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Dämonenjäger

Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Irgendwo in Bayern, Deutschland, Anno Domini 2014

Der Sonntag war frei und so konnten Kevin und Lucas ausschlafen. Kevin lag sehr gerne länger im Bett, wenn es die Gelegenheit dazu gab und so wunderte es ihn nicht, als sich Lucas neben ihm unter der Bettdecke hervorarbeitete.

„Aua.“

„Was ist?“

„Ich glaube, da melden sich ein paar Muskeln, die ich bisher noch nicht kennengelernt habe.“

„Selber schuld. Du sollst beim Krafttraining nicht übertreiben. Mach mal mehr Ausgleichssport.“

„Ich geb‘ dir gleich Ausgleichssport.“

Damit zog er an der Bettdecke in die Kevin sich eingerollt hatte. Mit Schwung entrollte sich die Decke und Kevin fiel neben seinem Bett mit einem gedämpften Plumps zu Boden. Lucas flüchtete ins Badezimmer.

Da das Frühstück schon eine ganze Zeit vorbei war, mussten Lucas und Kevin bis zum Mittagessen warten. Wegen der schon herbstlichen Temperaturen hatten sie sich in Pullover und Regenjacke gekleidet und streiften noch ein wenig durch das parkähnliche Gelände, als sie hinter den Unterkunftsgebäuden laute Stimmen hörten.

„…und wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst! Nein! Und jetzt verpiss dich!“

Eine schlanke Gestalt im blauen Pullover rannte an ihnen vorüber und verschwand in Richtung der Unterkünfte.

Kevin sah sich um und bemerkte eine weitere Gestalt, die sich an einen der großen Apfelbäume gelehnt hatte. Als er näher kam, sah er, dass es ein Junge war, der keine Schuluniform trug, sondern nur einen schwarzen Kapuzenpulli, schwarze Jeans und helle Turnschuhe.

Lucas hatte zu Kevin aufgeholt und als die beiden bis auf ein paar Meter heran waren, sahen sie den Jungen weinend am Stamm des Apfelbaumes herabgleiten. Unten blieb er zusammengerollt liegen und schluchzte vor sich hin.

Kevin bückte sich, um den Jungen vom Boden aufzuheben und als er ihn gegen den Baumstamm lehnte, entfuhr ihm ein erstaunter Ausruf.

„Tobias!“

„Tobias, was ist passiert?“

Tobias sah erstaunt hoch, als ob er erst jetzt mitbekommen hatte, dass sich jemand genähert hatte. Aus rotverweinten Augen sah er Kevin an. Dann schluchzte er: „Ich hab‘ ihn zum Teufel gejagt.“

Lucas sah Kevin erstaunt an.

„Wen hast du zum Teufel gejagt?“

„Lucien, das kleine Flittchen“, heulte Tobias.

Aha, das macht schon mehr Sinn. Lucien Nochterville war ein schwieriger Fall. Seit den ersten Tagen hier im Internat schien er sich mit jedem zu verabreden der ihm begegnete. Nicht nur mit Kampfmagiern, auch mit Magiern der anderen Schulen. Das Gerücht besagte, es soll bei den meisten Dates wohl etwas heiß hergegangen sein. Fast alle Jungen machten inzwischen einen großen Bogen um ihn, denn er war eben nicht nur bienenfleißig, sondern ein ausgesprochener Flamer, also jemand, dem man seine Veranlagung schon meterweit ansah, weil er sein Outfit und sein Auftreten danach ausrichtete.

Wie der zurückhaltende Tobias an Lucien gekommen war, konnte Kevin nur raten, aber er vermutete Lucien als treibende Kraft.

„Was ist passiert?“

Tobias sah Kevin erschreckt an, schüttelte aber nur den Kopf.

„Komm, wir bringen dich auf dein Zimmer.“

Diesmal nickte Tobias und Kevin half ihm jetzt ganz hoch und stützte ihn auf einer Seite.

Lucas sah auf seine Armbanduhr und dann Kevin grimmig an.

„Schaffst du das alleine? Ich muss mal kurz mit jemandem sprechen.“

Kevin sah Lucas erst erschreckt, dann besorgt an.

„Nee, nich' mit dem. Erstmal mit jemand anderem.“

„Okay, wir treffen uns in der Cafeteria.“

Lucas begann einen leichten Trab in Richtung Cafeteria und Kevin stütze Tobias auf dem Weg zu dessen Bude.

In der Cafeteria sah sich Lucas suchend um, bis er fündig geworden war. Ganz hinter einer der großen Pflanzen versteckt, saßen alleine an einem großen Sechsertisch Michael Lehrke und Rafael Diberg beim Mittagessen.

„Hallo, entschuldigt bitte, dass ich störe, aber es ist dringend.“

Die beiden sahen vom Essen hoch und Michael deutete kauend mit einer Gabel auf einen freien Stuhl.

„Was gibt’s so Wichtiges?“

Mit wenigen kurzen Worten erzählte Lucas das Geschehen aus dem Park, ohne allerdings Tobias‘ Namen zu verraten. Lucien erwähnte er umso deutlicher.

Michael stöhnte leise auf.

„Der Kerl raubt mir noch den letzten Nerv. Beim Unterricht ist ja gar nicht schlecht, ich meine, bei vier Mann der zweite zu sein, ist schon nicht schlecht. Ein paar Mal ist er sogar zu spät gekommen weil er wieder rumge…, ich meine, sich rumgetrieben hat und einmal ist er, glaub‘ ich, im Geräteraum der Sporthalle dumm aufgefallen, weil mit irgendeinem Kämpfer während der Sportstunde rumgemacht hat.“

„Hast du irgendeine Idee, wie wir ihn von dem ganzen rumtreiben abbringen können. So geschätzt haben sich mindestens die Hälfte der Paare gefunden und das könnte zum Schluss hin ziemlich explosiv werden.“

„Wir sollten mit ihm reden. Ich hab ihn mal im Park gesehen, alleine, er saß einfach nur da, den Blick in weite Ferne. Vielleicht ist ja doch nicht alles lustig und sexy.“

Rafael war der Unterhaltung schweigend gefolgt und nickte nun.

„Geht mal ruhig. Ich mach noch ein bisschen Hausaufgaben mit den Unterlagen, die du mir gegeben hast.“

Michael drehte sich zu Rafael und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Okay, bis nachher, Rafi.“

Ein paar Minuten später standen Michael und Lucas vor Zimmer 412 und klopften.

„Lucien, bist du da?“

Als Lucien die Tür öffnete, sah er als ersten Lucas und wusste sofort, was die beiden wollten. Rasch versuchte er die Tür zu schließen, doch Lucas war schneller und drückte die Tür auf. Michael packte Lucien an den Schultern und schob ihn an die Wand. Lucas schloss leise die Tür.

Michael schüttelte Lucien an den Schultern.

„Was zum Henker hast du jetzt schon wieder angestellt?“

Ängstlich blickte Lucien zu Michael hoch, der gute zehn Zentimeter größer war als er. Dann ging sein Blick hinüber zu dem noch etwas größeren und stärkeren Astralmagier mit den roten Haaren.

„Nichts“, stotterte Lucien, „gar nichts.“

„Aha, und deshalb liegt jetzt ein netter junger Kampfmagier mit einem Weinkrampf auf seiner Bude, heult sich die Augen aus und weiß nicht mehr, was er machen soll.“

„Aber, das… das wollte ich nicht.“

Lucien starrte jetzt Lucas trotzig an.

„Er hat mich weggejagt. Er hat gesagt, ich soll verschwinden, er würde nichts mit mir anfangen, selbst wenn ich der letzte Mensch auf Erden wäre.“

„Was hast du ihn denn gefragt?“

„Na, ja. Ob er ein bisschen Zeit hätte und mit mir auf die Bude kommen wolle.“

Lucas sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Auch Michael sah Lucien nachdenklich ins Gesicht.

„Das kann doch nicht der ganze Grund für eine solche Reaktion gewesen sein.“

Lucien schwieg plötzlich und Michael schüttelte ihn noch einmal.

„Was ist!? Ich hab nichts weiter gemacht. Na ja, vor ‘nem halben Jahr hatten wir beide schon mal was und als ich dann jemand Neuen kennengelernt habe, war er wie eine Klette. Hat von Liebe geredet und so. “

Lucas und Michael starrten Lucien schweigend an. Michael ließ Lucien los und trat zwei Schritte zurück.

„Lucien, du bist das größte Arschloch das rumläuft.“

„Was!? Wieso denn?“

Lucas seufzte und schüttelte den Kopf.

„Erst hast du dem armen Kerl das Herz gebrochen und dann hast du noch die Frechheit, ihn ein zweites Mal zu fragen?“

Michael sah Lucien verächtlich an.

„Du hast es tatsächlich nicht gemerkt. Du hast dich durch alle Betten gefickt, um ja nicht deinen Märchenprinzen zu verpassen und hast gar nicht gemerkt, dass du schon längst an ihm vorbeigezischt bist. Du bist so sensibel wie ein Backstein. Hast du mal daran gedacht, jemanden zum Essen einzuladen, anstatt in dein Bett. Mit jemandem zusammen zu lernen, Sport zu treiben oder einfach nur im Park spazieren zu gehen? Nein? Dann vergiss deinen Märchenprinzen, Du wirst ihn nie bekommen!“

Michael hatte sich richtig in Rage geredet und war wieder einen Schritt auf Lucien zugegangen, als Lucas ihn von hinten an den Schultern wegzog.

„Komm, es lohnt sich nicht. Wir gehen.“

Michael nickte und die beiden verließen schweigend den Raum. Lucien blickte ihnen mit weit aufgerissenen Augen und entsetztem Blick hinterher.


Als Lucas in die Cafeteria kam, saß Kevin schon an einem Tisch, aber ohne Tablett. Beide holten sich ihr Mittagessen und verzogen sich an einen der kleinen Tische ganz in der ruhigsten Ecke der Cafeteria.

Lucas sah Kevin erwartungsvoll an.

„Und? Hat er noch was gesagt?“

„Nicht mehr viel. Ich hab‘ ihn ausgezogen und ins Bett gesteckt. Da hat er dann noch gemeint er hat es jetzt endgültig satt, immer der kleinste und letzte zu sein. Wenigstens hat er aufgehört zu heulen.“

„Du hast ihn ausgezogen und ins Bett gesteckt?“

„Na, was? Alleine wäre der bis morgen auf dem Teppich liegen geblieben. Aber wo warst du die ganze Zeit?“

„Ich hab‘ mir Michael geschnappt und wir haben einen kleinen Besuch bei Lucien gemacht. Der Junge begreift gar nicht, was er angerichtet hat.“

Kurz erzählte Lucas von dem Überraschungsbesuch bei Lucien.

„Michael war ganz schön sauer. Er hat Lucien ziemlich deutlich seine Meinung gesagt.“

Kevin nickte nachdenklich mit dem Kopf, dann betrachtete er seinen leeren Teller.

„Tja, das ist wohl alles, was wir machen können. Ich versuche heute Abend Tobias zum Essen zu überreden, mal sehen ob das klappt. Ansonsten, was wollen wir heute Nachmittag machen?“

Lucas sah durch die großen Panoramafenster hinaus in den Park, wo es in Strömen regnete.

„Irgendetwas, wo ich mich austoben kann. Vielleicht in den Dojo?“

„Dafür bist du zu zappelig heute. Ich glaube nicht, dass du deine Mitstreiter erfreust, wenn du deine überschüssige Energie an ihnen auslässt.“

„Klugscheisser.“

„Wie wär’s wieder mit der kleinen Halle. Mir hat das Trampolin echt Spaß gemacht.“

„Puh, das gibt morgen wieder Miezekatze, aber meinetwegen.“


Mitte November wurde der Herbst stürmischer und die ersten Vorboten der Abiturprüfungen zeigten sich. Die Jungs mit den Lateinkenntnissen waren gefragter denn je, einige andere, darunter auch Lucas, hatten mit Mathematik zu kämpfen und dazu kamen natürlich auch die inoffiziellen Prüfungen in Thaumaturgie und Fachmagie.

An einem Samstagnachmittag schlichen Kevin und Lucas schwer bepackt zum Hintereingang der Sporthalle. Wie sich herausgestellt hatte, besaß die kleine Halle nicht nur einen Zugang von der großen Halle aus, sondern auch einen eigenen separaten Eingang.

Lucas war von Sven darauf aufmerksam gemacht worden, als er kurz auf die Toilette verschwunden war.

„Wo warst du denn?“

„Hm? Toilette, warum?“

„Da brauchst du doch nicht durch die große Halle. Hier sind auch welche.“

Sven führte Lucas durch den Geräteraum zu einer unscheinbaren Holztür. Dahinter befand sich ein Umkleideraum mit Duschen und Toiletten. Ein kleiner Flur führte zu einer Tür nach draußen.

„Und bevor du fragst, ich hab‘ einen Schlüssel dafür. Da brauchen wir nicht immer durch die große Halle.“

„Aha, deswegen haben wir euch so selten gesehen.“

Heute hatte Lucas den Schlüssel. Kevin und er schleppten ein paar große Kartons von der Küche und luden sie im Umkleideraum ab. Dort begannen sie mit dem Aufbau, bis Timo und Sven eintrafen und ihnen halfen.

Inzwischen versuchte Dorian Alexander zu überreden eine kleine Pause zu machen und mit ihm spazieren zu gehen. Alexander wunderte sich zwar etwas, aber warum nicht? Sie nahmen die schweren Wetterjacken und streiften durch den Park.

Als sie bei der Sporthalle ankamen, öffnete Dorian die Tür zur kleinen Halle und winkte Alexander.

„Was wird das denn jetzt?“

„Los, komm schon.“

Alexander zuckte ergeben mit den Achseln, dann folgte er Dorian. Als sie in den Umkleideraum kamen, wurde ersichtlich, dass sich jemand große Mühe gegeben hatte.

Die Bänke waren verschwunden, dort stand jetzt ein langer Tisch mit acht Sitzplätzen. An der Längswand mit den Spinden war ein kaltes Buffet aufgebaut, an das Timo gerade noch letzte Hand anlegte. Insgesamt sechs Jungs blickten erwartungsvoll auf die beiden Eintretenden.

Alexander, der plötzlich etwas ahnte, drehte sich zu Dorian um.

„Was soll denn das?“

„Oh, das ist deine Geburtstagsüberraschung.“

„Ich hab‘ doch erst morgen.“

„Wir bleiben ja auch noch so lange.“

Ganz ergriffen umarmte Alexander Dorian spontan, dann wurde ihm bewusst, dass sie nicht alleine waren.

„Kevin, Lucas. Würde mich nicht wundern, wenn ihr dahinter steckt.“

„Timo, Sven. Schön euch zu sehen.“

Dann kam er zu dem letzten Paar.

„Rafael? Ich hätte dich, ehrlich gesagt, nicht hier erwartet.“

Als Rafael das Gesicht verzog, merkte Alexander seinen Fehler.

„Nein, nein. Ich finde es toll, dass du… dass ihr hier seid. Ich wusste nur nicht, dass ihr euch so gut kennt.“

Rafael entspannte sich sichtlich. Dann nahm er Michael an die Hand und beide machten wie einstudiert eine kleine Verbeugung.

„Nun denn, ich darf euch allen nun auch offiziell meinen Partner vorstellen. Falls ihn jemand noch nicht kennt, Michael Lehrke, Bannmagier.“

Kurzer Applaus brandete auf, dann trat Kevin vor.

„Unsere Glückwünsche, wenn ihr es schon so offiziell macht, aber ich habe noch etwas zu beichten.“

Bis auf Timo sahen ihn alle erstaunt an.

„Wir“, und damit deutete er auf Timo, „haben uns gedacht, wir nutzen nicht nur diese Räume für die Feier, sondern auch die Halle. Ein bisschen Bewegung, ein bisschen Entspannung, mal sehen. Der Knackpunkt ist, wir möchten die Halle als äh… Nude-Beach nutzen. Das heißt also, ohne Bekleidung. Wer damit ein Problem hat, kann gerne seine Sachen anbehalten, aber einige von uns werden das definitiv nicht tun.“

Vier Augenbrauenpaare rutschten gleichzeitig in die Höhe. Alexander war der erste, der reagierte.

„Ich hab da schon mal so gelegen, was soll’s. Außerdem wollte ich schon immer mal meinen Geburtstag so erleben, wie ich auf die Welt gekommen bin.“

Nach dem sich das allgemeine Gelächter gelegt hatte, wurde zunächst das Buffet geplündert. Michael, der gerade Alexander gegenüber saß, blickte hoch.

„Sag mal, wie alt wirst du denn eigentlich?“

„Neunzehn.“

Lucas meldete sich vom anderen Ende des Tisches.

„Micha, wir sind die drei ältesten. Der Rest ist ein Jahr jünger. Ich glaube Tobias wird sogar erst achtzehn nächsten Monat.“

„Puh, da kommt man sich richtig alt vor. Ich werd‘ im Januar schon zwanzig.“

Michael grinste wegen der einsetzenden Buh-Rufe.

Dorian sah jetzt nachdenklich zu ihm hinüber.

„Übrigens, ich möchte ja nicht aufdringlich erscheinen, aber wegen der anstehenden Prüfungen…“

Michael zuckte die Schultern.

„Tut mir leid. Ich bin ausgebucht bis zum Stehkragen. Das Problem ist Lucien. Bis vor kurzem hat er wenigstens noch ein paar Stunden Nachhilfe gegeben, aber jetzt hat er sich völlig zurückgezogen. Im Unterricht macht er ja noch mit, aber außerhalb der Klasse spricht er mit keinem Menschen mehr.“

Lucas und Kevin sahen sich betroffen an, während Dorian jetzt weiterfragte.

„Und die anderen Beiden, Manuel und André?“

„Ja, Manuel hat echt Pech, dass er Bannmagier ist. Im allgemeinen Unterricht hat er ja schon Schwierigkeiten mit Mathematik, aber in Magietheorie erst recht. Sieht allerdings recht niedlich aus, möglicherweise ist er ja deswegen an eurem Lieblingskämpfer hängen geblieben.“

Dorian war erstaunt.

„Was? Der Plöger hat einen abgekriegt? Nicht zu fassen.“

„Und André ist schon fast seit dem ersten Tag mit Uwe Kramer zusammen. Die sind fast immer nur mit sich selbst beschäftigt.“

Michael grinste etwas zweideutig.

Kevin rechnete im Kopf gerade etwas ganz anderes nach. Alle hier waren vergeben. Manuel und Christoph anscheinend auch. Der kleine Christian Lundquist war mit Robert zusammen und Hendrik Simonsen war mit Lars Meinhardt seit den großen Ferien zusammengeblieben. Dann blieb tatsächlich für Tobias nur Lucien übrig! Das würde eine harte Nuss werden.

Nach einer Weile wurde das Geschirr zusammengeräumt und alle sahen sich etwas unentschlossen an. Als erster ging Alexander zur Tür der Sporthalle und sah hinaus. Dann zog er sich komplett aus, legte seine Sachen auf einen kleinen Stapel und sprintete zur Tür hinaus. Kevin konnte erkennen, wie er nach einem zweifachen Überschlag und einem Vorwärtssalto auf der Hochsprungmatte zu liegen kam.

So, so. Bodenturnen also.

Nur wenige Sekunden später zischte Sven nach draußen, um mit der gleichen Übung fast auf Alexander zu prallen, der sich schnell in Sicherheit rollte.

Die anderen kamen etwas weniger spektakulär in die Halle, aber nicht einer hatte seine Sachen anbehalten. Timo, Sven und ihre beiden Kampfmagier sahen interessiert zu Michaels Tattoo auf. Michael legte sich auf die Matte und grinste die anderen an.

„Und was?“

„Es ist schön und ich habe vorher immer gedacht, Tattoos beschränken sich auf ‚Mamas Liebling‘ oder sowas“, bewunderte Dorian das Motiv, während Lucas plötzlich mit seiner rechten Hand Timo am rechten Handgelenk packte. Dann legte er vorsichtig Timos Hand auf Michaels Tattoo.

„Und?“

Timo sah erst Lucas, dann Michael mit großen Augen an.

„Ein Zauberspeicher. Das hätte ich nicht vermutet. Gut, dass ich es weiß.“

Bei einigen Anwesenden standen jetzt die Fragezeichen im Gesicht, so dass Michael ohne Scheu eine verkürzte Version seiner Geschichte zum Besten gab.

„Erstaunlich, dass du dich dann entschlossen hast, hier mitzumachen.“

„Ich wurde sozusagen überredet. Außerdem habe ich mir überlegt, ich könnte ja mal ausnahmsweise was Gutes tun für diese Welt, wenn ich schon nicht das Ozonloch stopfen kann.“

Trotz seiner etwas lustigen Antwort konnte man heraushören, dass es ihm wirklich ernst war mit seiner selbstgewählten Aufgabe.

Sven tuschelte mit Alexander und beide liefen in Richtung der großen Bodenturnmatte.

Alexander drehte sich um und hob einen Arm. Als alle Gespräche verstummten, verkündete er: „Ehrenwerte Gentlemen, Sie sehen jetzt eine kleine Vorführung in Bodenturnen. Sven wird immer einen Lauf machen und ich erkläre die einzelnen Elemente. Zum Schluss gibt’s das alles zusammen noch mal als Ganzes.“

Sven zeigte fast alle Elemente die es gab, vom Salto über Schrauben, einfachen Rollen und einer Standwaage bis hin zum Schraubensalto.

Fasziniert sahen die anderen zu und kommentierten so manches Element.

Zum Schluss zeigte Sven noch einmal die ganze Übung in ihrem gesamten normalen Ablauf. Als Applaus aufbrandete verbeugte er sich verlegen. Timo flüsterte Dorian ins Ohr: „Damit hat er die Norddeutsche Jugendmeisterschaft gewonnen.“

Noch bevor Dorian antworten konnte, kam Alexanders Stimme von der Matte.

„So, Leute. Alle herkommen. Wir geben jetzt mal eine kleine Einweisung für jedermann. Keine Angst, es tut nicht weh und beißen tun wir auch nicht, zumindest jetzt noch nicht.“

So gab es eine kleine Turnstunde, danach holte Rafael seine Gitarre aus dem Umkleideraum und alle saßen oder lagen auf der großen Sprungmatte. Es gab zwar kein Lagerfeuer, aber Sven hatte die Hallenbeleuchtung bis auf die Notbeleuchtung gelöscht und im Halbdunkel sangen die Jungen alte und neue Lieder, während sie sich teilweise aneinander kuschelten oder jemand wie beiläufig seinen Nebenmann streichelte, egal wer es gerade war.

Ein leises Piepen aus dem Umkleideraum ließ Dorian hochfahren.

So, Leute. Fünf Minuten vor Mitternacht.“

Er sprintete hinüber in den Umkleideraum, wo er zwei Sektflaschen vorbereitete. Die erste wurde ausgeschenkt, die zweite hielt er versteckt.

„Fertig!“

Wie erwartet kam Alexander als erster durch die Tür. Dorian schüttelte seine Sektflasche und Alexander wurde geduscht. Alle, die nach ihm kamen, bekamen natürlich auch etwas davon ab und das Geschrei war groß.

Dorian umarmte Alexander, sah ihm tief in die Augen und gab ihm einen langen Kuss. Die anderen Jungs hatten sie umringt und als sich Dorian zögernd löste, kam Rafael nach vorne um Alexander ebenfalls einen Kuss zu geben, danach kam der Rest in wilder Reihenfolge, bis Timo als letzter quietschte

„Iiih, du klebst.“

Lachend wanderten sie alle hinüber in die Dusche und standen dann paarweise unter den Duschköpfen, um sich gegenseitig zu waschen. Kevin stieß Lucas leicht an und deutete hinüber zu Timo und Sven. Lucas Augen weiteten sich vor Erstaunen als er sah, dass Timo von Alexander eingeseift wurde und Sven das gleiche bei Dorian machte.

„Ich hätte es andersherum vermutet.“

Kevin grinste Lucas an und streichelte über dessen Brustwarzen, dass dieser erschauerte.

„Timo steht wohl eher auf Muskeln.“

Die erotische Stimmung endete rapide, als die Duschen langsam kälter wurden.

„Aah, wer war das?“

„Das ist die Nachtabsenkung. Niemand erwartet um diese Zeit noch Leute in der Sporthalle.“

„Habt ihr Handtücher?

„Erster Spind. Der müsste voll sein.“

Als alle wieder trocken waren, sahen sie sich an, bis Lucas reagierte.

„Es ist in der Halle jetzt wohl eh zu kalt zum Weitermachen. Die Sachen hier räumen wir morgen früh, ähhh nein, heute irgendwann auf. Ich hatte eigentlich noch vor, euch etwas anderes zu zeigen, aber nicht mehr in der kalten Halle. Wenn keiner was dagegen hat, treffen wir uns gleich auf meiner Bude. 405.“

Leicht fröstelnd zogen sich alle an und nachdem Sven das Licht gelöscht und die Tür verschlossen hatte, zogen sie in Richtung des Unterkunftsgebäudes.

In Lucas‘ Zimmer wurde es dann doch ein wenig eng. Lucas und Kevin saßen auf dem Bett. Timo und Sven hatten sich die Bürostühle geangelt, der Rest saß auf dem Fußboden verteilt.

„Warum ich euch hier noch wachhalte, ist eigentlich Teil der Ausbildung im nächsten Jahr, bei diesem Offiziersseminar. Wir sind durch Zufall bei unserer letzten Gefechtsausbildung darauf gestoßen und ich wollte gerne mal etwas vorführen. Vorher noch ein kleiner Hinweis, falls es niemandem aufgefallen sein sollte. Es gibt nur fünf verschiedene Magieschulen und alle sind hier im Raum vertreten.“

Lucas stand auf und platzierte jetzt Alexander, Dorian und Rafael zusammen mit Kevin auf dem Bett.

„So, ihr fasst euch bitte an den Händen, so dass ihr einen Kreis bildet.“

„Sehr schön, Jetzt geht bitte jeder zu seinem Kämpfer und legt ihm die Hand auf eine freie Körperfläche. Die Hautoberflächen müssen sich berühren.“

Lucas ging zu Kevin und legte ihm seine Hand in die Halsbeuge, wie fast alle anderen auch. Nur Michael hatte Rafaels T-Shirt hochgeschoben und hielt ihn an den Seiten fest.

„Jetzt versucht euch mal auf jemanden oder ein paar Personen in eurem Blickfeld zu konzentrieren. Wenn ich ‚Fertig‘ sage, könnt ihr sagen was ihr gesehen habt.“

Aus seinem Blickwinkel heraus konnte Michael über Rafael hinweg Alexander und Timo sehen. Nach kurzer Zeit verschob sich sein Sehspektrum als ob er eine Infrarotaufnahme sehen würde. Auf einem grau erscheinenden Hintergrund sah er die Silhouetten von Alexander und Timo, bei denen jeweils ein kleiner gelber Punkt in Höhe des Herzens pulsierte.

Das Bild erlosch und Lucas rief: „Fertig!“

Michael schüttelte erstaunt den Kopf, sagte aber erst einmal nichts. Der erste, der seine Worte wiederfand war Timo.

„Die Essenz des Lebens. Wenn wir eben alle das Gleiche gesehen haben… Lucas, was genau war das?“

„Es stimmt. Das war die sichtbare Form des astralen Zaubers Leben erkennen. Ich habe den Zauber gewirkt und die Energie der Kämpfer genutzt, ihn zu verstärken und zu jedem zu projizieren.“

„Was?! Wir können unsere Zauber projizieren?“

„Ja und Nein. Nur die passiven. Die aktiven verlangen ja eine Handlung. Wer sollte aus diesem Kreis heraus denn einen Blitz abfeuern? Am einfachsten sind wohl die Wahrnehmungszauber der Astralmagier. Haben die anderen Schulen irgendwelche passiven Zauber, die wir versuchen könnten?“

Alle sahen sich gegenseitig an bis Michael die Schultern zuckte.

„Alle Barrierezauber sind im Prinzip passiv. Ich würde sogar sagen, dass alle Zauber, die aufrechterhalten werden, wie Barrieren oder Resistenzzauber in Frage kommen.“

„Ja, bei denen würde der Magier den Zauber wirken und wir wären dann die Batterie.“

Sven grinste Lucas an.

„Das möchte ich aber nicht unbedingt ohne Vorbereitung ausprobieren. Wenn die Feuerresistenz nicht funktioniert, siehst du schlimmer aus als Christian damals. Und Wasseratmung ist auch nicht viel besser, obwohl… das könnten wir mal im Schwimmbad ausprobieren.“

„Einen Moment, ich hab‘ auch noch etwas.“

Rafael lehnte sich zurück und flüsterte mit Alexander. Dieser nickte und stand auf.

„So, Sven, wieviel Vertrauen hast du in Alexander und seine Fähigkeiten?“

„Ich kenne seine Fähigkeiten nicht genau, aber ich vertraue ihm.“

„Würdest du ihm auch Timos Leben anvertrauen?“

Ohne zu zögern antwortete Sven

„Ja, denn das muss ich ohnehin, wenn wir zusammen arbeiten wollen.“

„Gut. Timo stell dich bitte dort an die Wand.“

Timo stand auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, Alexander nahm ihm gegenüber an der anderen Wand Aufstellung.

„So, der Rest bitte einen großen Kreis bilden. Folgt einfach dem Bild das ich übermittle.“

Lucas empfand kein Bild sondern eine Art Gefühl. Das Gefühl hatte die gleiche Oberfläche wie Timos astrales Abbild und er versuchte automatisch, diese Oberfläche besser zu erkennen, irgendwie schärfer zu stellen.

„Lucas, bitte nicht stören.“

Lucas zog sich sofort zurück und erhielt jetzt das Gefühl, Timo würde von sechs Energieschichten umgeben sein. Nachdem er jetzt darauf eingestimmt war, traute er sich die Augen zu öffnen. Timo und Alexander standen immer noch so da wie zu Beginn.

„Jetzt!“, ertönte Rafaels Stimme und Alexander hob den rechten Arm. Ein blauer Wirbel brach aus seiner Hand hervor und schlug bei Timo ein. Doch nicht ganz. Dicht vor dem Körper leuchtete es gelb auf, die gesamte Körperkontur erfassend. Der Wirbel brach sich an diesem Leuchten und verschwand, ein paar blaue Funken sprühend.

„Was war das denn?“

„Das war der einzige passive Zauber der Kampfmagier. Der Schild. Schützt gegen jeglichen physischen Angriff, genau wie die physische Barriere.“

Rafael lächelte Michael wissend an. Dank ihm hatte Rafael ebenfalls alle Zauber kennengelernt, zumindest theoretisch.

Sven sah Timo besorgt an, der jetzt auf ihn zukam und umarmte.

„Und was war das gerade für ein Zauber? So eine Form habe ich noch nie gesehen.“

Alexander sah auf seine rechte Hand und wischte sie an der Hose ab.

„Das war eine Ramme. Wird nur selten verwendet und ist ein rein physischer Zauber. Wirkt, wie der Name schon sagt, wie eine Ramme. Mit einem genügend hohen Energieaufwand kann man damit ohne weiteres ein Haus zum Einsturz bringen.“

Die nächste Stunde schwirrten Begriffe der Magietheorie und der einzelnen Fachbereiche durch den Raum wie Motten unter der Lampe. Die Diskussionen wurden langsam weniger und irgendjemand begann zu gähnen.

Timo sah Sven und dann Alexander und Dorian an.

„Ich geh schlafen, kommt ihr drei mit?“

Nur ein kurzes zögern, dann nickten Alexander und auch Dorian. Als die vier sich verabschiedet hatten, standen auch Rafael und Michael auf. Lucas sah sie an und meinte dann

„Ihr könnt auch hier bleiben. Ich hab allerdings keine weiteren Bettdecken mehr.“

„Ich weiß, dass Michael schon einmal hier übernachtet hat und er hat gesagt, es hätte ihm gefallen, also warum nicht.“

Michael gab Rafael einen schnellen Kuss, dann begann er sich zu entkleiden. Es schien, als ob nach dem heutigen Tag die Bekleidung nicht mehr so wichtig war.

„Tauschen?“, fragte Michael und Lucas grinste ihn an. So kam es, dass Lucas ganz außen lag, dann kam Rafael, dann Kevin und außen wieder Michael. Lucas und Rafael, sowie Kevin und Michael mussten sich jeweils eine Bettdecke teilen.

Als Rafael sich auf die Seite drehte spürte er, wie Lucas näher kam. Er zuckte etwas zusammen, als Lucas seinen Arm über ihn legte, aber dann entspannte er sich. Vor sich sah er Kevin, der sich ganz an Michael angekuschelt hatte und dem Michael ebenfalls einen Arm um den Oberkörper gelegt hatte. Als er einschlief, überkam Rafael ein seltenes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.


Zum Ende des Jahres hin wurde Tobias immer schlechter in seinen Leistungen. Anfang Dezember sahen Kevin und Lucas ihn auf ihrem Weg in die Sporthalle. Dick eingemummelt saß er alleine auf einer der Parkbänke und starrte ins Nichts.

„Das geht so nicht. Wir müssen was tun.“

„Was willst du da machen? Er und Lucien sind die einzigen, die noch übrig sind. Bei den anderen ist die Entscheidung schon gefallen. Die Meldungen müssen nach den Weihnachtsferien abgeschlossen sein. Die meisten haben sich schon registrieren lassen.“

Kevin nickte. Sie selbst hatten die Registrierung schon vor über einem halben Jahr abgegeben und mussten feststellen, dass sie bei weitem nicht die ersten waren.

„Was hältst du davon, wenn wir ihn erstmal ins Warme bringen?“

Kevin sah Lucas abschätzend an.

„Okay, da du ja nicht als zartfühlend bekannt bist, frag ich ihn. Du gehst rein und bereitest die anderen schon mal vor.“

Dank seiner guten Reflexe entging Kevin gerade noch einem leichten Schlag auf den Hinterkopf.

„Ah, so? Nicht als zartfühlend bekannt? Wart mal ab, heut Abend wird das richtig hart und brutal.“

Kevin lachte.

„Ja, ja, schon klar. Gib mir zehn Minuten, dann sind wir da.“

Lucas ging weiter in Richtung Sporthalle, während Kevin zu Tobias abbog.

Als er ihn erreichte sah Kevin, dass Tobias geweint haben musste und immer noch den Horizont anstarrte.

„Hallo, Toby.“

Tobias schreckte zusammen, sah sich panikartig um, dann erkannte er Kevin. Suchend sah er sich um.

„Hi, hallo. Ganz alleine?“

„Ja, ich möchte mit dir reden.“

Tobias seufzte, dann blickte er vor sich auf den Boden.

„Was gibt’s da zu reden? Spätestens nach Weihnachten seid ihr mich los. Dann braucht keiner mehr einen Gedanken zu verschwenden an Partner oder Magie oder was weiß ich. Ich kann dann das Thema abschließen als markanten Punkt in einem kurzen Leben.“

„Du weißt, dass du das Schuljahr noch beenden kannst? Du bleibst bis zum Abitur noch im Klassenverband.“

Tobias lachte bitter auf.

„Wozu? Damit ich jeden Tag diesen Arsch sehen muss? Damit ich immer wieder daran erinnert werde, was für ein Looser ich bin?

Kevin spürte, dass Tobias sich gerade in eine Phase von Selbstmitleid hineinsteigerte.

Wie krieg ich den denn da jetzt raus?

„Sag‘ mal, bist du eigentlich gerne hier? Ich meine, bist du gerne Magier? Bist du aus Überzeugung hergekommen?“

Tobias sah erstaunt auf.

„Ja, ich bin aus Überzeugung hier. Wie du ja weißt, komme ich aus Düren. Bei uns zu Hause sind fast alle katholisch, na ja, wahrscheinlich nicht fanatisch, aber halt traditionell. Ich bin erzogen worden im Glauben an Gut und Böse und mein Vater hat auch schon mal mit der Hand nachgeholfen, damit das Böse nicht überwiegt. Als ich dann erfahren habe, dass es nicht nur philosophische Spekulation ist, sondern harte Realität, war ich sofort damit einverstanden, hierher zu kommen.“

Tobias hatte sich während seiner kurzen Ansprache aufgerichtet und sah Kevin an. Mit hellen Augen und immer fester werdender Stimme konnte man ihm die Begeisterung ansehen. Doch dann sackte er wieder in sich zusammen.

„Aber jetzt, alles nur Mist.“

Kevin streckte sich etwas, dann sah er Tobias an.

„Mir ist kalt hier draußen. Kommst du mit ins Warme, da können wir weiter reden.“

Tobias merkte nun auch die Kälte und nickte.

„Ja, wird langsam frisch. Wohin?“

„Hmmm, ich möchte dich nicht überfallen, aber was hältst du von der kleinen Sporthalle. Wir treffen uns da öfter mit ein paar Leuten, machen ein bisschen Sport, reden über alles Mögliche oder liegen einfach so rum.“

Tobias sah Kevin mit großen Augen an.

„Ich hab‘ schon davon gehört. Da soll ja so einiges abgehen, ähhh, ich meine… also nicht das, was du jetzt denkst…“

Kevin sah ihn erstaunt an.

„Was soll da abgehen? Wer hat das behauptet? Und ich denke, dass das, was du jetzt denkst, nicht ganz dem entspricht, was wir so machen.“

Tobias lief etwas rot an, dann blickte er schüchtern zu Kevin auf.

„Na, Christoph hat erzählt, bei Alexanders Geburtstag sei da die Post abgegangen.“

„Bei dem Idioten geht auch gleich die Post ab. So langsam ist der fällig. Aber keine Angst, da passiert gar nichts.“

Kevin und Tobias betraten die Halle durch den Nebeneingang, legten ihre dicken Jacken ab, zogen die Schuhe aus und gingen in die Halle. Hier lief gerade ein kleines Fußballspiel mit drei gegen drei Mann auf ein Tor.

„Lass uns auf die große Sprungmatte gehen, da können wir reden oder den anderen zusehen.“

Tobias schlurfte etwas unmotiviert auf seinen Socken hinüber zur Matte und Kevin folgte ihm. Mit einer kurzen Handbewegung gab er Lucas zu verstehen, dass sie erst einmal weiterspielen sollten.

„So“, begann Kevin vorsichtig an ihr früheres Gespräch anzuknüpfen

„Du bist also von der Sache hier sehr überzeugt. Du würdest auch sehr gerne hier bleiben und mit uns zusammen die weitere Ausbildung machen, es mangelt lediglich an einem Partner.“

Tobias schüttelte den Kopf.

„So einfach ist es nicht. Ich hab mich damals richtig in ihn verliebt. Es war für mich meine erste große Liebe. Und dann hab ich geklammert. Ich weiß, man soll es langsam angehen, aber ich war einfach jenseits aller Gefühle und je mehr er versucht hat, sich zu befreien, desto mehr hab ich geklammert. Bis er endlich mit einem Schlag Schluß gemacht hat. Das hat mich fast zerrissen.“

Tobias liefen schon wieder die Tränen herunter und leise flüsterte er, „dabei liebe ich ihn doch immer noch.“

Kevin sah ihn an, dann legte er sich neben Tobias und umarmte ihn. Leise flüsterte er ihm ins Ohr: „Glaubst du an Wunder?“

„Ich möchte gerne, aber ich bin vielleicht etwas zu realistisch.“

„Mal sehen, ist ja bald Weihnachten…“


Am nächsten Wochenende machten sich Michael und Rafael auf zu einem kleinen Besuch. Als Lucien die Tür öffnete, seufzte er ergeben.

„Was wollt ihr?“

„Dürfen wir reinkommen? Wir möchten in aller Ruhe mit dir reden.“

Lucien musterte Michael abschätzend.

„Ich denke, beim letzten Mal hast du deinen Standpunkt deutlich klar gemacht. Was willst du also noch?“

Jetzt schob sich Rafael nach vorne. Noch nie war es ihm so deutlich aufgefallen, wie sehr sich die beiden glichen, schoss es Lucien durch den Kopf. Michael und Rafael waren auf den Zentimeter genau gleich groß, hatten hellblonde Haare und blaue Augen, selbst die Gesichtszüge waren so ähnlich, dass sie als Brüder hätten durchgehen können.

„Wir haben mit Tobias gesprochen und wir möchten gerne einmal deine Sichtweise des Lebens hier kennenlernen.“

Lucien zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür ganz.

„Was soll's. Kommt rein und setzt euch irgendwo hin.“

Rafael und Michael traten ein und sahen sich um. Überall lagen gebrauchte Klamotten herum, Bücher waren im Raum verstreut und das Bett sah aus, als ob Lucien gerade aufgestanden wäre.

Michael schob die Bettdecke beiseite und beide setzten sich auf die Bettkante.

„Ihr wollt meine Sichtweise kennenlernen? Ha, ich hatte mein Coming Out ein halbes Jahr, bevor ich hierher kam. Die Welt hatte sich für mich geändert. Ich konnte endlich ich selbst sein, meine Abenteuerlust befriedigen und meine Triebe genauso. Als mir dann diese Organisation und ihre Aufgaben gezeigt wurden, wusste ich sofort: Das ist der Platz, den ich schon immer gewollt hatte. Ich brauchte für mein Leben hier nur noch meinen Märchenprinzen finden. Doch welcher war es? Tja, dann kam die Erleuchtung. Wenn du einen Märchenprinzen haben willst, musst du jeden Frosch küssen. Und das hab ich dann auch getan. Nur leider war mein Märchenprinz nicht darunter.“

Luciens Stimme wurde immer leiser und zum Schluss saß er stumm da und blickte mit gefalteten Händen die Wand an.

Rafael räusperte sich.

„An was hattest du denn so bei deinem Prinzen gedacht?“

Lucien lachte kurz auf dann sah er hinüber zum Bett.

„Schau einfach in den Spiegel. Der strahlende Held, groß und blond in schimmernder Rüstung. Oder nimm Lucas. Groß und stark, ein sanfter Riese.“

„Da ist dir nie der Gedanke gekommen, dass dein Prinz sich vielleicht in jemandem versteckt, der ein paar Zentimeter kleiner und ein paar Kilo leichter ist als du?“

Lucien wusste sofort, auf wen Rafael anspielte.

„Doch, das ist es ja. Er war richtig niedlich. Sanft und verspielt, aber wenn es um die Arbeit ging hart und konsequent. Er hat uns beide zu Höchstleistungen im Unterricht getrieben, um sich dann kurze Zeit später an mich zu kuscheln. Wir wären bestimmt noch zusammen, wenn Christoph mich nicht eines Abends im Umkleideraum der Schwimmhalle bequatscht hätte. Wir waren gerade dabei, nun ja, ich meine… ach was soll’s, wir waren mitten beim Ficken, als Tobias hereinkam. Das war's dann.“

Michael sah Rafael erstaunt an. Der knirschte mit den Zähnen.

„So, Plöger. Jetzt bist du dran.“

„Lucien, hast du nachher noch mal mit Tobias gesprochen?“

„Nee, besser nicht. Ich wollte ja mit ihm reden, aber er hat mir kommentarlos eine runtergehauen und ist gegangen. Da hab ich es aufgegeben. Na, ja. Bis auf das letzte Mal halt, als ihr uns gesehen habt und er mich zum Teufel geschickt hat.“

„Hast du mal darüber nachgedacht, was ich dir gesagt habe nach diesem, ähhh, ungeschickten Versuch?“

„Oh, ja. Fast jeden Tag. Ich habe daran zurückgedacht wie wir zusammen gelernt haben und Sport getrieben haben. Wie gerne wäre ich mit ihm spazieren gegangen oder hätte einfach mit ihm und vielleicht auch mit euch etwas gemeinsam unternommen. Doch jetzt…“

Lucien brach in Tränen aus und selbst als Rafael zu ihm herüberging und ihn umarmte, schien er sich nicht beruhigen zu können.

„Warum ausgerechnet er?“, schluchzte Lucien.


Am Heiligen Abend waren nur noch sechs Schüler im Internat. Michael und Rafael hatten einen Weihnachtsurlaub gebucht, der erst am nächsten Tag begann und Kevin und Lucas waren unterwegs im Auftrag einer höheren Macht. Lucien und Tobias hatten sich in ihre Zimmer verkrochen und wollten nicht gestört werden.

Lucas kam fröhlich pfeifend aus dem Sekretariat und hob vor Kevin belehrend seine rechte Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger.

„Siehste, ich hatte recht. Tobias hat tatsächlich heute Geburtstag. Das arme Schwein, muss zu Hause ja die Hölle gewesen sein, Weihnachten und Geburtstag auf einen Tag.“

Kevin schüttelte wortlos den Kopf.

„Wir wollen nur hoffen, dass Rafi und Michael Erfolg bei ihrer Mission haben.“

Am frühen Abend trafen sich Michael und Rafael mit Lucas und Kevin auf Kevins Stube.

„Und, wie läuft der Plan?“

„Alles in Ordnung. Er hat zugestimmt. Müsste eigentlich jeden Moment eintreffen. Habt ihr das Zubehör?“

„Ja, klar. War ja nicht schwer…“

Es klopfte an der Tür und Michael stand auf, um Lucien hereinzulassen. Er trug, entgegen der Schulordnung, einen grauen Pullover und hellblaue Jeans.

„Okay, da bin ich. Michael hat es ja spannend gemacht, aber was genau habt ihr vor?“

„Kurz gesagt, heute ist Heilig Abend und Tobias‘ Geburtstag, mithin der achtzehnte übrigens. Deshalb werden wir ihm ein Geschenk überreichen. DICH!“

„Niemals! Nicht noch einmal ein Desaster.“

„Lucien, Tobias hat klar gemacht, dass er dich immer noch mag, aber er hat Angst, dass du dir selbst im Weg stehst. Du hast heute Abend wahrscheinlich nur eine und auch nur eine sehr kurze Chance, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Außerdem hilft ein kleines Outfit.“

Lucien seufzte ergeben.

„Okay, wie soll ich mich zum Affen machen?“

„Wenn du es so siehst, brauchen wir gar nicht anzufangen. Egal, zieh dich bitte aus.“

„Huh?“

„Obenrum, den Oberkörper bitte frei machen.“

Zögernd zog Lucien den Pullover, ein Hemd und ein T-Shirt aus. Trotz der schlanken Gestalt war die Brustmuskulatur gut entwickelt, ebenso wie der Ansatz zu einem Sixpack.

So schlecht sieht er gar nicht aus, dachte Kevin und holte eine Rolle Schleifenband hervor.

Nach wenigen Minuten trug Julien eine riesige Schleife aus etwa fünf Zentimeter breitem grünem Schleifenband um den Hals.

Es hatte im Vorfeld eine ausgiebige Diskussion um diese Schleife gegeben. Ein Vorschlag, der einen anderen prädestinierten Körperteil beinhaltete, war schnell verworfen worden, dann machte die Farbe Sorgen. Rot würde nicht zu Luciens kastanienroten, halblangen Haaren passen, also dann Grün um den Hals.

„So, auf geht’s.“

Die ganze Gruppe trat hinaus auf den Flur und ging hinüber zu Tobias‘ Zimmer. Lucien wurde seitlich der Tür postiert und kurz bevor Kevin klopfte griff Lucas kurz an Luciens Jeans und öffnete den obersten Knopf.

„Ja?“

Kevin steckte seinen Kopf durch die Tür und sah Tobias im Halbdunkel sitzen.

„Wir haben noch ein kleines Geschenk für dich zum Geburtstag.“

Tobias sah desinteressiert hoch.

„Ach ja?“

Lucas schob jetzt Lucien in die Türöffnung und die anderen vier traten beiseite.

Tobias starrte völlig verblüfft zur Tür. Durch das helle Licht auf dem Gang wurde Lucien von hinten angestrahlt und bekam dadurch eine leicht leuchtende Aura. Nach unendlich erscheinenden Sekunden erhob sich Tobias langsam und ging zur Tür. Etwa zwei Meter vor Lucien blieb er stehen.

„DU!“ stieß er hervor.

„Was willst du hier? Was hast du mir noch zu sagen?“

„Was ich zu sagen habe ist ganz einfach. Tobias, ich liebe dich!“

Tobias erstarrte und nach einem kurzen Moment machte Lucien zaghaft einen kleinen Schritt nach vorne. Tobias schien aus seiner Erstarrung zu erwachen und nahm Luciens Outfit jetzt erst richtig wahr. Mit einem Satz war er bei ihm und umarmte ihn stürmisch.

Michael grinste und zog die Tür von draußen zu.

„Fröhliche Weihnachten“

Irgendwo in Bayern, Deutschland, Anno Domini 2015

Nach den Weihnachtsferien verlief alles in ruhigen Bahnen. Alle bereiteten sich auf die Prüfungen vor, die nicht nur die schulischen Leistungen sondern auch eine Arbeit in Magietheorie, Fachmagie und Sport vorsah. Sport war noch das geringste Übel, denn hier wurde lediglich die Ablegung des Deutschen Sportabzeichens verlangt.

Doch schon in der zweiten Woche kam es zum Eklat.

Dass Tobias und Lucien jetzt immer gemeinsam zum Essen kamen und auch sonst sehr oft zusammen hockten, hatte einige zwar erstaunt, die Mehrheit hatte es einfach nur schulterzuckend registriert. Einen jedoch schien das irgendwie zu stören.

Während des Mittagessens saßen Tobias und Lucien nebeneinander und unterhielten sich leise, als eine laute Stimme sie unterbrach.

„Na, Herzchen. Haste nich‘ bald genug von der kleinen Schnepfe. Kannst ja mal wieder mit ‘nem richtigen Kerl ficken.“

Ringsum erstarben sämtliche Geräusche und Tobias und Lucien sahen auf. Christoph Plöger hatte sich vor ihrem Tisch aufgebaut und sah geringschätzig auf Lucien herab.

„Verpiss dich!“, kam es laut und deutlich von Tobias.

„Bitte?“

Etwas irritiert sah Christoph nach links. Von Tobias hatte er keine Antwort erwartet.

„Ich habe gesagt, du sollst dich verpissen und zwar dalli! Auf deine Gesellschaft wird keinen Wert gelegt!“

Christoph grinste Tobias breit an.

„Aber, aber. Das Kleine wird bissig. Ich hab‘ aber mit deiner Schlampe gesprochen. Oder macht der nur noch das Maul auf zum…“

Noch bevor er den Satz zu Ende hatte, war Tobias aufgesprungen, förmlich über den Tisch gehechtet und hatte Christoph vorne am Sweatshirt gepackt. Durch den Schwung wurde Christoph nach hinten gedrückt und landete mit dem Rücken auf dem nächsten Tisch, Tobias halb über sich. Tobias riss ihn wieder hoch und wollte gerade ausholen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.

„Das ist meiner.“

Zögernd machte Tobias Platz für Lucien, der den schwer atmenden Christoph von oben bis unten musterte.

„Ein Arschloch wie es im Buche steht.“

Christoph wollte etwas erwidern doch Lucien ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Christoph sah nur noch eine Faust auf ihn zukommen, dann wurde es dunkel.

Lucien sah angeekelt auf ihn herab.

„Weißt du was? Auf diesen Moment hab ich schon eine ganze Zeit lang gewartet. Du erinnerst dich sicherlich, dass wir alle Kampfsport machen müssen? Rechne mal nach, Fünf machen Judo, Zwölf machen Tae-kwan-do, bleibt nur einer übrig und der bin ich. Was glaubst du, was ich die letzten zwei Jahre gemacht habe?“

Die Frage war völlig rhetorisch denn Christoph konnte in seiner jetzigen Situation bestimmt nicht antworten, deshalb übernahm Lucien das auch selbst.

„Boxen!“

Timo drängte sich durch die Umstehenden und bückte sich hinunter zu Christoph.

„Kein Problem. Keine Schäden.“

„Nee“, brummte eine andere Stimme.

„Am Kopp kann bei dem auch nichts beschädigt werden.“

Alle drehten sich herum zu Manuel Trull. Christophs Partner zuckte nur mit den Schultern und seufzte.

„Was soll ich denn machen?“

Dann drehte er sich um und schlurfte langsam hinaus.

Christoph kam langsam wieder zu sich und erhob sich vom Boden. Er bedachte Lucien mit einem hasserfüllten Blick und zischte

„Wenn ich dich alleine erwische, mach ich dich kalt.“

Lucien wollte etwas erwidern, doch ein anderer Anblick ließ ihn verstummen.

Hinter Christoph Plöger war Doktor Berg erschienen, links und rechts jeweils von einem der in schwarz gekleideten Angehörigen der Security flankiert.

Dr. Berg sah sich einmal im Kreis um, dann sah er Lucien an.

„Herr Nochterville, Sie verfassen eine Meldung über den Vorfall und geben sie in einer halben Stunde im Sekretariat ab, Herr Kerner ebenfalls.“

Dann sah er Christoph an.

„Herr Plöger, Sie folgen mir unverzüglich in mein Büro. Der Rest, wegtreten.“

Kurz, prägnant, fast in militärischem Tonfall hatte der Direktor seine Anweisungen erteilt, dann drehte er sich um und schritt in Richtung Ausgang. Christoph folgte ihm, flankiert von den beiden Wachleuten.

Lucas schob sich durch die Menge und grinste Lucien an.

„Heute Abend in der kleinen Halle?“

„Glaubst du, dass wir dann noch hier sind?“

„Hundertprozentig. Bis nachher.“


Die Sprungmatte wurde allmählich etwas zu klein für die inzwischen zehn Personen. Lucien hatte sich eng an Tobias geklammert und kraulte gedankenverloren in dessen Haaren. Lucas lag auf dem Rücken, den Kopf in Kevins Schoß und betrachtete eingehend die Decke. Kevin hatte seinen Kopf auf Rafaels Bauch und Michael lag mit dem Kopf auf Lucas‘ Brust. In einer ähnlichen Kombination lagen Timo, Alexander, Sven und Dorian in einem Knäuel zusammen.

Lucien seufzte.

„Ich hätte einfach nicht zuschlagen dürfen, aber da waren diese ganzen aufgestauten letzten anderthalb Jahre…“

„Ich fand es richtig. Endlich mal ein Ende, dass er nicht nur hören, sondern auch spüren konnte“, kam die Stimme von Sven.

„Das war nicht das erste Mal.“

Lucas erzählte kurz die Story aus dem Umkleideraum.

Kevin hob kurz seinen Kopf und sah zu Tobias herüber.

„Sag mal, wie hast du das eigentlich empfunden, diesen Schub, als du plötzlich über den Tisch geflankt bist und den Plöger besprungen hast.“

„Hey, ich hab‘ ihn nicht besprungen.“

Tobias wartete bis das Gelächter abgeklungen war.

„Aber ich weiß, was du meinst. Ich hab‘ nur noch gemerkt, dass Lucien hektisch wurde und dann ging alles automatisch. Ich musste ihn einfach verteidigen und dazu alles einsetzen was ich hatte. Oder so ähnlich… ich weiß nicht, wie ich das anders erklären soll.“

„Es ist eine Art Umwandlung. Magische Energie in körperliche Energie. Die Kampfmagier können mit ihrer magischen Energie nicht nur Blitze schleudern, sondern auch unter bestimmten Voraussetzungen ihre körperliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Der Energieumsatz ist dabei hmm…, Michael?“

Timo wandte sich um und suchte den Blick des Bannmagiers.

„Etwa so viel wie bei blau.“

Kevin fuhr hoch, wobei er beinahe Lucas beiseite geschubst hätte.

„Ihr habt das gewusst?“

„Du kannst dich erinnern? Wir müssen alle Sprüche lernen, von allen Schulen und auch die passiven Eigenschaften.“

„Was sollte denn das mit der Farbe heißen?“

Dorian klang etwas irritiert.

„Uns hat man gesagt, die Farben, die bei den einzelnen Zaubern erscheinen, wären typisch für die jeweiligen Anwendungen und der Energieaufwand ist fest vorgegeben.“

Lucien gab die Antwort während er einfach Tobias weiterkraulte.

„Ist er auch. Die Sprüche sind ja für den jeweiligen Zweck optimiert. Je nach Menge der aufgewendeten Energie ist die Farbe eine andere. Der Lähmungsblitz der Kampfmagier ist beispielsweise orange, aber der Energieblitz bei dir und der Manablitz bei Lucas sind beide grün, weil sie den gleichen höheren Energieaufwand haben. Die Farben beginnen bei weiß und gehen dann durch das Regenbogenspektrum bis lila. Der Energieaufwand wächst quadratisch.“

„Was bedeutet“, nahm Michael den Faden auf „dass bei einem Zauberspruch der dritten Stufe - bleiben wir mal beim Lähmungsblitz - neunmal so viel Energie benötigt wird wie bei einem der ersten, dem Lichtblitz. Und die Dinger der siebten Stufe brauchen sogar 49-mal so viel Energie. Aber ich dachte, das wäre in Magietheorie alles klar geworden.“

„Nee. Wir durften immer nur Standardsprüche berechnen. Entwurfslehre war ein bisschen mager.“

Dorian legte sich wieder zurück.

Tobias meldete sich leise.

„Was meint ihr, was mit dem Plöger passiert?“

„Nichts“, kam es von Lucas aus vollster Überzeugung.

„Nichts? Wieso nichts?“

„Ganz einfach. Weil sie jeden einzelnen brauchen. Was glaubst du, warum es eine Sondergenehmigung für Sven und Timo gegeben hat? Warum niemand aufgefordert wurde zu gehen, wenn die Leistungen schwach waren oder die Nerven nicht mehr mitspielten. Selbst wenn einer unerträglich viel Mist baute, wurde darüber hinweggesehen. Sie brauchen uns.“

„Brauchen? Wofür?“

Kollektives Stöhnen quittierte Tobias‘ Bemerkung und Lucien schlug ihm leicht gegen den Hinterkopf. Lucas fuhr fort: „Zur Bekämpfung von Dämonen vielleicht? Ich habe mich mal mit unserem weiteren Werdegang beschäftigt.“

Als niemand reagierte fuhr er naserümpfend fort.

„Wenn wir hier fertig sind, kommen wir in ein Offiziersseminar. Dort gibt es aber nicht nur Magie, sondern auch eine militärische Ausbildung. Die damals von Michel de Côntebrais gegründete Bruderschaft der Gezeichneten hat im Laufe der Zeit ja so manche Veränderung mitgemacht. Sie war Ritterorden, dann eine Gemeinschaft der Reisenden, dann mal Krieger des Herrn und eine Bruderschaft der Erleuchteten. Je enger die Kontrolle von Staat und Gesellschaft wurde, desto schwieriger wurde es, sich zu verstecken. Heute ist die alte Bruderschaft eine Organisation von hochrangigen Wirtschaftsführern und Politikern, die unsere Truppe zwischen Gesellschaften, Firmen und Stiftungen versteckt. Und die ist eben mit der Zeit gegangen und hat eine schlagkräftige Truppe nach dem Vorbild einer modernen Armee aufgebaut.“

Lucien stöhnte gequält auf.

„Mann, Lucas, willst du den ganzen Unterricht wiederholen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur mal kurz andeuten, dass wir die moderne Form einer geheimen Armee sind. Deshalb werden wir nachher auch militärische Ränge tragen und sind auch so gegliedert.“

„Huh? Ich wollte eigentlich nie zum Bund.“

„Ich auch nicht.“

„Und ich schon gar nicht.“

„Sind wir ja auch nicht. Hier zählt die Absicht und wenn wir durch so eine Organisationsform einen besseren Erfolg haben, so hab‘ ich nichts dagegen.“

„Was hat das jetzt mit uns direkt zu tun?“

„Ha, was glaubst du, wie ein Zug, nicht die Eisenbahn, sondern der Teil einer Kompanie, gegliedert ist? Lassen wir mal den Heiler weg, denn der gehört zum Kompanietrupp, und klammern den Zugführer, also den Anführer aus, was bleibt übrig? Zwei Astralmagier, zwei Elementarmagier und…“

„Lass mich raten, vier Bannmagier“, beendete Michael, der schnell mitgerechnet hatte.

„Du meinst also, die machen in dem Offiziersseminar so einen Zug aus uns?“

„Wetten? Aber mal was anderes. Rafael, hast du wegen der Vereidigung schon mit den anderen gesprochen?“

Rafael nickte, was Lucas allerdings nicht sehen konnte.

„Alles in Ordnung. Nur einer war dagegen. Rat mal wer?“

„Nee, geschenkt. Okay, wir machen es dann so wie abgesprochen. Ich geh‘ morgen früh zum Direktor damit.“


Die Vereidigung war der Schlusspunkt ihrer Ausbildung. Am letzten Tag würden sie vor dem versammelten Lehrkörper und einigen ausgewählten Gästen einen Eid schwören, der sie an ihren Auftrag und vielleicht auch an ihren Partner band.

Form und Inhalt des Eides waren den Schülern freigestellt, jedoch sollten diese einer der zahlreichen Traditionen ihrer Organisation entsprechen. Kevin war sofort etwas durch den Kopf geschossen, das er unbedingt mit Lucas besprechen musste.

Jetzt standen alle achtzehn jungen Männer in ihre schwarzen Kampfkombis mit den farbigen Streifen gekleidet, in der großen Aula. Neun von ihnen standen an der Längsseite der Aula jeweils unter einem großen Wappenschild. Die anderen neun, alle Kampfmagier, standen ihnen gegenüber auf der anderen Seite der Aula.

An der Stirnseite des Raumes waren zwei Stuhlreihen für Gäste und ein Rednerpult aufgebaut. Die andere Stirnseite nahm das riesige Panoramafenster ein.

Etwas nervös standen die Schüler auf ihren Positionen, als die Gäste hereingeführt wurden. Lucas bemerkte erstaunt mindestens drei Offiziere in ihren schwarzen Uniformen mit farbigen Ärmelstreifen, ähnlich wie bei der Marine, aber eben mit unterschiedlichen Farben, entsprechend ihrer Magieschule.

Nachdem alle Platz genommen hatten trat Doktor Berg an das Rednerpult.

„Meine sehr verehrten Gäste, liebe Schüler. Heute darf ich sie zu einem besonderen Anlass begrüßen. Der Ausbildungsgang 2013/2015 ist angetreten zur Vereidigung und somit zum erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung. Es gibt nicht viel zu sagen, außer dass ich Ihnen allen viel Glück wünsche und viel Erfolg. Einige unter Ihnen haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, einige waren schon mit Sorgen beladen hergekommen und einige haben sich herausragend um ihre Kameraden gekümmert. Sie alle haben die Hürden dieses Instituts gemeistert und dafür gebührt Ihnen meine Anerkennung. Die jeweils Besten Schüler des allgemeinbildenden Unterrichts, des Magieunterrichts und der sportlichen Leistungen werden mit Urkunden ausgezeichnet. Ich bitte als ersten vorzutreten für die beste sportliche Gesamtnote, Herrn Lucas von Lanz-Ravensberg.“

Lucas ging nach vorne zum Pult und holte sich seine Urkunde ab.

„Die Bestnote im allgemeinbildenden Unterricht hat erreicht Herr Rafael Diberg.“

Auch Rafael holte sich seine Urkunde.

„Die Bestnote im Magieunterricht war ein wenig schwer zu ermitteln, wir mussten erst eine erweiterte mündliche und praktische Prüfung durchführen.“

Michael und Lucien grinsten innerlich. Diese Prüfung hatte beiden das Letzte abverlangt.

„Mit 0,05 Punkten Vorsprung ist Bester geworden Herr Michael Lehrke.“

Michael holte sich seine Urkunde, ging auf dem Rückweg an Lucien vorbei und gab ihm kurz einen Kuss auf die Wange.

„Nun zu unserem Hauptanliegen, der Vereidigung. Die jungen Herren haben sich eine Eidesformel herausgesucht, die dem heutigen Anlass entspricht, denn nicht jeder wird den gleichen Eid sprechen.“

Ein kurzes leises Gemurmel aus den Reihen der Zuschauer.

„Die Vereidigung wird so erfolgen, dass der Kampfmagier seinem Partner einen Treueeid schwört, der sowohl den Kampf gegen das Böse, als auch ihre Form der Beziehung besiegelt. Die Eide erfolgen in der Reihenfolge des Alters des Magiers. Meine Herrschaften, ich bitte sie, sich zu erheben.“

Die Gäste standen auf und Michael Lehrke trat bis zur Mitte des Saales vor. Rafael kam von der anderen Seite und blieb etwa zwei Meter vor Michael stehen. Die beiden hellblonden Riesen von über 1,90 m waren eine imposante Erscheinung. Michael begann mit der Eidesformel.

„Rafael Oliver Diberg, ich frage dich, willst du mein Schild und Schwert sein im Kampf gegen das Böse? Willst du mir dienen im Kampf und mit mir einen Bund der Liebe schließen der uns auf ewig verbindet. Wirst du dies tun?“

Rafael fiel auf sein rechtes Knie und sah zu Michael auf.

„Ja, Herr. Ich werde.“

Damit stand er auf und trat auf Michael zu, der ihm einen Kuss gab. Danach stellte er sich rechts neben Michael.

Als nächste waren Kevin und Lucas dran mit genau der gleichen Eidesformel.

Als dritter trat Lucien vor, der Tobias zu sich rief.

Als nächster kam Timo und ein weiteres Raunen ging durch die Zuschauer, als sie seine grünen Markierungen erkannten.

„Alexander Valery Sarutin, ich frage dich, willst du mein Schild und Schwert sein im Kampf gegen das Böse? Willst du mir dienen im Kampf ohne jedoch das Band der Liebe zu lösen, das dich verbindet. Du wirst eine doppelte Bürde tragen für Liebe und Ehre. Wirst du dies tun?“

Ein weiteres Raunen nach dieser Eidesformel.

Ein Kniefall von Alexander und die Antwort

„Ja, Herr. Ich werde.“

Alexander trat vor, gab Timo einen Kuss auf die Wange und trat wieder auf seine Ausgangsposition zwei Meter vor Timo zurück.

André trat vor und von der anderen Seite näherte sich Uwe.

„Uwe Ferdinand Kramer, ich frage dich, willst du mein Schild und Schwert sein im Kampf gegen das Böse? Willst du mir dienen im Kampf und mit mir einen Bund der Liebe schließen der uns auf ewig verbindet. Wirst du dies tun?“

„Ja, Herr. Ich werde.“

Und schon stand Uwe neben André.

Auch bei Christian und Robert gab es keine Änderungen.

Die nächsten waren Sven und Dorian.

„Dorian Oscar Müller, ich frage dich, willst du mein Schild und Schwert sein im Kampf gegen das Böse? Willst du mir dienen im Kampf ohne jedoch das Band der Liebe zu lösen, das dich verbindet. Du wirst eine doppelte Bürde tragen für Liebe und Ehre. Wirst du dies tun?“

Es folgten der Kniefall und die obligatorische Antwort.

„Ja, Herr. Ich werde.“

Auch hier trat Dorian vor um Sven einen Kuss auf die Wange zu geben, wobei er sich etwas herunterbeugen musste. Dann trat er wieder die zwei Meter zurück, doch Sven bewegte sich hinüber zu Timo und stellte sich rechts neben ihn. Alexander bewegte sich nun hinüber zu der ursprünglichen Position von Sven.

„Dorian Oscar Müller, ich frage dich, willst du mit mir einen Bund der Liebe schließen und gleichzeitig die Bürde tragen, einem anderen zu dienen im Kampf gegen das Böse ohne jedoch das Band der Liebe zu lösen, dass uns verbindet. Du wirst eine doppelte Bürde tragen für Liebe und Ehre. Wirst du dies tun?“

„Ja, ich werde.“

Damit stand Dorian auf und trat vor Alexander hin um ihm einen Kuss zu geben, wobei er sich diesmal etwas recken musste. Danach trat er rechts neben Alexander.

Aus den Augenwinkeln heraus konnte Lucas erkennen, wie ein Major mit drei breiten hellblauen Streifen eifrig mitschrieb, was er gerade zu sehen bekam. Lucas grinste innerlich, das Beste kommt erst noch.

Manuel Trull kam nach vorne und ihm gegenüber stand Christoph Plöger. Manuels Blicke schienen ihn zu erdolchen. Wehe, wenn er einen Rückzieher machte.

„Christoph Alfred Plöger, ich frage dich, willst du mein Schild und Schwert sein im Kampf gegen das Böse? Willst du mir dienen im Kampf ohne jedoch ein Band der Liebe einzugehen. Wirst du dies tun?“

Zögernd trat Christoph vor und machte seinen Kniefall.

„Ja, Herr. Ich werde.“

Dann stand er auf und näherte sich Manuel der ihm seine rechte Hand mit einem großen Siegelring entgegen hielt. Mit hochrotem Kopf ergriff Christoph die Hand, beugte sich vor und küsste den Siegelring. Dann nahm er seine Position rechts neben Manuel ein.

Der Major schreibt ja immer noch, durchzuckte es Lucas. Und den Ring, den ich Manuel geliehen habe, kann ich nachher desinfizieren.

Die letzten in der Reihe waren Lars Meinhardt und Hendrik Simonsen, die alles wieder in seiner ursprünglichen bewährten Form ablaufen ließen.

„Vielen Dank, meine Herren, liebe Gäste, ich möchte Sie noch zu einem kleinen Umtrunk im Foyer einladen und bitte Sie, mir zu folgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Irgendwo in Rheinland-Pfalz, Deutschland, Anno Domini 2015

„Das muss es sein.“

Nur mit jeweils einem Rucksack bewaffnet, standen Kevin und Lucas vor der Einfahrt zu einem umzäunten Komplex, mitten in einem ausgedehnten Waldgelände in einem der schönsten Mittelgebirge Deutschlands. Der riesige Findling neben der Einfahrt trug ein kleines Messingschild mit der Aufschrift:

Stiftung ‚Jugend für die Zukunft‘

Survival-Training-Camp

Manager-Kurse

Kampfsport-Zentrum

Lucas nickte und die beiden gingen hinüber zum Eingang. Die ganze Anlage war umzäunt und neben einem großen, jetzt geschlossenen Einfahrtstor, gab es ein kleineres Personentor. Direkt dahinter stand eine Hütte aus Baumstämmen, ähnlich einem nordamerikanischen Blockhaus. Kevin bemerkte jetzt weitere Gebäude in der gleichen Bauweise, die fast unauffällig zwischen den Bäumen versteckt waren. Der freundliche Pförtner am Eingangsgebäude schickte die beiden quer durch das gesamte Gelände, wo sie auf einen zweiten, durch hohe Zäune abgetrennten Bereich trafen. Hier allerdings gab es eine genaue Kontrolle mit Personenschleuse. Kevin und Lucas sahen sich bezeichnend an.

„Hier sind wir wohl definitiv richtig.“

Hier wurden die Blockhäuser auch wieder durch einstöckige Gebäude mit roter Backsteinfassade und begrüntem Flachdach abgelöst. Ihr Ziel war gleich das erste Haus hinter dem Eingangsbereich. Als Kevin das Schild ‚Verwaltung‘ las, fühlte er sich stark an sein erstes Eintreffen im Internat erinnert. So ähnlich lief es auch hier, nur dass sie beide jetzt den gleichen Bungalow zugewiesen bekamen.

„Hm, 17B. Klingt nach Doppelhaus oder sowas.“

Tatsächlich war es ein Bungalow mit einem Eingang, aber zwei ‚Wohneinheiten‘. Im Eingangsbereich gab es zwei Türen, eine mit einem großen A und eine mit B. Kevin las das Türschild bei B.

Anw (KM) Böttcher, Kevin

Anw (AS) Lanz-Ravensberg, Lucas von

„Da wären wir, das ist unsere Bude. Was heißt denn Anw?“

„Anwärter. Unser Dienstgrad für dieses Jahr. Wenn wir Glück haben und artig sind, werden wir am Ende zum Leutnant befördert.“

„Ah ja? Lass uns reingehen, ich bin schon mal gespannt, wie die Buden hier aussehen.“

Die ‚Bude‘ war ein voll eingerichtetes Zwei-Zimmer Apartment mit einem Schlafzimmer mit Doppelbett und einem Wohn/Arbeitsraum mit zwei Computerarbeitsplätzen, einer gemütlichen Sitzecke und einem riesigen LCD-Bildschirm an der Wand.

„Hier liegt ein Zettel mit Hinweisen. Wir müssen um Drei zu ersten Einweisung. Wie spät ist es jetzt?“

Lucas wies kommentarlos auf eine große rechteckige digitale Wanduhr neben dem Fernseher.

„Wir haben noch fast eine Stunde Zeit. Lass uns mal weiter umsehen hier drin. Außerdem will ich wissen, wer nebenan wohnt.“

Der Rundgang durch ihr Apartment brachte noch zwei Details zutage, die Kevin begeisterten. Das Bad hatte sowohl eine Dusche, als auch eine Eckbadewanne.

„Da passen auch zwei rein.“

Und die Wand mit den Falttüren im Wohnraum brachte eine kleine Einbauküche zum Vorschein. Lucas war erstaunt.

„Eine Küche? Wozu denn das? Gibt’s hier keine Cafeteria oder so was?“

„Du bist ein elender Ignorant. Selber kochen ist doch mal was ganz anderes. Du kannst doch kochen?“

„Ähhh…“

Lucas besah sich gerade äußerst interessiert den Bodenbelag. Kevin lachte kurz auf.

„Macht nichts, ich kann so einiges brutzeln. Ist mir damals ja auch gar nichts anderes übrig geblieben.“

Erstaunt bemerkte Kevin, wie er von ‚damals‘ sprach, obwohl der Auszug von seinen Eltern gerade mal zwei Jahre her war.

„Jetzt mal nebenan gucken.“

Ein Blick auf das Türschild der Nachbarn brachte Gewissheit.

Anw (KM) Diberg, Rafael

Anw (BN) Lehrke, Michael

„Hey, geil. Wir wohnen mit Micha und Rafi zusammen.“

Lucas brummte nur zustimmend und musterte die dritte Tür auf dem Gang. Es war eine nicht beschriftete Stahltür mit einfachem Griff ohne Schloss.

„Gibt’s hier einen Keller?“

„Ist vielleicht bei einem Bungalow gar nicht so abwegig. Lagerraum wär nicht schlecht.“

Lucas öffnete die Stahltür und sah dahinter.

„Eine Wendeltreppe.“

Lucas war schon auf den ersten Stufen, als Kevin oben das Licht einschaltete.

„Bist du neuerdings nachtsichtig?“

„Nee eigentlich nicht, aber… hey, das ist der Wahnsinn.“

Der Kellerraum war als Fitnessstudio ausgestattet. Kevin erkannte gut ein halbes Dutzend Trainingsgeräte, eine Leinwand (wozu denn das?), mehrere Trainingsmatten und eine dicke Hochsprungmatte. Der Raum musste die gesamte Grundfläche des Gebäudes umfassen und Kevin fragte sich erstaunt, wie jemand die riesige Hochsprungmatte die Wendeltreppe hinuntergeschafft hatte.

„So, wir müssen los. Was stand auf dem Zettel, wo geht’s hin?“

„Multifunktionsgebäude, was immer das auch sein mag.“

Das Multifunktionsgebäude war das einzige Gebäude im Areal, das sich in seiner Bauweise etwas von den anderen unterschied. Das gleiche Flachdach, die gleiche Fassade, aber die Außenmauern waren wohl gut vier Meter hoch.

Bei der Eingangskontrolle gab es eine kleine Verzögerung. Bei Kevin und Lucas wurden an einem Scanner die Fingerabdrücke überprüft, jeweils alle zehn. Danach mussten sie einen Retina-Scan machen. Nach etwa zehn Minuten bekam jeder eine Ausweiskarte mit Bild, aber ohne jegliche Beschriftung.

„Sind wir noch in der Zeit?“

„Ein paar Minuten haben wir noch. Da drüben geht’s weiter.“

Hinter einer großen Doppeltür öffnete sich ein Foyer in dem sich wohl gut 40 junge Männer versammelt hatten. Sie standen paarweise oder in kleinen Grüppchen und unterhielten sich leise. Kevin erspähte Michael und Rafael, die sich im Gespräch mit zwei jungen Männern befanden, von denen der eine fast ebenso blond war wie die beiden, der andere war schwarzhaarig und hatte eine dunklere Hautfarbe als die drei.

Als Kevin und Lucas näher kamen, hörten sie, dass die vier sich in Englisch unterhielten. Das war eine der wenigen Informationen die ihnen im Vorfeld über das Seminar mitgeteilt worden war. Die gesamte Ausbildung würde ausschließlich in Englisch erfolgen, da neben den Schülern aus Deutschland und einigen angrenzenden Ländern, auch die Schüler aus Polen und dessen Ausbildungsgebiet hier studieren würden. Zu den Ländern, deren Schüler in Deutschland ausgebildet wurden gehörten die Benelux-Staaten, Österreich und die Schweiz; in Polen gingen noch die Jungen aus dem Baltikum zur Ausbildung.

Michael und Rafael begrüßten Kevin und Lucas jeweils mit einem Kuss, was von ihren beiden Gesprächspartnern mit einem schnellen Blickwechsel und etwas roter Gesichtsfarbe quittiert wurde.

„Hi, wurde auch Zeit, dass ihr kommt. Das hier sind Marcus und Janis.“

Michael deutete auf den Blonden,

„Marcus ist aus Estland“, dann auf den dunkelhaarigen.

„Und Janis ist aus Lettland.“

Nach einer kurzen Vorstellung kam das Gespräch etwas zäh in Gang, denn sowohl Lucas als auch Kevin waren nicht gerade an eine englische Konversation gewöhnt.

Doch nur wenige Minuten nach ihrem Eintreffen öffnete sich eine weitere große Flügeltür und ein Offizier in seiner schwarzen Uniform rief sie in das große Auditorium.

Als langsam alle hereinströmten, spürte Kevin einen leichten Schlag auf den Rücken und drehte sich um.

Lucien grinste ihn an.

„Bon jour, mon cher.“

Dann eilte er mit Tobias an der Hand an ihnen vorbei.

„So ein…“

Die Türen hatten sich geschlossen und nachdem jeder einen Sitzplatz gefunden hatte, trat ein weiterer Offizier an das Rednerpult. Kevin erkannte vier breite Streifen eines Obersten in Rot, also ein Kampfmagier.

<Anm. d. Verf.: Jede weitere Unterhaltung findet in Englisch statt, wenn nicht ausdrücklich gekennzeichnet. Aus Lesbarkeitsgründen bleibt der Text in Deutsch>

„Meine Herren, ich bin Oberst Dr. Michael Leutenberger. Ich bin der Leiter dieses Seminars für Militärische Fortbildung. Ihre Ausbildung wird in diesem einen Jahr etwas fordernder werden, als Sie es bisher kennen, aber ich bin sicher, Sie sind ausreichend motiviert.

Nach einer kurzen militärischen Grundausbildung…“

Der Oberst unterbrach sich als ein Raunen durch den Saal ging.

„Ja, die Grundausbildung hat ein ganz klein wenig mit militärischer Tradition zu tun, etwas mehr allerdings mit der Notwendigkeit militärischer Führung im Gefecht. Tut mir leid, aber da sind so Sachen wie Befehl und Gehorsam unabdingbar. Diese Grundausbildung beinhaltet zum Beispiel Formaldienst, allgemeine Truppenkunde und Struktur und Aufbau unserer heutigen Organisation.

Neben der Grundausbildung erfolgt eine erweiterte thaumaturgische Ausbildung, insbesondere der rituellen Magie, und es erfolgt die Ausbildung in den Spezialfähigkeiten jeder einzelnen Magieschule. Die Bannmagier kennen das bereits, hier werden Sie allerdings noch zusätzlich lernen, komplett neue Zaubersprüche zu entwerfen. Für die Astralmagier und die Elementare beginnt ein neuer Ausbildungsabschnitt, denn sie werden lernen, aus den Elementen spezielle Materialien zu erschaffen und magische Gegenstände damit zu erstellen. Die Kampfmagier absolvieren ein Zusatztraining, um ihre magische Energie in körperliche Energie umzusetzen.“

Während sich ringsum die meisten jungen Männer erstaunt oder verwirrt ansahen, grinsten sich Kevin und Lucas nur wissend an.

„Außerdem erfolgt eine eingehende Beurteilung Ihrer militärischen und magischen Fähigkeiten. Sie durchlaufen dieses Seminar mit dem Dienstgrad eines Anwärters. Nach einer erfolgreichen Abschlussprüfung werden Sie zum Leutnant befördert. Diese Beförderung erfolgt, wie jede andere folgende auch, nur paarweise, das heißt, Ihr Partner hat immer den gleichen Dienstgrad, aber - Sie müssen beide jeweils erfolgreich die Prüfung abschließen; fällt einer durch, wird keiner befördert.“

Der Oberst sah durch die Reihen und erblickte einige betroffene Gesichter, andere waren anscheinend irgendwie ratlos und ein paar wenige schienen zu lächeln.

„Kurzer Tipp zu den Prüfungen. Ohne was zu verraten sei gesagt, Sie müssen zu den Prüfungen neben Ihren eigenen magischen und taktischen Vorgaben und Einsatzparametern auch sämtliche Daten Ihres Partners wissen. Also, abgesehen vom magischen Einsatz, müssen Sie beide im taktischen Einsatz jederzeit die Plätze tauschen oder von Ihrem Partner ohne Verzug übernehmen können.“

Jetzt gab es mehr als genug ratlose Gesichter in den Reihen der Studenten.

„Der Rest des heutigen Tages steht Ihnen nach dem administrativen Teil zur Orientierung zur Verfügung. Ab morgen früh 0700 beginnt die militärische Ausbildung. Alles weitere wird Ihnen dort mitgeteilt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Noch bevor jemand reagieren konnte, war der Oberst durch eine Tür hinter dem Rednerpult verschwunden.

Kevin sah Lucas skeptisch an.

„Na, ich weiß nicht. Den ganzen Militärmist und dann noch Thaumaturgie vom Feinsten. Das wird ja noch anstrengender als vorher. Gott sei Dank haben wir die Sache mit den magischen Fähigkeiten des Partners schon mal gemacht. Die Spezialausbildung könnte interessant werden.“

„Keine Panik. Wenn die hier nach dem gleichen Prinzip arbeiten und wir selbständig mitdenken sollen, kann es nicht so schlimm werden. Lass uns erst mal sehen, ob es hier tatsächlich eine Cafeteria gibt oder ob wir wirklich selber kochen müssen. Außerdem brauchen wir noch die Stundenpläne oder wie das hier heißt.“

Verpflegung gab es in einer Cafeteria, die gar nicht so einfach zu finden war, weil sie von außen genauso aussah, wie jedes andere Gebäude auch.

Informationen und Mitteilungen wurden in ein Intranet gestellt. Lucas brauchte an seinem Computer nur seine neue ID-Card in den Slot der Tastatur einschieben und schon hatte er Zugriff auf die für ihn freigegebenen Daten.

Der Plan für die laufende Woche entpuppte sich als eine ganze Ansammlung von Blättern mit Zeichnungen und Tabellen.

„Hier, guck mal, wir gehören zu Zug Bravo, Trupp 1. Die Anordnung ist genauso wie nachher im Einsatz.“

„Was für ein Bravo?“

Lucas grinste und wedelte mit einem kleinen Taschenbuch.

„Ich hab‘ mir mal so ein Info-Buch über die Bundeswehr gekauft. Ich dachte mir, dass der Teil der militärischen Grundausbildung überall auf der Welt irgendwie ähnlich ist. Und siehe da: Buchstabieren nach Alphabet. Nennt sich zwar NATO-Alphabet, ist aber ja auch egal. Alpha für A, Bravo für B, Charly für C und so weiter.“

„Au Mann. Ich wußte bis jetzt gar nicht, dass dich das so fürchterlich interessiert.“

„Bundeswehr wäre für mich damals auch eine Option gewesen. Mein Alter wollte ja, dass ich Wirtschaftswissenschaften studiere, wegen der Firma, aber nich‘ mit mir. Und Offizier wär‘ doch auch nicht schlecht gewesen.“

„Na, ich weiß nicht.“

„Egal. Hier ist noch ein allgemeiner Dienstplan. Hmmm… 0700 Antreten, 0715 Frühsport, 0745 Körperpflege, 0800 Frühstück, 0830 Dienst nach Tagesdienstplan. Au weia. Die sind ganz schön flott hier. Mal sehen, was für morgen auf dem Programm steht. Vormittags Empfang der Ausrüstung, danach Einweisung in die Ausrüstung, danach Sport. Und übermorgen? Vormittags Unterricht, Allgemeine Truppenkunde, FA und Dämonologie. Ich wette das letzte steht nicht bei jeder Armee auf dem Dienstplan.“

„Was ist FA?“

„Moment, aha. Formalausbildung. Marschieren lernen.“

„Ey, nicht wirklich. Aber was war dann? Dämonologie? Da bin ich ja mal echt gespannt.“

„Ah ja und hier haben wir noch den Plan für die einzelnen Züge. Die haben anscheinend die Schulen gleichmäßig auf die Züge verteilt. Nein, warte mal. Bei uns ist nur ein Viererteam aus Polen, drei Teams sind von uns und hier - nanu? Wo sind denn Timo und Alexander? Sven und Dorian haben irgendjemand anderen im Team.“

„Tja, ich weiß es. Ich hab‘ erst gestern noch mit Timo telefoniert. Die sind mitten in der Stadt untergebracht, direkt neben der Uni. Die machen mit zwei anderen Heilern ein Vorstudium für Medizin.“

„Was? Ein Medizinstudium?“

„Hör‘ zu, wenn ich was sage. Ein Vorstudium. Grundlagen sozusagen. Anatomie und Physiologie oder so was ähnliches. Soll nur eine Einweisung sein. In einem halben Jahr sind die wieder bei uns.“

„Na denn. Sind ja nicht weit weg. Aber hey, die verpassen ja dann das Beste aus der Grundausbildung.“

„Ich glaub‘ nicht, dass der Heiler unbedingt einen taktischen Einsatz leiten muss. Die haben wahrscheinlich ganz andere Prioritäten. So, nochmal. Was war mit morgen früh?“

„Sieben Uhr antreten, dann Frühsport. Ich nehme mal an, im Sportzeug.“

„Sieben Uhr? Mpf.“


Die nächsten Tage waren doch sehr gewöhnungsbedürftig. Ein Teil der Ausrüstung, der sogenannte Arbeitsanzug, entsprach in etwa dem Flecktarn der Bundeswehr, allerdings ohne die Hoheitsabzeichen.

Etwas anderes war dagegen der Kampfanzug. Er war erst vor kurzem völlig neu überarbeitet worden und bestand zunächst aus einem Jump-Suit, einem dünnen, äußerst strapazierfähigem, körperengen Overall der in wenigen Sekunden den Spitznamen ‚Ganzkörperkondom‘ weg hatte. Dazu gab es spezielle Einzelteile - die sogenannten Patches - als Panzerungen für die Brust und den Rücken, die Schultern/Oberarme, die Unterarme, zweigeteilt für die Oberschenkel, die Unterschenkel und dann die Stiefel. Nicht zu vergessen die beiden Halbschalen für den Unterkörper. Die Panzerungen waren aus einem leicht flexiblen, mattschwarzen Material, über dessen Herkunft oder Zusammensetzung niemand etwas sagen konnte oder wollte.

Die Panzerungen hatten auf ihrer Innenseite eine Gel-Polsterung und eine Beschichtung, die auf dem Jump-Suit ohne weitere Befestigung haftete. Der einzige Nachteil war, dass jedes dieser Teile einzeln individuell angepasst werden musste. In ausgerüstetem Zustand wurde so aus einem Jump-Suit ein Patch-Suit.

Kevin bewegte sich vorsichtig in seinem neuen Kampfanzug, dann wurden seine Bewegungen ausgreifender und schneller.

„Ist gar nicht so schlecht, wie ich dachte. Man kann sich echt gut drin bewegen. Keine Einschränkungen.“

In der großen Trainingshalle, der unteren Etage des Multifunktionsgebäudes, waren gerade acht Paare damit beschäftigt, unter der Aufsicht ihrer beiden Zugführer die neuen Anzüge an- und abzulegen. Da sie unter der Panzerung nur den Patch-Suit trugen, führte das zu etlichen neugierigen Blicken in die Runde. Anscheinend hatten sich alle entschieden, der Empfehlung ihrer Ausbilder nachzukommen und unter dem Patch-Suit nichts anzuziehen, da das möglicherweise zu Druckstellen führen konnte. Die hautengen Anzüge ließen nicht viel verdeckt.

Lucas sah einen schwarzen Schatten auf sich zufliegen und wich instinktiv aus. Michael krachte in vollem Kampfanzug direkt neben ihm auf den Boden.

„Echt geil. Keine Einschränkungen, keine Behinderungen und du landest irgendwie gedämpft wie auf einer Matte.“

Lucas lachte nur. Kevin und er hatten sich sehr gefreut, als sie feststellten, dass sie zusammen mit Michael und Rafael ein Viererteam bilden sollten.

Das zweite Team bestand aus Lars Meinhard mit Hendrik Simonsen und Lucien mit Tobias.

Team drei waren Sven und Dorian mit einem Paar aus einem anderen Internat, Thomas und Fabian. Zu denen hatte Lucas noch keinen großen Kontakt gehabt, aber Sven meinte, die seien schon in Ordnung.

Das vierte Team war etwas schwieriger. Marcus und Jannis hatten sie ja gleich am Anfang kennengelernt und die waren auch ganz umgänglich, doch bei Filip und Sebastian war sich Lucas nicht so sicher. Die beiden waren aus Polen und schotteten sich etwas ab.

„Was ist jetzt? Kannst du mich mal wieder befreien?“

Und hier kam der einzige wirkliche Nachteil der Kampfanzüge. Man konnte sie einfach nicht alleine an- oder ablegen.

Lucas griff zu einem kleinen Gerät, ähnlich einem Elektroschocker, dann suchte er auf der Brustplatte die beiden kleinen Kontaktpunkte. Ein kurzer Impuls und die Platte fiel ihm entgegen. So befreite er Kevin von allen vierzehn Einzelteilen. Die Stiefel konnte er selber ausziehen.

„So, los komm, ich will auch mal.“

Aufgedreht wühlte Lucas in seinen Sachen während Kevin seine abgelegten Teile in einer speziellen Tragetasche unterbrachte. Das ganze wog nicht mehr als etwa sechs Kilo.

Als Kevin Lucas den Kampfanzug anlegte, schweifte dessen Blick schon wieder durch die Halle und blieb an Marcus und Jannis hängen.

Marcus legte gerade Jannis den Kampfanzug an und Lucas bewunderte die geschmeidigen Bewegungen der schlanken Gestalt, die für Lucas‘ Geschmack nun doch etwas zu schmal war. Der Typ konnte ja wohl nicht mal 70 kg wiegen und das bei der Größe. Dann spürte er einen leichten Schmerz am Hinterkopf.

„Du sollst mir helfen und nicht den anderen Kerlen hinterherstarren“, grinste Kevin ihn an.

„Ich überlege nur, ob wir die Leute wieder so nahe zusammenbringen können wie im Internat.“

„Das wird wohl schwierig werden diesmal.“

Kevin wies kopfnickend hinüber zu den beiden Polen. Die hatten sich etwas abgesondert und standen, wenn irgend möglich, immer mit dem Rücken zu den anderen.

„Abwarten, einfach abwarten.“


Die praktische Kampfausbildung beinhaltete nicht mehr nur die einfache Anwendung von Zaubersprüchen, sondern auch das geschlossene Vorgehen eines Teams unter jeweils wechselnder Leitung eines Teammitgliedes. Zwei Teams bildeten eine Gruppe von 8 Mann, die dann unter der Leitung eines Ausbilders das wohl am Meisten benötigte Szenario eines Kampfeinsatzes übten: Das Schließen eines Tores unter Gefechtsbedingungen. Für den rituellen Zauber der Schließung waren drei Magier notwendig, zwei Bannmagier, ein Astralmagier.

Der Astralmagier verankerte die Kräfte der Bannmagier am Tor, die dann mittels des Spruches ‚Trennen‘ das Tor von den Kräften trennte, die es erschaffen hatten und aufrechterhielten. Dazu mussten die drei Magier einen rituellen Kreis bilden, sich also körperlich berühren und eine geraume Zeit ihre Konzentration aufrechterhalten. Ihre jeweiligen Partner mussten dafür sorgen, dass dieser Kreis unter keinen Umständen gestört wurde. Zu einer Selbstverteidigung waren die Magier in dieser Phase nicht in der Lage. Das verbliebene Paar mit dem Elementarmagier machte während dieser Zeit großräumige Sicherung, war somit für die rechtzeitige Erkennung von Feindannäherung zuständig.

„Und? Was war es diesmal, weiß es schon jemand?“

Die gesamte erste Gruppe des Bravo-Zuges stand unter den Duschen im Umkleideraum der Trainingshalle.

Sven und Dorian, die Fernaufklärung, waren schon nach den ersten zehn Minuten der Übung von einer ganzen Horde simulierter Dämonen förmlich überrannt worden.

„Fehlende Aufklärung“, grummelte Lucas, während er nach rechts blickte und die sportliche Figur von Thomas Pensel neben sich begutachtete. Mit seinen goldblonden Haaren und der muskulösen Figur sah er fast aus wie eine größere Ausgabe von Sven.

Kevin sah, dass Lucas etwas abgelenkt war und grinste.

„Wir haben nicht aufmerksam genug gesucht bei der Annäherung. Es gab zwei Tore. Während wir versucht haben, ein Tor zu schließen, kamen die Horden aus dem anderen. Korrekt wäre gewesen, die Tore zu beobachten und auf eine zweite Gruppe zu warten um beide Tore parallel zu schließen.“

„Außerdem waren wir zu langsam.“

Michael Lehrke trat unter der Dusche zurück.

„Ihr seid auch jetzt zu langsam. In zehn Minuten ist Debriefing.“

Damit ging Michael in Richtung Ausgang während er beiläufig Lucas mit der der flachen Hand auf das Hinterteil klatschte.

„Aua, wofür war das?“

„Keine Ahnung. Nur mal so pauschal“, grinste Michael im Vorbeigehen.

„Beeilt euch.“

Das Debriefing, also die Abschlussbesprechung, fand in einem der Klassenräume statt. Anwesend waren außer den acht Schülern noch die Ausbilder des Zuges, ein paar Hauptleute und ein paar Oberleutnante als Stellvertreter.

Der Hauptmann mit den Abzeichen der Kampfmagier blätterte durch einige Seiten auf seinem Klemmbrett.

„Ich nehme an, ihr habt schon gemerkt, worum es bei der letzten Übung ging. Das wichtigste ist immer die lückenlose Aufklärung. Es ist immer genug Zeit vorhanden. Die Dämonen versuchen nicht, sich schnell auszubreiten, sondern sie bereiten in fast allen Fällen ein Nest vor. Dann werden weitere Dämonen nachgeholt, in den überwiegenden Fällen sind es Mothera. Solange keine Eiablage stattgefunden hat, sind sie vollkommen passiv, umso aufmerksamer und aggressiver sind die Wächter. Rallorian sind sehr häufig, Gothmar etwas seltener, etwa im Verhältnis 5:1. Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Gothmar so etwas wie Führungspersonal für die Rallorian sind.“

Michael hatte mit schiefgelegtem Kopf die Hand gehoben.

„Ja, bitte.“

„Würde es einen Vorteil bringen, die Gothmar zuerst zu bekämpfen?“

Der Hauptmann sah Michael an und bedachte ihn mit einer Art nachsichtigem Lächeln.

„Haben wir schon ausprobiert. Ein Effekt war nicht feststellbar, weil die Kämpfe meist sehr kurz sind, aber die Rallorian zeigten in dieser Zeit kein verändertes Verhalten. Sie sind ohnehin etwas schwerfällig und scheinen sich schlecht orientieren zu können, zu unserem Glück.“

Der Hauptmann mit den Abzeichen eines Bannmagiers reichte seinem Partner einen weiteren Zettel.

„Ach, ja. Da ist noch etwas. Nächste Woche beginnen die Zwischenprüfungen in den Fächern Taktik und Dämonologie. Ich erwarte, dass unser Zug nicht gerade letzter wird bei den Ergebnissen. Guten Abend.“

Die acht versammelten Schüler sahen sich betroffen an, als die Offiziere den Klassenraum verlassen hatten. Kevin musterte Thomas und Fabian, die er immer noch nicht so richtig einschätzen konnte. Dann schweifte sein Blick über den Rest der Truppe.

„So, Leute. Zwei Dinge. Hat jemand genau auf die Formulierung unseres ehrenwerten Hauptmannes geachtet?“

„Hm?“

Dorian artikulierte das Erstaunen der Anderen auf Kevins Frage. Lediglich Thomas Pensel nickte.

„Ja. Er hat gesagt ‚unser Zug‘. Das beinhaltet beide Gruppen. Wir werden anscheinend als kompletter Zug leistungsmäßig bewertet.“

„Genau, danke. Ich denke, wir sollten uns mal etwas mehr um die andere Gruppe kümmern und sehen, wie das da läuft.“

Thomas machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Ich weiß nicht. Vielleicht fühlen die sich ja irgendwie auf den Schlips getreten. Das sieht so aus, als wollten wir denen Vorschriften machen oder sie bevormunden.“

Lucas und Michael sahen Thomas erstaunt an.

„War das bei euch auf dem Internat so? Jeder gegen jeden?“

„Nicht so direkt, aber die Paare haben schon gegeneinander in Konkurrenz gestanden.“

Kevin und Lucas sahen sich an, dann nickten sie sich zu. Michael stöhnte auf.

„Jetzt geht das wieder los. Was habt ihr ausgeheckt?“

„Ganz einfach. Lucas schnappt sich Lars und Hendrik, Sven lädt bitte Marcus und Janis ein und an dir bleibt‘s wieder hängen. Versuch bitte, außer Tobias und Lucien, auch Filip und Sebastian einzuladen.“

„Okay, welche Uhrzeit?“

„Moment, jetzt noch Abendessen, dann… um 2030 bei uns.“

Thomas wirkte etwas irritiert.

„Kann es sein, dass ich etwas nicht mitgekriegt habe? Worum geht es jetzt?“

Lucas sah ihn grinsend an.

„Ganz einfach. Wir machen eine große Versammlung beider Gruppen, sozusagen einen Kriegsrat. Ich hoffe dass ihr auch erscheint. Um 2030 bei uns im Keller.“

„Im Keller?“

„Ja, klar“, kam es von Sven.

„Auf der Sprungmatte.“


Es waren tatsächlich alle der Einladung gefolgt. Es hatte einiger Überredung bedurft, aber Michael hatte die beiden Polen so neugierig gemacht, dass auch sie erschienen waren. Etwas erstaunt sahen sie sich im Keller um.

„Fast wie bei uns, aber wir haben keine große Matte. Wo habt ihr die her?“

„Die war schon drin, als wir eingezogen sind. Ich nehme an, dass die Verwaltung oder wer auch immer dafür zuständig ist, eine Info aus unserem Internat bekommen hat.“

Bevor jemand antworten konnte, sprintete Sven von der Tür durch den Raum und landete mit einem doppelten Salto auf der großen Matte.

„Es sieht so aus, als ob die Versammlung eröffnet ist. Jeder sucht sich mal bitte ein gemütliches Plätzchen.“

Michael und Rafael saßen nebeneinander mit dem Rücken an der Wand, Lucien lag auf dem Bauch und Tobias lag der Länge nach auf Lucien. Lucas klatschte Tobias geräuschvoll auf die Kehrseite.

„Keine hektischen Bewegungen. Wir wollen nicht abgelenkt werden.“

Kevin bemerkte mit einem schnellen Blick in die Runde, dass die Bemerkung von den beiden Jungs aus dem Baltikum mit einem Lächeln quittiert wurde, die beiden Polen sahen sich nur mit hochroten Gesichtern an.

„Bevor wir den fachlichen Teil starten, hab‘ ich noch eine ganz andere Frage. Filip und Sebastian, wie es scheint, ist es euch recht unangenehm, wenn wir so öffentlich unsere Zuneigung, unsere Freundschaft oder auch unsere Liebe zueinander zeigen. Sollen wir unser Auftreten etwas reduzieren oder kommt ihr mit der Zeit damit klar?“

Die beiden Angesprochenen sahen sich nochmals kurz an, dann senkten sie den Kopf und schwiegen. Marcus, der blonde Kampfmagier aus Estland antwortete.

„Wir haben unsere Internatsausbildung ja ebenfalls in Polen gemacht. Dort wird die Schule noch von katholischen Patres geführt, die einen ziemlich strengen Maßstab angelegt haben, was das Benehmen und das öffentliche Auftreten anbelangt. Sie haben sogar erwartet, dass jeder am Sonntag zur Beichte geht, was wir zum Glück nicht brauchten. Wir sind beide nicht katholisch.“

Damit sah er kurz zu seinem Partner hinüber. Janis nickte heftig.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, die Patres gehen nach wie vor davon aus, dass unsere Beziehungen eine Sünde sind und wir nur wegen einer noch größeren Gefahr geduldet werden. Sie sind ziemlich gut darin, jemandem Schuldgefühle einzureden.“

Kevin sah Marcus erstaunt an, dann sah er wieder hinüber zu Filip und Sebastian. Der etwas kleinere, schlankere Filip flüsterte Sebastian etwas ins Ohr, doch dieser schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Irgendwann ist Schluss. Ich will mich nicht mehr verstecken. Jeder hier weiß, dass wir schwul sind und jeder kann sich ganz sicherlich denken, was wir machen, wenn wir alleine sind. Wir brauchen es nicht zu leugnen, ganz gewiss nicht hier. Wir sind ja nur deswegen hier, weil wir schwul sind. Wir haben mit unserer Veranlagung einen Auftrag mitbekommen.“

Filip senkte seinen Kopf und ihm liefen die Tränen herunter.

„Aber es ist doch eine Sünde“, schluchzte er.

Lucas erhob sich und breitete die Arme aus. Seine 194 Zentimeter ragten wie ein Turm in die Höhe und alle sahen zu ihm hoch. In Tobias blitzte ein kurzes Bild von Rio de Janeiro auf.

„Ich bin auch nicht katholisch, aber es gibt zwei Dinge, die ich dazu zu sagen hätte. Das eine ist ein sehr bekanntes Zitat eines noch bekannteren Herren, das da lautet: Wer aber ohne Sünde sei, der werfe den ersten Stein. Ihr wisst, was er damit sagen wollte? Jeder soll erst bei sich selbst suchen, bevor er mit dem Finger auf andere zeigt. Niemand soll uns sagen, wir wären Sünder, besonders nicht diejenigen, die sich hinter der Bibel verstecken. Und dann hat mir ein katholischer Priester einmal gesagt: Wenn es wahre Liebe ist, wird der Herr nichts dagegen haben. Warum wohl? Weil die Liebe diese Welt zusammenhält. Kein Gesetz, keine Grenze, keine Entfernung kann wahre Liebe verhindern.“

So abrupt wie Lucas aufgestanden war, setzte er sich auch wieder hin. Es folgte ein sekundenlanges kollektives Schweigen, bis Filip sich halb erhob und zu Lucas hinüberrutschte. Schweigend sah er Lucas in die Augen, dann seufzte er kurz.

„Darf ich?“

Lucas sah ihn erst irritiert an, dann lächelte er.

„Ja.“

Filip beugte sich vor und gab Lucas einen Kuss auf die Wange, nur knapp zwei Sekunden später bekam er einen zweiten von Sebastian auf die andere Seite.

„Danke, das haben wir gebraucht.“

Lucien erhob sich in eine halb sitzende Position, wobei er Tobias abschüttelte.

„Oh, Herr. Ich weiß, die Stimmung ist nicht gerade prickelnd, aber ich habe eine dringende Frage an Lucas.“

Fast alle sahen Lucien fragend an, nur Tobias bemerkte das schelmische Grinsen.

„Lucas, hast du schon mal daran gedacht, katholische Theologie zu studieren?“

Nach einem Aufschrei entging Lucien knapp einem Hechtsprung von Lucas während ringsum das Gelächter abebbte. Kevin sah auf die Uhr.

„Okay, Leute. Heute Abend wird das wohl nichts mehr mit der Taktik. Ich schlage vor, wir treffen uns morgen Abend um die gleiche Zeit.“


Der nächste Abend war deutlich produktiver. Die zweite Gruppe war bei der letzten Gefechtsausbildung ebenso wenig erfolgreich gewesen, wie die erste. Der Fehler war der Gleiche und Kevin brachte ihr Problem auf den Punkt.

„Heute ist Mittwoch. Am Montag beginnen die Prüfungen. Wir können uns nicht auf alle möglichen Szenarien vorbereiten. Hat jemand eine Idee wo wir den Schwerpunkt legen sollen?“

Nach einer längeren Pause hob Janis die Hand.

„Du brauchst dich nicht zu melden, sag einfach was du meinst. Wenn’s zu sehr durcheinander geht werd‘ ich einfach lauter.“

Janis grinste Kevin schüchtern an.

„Okay. Dann haben wir aus unserer Sicht folgendes Problem. Wir haben nicht effektiv zusammengearbeitet, weil wir nicht genügend koordiniert waren. Die Gruppe ist hineingeschickt worden mit einer vagen Lagebeschreibung, die einer genauen Aufklärung bedurft hätte. Wir waren viel zu fixiert auf das eine Tor. An eine großflächige Aufklärung hat wohl niemand gedacht.“

Das kollektive Schweigen sagte mehr als alle Worte.

„Damit kommen wir zum zweiten Problem. Ich zumindest, habe nicht die leiseste Idee, wie man schnell eine großflächige Aufklärung durchführen könnte.“

Lucas warf Lars Meinhardt einen vorwurfsvollen Blick zu, dann wandte er sich direkt an den kleinen schwarzhaarigen Elementar aus Lettland.

„Wieso? Ihr hättet doch auf den Astralmagier zurückgreifen können, wenn ihr schon die Idee hattet, weiter aufzuklären.“

Dies brachte ihm einen völlig ratlosen Blick aller vier Jungs aus dem polnischen Internat ein. Lars räusperte sich.

„Ich hab versucht, auf die Schnelle was zu erklären, aber so richtig verstanden hat das wohl keiner.“

Michael stieß einen gequälten Laut aus.

„Nicht noch mal! Bis Montag schaffen wir das nie. Wir müssen uns auf die wichtigsten Grundlagen der einzelnen Schulen konzentrieren und nur die gebräuchlichsten Sprüche vorstellen. Und wir sollten die Astralprojektion im Gefecht üben.“


Für den gesamten Sonntag hatte Kevin für die beiden Gruppen den Gefechtssimulator reserviert. Der konnte bei Bedarf in der unterrichtsfreien Zeit genutzt werden und wurde dann auch vom Schulpersonal betreut. In den Tagen vorher hatten hauptsächlich Michael und Lucien den Unterricht übernommen, um noch einmal für alle Anwesenden sämtliche Magieschulen zu erläutern und die Fähigkeiten jeder Schule zu erklären. Völlig erstaunt bekam Janis Dinge aus seiner eigenen Magieschule zu hören, von denen er vorher keine Ahnung gehabt hatte. Thomas und Fabian kannten zwar alles in der Theorie, bei ihnen hatte jedoch keine besondere Beziehung zu anderen Schülern bestanden, so dass sie etwas praktisch hätten kennenlernen können.

Hier im Simulator sollte noch einmal die Übung der letzten Woche durchgespielt werden. Diesmal jedoch mit anderen Voraussetzungen.

Als die beiden Gruppen beim Simulator eintrafen, waren sie vollkommen erstaunt, dort ihre beiden Zugführer in Begleitung von einem der Kompaniechefs, den mit den violetten Abzeichen eines Elementars, anzutreffen.

„Nun, meine Herren. In einer kleinen Gemeinschaft wie unserer bleibt natürlich nicht viel verborgen. Ich bin beeindruckt von Ihrem Einsatzwillen und habe deshalb eine kleine Überraschung für Sie. Wir haben ein anderes Szenario vorbereitet, das sowohl Kenntnisse in Taktik, als auch gute Kenntnisse in Dämonologie voraussetzt. Wir können den Durchgang starten, sobald Sie bereit sind.“

Alle sahen sich betroffen an, doch einige nickten schweigend, während Lucien anfing in der Tasche mit dem Kampfanzug zu kramen und leise vor sich hinmurmelte.

„Wir werden ihnen diesmal in ihren dämonischen Arsch treten, bis sie zum Mond fliegen.“


Als sie die Kampfanzüge angelegt und überprüft hatten, ging es hinaus in die Übungshalle, wobei Übungshalle eine starke Untertreibung war. Die Halle war eigentlich eine Trainingshalle für den normalen Sport- und Kampfunterricht. An allen vier Seiten führten Gänge schräg in die Tiefe wo sie sich verzweigten und ein unterirdisches Höhlensystem bildeten. Diese Labyrinth wurde für die ‚praxisorientierte Ausbildung‘ genutzt.

Kevin ließ den ganzen Zug anhalten und die Taschen mit der restlichen Ausrüstung ablegen.

„Erste Phase, Fernaufklärung durch Astralprojektion. Beide Gruppen klären gleichzeitig ein zugewiesenes Gebiet auf. Die Bannmagier errichten eine physische Barriere. Alle, ich wiederhole, alle Gruppenmitglieder bleiben innerhalb der Barriere bis beide Astralmagier zurückgekehrt sind. Noch Fragen?“

Alle schüttelten den Kopf. Das erste Vorgehen war vorher schon genau abgesprochen worden.

„Okay, dann - Erste Gruppe Norden und Osten, zweite Gruppe Süden und Westen. Los geht’s.“

Während seiner Ansage deutete Kevin noch einmal mit ausgestrecktem Arm in die angegebenen Richtungen. Er wartete ab, bis sich die zweite Gruppe etwas entfernt hatte, dann wandte er sich zu Michael um.

„Euer Auftritt.“

Michael grinste ihn an, dann winkte er Fabian zu sich heran.

„Auftrag ist physische Barriere. Durchmesser Acht. Aufrecht erhalten für …“

Etwas ratlos sah er zu Lucas hinüber der drei Finger hochhielt.

„Aufrecht erhalten für fünf Minuten. Mit Vorlauf und Recovery müsste das reichen.“

Wortlos setzten sich die beiden Bannmagier Rücken an Rücken auf den Fußboden. Dann fassten sie sich an den zur Seite leicht ausgestreckten Händen. Diese Stellung war die sicherste bei kurzen Einsätzen, wenn sie sich nicht ganz auf dem Boden ausstrecken konnten oder wollten.

Nur wenige Sekunden später erschien über der Gruppe ein leichtes, orangefarbiges Flimmern, das sich zu einer leuchtenden Kuppel verdichtete.

„Barriere steht.“

„Okay, Danke. Dann jetzt Lucas.“

Lucas hatte sich bereits ganz auf dem Boden ausgestreckt und mit einer Entspannungsübung begonnen. Als seine Aufforderung kam, konzentrierte er die Energie des Zaubers erst auf seinen Körper, dann auf sein eigenes astrales Bewusstsein.

Für die Anderen sah es jetzt so aus, als ob Lucas von einem sanften violetten Leuchten umgeben war. Er selbst aktivierte den letzten Energieschub und sein Wachbewusstsein trat über in den Astralraum.

Die normale physische Welt konnte er ebenso wahrnehmen wie die astralen Energien. Er erkannte zwei orangefarbigen Säulen die aus Michael und Fabian herauszuragen schienen, in die Höhe stiegen und zu einer Kuppel auseinanderflossen. Kevin erglühte in sanftem rot, was wohl einen erhöhten Stressfaktor andeutete, während der Rest der Gruppe in normalem Gelb oder gelborange leuchtete.

Mit einem neugierigen Blick zur anderen Gruppe erkannte Lucas wie sich Lars‘ Astralkörper aus seinem physischen Körper erhob und ihm kurz zuwinkte.

Als Lucas bei der Ausbildung das erste Mal die Astralprojektion durchführte, wäre er beinahe in Panik verfallen. Weder der Unterricht, noch der Film mit der Simulation, hatten ihn auf das vorbereiten können, was er da erlebte. Sein Geist verließ seinen Körper und schwebte im wahrsten Sinne des Wortes darüber. Es hatte etliche Tage gedauert und viele Stunden im Gespräch mit seinen Lehrern und einem Psychologen, bis er dieses Erlebnis verarbeitet hatte. Doch im Laufe etlicher Übungen hatte Lucas sich an ein Dasein als ‚Geist‘ wenn nicht gerade gewöhnt, so doch akzeptiert.

Er musste sich beeilen, denn er hatte Michael drei Minuten angezeigt. Mehr würde er selbst auch nicht aushalten, denn die Astralprojektion war der energiereichste Zauber der Astralmagier.

Der Vorteil als Projektion war, man konnte sich erheblich schneller bewegen als jeder Mensch, man konnte durch leblose Gegenstände ‚hindurchfliegen‘ und man war auf keine Höhe beschränkt.

Das Problem war, er konnte durch Hindernisse genauso wenig hindurchsehen wie als Mensch. Er konnte zwar ‚hindurchdiffundieren‘ wie er es spaßeshalber formuliert hatte, aber er wußte nicht, was hinter einem Hindernis lag. Deshalb verboten sich ‚schnell‘ und ‚hindurch‘ zusammen, schon von selbst.

Und der Astralraum hatte seine eigenen Gesetze. Man konnte zwar etwas physisches wahrnehmen, aber es gab keine Entsprechung für etwas, das dem abstrakten Denken entsprungen war. Lucas konnte zwar an einer Straßenkreuzung die Ampel sehen und auch, wann sie die Farben wechselte, ebenso konnte er die Straßenschilder sehen, aber nicht lesen was sie bedeuteten. Er musste sich auf seinen Orientierungssinn und sein Gedächtnis verlassen.

Das war der Grund, warum er in der Halle seinen Körper der Länge nach in Nord-Süd-Richtung hingelegt hatte. Er brauchte nur noch der Richtung folgen und dann den Teil absuchen der rechts davon lag.

Es dauerte tatsächlich fast drei Minuten, bis der leblose Körper von Lucas sich wieder bewegte. Kevin stieß erleichtert die Luft aus und gab weitere Anweisungen.

„Barriere beenden. Team 1 Lageeinweisung, Team 2 Rundumsicherung.“

Erleichtert beendeten Michael und Fabian die Barriere, die sich mit einem leisen Plopp von einer Sekunde auf die andere verabschiedete. Die anderen drei Mitglieder seines Teams verteilten sich auf Positionen in etwa sechs bis acht Meter Entfernung um Lucas herum. Der gab seine erste Einweisung, dann tauschten Kevin, Rafael und Michael mit der Außensicherung und die bekam dann ebenfalls eine Einweisung.

Lucas hatte aus dem Gedächtnis einen ungefähren Lageplan der Gänge und Höhlen gezeichnet und auch die Höhle markiert in der ein Tor aus Kunststoff nachgebildet stand.

Nachdem jeder die Skizze kopiert hatte, ging Lucas hinüber zur zweiten Gruppe um die Informationen auszutauschen.

Nach einer weiteren Einweisung in zwei Schichten über die Erkenntnisse ihrer Nachbargruppe mussten die jeweiligen Gruppenführer die Lage beurteilen und einen Einsatzplan ausarbeiten.

Kevin und Lucas waren beide erstaunt, dass die zweite Gruppe Tobias und Lucien als Gruppenführer benannt hatte, umso mehr, als Tobias anscheinend schon einen fertigen Plan hatte.

„Hier. Die Gänge nach Süden sind alle versperrt. Im Norden ist der Zugang ebenfalls blockiert. Wir können nur durch die Ost- oder Westeingänge. Auf beiden Seiten verlaufen die fast spiegelbildlich im Zickzack Richtung Norden mit mehreren abzweigenden Höhlen. Am Ende treffen sich die Gänge in einer großen Höhle von der aus zwei kleine Gänge jeweils im Bogen nach Nordosten und Nordwesten verlaufen; am Ende befindet sich jeweils ein Tor.“

Lucas nickte zustimmend während Tobias fortfuhr.

„Ich schlage vor, dass je eine Gruppe durch einen der beiden Gänge nach Norden geht und wir sichern unsere Positionen ein Stück vor der großen Höhle. Dann machen wir Nahaufklärung.“

Kevin grinste Tobias an.

„Na, da hat einer ganz fleißig geübt. Okay, keine Einwände. Machen wir so. Melde dich, wenn ihr fertig seid.“

„Jawohl, melden wenn fertig.“

Mit einer zackigen Kehrtwendung ging Tobias hinüber zu seiner Gruppe.

„Huh, was hat der denn im Kaffee gehabt heute Morgen?“

Kevin schob Lucas in Richtung der eigenen Gruppe.

„Lass ihn ruhig. Wahrscheinlich seine Methode, um mit seiner Nervosität fertig zu werden.“

Dann sah er seine Gruppenmitglieder einen nach dem anderen kurz an.

„Fertig machen zum Gefecht. Paarweises vorgehen, wir gehen als erste, dann Dorian und Sven, die Bannmagier zum Schluss. Bei Feindberührung nur Kampfzauber, keine Barrieren, keine elementaren Effekte.“

Damit war der Elementar nur noch auf Kälte- oder Feuerball beschränkt, die Bannmagier waren ganz raus.

Jedes der Gruppenmitglieder hatte jetzt zwei kleine flache Tragetaschen die mit einer Spezialhalterung an den Seiten der Oberschenkelpanzerung befestigt waren. In der linken Tasche befand sich eine kleine Erste-Hilfe-Ausrüstung, in der rechten Tasche befanden einige Werkzeuge, wie z. B. Spannungsprüfer, Drahtschere und Taschenlampe.

Dazu hatte jetzt jeder ein Head-Set angelegt, mit dem auf dem Gruppenkreis jeder hören und sprechen konnte. Kevin hatte das Gerät mit zwei Kreisen, damit konnte er direkt mit Tobias sprechen.

Als die Gruppe sich vor dem Eingang sammelte, hatten sie sich automatisch, wie vor kurzem erst gelernt, nebeneinander hingestellt. Kevin schüttelte etwas ungläubig den Kopf, dann kam ihm ein Gedanke. Er trat vor den Ersten, Lucas, hin und gab ihm einen kurzen Kuss, dann kam Rafael dran. Als nächster Michael, dann Dorian. Als er bei Sven angelangt war sah er aus den Augenwinkeln, dass Lucas sich angeschlossen hatte und nun auch die ganze Reihe durchging.

Als Kevin vor Thomas stand, zögerte er ein bisschen, aber Thomas beugte sich leicht vor und gab Kevin einen Kuss, ebenso wie Fabian. Rafael und Michael hatten sich ebenfalls angeschlossen und so rollte die gesamte Reihe einmal aneinander vorbei.

Lucas gab Kevin den Daumen nach oben.

„Müssen wir uns merken.“

Kevin nickte und griff nach dem Schalter für das Headset.

„Erste Gruppe fertig.“

„Zweite Gruppe fertig“, ertönte die Stimme von Tobias. Kevin holte tief Luft.

„Engage - now!“

Beide Gruppen betraten ihr Gefechtsfeld.


„Achtung, hier Gruppe 2. Wir haben zwei Schädelbohrer im Tunnel!“

Lucas und Kevin sahen sich sichernd um. Sie wussten zwar aus dem Unterricht, was ein Schädelbohrer war, aber bei Gefechtsübungen war noch nie einer eingesetzt worden.

Schädelbohrer waren etwa so groß wie ein Igel, von braungelber Farbe und glichen dem Igel auch in etwa in der Form.

Kevin schien etwas nervös und Lucas wurde davon angesteckt.

„Gruppe 2. Ein Schädelbohrer erledigt.“

Kevins Augen wanderten durch die Dämmerung des Tunnels. Nur vereinzelt verbreiteten Fackeln an den roh behauenen Wänden ein schwaches Licht das gespenstische Schatten warf. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte Lucas etwas kleines, helles, das sich schnell bewegte.

„Da!“

Kevin ging in Kampfstellung und hatte beide Hände ausgestreckt. Noch bevor Lucas reagieren konnte, hatte der Schädelbohrer zum Sprung angesetzt. Wie ein Gummiball sprang er in die Höhe, genau auf Kevin zu. Völlig ruhig stand dieser da, bis der Angreifer ihn fast erreicht hatte. Kevin hätte den Schädelbohrer fast mit seinen Händen greifen können, als ein grüner Blitz aus jeder der Handinnenflächen hervorbrach und sich im Angreifer vereinigte. Dann hörte man nur noch ein leises klagendes Geräusch und einen dumpfen Fall, als der Schädelbohrer den Boden berührte. Mit der Stiefelspitze berührte Lucas kurz die Überreste. Aus dem Inneren des Körpers ragten ein paar versengte Kabel hervor. Die Übung würde ganz schön teuer werden.

„Gruppe 1. Ein Schädelbohrer erledigt.“

Als Dorian und Sven an den Überresten vorbei kamen, ging Sven in die Hocke und betrachtete das Modell. Es war dem Original fast lebensecht nachgebildet. Der Schädelbohrer war etwa 30 cm lang, eiförmig, fast wie ein amerikanischer Football. Links und rechts waren jeweils vier kurze Tentakel mit kleinen Klauen. Irgendwelche Wahrnehmungsorgane waren nicht erkennbar.

Die Unterseite war durch den Energieblitz stark versengt und Sven sah Dorian fragend an. Der deutete auf die Tentakel.

„Zwischen dem ersten und zweiten Beinpaar ist auf der Unterseite ein kleiner Stachel. Er springt seine Opfer an und klammert sich auf dem Kopf fest. Dann bohrt er sich mit dem Stachel durch die Schädeldecke und fängt an zu saugen.“

Sven zuckte zurück.

„Hey, das ist ein Dummy.“

„Ich weiß, aber trotzdem…“

Noch bevor der Satz ganz ausgesprochen war, sah Sven aus den Augenwinkeln heraus etwas auf sich zu springen. Instinktiv riss er die Arme hoch, um den Angreifer abzuwehren.

Der Schädelbohrer hatte im Sprung schon fast Kopfhöhe erreicht und Svens ausgestreckten Hände folgten der Flugbahn. Vollkommen instinktiv entlud sich der Zauber, den Sven schon die ganze Zeit vorbereitet hatte. Die Wirkung war mehr als spektakulär.

Um den Schädelbohrer herum schien plötzlich die Luft zu brennen. Deutlich konnte Dorian erkennen, wie die ockergelbe Farbe des Dämons sich in tiefes schwarz verwandelte und die Oberfläche Feuer fing. Dann spürte er die Hitze in seinem Gesicht, obwohl er gut einen Meter weit neben Sven stand.

„Ernstfall! Eine Brandverletzung.“

Lucas kam zurück und sah sofort, was passiert war.

„Ja, Feuerball auf kurze Distanz ist ungesund. Geht es dir gut?“

Sven war wütend, hauptsächlich auf sich selbst. Er hatte durch seine Resistenz nichts abbekommen, aber Dorian war etwas arg rot im Gesicht.

„Geht schon. Brennt etwas, ist aber nicht tragisch.“

„Von wegen. Mit Verbrennungen kenn ich mich aus. Hab mich schon mehr als einmal geschält. Du bleibst hier, Sven trägt Brandsalbe auf. Dann kommt ihr nach.“

Dorian wollte noch etwas sagen, aber Sven legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„So, einmal neu sortieren. Rafael und Thomas nach vorne zu Kevin, wir bleiben hinter den Kampfmagiern.“

„Gruppe 2. Ein weiterer Schädelbohrer erledigt. Range clear.“

Langsam arbeiteten sich beide Gruppen parallel bis zu ihrem Haltepunkt vor.

„Gruppe 2 von Gruppe 1. Haben Haltepunkt erreicht. Wie weit seid ihr?“

„Hier Gruppe 2. Sind gleich soweit. Stand by.“

Kevin überdachte in der kurzen Pause noch einmal seine Optionen für die Nahaufklärung, aber sein Entschluss hatte sich nicht geändert.

„Gruppe 1 von Gruppe 2. Klar zur Nahaufklärung.“

„Okay, dann - start now.“

Kevin gab Rafael ein Zeichen und er kam mit Michael nach vorne.

„Nur ein kurzer Rundblick in die Höhle. Ich möchte wissen, wo genau die beiden Gänge mit den Toren münden und ob oder wie viele Gegner in der Höhle sind. Solltet ihr bemerkt werden, sofort zurückziehen, keine Kämpfe. Michael soll dann eine Barriere an unserer Gangmündung aufbauen bis wir uns entsprechend neu sortiert haben. Alles klar?“

Rafael und Michael nickten, dann schlichen sie langsam an der Gangwand entlang nach vorne. Die Höhle war von der Decke her mit farbigem gedämpftem Licht beleuchtet. Rafael registrierte das orangefarbene Licht, das nur für die Übungen eingeblendet wurde. Die Farbe der Deckenbeleuchtung beschränkte den Magieeinsatz auf das angegebene Farbniveau. Also in der Höhle keine Zauber höher als Stufe drei. Michael grinste leicht. Das würde den Elementar von einem weiteren Feuerball abhalten, aber auch den Astralmagier aus dem Gefecht nehmen. Sein einziger Kampfzauber war Stufe fünf.

Erheblich wichtiger war die Anwesenheit von fünf Rallorian in der Höhle. Die ferngesteuerten Modelle glichen erschreckend genau ihren Vorbildern und bewegten sich stampfend vor den zwei dicht nebeneinander liegenden Gangmündungen auf und ab.

Rafael und Michael hatten genug gesehen und zogen sich leise zurück. Nach ihrem kurzen Lagebericht stimmte sich Kevin kurz mit Lucas ab, dann rief er die zweite Gruppe.

„Gruppe 2 von Gruppe 1. Wir haben fünf - ich wiederhole fünf Rallorian vor den Gängen. Wie viele habt ihr gezählt?“

„Affirmative.“

Kevin nickte unbewusst. Gut, dann auf zum Finale.

„Wir gehen gleichzeitig rein, Die Kampfmagier und nur die Kampfmagier bekämpfen die Rallorian. Eure beiden Bannmagier legen eine physische Barriere vor den linken, den westlichen Eingang. Der Elementar und der Astralmagier bleiben bei ihnen als Energiereserve, ebenso zwei Kampfmagier zur Sicherung. Die beiden anderen Kampfmagier kommen mit uns, wenn wir durch den Gang zum Tor vorgehen. Frage verstanden?“

Erst war eine kurze Pause, dann kam die Stimme von Tobias.

„Ich bleibe mit den Bannmagiern hier vorne. Hendrik und Marcus kommen zu euch.“

„Okay, seid ihr soweit?“

„Ready“

„Engage in Combat - now!“

Aus den beiden sich gegenüberliegenden Gängen schlichen jeweils vier Angreifer in die große Höhle. Sie blieben dicht an der Höhlenwand und verteilten sich in Abständen von etwa zwei Metern. Kevin kontrollierte die Positionen, dann eröffnete er das Gefecht mit einem roten Blitz auf den mittleren Rallorian. Die blauen Dämonen reagierten sofort und wandten sich ihren Gegnern zu. Doch bevor die etwas schwerfälligen Rallorian sich genähert hatten, waren mindestens drei Blitze in jeden eingeschlagen und die Kontrolle registrierte sie als erfolgreich bekämpft. Nacheinander fielen sie auf die Knie und schlugen dann mit einem dumpfen Geräusch nach vorne auf den Boden.

„Barriere!“

Die Bannmagier der zweiten Gruppe hatten sich bereits vorbereitet und saßen nebeneinander mit dem Rücken an der Höhlenwand direkt gegenüber der Gangmündung. Die Entfernung betrug etwa 20 Meter, kein Problem für eine einfache Barriere. Wenige Sekunden später leuchtete dann auch ein orangefarbenes Feld vor dem linken Eingang.

Hendrik Simonsen und Marcus Tamm kamen herüber zum ersten Team und bauten sich vor Kevin auf.

„Umschalten auf Kreis zwei.“

Die beiden Neuankömmlinge schalteten ihren Funkkreis auf Kanal 2 damit sie mit der ersten Gruppe sprechen konnten.

„Wir gehen mit den Kampfmagiern vor, dann Lucas und Sven, Michael und Fabi bleiben hinten zur Sicherung. Ihr müsstet im Notfall auch eine physische Barriere im Gang aufbauen, falls irgendetwas von hinten kommt. Jemand Fragen?“

Alle schüttelten den Kopf.

„Okay, dann los.“

Kevin ging zusammen mit Rafael nach vorne, während der Rest sich in Zweiergruppen anschloss.

Der Gang führte nach Norden, um dann in einem weiten Bogen nach Osten abzubiegen. Als das Licht von vorne heller wurde, konnte Kevin ihr Ziel erkennen. Es war eine hell erleuchtete moderne Halle in der es im wahrsten Sinne des Wortes vor Leben wimmelte. Er erkannte auf Anhieb drei Gothmar und mindestens noch fünf Rallorian. Oben unter der Decke der Halle schwebten zwei Wesen, die aussahen wie überdimensionale Rochen.

An der linken Hallenwand waren mehrere Regale, in denen eine ganze Anzahl von großen, runden weißen Kokons lag und an der Hallenrückwand leuchtete ein riesiges Tor.

„Drei Gothmar, fünf Rallorian, zwei Finsterrochen.“

Ein kurzer Blick an die Hallendecke entlockte Kevin ein leichtes Lächeln.

„Status grün. Feuererlaubnis für Astralmagier. Elementar nur Kältezauber. Nix kaputtmachen.“

Noch bevor jemand antworten konnte, hatte ein Gothmar die Eindringlinge entdeckt und ein tiefes Tuten erfüllte den Raum.

Was jetzt kam, konnte man nur als Chaos bezeichnen. Die Gothmar stürmten nach vorne, um sofort von roten und grünen Blitzen getroffen zu werden, die zwei der drei Kreaturen sogleich zu Boden schickten. Die beiden Rochen zogen größere Kreise und kamen langsam tiefer. Dann schoss einer der beiden wie ein Stuka auf Dorian herab. Zu spät zum Ausweichen, ließ Dorian sich auf den Boden fallen und ein Kegel eiskalter Luft strömte über ihn hinweg, um den Finsterrochen in einen massiven Eispanzer einzuhüllen. Unbeweglich durch das Eis und erheblich schwerer geworden, stürzte der Finsterrochen neben Dorian auf den Boden.

Inzwischen lagen alle drei Gothmar auf dem Boden und die Rallorian hatten sich zum Tor zurückgezogen.

Der zweite Finsterrochen war nach oben gestiegen und schwebte in Richtung Hallenausgang. Hier versuchte er in den Gang zu entkommen, doch der war durch Michael und Fabian blockiert. Der Finsterrochen versuchte in einem ähnlichen Tiefflugangriff wie sein Vorgänger in den Gang durchzubrechen. Als er auf etwa drei Meter heran war, leuchtete vor den Bannmagiern eine orangefarbene Wand auf. Der Rochen prallte gegen diese Wand und mit einer kurzen Ausweichbewegung zuckte sein Stachel herum, traf aber ebenfalls nur die Barriere. Es gab ein hallendes Geräusch, als ob ein Hammer gegen ein Blech geschlagen hätte und das orange Schimmern wurde etwas blasser. Dort wo der Stachel die Barriere getroffen hatte, tropfte eine grünliche Flüssigkeit zu Boden.

Der riesige Gong war nicht unbemerkt geblieben und nur Sekunden später schlugen ein grüner und zwei rote Blitze in den Finsterrochen ein, so dass er bewegungslos an der Barriere zu Boden rutschte.

„Das war knapp. Alles in Ordnung?“

Michael hob den Daumen und Lucas nickte bestätigend.

Mit einem Blick nach vorne bemerkte Lucas, dass die Kampfmagier inzwischen den Weg zum Tor freigeräumt hatten. Insgesamt drei Gothmar, sechs Rallorian und zwei Finsterrochen lagen in der Halle verteilt.

„Halle gesichert. Klar zum Schließen. Lucas übernimmt.“

Lucas hob zur Bestätigung einen Arm, dann wandte er sich wieder an die Bannmagier.

„Wir machen das Ritual zum Schließen von hier aus, drei Kampfmagier sichern das Tor, damit nicht noch jemand durchkommt, bevor wir es geschlossen haben. Drei Kampfmagier sichern den Zugang.“

Michael und Fabian hatten sich nebeneinander stehend an den Händen gefasst während Lucas hinter den beiden stand und ihnen jeweils eine Hand in die Halsbeuge legte damit er dort die Haut berühren konnte.

Während die Bannmagier die Augen geschlossen hatten, behielt Lucas unverwandt das Tor im Blick. Im Ernstfall würde er jetzt die astrale Signatur des Tores auffassen und den Trennzauber der Bannmagier damit verbinden. Das Tor würde von seinem Erzeuger getrennt und dann erlöschen.

Jetzt ertönte nur eine Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher.

„Tor geschlossen. Continue Exercise.“

Kevin hob den Arm und deutete auf den Hallenausgang.

„Gleiche Formation wie beim Reingehen. Kampfmagier sichern nach dem Durchgang die Höhle.“

Mit schnellen Schritten führte Kevin seine Truppe durch den gebogenen Gang zurück zur großen Höhle. Noch bevor sie die Höhle erreichten ertönte die Stimme von Tobias.

„Under Attack!“

Kevin fluchte unterdrückt und begann schneller zu laufen. Als er die Höhle erreichte, sah er sofort das Problem.

Die Barriere an der Gangmündung des linken Ganges flimmerte nur noch leicht. Jenseits der Barriere waren mindestens drei Rallorian zu erkennen, von denen der erste immer wieder mit Schwung gegen das Hindernis anstürmte.

„Kampfmagier Halbkreis! Barriere aufheben, drei - zwei - eins - jetzt!“

Lucien und Sebastian sanken schweißüberströmt in sich zusammen. Der erste Rallorian wurde durch seinen Schwung fast bis in die Höhlenmitte getragen, wo er von fünf Blitzen getroffen sofort zusammenbrach. Den nachfolgenden drei Rallorian ging es nicht besser.

Kevin sah sich abschätzend um.

„Formation bleibt bestehen. Verstärkte Gruppe 1 geht vor. Rest von Gruppe 2 sichert die Höhle.“

Der Gang ging hier ebenfalls nach Norden, um dann in einem weiten Bogen nach Westen abzubiegen. Das Ende war lediglich eine Abschlusswand, die den Gang tot enden ließ. Direkt vor der Wand standen das Tor und davor ein einzelner Gothmar. Sechs rote Blitze schlugen fast gleichzeitig ein und schickten ihn zu Boden.

Lucas führte noch einmal das gleiche Ritual durch wie bei dem letzten Tor.

„Tor geschlossen. Überreste aufgelöst. Tore erfolgreich bekämpft. Continue Exercise.“

Lucas sah Kevin fragend an, doch der winkte in Richtung der Höhle.

Als alle versammelt waren, deutete Kevin auf die Gangmündung im Osten.

„Wir gehen alle durch einen Gang zurück. Vier Kampfmagier vorne, vier für die Rückendeckung. Bannmagier klarhalten für Barrieren.“

Mit einem besorgten Blick musterte er Lucien und Sebastian, doch Lucien winkte ab.

„Geht schon wieder.“

Sebastian nickte zustimmend.

„Gut, dann in Formation, wie befohlen - Abmarsch!“

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie die Trainingshalle mit ihrer Ausrüstung.

Kevin hatte noch einen letzten Punkt abzuarbeiten.

„Musterung!“

Ohne zu zögern stellten sich alle Paare nebeneinander. Zuerst die Paare mit dem Astralmagier, dann die mit dem Elementar und dann die Bannmagier.

Lucas und Tobias gingen langsam die Linien ihrer Gruppen ab, dann kamen sie zu Kevin.

Lucas grüßte militärisch.

„Ein Leichtverletzter. Keine Verluste.“

„Danke.“

Dann kam Tobias. Auch er grüßte, wie er es vor kurzem gelernt hatte.

„Keine Verletzten. Keine Verluste.“

„Danke.“

Mit einem weiteren Gruß waren beide entlassen.

Prompt ertönte eine Stimme aus dem Off.

„End of Exercise.”

„So, Leute. Das war unsere kleine Übung. Umziehen und ab nach Hause.“

Lucien sah an sich herunter.

„Umziehen? Ich geh hier duschen. Kommt jemand mit?“

Dabei sah er Tobias so provozierend an, dass jeder merkte, wer unbedingt mitkommen sollte.

Lucas sah Kevin an und nickte. So kam es, dass sechzehn erschöpfte, aber fröhliche Jungen fast eine Stunde lang die Dusche der Trainingshalle blockierten.


Am Eingang der Halle erwarteten sie die beiden Zugführer und der Kompaniechef mit den Elementar-Abzeichen.

„Meine Herren, es ist jetzt kurz vor 1700. Wenn sie an ihrem freien Tag noch etwas Zeit erübrigen könnten, möchte ich ihnen nach dem Abendessen noch etwas vorführen. Sagen wir um 1800 im Auditorium?“

Der Wunsch eines Majors war fast so gut wie ein Befehl und die ganze Truppe saß ziemlich schweigsam beim Abendessen, ganz gespannt darauf, was wohl kommen würde.

Als sie kurz vor 1800 ins Auditorium kamen, bemerkten sie, dass außer dem Kompaniechef noch zwei weitere höhere Offiziere im Hintergrund saßen.

Das Licht wurde gedimmt und auf der Projektionswand lief ein Film in kurzen Sequenzen ab. Kevin war völlig erstaunt, als er bemerkte, dass es eine Aufzeichnung ihrer Übung vom Nachmittag war.

Aus dem Hintergrund wurden einige der Szenen kommentiert.

„Erste Phase. Astrale Aufklärung. Durchführung der Astralprojektion. Projektion selbst problemlos, Umsetzung der Aufklärungsergebnisse könnte besser sein. Es fehlen Größenzuordnungen.“

Die Handzeichnungen von Lucas und Lars waren in voller Größe zu sehen. Beide waren nicht gerade künstlerisch wertvoll.

„Absicherung während der Astralprojektion wie aus dem Lehrbuch.“

„Zweite Phase. Anmarsch. Erste Feindberührung zwei Schädelbohrer.“

In ganzer Größe bekamen alle noch einmal vorgeführt, wie Sven den Feuerball eingesetzt und Dorian versengt hatte.

„Dazu eine Bemerkung?“

„Ja“, ertönte eine zweite Stimme

„In engen Räumen sind Feuerbälle grundsätzlich zu vermeiden. Grundlagenausbildung. Kälteball ist zielgenauer und strahlt weniger thermische Energie.“

Sven war jetzt genauso rot im Gesicht wie Dorian neben ihm.

„Okay, dritte Phase. Zweite Feindberührung große Höhle.“

Jetzt war vorne zu sehen, wie sie aus den Gängen kamen und sich an den Wänden entlang verteilten.

„Gute Entscheidung. Bei überraschenden Fernkampfangriffen so weit wie möglich Abstand halten und sich nicht auf Nahkämpfe einlassen.“

Als die physische Barriere vor dem Eingang gezeigt wurde, ertönte eine weitere Stimme.

„Als taktische Entscheidung selten genommen, weil nicht ganz problemlos. Wäre der Feind durchgebrochen, hätte die reduzierte Gruppe Schwierigkeiten bekommen. Zum anderen ist es nachvollziehbar, die erste Gruppe zu verstärken, wenn man die Feindstärke nicht genau kennt.“

In schneller Folge gab es jetzt einzelne Ausschnitte aus dem ersten Gefecht.

„Finsterrochen sind schnell und gefährlich. Der Kälteball war eine ausreichende Option. Es ist jedoch zu beachten, dass der Rochen möglicherweise nach einiger Zeit den Panzer sprengen kann und wieder einsatzbereit ist. Den Einsatz einer Barriere gegen anfliegende Gegner habe ich in dieser Form persönlich das erste Mal gesehen und werde den Leiter Taktik entsprechend informieren.“

Kevin wurde bei den Kommentaren immer kleiner in seinem Sitz. Der heutige Nachmittag war doch eigentlich nur als lockere Vorübung gedacht gewesen und jetzt das!

„Vierte Phase. Freundliche Einheit wird angegriffen. Die Reaktion und die taktischen Entscheidungen sind ohne Beanstandungen. Ebenso die Umgliederung der beiden Gruppen für den zweiten Angriff.“

„Fünfte Phase. Schließen zweites Tor. Fast schon routiniert. Keine Beanstandungen. Ebenso die Entscheidung, geschlossen zurück zu marschieren, da die Bedrohung beseitigt ist.“

Das Licht wurde wieder heller im Saal und als Kevin nach hinten sah, erkannte er, wie sich sein Kompaniechef von den Fachbereichsleitern für Astral- und Bannmagie verabschiedete. Dann kam der Major nach vorne und musterte eine Zeit lang schweigend die etwas unruhig zappelnden Offiziersschüler.

„Meine Herren, ich bin von dem Ergebnis Ihrer Übung mehr als überrascht. Sie haben einen Durchgang gemeistert, der etwa zwei Stufen über Ihrem derzeitigen Ausbildungsniveau liegt.“

Das erregt einsetzende Gemurmel unterband der Major mit einer kurz erhobenen Hand.

„Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, waren einige Fachbereichsleiter anwesend und haben Ihre Bewertung abgegeben. Nicht nur die kurzen mündlichen Kommentare, sondern auch in ausführlicher schriftlicher Form. Diese werden herangezogen für Ihre Prüfungsnoten. Für Sie sind die Fächer Taktik und Dämonologie mit dieser Übung mit Erfolg abgeschlossen.“

Noch einmal hob der Major die Hand um die aufkommende Unruhe zu beenden.

„Eine genaue schriftliche Auswertung können Sie ab morgen im Intranet abrufen. Diese umfasst übrigens den ganzen Zug, die einzelnen Gruppen, als auch jeden einzelnen Teilnehmer. Sie können sich also in aller Ruhe auf die noch offenen Prüfungsfächer Thaumaturgie, Fachmagie und allgemeine Truppenkunde vorbereiten. Vielen Dank.“


Die Vorbereitung auf die Prüfungen hatte mit dem Begriff ‚in aller Ruhe‘ wenig zu tun. Kevin und Lucas waren abwechselnd mit Recherchen im Intranet beschäftigt, mussten sich gegenseitig prüfen und falls etwas absolut unklar war, mussten schon mal die Nachbarn herhalten.

In Thaumaturgie hatte Kevin es etwas leichter als Lucas. Sein Thema war ‚Öffnen von astralen Barrieren‘. Hier konnten ihm sowohl Michael als auch Lucas helfen.

Eine astrale Barriere funktionierte im Prinzip genauso wie eine physische, war aber kugelförmig, denn sie war nicht an die physische Welt um sie herum gebunden, sondern lediglich an den Anwender. Sie verhinderte das Eindringen jeglicher Energien, Zaubersprüche oder auch Projektionen, die im Astralraum präsent waren.

Lucas hingegen hatte ‚Entwurf eines Feuerballs‘ erhalten. Ein Spruch der Elementare, den er mit Michael erst einmal komplett erarbeiten musste, um ihn dann alleine nachzuvollziehen.

Gruppenmagie war ein ganz anderes Thema. Dabei ging es um Zauber oder magische Fähigkeiten des jeweiligen Partners. Kevin bekam ‚Orientierung im Astralraum‘, Lucas musste die taktischen Aspekte von ‚Einsatz von Höllenfeuer‘ erarbeiten.

Am Mittwochabend saßen die vier Bewohner im Keller ihres Bungalows auf der großen Matte und bemitleideten sich gegenseitig.

„Warum muss ich den taktischen Einsatz eines Schildbrecher-Zaubers erklären? Ich kann das Ding ja nicht einmal“ grummelte Rafael.

Lucas seufzte zum wiederholten Mal.

„Damit du weißt, wie du deine Bannmagier einsetzen kannst, wenn es notwendig wird. Ich kann auch kein Höllenfeuer und muss eine Risikobewertung abgeben.“

„Und ich muss etwas beschreiben, was mir von jemandem erzählt wird. Ich komme mir vor wie im vierten Schuljahr - Nacherzählung einer vorgelesenen Geschichte.“

Lucas sah Kevin stirnrunzelnd an, dann zog er sich das T-Shirt aus. Kevin sah ihn irritiert an.

„Was jetzt?“

„Ich möchte gerne was ausprobieren - nein, nicht was du gerade denkst“, erwiderte Lucas mit einem Seitenblick auf den breit grinsenden Michael.

„Dazu brauch ich aber auch euch beide. Michael müsste einen Haltezauber wirken und Rafael brauch ich als Batterie.“

Michael sah Lucas erstaunt an.

„Wozu brauchst du einen Haltezauber? Der ist doch nur zum Fixieren von flüchtigen Manaerscheinungen.“

„Ich möchte gerne, dass du meine nächste Anwendung aufrechterhältst, falls meine Konzentration nicht ausreicht, den Zauber zu stabilisieren. Und Rafi brauch ich als Batterie, weil der Umsatz wahrscheinlich doppelt so hoch wird wie normal.“

Michael sah Lucas zweifelnd an, dann dämmerte ihm etwas.

„Nein, auf gar keinen Fall. Hast du eine Ahnung was passiert, wenn das schief geht?“

„Wovon redet ihr beiden?“

Kevins Kopf war wie beim Tennis hin- und hergegangen.

„Er will dich mitnehmen!“

„Hä? Was?“

„Astrale Projektion. Er will deine Astralsphäre mitnehmen.“

Kevin sah erst Michael, dann Lucas mit offenem Mund an.

„Das geht?“

„Ja, aber es verbraucht natürlich jede Menge Energie.“

„Außerdem braucht man einen äußerst begabten und starken Astralmagier dafür“, fügte Michael mit ernstem Blick hinzu.

Lucas beugte sich vor und flüsterte Michael etwas ins Ohr, worauf dieser leicht rot anlief.

„Okay“, meinte Michael dann zögernd, „aber gib mir nicht die Schuld, wenn etwas schief geht.“

Ohne weiteren Kommentar rutschte Lucas zu Kevin und zog ihm das T-Shirt über den Kopf.

„Rafi, du am besten auch. Wir brauchen eine große Kontaktfläche.“

Nachdem er gerade noch einmal überdachte, was er gerade gesagt hatte, wollte Lucas seine Aussage korrigieren, sah aber dann erstaunt, dass die drei anderen sich bereits komplett entkleidet hatten. Wortlos zog Lucas auch den Rest aus und legte sich der Länge nach auf die Matte. Kevin lag jetzt links neben ihm und Rafael rechts. Alle drei berührten sich mit den Körperseiten vom Brustkorb bis zu den Oberschenkeln.

„Auf geht’s.“

Und ehe Kevin es sich versah, blickte er auf drei nackte Körper herab von denen er wusste, dass einer sein eigener war. Er glaubte, ihm würde übel werden, aber da war nichts, kein Magen, nichts womit er sich übergeben könnte. Er war einfach da.

‚Dreh dich mal um. ‘

Die Stimme war nicht zu hören gewesen, nur in seinem Kopf war ein Gedanke, der nicht sein eigener gewesen war. Vorsichtig änderte Kevin die Blickrichtung.

Der Anblick von Lucas war unbeschreiblich. Wie ein Geist schwebte ein transparentes, gelblich glühendes Abbild seines nackten Körpers vor Kevin. Lucas winkte, dann kam er langsam näher. Vorsichtig näherte er sich Kevins Projektion und fasste nach einer Hand. Wie ein Blitz durchzuckte Kevin die astrale Energie von Lucas.

‚Komm mit.‘

Und ohne eigenes Dazutun schwebte Kevin an der Hand von Lucas durch die Kellerdecke nach oben. Zwei Minuten später schwebten sie wieder über ihren Körpern. Kevin war wie berauscht von den Dingen, die Lucas ihm gerade gezeigt hatte. Nie hatte er aus den Beschreibungen dieses Gefühl vermittelt bekommen. Kevin nähert sich Lucas jetzt etwas mehr und bemerkte, dass ihre Projektionen miteinander verschmolzen. Immer deutlicher konnte er jetzt Lucas‘ Gefühle wahrnehmen und er wusste, dass Lucas ihn genauso wahrnahm. Die Farbe der Projektionen verschob sich langsam von gelblich über orange ins rote. Kevin verspürte ein ungeahntes Glücksgefühl, das von Lucas aufgenommen und reflektiert wurde, so dass es sich hochschraubte wie in einer Rückkopplung. Als die Intensität fast nicht mehr auszuhalten war, sah Kevin einen gelben Blitz, der plötzlich alles in absoluter Schwärze versinken ließ.

Panikartig riss Kevin seine Augen auf.

„Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Es hat alles funktioniert“, hörte Kevin die schwer atmende Stimme von Michael.

Mit einem Ruck sah Kevin nach rechts und blickte in Lucas‘ Gesicht, das ihn breit angrinste.

„Ich weiß ja nicht, was ihr beide da im Astralraum gemacht habt, aber es muss unheimlich geil gewesen sein.“

Kevin und Lucas sahen sich fragend an, dann spürte Kevin, was Michael meinte. Sein gesamter Bauch und die Brust waren feucht und klebrig. Mit einem kurzen Blick zu Lucas erkannte Kevin, dass es ihm ebenso ergangen war.

„Hier, extra für euch.“

Damit warf Michael jedem ein Handtuch zu. Kevin sah prüfend auf die andere Seite von Lucas.

„Was ist mit Rafi?“

„Der schläft. Gleich nachdem ich euch getrennt hatte, ist er einfach eingepennt.“

„Du musstest uns trennen?“

„Ja, also nicht euch, sondern dich. Ich musste die Anwendung beenden, sonst hättet ihr die Energiereserve aufgebraucht.“

„Und was wäre dann?“

Lucas sah Kevin nachdenklich an.

„Keine Ahnung. Im günstigsten Fall wären die Projektionen in die Körper hmmm… zurückgefallen oder so etwas.“

„Und im ungünstigsten Fall?“

Lucas senkte den Kopf und sah zu Boden.

„Das möchtest du gar nicht wissen.“

„Was!? Du meinst…“

„Was glaubst du, warum ich Michael und Rafi gefragt habe? Ich war mir schon sehr sicher dass es funktioniert, sonst hätte ich dir das nie im Leben zugemutet.“

Kevin wusste, das Lucas verantwortungsvoll war, doch das hier…

Du weißt, dass ich dich liebe.

Kevin wäre beinahe hintenüber gefallen, als Lucas‘ Stimme in seinem Kopf ertönte.

„Geht das jetzt hier auch?“

Michael sah Kevin fragend an, dann Lucas, bis dieser laut loslachte.

„Das nennt sich Gedankenverbindung. Eigentlich ein Spruch der Astralmagier, um zwischen zwei Astralmagiern Nachrichten auszutauschen. Ich fürchte, bei uns hat der kleine Ausflug zu einer dauerhaften Verbindung geführt.“

„Oh, oh“, kam es von Michael.

Ich liebe dich auch.

Lucas strahlte Kevin an und umarmte ihn dann stürmisch.

„Es funktioniert in beide Richtungen. Und ohne, dass du Astralmagier bist.“

Michael riss erstaunt die Augen auf.

„Wenn das nicht mal einen Anschiss gibt.“

Gab es nicht. Die Meldung am nächsten Morgen verursachte zwar einige Aufregung in der Verwaltung, aber letztendlich endete es damit, dass alle vier einen genauen Bericht beim Fachleiter Astralmagie einreichen mussten. Das war‘s.

Nicht jedoch für Kevin und Lucas.

Am nächsten Abend lagen beide dicht aneinander gekuschelt im Bett und übten.

Was hast du eigentlich Michael geboten damit er mitmacht?

Oh, ich habe hmmm sozusagen meinen Hintern verkauft.

Du hast was? ‘

Nun ja, also der Deal lautet auf drei Tage Bottom bei Michael.

Kevin fiel mit einem Lachflash aus dem Bett.

„Na, los. Komm mit. Wir fangen dann mal an mit abarbeiten.“

Lachend folgte Lucas dem völlig nackten Kevin, der in Richtung Wohnungstür strebte.


Das letzte Prüfungsfach verlief deutlich weniger spektakulär. Hier ging es bei Lucas in der allgemeinen Truppenkunde um die Gliederung ihrer Einheiten in ganz Westeuropa.

Überall auf der Welt hatten sich Gruppierungen gefunden, die mit unterschiedlichen Methoden und Erfolgen die Dämonen bekämpft hatten. Je mehr die Welt zusammenwuchs, desto mehr konnten sich auch diese Gruppierungen annähern und eine gemeinsame Struktur, zumindest bei den Kampfeinsätzen, erarbeiten.

Das Ergebnis war ein Aufbau, der einer fast in allen Staaten der Welt vorherrschenden militärischen Struktur ähnlich war. Lediglich die Größenordnungen waren dem Zweck des Einsatzes angepasst worden

Ein Team bestand aus vier Mann, zwei Magiern mit ihren jeweiligen Kampfmagiern.

Eine Gruppe waren zwei Teams, also acht Mann

Ein Zug beinhaltete zwei Gruppen, dazu ein Führungsteam, bestehend aus dem Zugführer mit seinem Partner, dem stellvertretenden Zugführer mit seinem Partner und einem Spezialisten, was dann 21 Mann ausmachte.

Eine Kompanie. Die kleinste selbständige Einheit. Die Kompanie war Dreh- und Angelpunkt der taktischen Einsätze. Es gab sie nicht nur in den ‚normalen‘ Bataillonen, sondern auch völlig unabhängig für die unterschiedlichsten Zwecke. Sie bestand aus drei Zügen und zusätzlich einer Kompanieführungsgruppe bestehend aus dem Kompaniechef mit Partner, dem stellvertretenden Kompaniechef mit Partner, einem Heiler mit Partner und einem Spezialisten. (70 Mann)

Ein Bataillon bestand in den Einsatzverbänden aus drei Kompanien und einer Führungsgruppe mit insgesamt 217 Mann.

Sinngemäß bestand ein Regiment aus drei Bataillonen und einer Führungsgruppe mit 658 Mann.

Im Gegensatz zu ihren militärischen Vorbildern hatten die einzelnen Einheiten und Verbände keinen eigenen Stab. Die personelle, taktische und logistische Planung und Führung begann erst auf der höheren Ebene der Divisionen.

Die Einheiten aus ganz Westeuropa waren zusammengefasst in einer dieser sogenannten Divisionen, bestehend aus 4 Regimentern, 2 einzelnen Bataillonen und einer Kompanie als Reserve.

Dieses etwas merkwürdige Ergebnis resultierte aus den Ergebnissen der Rekrutierung in den einzelnen Ländern. Im gesamten Einzugsgebiet gab es im Durchschnitt 145 Rekruten pro Jahrgang. Die Vorausbildung und die Schulbildung wurden in 7 verschiedenen Ländern vermittelt, Offiziersschulen gab es nur zwei mit jeweils einer Ausbildungskompanie pro Jahrgang.

Kevin sah Lucas beim Tippen über die Schulter.

„Was ist denn das für ein Spezialist?“

„Keine Ahnung. Die ganzen Informationen sind blockiert. Vielleicht kriegen wir das ja im nächsten Semester schonend nahegebracht.“

Lucas hatte keine Ahnung, wie Recht er mit dieser Vermutung haben sollte.

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