Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

Der Kleinbus der Pilgergruppe fuhr durch die engen Gassen von Lourdes. Anfang März war es noch ziemlich kühl und nur wenige Personen waren im Ort unterwegs. Das würde sich spätestens zu Ostern dramatisch ändern, wie Pater Anselm ausführlich erklärte. Das kleine Städtchen mit seinen knapp 15.000 Einwohnern würde zunächst einen Schub an Saisonarbeitern erleben, hauptsächlich im Gastgewerbe. Dann kamen die Pilger. Gabriél beobachtete staunend und auch etwas erschreckt, wie vor ihnen ein Reisebus durch die Gassen zirkelte, ohne allerdings jemals eine Hauswand, eine Markise oder gar ein Verkehrsschild zu streifen.

„Wir sind da.“

Pater Anselm deutete auf ein unscheinbares Gebäude in einer Nebenstraße. Lediglich die Beschriftung ‚Hotel Saint Esprit‘ ließ auf seine Funktion schließen. Die Zimmer waren klein und einfach eingerichtet. Pater Anselm hatte ein Einzelzimmer, ebenso wie Gabriél.

Nachdem sich jeder eingerichtet hatte, trafen sie sich in der Lobby.

„Wie wollen wir es machen? Die Gruppe aus Rom kommt erst am Nachmittag hier an. Wollt ihr schon mal durch den Ort gehen?“

Tobias und auch Timo nickten.

„Kann ja nichts schaden. Wir können uns dann schon mal orientieren.“

Lucien blies etwas die Backen auf.

„Was ist? Du nicht?“

„Ich, äh, war schon mal hier. Ist schon ein paar Jahre her. War eine Bildungsreise mit den Messdienern.“

Timo grinste.

„Dann kannst du uns bestimmt was erzählen.“

Lucien seufzte.

„Das hab ich geahnt. Aber da ist nix hängen geblieben. Hallo, wir waren da alle zwischen vierzehn und sechzehn und dauernd unter Aufsicht.“

„Na klar. Und deine Aufmerksamkeit galt bestimmt mehr deinen Mitreisenden als der Umgebung.“

Lucien verdrehte die Augen und sah zur Decke. Pater Anselm schüttelte nur den Kopf.

„Also gut. Zieht euch was Warmes an, wir treffen uns unten vor dem Hotel.“

Es dauerte nicht lange, bis sich alle versammelt hatten und Pater Anselm deutete die Straße hinab, die ziemlich abschüssig war.

„Die meisten dieser kleinen Gassen enden alle auf der Avenue Peyramale. Das ist eine der Uferstraßen des Flüsschens Gave. Übrigens, das Wasser kommt aus den Pyrenäen und ist entsprechend kalt. Wer da reinfällt, hat nicht gerade die besten Chancen.“

Unten an der Gave besah sich die Pilgergruppe den doch sehr schnell dahinziehenden Fluss.

„Wie gesagt, eiskalt und eine reißende Strömung. Selbst im Sommer.“

Einige erschauerten unwillkürlich.

„Hier in unserer unmittelbaren Umgebung führen drei Brücken über die Gave, hinüber in den anderen Teil von Lourdes. Während auf dieser Seite der sogenannte Heilige Bezirk liegt und ein großer Teil der Hotels für die Pilger angesiedelt sind, wohnen auf der anderen Seite hauptsächlich die Einwohner. Es gibt dort eine Markthalle, einen Festplatz und auch das Krankenhaus.“

Während seines kleinen Vortrags war Pater Anselm langsam weitergegangen und blieb nun vor einer der Brücken stehen.

„Das ist die ‚Alte Brücke‘ Pont Vieux. Da auf der rechten Seite ist das Café Jeanne d’Arc. Das wird unser Treffpunkt, sollten wir uns mal verlieren. Außerdem kann man dort ganz gut und günstig essen – oder auch trinken. Von der oberen Etage aus hat man einen guten Blick auf die Straße und kann die Leute beobachten.“

Lucien überlegte gerade, ob er nicht schon Hunger hatte, aber Pater Anselm wies in die entgegengesetzte Richtung.

„Wir gehen dann jetzt in Richtung des ‚Heiligen Bezirks‘. Ach ja, falls es jemanden interessiert, was da vor 160 Jahren passiert ist, gibt es ein ganz passables Buch, wie ich finde. Es ist eine Romanversion der Vorgänge von dem Schriftsteller Franz Werfel. Der Titel heißt: Das Lied von Bernadette. Ich habe ganz zufällig zwei Exemplare davon auf meinem Zimmer.“

Tobias und Sven sahen sich bezeichnend an, sagten aber nichts, sondern folgten Pater Anselm, der mit schnellen Schritten loslegte.

Die enge Straße war durch hohe Bauten gesäumt und fast überall gab es Hinweise auf ein Hotel oder eine Pension. Bei vielen Gebäuden waren die Erdgeschosse zu kleinen Läden ausgebaut worden. Timo bemerkte direkt an der Straßenecke einen ziemlich großen Juwelierladen, dann kleinere Shops mit Lebensmitteln und ein oder zwei Cafés. Das Ende der Straße öffnete sich auf eine weitere Querstraße, auf deren gegenüberliegenden Seite man schon ein großes, parkähnliches Gelände erkennen konnte.

„Dort drüben beginnt der sogenannte Heilige Bezirk. Er besteht hauptsächlich aus den drei Kathedralen, die auf dem Felsen über der Grotte errichtet worden sind und der großen Freifläche östlich davon, die für Prozessionen genutzt wird.“

Weiter ging es durch ein offenes Tor einen etwas abschüssigen Weg hinab.

„Hier auf der rechten Seite befindet sich eines der moderneren Bauwerke. Eine unterirdische Kathedrale, ausreichend für bis zu 10.000 Gläubige.“

„Unterirdisch? Warum denn das?“

„Man wollte wohl das Gesamtbild nicht mit einem riesigen Betonbau zerstören und ein solcher Bau hätte auch den gesamten Bezirk dominiert. Das sieht man nachher ganz gut auf dem anderen Ufer der Gave, dort wurde nämlich ebenfalls eine weitere Kirche errichtet.“

„Eine unterirdische Kathedrale. Die hätte ich gerne mal gesehen.“

„Versprich dir nicht zu viel davon, Sven. Alles in Sichtbeton ausgeführt und behindertengerecht, das heißt, mit Rampen zugänglich. Kritiker haben sie schon zu Anfang als ‚Tiefgarage‘ bezeichnet.“

Pater Anselm schüttelte bei Luciens Kommentar den Kopf, musste ihm aber insgeheim Recht geben, was die Architektur betraf. Dennoch, es war ein geweihter Ort und ein Platz für Gebet und Andacht. Dieser Platz ist überall, sei es auf dem Gipfel eines Berges, in einer gotischen Kathedrale oder eben in einer Tiefgarage.

„So, hier links geht es zur Grotte. Heute ist noch nicht viel Betrieb, da können wir ruhig mal durchgehen.“

Es warteten tatsächlich nur wenige Leute vor der Absperrung zur Grotte und sie wurden zügig durchgewunken. Die Grotte selbst war unscheinbar, die Quelle mit dem Wunderwasser war mit einer Glasplatte abgedeckt und einem Spot beleuchtet. Das beeindruckendste für Sven war jedoch die Marienstatue, die erhöht am Rand der Grotte stand.

Eine fast lebensgroße Statue aus weißem Stein die eine Frau mit langem Kleid und einem über den Kopf gelegten Umhang darstellte. In den zum Gebet gefalteten Händen hielt sie einen großen Rosenkranz. Lediglich die lange Schärpe, mit der sie gegürtet war, war in hellblauer Farbe ausgeführt.

Als sie die Grotte verließen, zog sich Pater Anselm bis an das Ufer der Gave zurück und lehnte sich dort an die Steinmauer, die als Uferbefestigung diente. Die anderen taten es ihm gleich. Sven hatte nun einen ungehinderten Blick auf den gesamten Bereich der Grotte. Sein Blick kam immer wieder auf die Marienstatue zurück.

„Das ist die Stelle, an der Bernadette angeblich, oder vielleicht doch, ihre Erscheinungen gehabt haben soll. So soll sie ausgesehen haben, die fremde Frau, die nie ihren Namen gesagt hatte.“

Sven tauschte einen Blick mit Timo, der ihn anlächelte. Sie hatten nie viel über Religion gesprochen und er wusste, ehrlich gesagt nicht, wie Timo darüber dachte. Möglicherweise würde der Aufenthalt hier etwas mehr Erleuchtung bringen.

Als sich Sven umdrehte, sah er die Kirche, die Pater Anselm erwähnt hatte. Ihre moderne Gestaltung war mehr als gewöhnungsbedürftig, wenn man mit einer Kirche immer nur die Bauwerke aus dem hohen oder späten Mittelalter assoziierte.

Pater Anselm zeigte in die Richtung rechts von ihnen auf dem diesseitigen Ufer.

„Dort drüben sind die Bäder. Dort wird das Wasser der Quelle genutzt für Tauchbäder. Und hier vorne, direkt neben der Grotte, ist in diesen Blechwagen eine Abstellmöglichkeit für die Kerzen. Die gestifteten Kerzen können hier unter Aufsicht abbrennen. Gerade in der Nacht ein eindrucksvolles Bild.“

Pater Anselm bemerkte, wie die jungen Herren etwas unruhig wurden. Die ganzen Eindrücke waren wohl doch etwas viel gewesen und besonders Sven schien eher verwirrt zu sein.

„Dann lasst uns jetzt wieder zurück zum Hotel gehen. Monsignore Bergleitner dürfte mit seiner kleinen Pilgergruppe inzwischen eingetroffen sein.“

Als sie auf dem gleichen Weg den Heiligen Bezirk durch das Tor wieder verließen, sah Sven auf der gegenüberliegenden Straßenseite etliche Geschäfte, die ihm vorhin gar nicht aufgefallen waren. Als sie nun daran vorbeigingen, verlangsamte er unwillkürlich seine Schritte. Mit großen Augen studierte er die Auslage. Angefangen von Heiligenstatuen in diversen Größen, über Kreuze, Rosenkränze, Postkarten, bis hin zu billigem Nippes war wortwörtlich alles zu bekommen, was der Pilger nicht haben wollte.

Pater Anselm sah sich ebenfalls etwas abschätzig um.

„Das ist natürlich nicht zu vermeiden. Die Tradition ist uralt. Wo es eine Pilgerstätte gibt, gibt es auch den sogenannten Devotionalienhandel. Wobei hier, meines Erachtens, nicht viel Anbetungswürdiges dabei ist.“

Svens suchende Blicke bemerkten nun auch tatsächlich etliche Versionen der betenden Bernadette und fast ebenso viel Versionen der Marienstatue von der Grotte. Etliche davon schienen wie eine Plastikflasche auszusehen. Sven fragte Lucien.

„Genau das sind sie auch. Kannst du in allen Größen bekommen. Der Kopf ist ein Schraubverschluss. Damit kannst du unten an den Wasserhähnen neben der Grotte heiliges Wasser abfüllen und mit nach Hause nehmen.“

Lucien erkannte Svens verwirrten Blicke und grinste leicht. So war es ihm auch das erste Mal hier gegangen.

„Wenn du einen Heiligen haben willst, gehe ich mit dir nach oben in die Stadt. Da gibt es einen Händler, der stellt lebensgroße Statuen her.“

„Was? Ehrlich?“

Lucien nickte ernsthaft und auch Pater Anselm nickte. Doch Lucien zuckte mit den Schultern.

„Kosten natürlich auch entsprechend. Mal davon abgesehen, gibt es hier auch Sachen, die selbst ich nicht besonders witzig finde. Eine etwa handgroße Grotte mit betender Bernadette ist ja noch okay, aber nicht in pink und mit umlaufenden mehrfarbig leuchtenden LED’s. Der Renner war damals allerdings eine 3D-Postkarte mit dem Haupt des Gekreuzigten, so mit Dornenkrone und so. In einem Winkel weinte er Tränen, im anderen Winkel, zwinkerte er dir zu.“

Timo und Tobias runzelten die Stirn bei dieser Beschreibung, während Gabriél wie fasziniert vor der Auslage stand. Ein Regal enthielt mehrere Versionen aller drei Erzengel, während darunter, an einem Aufhänger, sich neben Kreuzen und anderen Symbolen auch kleine Anhänger mit den Erzengeln befanden. Vorsichtig nahm Gabriél eine dünne Kette mit dem Bildnis des Erzengels Gabriel auf und betrachtete ihn eindringlich. Einem plötzlichen Impuls folgend kaufte er den Anhänger mit Kette und legte ihn dann auch sogleich um.

Im Hotel waren die Pilger aus Rom tatsächlich schon eingetroffen. Monsignore Bergleitner saß mit vier jungen Männern zusammen in der Hotelhalle und trank einen Kaffee. Der Monsignore war nicht zu verkennen, denn er trug diesmal eine schwarze Soutane mit einer violetten Knopfreihe und einem violetten Zingulum. Die vier jungen Herrn um ihn herum trugen alle Jeans und Pullover und schienen sich darin etwas unwohl zu fühlen. Alle fünf standen auf, als sich Pater Anselm mit seiner Gruppe näherte.

„Ah, unsere Pilgergruppe aus Deutschland. Wie schön sie wiederzusehen, meine Herren. Ich darf dann mal gleich vorstellen. Dies sind Urs Manhardt und René Pfeiffer. Und diese beiden Herren sind Peter Dürner und Lars Berger.“

Pater Anselm stellte nun auch seine Gruppe vor und es dauerte eine Weile, bis jeder jedem die Hand gegeben hatte. Lucien spürte bei Urs Manhardt das leichte Ziehen an seinem Mana und wusste, dass er der Bannmagier war. Da die Herren paarweise vorgestellt worden waren, vermutete er in René Pfeiffer einen Kampfmagier. Bei den anderen beiden war er nicht sicher, doch als Tobias bei Lars Berger leicht grinste, kannte er die Verteilung der Magier.

Monsignore Bergleitner wandte sich nach der Vorstellung an Pater Anselm.

„Ich habe mir erlaubt, einen kleinen Raum zu reservieren, in dem wir in aller Ruhe unseren kontemplativen Betrachtungen nachgehen können.“

Pater Anselm runzelte etwas die Stirn, folgte aber Monsignore Bergleitner in einen kleinen Raum, der wohl ein separater Speiseraum gewesen war, nun aber als improvisierter Konferenzraum diente.

Der Monsignore legte einen Aktenkoffer auf den Tisch, klappte ihn auf und gab Lars ein kleines silbernes Gerät, das dieser sofort in Betrieb nahm. Nach wenigen Sekunden wandte sich Lars an seinen Pilgerleiter.

„Einsatzbereit.“

Pater Anselm sah besorgt zum Monsignore.

„Was ist passiert? Warum so eilig?“

„Er hat schon wieder zugeschlagen. Heute Vormittag, drüben bei der Kirche St. Bernadette.“

„Was? Da waren wir ja ganz in der Nähe.“

Pater Anselm drehte sich zu Timo, doch der schüttelte nur mit dem Kopf.

„Nichts, aber das hat nichts zu bedeuten. Wenn er nahe genug ist oder sogar einen körperlichen Kontakt hat, ist selbst ein Heilzauber der Stufe sechs kaum zu erkennen.“

Die vier Gardisten sahen überrascht zu Timo, der dann den rechten Ärmel seines Pullovers etwas höher schob und dabei ein grünes Silikonarmband freilegte. Die vier Herren schienen eindeutig überrascht zu sein.

„Wirklich ein Heiler?“, flüsterte Peter Dürner und Timo nickte nur.

Pater Anselm lehnte sich etwas in seinen Stuhl zurück.

„Wir müssen versuchen, ihn aufzuspüren. Was ist mit dem Zauber ‚Magie erkennen‘?“

Peter Dürner wandte sich von Timo ab, den er eine ganze Weile beobachtet hatte.

„Das funktioniert nur, solange der Heilzauber gewirkt wird. Da wir nicht wissen, wann das ist, wird es ziemlich schwierig. ‚Magie erkennen‘ ist Stufe drei und lässt sich nicht unendlich lange aufrechterhalten.“

„Weiß man inzwischen, welche Personen er sich für die Heilungen ausgesucht hat?“

Monsignore Bergleitner sah Gabriél erstaunt an, blätterte dann aber in seinen Unterlagen.

„So, wie es aussieht, sind es immer Frauen. Ja, heute auch. Hm, Frauen, immer in Begleitung anderer Frauen, fast immer in fortgeschrittenem Alter.“

Sven sah zu Timo und nickte dann nachdenklich.

„Also die klassische Zielgruppe.“

Pater Anselm sah Sven stirnrunzelnd an.

„Ach so?“

„Ja. Also Timo, ohne Nonna zu nahe zu treten, würde ich sagen, die ideale Zielgruppe. Monsignore, wie sieht denn die Besucherstruktur einer Messe an einem normalen Sonntag aus?“

Monsignore Bergleitner wusste sofort, worauf Sven aus war.

„Die übliche Besetzung. Zwei Reihen alte Mütterlein, ein paar mehr oder weniger gezwungene Begleiter und in den Universitätsstädten die üblichen Seminaristen.“

„Die wahren Gläubigen, wenn ich das mal so pauschalieren darf, bestehen also im Großen und Ganzen aus weiblichen Personen jenseits der – na, sagen wir sechzig. Viele von ihnen kommen hier her um zu beten und auf ein Wunder zu hoffen. Bei ihnen sitzt der Glaube tief und Wunder sind ja von der Kirche auch schon anerkannt worden. Sie sind im Prinzip die idealen Opfer für jemanden, der an ihnen einen Heilzauber durchführt. Sie würden sein Tun nicht in Frage stellen, sondern eher dankbar in die nächste Kirche eilen.“

Auf Svens Einlassung folgte erst einmal langes Schweigen, dann sah Lucien hinüber zu Timo.

„Auf welche Entfernung kann man denn eine Krankheit erkennen?“

Timo machte dicke Backen.

„Kommt immer darauf an. Aber dafür brauche ich keinen speziellen Zauber. Ich bin in der Lage, den Körper eines Lebewesens zu erfassen und eine Störung des Systems instinktiv zu erkennen. Das heißt, eigentlich macht das mein Mana. Das gleicht sozusagen meine eigenen körperlichen Informationen mit dem ab, was das Mana meines Patienten mir erzählt. Somit weiß ich, was im Körper eine Störung ist oder was dort hingehört.“

Timo lächelte etwas unsicher.

„Was die Entfernung anbetrifft, bin ich mir nicht sicher. Es wurde immer unterrichtet, dass ein direkter Körperkontakt am sichersten ist, was die Diagnose anbelangt. Das lässt aber darauf schließen, dass es auch auf größere Entfernung ginge.“

„Das lässt sich ja ausprobieren.“

Lars Berger war aufgestanden, entledigte sich seines Pullovers und gleich danach seines Hemdes. Lucien sah den sportlichen jungen Mann interessiert an und bekam von Tobias einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.

„Aua! Was denn?“

„Benimm dich.“

Peter Dürner saß ihnen gegenüber und grinste.

„Das passiert öfter. Da denk ich mir schon gar nichts mehr bei. Aber sag mal, du bist doch Kampfmagier.“

Tobias nickte und lächelte Peter an.

„Ja, warum?“

„Ist das nicht langweilig bei euch? Man hat uns gesagt, ihr macht nur interne Aufgaben.“

Tobias grinste etwas und sah erst zu Lars, dann zu Lucien.

„Ich kann da eine ganz interessante Geschichte über unser Team und einen Drachen erzählen.“

„Einen Drachen? Im Ernst?“

Tobias nickte und flüsterte dann.

„Heute Abend, bei uns auf der Stube.“

Peter sah ihn etwas irritiert an, dann grinste er.

„Okay, aber die Geschichte muss schon gut sein.“

Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Anno Domini 2018

Robin war mit der Inventarisierung der Sporthalle beschäftigt. Martin hatte die Bestandslisten ausgedruckt und an den S4 weitergegeben. Dann hatte er Robin erklärt, worum es ging.

Alle Gegenstände in der Sporthalle, der Küche, der Werkstatt und der Sauna mussten auf Funktionsfähigkeit und Sicherheit überprüft werden. Im Zweifelsfall mussten Ersatzansprüche geltend gemacht oder Reparaturen veranlasst werden.

Als nebenamtlicher S4 wollte Robin mit gutem Beispiel vorangehen und stand nun mit Stift und Klemmbrett in der Sporthalle. Schwerpunkt der Ausstattung waren Geräte für Leichtathletik und Ballsport. Was Robin vermisste, war eine Hochsprungmatte. Die hätte in der kleinen Halle allerdings auch sehr viel Platz verbraucht.

Zurück in seinem kleinen Büro verglich er die Liste mit den Kaufbelegen der Sportgeräte. Die Fitnessgeräte würden wohl neu beschafft werden müssen. Da würde er am besten mit Lucas oder Alexander drüber sprechen.

Martin kam ins Büro und schmiss sein Klemmbrett auf den Schreibtisch.

„Das hätte ich mir auch sparen können. Die Sauna ist nagelneu. Möchte nur mal wissen, warum die so groß ausgelegt worden ist.“

„Kann ich dir sagen. Das war der ursprüngliche Entwurf für das Hotel. Eingangsbereich, getrennte Umkleiden, getrennte Toiletten, das Schwimmbecken mit Gegenstromanlage. Zwei Trockensaunen, eine Biosauna und eine Dampfsauna, alles ausgelegt auf ein volles Wellnessprogramm.“

Sie hatten die Sauna bisher nur einmal bei Michaels Geburtstag in Betrieb genommen, aber da war sie Martin nicht so groß vorgekommen.

„Nicht zu vergessen zwei große Ruheräume mit insgesamt 50 Plätzen.“

„Zwei? Ich hab nur den einen gesehen mit dem Panoramafenster zum Pool.“

„Neben der Dampfsauna ist auch noch einer. Hat nur ein großes Fenster zum Vorraum mit den Fußbecken. Ist ein Bisschen dunkler drinnen als der andere.“

Robin schoss gerade ein Gedanke durch den Kopf.

„Wie groß ist der Raum? Haben wir einen Plan?“

Martin ging hinüber zum Aktenschrank und zog einen Ordner hervor.

„Hm, hier. Fünf mal sieben. 35 Quadratmeter. Ist ein wenig kleiner als der andere, der hat 40.“

„Wenn ich das richtig im Kopf hab‘ haben die Räume alle eine Fußbodenheizung. Kann man da auch noch was drauflegen ohne dass die Heizung Schaden nimmt?“

„Was willst du denn da drauflegen? Der Fußboden ist doch isoliert genug.“

„Na, so eine Art elastischen Bodenbelag. Mindestens zwanzig Zentimeter dick.“

„Zwanzig Zentimeter? Was willst du denn da auslegen?“

„Eine Matte oder irgendetwas Ähnliches. Schön weich, aber immer noch begehbar.“

„Oh, warte mal. Ich glaube, ich hab da letztens was gesehen.“

Martin suchte an seinem Rechner und hatte kurze Zeit später gefunden, was ihm aufgefallen war.

„Hier, Air Track Matten. Fünf Meter lang, einen Meter breit. Luftgefüllt, zwanzig Zentimeter dick.“

„Genau, das ist es. Dann haben wir keine Hochsprungmatte, sondern ein Luftkissenfeld.“

„Was denn für eine Hochsprungmatte? Und wozu soll das gut sein?“

Robin erklärte Martin die Tradition der Hochsprungmatte.

„Was? Alle zusammen nackt auf der Matte? Ich weiß nicht…“

„Es wird niemand gezwungen. Außerdem ist das in der Sauna dann sogar noch praktischer. Mach mal die Bestellung fertig.“

Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

In Lourdes erprobte Timo die Entfernungsgrenze für Diagnosen am lebenden Objekt. Lars Berger stand mit freiem Oberkörper mitten im Raum und Timo schritt langsam auf ihn zu. Etwa drei Meter vor ihm blieb er stehen.

„Zwei gebrochene Rippen, gut verheilt.“

Automatisch fasst sich Lars an die linke Brustseite. Timo kam noch einen Schritt näher.

„Zwo, sieben“, murmelte er und Lars verzog sein Gesicht.

„Ist in Behandlung.“

Als Timo jetzt einen guten Meter vor ihm stand, bemerkte er an Lars einen leichten Schweißfilm. Nachdenklich schloss Timo seine Augen. Da war etwas, was er nicht fassen konnte. Nicht auf diese Entfernung. Entschlossen trat er näher und fuhr mit der Hand dicht über die Oberfläche von Lars‘ Brust.

„Aha.“

Von Timos Hand ging ein blaues Leuchten aus, das den gesamten Körper von Lars umschloss um kurz danach langsam zu verblassen.

„Huh? Was war das denn?“

„Ich bin gerade zum millionenfachen Mörder geworden. Du solltest regelmäßig an Grippeschutzimpfungen teilnehmen.“

Peter sah plötzlich etwas alarmiert zu Lars, doch der nickte.

„Ich hatte es befürchtet, als es mir heute Morgen nicht so gut ging. Aber sag mal, hast du jetzt die ganzen Grippeviren beseitigt?“

Timo nickte.

„Es ist normalerweise nicht erlaubt. Also, einen Eingriff durchzuführen bei Krankheiten, die auch mit anderen Mitteln geheilt werden könnten. Hier habe ich das jetzt mal zur Demonstration gemacht. Darf ich alles erwähnen, was ich gefunden habe?“

Lars nickte schulterzuckend.

„Okay, dann kannst du dich wieder anziehen. Es sei denn Lucien hat was dagegen.“

Die letzte Bemerkung war direkt an Lucien gerichtet, der Timo dann auch als Antwort die Zunge herausstreckte.

„Es sieht folgendermaßen aus. Ab ungefähr drei Meter Entfernung kann ich einen fremden Körper als eigenständiges System erfassen. Zuerst wird der grobe Aufbau erkennbar, also das Skelett und die einzelnen Organe. Daher als erstes die Bemerkung über die Knochenbrüche. Wenn ich näher komme, werden auch der Zellaufbau erkennbar und alle Funktionen die damit zusammenhängen. Das war in diesem Fall die Entzündung einer Zahnwurzel. Erst ganz dicht am Körper werden Zellstrukturen erkennbar, die nicht dort hingehören, wie vorhin die Grippeviren.“

„Wie hilft uns das jetzt bei unserer Aufgabe?“

Lars sah zu Monsignore Bergleitner und dann lächelte er Timo an.

„Wir wissen jetzt ungefähr, wie der Mann arbeitet. Er sucht sich ältere Frauen, vorzugsweise in Begleitung von weiteren Frauen. Dann macht er eine Überprüfung ihres körperlichen Zustands. Wie er dann die Frauen anspricht oder die Heilung durchführt, müsste eigentlich aus den Protokollen ersichtlich sein.“

Der Monsignore blätterte in den Protokollen.

„Es handelt sich um einen Mann, etwa Mitte dreißig bis Mitte vierzig. Bekleidet war er jedes Mal mit einem grauen oder schwarzen Kapuzenpullover. Bis jetzt hat er sich immer seinen, na ja, Opfer sind es ja nicht, also seinen Zielpersonen genähert, wenn sie auf einer Bank oder etwas ähnlichem saßen. Er hat sie bis jetzt bei jeder Begegnung gefragt, ob er sich neben sie setzen dürfe. Ah, hier steht, er spricht französisch mit dem sehr starken hier heimischen Dialekt. Die Damen aus Brest haben ihn kaum verstanden. Kurz darauf wendet er sich an eine der Damen mit einer Bemerkung wie: Sie kommen her, um Heilung zu suchen? Und wenn sie dann positiv antwortet, geht dieses blaue Glühen von ihm aus. Danach verabschiedet er sich meistens mit den Worten: Betet für mich. Dann erhebt er sich und verschwindet eilig.“

Timo blickte nachdenklich zu Sven, dann sah er hinüber zu Tobias.

„Toby, kommst du mal bitte.“

Tobias erhob sich und trat neben den Tisch wo Timo auf ihn wartete.

„Streck mal die Hand aus.“

Tobias streckte seine Hand aus und Timo zückte ein kleines Taschenmesser. Blitzschnell brachte er Tobias einen kleinen Schnitt am Handballen bei.

„Aua! Was soll das, du Witzbold?“

„Testlauf.“

Sven feixte.

„Sonst macht er das immer mit Alex. Aber du bist ja jetzt unser Kampfmagier. Timo meint, die Kampfmagier können das am besten ab.“

„Sehr witzig.“

Timo entfernte sich drei Schritte und nun umgab ihn ein violettes Leuchten.

„Au!“

Tobias schüttelte die verletzte Hand und das Leuchten um Timo erlosch sofort. Dann kam der Heiler bis dicht an Tobias heran und das Leuchten erschien wieder. Diesmal konnten alle, die nahe genug saßen, deutlich erkenne, wie der Schnitt in Tobias Handballen sich langsam schloss, bis er nach wenigen Sekunden nicht mehr feststellbar war. Lediglich ein wenig Blut war noch an der Stelle zurückgeblieben.

„Unglaublich“, murmelte Urs.

Timo warf Tobias eine Kusshand zu und der setzte sich grinsend wieder hin.

„Das war jetzt ganz einfach. Wenn ich den Heilzauber auf mich projiziere, während ich mit dem Mana einer Person verbunden bin, funktioniert der Zauber auch, aber nur auf geringe Entfernung. Es wäre einfacher, den Zauber auf die Zielperson zu projizieren, aber dazu bedarf es einer langwierigen Ausbildung.“

„Der Zauber war jetzt aber violett.“

„Was? Ach so. Das liegt an der Intention. Der Blaue ist für Krankheiten und biologische Abweichungen. Der Violette ist für körperliche Zerstörungen.“

Monsignore Bergleitner sah immer noch etwas ratlos auf seine Protokolle.

„Was heißt das jetzt für uns?“

Tobias und Lars sahen sich nur an und nickten sich zu. Tobias lächelte leicht.

„Wir suchen eine männliche Person, zwischen 35 und 45 Jahren alt, von durchschnittlicher Größe. Äußere Erscheinung unbestimmt, da vorwiegend ein Kapuzenpullover getragen wird.“

Lars führte die Beschreibung weiter.

„Er spricht mit starkem einheimischem Akzent und stammt höchstwahrscheinlich aus Lourdes oder der Umgebung. Er ist ein nicht ausgebildeter Heiler mit geringen Kenntnissen der Medizin. Vermutlich entstammt er der unteren Bildungsschicht und hat eine starke religiöse Bindung.“

Lars und Tobias sahen sich tief in die Augen und grinsten. Lucien stieß seinen Partner an und flüsterte: „Hey, ich hab ihn zuerst gesehen.“

Monsignore Bergleitner sah die beiden ebenfalls sehr überrascht an.

„Wie kommen Sie beide zu dieser Einschätzung?“

Tobias deutete auf Lars.

„Wir haben nur unsere Informationen abgeglichen. Haben Sie schon mal einen Kampfmagier erlebt, der seinen Kampfsinn einsetzt?“

Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Anno Domini 2018

Kevin und Lucas waren in dem oberen der beiden Turmzimmer des Westturmes und beratschlagten, wie die Räume genutzt werden könnten. Es hatte schon mehrere Vorschläge dafür gegeben, aber alle waren nicht wirklich überzeugend gewesen.

„Selbst, wenn wir hier oben noch weitere Sensoren für die Überwachungsanlage einbauen, ist der Raum nicht wirklich genutzt. Und nur als Aussichtsplattform, ist erst recht keine Alternative. Es sind ja auch zwei große Räume direkt untereinander. Fast wie ein riesiges Loft. Man könnte die Räume tatsächlich als Unterkunft nutzen.“

„Und wer soll hier wohnen? Wir haben alle ein Zimmer und es stehen immer noch welche leer. Wohnraum brauchen wir keinen.“

Kevin seufzte.

„Ich weiß, aber…“

Er war recht froh, dass er ausgerechnet jetzt von seinem Handy gestört wurde. Robin meldete sich und verkündete fröhlich: „Kannst du mal runterkommen, du hast einen Besucher aus der Stadt. Kyan habe ich auch schon Bescheid gegeben.“

Kevin beendete das Gespräch und sah Lucas an.

„Ich habe einen Besucher aus der Stadt. Wer kann denn was von uns wollen? Wir haben mit denen doch gar nichts zu tun.“

„Na ja, so würde ich das nicht sagen. Denk dran, die Stadt trägt den gleichen Namen wie das Schloss. Da gibt es bestimmt historische Bezüge. Außerdem waren Lucien und Gabriél auch schon dort einkaufen. Wir bekommen unsere gesamten Lebensmittel und das Verbrauchsmaterial für die Firma ausschließlich von den Läden in der Stadt.“

„Na gut. Mal sehen, wer uns da beehrt.“

Wie Kevin richtig vermutet hatte, waren Robin und der Besucher im Konferenzraum der Firma. Auf dem Weg dorthin bemerkte Kevin amüsiert, dass einige Plätze im Großraumbüro besetzt worden waren, um Betriebsamkeit vorzutäuschen.

Der Besucher war ein junger Mann, etwa Mitte zwanzig, in Jeans und Pullover.

„Herr Gebhardt, dies ist Herr Böttcher, unser Leitender Direktor. Kevin, dies ist Herr Torsten Gebhardt, einer der Pächter unseres Grundbesitzes.“

Kevin gab dem Besucher die Hand und lächelte etwas unsicher.

„Willkommen, Herr Gebhardt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das gerade so richtig verstanden habe.“

Der Besucher betrachtete ihn nun erstaunt und sah sich etwas unsicher zu Robin um.

„Einen Moment bitte, ich habe Herrn von Södern, unseren kaufmännischen Direktor ebenfalls hergebeten. Vielleicht kann der uns etwas erleuchten.“

Wie auf ein Stichwort kam Kyan in den Konferenzraum und wurde nun auch Herrn Gebhardt vorgestellt. Er hatte zwei dicke Aktenordner mitgebracht, die er vorsichtig auf den Tisch legte.

Kevin deutete auf den Konferenztisch.

„So wie es aussieht, wird es wohl länger dauern. Nehmen Sie ruhig Platz. Etwas zu trinken?“

Nach jeder einen Platz gefunden und einige der Herren den Wunsch nach Kaffee geäußert hatten, machte sich Robin zunächst an der Kaffeemaschine im Konferenzraum zu schaffen. Kevin erkannte, dass Herr Gebhardt ein wenig aufgeregt war, doch er wollte zunächst wissen, worum es ging.

„Wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich etwas überrascht von der Information, dass wir Eigentümer von Grundbesitz sein sollen, der auch noch verpachtet ist. Wenn Sie gestatten, möchte ich erst einmal von Herrn von Södern hören, was er dazu herausgefunden hat.“

Herr Gebhardt wirkte etwas erstaunt, nickte aber zustimmend und so schlug Kyan den ersten Ordner auf.

„Ist im Prinzip ganz einfach. Schloss Neuerburg ist mit dem gesamten dazugehörigen Grundbesitz verkauft worden. Dazu zählen nicht nur das Schloss und das Vorwerk, sondern auch das umliegende Land. Das sind die Grünflächen direkt um das Schloss, die Wasserflächen mit den Zuläufen und den Wasserrechten. Dann der Wald im Süden mit ca. 12 ha Nutzfläche und erschlossenes Ackerland mit 32 ha Nutzfläche.“

„Was? Das war alles mit in dem Kaufpreis?“

Kyan nickte zögernd.

„Ja. Die Verkaufsbedingung war, dass das Land nicht aufgeteilt werden durfte. Selbst wenn jemand nur die Ackerflächen hätte haben wollen, hätte er das Schloss mitkaufen müssen. Deshalb hat sich wohl niemand für das Objekt interessiert und deshalb war wohl auch der Kaufpreis so niedrig. Die von uns beauftragte Anwaltskanzlei und auch der Makler haben den Grundbesitz nicht explizit erwähnt. Möglicherweise waren sie der Ansicht, dass die Auflistung im Kaufvertrag ausreichend sei.“

„Wenn ich das also richtig verstanden habe, sind die zum Schloss gehörenden Ackerflächen verpachtet worden.“

„Nicht nur die.“

Kyan bemühte jetzt den zweiten Ordner, den er mitgebracht hatte.

„Die Ackerflächen, die Grünflächen um das Schloss und die Waldnutzung wurden verpachtet. Alle an Landwirte aus der Gegend.“

Kevin lehnte sich nun nachdenklich zurück. Er würde mit dem Logistik-Corps noch ein Wörtchen reden müssen. Sie waren es schließlich gewesen, die in Form einer Anwaltskanzlei den Vertrag für ihren Mandanten geschlossen hatten. Kevin und Lucas hatten lediglich den notariell beglaubigten Kaufvertrag bekommen, der zu den Geschäftsunterlagen gegangen war. Genauso hatte der Makler ihnen bei der Übergabe den Landbesitz verschwiegen oder er hatte lediglich versäumt, darauf hinzuweisen. Eigentlich sehr unprofessionell. Sehr merkwürdig. Immerhin hätte es an ihm oder Kyan gelegen, die Unterlagen noch einmal zu überprüfen oder sich zumindest genauer anzusehen.

Es irritierte Kevin zunächst, dass er sich um Dinge kümmern sollte, die mit den eigentlichen Aufgaben seiner Einheit gar nichts zu tun hatten, doch dann realisierte er, dass dies die beste Tarnung war, die sie kriegen konnten.

„So weit also. Was führt Sie denn nun her, Herr Gebhardt?“

Der junge Mann wurde etwas unsicher.

„Es ist folgendermaßen. Unsere Familie betreibt seit etlichen Generationen einen landwirtschaftlichen Betrieb hier in der Gegend. Wir besitzen die zum Betrieb gehörenden Ackerflächen und Grünland. Vor vier Jahren habe ich, nach dem Tod meines Vaters, den Betrieb auf ausschließlichen Ackerbau umgestellt. Um ihn rentabel zu betreiben, musste ich Ackerflächen dazu pachten, das sind bis jetzt zehn Hektar, die Ihnen gehören. Es hat nun in letzter Zeit ein paar Vorkommnisse gegeben, die zu einer, sagen wir, Meinungsverschiedenheit, mit dem Bürgermeister, Herrn Herdacker, geführt haben. Seit dieser Zeit versucht er, mich zu behindern, wo es geht. Er hat mir kürzlich damit gedroht, Ihnen ein Angebot für einen neuen Pachtvertrag zu machen, der weit über der jetzt gezahlten Pacht liegt. Das könnte ich mir nicht mehr leisten.“

Kevin schwieg zunächst. Was war denn das? Das war ja besser als jede Seifenoper. Wie sollte er denn jetzt darauf reagieren?

„Zunächst einmal, warum ist das jetzt aktuell? Ich dachte, Pachtverträge gelten weiter, auch wenn das Land verkauft wurde.“

Kyan nickte zustimmend.

„Das ist richtig, aber es handelt sich hier um zeitlich befristete Verträge. Sie werden alle zum 31.03. dieses Jahres auslaufen. Ab diesem Zeitpunkt sind wir dann stolze Eigentümer von 32 Hektar unbestellten Grund und Boden.“

„Welches dann neu verpachtet werden könnte. Moment, wieso 32 Hektar?“

„Alle Verträge für Ackerflächen und Grünland werden auslaufen. Lediglich der Wald ist langfristig an einen Forstbetrieb verpachtet.“

„Wenn ich sie also richtig verstanden habe, möchten Sie jetzt die Pachtverträge erneuern. Und der Herr Bürgermeister ist ebenfalls Pächter bei uns?“

„Ja. Ebenfalls mit zehn Hektar. Die restlichen Flächen teilen sich einzelne Landwirte, die ihren Hof direkt dort in der Nähe haben. Die Grünflächen sind, soweit ich weiß, an Betriebe mit Viehhaltung verpachtet.“

Kyan blätterte durch seine Ordner und nickte dann.

Kevin überlegte einen Moment. Irgendwie passte das alles noch nicht ganz zusammen. Die Sache mit den Pachtverträgen war eindeutig, aber was steckte hinter dem Kleinkrieg mit dem Bürgermeister? Er brauchte mehr Informationen.

„Herr Gebhardt, so Leid es mir tut, aber ich kann Ihnen heute leider noch keine Antwort geben. Ich muss mich mit den Unterlagen meiner Vorgänger beschäftigen und werde Ihnen innerhalb der nächsten Woche dann unsere Entscheidung mitteilen.“

Der junge Mann war sichtlich enttäuscht und verabschiedete sich auch recht schnell. Er wurde von Robin zum Tor gebracht und Robin kehrte zurück in den Konferenzraum.

Kevin brauchte von Kyan noch ein paar zusätzliche Informationen

„Sag mal, von welchen Beträgen reden wir hier eigentlich?“

Kyan blätterte noch einmal in einem der Ordner.

„Hm, die Pacht für einen Hektar Ackerland beträgt etwa 450 € im Jahr.“

„Was? Das sind bei 10 ha also 4.500 €. Das ist nicht besonders viel, möchte man meinen.“

Robin schüttelte den Kopf.

„Nicht, wenn du nur Ein- oder Zweitausend bekommst pro Hektar für deine Ernte. Und die ist normalerweise ebenfalls nur einmal im Jahr. Dazu dann der ganze Aufwand. Von Saatgut über Dünger bis hin zu Löhnen und Maschinen.“

Kevin und Kyan sahen erstaunt zu Robin.

„Bist du neuerdings unter die Landwirte gegangen?“

Robin grinste etwas schüchtern.

„Nein, aber ich habe mich öfter mit Tobias unterhalten. Besonders nachts, in den Pausen.“

„In den…, oh, so genau wollte ich das nicht wissen. Aber ehrlich, ihr redet nachts von Ackerbau und Viehzucht?“

„Äh, nur Ackerbau. Sieh mal, Toby hätte gerne Agrarwesen studiert. Er wäre dann wahrscheinlich sogar nach Hause zurückgekehrt um dort den Hof weiterzuführen. Stattdessen ist er hier bei uns gelandet.“

Kyan sah Robin betroffen an. Er hatte sich nie viel Gedanken darüber gemacht, was gewesen wäre, wenn er nicht magisch begabt wäre. Die Ereignisse hatten ihn aus seinem normalen Leben förmlich herausgerissen. Aber wie war das bei den anderen? Hatten sie ihre Träume begraben, nur um eine andere Verantwortung zu tragen. Ich werde wohl mit Toby sprechen müssen, wenn er wieder zurück ist.

„Na, was sollen wir denn jetzt deiner Meinung nach machen?“

„Keine Ahnung, aber die Zeit drängt. Sieh mal, wir haben Anfang März. Da hätten schon längst die Vorbereitungen der Ackerflächen beginnen müssen. Solche Verträge enden ja auch normalerweise mit dem Kalenderjahr und nicht zu einem Termin, wo schon längst mit der Arbeit hätte begonnen werden müssen. Es sei denn, er hat schon angefangen und ihm ist bei dem Kommentar des Bürgermeisters aufgefallen, dass wir möglicherweise seinen Pachtvertrag gar nicht erneuern, sondern an den Bürgermeister verpachten. Das wäre für einen reinen Ackerbaubetrieb eine mittlere Katastrophe.“

Kyan arbeitete indessen konzentriert an seinem Tablet und sah nun auf.

„Ist auch ein bisschen schwierig mit Pachtverträgen in der landwirtschaftlichen Nutzung. Ein unbefristeter Vertrag kann nämlich gar nicht mal so einfach gekündigt werden. Und ein befristeter braucht tatsächlich ein genaues Datum. Welches wir ja nun haben. Es gibt sogar die Möglichkeit, einen mündlichen Vertrag zu schließen, aber wenn der länger als zwei Jahre…, na, ist egal. Das brauchen wir jetzt nicht. Mich würde nur interessieren, woher der Bürgermeister weiß, dass dem Gebhardt sein Pachtvertrag ausgelaufen ist.“

Robin überlegte kurz.

„Weil alle Verträge die gleiche Laufzeit haben und der Herr Bürgermeister ja ebenfalls bei uns gepachtet hat?“

„Selbst wenn wirklich alle die gleiche Laufzeit hätten, woher wüsste denn der eine vom anderen? Ich könnte ja auch den Leuten Verträge mit unterschiedlichen Laufzeiten geben.“

Kyan schüttelte zunächst den Kopf, doch dann stutzte er.

„Das wär mir gleich aufgefallen, aber hier hab ich was anderes. Die Verträge sind alle auf zwei Jahre befristet worden. Beim letzten Mal sind sie auch alle neu abgeschlossen worden, ebenfalls wieder auf zwei Jahre. Hier sind die einzelnen Verträge. Größter Kunde ist Herr Gebhardt mit zehn Hektar. Danach kommt gleich die von AGRICULT GmbH mit sieben Hektar Ackerland und drei Hektar Grünfläche. Und nun ratet mal, wer der Hauptgesellschafter ist.“

„Der Bürgermeister?“

„Nicht ganz. Eine gewisse Frau Hannelore Herdacker.“

„Na, dann eben die Frau des Bürgermeisters.“

„Müssten die nicht eigentlich auch noch kommen wegen der Verträge?“

„Hm, eigentlich schon. Einige der kleineren Pächter haben bereits im letzten Jahr neue Verträge gemacht. Warum ausgerechnet die beiden größten Pächter sich noch nicht gemeldet haben, ist mir schleierhaft.“

Kevin überlegte einen Moment, ob die Ideen, die ihm so bei den letzten Gesprächen vorgeschwebt waren, sich auch verwirklichen lassen würden.

Mittels einer Kurznachricht beorderte er noch weitere Teilnehmer zu der kleinen Konferenz.

Kurze Zeit später traten dann Lucas, Alexander, Martin und Max durch die Tür. Lucas bemerkte im Vorbeigehen verblüfft, dass Kevin an seinem Tablet in den lokalen Gelben Seiten scrollte.

„Wir haben uns eine ganze Zeitlang nicht um unser Umfeld gekümmert. Wir haben gedacht, dass die Tarnfirma für unsere Zwecke ausreichend ist, aber das ist wohl so nicht ganz richtig.“

Kevin machte eine kleine dramatische Pause.

„Wir werden die Beziehung unserer Firma zu diesem kleinen Städtchen auf eine ganz andere Ebene verlagern.“

Mit kurzen Worten schilderte er den Besuch des jungen Landwirts. Alexander war erstaunt.

„Da hätte Tobias wahrscheinlich mehr zu sagen können.“

„Nicht wirklich. Worum es mir jetzt grundsätzlich geht, ist unser Auftreten gegenüber den Einwohnern der Stadt. Bisher haben wir uns ja ziemlich versteckt gehalten, abgesehen von Lucien und Gabriél. Das möchte ich ein wenig ändern. Wir sollten uns ein Stück in die Gesellschaft integrieren.“

Lucas hob die Augenbrauen.

„Woher der Sinneswandel?“

„Das ist kein Wandel, sondern nur ein weiterer Aspekt unserer Tarnung. Die Leute sollen uns als selbstverständlich hinnehmen. Sie sollen sich nicht fragen, was passiert da im Schloss, sondern sie sollen einfach unsere ‚Arbeit‘ kennen. Sind einige Leute nicht da, soll es nicht heißen, ja wo sind die denn, sondern, oh, mal wieder jemand auf Geschäftsreise.“

„Wie wollen wir uns selber darstellen?“

Kevin sah zögernd zu Max.

„So, wie ihr eigentlich seid. Gebt euch einfach so, wie ihr auch sonst auftretet. Das Einzige, was für die Einwohner im Dunkel bleibt, ist die Arbeit der Firma, denn das ist geheim. Also nicht die Arbeit, sondern die Projekte an denen wir angeblich arbeiten. Ihr könnt ja unabsichtlich fallen lassen, dass an einer Sicherheitssoftware oder an einem Computerspiel gearbeitet wird, oder so was.“

„Offen schwul?“

„Nein, erst mal nicht. Auch wenn ja einer schon mal ein Bisschen vorgefühlt hat.“

Lucas und Kevin sahen nun zu Robin, der entschuldigend seine Hände hob.

„Was denn? Er ist echt niedlich. Außerdem ist nicht viel passiert.“

Kevin fiel etwas ein.

„Du solltest dich mal wieder mit ihm treffen.“

„Huh?“

„Ja, ich wüsste gerne, warum uns der Makler die Sache mit dem Landbesitz verschwiegen hat. Aber wenn es geht, unauffällig.“

Robin grinste breit und nickte begeistert.

„Lucas, Alexander. Ihr werdet das örtliche Fitness-Center besuchen. Ich denke, da gibt es neben Fitness auch so einige allgemeine Informationen über das Städtchen und seine Einwohner.“

Lucas grinste und Alexander lächelte hintergründig.

„So, was noch? Lucien und Gabriél haben den Supermarkt bereits erkundet. Ah, Rafael könnte die Stadtbibliothek aus irgendeinem Grund überfallen.“

Max machte sich entsprechende Notizen.

„Martin, die privaten Fahrzeuge können doch auch in einer der hiesigen Autowerkstätten gewartet werden.“

„Hm, ja, natürlich. Aber mit unserer Werkstatt würden wir natürlich Kosten sparen.“

„Es geht mir darum, etwas mehr über die Stadt zu erfahren. Ihr sollt nicht direkt etwas fragen, sondern zunächst nur zuhören, was die Leute von sich aus erzählen. Dazu brauchen wir aber ein paar Anknüpfungspunkte.“

Martin nickte verstehend.

„Kyan, du sammelst die Informationen und machst zusammen mit Max eine erste Analyse. Ach so, an alle. Ich hätte auch gerne gewusst, um was für eine Angelegenheit es sich zwischen unserem nicht so fröhlichen Landmann und dem Bürgermeister handelt. Irgendetwas ist da im Busch. Außerdem habe ich das Gefühl, dass wir bald Besuch vom Bürgermeister kriegen. Da sind nämlich noch ein paar Pachtverträge offen.“

Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

Das Abendessen in Lourdes wurde durch ein Tischgebet eingeleitet. Beide Gruppen saßen erwartungsvoll um den großen Tisch herum, denn am Abend gab es, etwas ungewohnt für die deutschen Pilger, ein warmes Abendessen.

Die Suppe war ein wenig dünn, doch durchaus essbar. Beim nächsten Gang stocherte Sven etwas misstrauisch im Fleisch.

„Was ist das denn?“

Timo kicherte nur und Lucien hob seine Augenbrauen. Hatte er als einziger den Speiseplan gelesen?

„Das ist gekochtes Hammelfleisch. Eine Spezialität der Gegend.“

Sven runzelte nur die Stirn, stürzte sich dann aber mutig auf das Essen.

Nach dem Essen zogen sich dann die Pilger einzeln oder in kleinen Gruppen zurück. Gabriél blieb noch mit Urs und René bei der Bar in der Lobby. Lucien und Tobias warteten in ihrem Zimmer auf ihre Besucher. Nach kurzer Zeit erschienen die beiden auch. Als Peter und Lars eintraten, deutete Peter auf Tobias.

„Er war’s. Er hat mir eine spannende Geschichte von einem Drachen versprochen.“

Lucien sah Tobias an, dann lachte er.

„Ha, diesmal war ich es nicht. Aber kommt ruhig herein und lasst euch nieder.“

Peter und Lars grinsten und jeder holte hinter seinem Rücken eine Flasche Rotwein hervor.

„Ein Bisschen was für den Abend. Gläser haben wir leider nicht mit.“

Seufzend stand Lucien auf und ging ins Bad. Nach einigem Geklapper kam er mit vier Wassergläsern wieder.

„Ist zwar nicht stilecht, aber für heute Abend wird es reichen.“

Tobias musste unwillkürlich lachen, als Lars ein Schweizer Taschenmesser zückte und die erste Flasche öffnete. Ja, die Schweizer waren schon sehr praktisch veranlagt. Peter hatte sich mangels Sitzgelegenheit neben Tobias auf das Bett gesetzt. Nachdem Lars eingeschenkt und die Gläser verteilt hatte, setzte er sich neben Lucien auf das zweite Bett.

„Also, lockt ihr immer unschuldige junge Männer in eure Höhle, mit der Ausrede, Geschichten über Drachen zu erzählen?“

Lucien war entrüstet.

„Wir doch nicht! Das ist keine Ausrede, das ist alles die reine Wahrheit. Aber erst mal, Prost.“

Lucien nippte kurz an seinem Glas und nickte zustimmend.

„Also, es war einmal… Oh, hoppla. Falscher Anfang.“

Lars drehte sich zu Lucien und sah ihn gespielt böse an.

„Wenn du Märchen erzählst, werde ich dich bestrafen müssen.“

Tobias grinste breit.

„Oh ja. Ein Märchen, ein Märchen.“

Lucien warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er holte tief Luft, begann dann aber mit einem ausführlichen Bericht über die Operation in Thailand. Den eigentlichen Grund der Reise ließ er weg, ebenso wie einige Details über die Tarnidentität der SMU Südostasien.

Lucien und Tobias wechselten sich ab während des Erzählens. Höhepunkt der Geschichte war natürlich die Wandlung von Flame in den riesigen Drachen.

„Ihr seht, es hat alles seine Richtigkeit“, kommentierte Lucien.

Als er keine Antwort bekam, drehte er sich zur Seite und bemerkte, dass Tobias und Peter etwas verhindert waren zu antworten. Mit einer fremden Zunge im Mund lässt es sich schwer sprechen. Einen entsprechenden Kommentar verhinderte Lars, als er Luciens Kopf wieder zu sich drehte und ihn ebenfalls küsste.

Lucien ließ sich auf das Bett zurücksinken und er musste innerlich lächeln. Wozu doch Drachen alles gut waren.

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Der nächste Morgen begann mit einem gemeinschaftlichen Frühstücksbuffet.

Lucien, Tobias, Peter und Lars erschienen gleichzeitig, was Monsignore Bergleitner zu einem leichten Stirnrunzeln veranlasste. Nach einem geflüsterten Kommentar von Pater Anselm widmete er sich deutlich entspannter wieder seinem café au lait.

Die Nächsten, die erschienen, waren, Urs, René und Gabriel. Lucien bemerkte nur grinsend, wie René bei Gabriél fast zärtlich über den hochstehenden Haarkamm strich.

Timo und Sven waren die letzten und ergatterten noch zwei freie Plätze zwischen Urs und Lars. Während so am großen Tisch die morgendliche Unterhaltung vor sich hin plätscherte, hob Timo plötzlich seinen Kopf und sah zu Peter, der gerade eine kleine Bemerkung zu Lars gemacht hatte.

„Ihr sprecht alle italienisch?“

„Müssen wir. Ist Landessprache in der Città del Vaticano. Die Schweizergarde ist offiziell zweisprachig in Deutsch und Italienisch.“

„Aber das ist nicht eure Muttersprache, oder?“

Lars zuckte mit den Schultern.

„Merkt man das? Na ja, also ich komme aus dem Kanton Basel-Stadt. Das liegt genau an der Grenze zu Frankreich und Deutschland, deshalb bin ich mit den zwei Sprachen aufgewachsen. Offizielle Landessprachen in der Schweiz sind übrigens Deutsch, Französisch und Italienisch.“

Peter sah hinüber zu Timo und grinste.

„Und natürlich Rätoromanisch.“

Die anderen drei Schweizer verdrehten die Augen. Lars stieß seinen Partner leicht an.

„Ja, ja. Aber das kannst du ihnen bitte irgendwo anders in aller Ruhe erklären.“

Wieder zu Timo gewandt, fuhr Lars fort.

„Peter ist aus Graubünden. Da gibt’s außer Deutsch nur Rätoromanisch. René ist aus dem Wallis, seine Muttersprache ist eigentlich Französisch und Urs kommt aus dem Kanton Bern, der wieder hauptsächlich deutschsprachig ist.“

„Na toll“, brummte Sven. „Jetzt bin ich endgültig verwirrt.“

Lucien und Gabriél grinsten sich nur an. Sie kannten das Thema mit der Mehrsprachigkeit zur Genüge. Dann bemerkte Lucien den Anhänger, den Gabriél um den Hals trug.

„Hast du dir tatsächlich ein Souvenir gekauft?

„Das ist der Erzengel Gabriel. Ich dachte, das passt irgendwie.“

Lucien schwieg einen Moment, dann lächelte er.

„Dann wollen wir mal sehen, dass er seinen Aufgaben auch nachkommt. Hey, Leute, ich möchte gleich noch etwas bekanntgeben! Können wir uns bitte im Anschluss an das Frühstück mal kurz im Konferenzraum treffen?“

Einige nickten erstaunt und auch Pater Anselm sah etwas misstrauisch hinüber zu Lucien.

Als sich nach dem Frühstück alle im Konferenzraum eingefunden hatten, aktivierte Lars wieder die Störeinrichtung.

„Einsatzbereit.“

Lucien nickte Lars dankend zu und wandte sich dann an die Gruppe.

„Ich möchte zunächst etwas vorführen, bevor ich anfange, hier ellenlange Erklärungen abzugeben. Urs, könntest du bitte eine physische Barriere für dich aktivieren?“

Urs Manhardt sah Lucien fragend an, zuckte dann aber mit den Schultern. Nicht einmal eine Sekunde später umgab ihn das orangefarbige Leuchten der Barriere. Nur Sekundenbruchteile später waren Lucien und Timo in das gleiche Leuchten gehüllt. Bei Lucien wäre das als Bannmagier nach akzeptabel gewesen, doch nun starrten alle auf Timo.

„Was ist das denn?“

„Eine physische Barriere. Sie ist so eingestellt, dass jeder Astralmagier sie aktivieren kann oder sie springt an, wenn im Umkreis von etwa acht Metern ebenfalls eine physische Barriere aktiviert wird.“

„Ein Zauberspeicher! Und du hast auch einen?“

Lucien deaktivierte die Zauberspeicher und deutete auf seine und Timos Creole.

„All Mitglieder unserer SMU, die Ohrringe tragen, haben eine bekommen. Bei mir ist das ganz praktisch, denn da kann ich mich um andere Sachen kümmern. Wir haben das erste Mal die Zauberspeicher verteilt, weil ein nicht magisch begabtes Mitglied bei einem Einsatz dabei war und der hat das Ding dann auch dringend nötig gehabt.“

„Was also möchtest du nun von uns?“

Lucien deutete auf Urs, Peter und sich.

„Ich möchte gerne, dass wir Gabriél auch einen Zauberspeicher verpassen und zwar genau im Amulett des Erzengels Gabriel.“

Er schenkte Gabriél in schüchternes Lächeln.

„Natürlich nur, wenn du damit einverstanden bist.“

Gabriél nickte nur etwas verwirrt. So ganz hatte er das jetzt nicht verstanden. Timo trat nun neben Lucien.

„Du willst ihn bei dem jetzigen Einsatz schützen, richtig?“

„Ja, warum?“

„Weil ich dann etwas anderes Vorschlagen möchte. Sieh mal, der Typ, hinter dem wir her sind, ist wahrscheinlich nicht bewaffnet. Das einzige, mit dem er sich wehren könnte, wäre seine Begabung. Ich kann nicht nur Wunden schließen, sondern auch Wunden öffnen.“

„Oh.“

Peter war der erste, der wusste, worauf Timo aus war.

„Wir verpassen im also keine physische, sondern eine astrale Barriere. Was soll sie denn für einen Auslöser bekommen?“

„Ich würde sagen, jede astrale oder magische Aktivität im Umkreis von sechs Metern.“

Lucien wiegte nachdenklich seinen Kopf.

„Dann müssen wir aber aufpassen, was wir machen. Der kleinste Zauber kann die Barriere aktivieren.“

Urs schüttelte den Kopf und sah zu Timo

„Das ist nicht gerade praktisch. Wie wäre es, wenn ein beliebiger Heilzauber der Auslöser wäre?“

„Dann müsste er im Einsatz nur weit genug von Timo wegbleiben. Wenn wir mehrere Gruppen bilden, ginge das.“

Timo schien unsicher zu sein.

„Dann kann ich ihm aber nicht helfen, wenn es notwendig sein sollte. Zumindest bis jemand den Zauberspeicher deaktiviert hat.“

Pater Anselm hatte bis jetzt schweigend zugehört und war von der Idee ganz angetan, auch Gabriél mit einem Zauberspeicher auszurüsten.

„Eure Idee ist nicht schlecht. Aber was sagt Gabriél denn zu der ganzen Angelegenheit? So, wie es gerade aussieht, hat er nicht die geringste Idee davon, was ein Zauberspeicher ist.“

Alle sahen nun zu Gabriél, der etwas verwirrt am Rande der Versammlung stand und auch etwas verschüchtert aussah, als er Mittelpunkt des Interesses wurde. Lucien machte einen nicht weniger zerknirschten Eindruck.

„Sorry. Ich hätte dir vorher was erklären sollen. Los, komm mit.“

Ohne weiteren Kommentar packte er Gabriél am Arm und zog ihn aus dem Konferenzraum. Die anderen sahen ihm teilweise amüsiert, teilweise sprachlos hinterher. Tobias seufzte nur.

„Typisch die Luzy. Wir können da nur noch abwarten. Jemand Lust auf noch nen Kaffee?“

Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Anno Domini 2018

Der Besuch des Bürgermeisters ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten, zumindest die ersten Ausläufer davon. Schon einen Tag nach dem Besuch von Herrn Gebhardt bekam Bente als ‚Sekretär‘ des Leitenden Direktors einen Anruf aus dem Vorzimmer des Bürgermeisters zwecks Terminvereinbarung.

Vor dem kurzfristig anberaumten Besuchstermin fand noch einmal eine Besprechung statt, diesmal allerdings mit allen noch anwesenden Mitgliedern der SMU in der Einsatzzentrale.

„So, zur allgemeinen Information. Der Herr Bürgermeister hat sich zu einem Besuch angesagt. Er möchte eine wenig den neuesten Betrieb kennenlernen, der sich hier in seiner Gemeinde niedergelassen hat. Ich habe allerdings das Gefühl, es wird nicht nur ein Höflichkeitsbesuch bleiben. Haben wir inzwischen ausreichend Informationen über die Stadt und ihre Honoratioren?“

Kyan erhob sich und ging nach vorne zum Vortragspult.

„Es gibt eine Menge kleiner Beiträge die innerhalb der paar Tage zusammengekommen sind. Zunächst einmal das, was Zeitung und Internet hergeben. Die Gemeinde Neuerburg hatte mit Stand 2016 insgesamt 5934 Einwohner, verteilt auf den Ort und die umliegenden kleinen Ortschaften und Einzelgehöfte. Bürgermeister ist seit 2002 Ferdinand Herdacker.“

„Seit 16 Jahren?“

Kyan nickte.

„Ist 2010 wiedergewählt worden und steht auch dieses Jahr wieder zur Wahl. Um alle Missverständnisse zu vermeiden, müssen wir übrigens von der Gemeinde Neuerburg sprechen, denn der Ort hat kein Stadtrecht. Es handelt sich um eine Großgemeinde mit umliegenden Ortschaften die den Ort Neuerburg als Sitz der Gemeindeverwaltung hat.“

Kyan sah zu Max, der sich nun ebenfalls erhoben hatte und nach vorne kam.

„Ich habe hier die Auswertung der Informationen, die von uns persönlich zusammengetragen worden sind. Am besten ist es, wenn Einige kurz schildern, wie sie zu den Infos gekommen sind, dann lässt sich besser einschätzen wie stark sie gewichtet werden können.“

Alexander grinste und deutete auf Lucas.

„Lucas und ich waren im Fitness-Center, übrigens dem einzigen im Ort. Wir haben ein Probetraining gemacht und uns dann fest angemeldet. Bisher waren wir drei Mal da. Mit Unterhaltung ist da nicht viel, aber es ist auffällig, dass der Schwerpunkt bei jüngeren Männern und älteren Damen liegt, die dort trainieren. Die jungen Herren machen hauptsächlich Aufbautraining, während die Damen genau das Gegenteil im Sinn haben. Wir wurden zu Anfang etwas misstrauisch beäugt, aber dann sind die Einheimischen am Getränketresen etwas aufgetaut.“

Lucas lachte.

„Hauptsächlich die Damen waren sehr neugierig. Woher wir kommen, was wir hier machen und so weiter. Dabei fielen dann immer wieder Bemerkungen, dass sich hier im Ort ja nicht viel tun würde. Es gab wohl in den letzten Jahren nicht viel neue Betriebe oder Firmen. Die Erweiterung des Gewerbegebietes konnte keine Mehrheit im Gemeinderat finden, obwohl höhere Einnahmen nicht schlecht wären, besonders in Bezug auf die arg heruntergekommene Infrastruktur. Mit den jungen Herren gab es keine ausführlichen Gespräche, lediglich ein Vorkommnis in der Dusche, aber das kann Alex besser erzählen.“

„Jep. Wir waren in der Umkleide und auf dem Weg in die Dusche, als zwei Jungs, wohl so etwa siebzehn oder achtzehn uns dahin gefolgt sind. Als Lucas dann sein Handtuch abgelegt hat, sind sie beide etwas nervös geworden. Lucas hat sich den Spaß gemacht und sich sehr intensiv von oben bis unten eingeseift. Der eine der Jungs ist dann auch nach einer schnellen Wäsche verschwunden, während der andere tatsächlich unter der Dusche einen Ständer gekriegt hat. Erst als Lucas ihn mehr oder weniger böse angesehen hat, hat er das wohl erst mitbekommen. Auf jeden Fall ist er dann panikartig abgehauen.“

Lucas brummte etwas Unverständliches.

„Wir haben noch versucht, ihn in der Umkleide abzufangen, aber da war er auch schon verschwunden. Okay, mir ist es egal, wenn jemand wegen mir erregt wird, aber das muss nicht unbedingt in einer öffentlichen Dusche sein.“

Kevin runzelte die Stirn.

„Okay, ist ja ganz niedlich, die Geschichte, aber was…“

„Moment noch. Als wir unten ankamen, hatte er wohl gerade vor uns ausgecheckt, denn sein Profilbild war noch auf dem Monitor, genauso wie sein Name. Felix Herdacker.“

„Oh. Du meinst…“

Kyans Stimme kam von vorne.

„Wir haben Lucas und Alex ein paar Bilder aus dem Internet zum Vergleich gezeigt. Es ist tatsächlich der jüngste Sohn des Bürgermeisters.“

„Na ja, warum auch nicht. Warum ist das jetzt interessant?“

Max scrollte durch sein Tablet und auf dem großen Monitor erschien das Pressefoto eines wutentbrannten Bürgermeisters vor einer Gruppe von einigen jungen Leuten. Markantestes Merkmal des Bildes war jedoch die große Regenbogenflagge, die einer der jungen Männer in dieser Gruppe trug.

„Das ist doch dieser Gebhardt!“

„Richtig. Das ist ein Foto von vor zwei Jahren, als am 28. Juni, dem Jahrestag des Aufstandes im Stonewall, hier eine kleine Demo vor dem Rathaus stattfand. Als der Bürgermeister höchst selbst die Demo auflösen wollte, kam es zu Handgreiflichkeiten und einer Körperverletzung. Bei den nachfolgenden Gerichtsverhandlungen wurde der Bürgermeister zu einer Geldstrafe und Schmerzensgeld verurteilt.“

„Lass mich raten. Gebhardt?“

„Hundert Punkte. Der Bürgermeister fiel über die Flagge her und Torsten Gebhardt kassierte mehrere Faustschläge ins Gesicht.“

„Daher also die kleine ‚Meinungsverschiedenheit‘ mit dem Bürgermeister.“

„Lass mal Robin weitererzählen.“

Kevin sah nun gespannt zu Robin.

„Ich habe mich wie befohlen an Reiner Deisenberg herangemacht.“

Robin sah Kevins missbilligenden Blick.

„Ja, okay. Ich finde ihn ganz niedlich und ich brauchte nun nicht wirklich eine Aufforderung. Der Junge ist echt ganz süß. Wir haben uns zwei Mal getroffen. Das erste Mal waren wir Essen beim Italiener, das zweite Mal in einer eher alternativen Kneipe, was uns dann schlussendlich in sein Bett geführt hat.“

„Das kannst du dir sparen, es sei denn, es ist wichtig.“

„Ja, Chef. Also was den Makler anbetrifft, da gab es wohl Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Firma. Die Brüder waren sich nicht einig, ob sie den Landbesitz explizit noch einmal erwähnen sollten oder nicht. Der ältere der beiden, den wir kennengelernt haben, hat sich durchgesetzt. Es ging wohl auch darum, dass die Pächter sich schon rechtzeitig mit uns in Verbindung setzen würden, um neue Verträge auszuhandeln. Er wollte sich da nicht einmischen.“

„Sehr merkwürdig. Du hast doch noch etwas.“

Diesmal grinste Robin breit.

„Jep. Reiner Deisenberg und Felix Herdacker sind zusammen in einer Klasse auf die Schule gegangen. Nachdem vor zwei Jahren der Vorfall mit der Demo war, ist Felix für ein Jahr auf ein Internat verschwunden.“

„Dann weiß der Herr Bürgermeister also, was seinen Sohn so umtreibt.“

„Und es scheint ihm nicht zu gefallen.“

Kevin stöhnte etwas gequält.

„Mir gefällt die ganze Sache nicht. Wir sollten uns da ebenfalls nicht einmischen.“

Lucas sah Kevin erstaunt an.

„Wir, mein lieber Schatz, sind da bereits mittendrin.“

Kevin stutzte. Noch nie hatte Lucas ihn in aller Öffentlichkeit Schatz genannt. Dann kam ihm die Erleuchtung.

„Danke, Lucas. Ich hab’s verstanden. Wenn wir es können, werden wir jeden unterstützen, der in aller Öffentlichkeit unter dem Regenbogen für seine Überzeugung und seine Liebe kämpft.“

Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

Es war ungemütlich in der Stadt. Von den Bergen her zog ein kalter Wind durch die engen Gassen und hier oben, bei der alten Burg kam ihnen die Luft noch viel kälter vor. Die Festung war schon über tausend Jahre alt und immer wieder als Verteidigungsanlage genutzt worden. Die Aussicht von hier oben war phänomenal. Bei guter Wetterlage konnte man bis nach Spanien sehen.

Es hatte ein paar Stunden gedauert, doch Gabriél trug nun stolz einen Zauberspeicher in Gestalt seines Namenspatrons um den Hals.

Nach dem Mittagessen hatten sich die jungen Herren in drei Gruppen aufgeteilt. Pater Anselm hatte darauf bestanden, dass sich in jeder Gruppe mindestens ein Kampfmagier befinden sollte und so zog nun Gabriel zusammen mit Urs und René los. Timo und Sven hatten Lars als Begleiter bekommen, womit dann für Lucien und Tobias nur noch Peter blieb.

Urs und René wollten ihre Suche unbedingt auf der alten Burg, hoch über der Stadt beginnen. Gabriél war nicht ganz überzeugt von der Wahl, besonders weil er nicht gerne fror.

„Zugegeben, die Aussicht ist fantastisch, aber deswegen sind wir ja wohl nicht hier.“

Urs wiegte den Kopf.

„Teilweise. Heute kann man ziemlich weit sehen. Da drüben, der Berg, das ist der Pic du Jer. Der ist knapp tausend Meter hoch. Da kann man raufwandern zu einer Bergstation.“

Gabriél verzog etwas das Gesicht.

„Na, du kannst auch mit einer Seilbahn hochfahren, kostet dann natürlich was. Ich hab sogar schon mal welche gesehen, die mit ihrem Mountainbike die Seilbahn nach oben genommen haben und dann die ganze Strecke runtergedonnert sind.“

„Was? Ehrlich?“

Urs nickte.

„Von hier oben kann man sich viel besser orientieren. Sieh mal, hier unten macht die Gave einen großen Bogen. Genau im Bogen ist jetzt die unterirdische Kathedrale. Übrigens benannt nach Papst Pius X. Und hier unterhalb der Burg das eigentliche Lourdes. Die Altstadt geht bis nach da hinten, wo der Bahnhof zu sehen ist. Der ist schon etliche Male erweitert worden.“

„Ich weiß nicht. Irgendwie kann ich mir das nicht so ganz vorstellen mit den ganzen Touristen.“

„Es sind Pilger, keine Touristen. Sie kommen hauptsächlich wegen ihres Glaubens her, na ja die meisten wenigstens. Wenn du drüben auf der anderen Seite der Gave auf die Kathedrale siehst, kannst du links davon ein Kreuz erkennen. Das ist der Beginn eines kompletten Kreuzweges. Führt etliche Serpentinen herunter und man kommt dann in etwa bei den Hotels wieder heraus.“

„Ihr wart schon öfter hier?“

„Mindestens einmal im Jahr. Es gibt da nämlich eine Soldatenwallfahrt. Da kommen tausende von Soldaten aus allen möglichen Ländern. Auch die Schweizergarde stellt da immer eine Abordnung.“

„Was? Alle in Uniform?“

René lachte.

„Ja, natürlich. Es gibt sogar an einem der Tage dort eine kleine Parade, wenn die Abordnungen aller Länder zur Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal marschieren. Beim letzten Mal, als ich hier war, hab‘ ich 32 Nationen gezählt.“

Gabriél sah nachdenklich über die Stadt.

„Es ist schon merkwürdig, wie sich manche Dinge entwickeln können.

Urs nickte.

„Ja. Die Wege des Herrn sind unergründlich.“

Gabriél sah ihn verblüfft an, aber er schien seine Aussage völlig ernst gemeint zu haben.

René wies auf eine Straße zu Füßen der Burg.

„Wir können die üblichen Pilgerorte hier einmal abgehen. Vielleicht hält er sich irgendwo auf, wo er am ehesten auf Pilger trifft. Die sind ja noch nicht so zahlreich. Wir können runter zum Cachot und dann zum Geburtshaus von Bernadette.“

„Zum Gefängnis?“

„Da haben die Soubirous eine Zeitlang gewohnt, als Armenwohnung.“

Gabriél war entsprechend wenig beeindruckt von dem dunklen, kalten und tristen Bau.

„Mich wundert, dass jemand so was sehen will.“

„Ansichtssache“, grinste Urs.

Gabriél lächelte etwas gezwungen bei der Zweideutigkeit des Wortes.

„Los, Leute. Weiter geht’s. Wir klappern einfach alle für die Pilger interessanten Punkte ab.“

Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Anno Domini 2018

Der Besuch des Bürgermeisters überraschte Kevin ein wenig. Es sollte zwar ein informeller Höflichkeitsbesuch sein, aber wozu hatte Herr Herdacker seinen jüngsten Sohn mitgebracht?

Kevin, Lucas, Kyan, Max und Alexander erwarteten die Besucher in der Empfangshalle. Kevin hatte sich dafür entschieden, ihre Firma deutlich in den Mittelpunkt der Vorstellung zu rücken. Aus diesem Grund trugen alle, bis auf Max, einen Geschäftsanzug mit einem weißen Oberhemd, in dessen Kragen dezent das Firmenlogo eingestickt war. Die Anzüge waren extra für Situationen wie diese beschafft worden.

Robin holte den Bürgermeister und seinen Sohn am Parkplatz vor der Brücke ab, nachdem er das Tor freigegeben hatte. Für diesen Zweck trug Robin schwarze Jeans und eine schwarze Windjacke mit der Aufschrift DIGISOFT SECURITY.

Beide Besucher schienen noch nie hier gewesen zu sein, denn sie sahen sich neugierig um. In der Halle wurden sie von Kevin begrüßt.

„Herr Herdacker, willkommen bei DIGISOFT DEVELOPMENT. Mein Name ist Kevin Böttcher und ich bin der Leitende Direktor.“

„Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich erübrigen konnten. Dies ist mein Sohn Felix. Er interessiert sich für diesen Computerkram, von dem ich leider keine Ahnung habe. Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich ihn mitgebracht habe.“

Felix hatte schon beim Eintreten die unübersehbare Gestalt von Lucas bemerkt und war prompt rot angelaufen. Zum Glück konzentrierte sich sein Vater gerade auf die Begrüßung.

„Dann darf ich Ihnen erst einmal unsere Geschäftsführung vorstellen. Mein Stellvertreter, Herr von Lanz-Ravensberg.“

Das leise „Oh“ verriet, dass auch heutzutage Adelstitel, wenn auch nur unbedeutend, immer noch einen gewissen Eindruck machten.

„Dann Herr von Södern, unser Kaufmännischer Direktor.“

Der Bürgermeister musterte nun die Reihe vor ihm und schien erst jetzt zu bemerken, dass wohl keiner älter als 25 war. Ein Kaufmännischer Direktor in dem Alter?

„Herr Alexander Sarutin. Unser Auslandsbeauftragter.“

Kevin hatte Alexander spontan in die Gruppe aufgenommen, weil er den Bürgermeister etwas im Unklaren darüber lassen wollte, welche Geschäftsbeziehungen die Firma hatte. Ein Auslandsbeauftragter mit einem russischen Anklang war da schon eine schöne falsche Fährte.

„Und natürlich Herr Harder, unser Chefentwickler.“

Max trug zu zerrissenen schwarzen Jeans ein schwarzes T-Shirt mit einem angebissenen Cookie und der Aufschrift: Come to the Dark Side … we have the cookies.

Herr Herdacker betrachtete ihn etwas verdutzt, während Felix lächeln musste. Kevin wandte sich wieder an den Bürgermeister.

„Herr Herdacker, wir haben im Konferenzraum eine kleine Präsentation vorbereitet. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Dann drehte sich Kevin zu Felix.

„Ich weiß nicht, ob Geschäftsdaten für Sie besonders interessant sind, aber ich bin sicher, Herr Harder kann Ihnen etwas Spannenderes aus der Entwicklungsabteilung zeigen.“

Felix war deutlich überrascht, nickte aber sofort.

„Ja, sehr gerne sogar.“

Max grinste Felix an und winkte, ihm zu folgen.

„Dann komm mal mit.“

Max führte ihn hinüber in das Großraumbüro, das im Moment von Bente, Michael, Rafael und Thomas besetzt war. Die Arbeitsplatzbesichtigung war eigentlich für den Bürgermeister vorgesehen, aber das konnte nachher ja immer noch stattfinden. Max scheuchte Thomas von einem vorbereiteten Arbeitsplatz weg und wandte sich an Felix.

„Was du jetzt zu sehen bekommst, ist nicht für die Öffentlichkeit. Zumindest nicht in diesem Jahr.“

Auf dem Bildschirm konnte Felix nun die Landschaft und ein paar Darsteller eines sehr bekannten Computerspiels erkennen. Nach einer Weile konnte er erkennen, dass die Grafik und auch die Handlung nicht mit den Teilen übereinstimmten, die er kannte.

„Das… das ist das Neue. Die Fortsetzung.“

„Richtig. Wir machen hier Teilanimationen für die Waffen. Speziell den Teil, in dem dieser Zeitlupeneffekt auftritt.“

Felix sah fasziniert zu, wie eine vorbereitete Testsequenz ablief. Der Ausschnitt war der Tarnfirma extra für solche Firmenführungen zur Verfügung gestellt worden. Max wollte gar nicht wissen, wie das Logistik-Corps an die Daten gekommen war.

Die Firmenpräsentation im Konferenzraum war nach einer knappen halben Stunde beendet und der Herr Bürgermeister entsprechend beeindruckt. Eine im wahrsten Sinne des Wortes junge Firma mit noch weiterem Expansionspotenzial war für den Ort eine wahre Goldgrube, denn als Firmensitz war tatsächlich Neuerburg eingetragen. Die Gemeinde würde dann wohl die Gewerbesteuer kassieren. Das würden nach dem letztjährigen Gewerbeertrag mindestens 160.000 € werden. Damit ließe sich schon eine ganze Menge anfangen.

Im Großraumbüro zeigte Herr Herdacker nur kurzes höfliches Interesse für die Arbeit der Software-Entwickler. Er war eigentlich noch aus einem anderen Grund hergekommen, wusste aber nicht so recht, wie er das Thema anschneiden sollte.

Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

Fast drei Stunden waren Urs, René und Gabriél unterwegs gewesen. Die beiden Schweizer hatten Gabriél fast alles gezeigt, was für einen guten Pilger interessant sein könnte. Zum Ende ihres Rundgangs machten die drei eine kleine Pause im Café Jeanne d’Arc.

Gabriél studierte interessiert die Karte.

„Ist ja eine kleine, aber gute Auswahl. Typisch französische Küche. Und gar nicht mal so teuer.“

Urs und René sahen sich an und begannen zu Lachen.

„Warte mal, bis die Saison beginnt. Spätestens zu Ostern kommen die anderen Karten auf den Tisch. Da haben sich einige Preise glatt verdoppelt. Spätestens zur Soldatenwallfahrt ist hier die Hölle los, wenn man da so sagen darf. Da kostet der Liter Bier schon mal 10 Euro.“

Gabriél hob erstaunt den Kopf und sah sich um.

„Ehrlich? So viel los?“

„Na, du siehst ja den Laden hier. Da hinten in der Ecke ist die Treppe. Oben ist noch mal genauso viel Platz. Jetzt stell dir mal vor sämtliche Plätze sind besetzt. Sämtliche. Vor der Bar stehen sie in drei Reihen bis auf die Brücke. In der Nacht ist selbst die Brücke voller Menschen und ein Straßenverkehr ist nicht mehr möglich.“

Gabriél schüttelte fast ungläubig den Kopf.

„Kaum zu glauben, wo das jetzt alles so friedlich aussieht. Wollen wir noch mal runter bis zur Grotte?“

Urs und René stimmten zu und so liefen sie langsam die Straße entlang zum Heiligen Bezirk und dort nach links in Richtung Grotte. Vor dem Zugang hatte sich eine kleine Schlange gebildet und so setzten sich die drei jungen Männer auf eine der Bänke an der Uferbefestigung.

Während Urs und René die Grotte im Auge behielten und anscheinend in ein stummes Gebet versunken waren, sah Gabriél sich neugierig um. Er beobachtete die Leute, die sich am Zugang zur Grote angestellt hatten und überlegte, woher sie wohl kamen und was sie hier her getrieben hatte.

Etwas gelangweilt erhob sich Gabriél und schlenderte an der Uferbefestigung entlang, bis er zu den Bädern kam. Eine Idee formte sich in Gabriéls Bewusstsein. Etwas weit hergeholt vielleicht, aber genauso gut oder schlecht, wie alles was sie bis jetzt ausprobiert hatten.

Der Andrang vor den Bädern war minimal und Gabriél sah sich neugierig um, während er wartete. Die langgestreckte halboffene Halle aus grauem Stein sah nicht sehr einladend aus.

Die sogenannten Bäder waren in Kabinen abgetrennte steinerne Tauchbecken, die ein wenig an einen mit Wasser gefüllten Sarg erinnerten. Gabriél entschloss sich spontan, auch einmal hier mit dem heiligen Wasser in Berührung zu bekommen.

Gabriél wurde in einen Vorraum mit Vorhängen geführt, wo er von einem Helfer erwartet wurde. Es gab dort abgetrennte, kleine Plätze hinter den Vorhängen, wo er sich bis auf die Unterwäsche ausziehen sollte. Wortlos machte sich Gabriél an die Arbeit und folgte dann dem Mann in den eigentlichen Wannenraum.

Zu seiner Überraschung erwarteten ihn dort zwei weitere Herren, von denen einer mit einem Gebetbuch ausgestattet war. Nach einem kurzen Gebet verließ der Mann mit dem Gebetbuch den Wannenraum und Gabriél wurde aufgefordert, nun auch die Unterhose auszuziehen. Während des Ausziehens und auch der Bewegungen im Raum wurde ihm ein großes weißes Laken gereicht, mit dem er sich verhüllen sollte.

Ihm wurde erklärt, dass er sich ins Wasser stellen konnte, sich setzen oder sogar ganz untertauchen, je nachdem, wie er es wünsche.

Der Mann in dem grauen Arbeitskittel, der Gabriél begleitete, war wohl so um die vierzig und erklärte das Prozedere. Obwohl Gabriél diesen Besuch nicht unbedingt aus religiösen Gründen durchgeführt hatte, fühlte er sich beim Anblick des Wassers doch etwas beklommen.

Der Wärter beobachtete ihn und fragte etwas in der hiesigen französischen Mundart, die für Gabriél nur sehr schwer verständlich war.

Der Mann wiederholte seine Frage langsam und etwas besser artikuliert. Wie er denn heißt, wollte der Mann wissen.

„Gabriél.“

Der Mann sortierte noch weitere Handtücher und sah dann zu Gabriél und seiner doch etwas außergewöhnlichen Frisur.

„So jung und schon krank?“

Automatisch nickte Gabriél und da geschah es. Sein Amulett aktivierte sich und hüllte ihn in einen weißen Schimmer, der seinen ganzen Körper bedeckte. Erschrocken erstarrte er in der Bewegung. Hier und jetzt mit dem Mann konfrontiert zu werden, den sie schon die ganze Zeit suchten, kam etwas unerwartet.

Die Reaktion des Mannes war weitaus dramatischer. Sein Gesicht zeigte zunächst panikartiges Erschrecken, dann sank er bebend auf seine Knie. Mit gefalteten Händen sah er auf zu Gabriél, der in diesem Moment völlig ratlos seine Arme ausbreitete. Das große weiße Laken hatte er noch über die Schultern gelegt und nun entfaltete es sich etwas und hing zu beiden Seiten an seinen Armen herab. Durch das sanfte Leuchten der Manabarriere wurde das Weiß noch etwas mehr hervorgehoben.

Mit einem Aufseufzen sank der Körper des Mannes zu Boden und blieb regungslos dort liegen.

Erst jetzt wurde es Gabriél klar, was der Mann glaubte, gesehen zu haben. Aufstöhnend lehnte er sich an die Wand des kleinen Bades. Was sollte er jetzt tun? So wie er im Moment aussah, konnte er nicht nach draußen. Die Barriere würde wohl noch zehn Minuten bestehen, wenn nicht ein Bannmagier sie aufheben würde.

Draußen vor der Grotte schreckte Urs Manhardt plötzlich aus seiner Meditation hoch. Etwas hektisch sah er sich suchend um.

„Die Barriere! Bei Gabriél ist der Zauberspeicher ausgelöst worden.“

René sprang sofort auf.

„Wo ist er?“

Urs sah sich suchend um. Dann deutete er vage in die Richtung recht neben die Grotte.

„Da drüben, irgendwo.“

„Das sind die Bäder! Los, schnell. So darf ihn niemand sehen. Wenn die Barriere ausgelöst wurde, muss der Typ auch irgendwo da sein.“

Lucien, Peter und Tobias saßen derweil im Jeanne d’Arc beim Kaffee und unterhielten sich über den schwunghaften Devotionalienhandel.

„Mal ehrlich. Soviel Nippes wie hier, hab ich noch nie gesehen. Einiges von dem, was da angeboten wird, ist doch geschmacklich etwas daneben.“

Peter schüttelte leicht den Kopf und sah Tobias an, der immer noch mit seinen letzten Eindrücken zu kämpfen hatte.

„Nicht unbedingt. Sieh es mal so. Wenn es gekauft wird, bleibt es auch im Angebot. Du kannst schon davon ausgehen, dass das Meiste hier einen Käufer findet. Es gibt eben die unterschiedlichsten…“

Peter verstummte mitten im Satz und sah ruckartig zu Lucien. Der hatte seine Kaffeetasse gerade erhoben und war in der Bewegung erstarrt.

„Gabriél. Der Zauberspeicher hat ausgelöst.“

Tobias sah etwas irritiert zu Lucien, als der seine Tasse hart absetzte.

„Wir haben ihn gemacht. Wir können spüren, wenn er auslöst.“

Tobias nickte.

„Wo ist er?“

Lucien sah zu Peter, der vage in eine Richtung deutete.

„Kannst du ihn nicht genauer aufspüren?“

Peter sah Lucien ungnädig an.

„Hier drin? Mit ‚Astralgespür‘ sehe ich aus wie mit einem Heiligenschein und mit ‚Magie erkennen‘ kann ich mich als Orange tarnen.“

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Urs und René eilten so schnell sie konnten ohne aufzufallen zu den Bädern. Am Eingang wurde ihnen Beschieden, sie müssten schon auf ihren Bekannten warten, bis er herauskam. René seufzte ergeben und zückte einen Ausweis.

„Gendarmerie der Schweizergarde. Sagen Sie uns bitte, wo wir den jungen Herrn finden können.“

Die Dame am Eingang starrte vollkommen erstaunt auf den Ausweis mit dem vatikanischen Wappen.

„Äh, dort drüben. Der Herr dort, kann Ihnen sicherlich sagen, wo genau er sich befindet.“

Als sie weiterliefen zischte Urs.

„Bist du verrückt? Wie willst du das denn wieder einfangen?“

„Keine Ahnung. Aber immer noch besser als Gabriél mit einer Astralbarriere.“

Während René den Mann befragte und ihn dann davon abhielt, ihnen zu folgen, eilte Urs in den Baderaum. Der Anblick dort überraschte selbst ihn.

Gabriél, nackt wie er war, lediglich mit einem riesigen weißen Laken behangen, stand immer noch im Wasser. Die Astralbarriere leuchtete weiß und gab Gabriéls heller Haut einen ebenfalls weißen Schimmer. Lediglich die schwarzen Haare minderten etwas die fast überirdische Erscheinung. Unwillkürlich bekreuzigte sich Urs. Gabriel starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

Als im Hintergrund Stimmen laut wurden, trat Urs schnell auf Gabriél zu und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Sofort verschwand die Barriere und mit ihr auch das Leuchten.

„Schnell, zieh dir was an.“

Dann wandte er sich dem immer noch bewusstlosen Wärter zu.

„Ist er das?“

Gabriél nickte.

„Höchst wahrscheinlich. Er hat mich gefragt, ob ich krank sei und als ich es bejaht habe, hat schon der Speicher ausgelöst. Daraufhin fing er plötzlich an zu beten und als ich das Laken zurechtgezogen habe ist er ohnmächtig geworden.“

„Das ist wohl auch ganz gut so. Wir müssen uns jetzt wohl eine einigermaßen plausible Geschichte einfallen lassen.“

Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Anno Domini 2018

„Herr Herdacker, ich möchte Ihnen vorschlagen, dass wir eine kleine Besichtigung des Schlosses durchführen und uns dann zu einem kurzen Gespräch in das Kaminzimmer zurückziehen.“

Der Bürgermeister schien sehr erfreut über die Aussicht auf ein persönliches Gespräch, sah dann aber hinüber zu seinem Sohn.

„Oh, wenn er möchte, können wir Ihrem Sohn auch eine erweiterte Besichtigung bieten. Das Vorwerk hat noch eine Sporthalle und weitere Unterhaltungseinrichtungen. Herr von Lanz-Ravensberg wird dann dort die Führung übernehmen.“

Kevin bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, wie Felix ganz fasziniert zu Lucas starrte. Mein Gott, der Junge war ja richtig fixiert. Lucas würde aufpassen müssen, dass er nichts Falsches sagte oder gar machte.

Während die beiden Herren Herdacker während eines kurzen Rundganges durch das Schloss noch zuvorkommendes Interesse zeigten, wurde Felix zum Ende hin immer nervöser.

Als sich Kevin und der Bürgermeister ins Kaminzimmer zurückzogen, führte Lucas Felix hinüber in die Sporthalle. Beim Anblick der Fitness-Geräte bekam Felix einen fast panikartigen Blick.

„Sie… Sie werden doch meinem Vater nichts erzählen?“

Lucas überlegte, wie er die Situation am besten handhaben sollte. Irgendwie brachte er es nicht übers Herz, dem Jungen einen verärgerten Snob vorzuspielen.

„Was soll ich ihm nicht erzählen? Dass wir uns schon mal im Fitness-Center getroffen haben?“

„Sie wissen genau, was ich meine.“

„Okay, dann also Klartext. Geht es ihn etwas an, was da in der Dusche gewesen ist?“

„Äh, nein.“

„Na also. Warum sollte ich ihm etwas davon erzählen. Aber erst einmal etwas anderes. Warum hat dein Vater dich hierher mitgeschleppt?“

Felix stutzte, dann schlich sich ein spöttisches Grinsen auf seine Lippen.

„Sie haben es bemerkt? Er wollte einen auf biederen Familienvater machen. Er hat sich vorher nicht die Bohne für Ihre Firma interessiert und erst als meine Mutter ihn daran erinnerte, dass die Pacht noch nicht verlängert worden war und Irgendjemand ihm erzählt hat, dass Torsten Gebhardt hier war, ist er hektisch geworden. Das ist der Hauptgrund, warum er hier ist. Er will Torsten eins auswischen, selbst wenn das viel Geld kosten sollte.“

Lucas deutete auf einen der langen Kästen und setzte sich. Einen Moment später folgte ihm Felix.

„Dann fangen wir noch einmal von vorne an. Mein Name ist Lucas. Ich bin noch nicht so alt, dass ich immer mit ‚Sie‘ angesprochen werden muss. Und wenn mich jemand mit meinem Nachnamen anspricht, drehe ich mich noch öfter um, ob nicht vielleicht mein Vater hinter mir steht.“

Felix lächelte schüchtern.

„Okay, also… Lucas.“

„Sehr schön. Ich muss dir gleich von vorneherein sagen, dass wir wohl unsere Hausaufgaben besser gemacht haben, als dein Vater. Wir sind uns schon darüber im Klaren, dass da ein Kleinkrieg tobt zwischen ihm und Torsten Gebhard. Und wir kennen auch den Grund und den Auslöser.“

Felix sah Lucas erstaunt an, während er rot anlief.

„Aber… aber…“

„Kein aber. Der Vorfall bei der Demo ist ja im Internet allgemein zugänglich. Das war nicht schwer herauszufinden. Deine Reaktion in der Dusche war, möglicherweise unbeabsichtigt, aber dennoch aufschlussreich. Die Information, dass du ein Jahr im Internat warst, war wiederum sehr interessant. Dein Vater hat ein Problem mit deiner sexuellen Orientierung?“

Felix erschauerte etwas. Wie kam er da wieder raus? Wie wäre es mit der Wahrheit? Etwas geknickt senkte er seinen Kopf.

„Okay, es nützt ja nichts, wenn ich es leugne. Also, ich bin schwul, na und? Das Ganze war ein echt schlechtes Timing. Ich hatte mein Coming-out vor der Familie und drei Tage später war die Demo. Da ist der Alte dann ganz ausgetickt. Ich kam ins Internat und der Kleinkrieg mit Torsten hatte angefangen.“

„Warum hat dein Vater denn so heftig auf dein Coming-out reagiert?“

Felix lachte bitter.

„Das einzige, was ich mir die ganze Zeit anhören durfte, waren seine Kommentare über eine Familie, die den Hof weiterführen sollte. Ich wäre ja der Erbe des Namens und des Landes und hätte gefälligst alles zu tun, um die nächste Generation zu sichern. Es ist ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, mich zu fragen, ob ich nicht vielleicht etwas ganz anderes machen möchte.“

„Bist du ein Einzelkind?“

„Nein, ich habe noch eine ältere Schwester. Aber die hat sich in den Augen meines Vaters für den Hof selbst disqualifiziert, weil sie ja unbedingt Maschinenbau studieren wollte.“

Lucas lachte leise.

„Eine immer noch etwas ungewöhnliche Wahl für eine junge Dame.“

Felix grinste.

„Nicht für sie. Sie weiß, was sie will. Besonders wusste sie, dass Torsten schwul ist, noch bevor wir alle etwas davon mitbekommen haben.“

„War sie etwa hinter ihm her?“

Felix schüttelte den Kopf.

„Nein. Aber hinter Linus, das ist der Zwillingsbruder von Sascha. Und Sascha ist der Lebenspartner von Torsten.“

„Und die kommen alle miteinander aus?“

„Oh, sehr gut sogar. Torsten und Sascha bewirtschaften den Gebhardt-Hof, seit Torstens Vater gestorben ist. Linus und meine Schwester helfen dort öfter aus. Lena hat unseren Hof nicht mehr betreten seit dem Vorfall vor zwei Jahren.“

„Und was ist mit dir? Was wirst du jetzt tun?“

„Ich? Im Sommer ist die Schule beendet. Ich würde gerne studieren, aber bestimmt nicht das, was meinem Vater vorschwebt. Für was anderes würde ich aber kein Geld bekommen.“

Lucas legte seinen Arm um Felix‘ Schulter und nach einer Weile lehnte Felix schweigend seinen Kopf an Lucas.

„Hast du eigentlich einen Freund?“

„Einen Freund? So wie in fester Freund? Nein…“

Felix seufzte laut und vernehmlich.

„Ich hatte mich mal verknallt, noch vor dem Coming-out. Na ja, er war eigentlich der Grund, warum ich es meinen Eltern überhaupt gesagt habe. Er war immer nett zu mir, wir haben eine ganze Menge zusammen unternommen. Aber ihn direkt zu fragen, habe ich mich nie getraut. Wir haben uns danach auch nicht mehr getroffen. Als ich vom Internat zurück war, hatte Reiner die Schule geschmissen und eine Lehre angefangen.“

Bei Lucas klingelte etwas im Gedächtnis. Er musste unbedingt Robin fragen, ob der junge Herr Deisenberg wohl an Felix interessiert war. Lucas wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er spürte, wie Felix sich enger an ihn drängte. Was sollte das denn werden?

Lucas schaute etwas herunter und sah in die fragenden Augen von Felix. Er seufzte schwer und lächelte dann etwas.

„Ich weiß, was du wissen möchtest. Ich werde dir aber keine Antwort darauf geben. Ich möchte nicht, dass unsere Firma oder irgendjemand von uns, ebenfalls zur Zielscheibe deines Vaters wird.“

Entschlossen hüpfte Lucas von dem Kasten und Felix sah ihn etwas enttäuscht an. Lucas lachte leise.

„Du siehst aus wie… upps, beinahe hätte ich was verraten. Der macht auch immer so ein Gesicht, wenn er etwas nicht bekommt, was er gerne möchte.“

Lucas sah auf seine Uhr. Es war vielleicht eine etwas hinterhältige Methode, aber eine sehr nette, um Freundschaften zu schließen. Außerdem war der Kleine echt süß.

„Wusstest du eigentlich, dass die Sporthalle hier auch eigene Duschen hat?“

Nur wenige Augenblicke später standen beide unter der Dusche und Felix zitterte förmlich vor Erregung, als er nun ohne Hemmungen den muskulösen Körper von Lucas bewundern konnte. Bedauernd folgte er den Anweisungen, als Lucas ihn zur Wand drehte und dann begann, ihn einzuseifen. Als er sich wieder umdrehen durfte und die Vorderseite dran kam, fuhren seine Hände an Lucas hinunter über Brust und Bauch bis er mit großen Augen fasziniert musterte, was er da gefunden hatte. Nun wurde er merklich unsicher. Er hatte schon öfter mit anderen Jungen geschlafen und auch ausgiebigen Sex gehabt, aber das hier, das war etwas, was er nicht unvorbereitet ausprobieren wollte.

Lucas war sich im Klaren darüber, was Felix gerade durch den Kopf ging. Doch daran war hier überhaupt nicht dran zu denken.

„Tut mir leid, aber dafür haben wir keine Zeit. Entspann dich ein wenig.“

Lucas drehte Felix wieder herum und zog ihn an sich. Sanft legte er ihm seine Arme um den Brustkorb und langsam arbeitete sich Lucas nun mit seinen Händen an Felix‘ Vorderseite herab. Felix genoss die Muskeln hinter sich. Sein Rücken presste sich an Lucas‘ Brust und an seinen Hinterbacken spürte er eine samtene Härte. Felix erschauerte, als Lucas seine Hände langsam tiefer gleiten ließ und sie seine Bauchmuskeln erreichten. Viel zu früh für sein Empfinden überkam ihn das krampfhafte Zucken, während Lucas seinen Oberkörper nun fest umklammerte.

Langsam arbeitete sich Felix‘ Bewusstsein wieder an die Oberfläche und er drehte sich zu Lucas um. Der gab ihm einen Kuss, während plötzlich eine Stimme vom Durchgang zu den Umkleiden ertönte.

„Hier seid ihr also.“

Bordeaux, Frankreich, Anno Domini 2018

Drei Tage später besuchten Gabriél, Lucien, Timo und Peter eine Anstalt für psychisch Kranke in der Nähe von Bordeaux. Die Anstalt war eine Privatklinik und wurde zum Teil von der Organisation betrieben.

Sie alle waren mit sehr gemischten Gefühlen angereist, denn die Aufgabe, die sich ihnen stellte, war mehr als schwierig.

Zunächst war ein Besuch beim Chefarzt angesagt.

„Meine Herren, ich bin Professor Neuville. Ich habe aus zwei Gründen darum gebeten, dass Sie heute hier erscheinen möchten. Zum einen ist es die Verantwortung, die bei der bevorstehenden Operation auf Sie zurückfällt, zum anderen ist es der schlichte Mangel an einem Heiler hier bei uns im Hause.“

Timo nickte stumm. Er hatte so etwas erwartet.

„Sehen Sie, es ist immer eine schwere Entscheidung, jemanden von seiner magischen Begabung zu trennen. Die Ethikkommission hat sich mit diesem Fall besonders schwer getan und auch der Großmeister hat nur sehr zögernd zugestimmt. Eine der Bedingungen für die Trennung ist, dass Sie, die Zeugen der Anwendung waren und den Mann verfolgt und gestellt haben, an der Trennung teilnehmen werden.“

Gabriél sah den Professor fragend an.

„Wer war er überhaupt?“

Langsam nickend nahm der Arzt ein nur wenig beschriebenes Krankenblatt zur Hand.

„Armand Ouvrier. Sechsunddreißig Jahre alt, geboren in Lourdes. Schulabbrecher nach acht Jahren. Hilfsarbeiter, dann seit einem Jahr Helfer bei der Krankenbetreuung in Lourdes. Polizeilich nicht aufgefallen mit Ausnahme eines Falles von Landstreicherei, als er ohne Arbeit keine Wohnung hatte. Religiös nie aufgefallen. Lediglich die üblichen Besuche der Messe in der Pfarrkirche Sacre-Coeur.“

Gabriél seufzte. Das entsprach fast genau dessen, was Lars vorhergesagt hatte.

„Was passiert mit ihm, nach dieser… dieser Trennung?“

„Nun, er wird hier ein paar Tage verbringen und dann entlassen werden. Danach kann er sein Leben wie vorher wieder aufnehmen. Mit Ausnahme der magischen Begabung, natürlich.“

Lucien räusperte sich.

„Wenn er begabt ist, heißt das nicht, er ist schwul?“

„Richtig. In seinem bisherigen Leben hat allerdings nichts darauf hingedeutet, dass er es ausgelebt hätte. Unser psychologischer Dienst ist der Ansicht, dass er die Hinweise auf seine Veranlagung unterdrückt und mit religiöser Hingabe ausgefüllt hat.“

Timo seufzte.

„Also, was sollen wir tun?“

„Es wird ein ritualmagischer Trennzauber durchgeführt werden, der sogenannte Magietod. Damit wird der Anwender dauerhaft von seiner magischen Befähigung getrennt. Für den Ritualzauber benötigt man fünf Magier. Zwei Bannmagier, zwei Astralmagier und einen Heiler. Bannmagier und Astralmagier haben wir vor Ort, lediglich einen Heiler auf die Schnelle zu bekommen, war nicht möglich.“

Gabriél schluckte ein wenig, als er sich des ganzen Ausmaßes der Angelegenheit bewusst wurde.

„Und was soll ich hier?“

„Sie sind einer der nichtmagischen Zeugen. Für jede durchgeführte Ritualmagie bedarf es ebenso vieler Zeugen, wie Teilnehmer. Idealer Weise sollten ein bis zwei Nichtmagier daran teilnehmen um jede Parteinahme dabei auszuschließen.“

Professor Neuville sah Lucien an.

„Das ist beim Schließen von Portalen natürlich nicht immer durchführbar, aber so sind die Vorschriften. Ihre Unterlagen weisen aus, dass Sie noch nie an ritueller Magie außerhalb eines Einsatzes teilgenommen haben. Deshalb wird Doktor Ferrier, unser Astralmagier, Ihnen eine kleine Einweisung in die Theorie und die Praxis geben. Au revoir, meine Herren.“

---

Doktor Ferrier war ein kleiner, dicklicher Mann mit Glatze und Vollbart.

„Der Chef hat Ihnen sicherlich erklärt, warum Sie an der Trennung teilnehmen sollen. Sie sollen auch in letzter Konsequenz die Folgen kennenlernen, die ein Einsatz mit sich bringen kann. Wenn ein Mensch dadurch Schaden nimmt, ist es immer tragisch. Viel Schlimmer ist es, wenn unsere Handlungen ihm absichtlich Leid zufügen. Die Trennung von seiner Magie ist für einen Begabten immer ein schwerer Schaden. Wenn er aus dem künstlichen Koma erwacht, in dem er sich jetzt befindet, wird ihm ein Teil seines Selbst fehlen. Und Sie werden diejenigen sein, die das veranlasst und durchgeführt haben. Die Ethikkommission und der Großmeister sind lediglich ihre Prüfinstanzen.“

Alle vier jungen Herren sahen sich betroffen an. Lucien schien unsicher.

„Muss es wirklich sein? Kann man ihn nicht ausbilden oder ihn mit einem Block versehen?“

Timo schüttelte den Kopf.

„Den Block kannst du vergessen. Als Heiler wüsste er, dass etwas blockiert ist, etwas in seinem Kopf wäre nicht richtig. Da kannst du ihn auch gleich den Rest seines Lebens in eine Klapse sperren.“

Peter schüttelte sich.

„Weiß er denn, was passiert ist?“

„Oh ja. Er weiß, dass er manchmal bestimmten Leuten durch seine Anteilnahme Linderung bei ihren Krankheiten beschert hat. Und dann hat er eines Tages in den Bädern eine Erscheinung gehabt. Der Erzengel Gabriel ist ihm erschienen, worauf er dann ohnmächtig wurde und hier erwachte.“

Gabriél wurde rot und sah peinlich berührt zu Boden.

„Machen Sie sich nichts daraus. Wir haben hier öfter Fälle von psychischer Verwirrung, selbst einige Fälle mit Jerusalem-Syndrom.“

„Mit was?“

Doktor Ferrier seufzte leise.

„Eigentlich eine leichte psychotische Störung. Die betroffene Person identifiziert sich meistens mit einer heiligen Person aus dem Alten oder Neuen Testament und gibt sich als diese aus. Bekannte biblische Figuren werden immer wieder zum Objekt einer solchen Identifizierung, so zum Beispiel Mose und König David aus dem Alten Testament oder Paulus und Johannes der Täufer aus dem Neuen Testament.“

„Aber wohl keine Erzengel.“

„Nein. Die passen auch nicht ganz in eine körperliche Existenz. Aber mal ganz davon abgesehen ist diese Erkrankung nicht gefährlich und die Betroffenen heben in der Regel nach ein paar Tagen Abstand gewonnen von ihrer Inkarnation.“

„Wie auch immer meine Herren. Ich muss Sie jetzt bitten, mir zu folgen. Wir werden die für das Ritual vorgesehenen Bann- und Astralmagier treffen und dann im Anschluss direkt das Ritual vollziehen. Sollten Sie noch Bedenken haben, bitte ich Sie, mir diese jetzt mitzuteilen.“

Nach kurzem Nachdenken schüttelten alle den Kopf und folgten Doktor Ferrier.

Das Ritual selbst dauert eine knappe halbe Stunde und keiner der Teilnehmer oder der Zeugen hat etwa von der Durchführung oder dem Ergebnis verlauten lassen.

Irgendwo in Bayern, Deutschland, Anno Domini 2018

Felix und Lucas zuckten zusammen und sahen hinüber zu Robin, der grinsend am Durchgang stand.

„Seid froh, dass ich euch gefunden habe. Der Herr Bürgermeister gedenkt den Besuch zu beenden und Kevin hält ihn noch ein wenig auf. Also los, trocknen, anziehen, ab. Ich erzähle denen, dass ihr hier an den Fitnessgeräten geübt habt. Übrigens, geiles Sixpack, Felix.“

Felix war vollkommen irritiert und antwortete automatisch: „Danke“, zu einem schon fast verschwundenen Robin.

„Was… was war das denn?“

„Erklär ich dir beim Anziehen. Los jetzt, bisschen Beeilung.“

Im Umkleideraum flog dem überraschten Felix ein Handtuch entgegen und schnell trocknete er sich ab und zog sich wieder an. Zögernd trat er nun auf Lucas zu.

„Werden wir uns noch einmal wiedersehen?“

Lucas seufzte. Das hatte er befürchtet. Dann schüttelte er den Kopf.

„Nicht so, wie du es dir vielleicht vorstellst. Ich bin leider schon vergeben.“

Felix sah nachdenklich zu Lucas hoch.

„Euer Direktor, stimmt’s?

Lucas war ehrlich überrascht.

„Woher weißt du das?“

„Ich habe seinen Blick gesehen, als wir gegangen sind. Nein, nein, er war nicht böse. Ganz im Gegenteil, er hat gelächelt. So wie jemand lächelt, der sich absolut sicher sein kann.“

Lucas nickte.

„Kann er auch. Uns verbindet so viel… Egal. Wir müssen sehen, dass wir hier fertig werden. Wir wollen deinen Vater ja nicht warten lassen.“

Felix sah sich etwas hektisch um.

„Bleib ruhig. Robin wird denen doch erzählen, dass wir etwas geübt haben. Da gehört das Duschen nachher auch mit dazu. Allzu lange dürfen wir sie natürlich nicht warten lassen.“

Felix wurde nachdenklich.

„Dieser Robin. Es schien ihn nicht gestört zu haben, was wir da drin gemacht haben. Er hat sogar noch eine Bemerkung über mein Sixpack gemacht.“

„Und?“

„Wie und? Ist er denn auch… äh, ich meine… äh, schwul?“

„Das musst du ihn schon selber fragen. Aber er scheint sich bei der Übergabe des Schlosses mit Herrn Deisenberg angefreundet zu haben.“

„Was? Mit Reiner? Aber wenn er… wenn die beiden… Das hieße ja, das Reiner tatsächlich…“

Lucas grinste in sich hinein.

„Wenn du möchtest, kannst du auch öfter hier her kommen zum Trainieren. Von uns kommen die meisten in unregelmäßigen Abständen, aber es wäre bestimmt jemand da, mit dem du ein paar Übungen machen könntest. Und damit meine ich Sport.“

Felix wurde prompt rot, denn er hatte tatsächlich auch noch an ganz andere Übungen gedacht. Doch auch so schien es hier deutlich interessanter zu sein als im Fitnessstudio mit den ganzen blöden Hühnern.

Felix‘ Vater wartete bereits ungeduldig am Wagen.

„Da bist du ja. Wir müssen los. Ich habe noch einen weiteren Termin heute.“

Etwas ungehalten stieg der Herr Bürgermeister in seinen Wagen und Felix folgte ihm mit hochgezogenen Augenbrauen. Zügig brauste der Wagen durch das Tor nach draußen.

Lucas ging hinüber zu Kevin, der dem Wagen mit undurchdringlichem Gesicht hinterher gesehen hatte.

„Was hat der denn?“

„Ist etwas ungehalten. Er hat natürlich gleich mit dieser Pachtangelegenheit angefangen. Ich habe ihm genau das Gleiche gesagt wie Gebhardt, dass ich die Sachlage noch prüfen muss und er einen Bescheid bekommt. Fand er wohl nicht so witzig.“

Lucas zuckte nur mit den Schultern, dann suchte er Robin.

„Ich hab da eine Idee.“

„Kann ich mir vorstellen. Der Anblick da drinnen war ja auch sehr inspirierend.“

„Blödmann. Ich hab ihn eingeladen, mal öfter hierher zum Trainieren zu kommen. Was hältst du davon, wenn du mal den netten Herrn Deisenberg mitbringst zum Sport?“

Robin sah Lucas erst verblüfft an, dann lachte er.

„Die Idee hat was. Sollte ich da was wissen?“

Lucas legte Robin einen Arm um die Schulter und führte ihn in Richtung Schloss, während er leise auf ihn einsprach.

Lourdes, Frankreich, Anno Domini 2018

Zwei Tage nach dem erfolgreich verlaufenen Ritualzauber in Bordeaux wurden beide Gruppen noch einmal in den improvisierten Konferenzraum gerufen.

Die beiden letzten Tage hatten sie alle mehr oder weniger gelangweilt in Lourdes verbracht. Lucien war tatsächlich noch auf Einkaufstour gewesen und hatte sich sogar etwas von dem Wasser der Grotte, abgefüllt in kleine Marienstatuen, gesichert.

Gabriél durfte noch einmal ausführlich seine Geschichte als Erzengel erzählen. Zunächst Urs und René, dann auch noch Peter und Lars. Interessanterweise dauerte eine solche Geschichte immer eine ganze Nacht und die Teilnehmer waren am nächsten Morgen nicht besonders ausgeschlafen.

René hatte ein längeres Gespräch mit Monsignore Bergleitner. Die Benutzung des vatikanischen Dienstausweises hatte zu einiger Aufregung geführt. Der Apostolische Nuntius in Frankreich war extra zum Bischof der Diözese Tarbes et Lourdes gereist, der für Lourdes zuständig war. Für René endete das Gespräch mit einer disziplinaren Maßnahme.

Doch die Versammlung hatte einen anderen Grund. Monsignore Bergleitner ließ seine vier Gardisten nebeneinander antreten und Pater Anselm tat das Gleiche mit den fünf Mitgliedern der SMU.

„Meine Herren. Das Vorkommnis mit einem nicht ausgebildeten Magier hier in Lourdes ist abgeschlossen. Der Mann wurde erfolgreich von seiner Begabung getrennt und wird nach seiner Entlassung aus der Klinik weiterhin in Lourdes leben und seiner Arbeit nachgehen können. Der erfolgreiche Abschluss Ihrer Arbeit ist beim Heiligen Stuhl wohlwollend zur Kenntnis genommen worden. Im Namen des Heiligen Vaters darf ich Sie alle mit dem Orden des heiligen Papstes Silvester auszeichnen.“

Monsignore Bergleitner holte aus seinem Aktenkoffer eine Anzahl kleiner Schachteln, öffnete die erste und entnahm einen Orden am Bande. Der Orden selbst war ein weißes Malteserkreuz mit einem in der Mitte aufgelegten Abbild des Papstes Silvester. Das Band war schwarz mit drei schmalen roten Streifen, jeweils an den Rändern und in der Mitte.

Es dauerte eine Weile, bis der Monsignore jedem Einzelnen den Orden angeheftet und die dazugehörige kleine Schachtel übergeben hatte.

Gabriél sah etwas unsicher an sich herab.

„Darf ich den tatsächlich tragen?“

Pater Anselm lächelte.

„Natürlich. Er wurde dir offiziell vom Heiligen Vater verliehen. Allerdings sind die Gelegenheiten für das Tragen von Orden heute sehr selten. Du dürftest ihn übrigens auch an der Uniform der Organisation tragen.“

Gabriél verzog sein Gesicht.

„Na toll. Wann haben wir die denn schon mal an.“

Tobias stieß ihn leicht an.

„Der letzte Appell in Uniform war Ende Dezember. Vielleicht gibt es ja wieder mal einen.“

1] Werfel, Franz; Das Lied von Bernadette; Fischer 8. Aufl. 1999 ISBN 3-596-29462-2

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Hier an dieser Stelle möchte ich noch eine kleine Ergänzung einfügen. Einige Leser haben mich gebeten, einige weitere Kurzbiografien zu veröffentlichen, weil bei der großen Anzahl von Mitwirkenden die Übersicht schon etwas schwierig wird. Aus technischen Gründen kann dieses zweite Personenverzeichnis leider nicht noch einmal unter der gleichen Kapitelnummer erscheinen und als ein eigenständiges neues Kapitel wollte ich es auch nicht veröffentlichen. Deshalb ist es hier mit angehängt.

Bei dieser Gelegenheit noch ein kleiner Kommentar zu den Dämonenjägern. Die Geschichten spielen ja im hier und jetzt. Das bedeutet aber auch, dass es keine Fortsetzung mehr geben wird, wenn das Datum in der Story das reale Datum erreicht hat. Das wird bedeuten, dass es ab etwa Mitte 2019 wohl erst einmal das letzte Kapitel geben wird.

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Kurzbiografien der Mitglieder der Special Mission Unit

zum Stichtag 01.01.2018

Böttcher, Kevin , Kampfmagier

Geboren am 03. Juli 1996 in Hamburg. 1,82 m groß, sportliche Figur mit ca. 77 kg. Dunkelblonde, kurze Haare, braune Augen.

Partner von Lucas von Lanz-Ravensberg.

Gemeinsam mit diesem Leiter der Special Mission Unit.

Hobby: Schwimmen

Lanz-Ravensberg, Lucas Thies Marius von, Astralmagier

Geboren am 02. März 1995 in Kiel. 1,94 m groß, muskulöse Figur mit ca. 104 kg.

Hellrote, kurze Haare, grüne Augen.

Partner von Kevin Böttcher.

Gemeinsam mit diesem Leiter der Special Mission Unit.

Hobby: Kampfsport

Lehrke, Michael, Bannmagier

Geboren am 26. Januar 1995 in Berlin. 1,91 m groß, schlanke Figur mit ca. 81 kg.

Hellblonde, halblange Haare, blaue Augen.

Partner von Rafael Diberg. Hat vor der Magieausbildung sporadisch als Stricher gearbeitet.

Diberg, Rafael, Kampfmagier

Geboren am 17. April 1996 in Ratingen. 1,91 m groß, schlanke Figur mit ca. 84 kg.

Hellblonde, halblange Haare, blaue Augen.

Partner von Michael Lehrke. Sprachbegabt, spricht Latein, Griechisch und Hebräisch und kann Hieroglyphen und Hieratisch lesen und übersetzen.

Nebenamtlicher S1 (Offizier für Personalwesen).

Hobby: Geschichtswissenschaften

Nochterville, Lucien, Bannmagier

Geboren am 03. Februar 1996 in Saarbrücken. 1,81 m groß, schlanke Figur mit ca. 74 kg.

Kastanienrote, halblange Haare, manchmal mit gefärbter Strähne. Braune Augen.

Partner von Tobias Kerner. Bekannt für sein extrovertiertes Verhalten.

Nebenamtlicher S2 (Sicherheits- und Nachrichtendienstoffizier).

Hobbys: Mangas und Kochen

Kerner, Tobias, Kampfmagier

Geboren am 24. Dezember 1996 in Düren. 1,77 m groß, schlanke Figur mit ca. 68 kg.

Dunkelblonde, kurze Haare, blaue Augen.

Partner von Lucien Nochterville. Hat vor der Magieausbildung aushilfsweise als Landwirtschaftshelfer gearbeitet.

Nebenamtlicher S3 (Offizier für Organisation, Planung und Ausbildung).

Mavelli, Timo, Heiler

Geboren am 04. April 1996 in Lübeck. 1,74 m groß, schlanke Figur mit ca. 64 kg.

Schwarze, halblange gelockte Haare, braune Augen.

Partner von Sven Hansen. Bedingt durch seine Begabung großes medizinisches Fachwissen.

Aufgrund seiner Partnerschaft mit einem Magier Einsatzpartner von Alexander Sarutin.

Hobby: Italienische Küche

Hansen, Sven, Elementar

Geboren am 12. Juli 1996 in Lübeck. 1,76 m groß, sportliche Figur mit ca. 72 kg.

Kurze, goldblonde Haare, blaue Augen.

Partner von Timo Mavelli.

Aufgrund seiner Partnerschaft mit einem Magier Einsatzpartner von Dorian Müller.

Hobby: Geräteturnen

Sarutin, Alexander, Kampfmagier

Geboren am 16. November 1995 in Balkanabat/Turkmenistan. 1,89 m groß, muskulöse Figur mit ca. 92 kg.

Dunkelblonde, kurze Haare, braune Augen.

Partner von Dorian Müller.

Aufgrund seiner Partnerschaft mit einem Kampfmagier Einsatzpartner von Timo Mavelli.

Hobbys: Geräteturnen und Kampfsport

Müller, Dorian, Kampfmagier

Geboren am 05. August 1996 in Neubrandenburg. 1,81 m groß, sportliche Figur mit ca. 77 kg.

Dunkelblonde, halblange Haare, blaue Augen.

Partner von Alexander Sarutin.

Aufgrund seiner Partnerschaft mit einem Kampfmagier Einsatzpartner von Sven Hansen.

Harder, Maximilian, Logistik-Corps, S2-Feldwebel

Geboren am 14. Februar 1997 in Kassel. 1,78 m groß, hagere Figur mit ca. 59 kg.

Schwarze, kurze Haare im Irokesenschnitt, braune Augen.

IT-Spezialist und Datenanalytiker. Adoptivsohn von Generalmajor Matthias Harder.

Hobby: Computerprogrammierung

Reding, Gabriél, Logistik-Corps, S1-Unteroffizier

Geboren am 11. September 1997 in Esch/Luxemburg. 1,78 m groß,

schlanke Figur mit ca. 63 kg.

Schwarze, kurze Haare im Irokesenschnitt, braune Augen.

Gelernter Systemgastronom.

Sönksen, Bente, Logistik-Corps, S3- Unteroffizier

Geboren am 26. August 1996 in St. Peter-Ording. 1,83 m groß, sportliche Figur mit ca. 81 kg.

Weißblonde Haare im Crewcut, blaue Augen.

Gelernter Außenhandelskaufmann.

Hobby: Windsurfen

Keller, Martin, Logistik-Corps, S4- Unteroffizier

Geboren am 05. Oktober 1995 in Weinheim. 1,85 m groß, muskulöse Figur mit ca. 86 kg.

Hellblonde, halblange Haare. Blaugraue Augen.

Gelernter Kfz-Mechatroniker. Nicht verifizierter Techno-Magier.

Mertens, Thomas, Magie-Korps, Thaumaturgie-Feldwebel

Geboren am 19. Mai 1995 in Munster/Lüneburger Heide. 1,82 m groß,

sportliche Figur mit ca. 78 kg.

Dunkelblonde Haare, blaue Augen.

Als nicht magisch Begabter spezielle Kenntnisse der Thaumaturgie (Magietheorie).

Wolff, Robin, Gestaltwandler-Korps (Canis lupus)

Geboren am 11. Februar 1998 in Bad Lauterberg. 1,79 m groß, sportliche Figur mit ca. 64 kg.

Dunkelblonde, halblange Haare, blau/graue Augen.

Gestaltwandler Wolf. Ist mit Kevin Böttcher und Lucas von Lanz-Ravensberg eine Partnerschaft zu dritt eingegangen, die sich seitdem zum ‚Wolfsrudel‘ erweitert hat.

Nebenamtlicher S4 (Offizier für Logistik).

Södern, Kyan Dennis Seymore von, Gestaltwandler-Korps (Lynx lynx)

Geboren am 18. Juni 1996 in Soltau. 1,85 m groß, sportliche Figur mit ca. 72 kg.

Rötlichbraune, gelockte Haare, goldbraune Augen.

Gestaltwandler Luchs.

Hobby: Genealogie