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Die Söhne des Pharao

Teil 7

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Inhaltsverzeichnis

Thotmes auf dem Fluss

Hori erwachte von einigen unruhigen Bewegungen neben sich. Thotmes hatte sich trotz der zunehmenden Hitze in der Nacht wieder zwischen ihn und Sekani gekuschelt. Hori war in letzter Zeit nicht so ganz glücklich über dieses Arrangement. Besonders in dieser Nacht. Sie waren beim Aufenthalt an Land schwimmen gewesen und keiner hatte sich bei der Abfahrt der Barke damit aufgehalten, wieder ein Lendentuch anzulegen. Lendentücher waren ohnehin das Einzige, was sie an Bord trugen, denn die farbigen Leinenschurze wurden schnell schmutzig und es gab wenig Möglichkeiten, sie ordentlich zu waschen.

Der Junge war ihm deutlich zu anschmiegsam geworden. Er wurde erwachsen und sein Körper war nun ansehnlich geworden, seine Stimme begann zu brechen. Dennoch trug er immer noch seine Kinderlocke und damit war er für Hori eindeutig tabu. Vielleicht sollte er ihm wirklich einmal sagen, er solle sich einen eigenen Schlafplatz suchen, aber er konnte diesen bettelnden braunen Augen schlecht etwas abschlagen.

Hori wunderte sich, warum Thotmes auf einmal so unruhig war. Sein Blick fiel auf den nackten Körper vor ihm und er grinste unwillkürlich. Thotmes hatte einen Traum und so wie es aussah, hatte er einen sehr schönen Traum. Plötzlich weiteten sich Horis Augen vor Erstaunen. Der Traum war wohl tatsächlich sehr schön, denn er führte zu einem deutlich sichtbaren feuchten Ergebnis. Thotmes zuckte noch etwas, dann schreckte er hoch.

Hori schloss die Augen und stellte sich Schlafend. Er wollte Thotmes die Peinlichkeit ersparen, dass er Zeuge dieser sehr persönlichen Angelegenheit geworden war. Das Einzige was er mitbekam, war ein gemurmelter Kommentar von Thotmes, während er nach seinem Lendentuch suchte.

„Oh nein. Nicht schon wieder.“

Den nächsten halben Tag zögerte Hori, ob er Thotmes auf sein nächtliches Erlebnis ansprechen sollte. Es war jetzt definitiv Zeit, dass der Junge seine Kinderlocke verlor.

Hori erwischte Thotmes, wie er alleine im Bug des Schiffes saß und nachdenklich hinaussah auf den Fluss.

„Na, Kleiner. So nachdenklich?“

Thotmes fuhr erschreckt herum und erkannte Hori. Sein Gesicht verzog sich etwas. In letzter Zeit mochte er es nicht mehr so gerne ‚Kleiner‘ genannt zu werden. Hori bemerkte die Reaktion.

„Hey, ist ja gut. Du bist ja auch tatsächlich ein Stück gewachsen. Und du bist ein guter Schüler.“

Thotmes betrachtete Hori etwas misstrauisch. Warum das Lob? Was wollte der denn jetzt?

„Ich möchte mit dir über etwas Bestimmtes reden.“

„Ja?“

Hori zögerte. Irgendwie war es nicht so einfach, dieses Thema anzuschneiden. Besonders, weil er dann ja zugeben musste, dass er Thotmes heimlich beobachtet hatte. Hori holte tief Luft.

„Also, es geht um letzte Nacht.“

Thotmes sah ihn verwirrt an. Letzte Nacht? Da war doch gar nichts. Plötzlich wurde Thotmes knallrot. Selbst bei der von der Sonne gebräunten Haut konnte Hori erkennen, dass die Röte sogar den Oberkörper erfasste. Etwas hektisch erhob sich Thotmes, doch Hori erwischte ihn an einem Arm und hielt ihn fest.

„Bleib bitte hier. Wir müssen tatsächlich reden.“

Thotmes seufzte und setzte sich zögernd wieder hin. Er hielt seinen Kopf gesenkt und sah zu Boden. Hori suchte nach Worten.

„Also, wie gesagt, letzte Nacht. Du warst so unruhig und da wurde ich wach. Deshalb habe ich mitbekommen, was passiert ist. Ich wollte dich nicht absichtlich beobachten, aber du hast ja genau neben mir gelegen.“

Thotmes antwortete nicht.

„Du weißt aber, was passiert ist? Ich meine, dein Vater hat dir sicherlich erklärt, wenn du soweit bist, dass du… äh…“

Thotmes hob seinen Kopf und sah Hori an. Etwas amüsiert bemerkte er, dass Hori nun ebenfalls rot angelaufen war, was bei dessen heller Haut deutlich hervorkam. Außerdem fand er es irgendwie niedlich, wie Hori herumstotterte. Dabei hatte der doch deutlich mehr Erfahrung.

„Ja, ich weiß, dass ich nun soweit bin. Es war nicht das erste Mal. Seit wir auf dem Fluss sind, träume ich manchmal von merkwürdigen Dingen. Letzte Nacht habe ich von dir geträumt.“

Thotmes streckte eine Hand aus und berührte Hori leicht am Oberkörper. Sofort schnappte sich Hori die Hand und hielt sie fest.

„Nein, Thotmes. Ich kann dich verstehen, denn mir ging es damals ähnlich, aber noch trägst du deine Kinderlocke.“

Thotmes machte ein enttäuschtes Gesicht.

„Du brauchst nicht so ein Gesicht zu ziehen. Du weißt doch, dass du zunächst etwas den Göttern opfern musst, bevor du ein Mann werden kannst.“

Unwillkürlich sahen beide hinunter auf Thotmes Lendenschurz.

„Tut es sehr weh?“ flüsterte Thotmes.

Hori schüttelte den Kopf. Er wollte Thotmes nicht belügen, aber er wollte ihm auch ein wenig die Angst nehmen.

„Nein, es geht sehr schnell. Aber die Feier ist sehr schön. Du bekommst Geschenke und es gibt süße Kuchen und sogar etwas Wein für dich.“

„Wirklich?“

Hori musste unwillkürlich lächeln. Jetzt wirkte Thotmes auf einmal wieder so kindlich. Hoffentlich nahm er alles nicht so schwer, wenn er nach der Beschneidung ein Leben als vollwertiger Bürger mit allen Pflichten und Rechten zu führen hatte.

„Möchtest du es dem Herrn Kutari erzählen? Ich werde dich auch begleiten, wenn du willst.“

Thotmes überlegte eine ganze Weile, doch dann erhob er sich.

„Ja, ich denke, es ist Zeit. Kommst du bitte mit mir?“

Hori lächelte, als Thotmes unsicher nach seiner Hand griff und sie beide sich auf die Suche nach Kutari machten.

Netermest auf dem Fluss

Die MACHYT jagte förmlich über den Fluss. Kapitän Sendji setzte am Tage die Ruderer schichtweise ein, um eine möglichst hohe Reisegeschwindigkeit zu erzielen. Die Barke der ehemaligen Prinzessin hatte sechs Tage Vorsprung, sie würden sie wahrscheinlich nicht mehr einholen, doch Prinz Netermest drängte darauf, so schnell wie möglich nach Tjeku zu kommen. Der Kapitän sah abschätzend zum Ufer, das schnell an ihnen vorüberzog. Wenn sie die Geschwindigkeit halten konnten und nichts dazwischen kam, würden sie wohl in sechzehn Tagen in Tjeku eintreffen.

Es hatte nur einen kleinen Aufenthalt am Landgut des Fürsten Kutari gegeben. Prinz Netermest war von Bord geeilt und nach nicht einmal einer Stunde in Begleitung eines jungen Mannes wiedergekommen.

Kapitän Sendji versuchte nun, die Liegezeit wenigstens zum Teil wieder einzuholen.

In der Mitte der Barke, vor dem kleinen Deckshaus hatte Netermest seine Berater wieder um sich versammelt.

„Die meisten werden Chaemwase zumindest dem Namen nach kennen. Er ist der Sohn des ehemaligen Fürsten Wawerhet mit, wie wir vermuten, der Prinzessin Tuaitthesit, meiner Mutter. Somit wäre er denn mein Bruder.“

Die Meisten kannten tatsächlich die Vorgeschichte und sahen sich nur stumm an. Chaemwase musterte neugierig die Anwesenden. Es wunderte ihn ein wenig, dass fast alle hier noch ziemlich jung waren. Lediglich die beiden Rothaarigen mit den Brustpanzern eines Wagenlenkers schienen etwas älter.

„Gehört er jetzt zum Haushalt und hat er irgendwelche Titel?“

„Nein, Gemni, er hat keine Titel. Was ich jetzt sage, bleibt unter uns. Unser göttlicher Herrscher möchte nicht gerne daran erinnert werden, wer seine Mutter ist.“

Chaemwase erblasste und auch einige andere sahen sich betroffen an.

„Offiziell bleibt es bei der Version, dass Frau Nebet seine Mutter ist. Und genauso offiziell ist er ein Diener in meinem Haushalt. Er hat dem freiwillig zugestimmt und wird auch tatsächlich zusammen mit Huni als Diener hier arbeiten. Was passiert, wenn wir alles aufgeklärt haben, müssen wir dann sehen. Komm her zu mir, Kleiner.“

Chaemwase trat etwas schüchtern zu Netermest, doch der beugte sich vor und gab ihm einen Bruderkuss. Chaemwase war verblüfft und verwirrt, mehr aber noch erleichtert.

Huni trat auf ihn zu und lächelte ihn an.

„Komm mit Chai, ich werde dich den anderen vorstellen. Das hier sind Haran und Sethnacht.“

Da gab es schon das erste Problem. Immer noch etwas schüchtern lächelte Chaemwase den Soldaten mit dem merkwürdigen aschfarbenen Haaren an, doch der Hund neben ihm gefiel ihm gar nicht. Chai kam es vor, als würde der Hund ihn beobachten. Huni und Haran lachten gleichzeitig. Huni stellte sich nun neben Chai und flüsterte

„Sag einfach ‚Guten Tag Sethnacht‘ zu ihm.“

Chai kam sich etwas blöd vor, aber er beugte sich etwas vor und sagte „Guten Tag, Sethnacht“ zu dem Hund. Prompt setzte sich der Hund und hob die rechte Pfote.

Chai riss vor Erstaunen die Augen auf. Zögernd hockte er sich hin und ergriff die Pfote, die er kurz schüttelte. Chai hörte noch, wie Haran sagte

„Jetzt musst du etwas aufpassen.“

Aber es war schon zu spät. Eine große rote Zunge fuhr quer durch sein Gesicht und Huni und Haran lachten schon wieder. Huni half Chai wieder hoch.

„Tut mir leid, aber er scheint dich zu mögen.“

Chai sah sich etwas unsicher um und blickte überall in grinsende Gesichter. Dann holte er tief Luft.

„Ist schon in Ordnung, so lange das nicht jeder macht, dem ich hier vorgestellt werde.“

Kapitän Sendji drehte sich irritiert um und wunderte sich, was denn einen dermaßen lauten Heiterkeitsausbruch veranlasst haben konnte.

Kutari auf dem Fluss

Als sie sich dem Gebiet des östlichen Harpunengaus näherten, gab Kutari eine Anweisung zu erhöhter Wachsamkeit. Er war sich nicht sicher, was sie hier erwartete. Der Verkehr auf dem Fluss war mäßig. Nach Norden wollte fast niemand. Die wenigen großen Frachtschiffe hatten Segel gesetzt und waren auf dem Weg nach Süden.

Am Nachmittag kam aus einer kleinen Bucht heraus eine Barke mit dem Abzeichen des östlichen Harpunengaus. Kapitän Arma ignorierte das kleinere Schiff. An ihrem Mast war deutlich eine Standarte mit dem Abzeichen des Aufsehers der Fragen des Pharaos angebracht. Niemand hatte das Recht, sich ungefragt zu nähern.

„Anhalten!“

Schallte es von dem anderen Boot herüber und Arma war sehr erstaunt über solche Frechheit.

Auch Kutari hatte schon eine ganze Zeit das fremde Boot beobachtet. Sofort hatte er Udabi und Paneb unter Deck geschickt. Es war wichtig, dass sie nicht vorzeitig entdeckt wurden.

Währenddessen war Hauptmann Imiuthetep neben den Kapitän getreten.

„Dies ist die Barke des Fürsten Kutari, des Aufsehers der Fragen des Pharaos. Nichts und niemand fordert uns zum Anhalten auf. Was gibt euch eigentlich die Frechheit, solches zu wagen.“

Zunächst war Schweigen auf dem fremden Boot, doch dann trat ein Mann hervor, gekleidet in einen Brustpanzer.

„Wir sind unterwegs im Auftrag des Nomarchen des östlichen Harpunengaus. Dies ist sein Flussabschnitt und wir kontrollieren hier jeden. Wir suchen zwei Jungen. Sie sind Mörder und Verräter. Sie haben den Nomarchen des Ostgau vergiftet und den Nomarchen des östlichen Harpunengaus bestohlen. Wir kommen jetzt an Bord und durchsuchen euer Schiff.“

Imiuthetep glaubte, sich verhört zu haben. Hatte der Mann nicht begriffen, um wen es sich bei Kutari handelte? Doch, wie um die Worte des Mannes zu unterstreichen, bauten sich jetzt ein halbes Dutzend Bogenschützen an der Reling des fremden Bootes auf.

Imiuthetep bemerkte, wie sie die Bögen spannten und anhoben. Das ließ ihm nur noch eine Möglichkeit. Auf ein kurzes Zeichen seinerseits erhob sich hinter der Reling die Leibwache des Kutari, ebenfalls schussbereit. Die Bogenschützen auf dem fremden Boot zögerten, doch ein scharfer Befehl ihres Anführers ließ sie abermals die Bögen heben.

Imiuthetep hatte keine Wahl.

„Los!“

Alle Pfeile fanden ihre Ziele und die sechs Bogenschützen sanken an Deck. Der übrig gebliebene Anführer machte unter Flüchen seinen Bogen klar und wurde ebenfalls von zwei Pfeilen getroffen.

Schreie gellten herüber und ein Mann in einem kurzen Leinenschurz wedelte mit den Armen.

„Nicht schießen! Ich bin nur der Schiffsführer.“

„Dann verschwinde!“

Sofort drehte das Boot ab und unter hektischen Ruderschlägen näherte es sich wieder dem östlichen Ufer.

Imiuthetep begab sich sofort zu Kutari.

„Es tut mir leid, aber es ging nichts anders.“

„Ich habe es mitbekommen. Ich hätte nicht geglaubt, dass sie so dreist sind.“

„Was machen wir jetzt?“

„Nichts. Wir fahren weiter nach Tanis. Es ist alles vorbereitet und wir folgen unserem Plan.“

Zur Überraschung aller Anwesenden trat Kutari nun dicht an Imiuthetep heran und gab ihm einen Kuss. Einen langen und sinnlichen Kuss, der beide am Ende etwas erröten ließ, als sie sich umsahen.

Hori drehte sich erstaunt zu Kanefer.

„Hast du das gewusst?“

Kanefer nickte langsam.

„Ja. Es war irgendwie ersichtlich. Schon beim ersten Mal als sie sich trafen, war da etwas, was sie verbunden hat.“

Hori zog Sekani an sich und betrachtete Kanefer genauer.

„Und was ist mit dir? Magst du auch jemanden?“

Unbewusst drehte Kanefer seinen Kopf und sah zu Manetho. Hori bemerkte den Blick und nickte schweigend. Kanefer seufzte.

„Ich mag ihn sehr, auch wenn er sehr zurückhaltend ist. Er ist freundlich, er ist lustig, niemals habe ich von ihm ein böses Wort gehört, trotz seiner Vergangenheit. Auch hat er sich mir fast nie von selbst genähert. Wir sind noch nicht äh… sehr weit gekommen.“

Sekani löste sich lächelnd von Hori und ließ die beiden alleine. Hori wusste, worauf Kanefer anspielte.

„Hättest du denn gewollt? Du hast es doch vorher noch nie gemacht, oder?“

Kanefer schüttelte den Kopf.

„Siehst du. Er weiß, was damit verbunden ist. Er möchte dich beschützen.“

„Aber es sind doch nur wir beide. Und ich möchte es doch.“

Hori seufzte. Wie sollte er das jetzt erklären?

„Es ist etwas sehr Persönliches, etwas sehr Schönes, aber auch etwas Schmerzhaftes. Es bedarf einiger Übung, guter Vorbereitung und viel Vertrauen, wenn man sich hingibt.“

Kanefer nickte ernsthaft.

„Ich kann es mir denken, nach dem, was ich schon so alles gehört habe.“

„Gut. Dann kann ich dir nur raten, rede mit ihm. Sage ihm was du möchtest und du wirst bestimmt eine Antwort erhalten.“

Kanefer gab Hori einen Kuss auf die Wange und schlenderte hinüber zu Manetho. Hori konnte erkennen, wie sie einen Moment miteinander sprachen, dann umarmte Manetho Kanefer stürmisch und hielt ihn fest. So wie es aussah, hatte Kanefer seine Antwort bekommen.

Kutari in Tanis

Die Barke des Aufsehers der Fragen des Pharaos näherte sich langsam dem Hafen von Tanis. Sie war durch die Standarte schon von weitem zu erkennen und Kutari bemerkte, dass einige kleinere Boote ihnen vorausgeeilt waren. Seine Ankunft würde den neuen Nomarchen wahrscheinlich etwas aufschrecken und Kutari war neugierig, wie er reagieren würde.

Am Hafen hatten sich inzwischen etliche Schaulustige angesammelt und starrten neugierig hinüber. Die Barke wurde nun durch die Ruderer in einer anmutigen Kurve direkt an einen langen Steg gebracht. Kutari gab den anderen ein Zeichen, sich für das Ausschiffen vorzubereiten, aber das Schiff noch nicht zu verlassen. Er wollte Neferhetep ausreichend Zeit geben, ihm entsprechend zu begegnen.

Aus Richtung des Palastes kam dann auch schon eine kleine Gruppe, zwar in Eile, aber doch um Würde bemüht.

Kutari bemerkte in der Mitte der Gruppe einen jungen Mann, lediglich in einem weißen Leinenschurz, ohne jeglichen Schmuck. Seine Verwandtschaft zu Udabi war unverkennbar. Die anderen Personen waren einige ältere Würdenträger, in teure Gewänder gehüllt, aber die meisten ebenfalls ohne Schmuck. Hinter der Gruppe kam ein Trupp Soldaten herangeeilt und baute sich als Ehrenformation auf.

Kutari nickte Imiuthetep zu und sie verließen das Schiff. Zuerst Hauptmann Imiuthetep mit seiner Truppe, dahinter Kutari mit Kanefer zwei Schritte schräg hinter ihm. Danach kam dann Hamadi mit Ptahor, gefolgt von Sekhet dem Arzt und allen weiteren Schreibern, alle paarweise mit ihren Dienern. Den Abschluss machten ein einsamer Leutnant Rahotep und Feldwebel Chepren.

Die Gruppe der Würdenträger hatte angehalten und sah sowohl neugierig als auch erstaunt herüber. Kutari war mit seinem Amtsstab unverwechselbar und so trat denn auch der junge Mann vor ihn, den er für den neuen Nomarchen hielt.

„Willkommen, Fürst Kutari, ehrenwerter Aufseher der Fragen des Pharao. Wir sind geehrt durch euren Besuch.“

Das sollte wohl eher heißen: Wir sind verwirrt, was wollt ihr hier‘ dachte Kutari leicht erheitert, doch er ließ sich nichts anmerken.

„Ich bin Neferhetep, ältester Sohn des in die Ewigkeit eingegangenen Nomarchen Rechmire des Ostgau. Die Vorbereitungen für die Bestattung sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich euch leider nicht mit den angemessenen Annehmlichkeiten dienen kann. Dennoch wird mein Haus für alles zu sorgen versuchen, was ihr wünscht.“

Eine klare Ansage. Kutari war angenehm überrascht. Es tat ihm fast leid, dass er den jungen Mann jetzt schon auf das vorbereiten musste, was ihn erwartete.

„Ich danke euch für eure Gastfreundschaft. Es ist nicht nur ein Besuch aus reiner Höflichkeit, denn ich bin hergekommen mit einem persönlichen Auftrag unseres göttlichen Herrschers, lang möge er leben. Ich bin gekommen um alle Umstände aufzuklären, die zum so frühen Tod des in die Ewigkeit eingegangenen Gaufürsten Rechmire, eures Vaters, geführt haben.“

Kutari erkannte, wie sich die Mienen des Empfangskomitees versteinerten. Niemand von ihnen hatte anscheinend mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Neferhetep war der erste, der seine Worte nach einer weiteren tiefen Verbeugung wiederfand.

„Ich verstehe die Sorge unseres göttlichen Herrschers, lang möge er leben. Alle Mitglieder meines Haushaltes und wenn nötig, alle Bewohner des Ostgau stehen euch zur Verfügung. Meine Brüder und ich wären mehr als dankbar, wenn endlich alle Zweifel am Tod unseres Vaters ausgeräumt werden.“

Ebenso klare Worte. Die Aufklärung der Todesursache würde wohl nicht so lange dauern. Aber er hatte da ja noch etwas anderes.

„Verzeiht, aber ihr habt eure Brüder erwähnt. Fehlt euch da nicht einer?“

Das Gesicht von Neferhetep war vollkommen erstaunt und er drehte sich fragend um zu seinen Ratgebern. In diesem Moment gab Hamadi Udabi ein Zeichen und dieser trat, zusammen mit Paneb nach vorne. Neferhetep starrte seinen Bruder einen Herzschlag lang an.

„UDABI!“

Ohne auch nur im Geringsten auf das Protokoll zu achten, lief Neferhetep zu seinem Bruder und umarmte ihn stürmisch. Kutari konnte sein leises Flüstern hören.

„Was machst du denn, Kleiner? Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe.“

Dann sah er an Udabi herab und stutzte.

„Du stehst in den Diensten des Aufsehers der Fragen des Pharao?“

Udabi schüttelte den Kopf und auch Kutari ließ sich jetzt wieder vernehmen.

„Nur für die Reise hier her nach Tanis. Er gehört jetzt wieder zu eurem Haushalt. Genauso wie der Diener Paneb. Aber darüber möchte ich mit euch persönlich sprechen.“

Neferhetep nickte nur kurz und zu seinem Erstaunen traten Udabi und Paneb noch einmal zu den Schreibern des Aufsehers der Fragen des Pharao. Zusammen mit ihnen marschierten sie ein in Tanis.


Die Quartiere im Palast waren einfach, aber sauber. Kutari hatte Udabi zu seinem Bruder geschickt, damit er ihm berichten konnte, was vorgefallen war, als die Reisegruppe des Harpunengaus bei ihnen weilte.

Da dies ein offizieller Besuch war, hatte Hauptmann Imiuthetep für das Protokoll zu sorgen. Vor dem Eingang zu den Räumlichkeiten des Aufsehers der Fragen des Pharao befanden sich zwei Soldaten als Wache und Kutari wurde immer von einem der Diener, einem Schreiber und zwei Leibwachen begleitet.

Die türkisfarbenen Leinenschurze seiner Begleiter sorgten für etliche neugierige Blicke. Nur Stunden nach ihrem Eintreffen hatte sich in der ganzen Stadt herumgesprochen, wer eingetroffen war und so manche Vermutungen wurden angestellt, was sie hier wollten.

Kutari schickte Thotmes und Manetho los, in Erfahrung zu bringen, ob Neferhetep Zeit für ihn hätte. Es war nicht gerade höflich, einen zukünftigen Nomarchen in seinem eigenen Palast derart zu drängen, doch Kutari hatte noch einige Sachen zu erledigen, bevor das Regiment aus Men-nefer eintraf.

Thotmes und Manetho kamen bis zum großen Saal des Palastes ohne aufgehalten worden zu sein. Hier versperrten ihnen allerdings zwei Soldaten den Weg.

„Dies ist die Halle des Nomarchen. Ihr habt hier keinen Zutritt.“

Thotmes sah erstaunt zu den Soldaten auf. So ganz schien sich nicht herumgesprochen zu haben, wer sie waren.

„Ich habe dem Nomarchen eine Nachricht zu überbringen.“

Thotmes ärgerte sich ein wenig, denn seine Stimme klang gerade etwas kindlich hell.

Die Soldaten lachten.

„Da kann ja jeder kommen. Geh wieder spielen.“

Thotmes hob seine Augenbrauen und räusperte sich. Tatsächlich gelang es ihm, seine Stimme tiefer und lauter klingen zu lassen.

„Im Namen des Aufsehers der Fragen des Pharao. Gebt den Weg frei!“

Die Soldaten zuckten etwas zurück und wollten schon Antworten, als Udabi wegen des Lärms aus der Halle kam.

„Thotmes! Was ist los?“

Thotmes berichtete kurz und Udabi verneigte sich förmlich vor ihm.

„Du kannst dem Aufseher der Fragen des Pharao sagen, dass ich mit meinen Brüdern sofort bei ihm sein werde.“

Thotmes verneigte sich ebenso formell und drehte sich um, ohne die Soldaten noch eines Blickes zu würdigen.

Nicht einmal eine halbe Stunde später meldete Thotmes die Ankunft des neuen Nomarchen und seiner beiden Brüder. Sie wunderten sich ein wenig, dass Kutari nicht alleine war, denn er hatte ja angekündigt, ein persönliches Gespräch führen zu wollen.

„Dies ist Sekhet. Er ist Arzt und mein Berater in medizinischen Fragen. Und dies ist Hori, einer meiner Schreiber. Obwohl dies eine persönliche Unterredung ist, wird er alle wichtigen Punkte protokollieren, denn das Ergebnis wird in meinen Bericht an den göttlichen Herrscher, lang möge er leben, aufgenommen werden.“

Alle verbeugten sich bei dem formellen Lebenswunsch und Neferhetep war etwas erstaunt, als Kutari allen ein paar Kissen zuwies und sie so in einer lockeren Runde saßen.

„Zunächst möchte ich Ramose fragen, wie er die Zeit erlebt hat, als euer Vater krank wurde.“

Ramose schien etwas schüchtern zu sein, doch dann erzählte er sehr anschaulich von den Tagen, als der alte Nomarch verstarb. Er konnte alles klar und deutlich beschreiben und bestätigte Udabis Bericht in fast allen Punkten.

„Dieser Arzt, den ihr zuerst gerufen habt, wohnt er in der Stadt?“

„Ja, Herr. Er wohnt wohl schon ein Jahr hier. Nach dem, was er erzählt hat, war er vorher in Bubastis, davor in Men-nefer und davor in Theben gewesen.“

Sekhet schüttelte den Kopf. Was trieb einen Arzt dazu, von Stadt zu Stadt zu reisen? Kutari war inzwischen auf einer anderen Spur.

„Und du hast gesagt, der Arzt hätte euren Vater niemals berührt? Er hätte ihn nur angesehen und sofort eine Vergiftung vermutet?“

„Oh ja. Er sprach mit meinem Vater. Der hatte große Schmerzen, doch der Arzt redete nur mit ihm. Lediglich ganz am Anfang hatte er sich zeigen lassen, wo die Schmerzen saßen.“

Sekhet fuhr hoch.

„Das könnt ihr alle drei beschwören? Er hat sich zeigen lassen, wo die Schmerzen waren und nichts dazu gesagt?“

Die drei jungen Männer waren erstaunt von der Heftigkeit der Frage, doch sie nickten alle drei gleichzeitig.

„Hori, ein Zusatz für den Bericht. Der Tjati möge sich an das Haus des Lebens wenden und den Vorsteher dort um eine Stellungnahme zum Verhalten des Arztes bitten.“

Die drei Brüder sahen sich fragend an, doch keiner wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Sekhet wandte sich an Neferhetep.

„Es war eindeutig eine Krankheit und kein Gift. Ich werde nachher noch einmal mit den Priestern des Anubis sprechen, aber ich bin mir sicher, was der Grund für den Tod eures Vaters gewesen ist.“

Sekhet sah fragend zu Kutari und als dieser nickte, fuhr er fort.

„Es war eine Krankheit der Gedärme. Sie ist sehr oft tödlich, wenn sie nicht früh genug behandelt wird. Sie tritt häufiger bei Kindern auf und kann mit Kräutern und Salben behandelt werden. Bei Erwachsenen ist es etwas schwieriger. Wenn sehr starke Schmerzen auftreten, ist es fast schon unmöglich, jemanden zu heilen. Dennoch kann es versucht werden und ganz selten gelingt es sogar.“

Die drei Brüder schwiegen eine ganze Weile, bis Udabi sich meldete.

„Also hätte unser Vater vielleicht gerettet werden können. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, aber doch, wenn die Götter ihm gnädig gewesen wären.“

Kutari nickte.

„Ja, möglicherweise. Ein junger Arzt hätte wahrscheinlich gesagt, dies ist eine Krankheit, die ich kenne, aber nicht behandeln kann. Ein erfahrener Arzt hätte vielleicht gesagt, dies ist eine Krankheit, die ich kenne, doch sie ist schwer, ich werde es dennoch versuchen.“

„Was wird nun passieren, Herr?“

Kutari streckte sich ein wenig.

„Wir werden den Arzt zu dieser Angelegenheit vernehmen. Sollte er absichtlich eine falsche Diagnose gestellt haben, verfällt er der Gnade der Göttin Maat.“

Neferhetep nickte langsam und sah seine Brüder an.

„So soll es sein. Wir werden Gerechtigkeit erfahren.“

Kutari klatschte in die Hände und Kanefer erschien in der Tür.

„Du kannst jetzt die Erfrischungen bringen und bitte Rahotep herein.“

Kanefer erschien mit Ptahor und Metufer um Früchte und Wein zu servieren, während Sekhet unauffällig den Raum verließ. Kurze Zeit später kam Rahotep mit Paneb zusammen herein.

„Dies ist Leutnant Rahotep, der Leiter meiner geheimen Ermittler. Er wird euch, zusammen mit Paneb, etwas aus Theben und dann aus dem östlichen Harpunengau erzählen.“

Neferhetep wunderte sich ein wenig, dass sich der junge Mann mit der Narbe dicht neben Udabi gesetzt hatte, doch Ramose lächelte seinem jüngeren Bruder wissend zu. Sie schienen bereits miteinander gesprochen zu haben.

Der Bericht von Rahotep war eine kurze Zusammenfassung über eine hethitische Verschwörung in Theben, ohne allerdings Namen zu nennen. Dann kam er auf die Verbindungen zum östlichen Harpunengau zu sprechen. Hier übernahm Paneb den Bericht und erzählte über die Vorgänge dort in der letzten Zeit.

Neferhetep und Ramose waren zunächst sprachlos.

„Und du bist mit ihm sechs Tagesreisen nach Süden gewandert, bis nach Men-nefer?“

Anscheinend hatte Udabi seinen Brüdern nicht ausführlich erzählt, wo er gewesen war. Neferhetep sah Udabi und Paneb etwas zweifelnd an. Ramose war mit seinen Gedanken schon etwas weiter.

„Wenn sie mitbekommen, dass Paneb hier ist, werden wir wohl wieder Besuch bekommen. Und diesmal wahrscheinlich nicht so friedlich.“

Neferhetep sah Ramose erschreckt an.

„Wie weit sind die Bauarbeiten an der Mauer?“

Ramose seufzte leise.

„Sie ruhen. Wir kommen nicht weiter. Die Mauern stürzen ein, sobald sie eine bestimmte Höhe erreicht haben.“

Rahotep lauschte verwundert. Er würde sich nachher einmal mit Ramose unterhalten müssen.

Neferhetep wandte sich an Kutari.

„Was sollen wir nun machen, Herr? Unser Vater hat das Schwergewicht auf den Ausbau der Stadt gelegt. Unsere Truppen umfassen gerade mal ein halbes Regiment.“

Kutari lächelte dünn.

„Ich weiß. Man hat es mir in Men-nefer berichtet. Das ist auch der Grund, warum uns von dort ein Regiment Infanterie hierher folgt. Ich wollte nicht mit den Soldaten vor den Toren der Stadt erscheinen, bis ich meinen Bericht fertig habe. Sie werden in zwei bis drei Tagen hier eintreffen und haben den Befehl, den Ostgau nach Süden hin zu verteidigen.“

Neferhetep zögerte etwas mit seiner Antwort. Fremde Truppen im Land war immer eine zweischneidige Angelegenheit, auch wenn es Truppen des göttlichen Herrschers waren. Doch die Lage hatte auch ein völlig neues Bild ergeben.

„Ich danke euch, Herr, dass ihr euch um uns sorgt. Wir müssen Vorbereitungen treffen, sollte es tatsächlich jemand wagen, uns anzugreifen.“

„Unterhaltet euch mit Leutnant Rahotep. Wir haben seine Leute unterwegs abgesetzt und sie erkunden bereits die Gegend an der südlichen Grenze.“

Amenhotep in Men-nefer

Acht Tage nach der Abfahrt von Kutari traf Prinz Amenhotep in Men-nefer ein. Die Ankunft des Prinzen war fast genauso unauffällig wie die von Kutari. Seine persönliche Barke, ohne jegliche Abzeichen, machte im Kriegshafen fest und der Prinz eilte ohne Verzögerung zum Palast des Nomarchen. Er war neugierig, ob sich hier im Norden schon etwas ereignet hatte, das noch nicht bis Theben vorgedrungen war. Nur gefolgt von seiner Leibwache betrat er die große Halle des Nomarchen.

„Prinz Amenhotep! Wir haben euch schon erwartet.“

„Menemhet, was ist passiert?“

Bei einem Becher verdünnten Weines erklärte der Nomarch ausführlich vom Besuch des Aufsehers der Fragen des Pharao. An mehreren Stellen schüttelte Amenhotep ungläubig den Kopf, dann lächelte er.

„Erstaunlich. Er schafft es immer wieder, die unmöglichsten Vorgänge zu seinen Gunsten zu ändern. Und er ist jetzt mit einem der Regimenter in Tanis? Ich muss unbedingt mit dem Imur-Meschta reden.“

Der Imur-Meschta Ptahmose erwartete seinen Oberbefehlshaber bereits bei den Kasernen. Nach einer kurzen Begrüßung geleitete er ihn in den großen Raum mit dem Tisch voller Karten, in dem auch schon Kutari seine Einweisung erhalten hatte.

Diesmal waren nur noch die drei Kommandeure der verbliebenen Regimenter anwesend und ein Heru Pa-Djet, ein Brigadekommandeur.

„Heru Pa-Djet Hasani ist zusammen mit dem Regiment des Stiers nach Bubastis gegangen. Das zweite zu seiner Djet gehörende Regiment des Krokodils ist auf dem Weg nach Tanis. Die beiden hier verbliebenen Infanterieregimenter des Flusspferds und der Kobra sind marschbereit. Das Streitwagenregiment ist als Reserve eingeplant.“

Amenhotep nickte nachdenklich.

„Wir haben keine Informationen darüber, wo sich die Hethiter genau aufhalten und wie stark sie sind. Ich möchte, dass Streitwagen nach Norden und nach Osten aufklären. Sie sollen paarweise unterwegs sein. Nur beobachten, sich nicht in Kämpfe einlassen. Sie sollen die Bewohner der Dörfer befragen und dann schnell wieder verschwinden.“

Der Kommandeur des Streitwagenregiments sah den Prinzen erstaunt an.

„Dafür haben wir doch die Läufer, die die Streitwagen begleiten. Sie können doch…“

„Ich habe gerade was gesagt. Die Läufer sind zu langsam. Ich will spätestens in zwei Tagen die ersten Rückmeldungen haben. Wenn sie wollen, können sie ja einen Läufer auf jedem Wagen mitnehmen. Bei Prinz Netermest hat das hervorragend funktioniert.“

Die fragenden Blicke erinnerten Amenhotep daran, dass hier in Men-nefer noch nicht alle Veränderungen bekannt waren, die Prinz Netermest und seinen Auftrag betrafen. Mit kurzen Worten schilderte Amenhotep die Erfolge von Netermest und auch seine Befugnisse.

„Prinz Netermest hat die Erlaubnis unseres göttlichen Herrschers, lang möge er leben, für die Erfüllung seines Auftrags auf jede beliebige Einheit der Armee zugreifen zu dürfen. Nur im Gefecht bleibt die Befehlsgewalt über die Einheit beim jeweiligen Kommandeur.“

„Wird der Prinz denn auch hierher kommen?“

„Ich weiß es nicht. Je nach dem, was er in Abedju herausgefunden hat. Aber viele Hinweise deuten ja wohl nach Tjeku. Was hat denn unsere Aufklärung bis jetzt herausgefunden?“

„Ich habe den Standartenträger Pashtu rufen lassen, mein Prinz. Er müsste jeden Moment eintreffen.“

Als Pashtu den Raum betrat, musste Amenhotep unwillkürlich lächeln. Der Mann schien für den hohen Rang fast zu jung. Zurückhaltend verbeugte er sich vor dem Prinzen. Pashtu war Wagenlenker im Regiment des Amun gewesen und mehr durch seine Scharfsinnigkeit und taktischen Fertigkeiten aufgefallen als durch seine kämpferischen Fähigkeiten. Amenhotep hatte ihn befördert und ihm eine Stelle in einem Stab gegeben, wo er nicht mehr mit dem Streitwagen unterwegs zu sein brauchte.

„Nun, Pashtu, was hast du zu der neuesten Entwicklung aus dem östlichen Harpunengau zu berichten?“

Der junge Mann schien etwas nervös zu sein.

„Es ist schwierig, Herr, Informationen zu bekommen. Die Befragung von Händlern ergibt keine neuen Erkenntnisse. Sie berichten nur davon, dass der Nomarch dort anscheinend dabei ist, sein eigenes Regiment mit weiteren Soldaten aufzufüllen. Dazu nimmt er wohl die Bauern, die während des Achet keine Arbeit haben.“

Eine leichte Unruhe kam auf, doch Amenhotep winkte ab. Pashtu wirkte jetzt unsicher.

„Ich habe mehrere meiner Männer in die Dörfer und Jagdgebiete weiter im Osten geschickt, doch keiner von ihnen ist bisher wiedergekehrt.“

Amenhotep schwieg nachdenklich.

„Keine weiteren Leute mehr nach Osten. Ich habe Aufklärung durch Streitwagen angeordnet. Ich möchte abwarten, was sie zu berichten haben. Das Streitwagenregiment soll sich ebenfalls marschbereit machen. Das Regiment des Amun war direkt hinter mir, sie werden noch heute hier sein. Wir haben ausreichend Zeit, uns vorzubereiten.“


Als die ersten Streitwagen zwei Tage später zurückkamen, brachten sie eine Überraschung mit. Amenhotep war wieder im Lagezimmer, als Pashtu zwei junge Männer hereinschob. Einer der beiden kam dem Prinzen irgendwie bekannt vor.

„Diese beiden wurden von einer Patrouille aufgegriffen, Herr. Sie behaupten, sie gehören zu der Truppe von Fürst Kutari.“

Amenhotep betrachtete die beiden nun genauer.

„Du warst bei dem kleinen Gefecht im Garten mit dabei.“

„Ja, Herr. Mein Name ist Rehema. Dies hier ist Neferhotep. Wir gehören zu den Aufklärern von Leutnant Rahotep.“

Richtig, das war der Soldat, der auch den nächtlichen Einsatz bei dem Bordell mitgemacht hatte. Den anderen hatte Prinz Amenhotep noch nie gesehen. Die schlanke Gestalt und das jugendliche Aussehen, ließen wenig auf einen Soldaten schließen. Rahotep hatte sich da eine interessante Truppe zusammengestellt.

„Und warum seid ihr jetzt hier?“

„Wir hatten den Auftrag, zusammen mit vier anderen Paaren, die Grenze des östlichen Harpunengaus aufzuklären. Wir wurden direkt zu Beginn der Reise in den Norden am östlichen Flussufer abgesetzt und haben uns die letzten fünf Tage dort umgesehen. Die vier anderen Paare sind auf dem Weg nach Tanis, wir wurden hierher entsandt, um Bericht zu erstatten.“

„Pashtu, nimm die beiden mit und gib ihnen zu Essen und zu Trinken. Ich möchte hier in einer Stunde alle Kommandeure versammelt haben. Dann können wir uns den Bericht zusammen anhören. Ach ja, überbringe dem Nomarchen ebenfalls eine Einladung von mir.“

Der Offizier verbeugte sich und geleitete Rehema und Neferhotep wieder nach draußen. Wie der Prinz angeordnet hatte, bekamen sie Verpflegung beim Streitwagenregiment.

„Ist dir was aufgefallen?“

Neferhotep schüttelte den Kopf und staunte über die gebratene Gänsekeule die man ihnen gebracht hatte.

„Das Essen ist auf jeden Fall hervorragend.“

Rehema lachte.

„Ja, das auch. Aber das meinte ich nicht. Hast du bemerkt, wie der Standartenträger dich angesehen hat? Ich glaube, der interessiert sich für dich.“

Neferhotep sah etwas verschämt zu Boden. Rehema grinste.

„Du bist also auch interessiert?“

„Psst, sei leise. Wenn dich jemand hört. Ich denke, er sieht gut aus. Und er ist nicht einmal so viel älter als wir. Wie kann er da schon Standartenträger sein? Vielleicht ist sein Vater ja ein hoher Beamter.“

Rehema verdrehte die Augen.

„Dann wäre er nicht mit geheimer Aufklärung betraut. Das machen nur Offiziere, die eine Begabung dafür haben. Sieh dir Rahotep an.“

Das Gespräch erstarb, als Standartenträger Pashtu wieder erschien und die beiden zu Prinz Amenhotep zurückbrachte. Inzwischen waren dort auch die anderen hohen Offiziere wieder eingetroffen.

Rehema trug ausführlich vor, was die fünf Trupps über die Stärke des Regimentes des Harpunengaus und auch über die Dislozierung der hethitischen Truppen herausgefunden hatte. Die Zusammenfassung übernahm dann Pashtu.

„Wir haben also folgende Lage im östlichen Harpunengau. Das eigentliche, zum Gau gehörende Regiment ist in Marschbereitschaft versetzt worden und bewegt sich langsam nach Norden. Ziel ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Ostgau. Es wurden Bauern zum militärischen Dienst eingezogen. Sie sind fast ausschließlich innerhalb der Hauptstadt Tjeku stationiert und sollen wohl die dortige Garnison darstellen.“

Amenhotep wusste nicht, ob er nicken oder den Kopf schütteln sollte. Was, beim Arsch von Bes, hatten die denn vor?

„Die Situation mit den hethitischen Truppen ist etwas komplizierter. Sie sind, in kleinen Einheiten von maximal Kompaniegröße über das ganze Wadi Tumilat verstreut. Jetzt, zur Überschwemmung, mussten sie ihre Lager in höhere Gegenden verlegen, was dazu führte, dass sie sich zur Hälfte am Nordufer und zur anderen Hälfte am Südufer des Wadis befinden. Die Überschwemmung ist so weit fortgeschritten, dass sie das Wasser nicht ohne Hilfsmittel überqueren können. Sie müssen im Fall eines Angriffs mit dem Rücken zum Wasser kämpfen, nach Westen bis nach Tjeku ausweichen oder im Osten bis an den Timsah-See.“

„Gibt es Schätzungen über die Stärke?“

„Da es nicht sicher ist, ob alle Lager entdeckt wurden, müssen wir von etwa zwanzig Kompanien ausgehen, was nach unserer Rechnung wohl zwei Regimenter ausmachen würde.“

„Dann werden wir sie überraschen. Die beiden noch hier befindlichen Infanterieregimenter gehen nach Tjeku, belagern und erobern die Stadt. Das Regiment des Amun folgt dem Regiment aus dem Harpunengau nach Norden. Das in Bubastis stationierte Regiment geht nach Tanis. Wenn die Lage dort es erlaubt und wir Tjeku ebenfalls erobert haben, werden die drei nördlichen Regimenter bei Tanis nördlich des Wadi und die drei südlichen Regimenter bei Tjeku südlich des Wadi nach Osten ziehen und die Hethiter vor uns her treiben bis zum Timsah-See.“

Kutari in Tanis

„Es hat geklappt. Wir können jetzt nur hoffen, das Rehema und Neferhotep es bis nach Men-nefer geschafft haben.“

Kutari war etwas hoch geschreckt, als Rahotep in den Raum gestürzt kam.

„Es sind alle wieder zurück?“

„Ja. Alle wieder da und alle unverletzt.“

Nun hielt Hori nichts mehr in dem Raum. Er rannte zur Tür hinaus, sein Schreibwerkzeug ungeordnet hinter sich lassend. Rahotep sah ihm nachdenklich hinterher.

„Er muss noch ruhiger werden. Sekani wird öfter solche Einsätze machen müssen.“

Kutari seufzte etwas und trat durch eine Tür hinaus auf die Terrasse, die durch die vorspringende untere Etage gebildet wurde. Sein prüfender Blick ging über die Stadt.

„Es sieht alles so friedlich aus. Hat Ramose das Regiment des Krokodils unterbringen können?“

„Alles so wie besprochen. Sie haben ein Feldlager aufgeschlagen östlich der Stadt. Dort sind sie ganz gut getarnt. Fremde Aufklärer dürften sich wohl mehr aus südwestlicher Richtung der Stadt nähern, aber wir haben da auch schon vorgesorgt, dass sie rechtzeitig abgefangen werden.“

„Dann können wir jetzt nur noch warten. Was wir als nächstes brauchen ist ein Tempel des Anubis und ein Tempel der Sachmet.“

„Wozu brauchen wir einen Anubis-Tempel?“

Als Kutari es ihm erzählte, grinste Rahotep breit.

„Draußen vor der Stadt, bei der neuen Nekropole, ist ein kleiner Tempel, der auch gleichzeitig das Einbalsamierungshaus betreibt. Die sind im Moment ziemlich beschäftigt. Der in die Ewigkeit eingegangene Nomarch ist dort. Die Bestattungsriten sollen wohl übermorgen beginnen.“

„Was? Während eine fremde Armee vor den Toren steht? Ich fürchte, die Bestattung muss noch etwas warten. Wir sollten Neferhetep überzeugen, sein Vater würde eine bessere Ruhe finden, wenn der Feind besiegt wäre.“

Rahotep hob seine Augenbrauen, sagte aber nichts. Kutari seufzte.

„Kommen wir zum zweiten Punkt. Ich habe noch keinen Sachmet-Tempel gesehen. Werden die Ärzte hier nicht von den Priestern unterstützt? Gibt es keine medizinische Bibliothek?“

„Es gibt keinen. Es gibt einen Tempel des Horus, einen des Seth und einen der Wadjet. Ich habe noch einige Schreine gesehen, hauptsächlich Amun und Hathor gewidmet.“

Kutari lachte leise.

„Einen Tempel des Seth, aber keinen der Maat? Wo sind wir hier denn nur hingeraten. Wegen unserer Feier werde ich mit dem Nomarchen sprechen. Ich möchte sie irgendwo machen, wo alle unsere Leute dabei sein können. Lass uns hinüber zum Anubis-Tempel gehen, ich möchte mit dem Priester dort sprechen.“

Am Abend ging Kutari scheinbar ziellos umher und bat Thotmes dann, ihn zu begleiten.

„Wir haben vor kurzem über deinen Eintritt in das Leben der Erwachsenen gesprochen. Du weißt, dass dies auch mit einer kleinen Zeremonie verbunden ist.“

Thotmes schluckte schwer und wurde still.

„Ich war heute beim Priester des Anubis. Wenn du einverstanden bist, wird morgen Vormittag deine Beschneidung stattfinden.“

Thotmes setzte zum Reden an, brauchte aber zwei Anläufe.

„Wer… wer wird mich vor den Gott begleiten?“

„Sekhet wird der Arzt sein und Neferahatj sein Helfer. Es geht schnell und tut auch nicht sehr weh.“

Thotmes brummte etwas Unverständliches.

„Danach findet eine kleine Feier statt. Im Palast, beim Teich. Es gibt Wein und süße Kuchen.“

„Oh. Das ist sehr schön. Und es werden alle da sein?“

„Ja, bis auf Rehema und Neferhotep, die sind ja in Men-nefer.“

Thotmes lächelte etwas schüchtern. Dann zupfte er an seiner Kinderlocke.

„Die werde ich dann ja auch los. Es wird ungewohnt sein.“

„Es werden sich bestimmt ein paar Dinge ändern. Einige deutlich sichtbar, andere ganz unbemerkt. Wenn du weiterhin so arbeitest wie bisher, hast du noch eine große Karriere vor dir.“

Thotmes lachte nun laut und sie gingen wieder zurück in Richtung des Palastes.

Der nächste Morgen verlief ganz ruhig, bis Thotmes erschien. Vollkommen aufgeregt huschte er hin und her.

„Setz dich hin und gib Ruhe. Du kommst noch früh genug unters Messer!“

Thotmes wurde blass und rannte aus dem Raum.

„Hori! Was fällt dir ein! Wie kannst du den armen Jungen jetzt so verschrecken. Erinnere dich lieber an deine eigene…“

Hori starrte vollkommen verblüfft auf Sekani, der ihm einen ellenlangen Vortrag darüber hielt, wie unsensibel und grausam er doch war.

Alle ringsum grinsten dabei und Ptahor brachte es auf den Punkt.

„Sie benehmen sich schon wie ein altes Ehepaar.“

Diese Äußerung verschloss nun auch Sekani den Mund.

Die Truppe machte sich dann auf den Weg zum Tempel des Anubis. Dort wurden sie vom Priester begrüßt und in den östlichen Gebetsraum geführt. Hier waren die Wände bemalt mit Szenen, wie Anubis über die Welt schreitet und die Teile von Osiris sammelt um sie wieder zu vereinen. Der westliche Gebetsraum war dem Anubis als Totenrichter gewidmet mit einem Ausschnitt des Totenbuches, wo Anubis die Wägung des Herzens beim Totengericht durchführt.

Die Zeremonie selber war ohne großen Aufwand. Neferahatj entkleidete Thotmes und Sekhet trug eine Salbe auf den wegen der Aufregung doch arg geschrumpften Penis auf.

„Das ist gegen die Schmerzen.“ Flüsterte Sekhet.

Nun trat der Anubis-Priester vor und intonierte einen Lobgesang an den Gott. Dann folgte eine Lobpreisung auf den ‚guten Sohn‘, wobei Kutari die Stelle des Vaters einnahm. Zum Schluß wurde noch einmal der Gott Anubis angerufen mit der Bitte, sich zu erinnern, dass der Opfernde, in diesem Fall Thotmes, trotz des kleinen Eingriffs, eines Tages unbeschädigt in die ewigen Gefilde eingehen wird.

Dann übergab der Priester dem Arzt das rituelle Messer. Ein uraltes Steinmesser mit einer sehr scharfen Klinge. Neferahatj umfasste Thotmes von hinten und hielt ihn fest. Thotmes hielt den Atem an, doch da war auch schon alles vorbei. Er spürte, wie Sekhet ihm einen Verband anlegte, dann gab Neferahatj ihn auch schon frei.

Während Kutari sich noch beim Priester bedankte und ihn bezahlte, führte Sekhet Thotmes nach draußen.

„Die Wirkung der Salbe wird in ein paar Stunden nachlassen. Dann tut es weh, aber nur etwa ein bis zwei Tage. Wie du siehst, ist die Spitze frei gelassen worden. Was glaubst du, warum?“

„Zum pinkeln?“

„Richtig. Und das ist auch das Einzige, was du in der nächsten Dekade damit machst. Jedes Mal, wenn er anschwillt, könnte das Schmerzen verursachen. Außerdem wird die Narbe irgendwann anfangen zu jucken. Tut mir leid, aber - Finger weg. Wenn der Verband ab ist und alles ist gut geheilt, werde ich dir schon mitteilen, ab wann du dich wieder vergnügen kannst.“

Thotmes bekam rote Ohren, während Sekhet lächelte.

„Dann komm. Im Palast wartet eine Feier auf dich.“


Der Nachmittag war für Kutari nicht so erfreulich. Er hatte Neferhetep gebeten, ihm den großen Saal des Palastes zur Verfügung zu stellen. Dort hatte er auf dem Thron des Nomarchen Platz genommen und fühlte sich etwas unbehaglich dabei. Er machte sich klar, dass das, was jetzt folgen sollte, unausweichlich war.

Hauptmann Imiuthetep führte, von vier Soldaten flankiert, einen Gefangenen vor den Thron. Rahotep hatte das Amt des Zeremonienmeisters übernommen.

„Sehet und höret! Der Aufseher der Fragen des Pharao ist erschienen und verlangt Antworten. Gehorchet dem Willen des göttlichen Herrschers.“

Alle Anwesenden verneigten sich und der Gefangene wurde zu Boden gezwungen. Imiuthetep wandte sich an Kutari.

„Wir haben vor euer Angesicht gebracht den Arzt Nachtmin. Verantwortlicher Arzt bei der Behandlung des in die Ewigkeit eingegangenen Fürsten Rechmire, Nomarch des Ostgau.“

„Erhebe dich, Nachtmin.“

Der Mann krabbelte etwas auf dem Boden und erhob sich dann mühselig. Er war in fortgeschrittenem Alter, wohl schon über vierzig und von schmalem Körperbau. Seine Augen huschten angstvoll umher.

Auf ein Zeichen von Kutari begann Rahotep den Bericht zu verlesen, den der Arzt über die Behandlung des Nomarchen verfasst hatte.

„Ist dieser Bericht tatsächlich von dir?“

„Äh, ja Herr. Also so genau weiß ich es nicht mehr, aber wenn es dort steht…“

„Du weißt es nicht mehr genau? Einen Nomarchen hat man nicht jeden Tag als Patienten. Besonders, wenn man eine Bezahlung bekommen hat, die in Deben von Gold aufgewogen wurde. Aber sprich, was hat dich so sicher sein lassen, es wäre eine Vergiftung?“

„Was? Oh. Also, ja. Das Essen. Und dann die Schmerzen. Nichts passte zu den Schmerzen, außer dass sie nach dem Essen auftraten. Also musste etwas dort aufgenommen worden sein und das kann bei einer solchen Wirkung nur ein Gift sein. Ja, genau.“

Kutari lehnte sich verblüfft zurück. War der Mann tatsächlich Arzt?

„Aber du hast sicherlich die Hinweise der Vorväter zu Rate gezogen?“

Nun wurde der Mann sichtlich nervös.

„Die Hinweise. Ja, nun ja. Also, ich habe sie nicht. Sie wurden mir in Bubastis gestohlen, ja.“

Kutari schloss ergeben die Augen und sandte ein Gebet an Sachmet. Das durfte alles nicht wahr sein. Eine weitere Stimme ertönte jetzt und sie klang zornig.

„Die Hinweise. Diejenigen, die ein Arzt in jedem Tempel der Sachmet einsehen kann, wenn er Zweifel hat. Und die er dort sogar dauerhaft bekommt, sollten seine abhandengekommen sein. Sollen wir in Bubastis nachfragen, ob du jemals dort im Tempel warst?“

Nachtmin fing an zu stottern, schwieg aber dann.

Sekhet trat vor, in der Hand eine große Rolle, die er an einer bestimmten Stelle geöffnet hatte.

„Wenn du auf einem Mann triffst, der an Schmerzen leidet in seinem rechten Unterbauch und du drückst auf den linken Unterbauch, wo der Dämon eingefahren ist, und es schmerzt auf der rechten Seite, dann sollst du dazu sagen: Tritt nicht gegen ihn an, denn es ist ein Dämon. Doch du mögest kämpfen mit dem Dämon mit stark wirkenden Mitteln, die da sind…“ [1]

Sekhet unterbrach sich und fixierte Nachtmin mit einem stechenden Blick.

„Hast du überhaupt schon jemals davon gehört? Hast du überhaupt schon jemals solche Hinweise gelesen, ja überhaupt gesehen?“

Nachtmin wand sich jetzt, als ob er Schmerzen hätte.

„Nun, nicht direkt.“

Kutari hatte genug. Er hatte eine bestimmte Vorstellung von dem, was gerade passierte und wollte die ganze Sache abkürzen. Er nahm seinen Amtsstab und erhob sich. Sofort verstummte alles ringsum. Er kam langsam auf Nachtmin zu und hielt seinen Amtsstab senkrecht, so dass die Göttin Maat oben zu sehen war.

„Schwöre bei der Göttin der Gerechtigkeit, dass du ausgebildet wurdest im Haus des Lebens und als Arzt entlassen wurdest, der Göttin Sachmet zu dienen.“

Nachtmin brach jammernd zusammen.

„Das kann ich nicht.“ Heulte er.

„Ich war doch nur ein paar Monate am Haus des Lebens.“

Kutari sah zu Hauptmann Imiuthetep.

„Bringt ihn ins Gefängnis. Er hat vorgegeben ein ausgebildeter Arzt zu sein und deshalb einen Nomarchen durch seine Unwissenheit möglicherweise zu Tode gebracht. Prinz Amenhotep soll in Men-nefer über ihn richten.“

Amenhotep in Men-nefer

Die Situation in Men-nefer war angespannt. Die Regimenter waren bereit zum Abmarsch und Amenhotep wartete nur noch auf die Rückkehr von weiteren Aufklärern.

Der Prinz ging ungeduldig in dem Besprechungsraum auf und ab, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde.

„Ein Kurier ist im Hafen eingetroffen, Herr.“

Der Prinz war überrascht. Ein weiterer Kurier? Was war vorgefallen, dass man ein weiteres der wertvollen Kurierboote jetzt zur Überschwemmungszeit riskierte?

Kurze Zeit später blätterte Amenhotep in den Unterlagen, die der Kurier gebracht hatte und fluchte ausgiebig. Damit hatte er nun nicht gerechnet. Prinz Netermest war aufgehalten worden und die ehemalige Prinzessin Tuaitthesit befand sich auf dem Weg nach Norden.

Amenhotep eilte hinüber in den Palast des Nomarchen. Fürst Menemhet musterte erstaunt den Prinzen, der auf ihn zueilte.

„Wir müssen etwas unternehmen. Die ehemalige Prinzessin Tuaitthesit ist auf dem Weg nach Norden. Sie nutzt eine große Reisebarke und müsste etwa in ein oder zwei Tagen hier an Men-nefer vorbeikommen.“

„Wohin will sie denn und was sollen wir tun?“

„Wo genau sie hin will, wissen wir nicht. Ich vermute, sie weiß noch nichts von den neuesten Vorgängen hier und sie will nach Tjeku. Sollte sie aber schon etwas davon mitbekommen haben, gibt es mehrere Möglichkeiten. Sie kann bis nach Tamiat an die Küste fahren und von dort aus mit einem Schiff über das große Wasser nach Osten. Oder sie nimmt einen der Karawanenwege nach Klysma oder zum Timsah-See, um von dort durch den Sinai nach Osten zu kommen. Wir wissen es eben nicht genau, denn die Frau ist unberechenbar. Eines ist jedenfalls gewiss, für jeden dieser Wege muss sie zunächst an Men-nefer vorbei.“

Fürst Menemhet nickte nachdenklich. Prinz Amenhotep erwartete von ihm, dass er die ehemalige Prinzessin festsetzen solle. Das würde nicht einfach werden. Sein eigenes Regiment war über den ganzen Gau verteilt. Hauptsächlich waren die Soldaten als Patrouillen auf dem Fluss oder an der Ostgrenze eingesetzt oder versahen Zolldienste im Hafen.

„Wenn sie auf dem Fluss hier vorbeikommt, können wir sie erwischen. Wenn sie auf einen der Karawanenwege will, könnte sie von einer beliebigen Stelle vom östlichen Ufer aus starten. Das wird schwierig zu überwachen sein.“

„Das ist mir klar. Ich werde Standartenträger Pashtu und eine Zehnereinheit Streitwagen hier zurücklassen. Pashtu soll alle Meldungen über verdächtige Bewegungen auf dem Fluss kontrollieren, die Streitwagen werden auf dem Ostufer patrouillieren.“

„Die Soldaten werden es schwierig finden, eine Prinzessin zu verhaften.“

Amenhotep fuhr herum.

„Sie ist keine Prinzessin. Alle Titel aus dem Land Khemet wurden ihr aberkannt. Sie ist weder königliche Gemahlin, noch Prinzessin, noch sonst irgendetwas. Sie ist ein verurteilter Verbrecher auf dem Weg ins Exil.“

Fürst Menemhet wedelte beschwichtigend mit beiden Händen.

„Ich weiß es und ihr wisst es. Doch ist das auch jedem einzelnen Soldaten klar?“

„Dann müsst ihr es ihnen klar machen. Es soll noch einmal im ganzen Delta verkündet werden, wer sie jetzt ist und was sie… nein, das können wir nicht machen. Der göttliche Herrscher möchte, dass ihr Name nicht mehr genannt wird. Sagt einfach, sie sei eine hethitische Spionin, die sich als Prinzessin ausgibt.“

Der Nomarch runzelte die Stirn. Ob das so funktionieren würde?


Rehema und Neferhotep waren erstaunt, als ihnen Standartenträger Pashtu eröffnete, er werde nicht mit ihnen nach Norden ziehen, sondern in Men-nefer verbleiben. Besonders Neferhotep war etwas enttäuscht, denn er fand die Gegenwart des stattlichen Offiziers als angenehm. Rehema hatte ihn schon ein paar Mal damit aufgezogen.

„Was meinst du, können wir auch hier bleiben? Wir wissen, wie die Prinzessin aussieht und könnten Pashtu helfen.“

„Du willst doch nur in seiner Nähe bleiben. Hat er bis jetzt überhaupt irgendein Interesse an dir gezeigt?“

Neferhotep schüttelte enttäuscht den Kopf.

„Bis jetzt noch nicht. Wir haben uns schon öfter unterhalten und er ist sehr nett, aber weiter war nichts.“

Rehema schüttelte den Kopf. Das fehlte ihm jetzt noch, ein hoffnungsloser Liebhaber.

„Wir werden mit Pashtu reden. Wenn er es erlaubt, bleiben wir ebenfalls hier.“

Der Standartenträger war erstaunt über das Ansinnen der beiden Soldaten, doch er stimmte zu. Da die Kasernen im Laufe des Tages geräumt wurden, während die Truppen nach Norden zogen, besorgte Pashtu ein Quartier beim Regiment des Inbu-Hedj-Gaues in der Nähe des Palastes.

Am Abend hatten sich Rehema und Neferhotep in einen der kleinen Teiche zurückgezogen. Rehema betrachtete den jungen Mann etwas kritisch. Er war einer der jüngsten ihrer Truppe und hatte den wohl ausgefallensten Beruf. Kosmetiker waren fast ausnahmslos nur Frauen. Ein kleiner, etwas gehässiger Gedanke durchzuckte Rehema, als er Neferhotep mit einer Frau verglich. Sicherlich, er hatte einen schlanken, leichten Körperbau, doch er war sehr eindeutig ein Mann. Auch Sekani war ja schließlich klein und schlank, doch er hatte ihn als hervorragenden Kämpfer erlebt und guten Soldaten. Seine Partnerschaft mit Hori tat daran keinen Abbruch. Rehema überlegte nun ernsthaft, was sie veranlasste, einen Mann zu lieben, anstatt einer Frau.

Neferhotep war unentschlossen. Er hatte Pashtu inzwischen etwas näher kennengelernt, doch ein so hochgestellter Mann war für ihn unerreichbar. Schon mehr als einmal in seinem Leben hatte er eine Zurückweisung erleben müssen und einige von ihnen waren nicht gerade freundlich gewesen.

Beide wurden aus ihren Gedanken gerissen, als Pashtu am Teich erschien. Rehema konnte ihn nun in aller Ruhe betrachten, während er seine Bekleidung ablegte. Er war wohl Mitte Zwanzig und etwas größer als der Durchschnitt. Sein Körper ließ das militärische Training erkennen und Rehema grinste, als Neferhotep plötzlich etwas nervös hin und her rutschte.

Mit einem freundlichen Gruß verließ Rehema den Teich und ließ einen erstaunten Neferhotep zurück, der nun erstarrte, als Pashtu sich eine Schale mit Natron griff und damit begann, sich in aller Ruhe von oben bis unten zu waschen.

Mitten in der Nacht wachte Rehema auf und bemerkte, dass Neferhotep nicht in ihrem Zimmer war. Grinsend drehte sich Rehema um und schlief weiter.

Beim Frühstück informierte Pashtu Rehema und Neferhotep über die geplante Arbeit. Das Hauptaugenmerk würde auf den Schiffsverkehr gelegt werden. Alle nach Norden fahrenden Schiffe würden angehalten und kontrolliert werden. Dazu mussten die Schiffe im Hafen von Men-nefer festmachen und ein Offizier oder Beamter würde die Besatzung und alle Passagiere kontrollieren. Erst wenn die Kontrolle ohne Beanstandungen beendet war, durfte das Schiff weiterfahren.

Der Aufseher des Schiffsverkehrs hatte sich an den Nomarchen gewandt und laut darüber geklagt, dass diese Anweisung einen Rückstau bis nach Theben verursachen würde. Schnell wurde er ruhiger, als er erfuhr, dass die Anweisung direkt von Prinz Amenhotep gekommen war.

Während des Frühstücks beobachtete Rehema Pashtu und Neferhotep sehr genau. Sie benahmen sich nicht anders als sonst. Nichts deutete darauf hin, ob oder was in der Nacht geschehen war. Er würde Neferhotep direkt fragen, wenn sie beide alleine waren. Jetzt ging es zunächst um die Arbeit.

„Was sollen wir beide machen?“

Pashtu sah sie nachdenklich an.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Am besten, ihr geht ebenfalls zum Hafen und seht euch einfach nur um. Lasst euch von euren Eindrücken und Gefühlen leiten. Sucht nach etwas, was euch merkwürdig erscheint, auch wenn es nach außen hin nicht so aussieht.“

Neferhotep sah Pashtu zweifelnd an, doch Rehema nickte wissend. Er kannte diese Methode der Suche, die oft auch von den Zollbeamten angewandt wurde. Einfach nur schauen und vielleicht auf eine Eingebung durch die Götter warten.

Auf dem Weg zum Hafen war Rehema nun aber doch neugierig.

„Na, hast du den Weg in dein Zimmer nicht mehr gefunden?“

Neferhotep wurde blass und dann rot.

„Ich… also wir, wir waren noch bei Pashtu. Wir haben uns unterhalten.“

„Die ganze Nacht?“

„Ja. Nein. Also, wir haben viel geredet.“

Rehema lachte leise.

„Und als euch die Worte ausgegangen sind, habt ihr Taten sprechen lassen.“

Neferhotep schwieg eine ganze Weile, dann begann er leise zu weinen.

„Er war so zärtlich und doch so bestimmt. Er war stürmisch und doch beherrscht. Doch dann hat er mir gesagt, dass es nicht sein kann. Ich würde zurückgehen nach Theben und er in Men-nefer verbleiben. Was sollten wir da für eine Zukunft haben“?

Rehema war stehen geblieben und umarmte den weinenden Neferhotep. Sanft strich er ihm die Tränen aus dem Gesicht und gab ihm zu dessen und seiner eigenen Überraschung einen flüchtigen Kuss.

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird schon einen Weg geben. Wir müssen weiter. Es gibt noch etwas zu tun für uns.“

Neferhotep lächelte ihm dankbar zu und Rehema seufzte leise. Aus einem hoffnungslosen Liebhaber war plötzlich eine hoffnungslose Liebe geworden. Wenn das mal gut ging.


Zur siebten Stunde waren Rehema und Neferhotep schlicht genervt. Die Anzahl der Schiffe und Boote im Hafen hatte eine Menge erreicht, die jeden Versuch eines Überblicks sinnlos erscheinen ließ. Die lauten Beschwerden von, wie es schien, hunderten von Schiffsführern strapazierte ihre Geduld. Der Nomarch hatte weitere Soldaten entsenden müssen, um die ersten Übergriffe zu verhindern.

Rehema und Neferhotep saßen im Büro des Hafenmeisters und hatten sich einen Becher mit kühlem Wasser geholt, als einer der Zolloffiziere hereinstürmte und wutentbrannt seine Protokolle auf den Tisch knallte.

„Wenn das andauert, beantrage ich meine Versetzung in den Sinai. Da ist es zwar heißer, aber deutlich ruhiger!“

Hekmetu, einer der beiden Schreiber des Hafenmeisters nahm die Protokolle und las laut vor, was dort vermerkt war.

„Frachtschiff mit Kalksteinblöcken von Dahschur nach Bubastis. Ruderer und Schiffspersonal. Weiterfahrt erlaubt. Frachtschiff mit Waren aus dem Lager von Men-nefer zum Lager nach Tamiat. Kapitän und Besatzung bekannt. Weiterfahrt erlaubt. Reisebarke des Fürsten Sennedjem. Personen persönlich bekannt. Weiterfahrt erlaubt. Frachtschiff von Theben nach Tamiat. Angehörige und Klageweiber zur Begleitung eines Sarges. Weiterfahrt erlaubt. Spezialschiff mit einem Obelisken auf dem Weg nach Sais. Weiterfahrt erlaubt.“

Etwas enttäuscht legte der ältliche Schreiber die Protokolle auf den Stapel mit den anderen. Der Zolloffizier nahm sich ebenfalls etwas von dem Wasser und sah hinaus zum Hafenbecken.

„Wenn das so weitergeht, passt bald kein Schiff mehr rein. Die Schiffsführer sollten mal etwas Geduld aufbringen und nicht so klagen.“

Betroffen sahen sich Rehema und Neferhotep gleichzeitig an.

„Klagen? Die Reisebarke mit dem Sarg! Seit wann begleiten Klageweiber einen Sarg während einer Überführungsfahrt? Die werden doch schon getauscht, wenn es nur über den Fluss geht.“

Der Offizier fuhr herum.

„Verdammt! Hekmetu, Signal an eines der Patrouillenboote. Sie sollen uns aufnehmen.“

Nur Augenblicke später wehten zwei Wimpel am Flaggenmast des Hafenmeisters und eines der kleinen Kriegsschiffe kam unter vollem Einsatz der Ruderer an die Pier. Pashtu hatte das Signal ebenfalls gesehen und wartete schon an der Anlegestelle.

Während alle das Boot bestiegen und es schon wieder ablegte, erklärte Rehema Pashtu die Lage.

„Sehr gut gemacht. Auch wenn es sich als Irrtum herausstellen sollte, sind wir auf dem richtigen Weg.“

Auf dem Weg nach Norden beschrieb der Zolloffizier das Aussehen der flüchtigen Reisebarke. Der Kommandant des Patrouillenbootes setzte alle Ruderer ein die er hatte und ließ seine zehn Bogenschützen sich klarmachen.

„Da vorne, das ist es.“

Auf dem Fluss fuhren nur die wenigen freigegebenen Schiffe nach Norden. Die Barke war gut erkennbar und sie holten schnell auf.

„Anhalten! Im Namen des Pharao!“

Auf der Barke reagierte niemand und so gab der Kommandant seine Anweisung an einen der Bogenschützen. Einen Moment später steckte ein Pfeil deutlich sichtbar an der Außenwand des Deckshauses.

Zum Erstaunen aller wurden nun Riemen auf der Barke ausgebracht und sie versuchte, dem Patrouillenboot zu entkommen. Der nächste Befehl des Kommandanten holte einen der beiden achtern stehenden Männer vom Steuerruder. Die Barke begann sofort quer zu schlagen und wurde nur durch den immer noch ausgebrachten Treibanker in der Strömung gehalten.

„Wir kommen an Bord! Wer Widerstand leistet, wird erschossen!“

Kommentarlos wurden die Riemen wieder eingezogen und die Barke trieb in der Strömung dahin. Das Patrouillenboot kam längsseits und Pashtu, Rehema, Neferhotep und der Zolloffizier gingen an Bord. Die Bogenschützen beobachteten aufmerksam die Besatzung.

Ein älterer Mann kam auf den Zolloffizier zugestürzt und fing sofort an zu lamentieren.

„Was soll das? Sind wir nicht schon kontrolliert worden? Wir haben es eilig.“

„Wir haben nur noch etwas vergessen. Wir möchten mit der Trauergemeinschaft reden, die den Verstorbenen auf seiner letzten Reise begleitet.“

Sichtlich erstaunt trat der Kapitän beiseite und gab den Blick auf den aufwändig bemalten Holzsarg frei, der an Oberdeck stand. Links und rechts vom Sarg kauerten jeweils drei ältere Frauen in Leinengewändern und Umhängetüchern in reinem weiß, der Farbe der Trauer.

„Diese Frauen dort, sind sie die einzigen Frauen an Bord?“

„Ja, Herr. Ihr könnt sonst alles durchsuchen, wenn ihr mir nicht glaubt.“

Pashtu schüttelte den Kopf und der Zolloffizier verneinte dann ebenfalls. Plötzlich ließ Rehema sich hören.

„Die Frauen mögen vortreten.“

Mit fragenden Gesichtern verließen die alten Frauen den Sarg und kamen näher. Neferhotep musterte jede von ihnen eindringlich und bei der dritten lächelte er schwach.

„Selbst die beste Kunst kann aus einer Alten keine Junge machen und schon gar nicht umgekehrt.“

Die Frau starrte Neferhotep einen Lidschlag lang an, dann stieß sie einen Schrei aus und zückte ein Messer. Neferhotep reagierte sofort und drehte der Frau die Arme auf den Rücken, so dass sie einen weiteren Schrei ausstieß und das Messer fallen ließ.

In diesem Moment stürmte ein Mann aus dem Deckshaus, in seiner Rechten eine schwere Streitaxt. Pashtu stand ihm am Nächsten und konnte gerade noch einen Schritt zurück machen, um der Axt auszuweichen. Als der Mann zum zweiten Mal ausholte, bückte sich Neferhotep blitzschnell und nahm das am Boden liegende Messer auf. In einer fließenden Bewegung kam er vom Boden hoch und warf das Messer. Mit einem stumpfen Geräusch drang das Messer in die Brust des Angreifers, der mit einem klagenden Lauf zu Boden sank.

Die Frau, die Neferhotep hatte loslassen müssen, stürzte nach vorne zu dem am Boden liegenden Angreifer und warf sich aufheulend über ihn. Rehema zog sie mitleidslos wieder von ihm herunter und sah die lange Narbe im Gesicht des Mannes.

„Wie es aussieht, haben wir den Schreiber Kermat ebenfalls erwischt.“

Kutari in Tanis

Lächelnd beobachtete Kutari, wie Thotmes immer wieder erfolglos nach seiner nicht mehr vorhandenen Kinderlocke griff. Feldwebel Chepren hatte sie noch am Abend der Beschneidung auf den Wunsch von Thotmes abrasiert und nun sah Thotmes mit seinem kahlen Schädel aus wie der Novize eines Tempels.

Als der Nomarch mit eilenden Schritten ihre Räume betrat, wusste Kutari, dass es nun soweit war.

„Die feindlichen Truppen haben vor der Stadt Aufstellung genommen. Zum Glück ist hier das Land flach und einsehbar. Sie sind genau aus der Richtung anmarschiert, mit der wir gerechnet hatten.“

„Dann werden sie wohl eine Überraschung erleben. Gibt es schon Nachricht vom Regiment des Stiers? Wenn sie die Nachricht rechtzeitig erreicht hat, sollten sie auch bald eintreffen.“

Neferhetep schüttelte lediglich den Kopf.

Die wenigen Truppen, die Tanis besaß, hatten die Stadtmauern, aber hauptsächlich die großen Lücken dazwischen, besetzt. Ramose und Udabi waren bei ihnen und kommandierten die beiden größten Einheiten.

Neferhetep führte Kutari nun über eine Mauer des Palastes hinüber zu einem Wachturm der Außenmauer. Hier konnten sie dann den breiten Wehrgang betreten und einen Blick auf die im Süden wartenden feindlichen Truppen werfen.

„Worauf warten sie? Sie hätten längst angreifen können.“

„Die Ruhe macht sie unsicher. Sie wissen nicht genau, was hier vor sich geht. Sie könnten einfach in die Stadt einmarschieren, aber dann hätten sie das gleiche Problem wie wir. Sie können sie nicht verteidigen. Sie müssen sich sicher sein, den Nomarchen gefangen zu setzen, sonst ist die Schlacht vergeblich.“

Neferhetep grinste leicht.

„Der Nomarch liegt im Tempel des Anubis und ist bereit zur Bestattung. Noch bin ich nicht offiziell bestätigt.“

„Das ist zwar formell richtig, doch was geschieht, wenn sie einfach einen neuen Nachfolger ausrufen? Er könnte auch ohne die Bestätigung des göttlichen Herrschers regieren und wenn sie dann ganz Khemet unter ihre Kontrolle gebracht hätten, wäre es sowieso egal.“

Neferhetep wollte gerade antworten, als Bewegung in die feindlichen Truppen kam. Die Infanteristen hatten ihre geschlossenen Reihen aufgegeben und einzelne Blöcke gebildet. Zwischen den Blöcken kamen nun die Bogenschützen hervor.

„Es geht los. Sie wollen die Mauern angreifen. Ich nehme an, die Bogenschützen sollen unsere eigenen Bogenschützen auf den Mauern niederhalten und die Infanteristen werden dann die Lücken angreifen.“

Im Osten, noch unter der strahlenden Gestalt des Herrn Re, entstand ebenfalls Bewegung. Ein einzelner, vielfach hintereinander gestaffelter Truppenkörper begann sich dort zu entfalten. Deutlich waren die Infanteristen mit ihren Speeren in den ersten Reihen zu erkennen. Erst dahinter konnte Kutari die Bogenschützen ausmachen.

Geschlossen begannen sich die Infanteristen zu bewegen und hielten auf die Angreifer zu. Kutari wunderte sich zunächst, dass bei den feindlichen Truppen im Süden keine Reaktion erfolgte, doch dann machte er sich klar, dass er von hier oben viel weiter sehen konnte, als die Leute am Boden. Dort war nun auch der geplante Angriff ins Stocken gekommen. Man hatte wohl nun ebenfalls die Feinde bemerkt, die jetzt ihre rechte Flanke bedrohten.

Neferhetep konnte erkennen, wie die Bogenschützen wieder hastig hinter die Infanteristen zurückgezogen wurden. Der feindliche Befehlshaber musste jetzt eine Entscheidung treffen. Die größere Bedrohung für ihn kam nun aus dem Osten. Sollte er sich direkt diesem Feind stellen, oder sich zurückziehen und neu formieren?

Die Entscheidung wurde sichtbar, als die lange Linie der Infanteristen herumschwenkte und sich nun dem Feind im Osten stellte. Damit kamen die Truppen an der linken Flanke allerdings ziemlich dicht an die Stadtmauer von Tanis. Die dort stationierten Bogenschützen begannen den Feind zu beschießen und sorgten für erste Verwirrung unter den Truppen von Tjeku.

„Ich denke, sie haben einen Fehler gemacht.“

Neferhetep fuhr herum und sah Kutari fragend an. Der deutete nach Westen, wo sich über den ganzen Horizont verteilt, Bewegungen ausmachen ließen.

„Ich würde sagen, das ist das Regiment des Stiers. Wenn es so ist, dann haben die sich den bestmöglichen Zeitpunkt ausgesucht um hier zu erscheinen.“

Neferhetep sah ebenfalls angestrengt nach Westen.

„Ich werde Seth und Anubis ein Dankopfer bringen.“ murmelte er.

Amenhotep in Tjeku

Vor den Toren von Tjeku war die Lage vollkommen anders. Der Heru Pa-Djet Montmose hatte mit seinen beiden Regimentern die Stadt erreicht, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Stadtmauern von Tjeku waren nicht so mächtig wie die von Tanis oder gar von Men-nefer, doch sie waren gänzlich anders gebaut worden.

Vor jedem der mächtigen Stadttore gab es anstatt eines Vortores mit geraden Seitenbefestigungen, eine fast halbkreisförmige Befestigung vor den Toren. Tjeku war noch zu Zeiten des Chaos gebaut worden, bevor der große Pharao Ahmose I. das Reich vor über 100 Jahren wieder einen konnte. Die Befestigungen hatten noch die Hyksos erbaut.

Wenn die Nachrichten stimmten, würde die Stadt lediglich von zum Dienst verpflichteten Bauern verteidigt werden. Montmose war nicht so leichtsinnig, sich darauf zu verlassen. Erstens verteidigten sie ihre Heimat und waren deshalb schon nicht zu unterschätzen und zweitens war auf solche Nachrichten auch nicht immer Verlass.

Prinz Amenhotep hatte klar gemacht, dass eine lange Belagerung nicht in Frage kam. Es mussten also andere Möglichkeiten gefunden werden, die Stadt so schnell wie möglich zu erobern. Etwas verunsichert sah Montmose eine kleine Gruppe von Streitwagen näherkommen und erkannte dann Prinz Amenhotep. Seufzend erkannte er, dass seine Aufgabe soeben noch etwas schwieriger geworden war.

„Wie weit sind wir, Montmose?“

„Die Truppen haben die Stadt eingeschlossen. Die Tore sind versperrt, die Mauern und Türme besetzt. Wir erkunden gerade, ob es irgendwelche Schwachstellen in den Mauern gibt.“

Amenhotep nickte. Das war das übliche Verfahren. Normalerweise wurden den Eingeschlossenen ein paar Tage Zeit gegeben, um über ihre Lage nachzudenken und dann wurden die ersten Unterhändler geschickt. Dafür hatte er jetzt keine Zeit.

„Lass einen Unterhändler klar machen. Sie wissen ohnehin schon, was sie erwartet. Mich interessiert die Stadt nicht. Ich will den Nomarchen mitsamt seiner Familie. Und zwar bis heute Abend. Wird er ausgeliefert, bleibt die Stadt wie sie ist. Keines unserer Regimenter wird die Stadt betreten. Wird er nicht ausgeliefert wird die Stadt erobert, geplündert und geschleift bis auf den letzten Ziegel.“

Montmose hob erstaunt die Augenbrauen. Das war eine Bestrafung für eroberte Städte während eines Feldzuges im Ausland. Noch nie war solches für eine eigene Stadt angeordnet worden.

Hauptmann Inari war als Adjutant des Heru Pa-Djet dazu ausersehen, die Verhandlungen zu führen. Zu Fuß und nur mit einer kleinen Eskorte zog er zum Haupttor der Stadt. Dort gab es einige Aufregung, denn man hatte einen Unterhändler noch nicht so früh erwartet. So dauerte es auch eine Weile, bis eine kleine Gruppe von Personen aus dem Tor trat. Man einigte sich auf einen schattigen Platz bei einem kleinen Palmenhain an der Hauptstraße.

Der Leiter der Gruppe aus Tjeku war zu Inaris Erstaunen ein Priester in einem einfachen Leinengewand, der ein Amulett der Sachmet trug.

„Ich bin Berat, Hohepriester der Sachmet in Tjeku. Da sich der Nomarch geweigert hat, einen Unterhändler zu schicken, hat mich der Bürgermeister gebeten, zu euch zu gehen.“

Inari war verblüfft. Das würde schwieriger werden, als er befürchtet hatte.

„Ich bin Hauptmann Inari. Prinz Amenhotep ist vor den Toren der Stadt und wünscht auf Befehl des göttlichen Herrschers Aufklärung über die Vorgänge im ganzen Gau. Dazu verlangt er die Auslieferung des Nomarchen und seiner Familie.“

Jetzt war Berat verblüfft.

„Man hat uns gesagt, eine Verschwörung gegen den göttlichen Herrscher, lang möge er leben, sei im Gange. Und nur unser Nomarch würde noch zu ihm halten.“

Hauptmann Inari schüttelte vehement den Kopf.

„Der Prinz ist hier, um diese Dinge aufzuklären. Deshalb will er den Nomarchen sprechen, doch dieser zieht sich in seine Stadt zurück und leistet Widerstand gegen den Sohn und Mitregenten unseres Herrschers. Etwas stimmt hier nicht.“

Die beiden Männer schwiegen sich einen Moment an.

„Die Befehle des Prinzen sind eindeutig.“

Inari verbeugte sich förmlich und zückte einen Papyrus.

„Dies sind die Worte des Amenhotep, Sohn des göttlichen Herrschers Men-cheper-re, gegeben im 54. Jahre der Regierung vor den Toren von Tjeku im östlichen Harpunengau.“

Beide Männer verbeugten sich bei der Nennung des Namens des göttlichen Herrschers.

„Ich bin erschienen vor der Stadt Tjeku. Der Herrscher des Nomos, eingesetzt von meinem göttlichen Vater, sollte Antwort geben zu seinen Reden und Taten. Doch er verschloss sein Herz und die Tore seiner Stadt. Die Stadt interessiert mich nicht. Ich will die Antworten des Nomarchen. Deshalb soll er erscheinen vor mir, mitsamt seiner Familie, bis zu dem Abend an dem dieses übersandt wird. Wird er freiwillig erscheinen oder ausgeliefert, bleibt die Stadt verschont. Keines der Regimenter unseres göttlichen Herrschers wird die Stadt betreten. Wird der Nomarch nicht den Befehlen gehorche, so soll die Stadt erobert, geplündert und geschleift werden bis auf den letzten Ziegel.“

Berat erbleichte sichtlich bei der Drohung. Mühsam erhob sich der alte Mann.

„Ich werde dem Bürgermeister berichten. Und dieser hoffentlich dem Nomarchen. Ich kann euch nichts versprechen.“

Inari nickte lediglich und sie begaben sich wieder jeder zu ihren Anführern.


Es dauerte lediglich wenige Stunden, bis sich das Haupttor der Stadt öffnete. Eine ganze Reihe von Leuten wurde unter Bewachung herausgeführt. Der Heru Pa-Djet Montmose wartete an der gleichen Stelle, an der auch die Besprechung der Unterhändler stattgefunden hatte. Hauptmann Inari stand neben ihm.

„Das ist der Hohepriester Berat. Sein Begleiter dürfte wohl der Bürgermeister sein.“

Montmose nickte und betrachte den Zug von Gefangenen, der hinter den beiden Männern herangeführt wurde. Es waren Beamte unter ihnen, Schreiber, aber auch Diener und Sklaven. Anscheinend hatte man den gesamten Haushalt des Nomarchen festgenommen und herausgeführt.

Berat verbeugte sich vor dem Heru Pa-Djet.

„Wir haben getan, wie verlangt wurde, Herr. Dies hier ist Bürgermeister Imhet. Er hat die Soldaten dazu veranlasst, den Nomarchen und seinen Haushalt festzusetzen.“

Eine laute Stimme drang nun von den Gefangenen herüber.

„Ich bin der rechtmäßige Herrscher dieses Nomos. Ihr seid alle Hochverräter und werdet den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen. Ich verlange, sofort freigelassen zu werden!“

Heru Pa-Djet Montmose wandte sich der Stimme entgegen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Er hob seine rechte Hand, in der sich eine gesiegelte Rolle befand.

„Dies ist ein Dekret des Mitregenten Prinz Amenhotep. Antef, Nomarch des östlichen Harpunengaus ist aller seiner Ämter entkleidet. Seine Herrschaft und die seiner Nachkommen ist ihm genommen. Er wird samt seines Haushalts nach Theben gesandt und vor unseren göttlichen Herrscher gebracht, dass er sich zu verantworten habe am Verrat an unserem göttlichen Herrscher, der Preisgabe des Landes an einen Feind und des Diebstahls von Waren aus den Lagern des Herrschers und der Tempel zur persönlichen Bereicherung.“

Ein Aufschrei ertönte von dorther, wo auch das erste Mal die Stimme ertönt war.

„Das ist unmöglich! Niemand kann mich meiner Ämter entheben. Ich bin der Herrscher eines Nomos. Wo ist dieser sogenannte Prinz? Er soll es mir selber sagen.“

Montmose lächelte leicht. Es war immer so. Je mehr Macht jemand ausgeübt hatte, desto stärker versuchte er daran festzuhalten.

„Er kann und er hat. Er ist ebenfalls Regent von Khemet und handelt mit der Stimme des göttlichen Herrschers. Ihm allein ist Khemet untertan, mit allem Land, allen Menschen und allen Dingen. Gehorche den Worten deines Herrschers. Der Prinz ist längst auf dem Weg nach Tanis.“

Montmose nickte zufrieden, als keine Antwort mehr kam.

Kutari in Tanis

Die Schlacht verlief, wie Kutari es vorausgesehen hatte. Das Regiment aus Tjeku hatte sich dem Feind im Osten zugewandt und verhielt sich abwartend. Anscheinend war der Kommandeur überrascht von der Anwesenheit einer so großen Truppe direkt neben der Stadt.

Dadurch, dass Kutari und Neferhetep erheblich höher standen als die Regimenter auf dem Boden, hatte der feindliche Kommandeur die Bedrohung aus dem Westen noch gar nicht wahrgenommen. Dies war wohl der Hauptgrund für seine Fehlentscheidung.

Er veranlasste seine Truppen, das im Osten stehend Regiment anzugreifen. Obwohl seine Truppen nicht in der Überzahl waren, glaubte er eventuell, es mit einem Milizregiment des Ostgaus zu tun zu haben. Diesem wären seine gut ausgebildeten Soldaten deutlich überlegen gewesen.

Schon waren die vordersten Linien in erste Kampfhandlungen verstrickt, als die Kundschafter das Herannahen weiterer Truppen aus dem Westen meldeten. Der Kommandeur wusste genau, dass es keine eigenen sein konnten. Ihm blieben nicht mehr viele Möglichkeiten. Das Gefecht im Osten hatte bereits begonnen, gegen Norden lag die Stadt mit ihren Bogenschützen und von Westen nahte ein weiterer Feind. Sie konnten nur noch nach Süden fliehen, doch dazu müssten sie sich aus dem Gefecht lösen, was dazu führen würde, dass die Gegner ihnen direkt nachsetzen konnten.

Neferhetep sah dem Gefecht im Osten zu und überhörte fast Kutari.

„Sie schicken Unterhändler.“

„Was?“

„Sie schicken Unterhändler. Es sieht so aus, als ob der Kommandeur aus Tjeku kapitulieren will.“

Neferhetep spähte hinunter.

„Tatsächlich. Kann das sein? Wir haben gewonnen?“

Kutari seufzte.

„Diese Schlacht vielleicht, aber es ist noch nicht vorüber.“

Bis zum Höchststand des Herrn Re war alles vorüber. Die Toten und Verletzten waren vom Schlachtfeld getragen worden und die Reste des Regiments aus Tjeku befanden sich in Gefangenschaft.

Netermest in Men-nefer

Die Barke von Prinz Netermest traf einen Tag später in Men-nefer ein. Sie war von einem Patrouillenboot angehalten worden und der Schiffsführer hatte ihm Anweisungen von Prinz Amenhotep übergeben. Netermest las sie kurz durch und ließ den Hafen ansteuern. Er wurde, genau wie Kutari, von einer kleinen Gruppe von Würdenträgern begrüßt, die ihm eine Einladung des Nomarchen überbrachten.

Fürst Menemhet berichtete über die letzten Ereignisse in Men-nefer und dem Kriegszug nach Tjeku und Tanis. Netermest staunte, welche Auswirkungen die Ermittlungen von Kutari und ihm angenommen hatten.

Am Nachmittag hatte der Prinz eine Besprechung über das weitere Vorgehen angesetzt, zu dem auch Pashtu, Rehema und Neferhotep eingeladen waren. Die Besprechung fand im Teich des Palastes statt. Die meisten Reisenden glitten erleichtert ins Wasser. Rehema staunte nicht schlecht. Das Baden im Teich schien bei den höheren Kreisen doch sehr beliebt zu sein.

Die hygienischen Bedingungen an Bord hatten doch zu wünschen übriggelassen und so machten erst einmal etliche Schälchen mit Asche oder Natron die Runde. Rehema war überrascht, wie viele Paare sich bildeten und die Reinigung eindeutig mit angenehmeren Handlungen verband. Auch er sah sich plötzlich einem jungen Mann gegenüber, der sich mit einer Schale in der Hand genähert hatte.

„Ich bin Userib. Möchtest du auch gewaschen werden?“

Rehema zögerte erst, dann flüsterte er Userib etwas zu. Der Junge schien etwas enttäuscht zu sein, doch dann nickt er. Geschickt begann er Rehema einzureiben und abzuspülen. Rehema spürte die Hände von Userib überall, ohne dass sie jedoch die Grenzen des Schicklichen übertraten. Als Rehema zum Abspülen tauchte, wollte Userib schon gehen, doch der Soldat nahm dem jungen Schreiber die Schale aus der Hand.

„Jetzt bin ich dran.“

Etwas überrascht übergab Userib die Schale mit der Asche und überließ sich den fremden Händen. Unwillkürlich erschauerte er bei den Berührungen und Rehema bemerkte halb amüsiert, halb ungehalten, wie sehr Userib darauf reagierte. Dennoch machte er weiter und scheute sich nun auch nicht, wirklich jede Körperpartie zu waschen. Userib stand schwer atmend und mit geschlossenen Augen im Wasser, als Rehema beschloss, den armen Kerl nicht so zu quälen. Kurz entschlossen ließ er auch dem letzten noch unbearbeiteten Körperteil eine schnelle, intensive Behandlung zukommen. Userib riss erstaunt die Augen auf und stieß einen leisen Schrei aus. Als er wieder Luft bekam, sah er Rehema fragend an.

„Du hast doch gesagt…“

Rehema grinste leicht.

„Ich wollte die Angelegenheit nicht so im Raum stehen lassen.“

Beide lachten leise und Useribs Blick glitt an Rehema herab.

„Und was ist damit?“

Rehema sah nun ebenfalls an sich herab und zuckte mit den Schultern. Einen Moment überlegte er, dann sah er in Useribs braune Augen.

„Sei vorsichtig damit. Nicht so stürmisch.“

Es war für Rehema ein merkwürdiges Erlebnis. Er spürte seine Erregung und sah den schlanken jungen Mann vor sich, dessen eigene Erregung immer noch deutlich sichtbar war. Dies war etwas gänzlich anderes, als bei einer Frau zu liegen. Hier gab es keine Fragen oder peinliche Verrenkungen. Der Körper vor ihm war wie sein eigener.

Rehema ließ sich ein auf das Spiel der Hände auf seinem Körper und unbewusst ließ er auch seine Hände wieder wandern. Er fand die Erregung seines Gegenübers und beide waren wie im Rausch. Wie der Bruch eines Damms kam der Höhepunkt über sie beide und Rehema sah schwer atmend auf den zitternden Userib herab. Langsam zog er ihn an sich, sah ihm in die Augen und gab ihm einen Kuss. Dann schlang er seine Arme um ihn und presste ihn fest an sich.

Es verging eine ganze Weile, während der sich Userib nicht bewegte und die Umarmung sichtlich genoss. Dann seufzte er leise.

„Du musst mich leider wieder loslassen. Ich habe noch etwas Arbeit vor mir.“

Rehema lockerte seine Umarmung bedauernd und als Userib sich von ihm löste, hatte er ein merkwürdiges Gefühl von Verlust. Er wurde durch Userib aus seinen Gedanken gerissen.

„Was hat er denn für ein Problem?“

Userib deutete zu Neferhotep, der alleine am Beckenrand stand und mit sehnsüchtigen Blicken hinüberstarrte zu Pashtu. Dieser war in einem sehr intensiven Gespräch mit Simut. Die beiden erzählten und lachten, als ob sie sich schon Jahre kennen würden.

„Das da hinten ist der Standartenträger Pashtu. Er macht hier Feindaufklärung. Und das hier vorne ist mein Kamerad Neferhotep. Die beiden hatten wohl etwas zusammen und nun… keine Ahnung.“

„Aha. Derjenige, mit dem Pashtu redet, ist Simut, Wagenlenker aus dem persönlichen Stab von Prinz Amenhotep. Auch ein Standartenträger, soviel ich mitbekommen habe.“

„Hm, da könnten sie sich sogar von Früher kennen.“

Userib nickte, dann deutete er wieder auf Neferhotep.

„Er hat gar keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Pass mal auf, was gleich passiert.“

Userib hatte bemerkt, wie sich Meketre und Simsu langsam Simut näherten. Sie stellten sich links und rechts von ihm und gaben ihm jeweils einen Kuss auf die Wangen.

Rehema hob die Augenbrauen.

„Gleich zwei?“

„Es ist ein bisschen kompliziert, aber vielleicht kann dir einer von ihnen ja ihre Geschichte mal erzählen.“

Pashtu wurde durch die kleine Aktion schlagartig an Neferhotep erinnert und er sah sich hektisch um. Als er ihn am Beckenrand bemerkte, watete er hinüber. Rehema erkannte, dass Pashtu Neferhotep etwas fragte, worauf dieser etwas trotzig den Kopf schüttelte. Pashtu grinste leicht. Dadurch, dass Neferhotep bis zum Bauch im Wasser stand, konnte Rehema nicht erkennen, was Pashtu machte, doch die großen Augen und das überraschte Gesicht von Neferhotep ließen da einige Rückschlüsse zu.

Chaemwase saß auf dem Beckenrand und sah dem munteren Treiben im Teich ruhig zu. Abgelenkt von den zahlreichen gegenseitigen Waschungen kraulte er Sethnacht automatisch hinter den Ohren. Er hatte sich inzwischen mit dem Hund angefreundet und Sethnacht folgte ihm fast so oft wie er Huni begleitete.

Sethnacht lag auf dem Bauch, die Vorderpfoten nach vorne ausgestreckt und der Kopf darauf abgelegt. Fast sah er aus wie eine der Darstellung des Göttertiers von dem er seinen Namen hatte. Chaemwase folgte dem Blick des Hundes. Huni wurde gerade von Haran gewaschen und Chai konnte deutlich die Freude erkennen, die beide daran hatten.

Etwas traurig dachte der junge Diener an seine Zeit in Abedju zurück. An das Haus der Nebet, seinen Vater und an das, was er Huni angetan hatte. Unerwartet wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

„Möchtest du nicht ins Wasser?“

Chai fuhr herum und sah Nebamun, der sich ihm genähert hatte. Fragend sah sich Chai nach Netermest um, doch der war in einem Gespräch mit Gemni und Pachred. Chai zögerte mit seiner Antwort. Nebamun setzte sich neben ihn.

„Es sind die Erinnerungen, richtig?“

Chai nickte.

„Es ist hier so anders. Der Umgang miteinander, die Beziehungen, das Leben. Ich habe bisher noch nicht gesehen, dass jemand geschlagen wurde. Warum ist das so? Und niemand hat Angst vor dem Herrn. Alle scheinen ihn zu lieben.“

Chai unterbrach sich, als er realisierte, wer neben ihm saß. Doch Nebamun lachte leise.

„Ja, es stimmt. Alle lieben ihn. Doch nur einer hat sein Herz gewonnen. Aber sag, gibt es hier auch jemanden, den du magst? Du sollst ja nicht alleine hier sitzen. Auch wenn Sethnacht ein treuer Begleiter ist, so redet er äußerst wenig.“

Chai lachte, doch sein Gesicht wurde schnell wieder ernst.

„Der Junge aus dem Tempel. Der, den mein…, nein, er ist nicht mehr mein Vater. Er hat ihn gezeichnet, so wie er den Berichten nach auch Paneb gezeichnet hat. Er ist wunderschön, doch ich weiß nicht, wie ich ihm gegenüber treten soll. Wenn er mich ansieht, wird er meinen Vater in mir erkennen.“

„Du bist nicht dein Vater. Du bist Chai. Mach ihm klar, dass du dich von ihm unterscheidest, dass du eine eigene Person bist. Gib ihm die Möglichkeit, dich kennenzulernen.“

Chai nickte zögernd. Nebamun ließ sich ins Wasser herab und watete in Richtung des flachen Wassers. Chai sah ihn ein paar Worte mit Imichet wechseln und der ehemalige Novize kam näher. Seit er aus dem Tempel entlassen worden war, hatte er seinen Kopf nicht mehr rasiert und die ersten schwarzen Haare gaben ihm ein merkwürdiges Aussehen. Chai erkannte, dass er eine Schale mit Asche mitgebracht hatte.

Imichet betrachtete Chaemwase einen Moment lang, dann seufzte er.

„Du siehst aus wie dein Vater und ich habe mich ein wenig gefürchtet, als ich dich das erste Mal sah. Nebamun hat mit mir gesprochen und gesagt, ich soll nicht auf das Äußere achten. Es ist schwer, aber ich werde mich bemühen. Er hat mir außerdem gesagt, du würdest mich schön finden. Wie kann das sein?“

Unbewusst hob er seine linke Hand und berührte seine Narbe. Chai sah ihn erstaunt an.

„Hast du dir gerade selbst nicht zugehört? Du sollst nicht auf das Äußere achten. Für mich bist du schön.“

„Aber was ist weiter mit mir? Du weißt, was für einer Arbeit ich nachgehen musste. Stört es dich nicht?“

Chai nickte ernsthaft.

„Ich weiß, was du getan hast, um dieser Arbeit zu entkommen. Deshalb bist du ja auch nicht nur schön, sondern auch gefährlich.“

Mit einem tiefen Seufzer sah Chai nun Imichet in die Augen.

„Ich hoffe, dass ich nicht auch deinem Biss zum Opfer falle.“

Imichet überlegte einen Moment, dann weiteten sich seine Augen vor Erstaunen. Wollte Chai damit etwa sagen, dass sie beide… Entschlossen setzte Imichet die Schale mit der Asche auf dem Beckenrand ab und zog Chai ins Wasser. Er nahm etwas Asche und begann Chai zu reinigen.

Sethnacht sah den beiden zunächst interessiert zu, dann schloss er seine Augen. Er wusste, was die beiden machen würden. Er konnte es riechen.

„So, da ja jetzt alle einigermaßen sauber geworden sind, wenn auch erst nach mehrmaligem waschen, können wir zur Arbeit übergehen.“

Nach einem leisen Gelächter fasste Prinz Netermest die Ereignisse in Men-nefer zusammen. Pashtu hielt einen kurzen Vortrag über die geplanten Einsätze der Regimenter in Tanis und Tjeku.

Als letzter durfte Rehema über die Gefangennahme der Prinzessin und den Tod des Schreibers Kermat berichten. Netermest schien etwas enttäuscht.

„Es sieht so aus, als ob wir hier warten können, bis alle wieder zurück sind. Wenn sich die Jagd bis zum Timsah-See hinzieht, wird das noch ein paar Tage dauern. Wir werden die Gastfreundschaft des Nomarchen in Anspruch nehmen und hier auf unsere Truppen warten. Lasst uns langsam losgehen und sehen, was es etwas zu essen gibt.“

Einige erhoben sich und wandten sich dem Palast zu. Userib sah Rehema fragend an.

„Wirst du die Nacht mit mir verbringen?“

Rehema war überrascht. Wohin würde das führen? Wollte Userib mehr von ihm? Würde er das überhaupt wollen? Alle Gedanken verflogen, als er in Useribs niedliches Gesicht blickte.

Niedlich? Was habe ich hier begonnen?‘

„Du bist ein Schreiber und ich bin nur ein einfacher Soldat.“

Userib wurde etwas ungehalten.

„Ja und? Simut ist Wagenlenker und Simsu ein einfacher Fischer. Sieh dort drüben, Userhet ist ebenfalls Wagenlenker und Simi war Ziegenhirte. Selbst der Prinz hat einen Leutnant erwählt.“

Rehema blickte überrascht um sich, als Userib anfing zu grinsen.

„Ich bin zwar ein Schreiber, doch ich habe auch eine ganz besondere Binse. Eine, mit der ich meine Tinte über deinen Körper verteile um sie danach…“

Userib hielt erschrocken inne und wurde etwas rot. Rehema sah ihn an und lachte. In der Nacht widmete er sich einem kleinen Schreiber und dessen ganz besonderer Binse.


Der nächste Morgen verlief zunächst angenehm ruhig. Rehema wachte neben Userib auf und betrachtete dessen schlanken Körper. Warum waren ihm früher nie die Körper der anderen Jungen als begehrenswert vorgekommen?

Simut sah lächelnd von Simsu zu Meketre. Es war eine besondere Nacht für den jungen Diener gewesen. Simsu hatte sich ihm angeboten und Meketre wollte es kaum glauben. Der sonst so unnahbare Simsu gab sich ihm freiwillig hin? Simsu lachte, als sich Meketre danach für ihn auf den Bauch drehte und Simut staunte, als sie das mehrere Male abwechselnd die ganze Nacht über taten.

Für Gemni und Haran war der Morgen weniger angenehm, denn das Lager neben ihnen war leer. Pachred und Huni waren unterwegs im Palast um das Frühstück zu organisieren.

Chaemwase hatte die Nacht ebenfalls bei Haran verbracht und hatte nun das zweifelhafte Vergnügen, durch die feuchte Zunge von Sethnacht geweckt zu werden.

Die Ruhe war schlagartig beendet, als die Tür zu Prinz Netermests Schlafraum aufgerissen wurde und eine Stimme schrie

„Sie ist weg!“

Netermest und Nebamun fuhren hoch und sahen sich etwas orientierungslos um.

„Was ist los? Pachred, was soll das?“

„Die Prinzessin! Sie ist weg!“

[1] frei interpretiert nach den medizinischen Papyri Ebers und Smith

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