zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die Söhne des Pharao

Teil 3

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

In der Schreibstube des Hafenkapitäns begann es ein wenig hektisch zu werden. Leutnant Nebamun war hereinspaziert und von einem der Schreiber sofort angehalten worden.

„Wer seid ihr und was wollt ihr?“

Nebamun hatte vor seiner Ernennung zum Offizier nur die Grundlagen von Lesen und Schreiben erlernt, deshalb ärgerte es ihn immer wieder, wenn irgendwelche Schreiber versuchten, ihre noch so geringe Macht auszuspielen. Dabei waren der Brustpanzer und sein Offiziersstab doch nicht zu übersehen.

„Mein Name ist Leutnant Nebamun und ich will den Hafenkapitän sprechen.“

„Ja, natürlich. Da könnte ja jeder kommen.“

Die etwas höhnische Antwort missfiel Nebamun deutlich, so dass er schon jetzt zu einer Maßnahme griff, die Netermest ihm nur als letztes Mittel angeraten hatte. Er griff in seinen Beutel und holte einen winzigen Skarabäus hervor. Der nur etwa daumennagelgroße Käfer trug auf seinem Rücken eine feine Gravur: Mn chpr re - Mencheperre, der Thronname des göttlichen Pharao. Diese Skarabäen waren nur den persönlichen Boten des göttlichen Pharao vorbehalten.

Die Augen des Schreibers quollen hervor und er begann zu stottern, während er sich schnell erhob und in ein Zimmer hinter ihm eilte. Der Mann, der nur einen Moment später daraus hervorkam, war erheblich ruhiger. Er war groß, etwas schwergewichtig und sein Haar war schon leicht ergraut. Dennoch musterte er Nebamun aus aufmerksamen Augen.

„Ihr kommt mit einem schwerwiegenden Auftrag, Leutnant. Kommt nach hinten durch und wir werden alles in Ruhe besprechen.“

Nebamun trat in den hinteren Raum und der ältere Mann bot ihm einen Stuhl an, während er sich selbst auf einen weiteren Stuhl hinter einem Schreibtisch setzte.

„Ich bin Uniwaset, der Hafenkapitän des Handelshafens von Theben. Welches Anliegen hat unser göttlicher Herrscher, lang möge er leben?“

„Um genau zu sein, bin ich hier im Namen des Prinzen Netermest. Es hat einige Vorfälle gegeben, nach denen der göttliche Herrscher den Prinzen mit deren Aufklärung beauftragt hat. Wir haben bei der Beschlagnahme eines Handelsschiffes Dieses hier dem Kapitän abgenommen.“

Nebamun befreite nun auch das Siegel aus seinem Beutel und legte es vor dem Hafenkapitän auf den Tisch. Erstaunt nahm dieser es auf und besah es sich von allen Seiten.

„Unglaublich, aber es scheint echt zu sein.“

Nebamun hob die Augenbrauen und der ältere Mann lächelte.

„Seht her. Diese Rollsiegel sind sehr alt. Heutzutage verwendet man hauptsächlich Skarabäen mit gravierter Unterseite als Stempelsiegel. Der oberste Verwalter der königlichen Häfen hat jedoch angeordnet, dass die Hafenbehörden nach wie vor Rollsiegel verwenden, weil die Abrollfläche größer und schlechter nachzumachen ist. Jedes Siegel hat hier an der Stirnseite eine winzige Markierung. Es sind die Zahlzeichen von eins bis zwölf.“

Nebamun war aufgestanden und musterte nun die Stelle, die Uniwaset ihm zeigte. Er konnte eine winzige ‚fünf‘ erkennen. Uniwaset ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein identisches Siegel auf.

„Dies hier ist meins.“

Nebamun betrachtete es genau und fand eine ‚eins‘.

Uniwaset ging zur Tür.

„Sethnefer! Alle Beamten des Kontrolldienstes sollen sofort ihre Siegel hier abgeben. Und wenn ich sage sofort, dann meine ich auch sofort!“

Nebamun hörte hektische Geräusche und Gepolter von draußen und dann eine ganze Weile gar nichts mehr. Während der nächsten Stunde wurden von mehreren verwirrten oder auch erzürnten Beamten ihre Siegel abgeliefert. Das Ergebnis war allerdings nicht so, wie Nebamun es sich vorgestellt hatte. Vor ihnen auf dem Tisch lagen dreizehn Rollsiegel. Aufgeregt sah der Hafenkapitän alle Siegel durch und legte dann zwei heraus. Beide Siegel trugen auf ihrer Stirnseite eine ‚fünf‘. Sie waren in keiner Hinsicht voneinander zu unterscheiden.

„Was ist hier geschehen?“

Kapitän Uniwaset war ehrlich erschüttert und schüttelte nur den Kopf. Nebamun nahm eines der beiden Siegel mit der ‚fünf‘ auf.

„Wem gehört das Siegel Nummer fünf?“

Uniwaset sah auf seine Liste.

„Dem Schreiber Unamat. Er ist seit zehn Jahren Beamter im Kontrolldienst. Eigentlich ein sehr zuverlässiger Mann.“

„Ich hätte ihn gerne gesprochen.“

„Selbstverständlich.“

Nur kurze Zeit später stand ein dicklicher Mann um die dreißig im Büro des Hafenkapitäns. Sein Gesicht zeigte Neugier und er schien kein schlechtes Gewissen zu haben.

Der Hafenkapitän nahm eines der fraglichen Siegel auf und zeigte es Unamat.

„Ist dies dein Siegel?“

Der Schreiber nahm es entgegen und kontrollierte die Nummer.

„Ja, Herr. Hier, die Nummer fünf.“

„Und dieses hier?“

Jetzt bekam Unamat das zweite Siegel. Er kontrollierte auch dieses und erbleichte sichtlich.

„Das… das verstehe ich nicht, Herr. Wie können zwei gleiche Siegel existieren?“

Nebamun ergriff nun das Wort.

„Habt ihr euer Siegel die ganze Zeit sicher verwahrt? Habt ihr es jemandem gegeben oder war es eine Zeitlang verschwunden?“

Unamat schüttelte entsetzt seinen Kopf.

„Nein! Niemals. Nicht einmal während des Unfalls habe ich es aus den Augen gelassen.“

Nebamun und Uniwaset sahen sich an. Der Hafenkapitän nickte verständnisvoll und bedachte Unamat mit einem undefinierbaren Blick.

„Das ist doch schon fast zwei Jahre her. Du bist zu Hause die Treppe hinuntergefallen, nicht wahr?“

Unamat wunderte sich, dass der Hafenmeister sich eine solche Kleinigkeit gemerkt hatte.

„Ja, Herr. Meine Frau hat mich gepflegt und das Siegel lag die ganze Zeit in unserer Truhe.“

„Du hast es jeden Tag kontrolliert?“

„Äh, nein, Herr. Ich konnte ja nicht aufstehen. Aber wer sollte schon an unsere Truhe gehen?“

Wieder wechselten der Hafenkapitän und Leutnant Nebamun einen Blick.

„Unamat, ich möchte, dass du den jungen Leutnant hier zu deinem Haus führst und ihm zeigst, wo das Siegel aufbewahrt worden ist. Warte bitte draußen einen Moment.“

Unamat verbeugte sich etwas verwirrt, aber er gehorchte der Anweisung seines Vorgesetzten. Als er den Raum verlassen hatte, schüttelte der alte Mann sprachlos den Kopf.

„Die Anweisung lautet, wenn man nicht zur Arbeit kommen kann, wird ein Bote geschickt und holt das Siegel ab, so lange es nicht gebraucht wird. Er wird zur Rechenschaft gezogen werden. Was im Haus passiert, dafür bin ich leider nicht zuständig.“

Nebamun nickte zustimmend und überdachte, was alles hinter diesem einfachen Satz verborgen war. Er nahm beide Siegel an sich, dabei fiel ihm etwas anderes ein.

„Wisst ihr zufällig, wer die Siegel hergestellt hat?“

„Leider nein. Das müsste einer der königlichen Steinschneider gewesen sein. Die Auskunft kann euch sicherlich der Aufseher der königlichen Juweliere geben.“

Nebamun bedankte sich und bedeutete dem im Vorraum wartenden Unamat, ihm nach draußen zu folgen. Nebamun schickte den Wagenlenker mit seinem Gespann zum Südflügel des Palastes. Bei seiner Arbeit in der Stadt würde ihn der Wagen eher hindern als nützlich sein. Von Nebamun und zehn Bogenschützen gefolgt führte Unamat sie zu einem kleinen Haus, dicht am Flussufer. Von Drinnen hörte man das Gekeife einer Frau und Unamat seufzte vernehmlich.

„Meine Frau Nefertari.“

Sie traten durch die kleine Pforte in einen Vorgarten, wobei die Bogenschützen auf der Straße warteten. Als Nebamun hinter Unamat das Haus betrat, sah er eine Frau, etwa um die dreißig. Ihre Gestalt war hager und das Gesicht glich eher der Geiergöttin Nechbet, anstatt ihrem Namen als ‚Schöne‘ gerecht zu werden. Mit hoher Stimme prasselten Schimpfworte auf zwei Halbwüchsige herab, die mit hängenden Köpfen vor ihr standen.

„Ihr seid zu dämlich, einen einfachen Backofen zu betreiben. Seht her, die Brote sind schwarz…“

Unwirsch fuhr sie herum als sie ihren Ehemann hinter sich bemerkte.

„Was willst du denn hier? Hast du nicht zu arbeiten?“

Erst jetzt bemerkte sie den zweiten Besucher und verstummte verblüfft, bis sie ihren Mann anfuhr.

„Und wer ist das? Hast du jetzt schon jemanden zum Trinken mitgebracht?“

Nebamun war erstaunt, ließ sich aber nichts anmerken. Seine Stimme war laut und bestimmt.

„Ihr seid Frau Nefertari, Ehefrau des Beamten Unamat?“

Völlig verdutzt verstummte die Frau und sah Nebamun kämpferisch an.

„Wer will das wissen?“

„Das ist ganz einfach.“

Nebamun nahm eines der Siegel aus seinem Beutel und hielt es so, dass Frau Nefertari es sehen konnte.

„Der Pharao, unser göttlicher Herrscher, will wissen, was mit einem seiner Siegel geschehen ist.“

Die Reaktion von Frau Nefertari verblüffte sowohl Nebamun als auch Unamat. Seine Frau brach förmlich zusammen, warf sich vor Nebamun auf den Boden und versuchte ihr Haar mit Staub zu bedecken.

„Es war doch nur kurz“, heulte sie auf.

„Nur ein einziger Tag. Und dann war es doch wieder an seinem Platz.“

Unamat starrte fassungslos auf seine Frau während Nebamuns Stimme noch härter wurde.

„Wieviel?“

Frau Nefertari heulte wieder auf und murmelte etwas Unverständliches.

„WIEVIEL?“

„Zwei Silberdeben“ jaulte die Frau, während Nebamun den Kopf schüttelte.

Der Schreiber Unamat saß fassungslos auf einem kleinen Hocker und starrte gegen die Wand.

„Wir werden deine Frau mitnehmen und sie dem Haus der beiden Wahrheiten überantworten. Du wirst vom Hafenkapitän der Gerechtigkeit überantwortet.“

„Was ist mit uns?“

Nebamun sah auf und bemerkte nun erst wieder die beiden Jugendlichen, die sich in die äußerste Ecke zurückgezogen hatten. Erst bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte.

„Wer seid ihr beide?“

„Wir sind von Frau Nefertari als Diener eingestellt worden. Mein Name ist Aschait und mein Bruder heißt Meketre. Wir arbeiten hier seit dem letzten Achet.“

Nebamun zögerte, doch dann fiel ihm ein, was im Südflügel des Palastes gerade vor sich gehen musste und er traf einen schnellen Entschluss.

„Frau Nefertari geht zum Haus der beiden Wahrheiten und Herr Unamat wird wohl auch längere Zeit nicht zu Hause sein. Betrachtet eure Arbeit hier als beendet. Folgt mir einfach und wir werden Herrn Tjeti befragen, ob er noch Diener wie euch benötigt.“

Unsicher sahen sich die beiden an, doch dann schob Aschait ihren Bruder in Richtung Ausgang. Nebamun rief zwei der Bogenschützen herein, die Frau Nefertari zu ihrer nächsten Bestimmung bringen sollten. Ebenso wurde der Schreiber Unamat von zwei weiteren Bogenschützen zurück zum Hafen begleitet.

Nebamun machte sich mit den restlichen Bogenschützen und den Geschwistern auf den Weg zum abgesetzten südlichen Palast, wo er hoffte auf Prinz Netermest zu treffen.


Prinz Netermest weilte zusammen mit Prinz Amenhotep und dem Schreiber Gemni im Arbeitszimmer des Tjati.

Nachdenklich blätterte der Wesir in den Berichten, die sich im Laufe der letzten Tage bei ihm angesammelt hatten.

„Es sind insgesamt fünf, sie betreffen Dunmarit, den Obersten Verwalter des Schatzhauses, Unnacht, den Aufseher der Juweliere, das Haus des Kutari, wo im Moment nur ein Verwalter eingesetzt ist, einen Kapitän Lomas und eine gewisse Frau Nebet. Das macht alles keinen Sinn.“

„Wenn wir davon ausgehen, dass diese Befehle herausgegeben wurden, nachdem Fürst Wawerhet aufgefordert wurde, seinen Sohn als Geisel zu übergeben, würde ich sagen, dass jemand versucht, seine Spuren zu verwischen. Alle, die etwas wissen könnten, werden beseitigt.“

Prinz Amenhotep nickte seinem jüngeren Bruder zu, doch der Tjati schüttelte den Kopf.

„Wenn die Befehle aus dem Delta kommen, müssten sie geschrieben worden sein, als Kutari noch gar nicht ernannt worden war. Da stimmt etwas nicht. Welcher war der letzte Hafen dieses Schiffes?“

„Men-nefer, laut Ladeliste.“

Der alte Mann grinste die beiden Prinzen an.

„Also hilft es doch, wenn man eine lebenslange Erfahrung hat. Die Häfen werden nur in der Liste eingetragen, wenn tatsächlich geladen oder gelöscht wurde. Wenn nur jemand an Land geht, wird nichts registriert. Welcher ist der nächste Hafen flussabwärts des Landgutes?“

Beide Prinzen sahen sich an und antworteten gleichzeitig.

„Abedju!“

„Aha. Da scheint noch so einiges vor sich zu gehen. Das sind nur zwei Tagesreisen. Möglicherweise sitzt dort immer noch jemand, der Befehle herausgibt und unsere Schritte beobachtet. Nun aber zu den fünf Opfern hier in Theben. Die Befehle sind etwas vage gehalten, so dass wohl nur der Empfänger genau weiß, was er machen soll. Der Oberste Verwalter der Schatzhäuser hat genug Wachen, um mit jedem Attentäter fertig zu werden. Da habe ich keine Bedenken. Was schwierig werden könnte, wären der Aufseher der Juweliere und das Haus von Kutari. Irgendwelche Vorschläge?“

Prinz Netermest begann zögernd zu sprechen, als beide Männer ihn erwartungsvoll ansahen.

„Eh, also, der Aufseher der Juweliere soll wohl eine Ladung Wein von einem bestimmten Händler erhalten. Das ist einfach zu erledigen. Wir müssen nur darauf achten, den Lieferanten zusammen mit dem Wein festzusetzen.“

Prinz Amenhotep und der Tjati nickten einmütig.

„Diesen Kapitän Lomas werden wir ja wohl irgendwo im Hafen finden können. Was Frau Nebet betrifft, müssen wir sie erwischen, bevor ein Attentäter es macht. Sie hat noch eine ganze Menge Fragen zu beantworten.“

Wieder nickten Prinz Amenhotep und der Tjati, der dann Prinz Netermest ansah.

„Was ist mit dem Haus des Aufsehers der Fragen des Pharao?“

„Das Haus von Kutari übernehme ich persönlich. Ich kenne den Verwalter und möchte auch gleichzeitig mit einem meiner Truppenteile einen Versuch starten.“

Diesmal machte Netermest nur eine kurze Kunstpause.

„Ich möchte die Hunde der Wüstenpatrouille einsetzen.“


Als Prinz Netermest zurück zum Palast kam, war schon von weitem Heulen und Wehklagen zu hören.

Vor dem Tor des Südflügels waren fünf Bogenschützen aufgezogen und sperrten das Tor. Vor dem Tor standen ein gutes Dutzend Leute und lamentierten laut, während Tjeti und Pachred etwas abseits standen und den ganzen Vorgang verständnislos beobachteten.

Gemni sprang vom Wagen und lief hinüber zu Pachred, während ihm Huni erstaunt hinterher sah. Dann dämmerte ihm, was Gemni mit der kryptischen Bemerkung über Beziehungen gemeint hatte.

Feldwebel Umani trat aus dem Tor hervor und warf den Bediensteten einen finsteren Blick zu. Dann wandte er sich an den Prinzen.

„Wir haben die Häuser und die Gärten abgesucht. In zwei Gemächern wurden durch die Hunde Kobras aufgescheucht. Alle zur Verarbeitung bereitgelegten Lebensmittel wurden eingesammelt und werden vernichtet, die Speicher werden gerade kontrolliert. Ebenso wird im Teich das Wasser abgelassen.“

Netermests Gesicht erstarrte etwas und Feldwebel Umani merkte, wie der Unterkiefer des Prinzen anfing zu mahlen.

„Alle Bediensteten, mit Ausnahme von Tjeti und Pachred, gehen zum Haus der beiden Wahrheiten. Wer unschuldig ist, hat nichts zu befürchten. Ich will wissen, was hier in meiner Abwesenheit passiert ist.“

Umani nickte und Netermest wandte sich seinem Verwalter zu. Als sie ihn bemerkten, warfen sich Tjeti und sein Enkel vor ihm auf den Boden.

„Gnade, Herr. Wir haben nichts verbrochen.“

„Das will ich wohl hoffen. Steht auf und seht mir in die Augen.“

Pflichtschuldigst erhoben sich die beiden und Tjeti hielt dem suchenden Blick des Prinzen stand, Pachred jedoch blickte zu Boden.

„Was ist los? Was ist passiert?“

„Wir haben unsere Arbeit nicht richtig erfüllt.“

Etwas irritiert von dieser Aussage sah Netermest zu Tjeti, doch der schien ebenfalls nicht zu wissen, wovon Pachred sprach.

„Welche Arbeit meinst du?“

„Mein Großvater ist der Verwalter. Ihm obliegt die Aufsicht über die Bediensteten. Schon als sie ankamen, waren zwei Männer darunter, die mir nicht gefielen. Ich sagte es Großvater und der sprach mit dem Abgesandten des Obersten Verwalters. Doch dieser wurde wütend und sagte, wir sollen uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern, falls wir weiterhin hier arbeiten wollten. Ich bat Großvater, zum Obersten Verwalter zu gehen, doch er weigerte sich.“

Prinz Netermest warf Tjeti einen strengen Blick zu und tätschelte Pachred an der Schulter.

„Keine Angst. Ihr habt nichts verkehrt gemacht. Nur manchmal sollte man den Mut aufbringen, seine Meinung tatsächlich vorzutragen. Ich habe den Obersten Verwalter als gerechten Mann kennengelernt, er hätte euch bestimmt angehört. Aber das werden wir jetzt nachholen.“

Schweigend musterte Prinz Netermest die beiden Streitwagen, mit denen er hier erschienen war, entschied sich aber innerhalb der Palastanlage dagegen.

„Huni, komm mit. Wir werden den Obersten Verwalter aufsuchen.“

Nur gefolgt von Gemni, Huni und seiner vier Mann starken Leibwache eilte Prinz Netermest durch das Gewirr der Palastanlage um kurze Zeit später die Räume des Obersten Verwalters zu betreten. Im Innenhof sah der Oberste Verwalter erstaunt auf, als der Prinz so eilig eintrat. Rasch entließ er zwei Schreiber, die etwas vorgetragen hatten und begrüßte den Prinzen.

„Prinz Netermest. Welch unerwartete Überraschung. Ist etwas nicht zu eurer Zufriedenheit?“

Der Schreiber des Verwalters eilte los um eine Sitzgelegenheit für den Prinzen zu besorgen. Gemni und Huni suchten sich zwei kleine Hocker aus einer Ecke.

„Das kann man wohl sagen. Ich bin zurück von einer Reise und musste feststellen, dass sich zwei Kobras in meinem Haus befunden haben. Zwei züngelnde und zwei zweibeinige.“

Der Oberste Verwalter prallte förmlich zurück und wechselte einen alarmierten Blick mit seinem Schreiber. Prinz Netermest hatte sich inzwischen soweit gesammelt, dass er ein paar kurze sachliche Informationen über die letzten Vorgänge geben konnte.

„Deshalb brauche ich eine Übersicht darüber, woher die einzelnen Leute stammen, die man meinem Haus zugewiesen hat. Das kann niemand gewesen sein, der schon länger hier arbeitet.“

Rachmose, der Schreiber des Obersten Verwalters, ging eilig los und kam mit zwei Schriftrollen wieder. Hastig rollte er die eine auseinander und zeigte dann Gemni die Stelle, die er gefunden hatte. Gemni sah die Liste rasch durch.

„Es sind tatsächlich zwei dabei, Herr, die noch nicht sehr lange im Dienst des Palastes stehen. Ahmose und Metufer sind neu als Sklaven zugewiesen worden. Sie stammen, hmmm, oh, sie sind aus dem aufgelösten Haushalt einer Frau Nebet aus Abedju.“

Prinz Netermest erstarrte in seinen Bewegungen und sah ungläubig hinüber zu Gemni, lediglich Huni schüttelte den Kopf.

„Das kann nicht sein. Dort gab es keinen Ahmose und auch keinen Metufer.“

Jetzt war Huni plötzlich in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Rachmose sah ihn zweifelnd an.

„Unmöglich. Es ist hier verzeichnet. Die beiden stehen auf der Liste, die erstellt wurde als die Sklaven hier eingeliefert wurden.“

Nach kurzem Suchen wurde eine weitere Liste gezückt und entrollt. Gemni sah sie an und zuckte mit den Schultern. Netermest bemerkte amüsiert, dass auch Huni auf die Liste blickte, obwohl er nicht lesen konnte.

„Jede Reihe ist ein Name?“

Gemni nickte und sah Huni erstaunt zu, der auf jede einzelne Zeile tippte und dabei die Finger seiner anderen Hand zum Zählen benutzte.

„Sie stimmt nicht. Es sind genau eine Hand zuviel.“

Rachmose wollte etwas erwidern, doch Gemni hob seine Hand.

„Huni, sag mir einfach, wer dort war.“

Schnell ratterte Huni die Namen herunter und Gemni kam kaum hinterher sie zu markieren.

„Tatsächlich, es sind fünf zuviel. Wer hat die Liste erstellt?“

„Der Schreiber Kermat. Er ist verantwortlich für die Registrierung aller Neuzugänge, die dem Obersten Verwalter zugeteilt werden. Er sichtet auch die Personen und teilt sie in die einzelnen Gruppen für bestimmte Arbeiten ein. Tatsächlich, hier. Alle fünf von der Liste wurden für höhere und höchste Beamte als persönliche Diener empfohlen.“

Der Oberste Verwalter sprang auf.

„Ich will diesen Kermat sofort hier sehen. Und ich will wissen, ob die anderen drei ebenfalls schon eingeteilt wurden.“

Rachmose wurde hektisch und hatte schon bald ein Ergebnis.

„Ja, Herr. Alle sind eingeteilt. Einer bei Dunmarit, den Obersten Verwalter des Schatzhauses, ein weiterer bei Unnacht, dem Aufseher der Juweliere, und der letzte für das Stadthaus des Fürsten Kamenhet.“

Netermest und Gemni wechselten einen entsetzten Blick.

„Gemni! Zurück zum Südflügel. Wenn Nebamun zurück ist, soll er seine Soldaten zu Dunmarit und Unnacht schicken. Sie dürfen die Personen nicht aus den Augen lassen. Ich bin auf dem Weg zu Fürst Kamenhet. Huni, du gehst mit Gemni, los beeilt euch!“

Die beiden Leibwächter und die beiden für ihn abgeteilten Bogenschützen konnten Prinz Netermest gar nicht so schnell folgen, wie er durch den Palast rannte. Das Stadthaus des Fürsten war am weitesten weg und erst jetzt erkannte Netermest, welchen Fehler er gemacht hatte, als er die Streitwagen zurückließ. Den zweiten Fehler hatte er gemacht, als er einfach loslief. Wäre er mit Gemni zurück zum Haus gegangen, hätte er von dort die Streitwagen nutzen können und wäre immer noch schneller gewesen.

Irritiert dreht sich der Prinz um, als hinter ihm lautes Geklapper ertönte. Vier Streitwagen preschten heran, die ersten beiden seine persönlichen Wagen. Neben Simut stand ein junger Mann, den Netermest noch nie gesehen hatte, doch der Wagenlenker schien ihn zu kennen. Netermest sprang auf und bevor er etwas sagen konnte, sprach der Junge.

„Zum Stadthaus des Fürsten Kamenhet, Herr? Ich kenne eine Abkürzung.“

Und noch während der Junge sprach, galoppierten die Pferde bereits in einem hohen Tempo die befestigte Straße entlang.

Erst später erfuhr der Prinz, dass Leutnant Nebamun nur wenige Augenblicke vor Gemni am südlichen Palast eingetroffen war. Er sprach gerade mit Tjeti und Pachred, als Gemni und Huni atemlos um die Ecke bogen. Gemni übermittelte keuchend seine Befehle und Nebamun sah sich hektisch um. Jeweils fünf Bogenschützen wurden zum Obersten Verwalter des Schatzhauses und zum Aufseher der Juweliere geschickt, jeder Trupp mit eindeutigen Befehlen.

„Und er ist zu Fuß los? Das dauert doch viel zu lange. Selbst mit den Streitwagen sind wir…“

Etwas ungehörig wurde er von Meketre unterbrochen.

„Das Stadthaus von Fürst Kamenhet, Herr? Ich kenne eine Abkürzung über den Uferweg und dann durch die untere Vorstadt. Da kommt man auch mit einem Streitwagen durch.“

Simut und sein Bruder Userhet standen dicht bei der kleinen Gruppe und liefen sofort zu ihren Wagen. Simut sah kurz vom Wagen herunter.

„Du! Wie ist dein Name?“

„Meketre, Herr.“

„Du fährst mit mir. Simi bleibt bei Userhet. Bei denen ist auch noch Platz für Leutnant Nebamun. Gemni geht auf den dritten Wagen. Zwei Wagen folgen leer für die Leibwache. Na los, doch!“

Der kleine Simut war ohnehin dicht bei Userhet und Nebamun beeilte sich, zu ihnen auf den Wagen zu kommen. Gemni bestieg einen der Wagen der Streitwagenschwadron wobei ihm Huni unaufgefordert folgte. Der Wagenlenker sah ihn fragend an, doch als Gemni nichts sagte, zuckte er nur mit den Schultern.

Meketre zögert etwas, aber unter dem strengen Blick des Wagenlenkers stieg er ebenfalls auf.

„Dann los, dann zeig mal deinen Weg.“

Der Pförtner am Stadthaus des ehrenwerten Fürsten Kamenhet riss Mund und Augen auf, als fünf schwere Streitwagen ohne anzuhalten an ihm vorbei auf das Grundstück des Fürsten fuhren und erst dort langsamer wurden. Ein junger Mann sprang förmlich vom ersten Wagen und herrschte den Pförtner an.

„Wo ist der Fürst? Schnell!“

„Im… im Garten, Herr.“

Vollkommen durcheinander sah der Pförtner den Soldaten hinterher, die in Richtung des Durchganges zu den Gärten rannten. Lediglich die Wagenlenker waren bei den Wagen zurückgeblieben.

„Wer war das?“

„Das war Prinz Netermest, der zweite Sohn unseres göttlichen Herrschers.“

Mit einem Aufstöhnen sank der Mann in die Knie. Und ausgerechnet ihm gegenüber hatte er es an der notwendigen Ehrerbietung fehlen lassen!

Netermest hatte inzwischen, gefolgt von Nebamun und den vier Leibwächtern, den zentralen Bereich des Gartens erreicht. Landschaftsgärtner hatten ein wunderschönes Ensemble aus Büschen, Bäumen und einem natürlich aussehenden Teich errichtet. Jenseits des Teiches waren laute Stimmen zu hören und als Netermest sich umwandte, sah er einen älteren Mann in einem langen durchsichtigen Leinengewand, der sich mehr oder weniger erfolgreich gegen einen jüngeren Mann wehrte, der versuchte mit einem Dolch auf ihn einzustechen. Man konnte selbst von weitem erkennen, dass das leinene Gewand bereits einen großen Blutfleck aufwies.

Netermest hatte das Gefühl, als würde die Zeit langsamer vergehen, als er sah, wie der Dolch zum nächsten Stoß erhoben wurde. Doch dann ertönte neben ihm ein leise zischendes Geräusch.

Der Mann mit dem Dolch erstarrte in der Bewegung, denn aus seinem Hals ragte jetzt ein etwa zwei Fuß langer Pfeil. Langsam kippte der Attentäter zur Seite und der alte Mann sah ihn verwirrt an, dann blickte er herüber.

Neben Netermest setzte Nebamun seinen Bogen neben sich ab. Der Prinz sah, wie die Hände des jungen Leutnants leicht zitterten. Auf diese Entfernung ein sich bewegendes Ziel zu treffen und dabei noch ein dicht daneben stehendes Ziel zu vermeiden, war eine großartige Leistung.

Mit schnellen Schritten eilte Prinz Netermest nun hinüber zu dem alten Mann, in dem er tatsächlich Fürst Kamenhet erkannte. Durch das Geschrei aufmerksam geworden, zeigten sich ein paar Bedienstete am Haus und Netermest winkte herrisch.

„Schnell! Einen Arzt!“

Der Prinz hatte sich kaum davon überzeugt, dass die Wunde nicht lebensgefährlich war, als er auch schon mit seinem kleinen Gefolge auf dem Weg zum nächsten Opfer war. Das Haus des Unnacht war ein prächtiges Stadthaus und äußerlich schien alles ruhig zu sein. Von den fünf Bogenschützen, die Nebamun ausgesandt hatte, war nichts zu sehen.

Als sich die kleine Gruppe dem Tor näherte, war immer noch niemand zu sehen. Der Soldat Nehesy von den Leibwächtern schob sich nach vorne und sah sichernd in das Torhaus, dann stieß er einen leisen Fluch aus.

„Der Torwächter ist tot. Sieht aus wie erdrosselt.“

Netermest wechselte einen Blick mit Nebamun und dann stürmten sie in Richtung des Haupthauses. In der Vorhalle lag die Leiche eines der Bogenschützen mit einer Schnittwunde quer über den Hals. Aus dem Haupthaus drangen jetzt gedämpfte Geräusche, es klang wie das Klopfen eines Hammers auf Holz.

Netermest nickte Nebamun zu und machte dem Rest seiner Truppe ein Zeichen, mit ihm zunächst hier zu warten.

Vorsichtig sah Nebamun um die Ecke und sah im schwachen Licht der Großen Halle vier Bogenschützen, die alle mit ihren Waffen in eine bestimmte Richtung zielten. Dort war eine hölzerne Tür zu erkennen, in der schon einige Pfeile steckten. Hinter den Bogenschützen lag ein Mann auf dem Boden und rang sichtlich nach Luft.

„Was ist passiert?“

Einer der Bogenschützen setzte seinen Bogen ab und deutete auf den Mann am Boden.

„Wir sind noch gerade rechtzeitig gekommen, Herr. Ein Attentäter hat den Herrn Unnacht bereits gewürgt, als wir eintrafen. Sofort ließ er ihn los und versuchte zu fliehen. Ahmose hatte ihn gepackt, doch dann stieß er mit dem Dolch zu. Da er nicht nach draußen konnte, hat er sich dort drüben verschanzt, doch der Raum hat keinen weiteren Ausgang. Alle paar Augenblicke öffnet er die Tür um zu fliehen, doch wir haben ihn mit unseren Schüssen wieder hereingetrieben.“

Nebamun sah hinüber zur Tür und schüttelte den Kopf.

„Sicher. Und wenn dann alle Pfeile verschossen sind, kommt er heraus und versucht noch einmal zu fliehen, während er mit seinem Dolch um sich sticht.“

Der Soldat schwieg nachdenklich.

„Was habt ihr vor, Herr?“

„Ganz einfach. Wir machen es so ähnlich, wie er es geplant hat. Stellt euch näher an die Tür, etwa fünf Schritte.“

Die Bogenschützen folgten seinen Befehlen, während Nebamun zur Tür schlich und sie plötzlich ruckartig aufriss. Der Attentäter auf der anderen Seite war auf diese Aktion nicht gefasst und reagierte einen Augenblick zu spät. Von vier Pfeilen getroffen sank er zu Boden. Nebamun realisierte zu spät, dass er den Bogenschützen nicht gesagt hatte, dass er mit dem Attentäter noch reden wollte, doch nun war es zu spät.

„Ihr bleibt hier und bewacht weiter den Aufseher der Juweliere.“

Schnell eilte Nebamun nach draußen und erstattete Netermest einen kurzen Bericht.

„Bedauerlich, aber nicht zu ändern. Wir müssen weiter zu Dunmarit, dem Obersten Verwalter des Schatzhauses.“

Hier lag die Sache etwas anders. Der Oberste Verwalter des Schatzhauses residierte genau neben dem Schatzhaus und das lag innerhalb der Mauern des Palastes. Der Oberste Verwalter hatte eine eigene Wache zur Verfügung, die sowohl das Schatzhaus, als auch seinen Wohnsitz bewachten. Ein Überfall kam hier also weniger in Frage.

Als sie bei dem prachtvollen Wohnsitz anlangten, lag alles in tiefer Ruhe, doch das war es beim Aufseher der Juweliere auch gewesen. Der Torwächter grüßte ehrerbietig und versicherte, Herr Dunmarit sei auf dem Dach des Haupthauses und freue sich über Gäste. Als Netermest und Nebamun, gefolgt von Gemni und Huni die Stufen zur Dachterrasse hochstiegen, erblickten sie auch Herrn Dunmarit, der auf einem teuren Stuhl aus Holz saß und sich von einem Diener Wein einschenken ließ. Huni sah noch einmal hinüber.

„Das ist ja Noferet, ein Kurier aus Abedju.“

Netermest und Nebamun reagierten gleichzeitig. Der erste setzte zu einem Sprint an, der zweite hob seinen Bogen und schoss einen Pfeil ab. Der Pfeil traf den goldenen Pokal, den der Oberste Verwalter des Schatzhauses angehoben hatte und prellte ihn ihm aus der Hand. Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Pokal zu Boden und der Wein spritzte durch die Gegend.

Der Diener hatte den Krug mit dem Wein ebenfalls fallen gelassen und versuchte zu entkommen, doch Netermest warf sich mit einem Hechtsprung auf ihn und rang ihn zu Boden. Nebamun eilte heran, während der Oberste Verwalter Dunmarit aufsprang und zunächst entsetzt auf den Pokal am Boden und dann auf die drei Männer starrte, die verbissen miteinander kämpften.

„Wachen!“

Doch als die Wachen des Schatzhauses eintrafen, war der Kampf schon vorbei. Der Diener lag bewusstlos am Boden, während sich Netermest und Nebamun grinsend ansahen. Verwalter Dunmarit hingegen war immer noch verwirrt und erbost.

„Kann mir jemand sagen, was hier los ist?!“

„Seht, Herr.“

Gemni wies zu Boden, wo der Wein verschüttet worden war. Direkt daneben wand sich jetzt eine unglückliche Katze in Krämpfen am Boden.

„Was…“

Nun trat Prinz Netermest vor den Obersten Verwalter und verbeugte sich leicht.

„Ihr entschuldigt unser plötzliches Eindringen, ehrenwerter Dunmarit, doch es schien uns etwas dringend.“

Der ehrenwerte Dunmarit starrte immer noch etwas geistesabwesend auf den Brustpanzer des Soldaten vor ihm, bis ihm aufging, was er dort las. Da erst erkannte er den Prinzen und verbeugte sich nun ebenfalls.

„Hoheit, ich bin… ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was bedeutet das alles?“

Netermest setzte ihn mit wenigen Sätzen über die Gefahr eines Attentats in Kenntnis, ohne jedoch zu verraten, woher dieses Wissen stammte.

Als sie die Residenz des Obersten Verwalters der Schatzhäuser verlassen hatten, gab Prinz Netermest den Befehl, zum Südflügel zurückzukehren.

Dort war inzwischen etwas Ruhe eingekehrt. Der Oberste Verwalter des Palastes hatte einige neue Bedienstete geschickt und einen Boten, dass ein gewisser Schreiber Kermat spurlos verschwunden sei. Netermest hatte nichts anderes erwartet.

Feldwebel Umani und Feldwebel Ibi kamen herbei, um Bericht zu erstatten.

„Die Häuser und der Garten sind jetzt sicher, Herr. Wir haben den Teich kontrolliert und darin eine Handvoll abgeschlagene Feuersteine gefunden. Der Teich wird gerade wieder mit Wasser gefüllt. Ich habe die Bogenschützen für die Sicherung an der Aussenmauer eingeteilt und wir warten jetzt auf die Rückkehr von Hauptmann Sennefer mit den restlichen Bogenschützen.“

Feuersteine im Teich? Wenn sie sehr scharfkantig abgeschlagen waren, konnte das zu erheblichen Verletzungen an den Füßen führen.

Feldwebel Ibi wurde von einem jungen Mann begleitet, der Netermest schon beim ersten Mal aufgefallen war. Im Gegensatz zu seinen Kameraden hatte er eine hellere Haut und seine Haare waren von der Farbe der Asche eines Kohlefeuers. Begleitet wurde der junge Mann von einem Hund, der immer wieder aufmerksam hin und her blickte.

„Dies ist der Soldat Haran und sein Begleiter heißt Sethnacht. Die beiden haben noch einmal den Garten kontrolliert und dabei eine dritte Kobra entdeckt. Damit dürften Häuser und Gärten nun frei von gefährlichen Tieren sein. Wenn Sethnacht nichts findet, gibt es einfach keine mehr.“

Der Hund bemerkte die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, setzte sich hin und sah erwartungsvoll nach oben. Feldwebel Ibi nickte auf Netermests fragenden Blick und der Prinz tätschelte den Hund zwischen den Ohren.

„Und du bist Haran? Das ist kein ägyptischer Name.“

„Nein, Herr. Meine Eltern stammen aus dem Osten, aus Kanaan.“

„Haran ist unser erfolgversprechendster Hundeführer. Er hat Sethnacht aufgezogen und ausgebildet.“

Prinz Netermest sah den Feldwebel erwartungsvoll an. Irgendetwas musste doch noch kommen.

„Wenn ihr einverstanden seid, Herr, werden Haran und Sethnacht euch zusammen mit der Leibwache begleiten. Der Hund kann Feinde erheblich früher aufspüren, als man sie sehen kann. Er kann sehr gut Spuren verfolgen und auch Gegenstände finden, auf die er ausgebildet wurde.“

Netermest sah sich nun Haran genauer an. Er war mittelgroß und schlank, so wie die meisten Mitglieder der Wüstenpatrouille, die viel laufen mussten.

„Wie alt bist du, Haran. Und wie alt ist dein Freund hier?“

„Ich bin achtzehn, Herr und Sethnacht ist vier.“

„Du hast den Hund mit vierzehn bekommen?“

„Ja, Herr. Er war entwöhnt und ich habe meine Kinderlocke verloren. Wir sind beide zusammen ausgebildet und erwachsen geworden.“

„Nun gut, dann werde ich dem Ratschlag deines Feldwebels folgen. Feldwebel Umani hier, wird dir alles Notwendige erklären.“

Netermest schlenderte in Gedanken durch den Garten, bis ihm etwas einfiel, was er in der ganzen Hektik bisher verdrängt hatte.

„Gemni!“

„Ja, Herr?“

„Ich brauche noch einmal die Sachen, die wir diesem Kapitän Tarewan abgenommen haben.“

Gemni zog los und besorgte die Unterlagen, die Netermest gewünscht hatte. Der Prinz sah sie schnell durch und seufzte tief. Es war alles noch viel undurchsichtiger, als er befürchtet hatte.

Unschlüssig sah er sich um und sein Blick blieb an dem Teich hängen, der nun frisch gereinigt wieder zur Verfügung stand. Prinz Netermest legte seine Bekleidung ab und stieg langsam die Treppe herab. Wohlig ließ er sich im Wasser treiben.

„Gemni, komm her. Nein, halt. Ich brauche noch Huni, Nebamun und wie heißt dieser neue Kurier?“

„Meketre, Herr.“

„Ja, den auch. Und dann… ach was, alle beiden Wagenlenker sollen kommen und ihre Kuriere mitbringen.“

Wenig später standen die angeforderten Personen am Rand des Teiches und sahen Netermest etwas unsicher an, während er erstaunt nach oben sah.

„Was ist? Ich muss nachdenken und ich brauche wieder Leute, die mir zuhören und mich wenn nötig korrigieren. Los, alle rein hier.“

Meketre und auch der kleine Simut sahen sich erstaunt um, doch auch sie folgten dem Befehl. Dann bemerkte Netermest am anderen Rand des Teiches eine Bewegung.

„Haran, du auch. Je mehr Leute, desto mehr Meinungen. Kann der Hund eigentlich schwimmen?“

„Sethnacht kann schwimmen, macht es aber nicht gerne. Er wird am Rand bleiben und weiter Wache halten.“

„Mist, ich habe den Haushalt vergessen. Gemni, hol Pachred.“

Nackt wie er war, sauste Gemni los. In Rekordzeit war er mit Pachred zurück.

„Es geht um Folgendes: Wir haben heute die Attentate auf mehrere Hohe Persönlichkeiten verhindern können, weil wir durch Huni den Hinweis bekommen haben, um wen es sich handelt. In der Liste des Haushaltes der Frau Nebet waren fünf Männer mehr aufgeführt, als tatsächlich dazu gehörten. Diese sind dann einfach als Sklaven im Großen Haus eingesetzt worden und zwar auf Zureden eines Schreibers, der leider verschwunden ist.“

Einige nickten, denn die Gerüchte und auch die richtigen Nachrichten waren schnell herum. Meketre beobachtete derweilen den kleinen Simut, der sich eng an Userhet anschmiegte. Der Wagenlenker hatte einen Arm um den Jungen gelegt und lächelte ihm manchmal kurz zu. Meketre war neugierig, ob auch der große rothaarige Wagenlenker neben ihm so freundlich war. Er rückte an ihn heran, bis sie sich berührten und ohne zu Zögern legte auch Simut einen Arm um Meketre, der glücklich seine Augen schloss.

„Wir waren bisher froh, dass alles recht glimpflich abgelaufen ist, doch leider haben wir bei der ganzen Sache etwas übersehen. Und das sind die Schreiben, die Kapitän Tarewan als Anordnungen für fünf Attentäter mitgebracht hat.“

Soweit konnten alle folgen, doch was war das mit den Schreiben?

„Gemni, welchen Tag haben wir heute?“

„Den fünften Tag des Geburtstages der Götter. Heute ist der Tag der Nephtys.“

„Genau. Und das ist sehr merkwürdig, denn die Anweisungen für die Attentate sind für einen ganz bestimmten Tag und zwar für den Dritten Thot. Das ist aber erst in drei Tagen!“

Gemni sah ratlos zu Netermest und Nebamun machte eine unbedachte Bewegung, so dass er etwas Wasser schluckte. Pachred half ihm wieder hoch.

„Und das heißt für uns?“

Haran fuhr aus seinen Gedanken hoch und sah zu Gemni.

„Sollten sie ihre Anweisungen auch auf anderem Wege erhalten haben, werden wir in drei Tagen noch einmal fünf Attentäter haben.“

„Völlig richtig. Gemni, lies mal eine, oder besser zwei vor.“

Gemni schwamm zum Rand und suchte in seinen Unterlagen.

An Hanai, Diener im Haus des Sethnacht. Die große Schlange hat befohlen, dass du in der Nacht des 3. Thot, deine Kunst dem ehrenwerten Dunmarit angedeihen lassen wirst‘.

An Djoser im Geschäft des Händler Rahotep. Die große Schlange hat befohlen, dass du am 3. Thot eine Ladung des speziellen Weines dem Haushalt des Unnacht liefern wirst‘.

An Haradi, Lieferant des Speichers der Beamten. Die große Schlange hat befohlen, dass du zum 3. Thot eine Lieferung des guten Getreides an das Haus des ehrenwerten Kutari ausliefern wirst‘.

„Das genügt. Das sind, wenn ich es richtig sehe, etwas andere Anweisungen als die, die heute ausgeführt worden sind. Lediglich Dunmarit und Unnacht wurden beide Male bedacht.“

Nebamun nickte.

„Der ehrenwerte Dunmarit sollte heute vergiftet werden, doch hier steht etwas von einer Kunst. Was ist damit gemeint?“

„Ein Attentäter. Vorzugsweise einer, der heimlich und unerkannt mit der Schlinge oder dem Dolch arbeitet.“

Alle sahen hinüber zu Haran, der mit einer gewissen Leichtigkeit auf dem Wasser trieb und den Huni schon eine ganze Weile beobachtete. Haran sprach weiter.

„Nun, wenn wir jemanden beobachten oder fangen sollen, müssen wir auch wissen, wie er arbeitet, damit wir ihn finden können.“

„Stimmt. Der Attentäter mit der Schlinge war beim ehrenwerten Unnacht, wobei dieser doch den Wein hätte erhalten sollen. Und das Haus des Aufsehers der Fragen des Pharao war überhaupt nicht berücksichtigt worden, dafür habe ich gleich zwei Attentäter bekommen, die mit Kobras und scharfen Steinen gearbeitet haben.“

„Wo sollten denn die anderen beiden Attentäter hin?“

Netermest sah zu Nebamun, der die Frage gestellt hatte, aber dem schien die Antwort wichtig zu sein.

„Gemni, lies vor.“

An Mahet, den Eselshändler bei den Speichern des Hafens. Die große Schlange hat befohlen, dass du am 3. Thot mit dem Kapitän Lomas ein Wirtshaus besuchst, nach dessen verlassen er leider ertrunken im Hafen aufgefunden wird‘.

An Kermat, Schreiber im großen Haus. Die große Schlange hat befohlen, dass zum 3. Thot die Sklavin Nebet des Großen Hauses einen Unfall erleidet, von dem die Ärzte sagen werden, diese Krankheit werde ich nicht behandeln‘.

„Sieh an, zwei völlig neue Ziele. Nebamun, wir müssen morgen unbedingt diese Frau Nebet finden. Sie muss ja im Palast irgendwohin zugeteilt worden sein. Kennt jemand einen Kapitän Lomas?“

In dem folgenden Schweigen hörte Netermest plötzlich ein lautes Platschen und Pachred lief, ebenso nackt wie Gemni zuvor, in Richtung seines Hauses.

Einige sahen ihm erstaunt hinterher, lediglich Gemni schüttelte grinsend seinen Kopf. Es dauerte etwas, bis Pachred wieder erschien, doch sein Gesicht verreit, dass er Erfolg gehabt hatte.

„Großvater kennt ihn. Er ist Kapitän eines Frachtschiffes, das zwischen den königlichen Warenlagern pendelt. Seine Hauptroute ist von hier nach Abedju.“

„Sehr gut. Dann werden wir auch ihn einmal befragen, was ihn zur Zielscheibe gemacht hat. Wir werden gleich morgen früh damit starten. Damit ihr nicht alle umsonst im Wasser wart, würde ich sagen, die jüngeren Herren können sich mal die Asche zum Reinigen holen.“

Prompt wateten fünf junge Herren zum Ufer. Nebamun steuert mit der Asche auf den Prinzen zu, während Pachred zu Gemni ging. Meketre und Simut holten sie für ihre Wagenlenker und Huni ging zögernd damit zu Haran.

Es wurde still im Teich. Meketre sah scheu zu Userhet und dem kleinen Simut hinüber, aber als er erkannte, wie gründlich sie sich wuschen, wurde er auch mutiger und von Simut mit einer gleichen Behandlung belohnt.

Netermest und Nebamun hatten sich, ebenso wie Gemni und Pachred, in je eine Ecke zurückgezogen und Huni wusch nun Haran, der dabei sogar angenehm brummte. Dann zog er Huni bis ans Ufer, wo ein großer graubrauner Hund lag. Huni hatte die Hunde der Wüstenpatrouille schon gesehen, doch niemals von so nah.

„Das ist Sethnacht. Er tut dir nichts.“

Huni bewunderte die hochstehenden Ohren des Hundes, fast so, wie bei dem Göttertier, dessen Namen er trug.

„Darf ich ihn streicheln?“

Haran flüsterte dem Hund etwas zu und Sethnacht drehte sich auf den Rücken. Huni streichelte das weiche Fell auf dem Bauch und der Hund zuckte mit den Pfoten.

Huni spürte, wie Haran hinter ihn trat und einen Arm um ihn legte. Mit der anderen Hand fuhr er bei Huni über den Bauch, ähnlich wie dieser es bei Sethnacht getan hatte. Vorsichtig lehnte sich Huni nach hinten, kuschelte sich an Haran und schloss die Augen.


Der nächste Morgen fand einige der Paare eng beieinander, während andere schon bei der Arbeit waren. Meketre erwachte und vermisste Simut, während Userhet und der Kleine noch eingerollt schliefen.

Auch Haran erwachte alleine, doch er wusste, das Huni dabei war, das Frühstück vorzubereiten. Was ihn wunderte war, dass Sethnacht fehlte. Rasch stand er auf und verließ die kleine Kammer, die er mit Huni geteilt hatte. In der Dämmerung der großen Halle sah er bereits einige der Leute bei der Arbeit.

Nebamun saß mit Gemni zusammen und sie studierten einige Schriftrollen, während nun auch Pachred und Huni mit dem Essen erschienen. Sethnacht folgte Huni während der ganzen Zeit und beobachtete aufmerksam, was dieser tat. Haran schüttelte ungläubig seinen Kopf. So hatte sich der Hund noch nie verhalten. Er schien an Huni einen Narren gefressen zu haben.

Ganz so ähnlich wie ich‘, dachte Haran.

Als nächster erschien Prinz Netermest und setzte sich nach einem kurzen Rundblick neben Nebamun.

„Zuerst das Frühstück und dann eine kurze Besprechung, wie wir vorgehen wollen. Wo sind denn die Wagenlenker?“

Huni sah sich um.

„Der Wagenlenker Simut ist im Stall bei den Pferden. Die anderen werden wohl noch schlafen.“

„Dann hol sie. Sie werden sich ja nicht die ganze Nacht verausgabt haben.“

Huni warf Haran einen scheuen Blick zu, während Gemni und Pachred leise kicherten, weil sie es besser wussten, denn Gemnis Zimmer war genau neben dem der Wagenlenker.

Netermest untersuchte die Körbe mit dem Frühstück und fand neben dem üblichen Obst wie Datteln, Granatäpfeln und Feigen auch frisches Brot und weißen Käse. Angenehm überrascht war Netermest dann noch von einem Korb mit kleinen Kuchen, die mit Honig gesüßt waren. Huni deutete auf die Kuchen.

„Die hat Aschait heute früh extra gemacht.“

Auf Netermests fragenden Blick ergänzte er.

„Das ist die Schwester von Meketre. Sie arbeitet jetzt hier in der Küche. Sie hat gesagt, so wie sie ihren Bruder kennt, werden wir wohl alle am Morgen etwas Süßes brauchen.“

Netermest stutzte, dann grinste er leicht und angelte sich einen der Kuchen, wobei er Nebamun ansah und an die letzte Nacht dachte.

„Wir warten noch…“

Simut trat ein und scheuchte die anderen drei Herren seiner kleinen Truppe vor sich her.

„Verzeiht, Herr, aber es hat etwas länger gedauert im Stall.“

„Setzt euch hin und nehmt euch etwas zu essen. Ich nehme an, Nebamun und Gemni haben schon etwas geplant.“

Nebamun seufzte etwas und nickte Gemni zu, während er sich ebenfalls einen Kuchen griff. Gemni starrte in den Korb und dann auf seine Notizen. Etwas unentschlossen wandte er sich dann doch zunächst den Notizen zu.

„Heute ist der Erste Thot, die Feierlichkeiten sind vorbei und die Arbeit hat wieder für alle begonnen. Für den Dritten Thot waren die Befehle ausgestellt, mit denen fünf Personen oder Haushalte hier in Theben bedroht werden. Die Taten sollen vermutlich deswegen gleichzeitig ausgeführt werden, damit nicht jemand gewarnt ist und Schutzmaßnahmen ergreift.“

Userhet sah Gemni fragend an.

„Das ist doch nach den Attentaten von gestern sinnlos.“

Gemni wechselte einen Blick mit Nebamun und dann mit Netermest.

„Ja, aber wir gehen davon aus, dass die Befehle von unterschiedlichen Personen erteilt worden sind, die nichts voneinander wussten.“

Jetzt sah der ältere Wagenlenker zu Gemni.

„Aber dennoch sind es fast die gleichen Ziele.“

Wieder nickten Gemni und auch Netermest.

„Auch richtig. Darauf komme ich gleich noch zurück. Wir müssen zunächst sehen, dass wir die Attentäter so unauffällig wie möglich erwischen. Und das möglichst gleichzeitig, denn vielleicht kennen sie einander und wären dann gewarnt. Zum Glück wurden die Personen einigermaßen genau beschrieben. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Bote, der die Nachrichten überbringen sollte, diese Personen auch nicht vorher kannte und dass deshalb die genauen Beschreibungen hinzugefügt wurden.“

„Das sind ganz schön viele Vermutungen und wenig Greifbares.“

„Ja, Herr, aber wir haben nichts anderes. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass es so ist, weil wir es ebenso gemacht hätten.“

Nebamun sah Gemni entschuldigend an, während Netermest die Antwort überdachte.

„Deshalb möchten wir vorschlagen, dass wir die Täter ergreifen, wenn wir alle genau identifiziert haben und wissen, wo sie sind.“

„Wäre es nicht einfacher, die Opfer zu überwachen und zu beschützen?“

Haran sah kopfschüttelnd zu Userhet.

„Wenn die Attentäter keine Amateure sind, die das zum ersten Mal machen, wären sie bei der kleinsten Unregelmäßigkeit schon gewarnt.“

Der Prinz nickte und sah suchend in die Runde.

„Dazu brauchten wir dann fünf verschiedene Gruppen. Huni, lauf los und sag Hauptmann Sennefer, er möchte mit seinen restlichen Truppen hier herkommen.“

Auf die fragenden Gesichter ringsum lehnte sich Netermest zurück und biss in seinen zweiten Kuchen.

„Wir werden fünf Trupps bilden, die die jeweiligen Attentäter ausfindig machen sollen. Wenn wir dann wissen, wer sie sind, werden fünf Gruppen der Bogenschützen versuchen, den Mann festzunehmen. Auch hier gilt, dass ich noch mit ihnen reden will. So, wen haben wir denn dort alles?“

„Als ersten einen gewissen Hanai, Diener im Haus des Sethnacht. Vermutlich ein Attentäter mit einer Schlinge.“

Netermest runzelte die Stirn.

„Es gibt tausende von Haushalten in Theben. Wie sollen wir da einen Sethnacht finden und dann auch noch den richtigen?“

„Es gibt da wohl eine Möglichkeit, aber das könnte dauern.“

Der Prinz sah auffordernd zu Gemni.

„Die Steuerlisten. Wenn er in Theben ein Haus hat, muss er in den Steuerlisten des Bürgermeisters erfasst sein.“

„Warum sitzt du hier noch rum? Geh los und… halt, nein. Erst werden die anderen protokolliert. Dann machst du dich auf zur Verwaltung der Stadt. Nebamun, gib ihm den Beutel.“

Nebamun wusste, worauf sich der Prinz bezog, löste einen kleinen Lederbeutel von seinem Gürtel und gab ihn Gemni. Der sah hinein und erbleichte sichtlich. In dem Beutel befand sich der winzige Skarabäus, den Nebamun schon im Hafen benutzt hatte. Der kleine Käfer trug auf seinem Rücken eine feine Gravur: Mn chpr re - Men-cheper-re, der Thronname des göttlichen Pharao. Diese Skarabäen waren nur den persönlichen Boten des göttlichen Pharao vorbehalten. Gemni verbeugte sich förmlich vor Prinz Netermest.

„Ich werde tun, wie ihr befehlt, Herr.“

Gemni verstaute den Beutel sicher an seinem Gürtel und sah wieder auf seine Unterlagen.

„Der nächste ist ein gewisser Djoser im Geschäft des Händlers Rahotep. Er soll einen speziellen Wein in das Haus des Unnacht liefern, ist somit vermutlich ein Giftmörder. Wir suchen also höchst wahrscheinlich einen Weinhändler namens Rahotep.“

„Nicht schon wieder die Steuerliste.“

grummelte Gemni, doch da meldete sich zur allgemeinen Überraschung Meketre.

„Also, ich kenne da einen Weinhändler mit Namen Rahotep. Ein reicher Mann, sein Geschäft ist auf der Ostseite, direkt neben dem Viertel der Beamten.“

Netermest nickte und machte Gemni ein Zeichen.

„War da nicht auch was mit dem Stadthaus des ehrenwerten Kutari?“

„Ja, Herr. Ein Lieferant aus dem Speicher der Beamten soll dort eine Ladung Getreide anliefern.“

„Sehr gut. Ich werde mich persönlich um diese Angelegenheit kümmern. Simut wird mich und Haran dort absetzen und dann mit Meketre diesen Weinhändler aufsuchen. Ich nehme an, Sethnacht wird auf seinen eigenen Pfoten reisen. Was haben wir noch?“

Haran nickte heftig, doch dann war Gemni schon beim nächsten Fall.

„Es geht um einen Eselshändler bei den Speichern des Hafens. Er soll einen Kapitän Lomas betrunken machen und dann ins Hafenbecken stürzen.“

„Da geht Nebamun hin. Er war schon einmal im Hafen. Außerdem muss dieser Kapitän Lomas ausfindig gemacht werden. Pachred soll sich noch mal bei seinem Großvater erkundigen und geht dann mit Nebamun los.“

Gemni sah etwas zweifelnd auf seinen letzten Eintrag.

„Zum Schluss ein gewisser Schreiber Kermat im Großen Haus, der die Frau Nebet beseitigen soll.“

Prinz Netermest überlegte einen Moment.

„Userhet geht mit Huni zum Obersten Verwalter des Großen Hauses. Ich will wissen, ob dieser Kermat der verschwundene Schreiber ist, oder ob es noch einen mit diesem Namen gibt. Außerdem will ich wissen, wo sich Frau Nebet jetzt aufhält.“

Huni sah zu Userhet, der gerade mit dem kleinen Simut flüsterte.

„Was ist mit mir, Herr?“

meldete sich Simut dann etwas traurig.

„Du gehst natürlich mit Userhet. Vielleicht braucht er ja einen Boten. Außerdem sollst du ja auch das Große Haus und die Stadt kennenlernen. Ach ja, noch etwas. Wir haben ja nun einen großen und einen kleinen Simut.“

Der Kleine warf dem Großen einen fragenden Blick zu, doch der zuckte mit den Schultern.

„Damit wir in den Berichten nichts durcheinander bringen, wirst du ab sofort als Simi geführt werden.“

„Simi? So hat mich meine Mutter genannt, als ich klein war.“

Userhet flüsterte Simi etwas zu, das diesen verlegen auf den Boden sehen ließ, doch dann nickte er.

„Ja, Herr. Ich werde dann Simi sein.“

Lediglich Pachred, der hinter den beiden saß, hatte mitbekommen, was Userhet Simi zugeflüstert hatte und er grinste breit.

Mach schon, Simi. Du kannst mir heute Nacht zeigen, wie groß du wirklich bist.“


Prinz Netermest war der erste, der an seinem Ziel angelangte. Das Stadthaus des ehrenwerten Kutari lag noch genauso friedlich da, wie Netermest es kennengelernt hatte.

Nakhet, der Pförtner, sah erstaunt auf die Straße, als eine ganze Hand voll Streitwagen vorfuhr. Er erkannte sofort den Prinzen und schickte einen der neuen Hausdiener zum Verwalter. Teremun erschien fast im Laufschritt und verbeugte sich tief vor Prinz Netermest.

„Es ist eine unerwartete Ehre von euch, hier zu erscheinen.“

Netermest bemerkte sehr wohl die versteckte Missbilligung, dass er sich nicht vorher angemeldet hatte. Wie sollte ein Haus denn einen Prinzen ohne Vorbereitung empfangen können?

Netermest hob eine Hand und die meisten der Streitwagen hinter ihm fuhren weiter. Lediglich drei blieben dicht beim Haus. Die Begleitung des Prinzen hatte sich schlagartig reduziert und Teremun erkannte nun noch einen jungen Mann mit einem Hund, zwei nubische Fußsoldaten und zwei Bogenschützen.

„Teremun. Ich bin zum Arbeiten hergekommen, nicht zum Feiern und auch nicht, um dich zu kontrollieren. Du weißt hoffentlich noch, dass Kutari gewünscht hat, dass innerhalb des Hauses kein förmliches Protokoll eingehalten wird und auch keine Titel verwendet werden.“

„Aber Herr, das ist doch jetzt etwas ganz anderes.“

Netermest schüttelte den Kopf und trat durch die Eingangspforte.

„Nein, ist es nicht. Siehst du, ich bin jetzt innerhalb des Hauses. Dies hier ist übrigens Haran von der Wüstenpatrouille mit Sethnacht. Nanu, wo ist er denn?“

Alle drei lachten, als sie Sethnacht sahen, der sich der nächsten Dattelpalme genähert und ein Bein gehoben hatte.

„Tretet näher. Ich werde ein paar Erfrischungen reichen lassen.“

Prinz Netermest und seine Begleiter folgten Teremun, der sie in die große Halle führte. Die Leibwächter bezogen ihre Positionen an den Eingängen und Haran wurde zu seiner Überraschung von Netermest auf ein Kissen direkt neben ihm platziert. Auf der anderen Seite streckte sich Sethnacht aus.

Kurz darauf erschien einer der neuen Hausdiener und brachte einen Korb mit Früchten. Netermest und Haran wurde Wein angeboten, den Haran jedoch ablehnte. Er bekam dann etwas Bier und selbst für Sethnacht gab es eine Schüssel mit Wasser.

„Ihr seid…“

Auf einen fragenden Blick von Netermest begann Teremun seinen Satz noch einmal, obwohl er sich dabei sichtlich unwohl fühlte.

„Du bist sicherlich aus einem bestimmten Grund hergekommen, Netermest.“

Der Prinz lächelte und nickte. Dann wurde er ernst. Er erzählte Teremun von der Gefahr, die dem Haus drohte und auch etwas zu den Hintergründen.

Wie soll der Beamte heißen, der das Getreide liefert?“

Netermest hatte sich vor der Reise hierher ausgiebig vorbereitet.

An Haradi, Lieferant des Speichers der Beamten. Die große Schlange hat befohlen, dass du zum 3. Thot eine Lieferung des guten Getreides an das Haus des ehrenwerten Kutari ausliefern wirst.“

„Hm, sehr merkwürdig. Einen Beamten aus dem Speicher mit diesem Namen kenne ich nicht, aber das hat nichts zu sagen. Gerade bei den Speichern des Palastes wechseln die Schreiber und Beamten öfter hin und her. Das wirklich merkwürdige ist, wir erwarten gar keine Lieferung. Die des letzten Monats wurde schon vor den Geburtstagen der Götter ausgeliefert und die nächste ist noch lange nicht dran. Wir haben uns mit dem Verwalter des Speichers geeinigt, dass wir unseren Bedarf dort von Zeit zu Zeit abrufen, so lange unser Herr abwesend ist.“

Netermest nickte zustimmend. Das war eine sinnreiche Regelung, aber deshalb wurde es immer undurchsichtiger, wie und mit welcher Begründung ein Unbekannter hier Getreide anliefern wollte.

„Das wird ja immer verwirrender. Aber wir werden das Rätsel schon lösen. Wir fahren hinüber zu den Speichern und befragen den Verwalter. Er müsste ja wissen, wer dieser Haradi ist und was er ausliefert. Falls notwendig, kann Sethnacht die Lieferung überprüfen und wenn wir Glück haben, findet er etwas Verdächtiges.“

Teremun sah überrascht zu dem Hund.

„Er kann tatsächlich Gift wittern?“

Haran wiegte bedenklich seinen Kopf.

„Das nun vielleicht nicht, Herr. Aber wenn wir davon ausgehen, dass nur einer oder wenige Körbe vergiftet wurden, bin ich sicher, er kann diese von den anderen unterscheiden.“

Teremun nickte verstehend.

Die Fahrt zu den Speichern der Beamten dauerte nicht lange und als der Prinz erschien, stürzte schon der Verwalter aus seiner Schreibstube hervor.

„Herr! Was führt euch her? Ich bin Geb, Verwalter des Speichers der Beamten. Ich hoffe, ihr habt keine Beschwerde.“

„Eine Beschwerde nicht, lediglich eine Nachfrage. Kennt ihr einen Lieferanten namens Haradi?“

„Haradi? Oh, das ist die Aushilfe für Duari. Der Ärmste hatte einen Unfall und nun macht Haradi seine Arbeit. Darf ich fragen, warum ihr ihn sucht?“

„Laut meinen Informationen soll er am 3. Thot eine Ladung Getreide an das Haus des ehrenwerten Kutari liefern.“

Der Verwalter runzelte die Stirn.

„Das kann nicht sein. Für diesen Haushalt ist bereits alles ausgeliefert. Einen Moment, bitte.“

Schnell ging der Verwalter in seine Schreibstube und kam mit einer kleinen Papyrusrolle wieder.

„Hier, das ist die Lieferanweisung für den 3. Thot. Da steht verzeichnet, was und wie viel an die jeweiligen Haushalte geliefert wird. Das Haus des ehrenwerten Kutari steht hier nicht…“

Der Verwalter verstummte und starrte auf den Papyrus.

„Tatsächlich,“

murmelte er.

„Vier Körbe Emmer, ein Korb Weizen an den Haushalt des Aufsehers der Fragen des Pharao.“

Verwirrt sah Geb auf.

„Wie kommt denn der Eintrag auf die Lieferanweisung. Ich habe doch gestern Abend noch einmal alles geprüft und gesiegelt.“

Der Prinz sah erst zu Haran, dann zu dem Verwalter.

„Und das ist auch euer Siegel?“

Hektisch überprüfte der Verwalter das Siegel und nickte. Dann stutzte er. Noch einmal betrachtete er den Siegelabdruck genau und erbleichte dann.

„Das ist nicht mein Siegel. Es sieht zwar genau so aus, doch mein Siegel hat einen kleinen Fehler. Als mein Vorgänger durch den Tjati versetzt wurde, hat er mir das Siegel wutentbrannt vor die Füße geworfen und da ist bei dem Wachtelküken eine winzige Ecke am Schnabel abgeplatzt. Dieser Abdruck hier ist aber vollkommen in Ordnung.“

Prinz Netermest schloss ergeben die Augen. Die ganze Angelegenheit zog ja immer weitere Kreise. Als er die Augen öffnete, fiel sein Blick auf Haran, der gerade Sethnacht tätschelte.

„Ist die Ware schon bereitgestellt für die Auslieferung?“

„Oh ja, Herr. Sobald die Lieferanweisungen erstellt wurde, werden die einzelnen Lieferungen durch die Arbeiter des Lagers hier drüben im Hof zusammengestellt.“

Mit einer Handbewegung wies der Verwalter auf einen großen ummauerten Hof direkt am Lager. An der Innenwand waren Zahlen von eins bis zehn an die Wand gemalt und unter den Zahlen befanden sich an einigen Plätzen schon die unterschiedlichsten Gegenstände.

„Hier, das ist sind die Lieferungen für die kommende Dekade. Die einzelnen Lieferungen haben ein Tontäfelchen mit der Nummer der Lieferanweisung. Ah, hier, vier Körbe Emmer und ein Korb Weizen.“

Die drei Männer betrachteten nachdenklich das Getreide. Haran sah nach links und rechts.

„Gibt es noch irgendwo eine andere Getreidelieferung. Wir fangen am besten mit dem Weizen an. Ein einzelner Korb ist immer verdächtig.“

Der Verwalter sah Haran erstaunt an, doch dann wies er auf eine Lieferung drei Nummern weiter. Dort ließ Haran Sethnacht an den Körben schnuppern. Zurück bei dem einzelnen Korb mit Weizen näherte sich Sethnacht nur bis kurz davor und machte einen langen Hals. Leise knurrend blieb er in einem gehörigen Abstand vom Korb stehen.

Netermest brauchte keine Erklärung und wandte sich an den Verwalter.

„Der Korb ist beschlagnahmt. Er wird zum Haus des Lebens gebracht werden und das Getreide wird auf Gift untersucht. Kein Wort zu Haradi. Die Wachen werden ihn ins Haus der beiden Wahrheiten überführen. Du wirst dich für eine Aussage bereithalten, was das Siegel betrifft.“

Stumm verbeugte sich der Verwalter, froh, dass es noch einmal gut für ihn ausgegangen war.


Der nächste, der sein Ziel erreichte, war Simut mit seinem Streitwagen. Meketre hatte ihn nur zwei Querstraßen weiter zu lotsen brauchen, als sie vor einem großen Wohnhaus stehen blieben, dessen Front nicht von einer Mauer und einem kleinen Vorgarten abgeschlossen war, sondern einen Vorbau mit etlichen offenen Fenstern und einer breiten Tür hatte.

„Wir werden einfach als Kunden auftreten. Du bist mein Diener und ich suche nach etwas Besonderem.“

Meketre nickte, sah dann aber erstaunt zu Simut, der aus einem Beutel etliche Schmuckstücke herausholte und sich anlegte. Neben einem großen Anhänger mit dem Bildnis des Gottes Amun folgte ein kleiner Anhänger und Meketre stieß zischend seinen Atem aus. Eine goldene Fliege! Die Auszeichnung für besondere Tapferkeit im Kampf, verliehen durch den göttlichen Pharao persönlich. Dazu kamen dann goldene Armreifen für die Oberarme und ein silberner Armreifen für das linke Handgelenk. Auf jedem dieser Reifen waren heilige Zeichen eingraviert, die Meketre jedoch nicht lesen konnte. Seinen Offiziersstab verstaute Simut in dem Beutel.

„So, wie findest du mich jetzt?“

Meketre war plötzlich mit einem reichen Herrn vornehmer Abstammung konfrontiert und schluckte schwer. War das noch der gleiche Mann, mit dem er letzte Nacht sein Lager geteilt hatte? Simut schien zu verstehen, was Meketre gerade dachte.

„Ich bin derjenige, der den du letzte Nacht kennengelernt hast. Alles andere ist mein Beruf, den du ja kennst und meine Abstammung, über die ich nicht gerne rede. Aber eines kann ich dir garantieren. Ich bin offen und ehrlich mit dem was ich tue.“

Meketre schluckte ein zweites Mal. Seine Gefühle wirbelten durcheinander, als hätte er zuviel Bier getrunken, doch er war stocknüchtern. Simut stieß ihn lächelnd an.

„Wir müssen arbeiten. Über das andere reden wir heute Nacht.“

In pompöser Haltung betrat Simut den Laden des Weinhändlers Rahotep, gefolgt von Meketre, der nun seine Rolle als persönlicher Diener wahrnahm. Aus dem schattigen Hintergrund des Ladens trat ein älterer Mann hervor, gekleidet in einen makellos weißen Leinenschurz und einen ebenfalls weißen mantelähnlichen Überwurf. Mit geübtem Blick taxierte er seinen Kunden.

„Willkommen bei Rahotep, dem Herrn der tausend Weine. Womit kann ich euch dienen, edler Herr?“

„Ich brauche etwas Außergewöhnliches. Einen exzellenten Wein als Geschenk für meinen Vater.“

Rahotep witterte ein gutes Geschäft und verbeugte sich eifrig.

„Selbstverständlich, hoher Herr. Wir hätten hier einen kräftigen Rotwein direkt von den besten Weingärten des Deltas.“

Simut zog die Augenbrauen hoch und sah den Händler an.

„Ich erwähnte bereits, ich benötige etwas außergewöhnliches, nichts Billiges aus dem Delta.“

Der Händler erbleichte etwas, lächelte aber dann sofort unter etlichen Verbeugungen.

„Sicher, edler Herr. Ich habe euren Wunsch verstanden. Kommen wir zu einem süßen Wein aus der Oase Bahrya, so edel, dass er nicht einmal extra gesüßt zu werden braucht.“

Nun bedachte Simut den Händler mit einem hochmütigen Blick.

„Guter Mann, wenn das alles ist, was ihr zu bieten habt, werde ich wohl weiter suchen müssen. Meketre, lass den Wagen bereitmachen.“

Meketre verbeugte sich pflichteifrig um sein Grinsen zu verbergen, denn er wusste ja, dass niemand weiter draußen beim Wagen war.

„Jawohl, Herr. Soll ich dem…“

Hastig wurde er vom Händler Rahotep unterbrochen.

„Nicht doch, Herr. Ihr wollt mich nicht verlassen. Ich habe doch noch einen ganz speziellen Wein für euch.“

„Sprich schnell.“

„Ein roter Wein von der Insel Keftiu. Eine sehr seltene Lieferung. Ich habe nur sechs Krüge davon bekommen.“

Simuts Gesicht erhellte sich.

„Ich nehme alle sechs.“

Der Händler erstrahlte förmlich und verbeugte sich bis auf den Boden.

„Ich danke euch Herr. Ihr wisst einen guten Tropfen wahrlich zu schätzen. Da wäre nur noch die Frage der Bezahlung.“

Als der Händler den Preis nannte, zuckte Meketre fast zusammen, doch Simut nahm ohne jegliche Regung den silbernen Armreif von seinem linken Handgelenk.

„Hier. Das dürfte reichen.“

Rasch eilte der Händler zu einer im Hintergrund stehenden Waage und hantierte mit etlichen Gewichten.

„Aber Herr, das ist zuviel. Ich werde euch einen Ausgleich geben.“

Ebenso schnell wie mit der Waage, holte der Händler eine kleine Truhe hervor und schloss sie auf. Dort entnahm er ein kleines Gewicht und reichte es Simut.

„Ich hoffe, ihr werdet weiterhin so gute Geschäfte in meinem Haus machen, Herr. Wohin darf ich die Krüge liefern?“

„Zur Stadtresidenz meines Vaters. Der Wein wird ihm von dort aus geliefert. Ihr kennt sicherlich den ehrenwerten Neferrenpet, den Vertreter des Vizekönigs von Kusch?“

Der Händler fiel fast zu Boden vor Simut und verbeugte sich vielmals.

„Selbstverständlich, hoher Herr. Es wird alles so geschehen, wie ihr es wünscht. Mein Diener Djoser wir die Bestellung gleich morgen früh anliefern.“

Ohne den Händler weiter zu beachten, der sich in zahlreichen Verbeugungen erging, schlenderte Simut nach draußen, wohin ihm Meketre folgte. Als sie bei ihrem Streitwagen angelangt waren, sah Meketre etwas zweifelnd zu Simut.

„Ging es nicht ein wenig unauffälliger? Was passiert, wenn morgen der Wein im Hause des Vertreters des Vizekönigs von Kusch angeliefert wird?“

Simut sah etwas traurig auf Meketre herab.

„Nichts. Die Ware wird wie bestellt abgeliefert und dort in Empfang genommen. Der Vertreter des Vizekönigs von Kusch ist tatsächlich mein Vater.“


Gemni hatte mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Es begann schon am Palast des Bürgermeisters, wo ihn die Wachen an einen Schreiber der Steuererfassung verwiesen. Der Schreiber stellte sich als älterer Mann heraus, der dem Aussehen nach schon seit der Zeit der Regentin hier saß. Nachdenklich lauschte er Gemnis Wunsch.

„Nun, das wäre alles kein Problem, doch die Steuerakten sind nicht nach Namen sortiert, sondern nach den Häusern und Betrieben die besteuert werden. Die Beamten unseres Amtes gehen zu einer bestimmten Adresse und derjenige, der dort wohnt, wird taxiert und ist steuerpflichtig.“

Auf Gemnis entsetztes Gesicht lachte er leise.

„Doch du kannst der Göttin Bastet ein Opfer bringen. Ich weiß in etwa, wen du meinst.“

Mit offenem Mund sah Gemni den alten Mann an.

„Du kennst die Leute der Stadt auswendig?“

„Nein, natürlich nicht. Dafür sind es nun wahrlich zu viele. Doch ich arbeite hier schon seit dem sechzehnten Jahr der Regierung unseres göttlichen Pharao, lang möge er leben.“

Gemni rechnete schnell nach. Das waren fünfunddreißig Jahre!

„Und so habe ich schon etliche Steuerakten gesehen, besonders von denen, die säumige Zahler waren. In der ganzen Zeit sind mir nur sehr wenige Personen begegnet mit Namen Sethnacht. Nach dem Wüstengott benannt zu werden ist nicht gerade üblich. Dann suchen wir jemanden, der einen Haushalt mit Dienern hat. Das dürfte wohl die Bauern, Fischer oder Tagelöhner ausschließen.“

Gemni zappelte etwas hin und her, doch der alte Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Das führt dann zu den Haushalten, die groß genug sind, Diener zu beschäftigen. Da kommen wohl nur acht oder zehn in Frage.“

„Was? So viele? Ich muss die Steuerakten sehen, ob da ein Diener mit Namen Hanai eingetragen ist.“

„Die Diener wechseln sehr oft. Du hast Glück, dass die Steuererfassung erst vor kurzem stattgefunden hat. Doch die Akten herauszusuchen dauert lange und ich habe auch noch andere Arbeit zu erledigen.“

Seufzend zog Gemni den kleinen Skarabäus aus seinem Beutel und legte ihn auf seine ausgestreckte Handfläche. Der alte Mann warf nur einen kurzen Blick darauf und verbeugte sich vor dem Namen des göttlichen Herrschers.

„Ich habe mir schon so etwas gedacht.“

Auf einen fragenden Blick zeigte der Schreiber auf Gemnis ledernen Lendenschurz.

„Der Gott Mahes. Es gehen inzwischen schon Gerüchte durch die Stadt über die Löwen des Mahes und den Prinzen, der sie anführt. Ich werde gehen und die Befehle unseres göttlichen Herrschers, lang möge er leben, befolgen.“

Bis zum Mittag lagen sieben Schriftrollen vor Gemni der sie eilig durchsah. Danach war er ebenso ratlos wie verwirrt. Von den sieben Personen mit Namen Sethnacht hatten vier einen Diener namens Hanai. Wie konnte das sein? Kam dieser Name etwa sehr häufig vor?

Der alte Schreiber tippte auf eine der Rollen.

„Diesen hier kannst du vergessen. Ich kenne ihn persönlich. Er lebt mit seinem Diener alleine in einem kleinen Haus im Viertel der Beamten. Sie sind beide noch erheblich älter als ich.“

Gemni nickte und konzentrierte sich auf die restlichen drei Akten. Er hatte ja noch ein wenig Zeit und vielleicht waren ja Simut und Meketre mit ihrem Auftrag schon fertig. Meketre schien sich in der Stadt ja gut auszukennen.


Nebamun war nun schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit im Hafenviertel. Diesmal allerdings hatte er alles abgelegt, was auf seine Herkunft als Soldat schließen ließ. Er trug lediglich einen nicht mehr ganz so weißen Leinenschurz und hatte sich am Flussufer etwas dreckig gemacht. Mit seinen kurzen Haaren und dem noch jugendlichen Gesicht konnte er ohne weiteres als Diener durchgehen. Ein wenig half auch seine Erfahrung aus dem Waisenhaus in Men-nefer.

Pachred hingegen war von Huni und den beiden Wagenlenkern grinsend mit einigen Sachen ausgestattet worden, die ihn vollkommen veränderten. Die von Gemni sorgfältig sauber geschrubbte Gestalt von Pachred trug nun einen strahlend weißen Leinenschurz. Dazu hatte er Armreifen und eine goldene Halskette mit dem Bildnis der Göttin Bastet bekommen. Seine Haare waren kunstvoll frisiert und parfümiert worden und seine Augen waren mit schwarzem Khol geschminkt worden. An den Füßen trug er zum Zeichen seines Reichtums echte Ledersandalen. Pachred fühlte sich merklich unwohl.

„Warum müssen wir uns so verkleiden? Wir suchen doch nur nach einem Eselshändler.“

„Richtig. Aber ich möchte nicht, dass sich jemand an einen Offizier mit einem Diener erinnert, wenn wir nach ihm fragen sollten. Die meisten werden sich nur an einen reichen jungen Herrn erinnern, der mit seinem Diener unterwegs ist.“

„Aber hättest du nicht der reiche Herr sein können?“

„Nein. Wenn ich der Herr wäre, würden wir aussehen, wie viele andere Kaufleute, die sich im Hafen umsehen. Ich möchte aber, dass wir auffallen. Dadurch werden wir angesprochen werden, weil alle ein Geschäft wittern, mit einem so unerfahrenen reichen Schnösel. Wir werden hoffentlich nicht einmal selbst Fragen zu stellen brauchen.“

Pachred seufzte ergeben und besah sein Spiegelbild im Teich. Gemni würde wohl noch tagelang über ihn lachen.

Sie hatten sich von einem Streitwagen ein Stück vor dem Hafen absetzen lassen und streiften nun mit suchenden Blicken den Schiffen im Hafen vorbei, hin zu den Lagerhäusern und den wenigen Geschäften, die dort waren. Hier wurde die Fracht der Schiffe umgeschlagen. Die Waren wurden eingelagert oder aber weitergeschickt, üblicherweise mit Karawanen von Eseln, die den großen Händlern gehörten. Aber man konnte auch Esel kaufen oder mieten.

Vor einem der Pferche blieben Nebamun und Pachred stehen und sahen sich die Esel an. Kaum, dass der Händler sie erblickt hatte, eilte er auch schon herbei. Er verbeugte sich tief vor Pachred, der sich verkneifen musste, nicht das gleiche zu tun.

„Ehrenwerter Herr. Seht nur, all diese schönen Tiere. Ihr interessiert euch dafür? Was kann der ehrliche Rahotep für euch tun?“

Unwillkürlich sahen sich Nebamun und Pachred an. Jemand, der schon die Bezeichnung ‚der Ehrliche‘ in seinem Namen führte, war verdächtig. Nebamun machte mehrere tiefe Verbeugungen.

„Mein Herr ist auf der Suche nach ein paar Tieren für eine Karawane. Übermorgen soll ein Schiff mit seinen Waren eintreffen und diese sollen so schnell wie möglich weiter gesandt werden in die Oase Dachla.“

„Gewiss, gewiss. Doch wie viele Tiere werden benötigt? Auf einer so langen Reise können sie natürlich nicht so schwer beladen werden und es müssen ja auch Vorräte mitgeführt werden.“

Nebamun überlegte ein wenig, ob er den Händler ärgern sollte, aber er entschied sich für eine andere Strategie.

„Nun, es handelt sich um Leinen. Genau siebzig Ballen.“

Der Händler erbleichte ob des in Aussicht stehenden Gewinns. Siebzig Ballen Leinen erforderten fünfunddreißig Esel. Dazu kamen dann noch einmal mindestens sieben Esel mit den Vorräten. Zweiundvierzig Tiere! Wenn er die Esel verkaufen könnte, wären das, Moment, mehr als sechs Deben reinen Goldes. Doch halt, so viele Esel hatte er gar nicht.

„Herr, ich bin nur ein einfacher Händler. Gebt mir einen Tag Zeit und ich werde euch die Esel besorgen.“

Pachred sah den Mann abschätzend von oben bis unten an. Dann wandte er sich an Nebamun.

„Lass uns gehen. Es wird hier hoffentlich Händler geben, die unseren Wünschen entsprechen können.“

Mit hochgerecktem Kopf und einem gelangweilten Gesichtsausdruck drehte sich Pachred um und ließ den Händler sprachlos mit offenem Mund zurück. Hinter dem nächsten Warenhaus lehnte sich Pachred an die Mauer und stöhnte leise, während Nebamun lachte.

„Das war doch hervorragend. Ich wette, das hätte nicht einmal die Hälfte der wirklich reichen Bürschchen hingekriegt.“

„Was jetzt?“

„Jetzt werden wir einen Moment warten. Ich denke, dass innerhalb der nächsten halben Stunde jeder Eselshändler am Hafen genau weiß, was wir haben wollen. Und wir sind ja nicht zu übersehen.“

Pachred nickte seufzend.

Tatsächlich dauerte es nicht einmal so lange, bis ein korpulenter Mann mittleren Alters auf die beiden zugestürzt kam, als sie weiter an den Warenlagern entlang spazierten. Mit erhobenen Armen baute er sich vor Pachred auf.

„Ehrenwerter Herr! Hört mich an!“

Nebamun trat vor Pachred, als ob er ihn beschützen wollte.

„Keine Angst, Herr. Ich bin Mahet, der Eselshändler und ich habe euch ein Angebot zu machen.“

Pachred nickte herablassend und der Händler nahm das als Zeichen, dass er weiterreden solle.

„Ich habe fünfundvierzig Tiere, die ich euch sofort verkaufen könnte. Ich mache euch sogar ein besonderes Angebot. Ich verlange lediglich 25 Deben Kupfer für jeden Esel. Das ist ein sehr guter Preis.“

Pachred sah Nebamun an, der leicht nickte. Der Preis war erstaunlich niedrig. Außerdem hatten sie anscheinend ihren Mann gefunden, den sie suchten. Doch irgendetwas stimmte nicht ganz. Pachred wedelte mit einer Hand.

„Dann zeig‘ er, was er hat.“

Unter mehreren Verbeugungen führte Mahet seinen potentiellen Kunden hinüber zu einem etwas abseits gelegenen Pferch. Schon beim ersten Blick, schnappte Pachred unwillkürlich nach Luft. Die Tiere boten ein jämmerliches Bild. Sie waren struppig und abgemagert, etliche hatten kleine, schwärende Wunden. Die meisten von ihnen ließen die Köpfe hängen. Futter und Wasser war nirgends zu entdecken. Nebamun drehte sich mit zusammengekniffenen Augen zu dem Händler.

„Die sehen aber nicht sehr kräftig aus.“

„Oh, das wird schon wieder. Die sind zäh. Sie sind alle heute erst wieder hereingekommen, sie waren bei einer Karawane aus dem Sinai.“

In Pachred stieg die Wut auf. Die Tiere waren drei Wochen unterwegs gewesen in einer der heißesten Gegenden, die bereist wurden und dann sollten sie nach zwei Tagen schon wieder auf eine Reise gehen?

Nebamun bemerkte Pachreds Stimmung und versuchte ihn hastig abzulenken.

„Junger Herr, wir müssten da erst die Zustimmung eures Vaters haben.“

Pachred sah Nebamun etwas verwirrt an, dann aber nickte er verstehend.

„Ich werde meinen Vater aufsuchen und ihm von dem Angebot berichten. Ihr seid der Händler…“

„Mahet, Herr. Mahet, der Händler und Karawanenführer.“

„Nun, Mahet, Händler und Karawanenführer, ich denke, wir werden uns wiedersehen.“

Und genau wie beim ersten Mal, rauschte Pachred mit hoch erhobenem Kopf ab. Diesmal jedoch zerrte er Nebamun in den Schatten eines Warenlagers.

„Beim nächsten Mal ramme ich ihm einen Dolch zwischen die Rippen,“

zischte Pachred.

„Hast du die Tiere gesehen?“

„Ja, hab‘ ich. Und es gefällt mir ebenso wenig wie dir. Aber daran können wir nichts ändern. Zumindest wird er sie nicht in den nächsten zwei Tagen verkaufen, weil er immer noch glaubt, dass wir wiederkommen.“

„Gibt es nichts, was wir tun können?“

Nebamun seufzte und ließ seinen Blick über den Hafen schweifen.

„Keine Ahnung. Aber wir werden uns einmal beim Hafenkapitän erkundigen, was sich da machen lässt.“


Als sie die Schreibstube des Hafenkapitäns betraten, sah der Schreiber gelangweilt auf. Sein verwirrter Blick blieb an Pachred hängen, bis er dann Nebamun erkannte. Sofort sprang er auf und eilte nach nebenan. Der Hafenkapitän erschien auch kurz darauf und winkte den beiden wortlos zu, worauf sie ihm in sein Büro folgten.

Dort saß bereits ein jüngerer Mann der sie interessiert betrachtete. Nebamun bemerkte den Offiziersstab, den er vor sich auf den Tisch gelegt hatte.

„Leutnant Nebamun. Welch zweifelhafte Freude, euch zu sehen. Doch euer Aufzug gibt mir ehrlich gesagt, ein Rätsel auf. Und wer ist dieser junge Mann?“

„Das ist Pachred, mein Mitarbeiter.“

Der Offizier, der vor dem Tisch saß, lächelte leicht.

„Es sieht so aus, als ob sie mit einem bestimmten Auftrag unterwegs sind, Uniwaset. Du solltest dich darauf gefasst machen, dass deine Hilfe gebraucht wird.“

Der Hafenkapitän nickte säuerlich und deutete auf den Offizier.

„Das ist Hauptmann Djawut. Er ist im Hafen mit der Zollkontrolle beauftragt. Wir waren gerade dabei, die Liste der einlaufenden Schiffe abzugleichen. Aber was kann ich für euch tun?“

Nebamun schilderte kurz die Begegnung mit dem Händler Mahet und seinen Eseln, doch der Hafenkapitän schüttelte bedauernd seinen Kopf.

„Da lässt sich nichts machen. Die Tiere sind sein Eigentum und mit denen kann er machen was er will, auch wenn es zu Schade um die Tiere ist.“

Hauptmann Djawut hatte einen Moment dem Gespräch gelauscht und dann in einigen der Papiere gewühlt, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

„Entschuldigung, wieviel Esel wollte er verkaufen?“

„Äh, fünfundvierzig.“

„Und die waren alle bei einer Karawane aus dem Sinai?“

„So hat er jedenfalls gesagt.“

„Dann, mein lieber Mahet, hab‘ ich dich jetzt bei den Eiern.“

Auf die erstaunten Blicke der anderen lachte der Hauptmann.

„Die Karawane von Mahet ist gestern Nachmittag hier angekommen. Er hat seine Ladung ordnungsgemäß verzollt. Allerdings war die auf zweiunddreißig Eseln verladen. Es ist ein beliebtes Spielchen, ein paar Tiere draußen zu lassen und erst bei Nacht zu versuchen, sie hereinzuschmuggeln. Die meisten erwischen wir, aber manchmal klappt es auch. Wir werden Mahet noch einmal einen Besuch abstatten und auch sein Lager noch einmal kontrollieren. Vielen Dank für den Hinweis.“

„Was passiert dann mit den Eseln?“

„So lange, wie die Untersuchung läuft, werden sie versorgt. Wenn es sich als wahr herausstellt, werden die dreizehn Tiere als Schmuggelgut beschlagnahmt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der nacherhobene Zoll und die Strafe in Eseln bezahlt werden könnte.“

Nebamun erwiderte das Lächeln des Hauptmanns.

„Vielen Dank. Das wäre sehr freundlich von euch.“

„Ich habe mich zu bedanken. Auf Mahet hatten wir schon lange ein Auge, konnten ihm aber nichts nachweisen.“

Auch vom Hafenkapitän verabschiedeten sich Nebamun und Pachred. Der war sichtlich froh, dass er diesmal nicht betroffen war.

Zurück im Südflügel gab Pachred zuerst seine Schmuckstücke wieder ab. Nebamun schnupperte an ihm herum.

„Du stinkst nach Esel.“

„Du auch.“

„Ab in den Teich.“

Nebamun und Pachred nutzten ausgiebig die Reinigungsasche. Nebamun fuhr mit beiden Händen an Pachreds Rücken herab, bis zu den Hinterbacken, die er dann leicht spreizte. Pacher zuckte zusammen und entwand sich ihm. Nebamun sah ihn überrascht und auch peinlich berührt an.

„Entschuldigung. Ihr beide habt noch nicht…“

Pachred schüttelte den Kopf und blickte dann ebenfalls peinlich berührt ins Wasser. Nebamun gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Das muss ja auch nicht sein. Jeder sollte das tun, was er gerne möchte. Niemand wird zu etwas gezwungen.“

Pachred sah ihn dankbar an, dann fuhr er seufzend mit seinen Händen an Nebamuns Brust herab. Der hielt die Hände in Höhe des Bauchnabels fest.

„Weißt du eigentlich, dass ich mal zu den Katern der Bastet gehört habe?“

Pachred nickte. Gemni hatte ihm von dieser Gruppe aus dem Waisenhaus erzählt.

„So ein Kater kann auch schon mal für eine bestimmte Gelegenheit eine Katze sein.“

Pachred überlegte einen Moment, doch dann dämmerte ihm, was Nebamun ihm vorgeschlagen hatte. Leicht errötend sah er nun Nebamun in die Augen und der nahm es als Zustimmung.


Userhet hatte sich für diesen Auftrag nicht ganz so herausgeputzt wie sein Bruder, doch er trug neben dem Leinenschurz und dem ledernen Brustpanzer der Wagenlenker ein goldenes Armband am rechten Handgelenk, während das linke Handgelenk mit Scheide und Dolch versehen war. Auch bei ihm bemerkte Huni nun zum ersten Mal eine dünne goldene Kette mit der goldenen Fliege.

Unwillkürlich verbeugte sich Huni und Userhet sah ihn kopfschüttelnd an.

„Was ist? Nur weil ich ein wenig Schmuck trage, brauchst du dich nicht gleich verbeugen.“

Huni sah Userhet zweifelnd an. Sicher, sie hatten sich näher kennengelernt, doch das war nichts, was man nach Außen trug. Dies hier war etwas anderes. Dies waren die Zeichen von Reichtum, Macht und Einfluss. Etwas, was Huni gelernt hatte, zu respektieren.

Userhet betrachtete Huni einen Moment, dann lächelte er geheimnisvoll.

„Mein Bruder und ich waren der Meinung, dass der Haushalt des Prinzen auch in der Öffentlichkeit etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Deshalb haben wir ein paar kleine Geschenke besorgt.“

Mit einem kurzen Seitenblick auf Simi nahm Userhet einen kleinen Gegenstand aus einem Beutel und legte ihn Huni um den Hals. Der sah automatisch nach unten, konnte aber nichts erkennen. Vorsichtig griff er nach der kleinen Kette in seinem Nacken und zog daran. Verblüfft sah er auf das Amulett, das Userhet ihm umgehängt hatte. Es war aus Kupfer mit farbigem Glasfluss und zeigte den Gott Mahes, so, wie er auch auf den Lendenschurzen der Leibwache zu sehen war, doch ohne Waffen. Zu seinen Füßen waren ein paar heilige Zeichen angebracht.

„Es sind die gleichen, wie auf dem Brustpanzer des Prinzen. Sie bedeuten sA – swt – bjt, also Sohn des Herrschers von Ober- und Unterägypten. Die Figur daneben mit der ausgestreckten Hand ist das Symbol für einen Diener. Du Bist also der Diener des Sohnes unseres Herrschers.“

„Lang möge er leben.“

flüsterte Huni ergriffen.

Userhet drehte sich nun zu Simi um und wie erwartet, machte der ein etwas enttäuschtes Gesicht. Der Wagenlenker lächelte und griff noch einmal in den Beutel.

„Simi, komm her. Für dich und Meketre gibt es etwas anderes.“

Userhet hielt ein kleines Amulett hoch, das auf den ersten Blick genau so aussah, wie das von Huni. Doch bei näherem Hinsehen bemerkte Simi den Unterschied. Der Gott Mahes hatte eine Hand ausgestreckt und in der Hand konnte man deutlich eine Kuriertasche erkennen. Die heiligen Zeichen zu Füßen des Gottes beinhalteten wieder den Titel des Prinzen, doch diesmal war er gefolgt von einem paar Beinen.

„Sieh her. Der Gott trägt die Kuriertasche und dieses Zeichen hier unten bedeutet ‚gehen‘. Ihr seid also diejenigen, die für den Prinzen laufen.“

Simi strahlte, als Userhet ihm das Amulett umhängte.

„Meketre bekommt seines, wenn er wieder da ist. Und Pachred bekommt das gleiche wie Huni. Aber jetzt müssen wir wirklich los. Wir wissen nicht, was uns heute noch erwartet.

Der Innenhof im Palast des Obersten Verwalters brummte wie ein Stock wilder Bienen. Der Oberste Verwalter Semsu stand wie ein Felsen mitten im Sandsturm, nur dass die Sandkörner in diesem Fall aus Schreiben und kleineren Beamten bestanden, die durch Befehle in alle möglichen Richtungen gescheucht wurden. Der Innenhof lichtete sich und Semsus Blick fiel nach einiger Zeit auf Huni, der dem Treiben erstaunt zugesehen hatte.

„Du da!“

Huni zuckte zusammen und ging, gefolgt von Userhet nach vorne. Der Wagenlenker hob grüßend seinen Offiziersstab.

„Ich bin Userhet, Wagenlenker des Prinzen Netermest und mit dem Diener Huni hier in einem wichtigen Auftrag des Prinzen.“

„Richtig. Daher also kenne ich ihn. Nun, das ganze Chaos hier hat gestern angefangen, als der Schreiber Kermat verschwunden ist. Mit ihm sind auch gleich mehrere Sklaven verschwunden und eine ganze Menge Unterlagen über die Neuzugänge in den letzten drei Monaten.“

Userhet erbleichte.

„Gibt es noch einen Schreiber namens Kermat in den Diensten des großen Hauses?“

Rahmose schüttelte den Kopf.

„Nein, nur diesen einen.“

„Wo ist Frau Nebet?“

Der Schreiber Rachmose wedelte hektisch mit einem Papyrus.

„Sie ist für den Haushalt der königlichen Gemahlin Merti eingeteilt gewesen, doch dort ist sie nie aufgetaucht. Der Schreiber Kermat hat anscheinend die Zuteilungen geändert, doch die sind bei den verschwundenen Unterlagen. Wir haben keine Ahnung, wo sie sein könnte.“

Huni fing plötzlich an zu zappeln. Userhet sah in von der Seite an.

„Was ist? Wenn du etwas sagen willst, dann sag es einfach.“

„Wo ist der Diener Peribsen aus dem Haushalt der Nebet hingekommen?“

Userhet, Rachmose und sogar der Oberste Verwalter sahen Huni fragend an.

„Nebet war eine freigelassene Sklavin und Chaemwase angeblich ihr nicht freigelassener Sohn. Sie hat aber einen wahren Sohn gehabt, Peribsen, der nur zur Tarnung die Stelle als Diener hatte.“

Userhet sah Huni kopfschüttelnd an, während Rachmose schon suchte.

„Hier! Der Diener Peribsen wurde dem Haushalt des Vorstehers der Phylen von Ober- und Unterägypten zugeteilt.“

„Was? Den Titel gibt es noch?“

Der Oberste Verwalte sah spöttisch zu Userhet.

„Der ist sehr begehrt. Eine hohe Ehre und eine gute Versorgung. Der jetzige Inhaber hat bereits das siebzigste Lebensjahr überschritten.“

Huni sah nun zu Userhet.

„Ich glaube, dass Frau Nebet genau dort ist, wo auch Peribsen ist. Können wir das irgendwie überprüfen?“

„Hm, ich könnte eine Anfrage an den Verwalter dort stellen, aber das wird wohl eine Zeit dauern.“

Einen Moment lang schwiegen alle, bis Huni vorsichtig seine Halskette mit dem Amulett abnahm und sie Userhet reichte.

„Was wird das denn?“

„Ich habe eine Lösung gefunden. Wenn der Oberste Verwalter so gnädig ist, mir eine Zuweisung zum Haushalt des Vorstehers der Phylen von Ober- und Unterägypten auszustellen, werde ich hingehen und mich dort umsehen. Selbst wenn sie mich erkennt, weiß sie nicht, woher ich komme.“

Der Schreiber Rachmose schüttelte den Kopf.

„Das geht nicht. Du bist ein Geschenk des Prinzen Amenhotep an den Prinzen Netermest. Du unterstehst nicht mehr dem Obersten Verwalter.“

„Das weiß aber Frau Nebet nicht. Ich könnte…“

„Nein! Du magst das zwar als Abenteuer sehen, doch ich muss mich nachher Prinz Netermest dafür verantworten. Auf gar keinen Fall. Hier machen wir das anders. Da wir nicht wissen, wohin der Schreiber Kermat verschwunden ist und ob er nicht vielleicht doch noch seinen Auftrag durchführt, müssen wir vorsichtig sein. Wir werden im Haus dieses Vorstehers der Phylen nach ihr suchen lassen und wenn beide dort sind, werden sie dem Haus der beiden Wahrheiten überstellt. Sollte nur dieser Peribsen dort sein, wird er so lange beobachtet, bis sie ebenfalls auftaucht und dann werden sie dem Haus der beiden Wahrheiten überstellt. Prinz Netermest hat noch so einige Fragen an sie.“

Der Oberste Verwalter nickte zustimmend, nur Huni machte ein etwas enttäuschtes Gesicht.


Am Nachmittag waren alle wieder in der großen Halle versammelt und Netermest folgte aufmerksam jedem einzelnen Bericht.

„Also, wir haben den Weinhändler Rahotep, bei dem tatsächlich ein Diener namens Djoser arbeitet. Aber was soll diese Bestellung für den Vertreters des Vizekönigs von Kusch? Und wieso ausgerechnet der?“

Simut und Meketre sahen sich einen kurzen Augenblick an, dann seufzte Simut, während sein Bruder etwas nervös zappelte.

„Der Diener wird den wertvollsten Wein zuerst ausliefern. Damit können wir ihn dann beim Haus des Unnacht eindeutig identifizieren und festnehmen. Und was den Vertreter des Vizekönigs von Kusch anbelangt, so handelt es sich dabei um den ehrenwerten Anami, den Vater von Userhet und mir.“

Netermest starrte Simut drei Lidschläge lang völlig unbewegt an, dann nickte er langsam.

„Ja. Macht irgendwie Sinn. Du bekommst eine Gruppe von zehn Bogenschützen und ihr bezieht beim Haus des Unnacht Stellung, sobald dieser Djoser eindeutig identifiziert wurde.“

„Jawohl, Herr.“

Netermest schüttelte leicht den Kopf, als ob er ein paar Gedanken vertreiben wollte.

„Der Eselshändler Mahet ist dem Zoll in die Hände gefallen. Ich möchte bis heute Abend wissen, was aus ihm geworden ist.“

Nebamun nickte bestätigend.

„Die Sache mit der Frau Nebet ist etwas schwieriger. Sie wurde tatsächlich zusammen mit ihrem Sohn festgenommen und dem Tempel der Maat überstellt. Allerdings ist der Attentäter immer noch verschwunden. Ich hoffe nur, er schafft es nicht bis ins Gefängnis. Übrigens, Userhet, es war weise von dir, Huni von seinem Abenteuer abzuhalten. Ich traue dieser Frau Nebet nicht über den Weg.“

Userhet freute sich über das Lob, während Huni enttäuscht sein Gesicht verzog.

„Zu der Vernehmung werden mich morgen Huni, Gemni und Nebamun begleiten, wenn alles andere erledigt ist. Der Getreidelieferant ist bereits festgesetzt worden, ich warte nur noch auf eine Nachricht aus dem Haus des Lebens. Sethnacht hat da gute Arbeit geleistet.“

Haran nickte und streichelte etwas geistesabwesend Sethnacht.

„Wo wir beim Thema Sethnacht sind. Da ist noch die Überprüfung der drei Personen mit diesem Namen offen. Einer der Diener namens Hanai ist vermutlich der Attentäter mit der Schlinge. Ich will, dass jetzt gleichzeitig drei Trupps losgehen und die Adressen überprüfen. Sie sollen alle drei den Diener ins Haus der beiden Wahrheiten bringen. Dort werden wir dann sehen, welcher der richtige ist. Sollte einer vorher fliehen wollen, denkt immer daran, dass ich noch mit ihm reden will. Die drei Trupps führen Simut, Userhet und Nebamun. Seht zu, denn die Zeit drängt.“

Alle drei Offiziere erhoben sich und eilten hinaus, um in der Kaserne des Palastes ihre Trupps mit den Bogenschützen zusammenzustellen.

Nach nicht einmal zwei Stunden waren alle drei wieder da. Der letzte, der zurückkehrte war Nebamun, der seinen zweiten Auftrag auch gleich mit ausgeführt hatte.

„Der Eselshändler Mahet befindet sich im Gefängnis der Zollbehörde. Dort schreit er alles zusammen, weil er angeblich morgen noch ein wichtiges Geschäft abzuschließen hat.“

„Sehr gut. Wir lassen ihn erst einmal dort und kümmern uns um die Leute im Haus der beiden Wahrheiten. Userhet hat das Glück gehabt, den Attentäter zu erwischen. Als dieser Hanai den Trupp sich nähern sah, hat er versucht zu fliehen. Jetzt wird er im Haus der beiden Wahrheiten von einem Arzt versorgt. Du kannst dich ebenfalls bis morgen zurückziehen, ich habe noch eine andere Sache zu erledigen.“

Nebamun verbeugte sich formell, was Netermest mit einem Stirnrunzeln quittierte.

„Du brauchst nicht eingeschnappt zu sein. Ich will zum Tempel der Sachmet, aber Gemni hat dich gesucht, frag ihn mal, was er will.“

Zu Nebamuns Überraschung trat Netermest an ihn heran und gab ihm einen kurzen Kuss, dann eilte er nach draußen, wo die Leibwache auf ihn wartete.

Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen machte sich Nebamun auf die Suche nach Gemni. Der saß oben auf dem Dach der großen Halle und war mit Schreibarbeiten beschäftigt. Der Prinz hatte ihm aufgetragen, alle Vorkommnisse und Aktionen peinlich genau zu protokollieren. Wenn das so weiter ging, würden sie noch einen zweiten Schreiber brauchen.

Als Nebamun erschien, unterbrach Gemni seine Arbeit und bedeutete ihm, sich neben ihn zu setzen.

„Was gibt es, Herr der tausend Zeichen?“

Auf Gemnis Stirn erschien eine tiefe Falte. Über die heiligen Zeichen machte man sich nicht lustig. Doch dann seufzte er.

„Ich möchte dir danken, Nebamun.“

„Danken? Wofür?“

Gemni rutschte etwas nervös hin und her.

„Nun ja, Pachred hat mir erzählt, was ihr heute alles so erlebt habt. Und dann hat er auch von der Zeit am Teich erzählt. Und dass du ihn dort nicht… ich meine, dass Pachred…“

„Seine Unschuld behalten hat? Jeder entscheidet, was er mit wem macht. Diesen Teil werde ich gerne Pachred und dir überlassen, wenn ihr es so wollt. Aber er hat ja auch ein anderes Angebot wahrgenommen.“

Gemni nickte nun ernsthaft.

„Ich weiß. Es wäre aber nicht nötig gewesen, dass du…“

„Gemni. Auch ich weiß, was ich gerne mache und manchmal liege ich auch gerne mal auf dem Rücken. Ob Kater oder Katze, Hauptsache, es macht Spaß.“

„Nun ja, ich dachte, ich könnte dich vielleicht etwas entschädigen.“

„Entschädigen? Oh, du meinst, ich darf wieder der Kater sein? Gemni, hier geht es nicht um Entschädigung. Wenn es Pachred genauso viel Spaß gemacht hat wie mir, dann war es das wert. Sollte das jetzt aber eine Einladung gewesen sein, dann komme ich gerne darauf zurück. Wir könnten ja in dein Zimmer gehen und wenn ihr wollt, kann Pachred ebenfalls dazu kommen.“

Gemni sah Nebamun verblüfft an, dann grinste er. Er wusste, dass Pachred auf jeden Fall erscheinen würde.

Lesemodus deaktivieren (?)