelt und der letzte Widerstand beseitigt.“

Andrew Fraser sah seinen Halbbruder lächelnd an. Der Junge würde es noch einmal weit bringen. Leise folgte er ihm zu der Einmündung des Gangs vor ihrem Ziel. Tatsächlich. Vor der Tür, die jetzt hellrot schimmerte, standen vier Dunkelmagier in ihren schwarzen Roben und hatten die Hände beschwörend erhoben.

Um sie herum standen wohl etwa zwanzig Soldaten der Palastwache, die fast alle neugierig zusahen, anstatt eine ernsthafte Sicherung zu betreiben. Und dann war auch der Mann im blauen Anzug erkennbar, der sich sichtlich nervös andauernd umdrehte und in alle möglichen Richtungen starrte.

Clyde und Andrew zogen sich zurück. Sie hatten genug gesehen.

„Die Magier haben sich vor der Tür verteilt. Noch scheint sie stand zu halten, aber keine Ahnung, wie lange. Finn und Tarek nehmen den Magier der am dichtesten dran steht. Diethard und Leif den am weitesten entfernten. Ragnar und Dian den in der Mitte und Andrew und ich denjenigen direkt vor der Tür. Wir treten nur eben aus unserer Deckung, wirken unsere Zauber und nehmen dann sofort wieder Deckung. Andrew und ich werden dann noch einmal nachsehen, ob wir wirklich getroffen haben.“

Clyde wandte sich um und sah am Zugang der Halle Sergeant Jones und gab ihm das Zeichen, mit seinen Seesoldaten langsam aufzurücken. Dann traten die Magier in Aktion.

Finn und Tarek hatten sich abgesprochen, lediglich Tarek direkt Magie anwenden zu lassen. Finns Magie war auf ihn selbst zentriert und für den Fernkampf schlecht geeignet. Dennoch nahm er seinen Bogen und als sie aus der Deckung traten, traf den ersten Dunkelmagier fast zeitgleich ein flammender Pfeil in die Brust, während die Erdmagie von Tarek ein Stück des Pflasters aus dem Gang gerissen hatte und dem Magier den Kopf zerschmetterte.

Bei Diethard und Leif sah es ähnlich aus. Diethard war sich seiner Fähigkeiten noch nicht sicher, aber er wusste, dass er den Boden um sein Ziel herum beeinflussen konnte. Entsetzt musste der Dunkelmagier feststellen, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, weil seine Füße in den Boden einsanken. Dann traf ihn ein gut gezielter Feuerball von Leif.

Ragnar und Dian hielten sich an den Händen und webten einen gemeinsamen Zauber. Ein riesiger Blitz aus purem Eis fuhr auf den nächsten Dunkelmagier herab, der keine Möglichkeit mehr hatte zu entkommen.

Clyde und Andrew hatten sich ihr Ziel geteilt. Clyde bedachte den Dunkelmagier mit einem Feuerball, während Andrew dem Sekretär im blauen Anzug in ein fast ebenso blaues Feld hüllte, dass ihn bewusstlos zu Boden fallen ließ.

Wie abgesprochen hatten sich alle wieder in ihre Deckungen im Quergang zurückgezogen und nur Clyde und Andrew spähten nun wieder um die Ecke. Die vier Dunkelmagier waren alle erfolgreich bekämpft worden. Die Soldaten der Palastwache starrten entsetzt und verwirrt auf deren Überreste, als die ersten Befehle geschrien wurden.

Clyde gab Sergeant Jones ein Zeichen und der Zug Seesoldaten sperrte den Zugang in seiner ganzen Breite ab. Drei Reihen tief standen und knieten die Seesoldaten nun mit angeschlagenen Karabinern und zielten den Gang entlang. Was würden die Soldaten der Palastwache machen, nun da die Magier tot waren?

Die Antwort war ein Schuss, dessen Kugel von der Wand abprallte und als Querschläger davonjaulte. Sergeant Jones sah zu Clyde, der nur noch nickte.

„Erste Reihe, Feuer! Zweite Reihe, Feuer! Dritte Reihe, Feuer!“

Der Lärm war verheerend und die Rauchentwicklung ließ zunächst nichts erkennen. Die Seesoldaten wurden wieder in den Quergang zurückgezogen um einerseits nachzuladen und andererseits kein Ziel zu bieten für jemanden, der blindlings in Pulverdampf schoss.

Als sich der Dampf etwas gelichtet hatte, sah Clyde kopfschüttelnd um die Ecke. Von den Personen im Gang stand keine einzige mehr.

„Scouts nach vorne zur Feindaufklärung!“

Frank Beutler führte die Scouts langsam nach vorne und kontrollierte jeden einzelnen gefallenen Gegner.

„Hier leben noch welche! Drei Verletzte.“

Dian holte sich die Leute des Landekommandos um sich um die Verletzten zu kümmern, während Clyde misstrauisch die Tür zum Steinernen Hain musterte. Eine Stimme hinter ihm ließ ihn herumfahren.

„Es ist in Ordnung. Der Zauber hat gehalten. Ich werde ihn nun aufheben. Daran können die im Hain befindlichen erkennen, dass ich es bin, der eintreten wird.“

Sofort machte Clyde dem Erzdruiden Platz und der sprach ein paar kurze Worte, die den Schutzzauber der Tür verblassen ließen. Entschlossen trat der Erzdruide durch die Tür. Clyde winkte den Scouts und folgte ihm.

In der Empfangshalle befanden sich zwei Druiden und Sir David. Noch bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, wurde die Tür hinter ihnen aufgerissen und Clyde hob erstaunt die Augenbrauen. So hatte er die Königin noch nie gesehen.

Sie hatte sich völlig undamenhaft und erst recht völlig unköniglich in ein Reitgewand geworfen, dass ihr fast das Aussehen eines jungen Mannes verpasste, wäre da nicht der fast bodenlange Rock gewesen, unter dem die Spitzen von Reitstiefeln zu erkennen waren.

„Euer Majestät, ich…“

„Wo ist er? Ich will seinen Kopf!“


Leopold von Winterstein war unterdessen in Caerdydd eingetroffen. Die Depesche hatte ihn zu einem ganz bestimmten Wirtshaus am Rande der Stadt geführt, wo er sich mit einem Kontaktmann treffen sollte.

Als er das Wirtshaus betrat, erkannte Leopold sofort den Sekretär von Sir Sean, der sichtlich angespannt zur Tür sah. Dort musste er Leopold erkannt haben, doch er reagierte nicht. Dafür reagierte Leopold. Er sah sich um und tat so, als ob er jemanden suchte. Dann zuckte er mit den Schultern und verließ das Wirtshaus wieder.

Er musste vorsichtig sein. Das Verhalten dieses Sekretärs deutete darauf hin, dass hier etwas nicht stimmte. Er hätte Leopold auf jeden Fall erkennen müssen. Das ließ zwei Schlüsse zu. Erstens, er wurde beobachtet und jemand wollte wissen, mit wem er sich traf. Zweitens, derjenige wusste nicht, mit wem er sich treffen wollte und wie dieser aussah.

Schräg gegenüber dem Wirtshaus befand sich ein Mietstall, wo Leopold sein Pferd eingestellt hatte. Von dort beobachtete er eine Weile das Wirtshaus, als dieser Sekretär – wie war sein Name noch? Ach ja, Gilroy – das Haus verließ und zielstrebig die Straße entlang in Richtung des Hafens ging. Leopold wollte ihm schon folgen, als er zwei Gestalten bemerkte, die genau dies bereits taten.

Je näher sie den Hafenanlagen kamen, desto dichter rückten die Verfolger an Gilroy heran. Leopold hielt seinen Abstand, wunderte sich aber, dass die beiden anscheinend nur auf ihr Opfer fixiert waren und nicht bemerkten, dass sie selber verfolgt wurden.

Leopold stutze ein wenig, als vor ihnen in der Ferne ein durch Mauern abgetrennter Bereich des Hafens zu erkennen war. Gilroy hielt zielstrebig auf ein Tor zu, dessen Überbau mit dem Schriftzug ROYAL NAVY versehen war. Was wollte er hier denn?

Das schienen sich auch die Verfolger zu fragen. Sollte er durch das Tor treten, würden sie ihm nicht mehr folgen können. Deshalb legten sie einen kurzen Sprint ein. Gilroy fuhr herum und zog einen Degen. Die Angreifer stoppten kurz vor ihm und zogen jeder ein Messer.

Ein Gegner mit einem Degen war wegen der höheren Reichweite erheblich gefährlicher als einer mit Messer oder nur mit Fäusten. Die beiden Angreifer zögerten etwas, was Gilroy ausnutzte und mit einem kurzen Schlag gegen den Unterarm eines der Männer diesen veranlasste, nach einem Aufschrei sein Messer fallen zu lassen. Der zweite Mann griff mit vorgestreckter Waffe an, doch Gilroy drehte sich etwas und ließ den Degen aus der Drehung über den vorgestreckten Arm laufen. Auch hier ließ der Angreifer seine Waffe fallen und hielt sich die stark blutende Wunde.

„Verschwindet! Bei mir gibt es nichts!“

Mit schmerzverzerrten Gesichtern zogen sich die beiden Männer zurück und Leopold beobachtete sie noch einen Moment. Als Gilroy den Ort des Kampfes verlassen hatte, gingen sie noch einmal hin und sammelten ihre Messer auf, dann machten sie sich auf den Weg zurück.

Gilroy war inzwischen durch das Tor der Hafenanlage verschwunden und Leopold überlegte einen Moment, ob er ihm wirklich folgen sollte. Diese ganze Geheimniskrämerei war nichts für ihn. Ein offener Kampf war ihm da schon lieber, aber er musste erst einmal wissen, was genau vor sich ging. Aufseufzend machte er sich ebenfalls auf dem Weg zum Tor und wurde dort von der Wache angehalten.

„Verzeihung, Sir. Dies ist Gebiet der Royal Navy. Der Zutritt ist nur Angehörigen der Navy gestattet.“

Leopold musterte den Wachposten etwas verblüfft.

„Aber der Herr vor mir ist doch ebenfalls hier hereingegangen. Ich soll mich mit ihm treffen.“

„Ah ja. Einen Moment bitte, Sir.“

Der Wachposten gab ein Zeichen nach hinten und aus dem Wachlokal trat ein Sergeant.

„Der Gentleman hat gesagt, er werde erwartet, Sergeant.“

Der Sergeant musterte Leopold einen Moment lang, dann zückte er ein Blatt Papier.

„Wenn das so ist, würdet ihr mir euren Namen sagen, Sir?“

„Leopold von Winterstein.“

„Hm, Winterstein… Winterstein… Winterstein… ah ja, hier. Das ist in Ordnung. Sie dürfen passieren. Sie werden im Stabsgebäude erwartet.“

Leopold sah verblüfft den Sergeanten an, dann blickte er suchend über die Hafenanlage.

„Die Straße hinunter und dann rechts, fast bis zum Hafenbecken. Das große Gebäude mit der Flagge auf dem Dach.“

„Ja, danke, äh… Sergeant.“

Der Sergeant grüßte zackig und Leopold machte sich auf den Weg.

Vor dem Stabsgebäude wartete Gilroy Longbottom und sah Leopold erwartungsvoll entgegen.

„Guten Tag, Mister Winterstein. Ich bin froh, dass sie es heil bis hier geschafft haben. Die ganze Sache sollte eigentlich etwas ruhiger ablaufen, doch ich bin in der Stadt schon beobachtet worden, seit ich angekommen bin. Aber lassen sie uns hineingehen. Sir Alistair ist hier und er möchte sehr gerne mit ihnen sprechen.“

Leopold folgte Gilroy in das Stabsgebäude hinein, durch etliche lange Gänge und dann durch ein Vorzimmer mit einem hektischen Lieutenant der Navy hinter einem Schreibtisch. Gilroy klopfte kurz und öffnete dann die Tür.

„Gentlemen, Mister Leopold von Winterstein.“

Gilroy verschloss die Tür hinter Leopold und dieser sah nun nach vorne. Hinter einem großen Schreibtisch hatte sich ein älterer Mann erhoben, der die Uniform der Royal Navy trug. Wie Leopold erkennen konnte, handelte es sich offenbar um einen Admiral. Vor dem Schreibtisch hatte sich Sir Sean McAllister aus einem Sessel erhoben und sah dem Besucher freudig entgegen.

„Ah, mein lieber Winterstein. Sehr schön, dass sie meiner Einladung gefolgt sind. Ich möchte sie auch gleich unserem gemeinsamen Gastgeber vorstellen. Sir Jared Moorehead ist Konteradmiral der Royal Navy und Befehlshaber des Stützpunktes Caerdydd. Sir Jared, dies ist Leopold von Winterstein. Der Sohn des arlemandischen Gesandten in Britannica und im Moment einer unserer Mitstreiter in der unseligen Angelegenheit, die das Land erschüttert.“

Der Admiral kam um den Schreibtisch herum und gab Leopold die Hand.

„Freut mich, das zu hören.“

„Sir Jared.“

„Nun, da das geklärt ist, habe ich auch gleich ein paar Informationen für euch und eine etwas, hm – sagen wir, neugierige Frage. Aber setzt euch ruhig. Nehmt euch einen Sessel von dort hinten, die sind bequemer als diese harten Stühle, die die Navy anbietet.“

Der Admiral bedachte Sir Sean mit einem etwas spöttischen Blick, sagte aber nichts. So holte sich Leopold kurzerhand einen zweiten Sessel vor den Schreibtisch.

„Seht ihr, Sir Jared? Praktisch und schnell. Der junge Mann ist sich nicht zu schade, auch mal selbst anzupacken.“

Leopold errötete leicht, während der Admiral nur kopfschüttelnd Sir Sean weiterreden ließ.

„Die ESTRAY ist vor wenigen Minuten in Richtung Caerdon ausgelaufen. In Begleitung von zwei weiteren Schiffen der Navy wird ihre Besatzung den Palast in Caerdon erkunden und der Königin, wenn nötig, Unterstützung bieten.“

Leopold sah Sir Sean entsetzt an.

„Unterstützung? Was ist passiert?“

Sir Sean fasste kurz zusammen, wie weit die Ermittlungen inzwischen gediehen waren.

„Und es ist sicher, dass es der Schatzkanzler ist?“

„Absolut. Jede Einzelheit passt nun zusammen und ergibt ein großes Bild. Dennoch sind einige Fragen offen. Eine davon ist der Verbleib eines großen Teils des Staatsschatzes. Die Schatzkammer im Palast mit dem persönlichen Vermögen der Königin ist unangetastet, doch in der Festung Raleigh, wo der Staatsschatz aufbewahrt wird, fehlt so einiges. Unter anderem die Kronjuwelen.“

Leopold schnappte nach Luft.

„Was? Wie kann das sein? Selbst der Schatzkanzler kann doch nicht alleine über den Staatsschatz verfügen.“

„Nein, aber er kann über die Unterbringung entscheiden. Vor etwa einem Monat ist begonnen worden, Teile des Schatzes auszulagern um sie – angeblich – sicherer unterzubringen. Wie wir heute wissen, sind diese Teile nie an ihrem Bestimmungsort erschienen.“

„Sie können doch nicht einfach verschwinden.“

„Richtig. 500 Sovereigns kann ich vielleicht verschwinden lassen, aber nicht 500.000. Und dann die Kronjuwelen natürlich nicht zu vergessen. Hier in Britannica sind sie auf jeden Fall zu auffällig. Deshalb vermuten wir, dass alles ins Ausland gebracht werden soll.“

„Aha. Und was habe ich jetzt damit zu tun.“

Jetzt meldete sich zum ersten Mal Sir Jared.

„Eine Fracht in dieser Größenordnung und mit dem Gewicht kann nur auf einem ziemlich großen Schiff transportiert werden. Alle Schiffe werden beim Beladen kontrolliert, wenn sie ins Ausland gehen. Nach Herblonde fährt ohnehin niemand während der Kriegszeiten und alle Schiffe in andere Bestimmungshäfen werden seit dem Verschwinden der Kronjuwelen genauestens überwacht. Es gibt allerdings eine Ausnahme. Und das ist ein Schiff, das unter diplomatischer Immunität segelt.“

„Mein Vater! Er sollte Britannica verlassen. Das Schiff war schon vorbereitet, aber der Lordkanzler hat ihre Majestät ja zu einem Aufschub überreden können.“

Sir Sean nickte.

„Ein sehr interessanter Schachzug. Die Entführung, die Erpressung, das öffentliche Aufsehen. Das alles nur, damit der arlemandische Gesandte ausgewiesen wird. Das setzt schon sehr gute Menschenkenntnisse voraus. Aber was ist mit dem Schiff, mit dem Euer Vater abfahren sollte?“

„Die WAPPEN VON ARLE? Die sollte eigentlich noch im Hafen von Caerdon liegen, da über die Abreise meines Vaters ja noch nicht endgültig entschieden wurde.“

Sir Sean sah nun den Admiral direkt an.

„Können wir da etwas tun?“

„Ich habe kein einziges Schiff mehr hier. Es sei denn… Colin!“

Der junge Lieutenant aus dem Vorzimmer streckte seinen Kopf zur Tür herein.

„Admiral?“

„Ist die BATTLEAXE schon von ihrer Patrouille wieder da?“

„Jawohl, Sir Jared. Vor zehn Minuten von der Signalstelle gemeldet.“

„Schicken sie einen Boten. Commander McBride möchte sich bitte umgehend bei mir melden.“

„Jawohl, Sir Jared.“

Der Lieutenant verschwand und der Admiral wandte sich wieder seinen Besuchern zu.

„Wir werden uns mit der BATTLEAXE nach Caerdon begeben. Wir müssen sehen, wie die Gezeiten sind und wie es mit dem Licht aussieht, aber spätestens morgen früh zur Dämmerung sind wir in Caerdon und dann werden wir uns um dieses ominöse Schiff kümmern.“

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