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Chaos und Ordnung

Teil 5

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Informationen

 

Hauptmann Imiuthetep hatte alle Festgenommenen voneinander getrennt und einzeln in die Räume des Hauses sperren lassen. Vor jeder der improvisierten Gefängniszellen stand ein Soldat, die beiden restlichen streiften durch das Haus und suchten nach weiteren Hinweisen.

Stumm standen Kutari und Sekhet neben der Leiche des unglücklichen Jungen. Dem Aussehen nach war er ein Kind des Landes, wahrscheinlich nicht älter als Kanefer.

„Wickelt ihn in ein Leinentuch und bringt ihn nach draußen.“

Ptahor und Metufer sahen sich zögernd an. Tote galten als unrein. Sekhet sah ihre Blicke.

„Ich werde nachher ein Reinigungsritual abhalten.“

Die Zwillinge sahen sich wieder an und legten dann den toten Jungen auf eines der mitgebrachten Leinentücher.

Schweigend gingen Kutari und Sekhet zum nächsten Raum.

„Er ist nicht wirklich schwer verletzt. Er hat sich gewehrt und verkrampft und so wurde er mit Gewalt genommen. Das führt zu einigen kleinen Rissen, die zwar erst stark bluten, aber in ein paar Tagen sind sie verheilt. Der Schaden an seinem Ba ist wahrscheinlich viel schlimmer“, flüsterte Sekhet, bevor sie den Raum betraten.

Sekhet hatte den Jungen versorgt und ihm ein Lendentuch gegeben. Nun lag er auf dem Bauch und sprach leise mit Shaketo, während Hamadi stumm daneben saß und mitschrieb.

Als Hamadi Kutari erkannte, erhob er sich langsam und kam näher.

„Der Junge heißt Neferahatj und er ist das erste Mal hier.“

Jetzt sah Hamadi betreten zu Boden.

„Sein Vater hat ihn hergebracht.“

„WAS?“

„Sein Vater. Er ist in der Halle zusammen mit den anderen festgenommen worden. Angeblich hat er wohl etliche Sachen im Wert von zwei Schenati Silber dafür erhalten.“

Kutari war fassungslos und auch Sekhet starrte nur grimmig auf den Boden. Im Hintergrund sah Kutari, wie Neferahatj mit einer Hand nach Shaketo gegriffen hatte und sich an ihm festklammerte, während Shaketo ihm unter Tränen sanft mit einer Hand über die Haare strich.

Verdammt, wer kümmert sich um uns, wenn wir mit ihnen leiden?‘

Brüsk drehte sich Kutari um und sah sich mit Hori und Sekani konfrontiert. Hori hielt ihm eine kleine Schriftrolle entgegen.

„Ich habe meine Aussage selbst protokolliert und auch gleich die von Sekani.“

Kutari nickte und deutete auf Hamadi.

„Gib sie Hamadi, er muss nachher ohnehin alle Aussagen für die Gerichtsverhandlung zusammenstellen. Bist du bereit, an den Vernehmungen teilzunehmen?“

„Ja mein Fürst. Ich kann es kaum erwarten.“

Kutari musterte Hori erstaunt. Es war das erste Mal, dass jemand seines Haushaltes diesen Titel ihm gegenüber verwendete. Hori musste einen bestimmten Grund dafür haben, dass er ihn jetzt so ansprach, doch Kutari hatte leider keine Zeit, das hier zu klären.

Sekani warf den beiden einen letzten Blick zu, dann verschwand er nach draußen in die Dunkelheit. Rehema wartete im Garten auf ihn.

„Und?“

„Hori geht es gut, aber einer der Jungen ist tot. Wir sind zu spät gekommen.“

Sekani sank auf den Boden und flüsterte im Selbstgespräch.

„Wir sind zu spät gekommen.“

Rehema setzte sich neben ihn.

„Sekani, wir können nicht immer rechtzeitig erscheinen. Es ist der Wille der Götter und wenn sie uns erlauben, etwas zu tun, dann tun wir das auch. Aber du bist nicht schuld daran, dass er gestorben ist. Frag dich einmal, warum er hier war und was und wer ihn dazu gebracht hat. Dann kannst du von Schuld reden.“

Sekani sah Rehema lange an, dann nickte er langsam. Vorsichtig umarmte er Rehema.

„Und trotzdem ist es grausam.“


Im Schatten eines der umliegenden Häuser stand ein Mann und starrte mit zusammengebissenen Zähnen auf das Bild, das sich ihm darbot.

Das Versteck, das sie so sorgfältig ausgewählt hatten, war gestürmt worden. Überall wimmelten im Schein von Fackeln irgendwelche Soldaten umher. Von ihren Wachen keine Spur und auch nicht von diesem fetten Eunuchen, dem er nicht einen Augenblick über den Weg getraut hatte.

Er musste so schnell wie möglich seinem Vorgesetzten berichten, was geschehen war. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, alles zu vertuschen oder sogar zu verschwinden.

Als er aus dem Schatten des Hauses hervortrat, bemerkte er plötzlich etwas sehr Hartes und sehr Spitzes in seinem Rücken. Sofort erstarrte er in seinen Bewegungen.

„Aber, aber,“ ertönte hinter ihm eine Stimme, „wohin des Weges so eilig? Es ist Zeit für einen kleinen Plausch.“

Am Sammelplatz bemerkte Rahotep die Annäherung eines Mannes, dicht gefolgt von einer dunklen Gestalt in einem langen schwarzen Mantel. An Haltung und Bewegung vermutete Rahotep, dass es Neferhotep war, der gerade einen Gefangenen hereinbrachte.

Im Licht einer Fackel musterte Rahotep den Fremden und bemerkte erstaunt, dass es sich um einen Ausländer handelte. Wie er an der Haartracht und dem Bart erkannte, handelte es sich offensichtlich um einen Hethiter. Kein Sohn des Landes Khemet trug solch wallendes Haupthaar oder so sorgsam gekräuselte Bärte.

Im Gegensatz zu den meisten Einwohnern Khemets wusste Rahotep, dass sich etliche Hethiter offiziell im Land und speziell in Theben befanden. Sie waren Teil einer Gesandtschaft, die politische Gespräche mit der Führungsspitze des Landes und dem Pharao führte.

Der Kleidung nach zu urteilen, schien dieser hier jedoch kein hochrangiges Mitglied irgendeiner Gesandtschaft zu sein.

„Er hat das Haus eine ganze Zeit betrachtet und wollte sich dann aus dem Staub machen.“

Rahotep nickte. Es war tatsächlich Neferhotep. Der Junge war anscheinend geschickter als er es vermutet hatte. Vielleicht hatte er sich aber auch von dem unschuldigen Aussehen und dem etwas seltsamen Beruf täuschen lassen.

Rahotep musterte eine Weile schweigsam den Hethiter, bis er sich direkt an ihn wandte.

„Was führt euch zu dieser Zeit zu dem Ort, an dem ihr aufgegriffen wurdet?“

Ich verstehe sie nicht.“

Rahotep grinste müde.

Natürlich verstehen sie mich. Wir können auch das ganze Gespräch gerne in hethitisch fortführen.“

Der Mann erbleichte. Ansatzlos rannte er plötzlich los und war kaum ein paar Schritte weit gekommen, als Neferhotep reagierte.

Er hatte die Klinge des Dolches, mit dem er den Hethiter bedroht hatte, zwischen die Finger genommen und dann den Dolch mit einer schnellen Bewegung auf den fliehenden Mann geworfen. Mit einem hässlichen Geräusch blieb der Dolch im linken Oberschenkel des Mannes stecken und mit einem Aufschrei brach der Mann während des Laufens zusammen.

Rahotep und Neferhotep näherten sich langsam und der Leutnant blickte kopfschüttelnd auf den Hethiter herab.

„Ihr hättet es einfacher haben können.“

Mit einem kurzen Blick zu Neferhotep gab er weitere Anweisungen.

„Fesseln, dann Wunde versorgen. Danach kannst du den Rest unserer Leute einsammeln. Ich glaube nicht, dass wir noch mehr fangen heute Nacht.“


Im Haus hatte sich Kutari inzwischen so weit beruhigt, dass sie mit den Vernehmungen beginnen konnten. Die ersten, die vernommen wurden, waren die drei Männer, die in flagranti ertappt worden waren. Derjenige, den Hori überwältigt hatte, konnte nicht viel sagen. Er war das erste Mal Kunde und er wurde angewiesen in den Raum zu gehen und dem Jungen zu sagen, was er wollte. Der Junge würde dann tun, was ihm gesagt wurde.

Das funktionierte auch soweit, als der Junge sich auszog und auf die Kissen legte. Vorsichtig zog Hori dann den Dolch aus seinen abgelegten Kleidern und verbarg ihn unter seinem Körper. Er spürte, wie der Mann mit einer Hand an seinem Rücken herunterfuhr.

Nur einen kurzen Moment noch‘

Flink wie eine Katze drehte sich Hori um. Der Mann war viel zu überrascht von seiner Bewegung, als er auch schon einen Dolch an seinem Hals spürte.

„Ganz ruhig. Keinen Laut, sonst war das dein letzter“, flüsterte Hori, während er den Mann auf die Kissen zog und sich daneben setzte. Völlig ruhig sah Hori den Mann an und flüsterte dann.

„Schön ruhig bleiben. Es kann nicht mehr lange dauern.“

Es dauerte auch nicht lange, bis Lärm von draußen ertönte. Die Tür wurde aufgerissen und Amani und Thotseneb erschienen.

„Wurde auch Zeit“, murmelte Hori, als Amani näher kam und ihn angrinste.

„Wahrhaftig. Der Sohn des Seth ist ganz schön gefährlich.“

Bei den anderen beiden Männern waren die Vernehmungen etwas komplizierter.

Der schwergewichtige ältere Mann aus dem zweiten Raum stellte sich als hoher Beamter des Bürgermeisters von Theben heraus. Er war völlig aufgelöst, dass man ihn in einer solchen Situation erwischt hatte. Als Kutari ihm rundheraus erzählte, dass sein Opfer bereits das Ka und Ba verlassen hatten, während er sich noch mit ihm vergnügte, sank er ohnmächtig zu Boden.

Der schwierigste Fall war der Mann, den Ngozi von Neferahatj heruntergezogen hatte. Erst schwieg er beharrlich, doch als ihm Kutari drohte, auch noch gegen sein anderes Knie zu treten, fing er mürrisch an zu reden.

Ja, er war schon öfter hier gewesen, nein, er kannte niemanden, außer dem Eunuchen, der ihm den Kontakt vermittelt hatte. Ja, er wusste, dass der Junge es das erste Mal machen würde, schließlich hatte er ja drei Schenati Silber dafür bezahlt.

Kutari stutzte, dann machte er sich eine Notiz über die Preise und Einnahmen.

Alle drei Männer waren aus der Oberschicht und reich genug, sich diese Ausgaben leisten zu können.

Auch zwei der Männer, die noch in der großen Halle gewartet hatten, gaben zu, schon öfter Kunden gewesen zu sein. Die Aussagen kamen zögernd, doch Kutari drohte mit der Halle der Wahrheiten.

Der dritte Mann war etwas anderes. Es war der Vater von Neferahatj. Als er zur Vernehmung geführt wurde, sah er ausdruckslosen Gesichtern entgegen, doch er spürte den Hass, der ihm entgegenschlug.

Die Vernehmung selber war kurz und knapp. Er hatte seinen Sohn Nefoy überlassen für den Gebrauch in diesem Haus, gegen Zahlung von Metallen im Wert von fünf Deben Goldes.

„Fünf Deben Gold?“

„Ja, Herr. Ich brauche das Geld. Ich habe eine neue Frau. Sie ist jung und schön. Sie verlangt nach Schmuck und Festen.“

„Dafür seinen Sohn verkaufen? Wer wird an deinem Grab für dich sorgen?“

„Es ist ja nicht so, dass er tot wäre, Herr. Außerdem wird mir meine neue Frau bestimmt noch einige Kinder schenken.“

Kutari hatte genug gehört. Resigniert ließ er den Mann wieder einsperren. Blieb nur noch dieser Ausländer und Nefoy.

Als der Ausländer hereingeführt wurde, übergoss er Kutari mit einem wahren Schwall an fremdländischen Worten. Sein prächtiges Obergewand und seine wallende Haar- und Barttracht gaben ihn leicht als Hethiter zu erkennen.

Hamadi, der neben Kutari saß, sah ihn ratlos an und zuckte nur mit den Schultern. In einer anderen Ecke saßen sich Kanefer und Hori gegenüber. Sie flüsterten die ganze Zeit irgendetwas belangloses, doch mittendrin übersetzte Kanefer die Äußerungen des Mannes, die Hori entsprechend mitschrieb.

„Ich weiß, dass ihr die Sprache des Landes sprecht.“

Abrupt schwieg der Mann, dann lamentierte er wieder in seiner Sprache.

„Na gut, dann werden wir halt die Knüppel einsetzen. Mal sehen ob er sich dann erinnert.“

Der Mann lamentierte weiter, bis Hamadi losging, um Ngozi zu suchen. Der wartete bereits auf seinen Einsatz und kam mit einem dicken Knüppel in der Hand und einem breiten Grinsen im Gesicht in den Raum.

Der Ausländer erbleichte und wandte sich an Kutari.

„Ihr dürft mich nicht schlagen. Ich bin ein Beamter des hohen Gesandten des ruhmreichen Königs Tudhaliya der Hethiter.“

Kutari war überrascht, ließ sich aber nichts anmerken. Hamadi schrieb fleißig mit, während Kanefer und Hori immer noch tuschelten.

„Wenn das so ist, dann werdet ihr mir doch sicherlich sagen können, was ein so hoher Beamter zu solch später Zeit in einem Haus wie diesem macht.“

Wütend zischte der Mann ein paar Sätze, doch als sich Ngozi bedrohlich näherte, senkte er den Kopf.

„Ich werde euch nichts sagen. Ich stehe unter dem Schutz der Gesandtschaft.“

Kutari tat so, als ob er nachdenken würde, dabei machte er Hori ein Zeichen. Der Junge stand auf und gab Kutari einen Bogen beschriebenen Papyrus. Der Hethiter sah Hori an und runzelte die Stirn, dann folgte wieder ein Schwall Hethitisch.

Nun stand auch Kanefer auf und kam näher. Er sah erst den Hethiter an, dann Hori.

„Was denn? Der Junge ist weder eine kleine Hure, noch ein Verräter. Außerdem haben ihn die Prügel bestimmt nichts gelehrt.“

Völlig entgeistert starrte der Hethiter Kanefer an, als ihm bewusst wurde, dass es jemanden gab, der seine Sprache verstand.

Mit einem weiten Satz sprang der Mann zur Tür und Ngozi versuchte ihn zu erreichen, doch er packte lediglich sein Obergewand. Nach einem lauten Reißen und zwei geschickten Bewegungen gelang es dem Hethiter, das Gewand abzustreifen und er rannte, nur noch mit einem Lendentuch bekleidet, zur Vorhalle.

Draußen vor dem Hauseingang stand noch Manetho, der sich gerade mit Rehema und Sekani unterhielt. Die beiden Aufklärer waren immer noch in nichts weiter gekleidet als ihre knappen, schwarzen Lendentücher und die schwarze Farbe auf ihrer Haut. Manetho fand den Anblick lustig, doch so langsam wurde es den beiden kalt.

Plötzlich brach im Haus ein Tumult aus und Manetho erkannte im Schein der Fackeln in der Vorhalle einen halbnackten Mann, der auf sie zu rannte. Nur einen Lidschlag lang blieb er zwischen den Fackeln stehen um sich zu orientieren, doch ein einziger Blick genügte Manetho, um sich zu erinnern. Diesen Mann kannte er!

„Aufhalten! Das ist der Mann mit der Peitsche!“

Der Hethiter hatte lediglich Manetho gesehen, der plötzlich schrie und auf ihn zeigte. Brutal stieß er ihn beiseite und startete in Richtung Haupteingang. Er kam nicht weit, denn aus dem Dunkel stürzten sich zwei ebenso dunkle Gestalten auf ihn, rissen ihn zu Boden und hielten ihn dort fest.

Manetho näherte sich mit einem Knüppel und auch weitere Männer stürzten jetzt aus dem Haus.

Zwei Soldaten fesselten den Hethiter und führten ihn wieder herein, während Sekani sich an Manetho wandte.

„Ist dir was passiert? Er hat dich zu Boden gestoßen. Was ist mit deinen Verletzungen?“

„Alles in Ordnung, soweit ich das beurteilen kann.“

„Ich werde gleich Sekhet holen, aber woher weißt du, wer er ist? Ich dachte, er hätte immer eine Maske getragen.“

„Hat er auch, aber es ist die Narbe. Wenn ihr ihn bei Licht betrachtet, werdet ihr eine Narbe finden. Hier unten.“

Sekani sah Manetho irritiert an. Bei der Dunkelheit konnte er nicht erkennen wo der hinzeigte.

„Na, hier.“

Manethos Finger fuhr von Sekanis Bauchnabel herunter bis zum Ansatz des knappen Lendentuches. Rasch griff Sekani nach Manethos Hand. Er näherte sich Manetho und flüsterte ihm ins Ohr.

„Schon verstanden. Außerdem, Manetho, ich finde dich wirklich sehr nett, aber ich möchte es mir mit Hori nicht verderben. Und du bist doch auch Kanefer etwas näher gekommen oder?“

Manetho seufzte.

„Nicht so wirklich. Er kuschelt gerne, aber so richtig berühren, da zuckt er immer zurück.“

„Macht nichts. Das wird schon. Er ist ja noch…“

In diesem Moment kam Kanefer aus dem Haus und steuerte genau auf die beiden zu.

„Manetho, du sollst sofort zum Herrn kommen.“

Etwas misstrauisch musterte er Manetho und Sekani, die so dicht beieinander standen, dass nicht einmal ein Blatt Papyrus zwischen die beiden gepasst hätte.

Vor Kutari wiederholte Manetho noch einmal die Aussage über die Narbe, die dann zu Protokoll genommen wurde.

Der letzte in der Reihe der Festgenommenen war Nefoy. Immer noch gefesselt, wurde er in die große Halle vor Kutari gezerrt. Seine Augen weiteten sich, als er Kutari erkannte. Dieser stand aufrecht hinter dem großen Tisch, der Nefoy als Abrechnungstisch gedient hatte.

„Ihr? Was habt ihr denn mit all dem hier zu tun?“

„Nun, erst einmal, ich stelle hier die Fragen. Nach all den Informationen die ich besitze, habt ihr hier ein Bordell für Jungen betrieben, die nicht alle freiwillig hergekommen sind. Ihr habt einen freien Bürger gegen Bezahlung hier zwangsweise arbeiten lassen. Und ihr habt es zugelassen, dass einer der hier arbeitenden Jungen ins Jenseits eingegangen ist.“

Beim letzten Satz war Kutari lauter geworden und Nefoy war sichtlich erbleicht. Er schüttelte seinen Kopf, dass die Hängebacken flogen.

„Nein, das ist nicht wahr. Davon hab ich nichts gewusst!“

„Betreiben eines Bordells zum Zwecke der Prostitution für männliche Bürger. Stockhiebe, mindestens fünfzig, würde ich sagen. Handel mit einem freien Bürger, also Sklavenhandel nach dem Gesetz, Stockhiebe und Verbannung. Und dann Teilnahme an der Tötung eines freien Bürgers. Darauf steht die Todesstrafe, Nefoy.“

„Nein!“

Nefoy schnaufte schwer, dann sah er sich gehetzt um. Erst jetzt fiel sein Blick auf die Jungen, die im Hintergrund an der Wand standen. Als er Hori und Manetho erkannte, wusste er, dass sein Ende gekommen war. Doch er würde kämpfen.

„So einfach ist das nicht. Ich habe einflussreiche Freunde. Sie werden für mich sprechen.“

„Stimmt. So einfach ist das nicht. Doch auch ich habe einflussreiche ‚Freunde‘.“

Kutari legte demonstrativ seinen Amtsstab vor sich auf den Tisch.

„Ich weiß nicht, ob es jedem Beamten wirklich richtig klar geworden ist, was das Amt des Aufsehers über die Fragen des Pharao bedeutet.“

Nefoy sah jetzt misstrauisch von dem Stab zu Kutari.

„Ein weiterer Titel, einer der vielen, am Hohen Haus“, murmelte Nefoy etwas unsicher unter Kutaris strengen Blicken.

„Falsch. Der Titel ist keine Zierde. Jedes Mal, wenn der Aufseher über die Fragen des Pharao mit einem direkten Auftrag des Herrschers oder des Tjati unterwegs ist, hat er die Autorität eines direkten Stellvertreters des göttlichen Pharao. Ich kann Fragen stellen und Ermittlungen durchführen, ich bin sogar berechtigt Urteile zu fällen. Ich kann Truppen anfordern oder Unterstützung von allen Einrichtungen des Reiches verlangen. Ich wäre sogar im Namen unseres göttlichen Herrschers berechtigt, einen Gaufürsten abzusetzen.“

Kutari stützte sich auf den Tisch und beugte seinen Oberkörper vor.

„Und nun, Schreiber Nefoy, verratet mir, wen ich zu fürchten habe bei meinen Ermittlungen.“

Nefoy war sichtlich erblasst und rang seine Hände. Nervös blickte er von einer Seite zur anderen, aber da war niemand, der ihm jetzt noch helfen konnte.

„Also, Nefoy? Ich warte auf deine Geschichte.“


Kutaris eigene Wachen waren mit ihren Gefangenen auf dem Weg zum Haus der Wahrheit und er hatte nur seine drei Schreiber und seine beiden Leibwächter Amani und Thotseneb dabei. Im letzten Moment hatte Rahotep noch Remini und Neferhotep abgeteilt, Kutari zu begleiten, als der über den Fluss setzen ließ und sich dem Großen Haus näherte.

Der Hauptmann der Wache des Großen Hauses stellte ihm ohne Rückfragen zwei Dutzend seiner Leute zur Verfügung und Kutari wandte sich nun seinem eigentlichen Ziel zu.

Kurz nach Mitternacht brach das Chaos über das Haus des Nilpferds herein. Mit Hilfe der Palastwache wurden sämtliche Bewohner, bis hin zum letzten Diener, auf die Straße getrieben.

Am lautesten war die königliche Gemahlin Tuaitthesit zu hören. Ihr Kreischen ging durch Mark und Bein. Im Gegensatz dazu war ihr Sohn, Prinz Netermest vollkommen ruhig. Er schien irritiert und etwas orientierungslos. Anders der Erste Berater des Prinzen. Als Verwalter des Hauses war er der höchste Beamte am Hofe der königlichen Gemahlin. Außerdem trug er auch noch den Titel eines Iripat, also eines Mitgliedes der Elite, ein Fürst am Hofe des Pharao, so wie auch Kutari nun seit kurzem einer war. Fürst Wawerhet war zwar ruhig und gelassen, doch er wirkte nachdenklich, fast als hätte er mit dem Erscheinen von Soldaten gerechnet.

Kutari entließ die königliche Gemahlin, den Prinzen und den Fürsten wieder unter Bewachung in ihre Gemächer, doch die Bediensteten wurden zusammengetrieben und vorübergehend im Wachgebäude des Palastes interniert. Dann wurde das gesamte Haus des Nilpferds durchsucht und einige Bedienstete aufgescheucht, die sich noch versteckt hielten. Auch sie landeten in dem provisorischen Gefängnis.

Kutari handelte nach seinem Gefühl und er entschied sich nach einem kurzen Blick auf seine Notizen, mit Prinz Netermest zu beginnen.

Der Prinz war wohl sechzehn oder siebzehn Jahre alt und dafür, dass man ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, sah er eigentlich recht gut aus. Die dunklen Haare waren verwuschelt und er trug nur einen kurzen, weißen Leinenschurz. Im Licht der Fackeln schien seine Haut in einem helleren Braun, als bei den Kindern dieses Landes üblich.

„Hoheit, ich ermittle in einem Fall von Verschwörung gegen den göttlichen Pharao in Eurem Haus.“

Das vollkommene Erstaunen in den Augen des jungen Mannes überraschte Kutari nun doch.

„Aber… aber das ist vollkommen unmöglich. Wir sind dem Herrscher treu ergeben. Wir haben nichts getan, was auch nur im Entferntesten die Herrschaft des göttlichen Pharao stören könnte.“

„Dann wollen wir mal sehen. In Eurem Namen ist im Hafenviertel ein Haus angemietet worden, in dem ein Bordell betrieben wurde. Die Kunden dort wurden nach dem Besuch erpresst, einen Eid abzulegen, in dem sie Euch Treue schwören mussten. Ebenso ist es etlichen Besuchern Eurer Feiern ergangen, bei denen nicht nur musiziert und getanzt wurde. Wie von Zeugen beschworen wurde, ist während dieser Feiern auch der Unzucht nachgegangen worden und zwar mit Prostituierten beiderlei Geschlechts.“

Kutari war sich noch nicht ganz im Klaren darüber, welche Rolle der Prinz bei dieser Sache spielte, doch sein Gesicht und seine ganze Körperhaltung sprachen für ihn. Das Erstaunen war Entsetzen gewichen, als ihm klar wurde, was die Anschuldigungen gerade eben bedeuteten.

„Nein! Das ist unmöglich. Das würde ich wissen, das hätte man mir ge…“

Seine Stimme wurde leiser und er schüttelte den Kopf.

„Nein. Das würde sie mir nicht antun oder?“

Kutari wartete geduldig. Nichts sagen, warten, bis das Opfer redet.

„Meine… meine Mutter. Die königliche Gemahlin. Sie hat schon vor über einem Jahr auf eine Heirat gedrängt. Eine hethitische Prinzessin sollte es sein, um die Beziehungen zwischen den Ländern zu verbessern. Dann hat sie laufend irgendwelche Leute aus der hethitischen Gesandtschaft empfangen. Seit dieser Zeit wurden immer mehr Feste bei uns veranstaltet. Fürst Wawerhet hat den Haushalt fast verdoppelt und mich am laufenden Band zu allen möglichen wichtigen und unwichtigen Würdenträgern verschleppt.“

Kutari überlegte, was diese Aussagen wohl bedeuteten - wenn sie denn wahr wären - als Hori mit einer kleinen Schriftrolle näher trat und sich förmlich verbeugte.

„Ein Schreiben aus dem Großen Haus, mein Fürst.“

Überrascht nahm Kutari die Schriftrolle entgegen und prüfte das Siegel. Es war das persönliche Siegel des Pharao. Kutari zögerte ein wenig. Was, wenn der Herrscher ihm befahl, die Ermittlungen einzustellen? Doch dann siegte seine professionelle Einstellung. Egal, was es war, er würde damit klar kommen müssen. Kutari erbrach das Siegel und starrte auf den Papyrus, auf dem nur wenige Zeichen waren.

Tu, was du musst.‘

Erleichtert rollte Kutari das Schriftstück zusammen und reichte es wieder Hori. Als dieser dabei näher an eine der Fackeln herantrat, stieß Prinz Netermest einen leisen Ruf aus.

„Hori?“

Hori drehte sich um und musterte den Prinzen mit ausdruckslosem Gesicht.

„Ja, Hoheit?“

Netermest schien erst erfreut gewesen zu sein, doch dann wurde sein Gesicht sehr rasch ebenso ausdruckslos wie das von Hori.

Kutari sah von einem zum anderen und zog dann Hori eilig außer Hörweite des Prinzen.

„Woher kennt ihr euch?“, zischte Kutari leise.

Hori hatte sehr wohl den ärgerlichen Unterton in Kutaris Stimme bemerkt.

„Wir waren zusammen in der Schreiberschule des Großen Hauses, Herr. Kurz nachdem wir unsere Kinderlocken verloren hatten, hat ihn seine Mutter zurück in ihren Palast geholt. Sie wollte ihn wohl damals mit irgendeiner Tochter der Großen Königlichen Gemahlin verheiraten, aber das ist wohl am Widerstand der Hatschepsut-Meritre gescheitert. Außerdem hätte das wohl sowieso nicht viel Erfolg gehabt.“

Kutari sah fragend auf Hori herab, während der nun Kutari provozierend anblickte.

„Netermest war meine erste große Liebe. Und ich seine.“

Aufstöhnend schloss Kutari die Augen. In seinem Geist sah er plötzlich den Kopf einer großen, schwarzen Katze, die ihn spöttisch anzugrinsen schien. Kutari riss die Augen wieder auf und sah sich panikartig um, doch alles war ruhig.

„Und was hat diese erste große Liebe so schlagartig beendet?“

Hori lief wieder einmal rot an und sah zu Boden. Dann hob er den Kopf und sah Kutari mit funkelnden grünen Augen an.

„Ich hab ihn erwischt mit einem anderen. Ende, aus, vorbei.“

Hori sah etwas verloren hinüber zu dem Prinzen. Es war mindestens vier Jahre her und doch erinnerte er sich noch gut daran. Er hatte damals seine Gefühle nicht einen Moment in Frage gestellt, also warum jetzt? Hatte diese Sache mit den Männern seine Gefühle verändert? Nein, er war Sekani freudig gefolgt. Diese Freude und auch ein wenig Zuneigung spürte er jedes Mal, wenn er mit jemandem zusammen war, den er mochte. Errötend musste er zugeben, dass es bei ihm sogar eine Reaktion hervorgerufen hatte, als sein Herr ihm lediglich auf die Stirn geküsst hatte. Hori erschauerte. Wohin würden ihn diese Gefühle führen?

Kutari sah, wie Horis Gesicht verschiedene Gefühle durchliefen und er wunderte sich ein wenig. Er enthielt sich aber jeglichen weiteren Kommentars und ging zurück zu Prinz Netermest, der den beiden aus der Entfernung neugierig zugesehen hatte.

„Ich nehme an, ihr habt ihn nach der Vergangenheit befragt.“

„So ist es, Hoheit. Ist irgendetwas davon wichtig für meine aktuellen Ermittlungen?“

Netermest überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

„Nur meine Mutter weiß es. Das ist der Grund, warum sie mich so schnell wie möglich verheiratet haben möchte. Sie hat ja die ganze Zeit versucht, den göttlichen Herrscher davon zu überzeugen, dass auch ich ein möglicher Kandidat als Thronfolger sein könnte. Nach Amenhoteps Einsetzung zum Mitregenten ist sie fast durchgedreht. All ihre kleinen Intrigen, Bestechungen, Beeinflussungen und Gerüchte haben nichts geholfen. Dabei habe ich ihr schon vor etlichen Jahren gesagt, dass ich mich nicht berufen fühle, dem göttliche Herrscher nachzufolgen.“

„Das hast du ihr gesagt?!“

Sowohl Kutari als auch der Prinz bemerkten Kutaris Fehler im Protokoll, doch der Prinz grinste Kutari nur an.

„Ja, habe ich. Sie war nicht wirklich begeistert. Ich wurde für eine Zeitlang im Palast eingesperrt und konnte mir Ermahnungen über die Pflichten eines guten Sohnes anhören.“

Kutari überdachte kurz, was er von dem Prinzen gehört hatte. Er musste weitere Steinchen sammeln, um das ganze Bild erkennen zu können.


Die nächste auf Kutaris Liste war die Königliche Gemahlin Tuaitthesit. Sie war in ihren Gemächern festgesetzt worden und wurde von der Palastwache des Großen Hauses bewacht. Als Kutari den Raum betrat, fuhr sie von ihrer Liege hoch, wurde aber von den Wachen festgehalten.

„Was erlaubst du dir. Wie kannst du es wagen, mich hier in meinen eigenen Gemächern festzusetzen. Ich werde dafür sorgen, dass der göttliche Pharao selbst davon erfährt.“

„Mein Name ist Kutari. Ich bin der Aufseher der Fragen des Pharao und mit einer Ermittlung betraut.“

„Das ist mir völlig egal! Ich bin eine Königliche Gemahlin und stehe unter dem Schutz des göttlichen Pharao höchstselbst.“

Kutari betrachtete die aufgebrachte Frau vor ihm. Sie war, wie alle anderen des Haushalts, aus dem Schlaf gerissen worden und hatte keine Zeit gehabt, sich zu schminken. Im Licht der Fackeln sah ihr Gesicht tatsächlich so alt aus, wie die dreißig Jahre, auf die er sie schätzte. Die strahlende Jugend, mit der sie den Herrscher betört hatte, war längst vorüber. Auch war die Gestalt, die unter dem leichten Leinenkleid erkennbar war, nicht mehr so schlank und biegsam wie zuvor. Ihr Gesicht zeigte eine etwas längliche Form, nicht das Rund der Frauen von Khemet und ihre Augen schienen ein wenig schräg zu stehen. Ihre langen, schwarzen Haare hingen lose über die Schultern, teilweise vor dem Gesicht herab und mit wütenden Gesten versuchte sie, einige der Strähnen zu bändigen.

Kutari zog wortlos das Schreiben des Herrschers hervor und legte es vor ihr auf einen kleinen Tisch. Misstrauisch betrachtete sie den Papyrus, nahm ihn dann aber auf, prüfte das Siegel und las den kurzen Text. Sie erbleichte sichtlich.

„Nun, dann können wir zu den Fragen kommen, die ich an Euch habe, Hoheit.“

Langsam und nachdenklich ließ sich Tuaitthesit wieder auf ihrer Liege nieder, während Kutari sich unaufgefordert auf einen Hocker ihr gegenüber setzte und die kleine Rolle wieder an sich nahm.

„Im Namen Eures Sohnes, Prinz Netermest, ist im Hafenviertel ein Haus angemietet worden, in dem ein Bordell betrieben wurde. Ein Haus mit Jungen, wohlgemerkt. Die Kunden dort wurden nach dem Besuch erpresst, einen Eid abzulegen, in dem sie Eurem Sohn die Treue schwören mussten. Ebenso ist es einigen Besuchern bei Euren Feiern ergangen. Wie von Zeugen beschworen wurde, ist während dieser Feiern auch der Unzucht nachgegangen worden und zwar mit Prostituierten beiderlei Geschlechts. Solcherlei Begebenheiten sind nicht gerade unauffällig, besonders, weil sie nicht nur einmal stattgefunden haben. Was habt Ihr dazu zu sagen?“

Tuaitthesit fuhr wieder von ihrer Liege hoch.

„Ich weiß von gar nichts! Das muss alles das Werk von Wawerhet gewesen sein. Als Verwalter ist das alles seine Aufgabe.“

Kutari musste innerlich lächeln. Er hatte mit einer solchen Aussage gerechnet.

„Fürst Wawerhet wird ebenfalls noch befragt werden. Doch ich wollte Euch zunächst zu etwas anderem befragen. Ihr habt in den letzten Jahren versucht, Euren Sohn dem göttlichen Pharao näher zu bringen. Doch als Prinz Amenhotep zum Mitregenten eingesetzt wurde, waren Eure Bemühungen, gelinde gesagt, vergeblich.“

„Was soll das? Was hat Netermest damit zu tun? Mein Sohn ist ein Sohn des göttlichen Pharao, genauso gut wie jeder andere seiner Söhne.“

„Nur wird er nicht die Linie fortsetzen, wenn es nach ihm geht.“

Spöttisch lachte sie auf.

„Das hat er dir gesagt? So ein Unsinn. Natürlich wird er Frau und Kinder haben, denn ich habe es ihm befohlen. Alles andere sind nur wirre Ideen aus einer Zeit, wenn die Kinderlocke fällt.“

„Ihr habt versucht, ihn mit einer Prinzessin aus dem Reich der Hethiter zu verheiraten.“

„Warum auch nicht. Das Reich der Hethiter ist mächtig und unser Herrscher sieht es gerne, wenn die Beziehungen durch Heiraten gefestigt werden. Prinzen und Prinzessinnen sind schon einige in beide Richtungen verheiratet worden. Meine Mutter kam ebenfalls aus Hatti.“

Kutari beschloss, diesem Hinweis später weiter nachzugehen.

„Dann kommen wir jetzt zu den Feiern hier im Haus. Als Herrin des Hauses habt Ihr daran teilgenommen. Ihr wart der Gastgeber. Eure Gäste sind hier im Haus bedroht, bestochen, genötigt worden. Es wurden Handlungen der erniedrigendsten Art durchgeführt. Nicht nur an Sklaven sondern an freien Bürgern Khemets, die dazu sogar gezwungen wurden.“

Langsam dämmerte es Tuaitthesit, was da auf sie zukam. Die Gäste dieser Feiern waren angesehene Bürger, Mitglieder des Adels, ja sogar Angehörige des Großen Hauses gewesen. Sollten sie tatsächlich beschwören, dass in ihrem Haus solche Dinge vorgekommen waren, würde ihr auch die Gunst des göttlichen Pharao nicht mehr helfen.

„Wawerhet. Als Verwalter hat er alle Feste und Feiern veranstaltet. Er hat die Einladungen verschickt und auch für die Unterhaltung gesorgt. Das ist ja schließlich seine Aufgabe. Und wenn du es genau wissen willst, er hat auch die Verhandlungen mit den Hethitern geführt wegen der Hochzeit.“

Kutari seufzte ergeben. Es war wie immer. Den Letzten bekamen die Schakale.


Dieser Letzte wohnte in einem eigenen kleinen Seitenflügel des Hauses. Vor dem Eingang standen zwei Mann der Palastwache, doch als Kutari die Räume des Verwalters betrat, war es merkwürdig still. Schnell durchquerte er einen kleinen Vorraum. Im nächsten Raum, anscheinend einem Arbeitszimmer, lagen zwei leblose Körper auf dem Boden. Amani eilte an Kutari vorbei und drehte erst einen um, dann den anderen.

„Es sind die Wachen aus dem Großen Haus. Beide erstochen.“

Grimmig nickte Kutari. Wawerhet hatte sich also entschlossen, sein Heil in der Flucht zu suchen.

„Hori, Hamadi, Shaketo! Ich will, dass jede kleine Ecke hier durchsucht wird. Stellt alles auf den Kopf. Ich brauche einen Hinweis, wohin er verschwunden sein könnte. Remini und Neferhotep sollen euch helfen.“

Die drei Schreiber entzündeten zunächst mehrere Fackeln und Öllampen, so dass der Raum einigermaßen erleuchtet war. Die beiden neuesten Mitglieder der Truppe sahen sich etwas unsicher an, doch dann begannen sie, dem Beispiel der Schreiber zu folgen und sie fingen an, alles Interessante zusammenzusuchen, was ihnen in die Finger fiel.

Zunächst sichteten die Schreiber die offen herumliegenden Schriftstücke, doch ohne Erfolg. Shaketo hatte eine kleine Rolle in einer Vase entdeckt und studierte sie verwirrt.

„Das kann ich nicht lesen, Herr.“

Kutari kam herbei und warf einen Blick auf den Inhalt der Rolle. Keilschrift, aber nicht babylonisch. Ausgerechnet jetzt war Rahotep nicht da.

Remini war dabei, eine kleine Truhe auszuräumen, als er stutzte. Er besah sich die Truhe von außen, dann noch einmal von innen.

„Hast du mal ein Messer oder etwas ähnliches?“

Neferhotep reichte ihm seinen Dolch. Remini versuchte nun vorsichtig, mit der Dolchspitze zwischen Boden und Seitenwand der Truhe zu kommen. Mit einem leisen Schnappen klappte der Boden ein wenig hoch und Remini nahm ihn ganz heraus.

Kutari war aufmerksam geworden und näherte sich, ebenso wie Hamadi.

„Du bist der Tischler, nicht wahr?“

Remini nickte.

„Ja, Herr, ich bin Möbeltischler. Dies ist ein einfaches Versteck. Ein doppelter Boden. Wenn man aufmerksam ist, fällt der Unterschied der Seiten ziemlich schnell auf.“

Kutari nickte freundlich und warf einen Blick in die Truhe, während Hamadi neben ihm leise pfiff.

Kutari holte sechs kleine glänzende Ringe aus der Truhe, dann ein leinenes Säckchen und danach ein Bündel mit Papieren. Die Ringe deponierte er auf dem Schreibtisch, ebenso das Säckchen.

„Hamadi, es wird alles dokumentiert. Die Truhe mit dem doppelten Boden ebenso wie deren Inhalt. Also, wir haben hier sechs Deben reinen Goldes…

Dann schüttete Kutari den Inhalt des Säckchens vorsichtig auf den Tisch.

„… ein Säckchen mit Edelsteinen.“

Kutari unterbrach sich und schob etwas unsicher ein paar Steine auf dem Tisch hin und her.

„Verzeihung, Herr. Darf ich? Eigentlich ist ja Djehuti der Juwelier, aber ich denke, ich kann sie auch unterscheiden.“

Neferhotep hatte sich mit schüchtern gesenktem Kopf Kutari genähert und der seufzte etwas genervt auf, hatte aber nun keine Lust, seine Ansichten über die Gesprächsführung erneut zum Besten zu geben. Er hob lediglich mit einer Hand Neferhoteps Kopf an und sah ihm in die Augen. Zu seinem Erstaunen bemerkte er blaue Augen, nicht so strahlend hellblau wie seine, doch sie waren definitiv blau.

„Dann sieh zu, was du tun kannst.“

Neferhotep schob nun ebenfalls die Steine hin und her, doch am Ende hatte er fünf kleine Häufchen gebildet.

„Es sind zwei große Stücke Malachit, vier Lapislazuli, zwei Amethyste, fünf Karneole und ein großer, roter Granat.“

Hamadi hatte mitgeschrieben und nickte Neferhotep zu, was diesen leicht erröten und wieder zu Boden blicken ließ. Hamadi wundert sich ein wenig, doch es galt jetzt weiter nach Hinweisen zu suchen.

An der Tür gab es eine lautstarke Diskussion, als die Palastwachen jemanden am Eintreten hindern wollten. Kutari sah von weitem die schlanke Gestalt von Prinz Netermest. Er winkte den Wachen, den Prinzen passieren zu lassen.

„Was führt Euch her, Hoheit?“

Der Prinz sah sich nachdenklich um.

„Ich wollte eigentlich wissen, was Fürst Wawerhet zu sagen hat, aber anscheinend ist er nicht mehr da.“

„Warum interessiert es Euch, was der Fürst zu sagen hat?“

„Warum? Ich komme gerade von meiner Mutter. Sie hat ja wohl mal wieder die Unwissende gespielt. Ich nehme an, sie hat alle Schuld auf Wawerhet geschoben. Ja, natürlich hat er als Verwalter alle Feste veranstaltet. Natürlich hat er die Einladungen verschickt. Aber alles genau nach Absprache mit meiner Mutter. Und die Verhandlungen mit den Hethitern wegen der Hochzeit? Wer kann denn hethitisch? Ich nicht und Wawerhet auch nicht. Jetzt, wo es eng wird für sie, schiebt sie alles auf ihn. Jetzt hat sie ihn einfach den Schakalen zum Fraß vorgeworfen, obwohl er die letzten Jahren anscheinend sehr gut ihr Bett gewärmt hat.“

Die Arbeiten im Raum waren zum Erliegen gekommen. Alle starrten den Prinzen an, der sich dermaßen in Wut geredet hatte, dass ihm die Tränen herunterliefen. Er stand mitten im Raum, total verkrampft und mit geballten Fäusten.

„Netermest?“

Leise, fast zärtlich klang der Name des Prinzen wie eine Frage durch den Raum.

Hori kam langsam näher und zögern hob er eine Hand zum Gesicht des Prinzen.

„Ach, Hori,“ schluchzte der und umarmte Hori plötzlich, „wusstest du, dass sie alles geplant hatte? Sie hatte diesen Idioten Neferti hinter mir her geschickt, damit er mich genau in dem Moment küssen sollte, in dem du auftauchst. Ich habe nicht ihn geküsst, sondern er mich. Aber ich wurde dann ja sofort mit Hausarrest bedacht und konnte dir nichts mehr erklären.“

Hori erstarrte und sah Netermest mit großen Augen an, in den sich nun auch die ersten Tränen zu sammeln begannen. Kutari unterbrach die beiden ungerne.

„Ich mag ja herzlos erscheinen, aber wir haben noch zu arbeiten.“

Der Prinz trennte sich von Hori und wischte sich die Augen. Dann grinste er schüchtern.

„Ich glaube, ich weiß, wo er ist.“

Ein zweites Mal war der Prinz das Zentrum der Aufmerksamkeit.

„Er hat eine eigene Barke. Eigentlich ein schnelles Kurierschiff, das zwischen unserem Haus und dem Anwesen des Fürsten hin- und her fährt. Es liegt unten im Hafen des Großen Hauses. Weil es ein Kurierschiff ist, schlafen die Matrosen an Bord, damit sie jederzeit einsatzbereit sind.“

Kutari starrte den Prinzen einen kurzen Augenblick geistesabwesend an, dann erfolgten seine Befehle.

„Hamadi. Ab nach unten zum Hafen. Ich muss wissen, ob das Schiff noch da ist. Wenn nicht, beschlagnahme das schnellste Boot des göttlichen Pharao. Ich komme auf jeden Fall dort hin.“

Hamadi starrte Kutari entsetzt an. Doch der reichte Hamadi nur die Rolle mit dem kurzen Befehl des Pharao. Hamadi las sie und wurde blass. Dann verbeugte er sich kurz und verschwand mit schnellen Schritten.

„Shaketo! Du läufst zum Haus der Wahrheit. Ich brauche die beiden besten Bogenschützen. Sie sollen zum Hafen kommen.“

„Ähem…“

Thotseneb schien etwas sagen zu wollen, aber Amani stieß ihn in die Seite.

„Thotseneb, was gibt es? Ihr dürft genauso etwas sagen, wie alle anderen.“

„Die besten Bogenschützen sind Kagemni und Rehema, Herr. Außer uns beiden.“

Thotseneb blickte verlegen zu Boden.

Kutari lachte. Dann dachte er kurz nach.

„Rehema mit seiner Verletzung geht nicht.“

„Dann Nayakepu, Herr.“

„Also Shaketo. Du holst Kagemni und Nayakepu und bringst sie zum Hafen.“

Als nächste waren Remini und Neferhotep an der Reihe.

„Ihr beide bringt den Fund aus der Truhe zu Leutnant Rahotep. Es soll hauptsächlich die ganzen Schriftstücke durchsehen, ob da was Brauchbares dabei ist.“

Zufrieden sah Kutari den davoneilenden Jungen hinterher. Dann blieb sein Blick auf Hori und Prinz Netermest hängen.

„Warum hast du es uns gesagt?“

Der Prinz lächelte. Da war es wieder. Das Gefühl von Nähe und Vertrauen. Einfach nur in eine persönliche Anrede gekleidet.

„Sie haben mein Leben bestimmt. Alle beide. Sie haben mich benutzt, um ihre Ziele zu erreichen, was immer die auch waren. Nun ist Schluss Ab jetzt bestimme ich selbst über mein Leben. Ich werde mich dem Richterspruch des göttlichen Pharao beugen, was immer er auch beinhaltet.“

Dann sah er zu Hori.

„Ich nehme an, du hast inzwischen jemand anderen.“

Hori wurde selbst bei der schlechten Beleuchtung sichtbar rot. Dann senkt er den Kopf.

„Schade. Aber ich darf mich nicht beschweren. Ich nehme, was die Götter mir bieten.“

„Genug der Klage. Wenn Ihr wollt, dürft Ihr uns zum Hafen begleiten, Hoheit.“


Unten am Hafen war inzwischen hektisches Treiben ausgebrochen. Befehle wurden gerufen und Matrosen hin- und her gescheucht. Inmitten des Trubels stand der Aufseher der Barken des Pharao wie ein Fels in der Brandung. Neben ihm zappelte unruhig Hamadi, der langsam realisierte, dass er dieses ganze Chaos ausgelöst hatte.

„Dies ist eine der Kurierbarken des göttlichen Pharao. Es sind die schnellsten Schiffe auf dem Fluss, doch es ist dunkel. Wie wollt ihr euch denn orientieren? Wenn es irgend möglich ist, hätte ich sie gerne unbeschädigt zurück.“

Der Mann wurde in seiner schier endlosen Lobrede auf die Barken des Pharao unterbrochen, als Shaketo völlig außer Atem auf das Pier gelaufen kam, dicht gefolgt von Kagemni und Nayakepu.

„Wo ist der Herr?“

„Keine Ahnung. Ich sollte nur die besten Bogenschützen holen.“

Nun trat auch der Schiffsführer der Kurierbarke zu der kleinen Gruppe. Es war ein älterer Mann mit einem von Pockennarben bedeckten Gesicht.

„Wir sind bereit, wann geht es los? Und wohin sollen wir?“

Hamadi zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht genau. Wir sollen jedenfalls ein anderes Schiff verfolgen, dass vor kurzem hier abgelegt hat.“

Der Aufseher schüttelte entschlossen den Kopf.

„Hier hat vor kurzem nichts und niemand abgelegt. Ich kenne jedes Schiff hier und weiß genau…“

Die ausschweifenden Beschreibungen jedes Schiffes im Hafen wurden durch die Ankunft von Kutari unterbrochen. Erstaunt bemerkte Hamadi, dass auch Prinz Netermest zu dieser kleinen Gruppe gehörte.

„Ich bin Kutari, Aufseher der Fragen des Pharao und unterwegs auf direkten Befehl des Göttlichen. Wer ist der Schiffsführer?“

Der Kapitän musterte Kutari kurz, dann verbeugte er sich.

„Sobekhotep, Herr. Schiffsführer der schnellsten Barke auf dem Nil.“

„Können wir alle mit an Bord nehmen?“

„Sicher, Herr. Wir sind zwar nur ein Kurierschiff, aber die Begleitung von so manchem hohen Herrn ist zahlreicher als die Eure.“

„Dann los. Wir müssen zum Anlegeplatz der Fischer und wenn er bereits weg ist, müssen wir ihn verfolgen. Sein Ziel liegt…“

Fragend sah sich Kutari zu Prinz Netermest um.

„Etwa eine Tagesreise flussabwärts.“

„Eine Tagesreise? Da ist nicht viel.“

„Das Anwesen von Fürst Wawerhet.“

„Oh, das kenne ich. Das ist nicht schwer zu finden. Aber jetzt bei Nacht ist es gefährlich mit den ganzen Untiefen. Wir werden vorsichtig fahren müssen und langsam sein.“

„Egal. Wir brechen sofort auf.“


Der Liegeplatz bei den Fischerbooten war leer und Hori wurde zusammen mit Kagemni auf Erkundung geschickt. Ein deutlich angeheiterter Nachtschwärmer erzählte den beiden, dass ein schickes, schlankes Schiff erst vor wenigen Augenblicken abgelegt hatte und ziemlich schnell verschwunden war.

Kutari packte das Jagdfieber.

„Einen Deben Kupfer für jeden eurer Ruderer und einen Deben Silber für Euch, wenn wir das Schiff bis Sonnenaufgang eingeholt haben.“

Der Schiffsführer sah Kutari erschrocken an.

„Herr, wir haben vierzig Ruderer.“

„Das ist egal. Es gilt, was ich gesagt habe.“

Der Schiffsführer starrte in den Nachthimmel. Es waren nur noch wenige Tage bis Vollmond und es gab fast keine Wolken. Entschlossen steuerte er die Flussmitte an und ließ zusätzlich zu der starken Strömung die Ruderer arbeiten.

Im Licht der Dämmerung zeigte sich dann der Erfolg. Vor ihnen, ebenfalls in der Mitte des Flusses, glitt eilig ein kleines Schiff dahin.

„Da! Das müssen sie sein. Niemand anderes würde es wagen, so schnell im Dunkel der Nacht zu fahren.“

Kutari nickte.

„Die Bogenschützen klar machen. Ich will mit den Leuten nachher noch reden. Also wenn es geht, keine tödlichen Schüsse.“

Die vier Bogenschützen sahen sich an. Auf einem schwankenden Schiff war das Zielen ohnehin schon schwer genug, aber sie würden den Befehlen ihres Herrn so gut wie möglich folgen.

Als sie etwa auf Rufweite an das andere Schiff herangekommen waren, bemerkte Kutari Bewegungen dort an Deck. Kurz darauf schlugen zwei Pfeile in das Holz der niedrigen Reling.

„Sie schießen auf uns. Amani, bekämpft die feindlichen Bogenschützen.“

Amani sprach sich kurz mit den anderen drei ab und dann flogen vier Pfeile hinüber. Zwei laute Schreie kündeten von einem Erfolg.

„Wenn ihr das Schiff anhalten wollt, müsst ihr den Steuermann ausschalten“, kam der Kommentar ihres Schiffsführers aus seiner spärlichen Deckung.

Kutaris Aufmerksamkeit wurde auf den Mann ganz am Heck gelenkt. Er stand an der Steuerbordseite und bediente das lange Ruder für die Kursänderungen.

„Ihr habt den Mann gehört.“

Amani nickte und kurze Zeit später stürzte der Steuermann mit einem Aufschrei ins Wasser. Das Schiff wurde durch die Riemen der Ruderer weiter vorangetrieben und durch den gleichmäßigen Druck auf beiden Seiten auf Kurs gehalten. Eine kleine Ungleichmäßigkeit führte jedoch dann dazu, dass sich der Kurs erst leicht, dann stärker nach Steuerbord änderte. Durch den Schwung getrieben hielt das Schiff nun auf das rechte Ufer zu.

„Wenn sie das Ufer erreichen, verlieren wir ihn. Da gibt es unzählige Verstecke und so lange es nicht richtig hell ist, sehen wir nichts.“

Amani brummte etwas Unverständliches, dann sah er Kutari an.

„Keine Sorge, Herr. Er entkommt uns nicht.“

Die fremde Barke wurde ruckartig abgebremst und drehte sich durch die Strömung mit dem Bug flussaufwärts. Sie musste wohl auf eine der zahlreichen Untiefen in Ufernähe gelaufen sein. Kutari konnte im Licht der Dämmerung einen Mann erkennen, der ins Wasser sprang und auf das Ufer zuhielt.

„Er versucht ans Ufer zu kommen! Wie weit können wir folgen?“

Der Schiffsführer schüttelte den Kopf.

„Nur bis dahin, wo die andere Barke liegt, Herr. Das Wasser ist sonst zu flach und wir laufen ebenfalls auf.“

„Dann los!“

Das Kurierschiff drehte nach Steuerbord und hielt auf die Barke des Fürsten zu. Dicht davor wurde sie von den Ruderern abgebremst und Kutari hörte nur noch, wie Amani und Kagemni von Bord sprangen. Als er ihnen hinterher sah, hörte er zwei weitere Körper in den Fluss tauchen. Er konnte nicht genau erkennen, wer es war, darum drehte er sich zu seinen restlichen Leuten um. Hamadi sah ebenfalls erstaunt ins Wasser, genau wie Thotseneb und Nayakepu.

Kutari fluchte ausgiebig, was ihm einen anerkennenden Blick des Schiffsführers einbrachte. Er würde mit Hori und Netermest noch ein Wörtchen zu reden haben. Die Strömung brachte die vier Schwimmer schnell in die Nähe des Ufers. Für Kutari verschwanden sie nach kurzer Zeit im dichten Schilf der Uferböschung.

Als sich der Wagen des Herren Re aus der Unterwelt erhob wurde das ganze östliche Ufer in ein unwirkliches Gelb und Rot getaucht. Kutari hätte beinahe wieder geflucht, denn nun war dort fast überhaupt nichts mehr zu erkennen.


Amani hatte das Ufer als erster erreicht und ging suchend in Richtung Norden. Die anderen drei warteten, bis er ihnen winkte. Sie hatten alle vor dem Sprung in das Wasser ihre Leinenschurze abgelegt und nun, nur mit einem Lendentuch bekleidet, war es etwas kalt in der Morgendämmerung. Kurz entschlossen legten alle vier nun auch ihre Lendentücher ab. Am Flussufer waren nackte Arbeiter keine Seltenheit, besonders bei den Fischern oder den Schilfschneidern. Besser unbekleidet, als mit einem klammen, kalten Lendentuch.

„Er ist hier entlang. Er muss am Ufer laufen. Im Wasser steht das Schilf zu dicht.“

Wortlos folgten die drei Jungen Amani, der in einen leichten Trab gefallen war. Die Bewegung verschaffte ihnen etwas Wärme. Gleichzeitig suchten sie das Ufer nach Spuren ab. Amani sah sich nach Hori und dem Prinzen um, aber beide waren weder beim Schwimmen, noch beim Laufen zurückgeblieben. Amani wunderte sich ein wenig, wie gut Hori als Schreiber in Form war, bei dem Prinzen stand das weniger in Frage. Die meisten der adligen Söhne betrieben irgendeine Art von körperlicher Betätigung, damit sie nicht ganz so schlecht aussahen, wenn der Herrscher sie zu den Waffen rufen sollte. Der hier sah auf jeden Fall so aus, als ob er ziemlich oft irgendwelche Lauf- oder Waffenübungen machte.

Plötzlich wurde Amani langsamer und hob eine Hand. Wortlos deutete er auf eine Gruppe kleiner Büsche, die in der Nähe von mehreren großen Bündeln geschnittenen Schilfes standen.

Amani zückte seinen Dolch, ebenso wie Kagemni und der Prinz. Sie trugen ihre Dolche in einer ledernen Scheide, die an einem ebenfalls ledernen Armschoner am linken Unterarm angebracht war. Das war besonders bei Bogenschützen oft anzutreffen, für den Fall, dass sie in einen Nahkampf geraten sollten. Hori wurde sich plötzlich bewusst, dass er seinen Dolch zusammen mit seiner anderen Ausrüstung an Bord zurückgelassen hatte.

In den Büschen raschelte es und ein halbnackter Mann sprang hervor. Er hatte ebenso wie die Jungen seinen Leinenschurz zurückgelassen um besser schwimmen zu können. In seiner rechten Hand hielt er einen gefährlich aussehenden Dolch.

„Gib auf, Wawerhet. Sie werden dich finden, egal wohin du gehst.“

Der Mann zuckte zu Prinz Netermest herum.

„Du kleine, wertlose Ratte. Ich hätte dich schon längst beseitigen sollen, aber sie war ja der Meinung, du wärst noch zu etwas nütze. Du hättest sicherlich einen guten Bettgefährten für diesen Idioten von Gesandten abgegeben. Alles wäre glatt gelaufen, wenn der fette Eunuch nicht gierig geworden wäre.“

Netermest erstarrte und der Fürst nutzte die Ablenkung, um sich auf ihn zu zustürzen. Der junge Mann war weitaus geschickter, als der ältere es gedacht hatte. Mit einer schnellen Drehung war er außer Reichweite seines Angreifers. Stolpernd fuhr der Fürst herum und fixierte noch einmal Prinz Netermest. Die Begleiter seines Zieles schien er vollkommen ausgeblendet zu haben. Er hatte schon den Dolch erhoben und wollte sich ein weiteres Mal auf Netermest stürzen, als eine dunkle Gestalt förmlich auf ihn zusprang, sich vor ihm abrollte und dort halb hockend liegen blieb. Durch seinen eigenen Schwung getrieben fiel Fürst Wawerhet nach vorne und bevor er sein Gleichgewicht wiedererlangen konnte, spürte er einen Schlag im Rücken, der ihn endgültig über den vor ihm liegenden Kagemni stürzen ließ. Kaum lag er auf dem Boden, spürte er einen weiteren Schmerz in seiner rechten Hand.

Amani hatte ihm sein Messer durch den Handrücken getrieben und ihn so dazu gebracht, seinen Dolch loszulassen. Kagemni fuhr nun herum und bedachte den Mann, der hektisch versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, mit einem kurzen harten Schlag zwischen die Schulterblätter.

Rehema hatte ihnen vor dem nächtlichen Einsatz ein paar Schläge beigebracht, die nicht tödlich waren, aber einen Mann für einige Zeit außer Gefecht setzen konnten.

Fürst Wawerhet ging wieder stöhnend zu Boden und Amani sah sich hektisch nach etwas um, das man zum Fesseln benutzen konnte, bis sein Blick auf die geschnürten Bündel Schilf fielen.

Innerhalb kürzester Zeit war der Fürst verschnürt und notdürftig mit einem Verband versehen.

„Kagemni, schaffst du es bis raus zum Schiff?“

Kagemni sah zum Fluss und nickte. Er würde wohl erst etwas stromaufwärts gehen müssen, aber er sollte es wohl schaffen.


Knapp anderthalb Tage hatte eine drückende Ruhe über dem Großen Haus gelegen. Fast sämtliche höheren und hohen Würdenträger hatten sich zurückgezogen. Selbst die Sklaven und die Bediensteten der einzelnen Häuser schienen ungewöhnlich schweigsam. Lediglich im Palast des Pharao herrschte rege Betriebsamkeit. Der Aufseher der Fragen des Pharao streifte durch das Große Haus wie ein Leopard auf der Jagd.

Seine Schreiber, gut erkennbar an den türkisfarbenen Leinenschurzen, tauchten an völlig unerwarteten Stellen auf und stellten scheinbar endlose Fragen. Seine Wachen führten zahlreiche Personen hinüber in das Haus der beiden Wahrheiten.

Der göttliche Pharao höchstselbst hatte sich zurückgezogen und beantwortete in diesen anderthalb Tagen nicht eine Anfrage, Beschwerde oder Eingabe irgendeines seiner Untertanen.

Am Nachmittag des zweiten Tages saß Kutari, anscheinend völlig unbeteiligt, in einem der Gärten des Palastes und beobachtete sinnierend einige Enten auf dem Teich.

Hauptmann Imiuthetep trat leise vor ihn hin und räusperte sich.

„Wir haben jetzt wohl alle Aussagen, Herr. Hori ist bei den letzten Protokollen und Hamadi bei der Zusammenfassung.“

Kutari seufzte leise.

„Ich hätte niemals geglaubt, dass Menschen zu so etwas in der Lage sind. Entführen, vergewaltigen, morden, seine Kinder verkaufen. Und wofür? Für etwas, das noch mehr Leid und Elend über das Land gebracht hätte.“

Kutari erhob sich.

„Wir müssen mit den Unterlagen zum Wesir. Er ist der oberste Richter.“


Gefolgt von Hori und Hamadi betrat Kutari den Tempel der Göttin Maat. Schweigend wurden sie von einem Priester hinüber zu den Arbeitsräumen des Hohepriesters geführt. Der Wesir, als oberster Richter auch Hohepriester der Maat, sah ihnen mit ernstem Gesicht entgegen.

„Ihr habt ein wenig Aufregung in das Große Haus gebracht. Ich hoffe, es hat sich gelohnt, denn der göttliche Pharao ist mehrere Male um eine Audienz gebeten worden.“

Kutari fuhr erschreckt zusammen. Dann reichte er dem Wesir eine Schriftrolle.

„Dies sind unsere Ergebnisse, ehrwürdiger Tjati.“

Der Wesir nahm die Rolle entgegen und begann zu lesen. Schon nach kurzer Zeit sah er erstaunt auf. Dann ging er hinüber zu seinem Arbeitstisch und setzte sich dort. Mit einer kurzen Handbewegung wies er seine Besucher an, sich ebenfalls zu setzen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Wesir zu Ende gelesen hatte.

„Ich hoffe, ihr könnt das alles beweisen.“

„Jawohl, Herr. Die Aussagen wurden alle protokolliert und beeidigt. Wir haben jedes einzelne Protokoll hier.“

Hori brachte ein dickes Bündel von Papyrusblättern aus seiner Tasche hervor. Der Wesir beäugte es erstaunt, dann winkte er Hori zu sich.

„Leg alles hier hin. Ich werde es heute noch durchsehen.“

Dann wandte er wieder seine Aufmerksamkeit Kutari zu.

„Es sieht also so aus, als ob die Königliche Gemahlin Tuaitthesit alles versucht hat, um ihren Sohn Netermest dem göttlichen Pharao als Mitregenten anzudienen. Dazu soll sie sich das Wohlwollen etlicher hoher Würdenträger erkauft haben. Entweder durch Gold oder andere ‚Gefälligkeiten‘, wie etwa der Bereitstellung von jungen Männern oder Frauen. Andere Würdenträger wurden mit dem Wissen darüber erpresst, dass sie solche ‚Gefälligkeiten‘ angenommen hatten. Personen, die damit drohten, ihr Schweigen zu brechen, wurden von gemieteten Verbrechern eingeschüchtert oder beseitigt. Der ganze Plan soll angeblich von der Königlichen Gemahlin Tuaitthesit und ihrem Verwalter Fürst Wawerhet ausgedacht und von Mitgliedern der hethitischen Gesandtschaft und - man glaubt es kaum - einem meiner Schreiber durchgeführt worden sein.“

Der Wesir knallte mit der Hand auf den Tisch.

„Ich bitte dich, das gibt doch gar keinen Sinn.“

Kutari musste wider Willen leicht lächeln.

„Nein, Herr. So ergibt es keinen Sinn. Wir haben uns immer gefragt, welchen Vorteil die Hethiter hätten, wenn Prinz Netermest Mitregent werden würde. Es gibt keinen. Für eine solche Unternehmung hätte sich kein Hethiter einspannen lassen. Also kann das nicht der wahre Grund sein. Wie aus den Protokollen zu entnehmen ist, hat die Königliche Gemahlin Tuaitthesit sich das Wohlwollen, freiwillig oder gezwungen, etlicher Würdenträger gesichert. Einen direkten Gefallen hatte sie bisher allerdings noch nicht eingefordert. Das wäre wohl erst in einiger Zeit erfolgt.“

Der Wesir sah jetzt interessiert zu Kutari herüber.

„Wir reden hier über das Ableben des göttlichen Pharao.“

Hori und Hamadi schnappten hörbar nach Luft. Auch der Wesir straffte seine Gestalt.

„Davon zu sprechen ist schon fast Gotteslästerung.“

„Ich weiß, aber genau das ist der Grund, warum es fast funktioniert hat. In der hethitischen Gesandtschaft befanden sich einige Spione des hethitischen Königs, übrigens ohne Wissen des Gesandten. Diese haben hier eine Person gesucht, die genügend Verbindungen und Kontakte zu hohen Würdenträgern hatte. Diese Person arrangierte im Laufe mehrerer Jahre diese kleine Verschwörung.“

„Ich nehme nicht an, ihr redet von der Königlichen Gemahlin Tuaitthesit?“

Kutari schüttelte den Kopf.

„Nein. Die war mehr als verwundert, als Mitglieder der Gesandtschaft bei ihr vorsprachen und sie baten, als Gastgeberin bei verschiedenen gesellschaftlichen Veranstaltungen zu fungieren und dort den Gesandten in die Obere Gesellschaft von Khemet einzuführen. Sie schob das alles darauf, dass ihre Mutter aus Hatti stammte und dort wohl angeblich einen guten Ruf hatte. In Wirklichkeit wurden bei den Empfängen und Festen die Opfer ausgesucht. Fürst Wawerhet ist der Mittelsmann der Hethiter. Er hat die Königliche Gemahlin in dem Glauben gelassen, die Hethiter würden die Einsetzung von Prinz Netermest unterstützen, während er gleichzeitig einen anderen Plan verfolgte.“

Der Wesir kniff seine Augen zusammen.

„Beweise?“

Hori griff wieder in seine Umhängetasche und nahm nun ein deutlich dünneres Bündel heraus, das er ungefragt auf dem Tisch des Wesirs ablegte.

„Die Hethiter erwarten das Ableben des göttlichen Pharao. Sofort sollen die Gefallen eingefordert und die Erpressungen wirksam werden. Innerhalb des Landes und auch innerhalb des Großen Hauses soll der neue Herrscher jede Unterstützung verlieren. Dann soll Prinz Amenhotep durch falsche Information veranlasst werden, seine Armeen zu zersplittern, weil angeblich mehrere Gaufürsten im Süden rebellieren. Wenn die Armee aufgeteilt ist, wird eine hethitische Streitmacht über den Sinai einfallen. Dafür gibt es wohl schon jetzt zwei Gaue im Delta, die den Hethitern angeblich Unterstützung bieten würden. Es sollen wohl auch schon jetzt von Hatti bis ins Gebiet von Kanaan heimlich kleine Depots angelegt werden.“

Vollkommen erstaunt starrte der Wesir Kutari an. Dann sah er auf den kleinen Stapel Papyrus vor sich. Hektisch blätterte er darin und las überall kurze Abschnitte.

„Wie habt Ihr das so schnell herausgefunden? Hier sind auch Gesprächsprotokolle von hethitischen Offizieren dabei. Und mehrere Schriftstücke in Keilschrift.“

„Die hethitischen Soldaten sind nicht so schlau, wie sie glauben. Wenn man zwei oder drei zusammen einsperrt, fangen sie untereinander an zu reden. Ich habe jemanden, der diese Sprache spricht. Dann gibt es in einem Haus nur beschränkte Möglichkeiten, etwas zu verstecken. Auch hier haben meine Leute gute Arbeit geleistet, ebenso wie bei der Übertragung aus der Keilschrift.“

Der Wesir erhob sich abrupt und sah Kutari an.

„Du wirst mit deinen Leuten in deinem Stadthaus warten, bis weitere Nachricht eintrifft. Ich möchte nicht, dass hiervon irgendwo herumerzählt wird. Haben wir uns verstanden?“

„Ja, ehrwürdiger Tjati.“

Kutari und die beiden Schreiber verbeugten sich gleichzeitig.

Als Kutari am späten Nachmittag mit Hori und Hamadi vom Wesir zurückkehrte, hatten die meisten im Haus gerade erst ausgeschlafen. Kanefer hatte zusammen mit Hori fast ununterbrochen einen ganzen Tag lang die hethitischen Gefangenen belauscht. Remini, der Tischler, hatte in einem Schreibtisch der Gesandtschaft ein Geheimfach entdeckt und die Zwillinge hatten dort im Garten eine Truhe ausgegraben, die eine spärlich bewachsene Stelle im ansonsten dichten Gras hinterlassen hatte.

Kutari war mehr als zufrieden und hatte Teremun veranlasst, jedem Mitglied des Haushaltes und den Soldaten jeweils einen Deben Silber zu zahlen.

„Auch für die Mitglieder des Haushaltes, Herr?“

„Ja, natürlich. Wie sollen wir vernünftig arbeiten, wenn wir nicht anständig zu Essen und zu trinken bekommen? Auch sie haben zu unserem Erfolg beigetragen.“


Die Gerichtsverhandlung war sofort am folgenden Tag. Schon früh am Morgen saß Kutari mit den meisten Mitgliedern seines Haushaltes beim Frühstück.

Nun hatte Kutari auch Zeit, sich mit dem neuesten Zugang in seinem Haus zu beschäftigen. Neferahatj war im letzten freien Raum oben auf dem Dach untergebracht worden. Sekhet hatte sich um ihn gekümmert, während fast alle anderen unterwegs waren.

„Wie geht es ihn denn jetzt?“

Sekhet machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Rein körperlich geht es ihm inzwischen viel besser. Aber er liegt fast den ganzen Tag auf seiner Matte und denkt nach. Was würdet Ihr denken, wenn Euer Vater Euch vermieten würde. Ich meine, für die Arbeit, die der arme Junge machen musste.“

„Das hat ja nun ein Ende. Ich frage mich nur gerade, wie das Urteil für seinen Vater ausfallen wird. Wenn er zum Tode verurteilt wird, fallen sämtliche Besitztümer und alle Mitglieder des Haushaltes als Sklaven an das Große Haus.“

Sekhet hob seine Augenbrauen.

„Auch die Familienangehörigen?“

„Ja. Die gesamte Familie wird so formal ausgelöscht.“

„Das heißt, der Junge wird ebenfalls Sklave des Großen Hauses.“

„Ja, warum fragst… Oh, nein. Wir können nicht noch einen weiteren Diener gebrauchen. Wir werden direkt nach der Gerichtsverhandlung auf die Reise nach Norden gehen. Teremun hat schon alle Vorbereitungen getroffen und alles Nötige bereits an Bord bringen lassen.“

„Ich gebe nur zu bedenken, dass er als Sklave wahrscheinlich eine Menge zu erdulden haben wird, denn halb Khemet wird nach der Gerichtsverhandlung seine Geschichte kennen.“

Kutari seufzte schwer.

„Ich werde mich mit ihm unterhalten.“

Oben auf dem Dach hörte er leise Stimmen und als Kutari näher kam, erkannte er die Stimmen von Neferahatj und Hori.

„Warum hast du es ihm gesagt? Er wäre vielleicht nie auf die Idee gekommen…“

„Doch. Er hat verzweifelt versucht, ein wenig Reichtum zusammenzukratzen, damit er die Wünsche dieser blöden Gans erfüllen kann. Sie hat ihn ja so betört, dass er alles getan hätte. Er war ja schon drauf und dran, den Gasthof zu verkaufen, aber dann hätte er ja gar keine Einnahmen mehr gehabt.“

„Aber warum…?“

„Er hatte mich für die Tochter eines reichen Händlers vorgesehen. Sie hatten den Vertrag fast schon beglaubigt gehabt, da hab‘ ich bei einem der Treffen beiläufig erzählt, dass wohl auf keine Kinder zu hoffen sei. Außerdem, die Tochter war hässlich. Sie schielte und war schon siebzehn. Da kannst du sehen, wie verzweifelt ihr Vater war und wie viel er bereit war, für die Mitgift zu zahlen.“

Hori lachte leise.

„Trotzdem solltest du hier nicht liegen und grübeln. Die Götter haben für dich ein Schicksal ausgewählt. Stimme sie Gnädig und du wirst sehen, es wird alles nicht so schlimm.“

„Nicht so schlimm? Ich bin doch gezeichnet. Niemand wird mehr etwas mit mir zu tun haben wollen. Mein Schicksal wird es sein, fremden Männern zu Willen zu sein. Ich kann von Glück reden, wenn ich Sklave werden sollte.“

„Das ist doch Unsinn. Sklave zu sein ist Niemandes Glück. Frage den Herrn, ob er dir helfen kann. Er hat immer eine Idee, auf die niemand…“

Kutari räusperte sich und die beiden Jungen fuhren auseinander wie ertappte Sünder. Hori lief mal wieder rot an und blieb kniend auf dem Boden. Neferahatj folgte ihm sofort.

Kutari sah auf die beiden Jungen herab und schüttelte missbilligend den Kopf, was beide allerdings nicht sehen konnten.

„Hori, was habe ich euch beigebracht? Steht auf, alle beide.“

Sofort erhoben sich die Jungen, doch während Neferahatj seinen Blick zu Boden senkte, hob Hori seinen Kopf um Kutari in die Augen sehen zu können.

Kutari sah nun auf Neferahatj herab und versuchte den Jungen einzuschätzen. Aus dem Protokoll wusste er, dass der Junge sich gegen die Vergewaltigung gewehrt hatte, gerade eben hatte er erfahren, dass er sehr wohl einen männlichen Partner bevorzugte. Er wusste also ganz genau, was er wollte und auch, was er nicht wollte. Die Frage war, ob er genug Selbstbewusstsein besaß, um sich im Leben durchsetzen zu können.

„Nun, mein Schöner, was hast du denn gelernt?“

Kutari hatte mit voller Absicht nur die erste Silbe von Neferahatjs Namen benutzt und dann auch noch in einem etwas abfälligen, herabsetzenden Tonfall.

Der Kopf des Jungen ruckte hoch und er sah Kutari mit funkelnden Augen an.

„Mein Name ist Neferahatj, Herr!“

Hori schnappte hörbar nach Luft, während Kutari sich das Lachen verbeißen musste.

„So? Sollte vielleicht auch noch der zweite Teil deines Namens in dir stecken? Den ersten können wir sehen, den zweiten musst du uns beweisen.“

Diesmal kicherte Hori leise, während Neferahatj nun etwas unsicher zu Kutari aufsah.

„Ich bin kein Krieger, Herr. Ich habe im Gasthof meines Vaters gelernt. Ich kann Bier brauen, kenne mich mit Wein und Dattelschnaps aus.“

Etwas beschämt senkte Neferahatj seinen Kopf, doch Kutari streckte eine Hand aus und hob den Kopf am Kinn wieder nach oben.

„Also Nefer-Ahatj, Schöner Krieger, dann sag mir, möchtest du in diesem Haus bleiben? Das Schicksal deines Vaters ist ungewiss, genauso wie das eures gesamten Haushaltes. Aber ich nehme an, du wärst ohnehin nicht wieder zu ihm zurückgegangen.“

Neferahatj sah Kutari erstaunt an. Sollte sich sein Schicksal innerhalb von so kurzer Zeit gewandelt haben?

„Was soll ich tun, Herr?“

„Erst einmal müssen wir sehen, dass wir dich hier unterbringen, bevor die Gerichtsverhandlung beginnt. Eine Anstellung als Diener kommt nicht in Frage, sie befreit dich nicht von der Zughörigkeit zum Haushalt deines Vaters.“

Hori zappelte etwas.

„Wie wäre es mit einer Lehre? Da gehört er dann in den Haushalt des Lehrherrn.“

Kutari sah Hori erstaunt an. Ja, die Idee hatte etwas, allerdings…

„Wir haben keinen Handwerker im Haus. Es könnte ihn keiner als Lehrling nehmen. Doch, Moment, es gibt da jemanden…“

Ohne sich weiter um die beiden Jungen zu kümmern, drehte sich Kutari plötzlich total in Gedanken versunken um und ging hinunter zum Haupthaus. Erstaunt sahen sie ihm hinterher.


Eine ganze Stunde später rief Kutari seinen gesamten Haushalt im Garten zusammen. Die freie Fläche vor dem Teich schien sich zu einer Art Versammlungsplatz zu entwickeln.

„Als Herr dieses Haushaltes verkündige ich öffentlich, dass Neferahatj, Sohn des Wasret, ab sofort vollwertiges Mitglied meines Haushaltes ist. Er wird hier als Schüler des Arztes Sekhet ausgebildet werden, bis er dieses Haus verlässt, um zum Haus des Lebens zu gehen.“

Als die Versammlung sich langsam zerstreute war das Gemurmel groß. Lediglich die drei Schreiber sahen sich betreten an. Noch ein Schüler mehr.

„Hori, Hamadi, Shaketo, Kanefer! Macht euch fertig, wir müssen zum Tempel der Maat.“

Gefolgt von der gesamten Streitmacht seiner Soldaten machte sich Kutari auf zu seiner ersten Gerichtsverhandlung, in der er die Anklage vertreten würde.

Als sie sich dem Tempel näherten, erkannte Kutari ein paar erhebliche Veränderungen am Tempelvorplatz. Der gesamte Platz war geräumt worden und direkt vor dem Haupteingang war nun auf mehreren Stufen ein hoher Thron aufgebaut worden. Kutari wusste, was das bedeutete. Der Pharao selbst würde heute richten.

Aus diesem Grund war der komplette Platz von Soldaten abgesperrt worden. Sie bildeten mehrere dichte Ketten, um das inzwischen zahlreich versammelte neugierige Volk abzuhalten.

In diesem Moment kam aus dem Tempel eine lange Prozession von Maatpriestern, angeführt vom Hohepriester. In der Mitte der Prozession wurde eine Sänfte mit dem Standbild der Göttin getragen. Langsam wurde die Göttin an das andere Ende des Platzes bewegt, wo sie auf einem thronähnlichen Sockel abgestellt wurde. Nun konnte sie die ganze Gerichtsverhandlung verfolgen und auch der Pharao wurde durch den Anblick der Göttin der Gerechtigkeit jederzeit an seine Aufgabe erinnert.

Als nächste wurden die Angeklagten auf den Platz geführt und vor dem Thron aufgereiht. Kutari zählte mehr als dreißig Personen. Prinz Netermest war nicht unter ihnen, dafür konnte man deutlich mehrere Hethiter mit ihren typischen Bärten erkennen.

Prüfend sah sich Kutari um, doch kein weiterer Hethiter war unter den Anwesenden zu erkennen, weder bei den Zeugen, noch als offizieller Beobachter oder als Zuschauer.

Der Wesir in seiner Eigenschaft als Hohepriester der Maat begab sich auf einen Platz rechts neben den Thron, dann erschallte eine Stimme.

„Ehret den Pharao!“

Bis auf die Wachsoldaten warf sich alles pflichtschuldigst zu Boden.

„Erhebt Euch!“

Als Kutari wieder stand, sah er den Pharao auf dem Thron sitzen, mit allen Insignien, so wie erst kürzlich bei der Audienz.

Die Angeklagten hatte man weiter auf dem Boden knien lassen und der göttliche Herrscher sah mit einem angewiderten Ausdruck auf sie herab.

Der oberste Schreiber des Hauses der beiden Wahrheiten trat vor und entrollte einen längeren Papyrus. Mit tragender Stimme verlas er die Anklagepunkte, so wie Kutari sie am Vortag auch dem Wesir vorgetragen hatte.

„…erwarteten das Eingehen des göttlichen Pharao in das Reich des Osiris. Dann sollten alle, die ihnen zu Diensten waren oder erpresst wurden, ihre Loyalität zu seinem Nachfolger abschwören. Das Reich sollte seine Armeen gen Süden schicken, weil angeblich mehrere Gaufürsten dort ebenfalls von zweifelhafter Ehre sein sollten. Doch wenn dann die Armee aufgeteilt sein würde, wäre eine hethitische Streitmacht über den Sinai eingefallen.“

Alleine der Gedanke an ein Ableben des göttlichen Pharao rief schreckliche Szenen unter den Zuschauern hervor. Frauen brachen weinend zusammen und etliche Männer drohten den Ring der Wachen zu durchbrechen um die Angeklagten zu lynchen. Lediglich die Anwesenheit des Pharao hielt sie zurück.

Dieser hob nun eine Hand und die Massen verstummten. Dann sah er noch einmal auf die Angeklagten herab. Laut tönte seine Stimme über den Platz.

„Beweise!“

Der oberste Schreiber begann nun jedes einzelne Protokoll zu verlesen. Von den Vernehmungen aus dem versteckten Haus, bis hin zu den Aufzeichnungen über den Fundort verschiedener Gegenstände.

Es dauerte über drei Stunden, bis alle Protokolle verlesen waren. Die ganze Zeit über saß der Herrscher fast unbewegt auf seinem Thron und lauschte aufmerksam dem Schreiber. Die Zuschauer nahmen es weniger gelassen. An verschiedenen Stellen gab es wieder vereinzelte Zornesausbrüche oder mitleidige Äußerungen. Als das Protokoll aus dem Haus mit den Jungen verlesen wurde, senkte sich eine unheimliche Stille über den gesamten Platz, die dann durch einen wahren Sturm von Rufen und Schmähungen abgelöst wurde. Die Wachen hatten Mühe, die Leute zurückzuhalten, so dass der Wesir eine Gruppe Bogenschützen an den Seiten des Platzes aufziehen ließ. Der Anblick der Soldaten brachte die Menschen schnell wieder zur Ruhe. Der oberste Schreiber konnte nun wieder fortfahren.

Nach dem letzten Papyrus trat eine unangenehme Stille auf dem Platz ein. Der Pharao sah hinüber zu Kutari.

„Der Aufseher der Fragen des Pharao möge vor ihn treten.“

Kutari ging nach vorne und kniete sich auf den Boden.

„Erhebe dich, Kutari. Ich benötige noch weitere Antworten.“

Kutari erhob sich und verbeugte sich nochmals.

„Ja, göttlicher Pharao.“

„Wer hat die Vernehmung der Hethiter durchgeführt?“

Kutaris Blick zuckte nur einen kurzen Moment zu Kanefer, dann antwortete er.

„Der Diener Kanefer, göttlicher Herrscher.“

„Ein Sklave?“

„Nein Herr, ein freier Bürger des Landes Khemet.“

„Lass ihn vortreten.“

Kutari gab Kanefer nur ein kurzes Zeichen, dann kam der Junge etwas unsicher nach vorne, stellte sich neben Kutari und fiel dann auf die Knie.

„Erhebe dich, Kanefer. Du sprichst also hethitisch?“

Kanefer erhob sich und sah weiter zu Boden während er antwortete.

„Ja, göttlicher Herrscher.“

„Dann beweise es.“

Aus dem Schatten des Tempels trat ein Priester in einem langen, grauen Mantel. Ohne das Zeremoniell zu beachten ging er direkt zu Kanefer und sprach mit fremden Worten auf ihn ein. Kanefer antwortete ebenso schnell wie ausführlich. Der Priester drehte sich um, verbeugte sich nur tief vor dem Pharao und entschwand wieder in Richtung des Tempels.

„Wer hat die Protokolle dieser Vernehmungen verfasst?“

„Der Schreiber Hori, göttlicher Pharao.“

„Lass ihn vortreten.“

Ebenso wie Kanefer kam nun auch Hori nach vorne, stellte sich auf die andere Seite von Kutari und fiel dann auf die Knie.

„Erhebe dich, Hori. Du hast dies alles nach dem Gedächtnis verfasst?“

Hori erhob sich schnell und lief prompt wieder rot an.

„Nein, göttlicher Herrscher. Kanefer und ich haben die Gefangenen belauscht. Während sie sich unterhielten hat Kanefer übersetzt und ich habe mitgeschrieben.“

Der Pharao stutzte sichtlich.

„Du sagst also, du kannst schreiben, während geredet wird?“

„Ja, göttlicher Herrscher.“

„Dann zeige, was du kannst.“

Hori sah unsicher zu Kutari, doch als dieser nickte, hockte er sich in die typische Stellung eines Schreibers mit halb gespreizten Beinen und gespanntem Leinenschurz.

Der oberste Schreiber des Hauses der beiden Wahrheiten begann auf einen Wink des Wesirs, ein beliebiges Protokoll noch einmal zu verlesen. Nach kurzer Zeit winkte der Pharao ab und der Wesir erhob sich, um von Hori und seinem Schreiber die Papyri einzusammeln, die er dann dem Herrscher überreichte.

Sichtlich verblüfft sah der Pharao auf Horis Mitschrift, dann gab er sie dem Wesir zurück.

„Der Aufseher der Fragen des Pharao möge zurücktreten.“

Kutari gab den beiden Jungen ein Zeichen und sie fielen gleichzeitig zu Boden, erhoben sich und gingen zurück auf ihren alten Platz.

Nun wurde für jeden Angeklagten eine genaue Auflistung seiner ihm zur Last gelegten Verbrechen verlesen.

Erstaunlicherweise hatte keiner der Angeklagten etwas zu erwidern, als er danach gefragt wurde.

Zusammen mit dem Hohepriester brachte der Pharao ein Opfer vor dem Standbild der Göttin Maat dar. Dann kehrte er zurück auf seinen Thron und verkündete die Urteile.

Kutari war gespannt auf die ersten Urteile, denn sie betrafen Fürst Wawerhet und die königliche Gemahlin Tuaitthesit.

„Fürst Wawerhet werden alle Titel und sämtlicher Besitz aberkannt. Seine gesamten Besitztümer fallen an das Große Haus. Sein Leben ist verwirkt und endet auf dem Pfahl. Seine Überreste werden dem Gott Sobek übergeben.“

Beifälliges Murmeln ging durch die Reihen der Zuschauer. Die Überreste des ehemaligen Fürsten würden also an die Krokodile verfüttert, so dass sein Ka keinen Körper mehr hatte, in das es zurückkonnte. Für ihn gab es keine Ewigkeit.

„Prinzessin Tuaitthesit ist ab sofort nicht mehr Königliche Gemahlin. Ihr Haushalt wird aufgelöst, Ihre Besitztümer fallen an die Große Königliche Gemahlin. Ihr wird die Wahl gelassen, den Korb mit der Kobra zu nehmen oder das Land zu verlassen und in die Heimat ihrer Mutter zurückzukehren.“

Hier war die öffentliche Meinung geteilt, doch Kutari war sich sicher, was sie wählen würde.

Die Hethiter aus der Gesandtschaft wurden allesamt verbannt. Mehr wollte sich der Pharao wohl nicht erlauben, ohne die Gespräche mit dem Gesandten zu gefährden.

Die anderen Urteile liefen an Kutaris Ohren vorbei, doch bei einem horchte er noch einmal auf.

„Der Gastwirt Wasret verliert seinen gesamten Besitz und alle Mitglieder seines Haushaltes an das Große Haus. Er selbst wird am Pfahl verbrannt und seine Asche wird verstreut in das fließende Wasser.“

Kutari erschauerte etwas. Auch hier keine Hoffnung auf die Ewigkeit. Und praktischer Weise ersparte es Neferahatj die Begräbnisriten.


Nach der Urteilverkündung zog sich der Pharao genauso schnell zurück, wie er erschienen war. In einer kurzen Prozession wurde die Statue der Maat wieder zurück ins Allerheiligste gebracht. Daraufhin zerstreute sich auch die Menge der Neugierigen. Ein Priester der Maat trat auf Kutari zu und verbeugte sich ehrerbietig.

„Ehrwürdiger Kutari, der Hohepriester entbietet seinen Gruß und wünscht Eure Anwesenheit im Tempel der Göttin.“

Kutari dankte dem Priester kurz, dann sah er sich nachdenklich um. Er wollte eigentlich sofort nach Hause zurückkehren, um dann nach den letzten abschließenden Arbeiten direkt an Bord gehen zu können.

Jetzt musste jemand anderer die ganze Truppe zurückführen. Kutari hatte für diesen Fall bereits mit Hauptmann Imiuthetep gesprochen. Niemand sollte sagen können, die Soldaten hätten bei ihm das Kommando übernommen.

„Hamadi, komm her.“

Neugierig trat der junge Schreiber näher.

„Ich habe noch ein Treffen mit dem Wesir. Du wirst die Truppe zum Haus zurückführen und die restlichen Vorbereitungen abschließen. Wenn ich eintreffe, erwarte ich, dass wir abfahrbereit sind.“

Hamadi sah erschreckt hoch zu seinem Herrn.

„Aber, was wird der Hauptmann sagen?“

„Gar nichts. Er weiß Bescheid. Mach einfach, was ich dir gesagt habe.“

Hamadi ging unsicher zurück zu ihrem Sammelplatz und sprach kurz mit dem Hauptmann. Der nickte nur und sortierte seine Soldaten, während Hamadi Hori und Kanefer einreihte und dann an der Spitze der Kolonne abmarschierte. Dann erst wandte sich auch Kutari zum Tempel.

Er wurde von einem der Priester in einen Garten geführt, wo der Wesir bereits wartete.

„Ah, Kutari. Du hast die Worte unseres Herrschers gehört. Er hat Recht gesprochen im Angesicht der Göttin. Die Verbrecher haben die ihnen zustehende Strafe bekommen.“

„Ja, Herr. Doch es ist immer wieder grausam zu erfahren, dass ein Ka und Ba nicht wieder in den Körper zurückfinden können für den Weg in die Ewigkeit.“

„Das ist die Strafe für alle, die sich an der Göttlichkeit unseres Herrschers vergehen. Du solltest kein Mitleid haben, sie hätten auch keines mit dir gehabt. Du hast doch ihre Opfer gesehen.“

Kutari neigte das Haupt.

„Ja, Herr.“

„Gut. Ich habe noch zwei Dinge mit dir zu besprechen. Das eine ist eigentlich eine angenehme Nachricht, doch wie ich dich inzwischen kenne, wirst du sie nicht mögen.“

Kutari war sich in diesem Moment sicher, dass die Nachricht mit Arbeit verbunden war.

„Das Urteil für den ehemaligen Fürsten Wawerhet lautete dergestalt, dass seine gesamten Besitztümer an das Große Haus fallen. Unser Herrscher hat angeordnet, dass dir das Landhaus am Flussufer mit den dazugehörigen Ländereien übereignet wird.“

„Was? Aber ich habe doch schon…“

„Keine Widerrede. Der Pharao hat entschieden, die Urkunden wurden bereits ausgestellt.“

Der Wesir sah Kutari einen Moment nachdenklich an.

„Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber seit er dich gesehen hat, hat er anscheinend eine große Zuneigung zu dir entwickelt. Er beschenkt dich großzügig mit Land und Titeln. Er vertraut dir mit deiner Arbeit. Er behandelt dich fast wie einen eigenen Sohn.“

Kutari sah den Wesir erschrocken mit aufgerissenen Augen an, doch der winkte ab.

„Du brauchst nichts zu sagen. Ich weiß, dass du nicht darauf aus warst und er weiß es auch. Doch zurück zu diesem letzten Geschenk. Es ist ein wenig kompliziert, denn der gesamte Haushalt ist ja ebenfalls an das Große Haus gefallen. Kurz nach der Urteilsverkündung wurde bereits ein Trupp Medjai in Marsch gesetzt, um die Mitglieder des Haushaltes dort festzusetzen. Sie wurden als Sklaven dem Großen Haus zugewiesen, es sei denn, du willst welche davon behalten.“

Kutari erbleichte. Warum musste er entscheiden, wer Sklave werden sollte und wer nicht?

„Das zweite ist etwas schwieriger. Du erinnerst dich an die Zusammenfassung deines Berichtes? Es ging dort um den Plan, eine hethitische Armee an der Grenze zum Sinai in das Land zu lassen. Angeblich sind schon zwei Gaue unter dem Einfluss der Hethiter.“

Kutari nickte.

„Wir haben bis zum letzten Moment zu erfahren versucht, um welche Gaue es sich handelt. Leider erfolglos. Du wirst also neben deinem Auftrag in Tanis noch weiter im Delta verbleiben und dort versuchen, etwas über den hethitischen Einfluss in Erfahrung zu bringen.“

„Aber was ist mit dem Vorfall im Süden? Ist er nicht mehr so dringend?“

Der Wesir verzog sein Gesicht.

„Doch, es ist dringend und wichtig. Entgegen meinem Rat und dem des Mitregenten hat unser göttlicher Herrscher entschieden, den Vizekönig von Kusch mit den Nachforschungen zu beauftragen. Nehy ist zwar ein effektiver und durchaus fähiger Verwaltungsbeamter, doch als Ermittler taugt er in meinen Augen überhaupt nicht. Nun, wir werden sehen.“

„Dein wichtigster Auftrag ist immer noch die Frage, warum Fürst Rechmire den Gifttod sterben musste. Mein Schreiber wird dir alles aushändigen, was bis jetzt hier an Berichten und sonstigen Schriftstücken eingetroffen ist. Wann wirst du abreisen?“

Kutari lächelte schwach.

„Ich werde mich von hier aus direkt zum Hafen begeben. Wenn uns die Götter gewogen sind, werden wir in zwei Dekaden in Tanis sein.“

„Sehr gut. Möge dich Hapi auf dem Wasser beschützen.“

Kutari verbeugte sich formell und verließ den Garten. Vor dem Eingang warteten bereits die beiden Leibwachen, am heutigen Tage wieder einmal Amani und Thotseneb. Neben ihnen stand ein Schreiber mit einer ledernen Tasche, die etliche kleine Papyri und einige Schriftrollen enthielt. Kutari dankte dem Mann und machte sich dann mit seinen Wachen auf den Weg zum Hafen.

Der Aufseher der Barken des Pharao begrüßte Kutari schon am Tor zum Hafen und seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass es anscheinend ein Problem gab.

„Ich bin erfreut, Euch zu sehen, Herr. Auf persönliche Anweisung des göttlichen Herrschers wurde Euch die schnellste der großen Reisbarken zugewiesen. Euer Verwalter hat bereits alle Vorbereitungen getroffen und es ist alles in bester Ordnung, lediglich ein kleines Problem muss noch erledigt werden.“

Kutari sah den Mann durchdringend an und wusste, dass dieses ‚kleine Problem‘ wohl nicht so klein war, wie dieser behauptete.

„Dann können wir also ablegen?“

„Äh, nein, Herr. Nicht so ganz.“

Kutari seufzte.

„Und worin, Herr der Barken, besteht das Problem?“

Der Aufseher der Barken verzog schmerzlich das Gesicht als sein Titel so profan verunstaltet wurde, doch er verbeugte sich und deutete auf die Reisebarke.

„Es handelt sich um den Schiffsführer. Der ehrenwerte Kapitän Senmut ist bei einer kleinen, hmmm, Unstimmigkeit in einer Taverne leider verletzt worden und kann die Reise leider nicht antreten. Deshalb muss der nächste Kapitän auf der Liste der königlichen Barkenführer geholt werden, damit er seinem Rang entsprechend diese Aufgabe übernimmt.“

Kutari hob die Augenbrauen.

„Eine Rangliste der Barkenführer? Wann kann der Mann hier sein?“

„Oh, er ist schon benachrichtigt worden. Er wird so schnell wie möglich hierher eilen.“

Kutari kannte diese Antworten und sie gefielen ihm kein Bisschen.

„Wo ist er jetzt und wann kann er hier sein? Ich will Tag und Stunde!“

Der Aufseher der Barken hob resignierend seine Hände.

„Oh, ihr Götter, warum ich? Nun, Herr, er befindet sich in Men-nefer. Aber ich bin sicher, er wird nicht mehr als zehn oder zwölf Tage brauchen, wenn ihn die Nachricht erreicht.“

Kutari starrte den Aufseher der Barken an und fragte sich ernsthaft, ob dies nicht eines der Schauspiele war, die zum Fest der ausgelassenen Trunkenheit aufgeführt wurden.

„Er ist, wo? In Men-nefer? Und ich soll hier so lange warten, bis er hier ist? Gibt es denn niemand anderen für diese Barke?“

Der Aufseher der Barken straffte sich entrüstet.

„Aber nein, Herr. Es ist ein Privileg, das auf dem Rangplatz auf der Liste der königlichen Barkenführer beruht und es würde der göttlichen Ordnung widersprechen, wenn man jemanden…“

Amani und Thotseneb hatten noch nie gesehen, dass Kutari seine Ruhe verloren hatte, doch nun bemerkten sie, wie er langsam rot anlief und tief Luft holte. Die beiden Wachen wechselten bezeichnende Blicke.

„Dieser Kapitän kann sich die Liste sonst wo hinschieben. Ich will und ich werde innerhalb der nächsten Stunde mit dieser Barke dort ablegen und zwar mit einem befähigten Schiffsführer, Liste hin oder her. Es muss doch hier noch einen geben. Und falls sich dieser besagte Kapitän aus Men-nefer beschweren will, sagt ihm einfach, dass er dann an einer der Ruderbänke endet.“

Der Aufseher erbleichte, sowohl wegen der Drohung, als auch wegen des Verstoßes gegen sämtliche geheiligten Traditionen.

„Aber… aber, nun ja, vielleicht. Mal sehen.“

Mit zitternden Händen entrollte der Aufseher der Barken eine prachtvoll verzierte Schriftrolle und studierte sie aufmerksam.

„Ja. Hier ist jemand verzeichnet, der in der Stadt sein müsste. Allerdings ist er auf Platz 36 der Liste.“

Dem triumphalen Ausruf folgte ein abfälliger Unterton, als die Platzziffer erwähnt wurde.

Kutari horchte auf.

„Ach, wie viel Einträge hat denn die Liste?“

„Sechsunddreißig“, murmelte der Aufseher.

„Und wo ist nun Nummer 36?“

„Ich lasse ihn sofort holen, Herr.“

Nummer 36 stellte sich als junger Mann heraus, kaum älter als Kutari. Wenn auch nicht so groß, war er fast ebenso schlank, aber von dunklerer Hautfarbe.

Etwas verwirrt folgte er dem Gehilfen des Aufsehers der Barken, der ihn zu Hause angetroffen hatte und ihm eine haarsträubende Geschichte über die große Reisebarke und den neuen Passagier erzählt hatte.

Der Aufseher musterte den jungen Kapitän kritisch. Er war eilig aus seinem Haus geholt worden und trug nur einen Leinenschurz, nicht einmal Sandalen.

„Dies ist Arma. Er hat erst vor kurzem die Prüfungen zum Befahren des Flusses abgelegt.“

Kutari wandte sich dem jungen Mann zu.

„Arma? Das ist ein hethitischer Name.“

Leicht verärgert von dem ganzen Trubel, den er nicht verstand und dann auch noch durch die Kritik an seinem Namen fuhr Arma herum.

„Ja und? Ich bin hier geboren. Meine Eltern stammten aus Alašija. Was hat das mit der Barke zu tun?“

Der Aufseher der Barken ließ etliche Flüche auf Arma herabregnen.

„Was fällt dir ein? Dieser hohe Herr ist der Aufseher der Fragen des Pharao und hier auf persönlichen Befehl unseres göttlichen Herrschers.“

Es blieb dem jungen Mann gar nichts anderes übrig als auf seine Knie zu sinken und sich zu verbeugen. Verwirrt und halb entsetzt fragte er sich, wie er aus dieser Situation wieder herauskommen sollte.

„Steh auf, Arma. Wer auf dem Boden liegt, kann nicht arbeiten, denn ich habe Arbeit für dich. Du bist ab sofort Kapitän der großen Reisebarke.“

Immer noch nicht überzeugt, begann der Aufseher der Barken mit seiner verzierten Schriftrolle zu winken, doch als er Kutaris Blick sah, versteckte er die Rolle schnell hinter seinem Rücken.

Arma hatte sich rasch erhoben und sah den großen blonden Würdenträger erstaunt an.

„Kapitän? Ich? Aber ich stehe doch erst auf Platz…“

„Wie ich bereits deinem Aufseher gesagt habe, interessiert mich die Rolle… nicht. Ich benötige einen Schiffsführer, der mich so schnell wie möglich nach Tanis bringt. Bist du dazu in der Lage?“

Unsicher blickte sich Arma um. Er hatte die in Frage kommende Barke zwar schon öfter gesehen, aber er kannte nicht ihren Zustand. Der Aufseher der Barken war auch keine große Hilfe, so verschlossen und feindselig, wie er Arma anstarrte.

„Ich muss mir das Schiff nur kurz ansehen, Herr, denn ich weiß, dass Kapitän Senmut etwas von dem Geld für die Instandsetzung in die Taverne getragen hat für Bier und Würfelspiele.“

Der Aufseher der Barken starrte Arma jetzt mit hervorquellenden Augen an.

„Was? Was sagst du da? Das ist… das ist…“

„Das ist jetzt völlig egal. Ich will wissen, ob wir mit diesem Schiff heute noch in Richtung Delta fahren können oder nicht.“

Arma verbeugte sich kurz und ging dann schnell hinüber an Bord. Das Schiff war erheblich größer als die Kurierbarke, die Kutari erst kürzlich benutzt hatte. Diese hier war wohl gute 100 Mech lang und hatte in der Mitte einen Mast, der nicht umgelegt werden konnte, wie bei den meisten der Schiffe. Das Segel für den Mast war zusammen mit den Rahen unter Deck eingelagert, denn für die Reise flussabwärts wurde es nicht benötigt.

Die Mitte des Schiffes nahm ein langgestrecktes Deckshaus ein, das auch fast die gesamte Breite des Schiffs erreichte. Am Heck waren die beiden riesigen Steuerruder zu sehen und an den Seiten waren jeweils zwanzig Plätze für Ruderer. Kutari wusste, dass die Ruderer etwa jedes halbe Iteru abgelöst wurden, so dass wohl um die 80 bis 90 Mann Besatzung an Bord sein mussten. Die meisten von ihnen waren jedoch unter Deck.

Vorne am Bug war die geschnitzte Figur eines Flusspferdes mit aufgerissenem Maul angebracht. Kutari grinste; die Flusspferde schienen ihn zu begleiten.

Der junge Kapitän war eifrig bei seiner Besichtigung. Kutari sah ihn an allen möglichen Stellen auftauchen. Hier etwas untersuchen, dort jemanden befragen. Nach einer für Kutari schon fast zu langen Zeit kam der junge Kapitän wieder zurück.

„Es ist soweit alles in Ordnung, Herr. Lediglich die Besatzung ist etwas unwillig.“

Kutari hob lediglich die Augenbrauen und der junge Mann fuhr fort.

„Die Heuer hätte heute ausbezahlt werden müssen, doch die Rationen und der Kapitän sind verschwunden.“

Kutari nickte. Er hatte etwas Ähnliches befürchtet.

„Hamadi! Kanefer!“

Schnell eilten die beiden Gerufenen herbei. Kutari flüsterte mit Hamadi, der sich daraufhin niederhockte und zu schreiben begann.

„Kanefer, wenn Hamadi fertig ist, wirst du das Schreiben zum Haus der beiden Wahrheiten bringen und dem ersten Schreiber des Hohepriesters überreichen.“

Kanefer verbeugte sich wortlos und hockte sich dann zu Hamadi.

„Also dann, Kapitän Arma. Du hast Zeit bis der Bote wieder da ist, das Schiff zur Abfahrt fertig zu machen. Deine Ernennung zum Schiffsführer wurde dokumentiert, ebenso die ausstehende Heuer der Besatzung.“

Während sich Arma verbeugte und an Bord eilte, wandte sich Kutari an den Aufseher der Barken.

„Hier wird spätestens morgen eine Befragung durch das Haus der beiden Wahrheiten stattfinden. Sie werden wissen wollen, wie es mit der Ausrüstung der Barken steht und warum nicht alles so läuft, wie es angeordnet wurde.“

Der Aufseher erbleichte sichtlich, denn er wusste, dass ihn dies sehr wohl seine Stellung kosten konnte. Kutari sah ihn verärgert an.

„Ich habe weder die Zeit, noch die Lust, mich weiter um Angelegenheiten der königlichen Barken zu kümmern, die eigentlich Eure Aufgabe sein sollte. An Eurer Stelle würde ich meine Leute aufscheuchen und versuchen, soviel wie möglich in Ordnung zu bringen, bis die Schreiber aus dem Haus der beiden Wahrheiten kommen.“

Brüsk dreht sich Kutari um und ging an Bord der Reisebarke, während ihm seine beiden Wachen folgten. Hamadi hatte Kanefer inzwischen losgeschickt und auf der Barke wurden die letzten Vorbereitungen zum Ablegen getroffen.

Als Kanefer dann endlich wieder eintraf und an Bord ging, legte die Barke auch sofort ab und steuerte langsam die Flussmitte an. Der Junge hatte zwei Schriftrollen für Kutari aus dem Haus der Wahrheit mitgebracht. Die eine war eine Bestätigung seiner Meldung und die Zusicherung, dass eine Untersuchung durchgeführt werden würde. Die andere war die Bestätigung, dass alle Waren, die ab sofort für die Barke benötigt wurden, durch die Silos und Lager des Großen Hauses erfüllt würden.

Kutari fragte sich, wie er am schnellsten zu der Heuer für die Seeleute kommen konnte, denn ein großer Teil ihres Lohnes bestand ja aus Lebensmitteln. Die einzelnen Mengen waren akribisch in der Schriftrolle aufgeführt. Kutari überflog die Aufstellung von Brot, Bier, Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen, Kichererbsen, Datteln und weiteren Früchten, ebenso wie die Positionen von Leinenschurzen, Leder und Schilfsandalen. Ein weiterer Punkt waren die Dinge, die für das Schiff selbst benötigt wurden. Vom Segel bis zu den Rudern konnte alles aus einem der Lager abgerufen werden, vorausgesetzt, es war vorrätig.

Als er die Liste wieder zusammenrollte, glitt Kutaris Blick suchend über seine Leute. Ganz hinten am Heck saßen Thotmes und Shaketo fröhlich in ein Gespräch vertieft. Kutari reichte Hori die Liste und bedeutete ihm, sie Thotmes zu überreichen. Erstaunt nahm der Junge die Liste in Empfang und ging sie schnell mit Shaketo durch.

Thotmes und Shaketo saßen nun erheblich weniger fröhlich zusammen. Heftig debattierten sie über den Eintragungen und sahen sich manchmal hektisch dabei um. Dann endlich kamen sie nach vorne zu Kutari.

„Wir sind die Listen durchgegangen, Herr und haben eine Aufstellung gemacht, was alles in nächster Zeit benötigt wird. Die Rationen hätten heute ausgezahlt werden sollen und so werden die Lebensmittel knapp. Spätestens morgen müssen wir einen Hafen anlaufen, wenn die Besatzung nicht hungern soll, Herr“, piepste Thotmes, während Shaketo die Schriftrolle in der Hand hielt.

Kutari winkte dem Kapitän heranzukommen.

„Was können wir im Laufe eines Tages erreichen und wie weit sind das nächste öffentliche Silo und Lagerhaus von dort entfernt?“

Kapitän Arma wiegte nachdenklich den Kopf.

„Das nächste große Lager ist in Abedju, aber das werden wir wohl erst in zwei Tagen erreichen. Die Gewässer dort sind schwierig und wir werden nicht bei Nacht fahren können.“

Kutari nickte dem Kapitän dankend zu und wandte sich wieder an Thotmes.

„Und wo bekomme ich dann die Sachen her, wenn wir in den nächsten Tagen auf kein Lager des göttlichen Herrschers treffen? Du hast es gehört. Die Besatzung wird hungern müssen, wenn nicht jemand eine andere Idee hat.“

Thotmes sah jetzt hinüber auf das rechte Ufer. Er zögerte merklich.

„Nun, Herr. Es gibt da so ein Gerücht…“

Die Köpfe der Anwesenden drehten sich fragend herum und Hori wedelte mit den Händen und machte abwehrende Handbewegungen, doch es war schon zu spät.

„Thotmes! Du bewegst dich gerade in tiefem Treibsand. Du willst doch nicht etwa sagen, dass du wilden Gerüchten über deinen Herrn gelauscht hast?“

Kutaris Stimme klang ernst und Thotmes lief über und über rot an. Schnell senkt er seinen Kopf, doch Kutari hob ihn am Kinn wieder an und sah Thotmes in seine angstvoll weit geöffneten braunen Augen.

„Nun, Thotmes, sprich!“

Die ersten Tränen rollten, doch mit etwas erstickter Stimme gehorchte Thotmes.

„Es heißt, Herr, Ihr besitzt die Ländereien des Fürsten Wawerhet und die sind nur eine Tagesreise entfernt.“

Überrascht ließ Kutari Thotmes los und der Kopf senkte sich prompt. Das etwas zweifelhafte Geschenk des Herrschers hatte er komplett vergessen. Er musste dort ja auch noch eine Entscheidung treffen über die Verwaltung und den Betrieb des Landgutes.

„Es ist kein Gerücht, es stimmt. Der göttliche Pharao, lang möge er leben, hat mir in seiner unendlichen Güte einen Teil der Ländereien des Fürsten Wawerhet übereignet. Wir müssen dort ohnehin noch etwas erledigen und dort können wir dann auch sicherlich zumindest die Lebensmittel für die Besatzung auftreiben.“

Thotmes schluckt schwer und sah wieder nach oben, doch Kutari schüttelte bedauernd den Kopf.

„Du hättest es anders sagen können. Gerüchte über seinen Herrn zu verbreiten, verlangen eine Bestrafung.“

Thotmes wurde blass, doch Kutari ließ seinen Blick über das Deck schweifen, bis er denjenigen gefunden hatte, den er suchte.

„Feldwebel Chepren, versammle unsere Leute hier auf dem Deck für eine kurze Bestrafung.“

Chepren hatte den Wortwechsel verfolgt und nickte.

„Jawohl, Herr.“

Als alle Leute aus Kutaris Haushalt um ihn versammelt waren, seufzte er ein wenig, aber dann verkündete er laut,

„Der Schüler Thotmes hat sich des Vergehens der üblen Nachrede gegenüber seinem Herrn schuldig gemacht. Die Strafe lautet auf drei Schläge - mit der flachen Hand.“

Jetzt lief leises Murmeln durch die Reihe, doch selbst bei der geringen Strafe war es mit Bedauern für Thotmes verbunden. Der Feldwebel bedeutete Thotmes seinen Leinenschurz abzulegen. Der Junge reichte ihn Shaketo, dann kam das Lendentuch an die Reihe. Beim Anblick des nackten Thotmes lief noch einmal ein kurzes Bedauern durch die Reihe.

Der Einfachheit halber setzte sich Feldwebel Chepren auf einen Schemel und legte Thotmes über sein rechtes Knie.

Beim ersten Schlag hatte Thotmes noch keinen Laut von sich gegeben, doch beim zweiten quiekte er auf und beim dritten war es ein lauter Schrei. Als er aufsah, liefen ihm die Tränen herunter.

Feldwebel Chepren ließ ihn los und richtete ihn auf.

„Geht es wieder?“

Thotmes nickte und nahm von Shaketo sein Lendentuch seinen Leinenschurz entgegen.

Während sich die Leute wieder allmählich zerstreuten, grinste Hori in sich hinein. Als Thotmes vorhin dort nackt vor aller Augen gestanden hatte, war sein Blick an dem Jungen hinabgegelitten und er hatte etwas bemerkt, über das er mit Thotmes wohl würde sprechen müssen.


Als das Schiff für die Nacht geankert hatte, saßen Hori und Thotmes am Heck und unterhielten sich leise. Hori auf einer Rolle Seil, Thotmes hatte sich ein Kissen organisiert. Hori sah an Thotmes vorbei auf das Wasser.

„Sag mal, ich habe dich heute dort gesehen, bei der Bestrafung. War ja nicht allzu schlimm.“

Thotmes verzog das Gesicht und sagte nichts.

„Hamadi und ich sind damals zu zehn Schlägen verurteilt worden.“

„Hmpf.“

Hori seufzte, dann sah er Thotmes direkt an.

„Du bekommst Haare.“

„Was? Was für Haare. Wieso denn?“

Hori grinste und zeigte nun deutlich auf Thotmes‘ Körpermitte. Der Junge erstarrte förmlich, sah Hori vollkommen erstaunt an, dann wurde er rot. Hektisch sah er sich um.

Hori wusste, warum er sich umsah.

„Es guckt keiner.“

Blitzschnell legte Thotmes den Leinenschurz und das Lendentuch ab, beugte sich vor und betrachte intensiv das fragliche Gebiet.

„Tatsächlich“, flüsterte er. Dann wurde er noch röter, falls das überhaupt möglich war. Schnell legte er seine Bekleidung wieder an.

„D-d-der Herr hat gesagt, wenn es soweit ist, gibt es ein Fest. Aber ich bin doch so weit weg von meinem Vater und meiner Mutter.“

„Keine Angst. Ich glaube nicht, dass wir mitten auf einer Reise eine solch wichtige Angelegenheit abhandeln. Wir brauchen ja einen Arzt und einen Priester.“

„Wird es schlimm? Tut es weh?“

„Ein bisschen schon, aber das geht vorbei. Das schönste ist nachher die Feier. Da gibt es Kuchen und sogar etwas Wein für dich.“

„Darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“

Hori zögerte. Sein Blick wanderte über die Leute, die sich an Oberdeck bereits zum Schlafen niedergelegt hatten. Sekani würde sicherlich nichts dagegen haben und so nahm er Thotmes an der Hand und führte ihn hinüber zu seiner Schilfmatte. Sekani sah erstaunt hoch, doch Hori schüttelt leicht den Kopf. Dann legte er sich hin und bedeutete Thotmes, sich zwischen ihn und Sekani zu legen. Thotmes zögerte nicht einen Augenblick und kuschelte sich dicht an Hori. Nur ein paar Atemzüge später war er eingeschlafen.

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