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Chaos und Ordnung

Teil 2

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Informationen

 

Kurz nachdem die Sonnenbarke des Herrn Re im Osten ihre Fahrt begonnen hatte, machte sich Kutari auf den Weg zum Haus der Maat. Heute folgten ihm Sekani und Ngozi. Sekani war mit Siebzehn der Jüngste der Soldaten, aber auch einer der Geschicktesten. Er konnte zwar am besten mit dem Chepesch umgehen, doch leider fehlte ihm noch die Kraft, den Bogen bis zum letzten Ende zu spannen und dem Pfeil die Stärke mitzugeben, auch einen ledernen Panzer zu durchschlagen. Ganz im Gegensatz zu Ngozi. Der war knapp zwei Jahre älter, aber erheblich schwerer als Sekani. Unter der tiefschwarzen Haut spielten wahre Muskelpakete, der Lohn jahrelanger Übung mit Waffen und Gewichten.

Der Tempel der Maat befand sich außerhalb der Palastanlage und war somit für jedermann leicht erreichbar. Der eigentliche Gerichtssaal befand sich in der Halle der Beiden Wahrheiten. Der Richter saß auf einem Stuhl aus Akazienholz und vor ihm ausgebreitet lagen auf Zedernholztischen die Gesetze Ägyptens und die ‚Worte aus dem Mund des Pharao‘. Diese Dokumente hier waren nicht als Gesetzbuch vorgesehen, sondern sie dienten dem Richter als Mahnung daran, dass er im Namen des Pharao Recht sprach.

Die Wände waren prächtig bemalt und zeigten die Göttin Maat und alle 42 Dämonen der Unterwelt. Diese Dämonen würden die Seelen derer verzehren, die nicht für würdig befunden wurden, in die Ewigkeit einzugehen, wenn Gott Anubis ihr Herz auf der Waagschale mit der Göttin Maat, der Wahrheit, aufwog.

Ein Gerichtsschreiber erwartete Kutari und überreichte ihm eine dünne Papyrusrolle.

„Das ist alles, was bei den Ermittlungen des Schreibers Tothseneb herausgekommen ist. Der Hohepriester möchte Euch noch sehen, bevor Ihr mit Euren eigenen Ermittlungen anfangt.“

Kutari stutzte, bis ihm einfiel, dass der Wesir gleichzeitig Hoherpriester der Maat war. Er traf den Wesir in einem Raum der vollgestellt war mit Regalen für Papyrus. An allen vier Wänden waren die Rollen fein säuberlich gestapelt, mit einem Bändchen und Etikett versehen, so dass eine Suche erleichtert wurde.

„Wir machen es offiziell. Es ergeht eine Abschrift des Auftrages an den Obersten Eunuchen des Frauenhauses und an alle königlichen Familienmitglieder. Sie werden durch das Wort des göttlichen Pharao dazu verpflichtet, dir Auskunft zu geben.“

„Ist das denn notwendig?“

„Ja, einige glauben noch immer, sie ständen über dem Gesetz oder sie könnten sich auf ihre Nähe zum Pharao berufen, Das hat nun ein Ende. Komm mit.“

Kutari folgte dem Wesir in die Halle der Beiden Wahrheiten. Ein wenig umständlich nahm der Wesir auf dem Stuhl des Obersten Richters Platz um die nötige Aufmerksamkeit in der Halle zu erregen.

„Auf Befehl des göttlichen Pharao!“

Alle Anwesenden verbeugten sich tief, einige Sklaven knieten sich nieder und berührten mit der Stirn den Boden.

„Der Aufseher der Fragen des Pharaos wird durch den göttlichen Pharao persönlich beauftragt, eine Ermittlung im Großen Haus und in allen dazu gehörigen Palästen, Unterkünften und sonstigen Einrichtungen durchzuführen. Seine Fragen werden die Fragen des Pharao sein und jede Antwort wird so behandelt, als sei sie dem Pharao gegeben. Der Aufseher der Fragen des Pharaos wird zum nächsten Vollmond im Haus der Maat erwartet um seine Ergebnisse darzulegen. Gesiegelt mit dem Siegel des Obersten Richters des Reiches Khemet.“

Kutari war zusammengezuckt. Es war erst vor kurzem Neumond gewesen, doch nun stand er unter dem Zwang, etwas Brauchbares in kurzer Zeit abzuliefern.

Als sich alle wieder erhoben hatten, wurde Kutari durch ein Zeichen des Wesirs entlassen. Seine erste Vernehmung würde nun wohl doch die von Hori sein. Nachdenklich machte er sich auf den Weg nach Hause.

Als Kutari Horis Zimmer betrat, war Kanefer gerade damit beschäftigt, Horis Wunden zu versorgen. Hori lag auf dem Bauch und knirschte mit den Zähnen, während Kanefer vorsichtig die Wunden mit einem Tuch und Wasser reinigte. Kutari wunderte sich, woher Kanefer die Versorgung von Verletzungen gelernt hatte, als ihm ein weiterer Punkt für seinen Haushalt einfiel, den er irgendwann abarbeiten musste. Doch nun war zuerst Hori an der Reihe.

Beide Jungen hatten aufgesehen, als er eingetreten war, doch er machte Kanefer ein Zeichen, seine Arbeit fortzusetzen und Hori sank dankbar zurück auf sein Lager.

Hori war zwar schlank, aber nicht mager. Seine helle Haut war an Oberkörper und Beinen etwas nachgedunkelt, wo jedoch der Leinenschurz gesessen hatte, war sie weiß wie der Kalkstein aus den Steinbrüchen von Tura. Die roten Striemen kamen deshalb besonders zur Geltung. Die Muskulatur der Hinterbacken und des Rückens waren gut ausgebildet, was eigentlich selten war für einen Schreiber. Viele neigten schon in ihrer Jugend zu Übergewicht und einem kleinen Buckel von der frühen gebückten Haltung während des Schreibens.

Der Bereich der Schultern war von Sommersprossen bedeckt, genau wie das Gesicht um Augen und Nase. Die roten Haare hielt Hori kurz, damit er, wie er sagte, nicht allzu sehr auffallen würde.

Kutari angelte sich einen Hocker unter dem Tisch hervor, setzte sich neben Hori und wartete geduldig, bis Kanefer seine Arbeit beendet hatte und den Raum verließ.

„Ich komme gerade aus dem Haus der Maat. Der Oberste Richter hat mir eine Ermittlung im Großen Haus übertragen wegen des Verschwindens eines jungen Mannes, dem Tod eines Eunuchen und dem Unfall eines Kindes beim Baden.“

Ruhig wartete Kutari auf eine Reaktion von Hori. Dieser hatte sich bei Kutaris Worten vorsichtig auf die Seite gedreht und sah nun zu ihm auf. Unwillkürlich wanderte Kutaris Blick die Brust hinab, über den Bauch bis hin zu dem hellroten, dichten Haarbusch.

„Mehetfer ist beim Baden im Fluss ertrunken. Man hat seine Leiche nach zwei Tagen weit Flussabwärts gefunden. Soviel überall erzählt wurde, soll er zu weit in die Strömung hinausgeschwommen sein.“

Kutari sah immer noch schweigend auf Hori herab und dieser wurde zunehmend nervöser.

„Monptah war von einem auf den anderen Tag verschwunden. Er hat niemandem gesagt wohin er gehen würde. Weg, einfach weg.“

„Und über den Eunuchen weiß ich nichts. Das war, soviel ich weiß, im Haus der Großen königlichen Gemahlin.“

Kutari schüttelte leicht den Kopf.

„Hori, ich habe dich nicht danach gefragt, ob du etwas über die Personen weißt, die ich genannt habe. Eigentlich würde mich viel mehr interessieren, woher du diese Verletzungen hast. Der Arzt hat gemeint, es wäre eine Peitsche mit Knoten gewesen. Vielleicht sogar eine Nilpferd-Peitsche. Wer benutzt ein solches Werkzeug um einen Schreiberschüler, einen Bewohner des Palastes, einen Diener des göttlichen Pharao so zu misshandeln?“

Horis Gesicht war jetzt rot angelaufen und auch sein Oberkörper zeigte eine flammend rote Farbe. Langsam schüttelte er den Kopf und presste die Kiefer aufeinander.

„Du weißt, wenn du nicht antwortest, wirst du dem Haus der Wahrheit überstellt.“

Hori presste seine Zähne so stark aufeinander, dass es knirschte. Aus den Augenwinkeln liefen die ersten Tränen.

Kutari verließ den Schemel und hockte sich neben Hori auf den Boden. Sanft bettete er den Kopf des Jungen auf seinen Schoß. Horis Arme umschlangen ihn und der Junge weinte bittere Tränen.

Sanft strich Kutari ihm über den Rücken und Hori beruhigte sich etwas. Plötzlich wurde diesem klar, dass er splitternackt einen der höchsten Beamten des Reiches umklammerte. Ruckartig fuhr er hoch um mit einem Aufschrei des Schmerzes wieder zurückzusinken.

Erschöpft sank Hori auf sein Lager zurück und sah Kutari aus seinen grünen Augen an. Dann senkte er den Kopf und leise begann er zu erzählen.

„Es hat alles vor etwa zwei Jahren angefangen. Im Palast des Flusspferdes gab es immer häufiger abendliche Feste in großem Umfang. Dort wurde oft und lange gefeiert.“

Kutari kannte das Haus. Die zum Großen Haus gehörigen kleinen Paläste oder Stadthäuser waren jeweils einer Gottheit geweiht. Dieses hier trug ein Abbild der Nilpferdgöttin Ipet. Er würde den Obersten Verwalter der Häuser befragen müssen, wer dort wohnte.

„Sie verprassten ein Vermögen in Wein und Bier, in Tänzerinnen und Huren aus den Bordellen der ganzen Stadt. Irgendwann kamen auch ein paar Jungen aus den Bordellen hinzu.“

Kutari sah Hori erstaunt an. Ihm war nicht bewusst gewesen, das es in den Freudenhäusern der Stadt auch männliche Huren gab. Die Kultur des Landes war auf Kinder ausgerichtet als Vorsorge für die Eltern. Die Kinder waren es, die die Begräbnisriten der Eltern durchführten und ihnen so den Weg ins Jenseits garantierten. Man kannte zwar die Beziehungen zwischen Männern, doch die wurde als Verschwendung, als schädigend angesehen, weil sie kinderlos blieb.

„Anscheinend gab es großen Bedarf an jüngeren Männern, die sich einem anderen Mann hingaben, denn kurze Zeit später wurden einige Jungen aus dem Großen Haus angesprochen, ob sie nicht etwas verdienen wollten, wofür sie fast gar nichts zu tun brauchten.“

„Also wurdest du auch gefragt.“

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Hori hätte es nicht wissen können, wäre er nicht selbst dabei gewesen.

„Ja.“

Er sah hoch und seine Augen funkelten zornig.

„Was blieb mir übrig? Ich war schon fast 16 und meine Ausbildung als Schreiber war so gut wie abgeschlossen. Es gab keine Stelle für mich, den Sohn einer Frau, die nie verheiratet war, auch wenn sie im Palast lebt. Eine, die kein eigenes Vermögen hat, die auf die Gaben des göttlichen Pharao angewiesen ist. Und das Wenige, das sie dort erhält, reicht fast nicht mal für sie alleine.“

Hori senkte wieder seinen Blick. Die Röte schoss ihm bis in die Ohren.

„Ja, ich habe mich einem Mann hingegeben. Mehrere Male sogar. Jedes Mal erhielt ich einen bronzenen Ring oder eine Kette aus Kupfer im Wert von etwa zwei Kupferdeben.“

Kutari pfiff leise durch die Zähne. Das war eine reiche Entlohnung.

„Etwa nach einem Jahr wurde mir eine Nachricht zugesteckt. Man würde wissen, was ich so im Haus des Flusspferdes trieb. Wenn ich mich bei einem bestimmten Haus melden würde, könnte ich noch mal so viel verdienen. Die Aussicht war verlockend. Ich bin dort hin, aber es war alles nicht so, wie versprochen. Es waren hauptsächlich ältere Männer in irgendwelchen heruntergekommenen Häusern, irgendwo in der Stadt.“

Hori schüttelte sich.

„Vor etwa einem halben Jahr habe ich mich das erste Mal geweigert, weiterhin dort mitzumachen. Ich wurde des Abends von der Straße gezerrt, mir wurde ein Sack über den Kopf gezogen und ich wurde irgendwohin geschleppt. Dann spürte ich zum ersten Mal die Peitsche.“

„Weißt du von anderen Jungen, denen es genauso ergangen ist?“

„Nur von Monptah. Er musste wohl mitbekommen haben, dass ich genauso wie er dort arbeitete. Ich kannte ihn vorher gar nicht, doch er kam plötzlich auf mich zu und fragte mich, wie er da wieder rauskommen könnte. Wortlos hab ich ihm meinen Hintern gezeigt. Am Tag darauf war er spurlos verschwunden.“

Kutari schüttelte bedauernd den Kopf. Niemand durfte frei durch Khemet reisen ohne eine Erlaubnis. Mit Glück konnte er entkommen sein, doch Kutari befürchtete, dass er seinem Elend selbst ein Ende gesetzt hatte.

„Wer war es? Wer war der Mann mit der Peitsche?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe nur zwei Mal versucht meinem Schicksal zu entkommen, aber beide Male wurde ich spätestens nach einer Dekade zu dem Mann mit der Peitsche gezerrt. Beide Male war es der gleiche Mann. Er trug keinerlei Bekleidung, nur die Maske des Anubis!“

„Er war nackt mit einer Anubis-Maske?!“

„Ja, so eine, wie sie die Totenpriester tragen bei ihren Zeremonien.“

Kutari stöhnte auf. Die ganze Sache schien ja auf einmal ziemlich weite Kreise zu ziehen. Solche Masken waren nicht einfach irgendwo zu bekommen, sie gehörten zum Haus der Toten. Und dann nackt? Ein Sakrileg gegenüber dem Gott Anubis.

„Es kann kein Priester gewesen sein.“

Kutari sah Hori fragend an.

„Nun, Herr. Er war nicht rasiert.“

Unbewusst fuhr Hori mit einer Hand den Bauch hinab bis zu seinem flammend roten Haarbusch.

Kutari wusste, was er meinte. Priester rasierten sich aus Reinheitsgründen den gesamten Körper. Es war also jemand, der diese Maske nur als Tarnung benutzte.

Kutari benötigte unbedingt etwas, um seinen Kopf frei von den durcheinanderwirbelnden Gedanken zu bekommen. Laufen schien ihm eine gute Idee zu sein. Ihm fiel wieder ein, was ihm beim Anblick von Kanefer durch den Kopf geschossen war.

„Kanefer!“

Der Junge sah in den Raum hinein. Sein Blick blieb an der halb aufgerichteten Vorderseite von Hori hängen, dann drehte er sich mit roten Ohren zu Kutari.

„Ja, Herr.“

„Such Leutnant Imiuthetep und sag ihm, ich brauche einen von den Leinenschurzen der Wache für mich. Ach ja und auch einen für dich. Dann soll er zwei weitere Leute für meine Begleitung abteilen.“

Kanefer nickte und flitzte los. Hori hatte sich bei Kanefers Erscheinen schnell auf den Bauch gedreht, nun sah er wieder hoch.

„Ihr wollt in den Palast, Herr?“

„Noch nicht. Du bleibst erst einmal hier liegen. Wenn es dir recht ist, wird Hamadi sich erst einmal um dich kümmern. Dabei fällt mir ein, weißt du, ob Hamadi vielleicht auch…“

Hori lächelte schwach.

„Er weiß, worum es geht. Man hat ihn auch gefragt, aber er hat von vorneherein abgelehnt.“

„Sehr gut. Er wird sich um dich kümmern. Ich gebe Teremun Bescheid, dass du dein Essen hier nach oben bekommst.“

Als Kutari schon fast den Raum verlassen hatte, drehte er sich wieder um.

„Wer hat euch denn gefragt? Ihr wurdet doch nicht so einfach auf der Straße angesprochen?“

„Nein, Herr. Vom Haus des Flusspferdes hat mich einfach ein Schreiber nach der Schule angesprochen. Seinem Herren wäre mein ‚exotisches‘ Äußeres aufgefallen, ob ich nicht Interesse daran hätte, ein paar Herren zu unterhalten. Na, so in etwa. Erst habe ich nicht verstanden, was er wollte, doch dann wurde er eindeutiger und nachdem er von einer Bezahlung gesprochen hatte, bin ich halt hingegangen.“

„Und die andere Bande?“

„Von den anderen Leuten habe ich als erstes einen kleinen Fetzen Papyrus bekommen. Da gab es eine ganz eindeutige Beschreibung. So etwa, was ich davon halten würde, etwas dazu zu verdienen, genau wie im Haus des Flusspferdes. Es wäre sogar eine bessere Bezahlung garantiert als dort. Dann folgte eine Adresse. Falls ich etwas ausplaudern würde, würde Gott Sobek mich finden.“

„Und du bist zu der Adresse hingegangen?“

„Ja. Es war ein Haus auf dieser Seite des Flusses, dicht am Wasser. Dort wurden mir die Augen verbunden und ich wurde noch eine ganze Zeit durch die Stadt geführt. Am Ende wurde ich dann in ein Haus gebracht wo mich ein Mann erwartete, der mich entkleidete und dann…“

Hori fing an zu zittern, beruhigte sich aber wieder.

„Es war hart und brutal. Er war nicht gerade, ähh… nun ja, klein. Hätte ich es nicht vorher schon gemacht, hätte er mich wahrscheinlich schwer verletzt.“

Kutari sah Hori entsetzt an, aber der fuhr fort.

„Es dauerte eine Weile bis ich wieder hingehen konnte, doch ich habe es getan.“

„Du bist freiwillig dorthin zurück?! Moment mal, wohin bist du zurück?“

„Das Haus am Fluss. Tagsüber ist niemand da, aber nach Einbruch der Dunkelheit hält sich dort jemand in den Schatten verborgen und ihn kann man ansprechen und er gibt einen Tag und eine Zeit an.“

Ungläubig schüttelte Kutari den Kopf. Das alles passierte vor den Augen der Wachen und der Beamten dieser Stadt?

„Die Männer, mit denen du zusammen warst. Würdest du sie wiedererkennen?“

„Es war immer Abend und nur wenig beleuchtet, aber einen oder zwei würde ich wiedererkennen.“

Hori hatte seinen Kopf auf die verschränkten Arme gelegt und weinte stumm.


Als Kutari den Raum verließ, kam ihm schon Kanefer mit zwei türkisfarbenen Paketen und zwei Lederriemen unter dem Arm entgegen. Leutnant Imiuthetep kam kurz dahinter die Treppe hinauf.

„Ist etwas passiert? Braucht Ihr Unterstützung, Herr?“

„Nein. Ich gedenke nur, einen offiziellen Besuch zu machen. Ich habe mir überlegt, dass alle Mitglieder des Haushaltes, die mich bei offiziellen Missionen begleiten, den gleichen Leinenschurz tragen sollten. Ich fürchte, wir müssen noch etliche davon anfordern. Wir brauchen auf jeden Fall welche für Kanefer und Hori und Hamadi. Und für mich natürlich.“

„Jawohl, Herr, wird erledigt. Die Begleitung in Speer und Schild oder mit Bogen?“

Kutari überlegte kurz. Wenn er zu Fuß unterwegs war, konnten ihn die Menschen auf seinem Weg sehen, was ganz in seiner Absicht lag. Der Aufseher der Fragen des Pharao sollte nicht nur unter den Höflingen bekannt werden, sondern auch unter den einfachen Leuten.

„Zwei Mann mit Speer und Schild vor mir, zwei Mann mit Bogen hinter mir. Kanefer wird mich an meiner Seite begleiten.“

Leutnant Imiuthetep nickte und verschwand nach unten zu seinen Soldaten. Kutari wandte sich um zu Kanefer.

„So, dann wollen wir mal sehen, ob wir einen hohen Herren aus mir machen können.“

Einige Zeit später trat Kutari, dicht gefolgt von Kalofer, in den Vorhof, der den Haupteingang von der Vorhalle trennte. Die vier angeforderten Soldaten waren dort angetreten und erstarrten bei einem plötzlichen Befehl ihres Leutnants.

Kutari trug den türkisfarbenen Leinenschurz seiner Soldaten, dazu einen Ledergürtel, dessen Schnalle die Götter Seth und Maat zeigten. Auf seinem nackten Oberkörper trug er das große Amulett mit den farbigen Einlegearbeiten, das ihm der göttliche Pharao am gestrigen Abend überreicht hatte. Die breite goldene Kette lief über beide Schultern und hatte auf dem Rücken ein Gegengewicht zu dem schweren goldenen Amulett auf der Vorderseite.

An den Oberarmen trug Kutari die goldenen Armreifen mit jeweils einer Darstellung der beiden Götter, an den Unterarmen seine alten bronzenen Armreifen mit den Segenssprüchen des Gottes Amun. In der rechten Hand hielt er den Amtsstab, das Zeichen seiner Würde. An den Füßen trug er das einzige paar lederner Sandalen das er besaß, ein Zeichen seines hohen Standes.

Die einzige Kosmetik waren die mit schwarzem Khol umrandeten Augen. Die goldblonden Haare hatte Kanefer ausgiebig bürsten müssen und nun hingen sie an den Seiten glatt herab, fast bis auf die Schulter.

Kutari hob seinen Amtsstab und die beiden Soldaten mit Speer und Schild setzten sich in Bewegung. Rehema und Psusennes gingen etwa drei Schritte vor Kutari und hielten einen Abstand von zwei Schritten zueinander, so dass Kutari zwischen ihnen hindurch nach vorne sehen konnte. Kanefer hatte genaue Anweisungen erhalten, sich zwei Schritte schräg rechts hinter Kutari zu halten. Fünf bis sechs Schritte hinter Kutari kamen Sekani und Ngozi, die Bögen in der rechten Hand und die linke Hand am Chepesch.

Nicht wenige Leute am Wegesrand starrten die kleine Truppe erstaunt und auch neugierig an. Selten sah man einen so hochrangigen Beamten mit einem goldenen Amtsstab zu Fuß durch die Straßen von Theben gehen.

Noch vor dem Höchststand des Herren Re erreichte Kutari sein Ziel, das Haus des Lebens mit dem Tempel der Göttin Sachmet. Die Wachposten vor dem Zugang zum Innenhof des Tempels sahen sich nur fragend an, ließen die kleine Truppe aber passieren.

Der Innenhof war als kleiner Garten ausgestaltet, mit einigen Teichen und einer Anzahl unterschiedlichster Bäume und Büsche. Aus Richtung des Allerheiligsten kam langsam eine Frau die Stufen des Tempels herab. Sie trug ein langes, wallendes Gewand aus reinem weißen Leinen und ihre Brust bedeckte ein Pektoral aus Karneolen, darüber an einer goldenen Kette eine kleine Statue der löwenköpfigen Göttin.

Als sie näher kam, erkannte man, dass sie nicht mehr ganz jung war. Sie trug eine halblange, schwarze Perücke, doch ihr Gesicht war ungeschminkt bis auf die Umrandung der Augen.

Kutari hatte seine vier Wächter weggeschickt und ihnen bedeutet, vor dem Innenhof zu warten. Lediglich Kanefer stand noch schräg hinter ihm.

Die Frau blieb etwa drei Schritte vor Kutari stehen und sah zu ihm auf.

„Also hat der alte Mann es doch geschafft. Kutari, was führt dich hochmächtigen Mann zu einer alten Frau wie mir?“

Kutari lächelte, dann verbeugte er sich ehrerbietig.

„Ehrwürdige Nekhti, ich bin hier, um im Tempel der heiligen Sachmet eine Bitte an die Göttin vortragen zu dürfen.“

Die Frau musterte Kutari mit zusammengekniffenen Augen und lächelte säuerlich.

„Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass mir diese Bitte bestimmt nicht gefallen wird.“

Stirnrunzelnd betrachtete sie Kanefer, der sie unsicher von seiner Position hinter Kutari beobachtete.

„Und wer ist dieser schüchterne junge Mann?“

„Das ist Kanefer. Er ist mein Sklave, doch ich habe ihn mitgebracht, weil er ein Teil meiner Bitte ist.“

Die ehrwürdige Nekhti, Hohepriesterin der Sachmet und Aufseherin der Ärztinnen von Khemet sah Kutari eine ganze Zeit wortlos an, dann holte sie tief Luft.

„Nun gut. Ich hoffe für dich, dass du mir alles erklären kannst und dass du mir einen guten Grund dafür lieferst, dich nicht sofort vor die Mauern dieses Tempels zu verbannen.“

Kutari verbeugte sich noch einmal ehrerbietig, dann begann er zu erzählen. Während er von seinem Auftrag durch den Wesir berichtete, folgte er der Hohepriesterin, die langsam durch den Garten wandelte und an einer steinernen Bank stehen blieb. Die beiden hohen Herrschaften nahmen Platz, während Kanefer in einigem Abstand wartete.

„Er hat dich direkt in das größte Wespennest gestoßen, das in Theben existiert. Ich sehe deine Schwierigkeiten, aber was erwartest du von mir?“

„Ich benötige einen Arzt.“

Nekhti sah Kutari merkwürdig an.

„Wie bitte? Du hast selbst hier studiert und die Grundlagen der Medizin absolviert. Wozu benötigst du einen Arzt?“

„Um genau zu sein, benötige ich einen Wundarzt. Ich habe gestern feststellen müssen, dass es nicht einfach ist, einen zu bekommen und schon gar nicht ging es schnell. Ich habe bereits einen Patienten und ich möchte meine Leute immer versorgt wissen. Wir stehen vor unbekannten Gefahren und die jungen Soldaten sind nicht erfahren genug, ihre Köpfe und sonstigen Körperteile rechtzeitig in Deckung zu bringen.“

„Es ehrt dich, dass du an deine Leute denkst. Wenige Anführer verschwenden einen Gedanken an das Wohlbefinden ihrer Untergebenen, was uns viel Arbeit bereitet. Aber wie ich dich kenne, ist das noch nicht alles oder?“

Kutari sah ein wenig betreten zu Boden.

„Zudem sollte der Arzt vielleicht in der Lage sein, etwas über die Art einer Verletzung auszusagen, also, was sie verursacht hat. Oder vielleicht sogar bei einem, dessen Ka ihn bereits verlassen hat, zu sagen, was der Grund dafür war.“

„Du warst schon zu der Zeit deines Studiums hier sehr neugierig. Für die Toten sind die Priester des Anubis zuständig. Niemand aus diesem Haus…, doch nein, warte. Ich glaube, ich kenne jemanden, der für dich in Frage kommen könnte.“

Kutari blickte auf und sah die alte Frau lächeln.

„Geh zum Haus des Todes. Sprich mit Mennefer und sage ihm, ich habe dich geschickt. Dann frage nach Sekhet. Mennefer wird wissen, was zu tun ist.“

Dann blickte sie hinüber zu Kanefer.

„Und was ist mit ihm?“

„Zum Haus des Lebens gehören doch auch die Schreiberschule und das Archiv des Großen Hauses. Werden dort auch die Unterlagen über die Kriegsgefangenen und die Kriegsbeute aus den Feldzügen aufbewahrt, die als Sklaven an das Große Haus gefallen sind?“

„Selbstverständlich.“

Ihr Blick wanderte wieder hinüber zu Kanefer.

„Du willst etwas über ihn wissen?“

„Ja. Angeblich war er Kriegsbeute vor neun Jahren, doch irgendwie glaube ich das nicht. Seine Eintragung lautete angeblich: Scharma, männliches Kind, etwa sechs Jahre.“

„Eine Kriegsbeute vor neun Jahren? Hmmm, das war Tunip, richtig? Und dann sechs Jahre alt? Das wäre möglich, die Stadt wurde geschleift und danach werden die Einwohner entweder umgebracht oder zur Kriegsbeute. Ich werde jemanden daran setzen und dich informieren.“

Kutari stand auf und dankte der Hohepriesterin, dann winkte er Kanefer.

„Komm mit, wir haben einen weiteren Besuch vor uns.“


Einige Zeit später erreichte die kleine Gruppe das Haus des Todes, den Tempelbereich des Anubis. Auch hier ließen die Wachen sie anstandslos passieren.

Der Vorplatz des Tempels war bevölkert mit Bittstellern, ebenso die Halle des Wartens, wo die leuchtend weißen Wände mit kräftigen Farben bemalt waren und Szenen aus einem Leben im Jenseits darstellten. Einige Anubispriester kümmerten sich um die Besucher, die meist um eine Bestattung eines Angehörigen nachsuchten.

Kutari hatte es mit seiner Leibwache gerade bis vor das Hauptgebäude geschafft, als er Mennefer, den Hohepriester des Anubis schon die Stufen herunterkommen sah. Gefolgt wurde er von einem jungen Mann, ebenfalls in den Gewändern eines Priesters.

Der Hohepriester trug nur einen vielfach gefalteten Leinenschurz und auf der Brust das Amulett mit dem liegenden Hund. Er war, wie Kutari wusste, gerade einmal 40 Jahre alt, wirkte aber älter mit seinem kahl geschorenen Kopf.

„Kutari! Was führt dich zu mir? Ich hoffe, du musst nicht meine Dienste in Anspruch nehmen.“

„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich komme gerade vom Haus des Lebens und Nekhti hat mich zu dir geschickt.“

Der Hohepriester stutzte, dann entließ er seinen Begleiter mit einer Handbewegung. Kutari gab ebenfalls ein Zeichen, dass sich seine Begleitung zurückziehen durfte. Diesmal musste auch Kanefer zurückbleiben.

Mennefer führte seinen Besucher tiefer in den Tempel hinein. In einem kleinen Raum kurz vor dem Allerheiligsten bot er Kutari einen Sitzplatz an.

„Hier können wir reden. Hier gibt es auch keine großen Ohren.“

Fast unbewusst fuhr er der Figur des Anubis auf seiner Brust über die aufgerichteten Ohren.

„Sie hat gesagt, ich soll dich nach Sekhet fragen.“

„Oh, das ist es also. Nun, Sekhet wurde so etwas wie verbannt aus dem Haus des Lebens. Er hat eine Leiche geöffnet.“

Kutari hob die Augenbrauen. Der Körper eines Toten war heilig. Er sollte soweit wie möglich unbeschädigt in das Jenseits eingehen. Es war verboten, einen Körper noch mehr zu beschädigen als er ohnehin schon war. Dies war ausschließlich den Priestern des Anubis und ihren Helfern zum Zwecke der Vorbereitung für die letzte Reise gestattet.

„Aber warum denn das?“

„Es war wohl ein Bauer. Er hatte mit seinem Nachbarn Streit und der hat ihm mit der Axt in den Brustkorb gehauen. Im Haus des Lebens hat er noch eine Weile gelebt, dann ist er gestorben. Sekhet hat die Wunde erweitert um zu sehen, was im Inneren beschädigt worden war.“

„So ein Idiot. Das ist doch klar.“

„Dir vielleicht, denn du hast auch hier eine Zeit studiert, aber die Ärzte aus dem Haus des Lebens wissen nicht genau, wie die inneren Organe bei einem Menschen zusammenhängen. Sie studieren nur das Innere der Tiere.“

„Warum ist er jetzt hier?“

Mennefer lachte leise und schüttelte dann den Kopf.

„Ein Urteil des Obersten Richters. Er darf nicht wieder ins Haus des Lebens zurückkehren. Er muss mindestens ein Jahr im Haus des Todes arbeiten. Und er darf nichts von dem, was er dort oder hier gesehen hat, niederschreiben.“

„Ein merkwürdiges Urteil. Darf er als Arzt arbeiten?“

„Ja, dürfte er. Aber wer will schon einen Arzt, der im Haus des Todes gearbeitet hat?“

Kutari erklärte dem Hohepriester, wofür er einen Arzt benötigte.

„Die Götter scheinen einen feinen Sinn für Humor zu haben. Ich werde Sekhet rufen lassen.“

Mennefer klatschte in die Hände und der junge Mann von gerade eben erschien in der Tür.

„Lass Sekhet rufen und bring ihn her.“

Der Priester verbeugte sich und verschwand. Kurze Zeit später trat ein Mann durch die Tür, gekleidet in das knappe Lendentuch der Einbalsamierer. Kutari roch den Gestank nach Verwesung und Natron der dem Mann anhaftete.

„Du bist, Sekhet, ehemaliger Schüler des Hauses des Lebens?“

Der Mann musterte Kutari erstaunt und im Schein der Öllampen sah Kutari, dass ihn sein erster Eindruck getäuscht hatte. Durch die Geschichte hatte er sich Sekhet älter vorgestellt, doch der Mann vor ihm war höchstens 25 und sein nackter Körper glänzte vor Schweiß von der Arbeit. Die schwere körperliche Arbeit schien auch Auswirkungen auf seine Statur zu haben, denn Kutari hatten selten einen Arzt mit einer so ausgeprägten Muskulatur gesehen.

„Ich bin Sekhet, Einbalsamierer im Hause des Todes. Mein Leben als Arzt habe ich hinter mir gelassen. Die Götter haben meine Neugier gestraft.“

„Ich habe eine Aufgabe für dich, Sekhet. Die Göttin Maat wird über dich wachen und der Gott Seth wird dich begleiten wenn du einwilligst, dich weiterhin den Gesetzen Khemets zu unterwerfen.“

Sekhet blickte verwirrt von Kutari zu Mennefer.

„Was muss ich tun, Herr?“

Kutari erklärte ihm, was seine Aufgaben sein würden.

„…also zu erkennen, was zum Tod geführt hat. Es dürfen jedoch keine Leichen geöffnet oder sonst wie verändert werden.“

Sekhets dunkle Augen schienen zu leuchten, doch er senkte den Kopf.

„Ich bin an das Haus des Todes gebunden.“

„Nicht länger. Das Jahr ist bereits seit einiger Zeit um. Du hättest gehen können, wohin du wolltest.“

Sekhet verneigte sich vor dem Hohepriester und sah dann Kutari an.

„Ich bin bereit, euch zu folgen, Herr.“

Kutari verzog etwas die Nase.

„Geh dich reinigen. Verlasse den Tempel, wie du ihn betreten hast. Opfere dem Anubis für seine Wohltaten, dann komm heute Abend zu folgender Adresse.“

Kutari beschrieb ihm den Weg zu seinem Haus und entließ ihn. Danach erhob er sich und der Hohepriester folgte ihm.

„Ich bin dir zutiefst dankbar. Du hast eines meiner dringendsten Probleme gelöst.“

„Danke den Göttern. Ich wünsche dir Glück für deine Arbeit.“

Kutari verabschiedete sich von Mennefer und verließ das Haus des Todes mit neuem Ziel.


Vor dem Tempel der Maat ließ Kutari halten. Er winkte Kanefer, ihm zu folgen.

Drinnen hielt Kutari zielstrebig auf den Bereich der Notare in der Halle der Beiden Wahrheiten zu. Bei seinem Anblick verbeugten sich die Schreiber und Kutari beschlich immer noch ein unangenehmes Gefühl dabei. Gewöhne dich daran. Es wird noch schlimmer werden.

Der Vorsteher der Notare verbeugte sich kurz vor ihm.

„Was können wir für Euch tun, Herr?“

„Ich beabsichtige, einen Sklaven freizulassen.“

Der Schreiber sah ihn erstaunt an. Freilassungen waren recht selten. Eher schon erschien manchmal ein Sklave mit der erforderlichen Summe um sich freizukaufen.

„Ihr habt einen Nachweis über den Besitz, Herr?“

Kutari überreichte eine kleine Rolle. Der Schreiber riss die Augen auf, als er sie las.

„Ein Geschenk des göttlichen Pharao!“

„Gibt es da ein Problem?“

„Nein, Herr. Natürlich nicht, Herr.“

Nur kurze Zeit später erhielt Kutari den Nachweis darüber, dass ein gewisser Kanefer, Sklave des Aufsehers der Fragen des Pharao, aus dessen Eigentum entlassen wurde und nun ein freier Bürger des Reiches von Khemet war.

Kanefer hatte die ganze Zeit hinter Kutari gestanden aber nicht alles mitbekommen. Nur, dass es sich um ein Geschenk des Pharaos handelte, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, um was es sich handelte.

Am frühen Nachmittag war Kutari mit seiner Truppe wieder zu Hause. Der Verwalter und auch Leutnant Imiuthetep wurden über die erwartete Ankunft des Arztes informiert. Als Kutari in Horis Zimmer trat, fand er es leer vor, ebenso das von Hamadi.

„Imiuthetep! Wo sind Hori und Hamadi?“

Der Leutnant eilte herbei und sah Kutari erstaunt an.

„Sie folgen den Befehlen des Wesirs. Hori ist im Palast des Wesirs und Hamadi im Tempel der Maat.“

„Entschuldige, ich hab es vergessen.“

Aufseufzend ließ sich Kutari auf einen der Hocker in der großen Halle sinken. Mit wedelnden Armen bedeutete er Imiuthetep, sich ebenfalls zu setzen. Aus den Augenwinkeln sah er den Verwalter vorbeigehen und winkte ihn ebenfalls heran.

„Kanefer, bring einen Krug Wein und drei Becher.“

Die beiden jungen Männer ihm gegenüber sahen Kutari erstaunt an. Was bewog einen so hoch gestellten Herrn, plötzlich mit ihnen Wein zu trinken?

Als Kanefer den Wein und die Becher gebracht hatte, schickte Kutari ihn wieder weg. Er selbst füllte die Becher und gab einen Imiuthetep, den anderen Teremun.

„Wir trinken zum Gedenken an die Götter. Heute haben Maat und Seth über uns gewacht und Sachmet und Anubis haben uns geholfen.“

All drei nahmen einen kleinen Schluck.

Kutari berichtete von den Ereignissen des Tages. Dann sah er abwechselnd die beiden ihm gegenüber an.

„Ich brauche eure Hilfe. So, wie ich es mir gedacht habe, wird es nicht funktionieren. Ebenso glaube ich, dass auch die Hilfe des Wesirs uns nicht viel weiter bringen wird. Ich habe den Arzt zu uns geholt, weil ich einerseits jemanden brauche, der die Wunden versorgt, wenn es am dringendsten ist und andererseits jemand, der mir Antworten gibt, wo ich mit meiner Weisheit am Ende bin.“

Imiuthetep und Teremun sahen Kutari mehr als erstaunt an. Er saß vor ihnen und gab ihnen zu verstehen, dass er in Schwierigkeiten steckte.

„Imiuthetep. Ich muss mich auf die Soldaten verlassen können. Sind sie wirklich so fähig wie du sie mir beschrieben hast? Gibt es welche, die noch andere Fähigkeiten haben, weil sie vorher etwas anderes gelernt haben?“

„Teremun. Ist dieses Haus in der Lage, alle Bewohner ausreichend zu versorgen? Haben wir Vorräte, von denen wir längere Zeit zehren können? Stell dir vor, wir würden belagert werden, wie lange könnten wir ausharren? Wenn ich mit doppelt so vielen Leuten wiederkomme, als ich gegangen bin, können wir sie versorgen? Wenn wir jemanden verstecken müssten, wo könnte er unterkommen?“

Betroffen sahen sich die beiden Angesprochenen an.

„Ich brauche die Antworten nicht sofort. Doch morgen Abend werden wir uns wieder hier versammeln und dann werdet ihr mir berichten.“

„Ja, Herr.“

Die Antwort kam wie aus einem Mund und Kutari nickte zufrieden.

In der Vorhalle wurde es laut und Hamadi führte einen Mann herein, den Kutari erst nach längerem Hinsehen wiedererkannte. Sekhet war eingetroffen und verbeugte sich. Kutari wandte sich an Hamadi.

„Ist der Sohn des Seth auch wieder da?“

„Ja, Herr. Er ist gleichzeitig mit mir eingetroffen. Soll ich ihn rufen?“

„Nein. Ich muss erst etwas erledigen. Sag ihm, wir werden ihn später aufsuchen.“

Hamadi verschwand nach einer kurzen Verbeugung. Kutari überlegte, ob er an diesen laufenden Ehrerbietungen etwas ändern konnte, zumindest hier im Haus. Doch dann winkte er Sekhet, ihm zu folgen.

Draußen im Licht des Herren Re, der schon weit im Westen stand, musterte Kutari den Arzt genauer. Er war ziemlich groß für einen Einwohner Khemets und breit in den Schultern. Sein Kopf war kahl rasiert wie der eines Priesters, doch hier aus praktischen Gründen. Der Gestank aus dem Haus des Todes war aus Haaren fast nicht mehr heraus zu bekommen. Außer einem Leinenschurz trug er nur einen bronzenen Armreifen um das linke Handgelenk mit dem Abbild der Göttin Sachmet.

„Ich wollte Euch danken Herr, dass Ihr mir die Gelegenheit gebt, mit meinen Kenntnissen dienen zu können.“

„Freu dich nicht zu früh. Es könnte gefährlich werden. Du kennst dich hier nicht aus, aber du wirst die gleichen Aufgaben erhalten wie mein Leutnant und der Verwalter. Ich möchte bis morgen Abend wissen, ob dieses Haus in der Lage sein kann, mehrere verletzte Personen eine Zeitlang zu versorgen, ob wir Vorräte haben um medizinische Hilfe zu leisten, ob Arzneien vorhanden sind, Verbandsmaterial und Ausrüstung für einen Arzt. Stell dir vor, wir würden belagert, wo sollen die Verletzten versorgt werden? Du hast morgen den ganzen Tag Zeit, deine Gedanken dazu zusammenzufassen.“

Betroffen sah Sekhet Kutari an. Das war etwas ganz anderes, als er sich vorgestellt hatte, doch er nahm die Herausforderung an.

„Nun jedoch zu einer anderen Sache. Ich wurde heute mit der Nachforschung eines Falles betraut, auf den ich zufällig gestoßen bin…“

Kutari berichtete von den Informationen, die er von Hori bekommen hatte.

„Einige der Feste in den Palästen geraten schon mal außer Kontrolle, aber ein geheimer Zirkel, der sich Knaben bemächtigt? So etwas kann nur mit Unterstützung mächtiger Personen geschehen. Anscheinend werden wir wohl doch gefährlicher leben, als gedacht. Doch gestattet mir, Herr, ich möchte nach dem Jungen sehen.“

Kutari lächelte und ging voran.

„Sag bloß nicht Junge zu ihm.“


Hori lag wieder auf seiner Schlafmatte und hatte den Leinenschurz abgelegt. Etwas schläfrig sah er hoch, als die beiden Männer eintraten.

„Hori, dies ist Sekhet. Er ist Arzt und gehört jetzt zu unserem Haushalt. Er möchte sich gerne deine Verletzung ansehen.“

Hori erhob sich halb und errötete etwas, dennoch nahm er sein Lendentuch ab und legte sich wieder auf den Bauch.

Als sich Sekhet über ihn beugte, schnupperte Hori merklich und wollte etwas sagen, als Kutari ihn anfauchte.

„Vergiss es. Kein Wort. Sekhet ist Arzt aus dem Haus des Lebens und nichts anderes. Du hältst den Mund, wenn du dir nicht den Zorn eines bestimmten Gottes mit langen Ohren zuziehen willst.“

Hori riss die Augen auf und sah Kutari angstvoll an. Es gab nur zwei Götter die mit langen Ohren assoziiert wurden und genau an einen davon hatte er gedacht, als er an Sekhet den immer noch anhaftenden leichten Hauch von Natron gerochen hatte.

Kutari bedauerte seine harten Worte, beugte sich vor und gab Hori einen leichten Kuss auf die Stirn.

„Es ist gut. Er wird dir sicher einmal seine Geschichte erzählen, doch nicht jetzt.“

Weder Hori noch Kutari bemerkten den Blick und das leichte Lächeln, das Sekhet ihnen nach dem Kuss zugeworfen hatte.

Nach einem kurzen Blick auf Horis Verletzungen nickte Sekhet zustimmend, dann schnupperte er an dem Salbentiegel den der erste Arzt dagelassen hatte.

„Billiges Zeug, aber es erfüllt seinen Zweck. Hm, Kräutergarten vielleicht?“, murmelte er mehr zu sich selbst.

„Ich habe heute noch etwas zu erledigen, dazu möchte ich, dass alle Angehörigen des Haushaltes sich vor dem Garten versammeln.“

Hori legte seine Bekleidung wieder an und folgte den beiden Männern hinunter. Dort hatte Kutari bereits seine Anweisungen weitergegeben.

Im Garten waren die Soldaten in zwei Reihen angetreten. Daneben sammelten sich die Angehörigen des Haushalts, angeführt vom Verwalter.

Kutari stellte sich vor sie hin und musterte ein Augenblick lang die Anwesenden. Zehn Soldaten, mit den beiden vor dem Tor zwölf. Und fünfzehn Angehörige des Haushalts. Noch nie hatte er die Verantwortung für so viele Leute gehabt.

„Ich möchte ein Schreiben vorlesen, das ich heute im Haus der Beiden Wahrheiten besiegeln ließ.“

Alle sahen jetzt neugierig zu ihm herüber.

„Kanefer, Sklave des Kutari, Aufsehers der Fragen des Pharao, wird heute aus dessen Eigentum entlassen und ist ab sofort ein freier Bürger des Reiches von Khemet. Gegeben im einundfünfzigsten Jahr der Regierung des Mencheperre, allmächtiger Herrscher von Ober- und Unterägypten.“

Alle Blicke wandten sich jetzt Kanefer zu, der erst gar nicht registriert hatte, worum es hier ging. Als er seinen Namen hörte, brachte er ihn nicht in den richtigen Zusammenhang mit dem des Pharao am Ende der Urkunde.

„Kanefer, komm her zu mir.“

Als Kanefer langsam nach vorne zu Kutari ging, erfasste er den Inhalt dessen, was Kutari vorgelesen hatte. Zitternd stand er jetzt vor seinem ehemaligen Herrn und sah ihn traurig an.

„Nun, Kanefer. Du bist jetzt frei.“

Kanefer fing an zu weinen und es brach aus ihm hervor.

„Ihr wollt mich nicht mehr haben, Herr!“

Peinlich berührt sahen viele Angehörige des Haushalts zu Boden. Dies war die andere Seite des Papyrus, wenn Sklaven freigelassen wurden. Es gab viele, die sich nur für einige Zeit selber in die Sklaverei verkauft hatten und nach Ableistung nach Hause gehen konnten. Doch die meisten Kriegsgefangenen waren auf ewig Sklaven des Herrschers. Sie waren hier in der Fremde. Hunderte, ja manchmal tausende von Iteru von ihrer Heimat entfernt. Ließ man sie frei, wussten viele nicht, wohin sie gehen, oder was sie machen sollten.

Kanefer fühlte sich auf einmal verstoßen. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, dass ihm dieses Schicksal widerfuhr.

Kutari ließ die Urkunde sinken und sah Kanefer erstaunt an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Er nickte Imiuthetep und Teremun zu, so dass diese ihre Leute wieder an die Arbeit schickten. Kutari legte Kanefer zwei Finger unter das Kinn und hob seinen Kopf an.

„Wer sagt, dass ich dich nicht mehr haben will?“

„Aber ihr habt mich entlassen, Herr. Wohin soll ich gehen?“

Kutari lächelte jetzt leicht.

„Nun, du könntest dich zum Beispiel irgendwo als Diener bewerben.“

„Wer würde mich nehmen, Herr? Ich bin zu klein für mein Alter und ich habe noch lange nicht alles gelernt, was man dafür braucht.“

„Ich wüsste da eine Stelle. Teremun wird bestimmt einen Diener einstellen, wo ihm doch seit heute ein Sklave fehlt. Sprich mit ihm. Er wird dir sagen, was du ab heute zu tun hast und wie hoch dein Gehalt sein wird.“

„Wirklich, Herr?“

Kutari nickte und Kanefer strahlte. Kutari beugte sich vor und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn, wie zuvor bei Hori. Völlig aufgedreht rannte Kanefer los, den Verwalter zu suchen.

Sekhet löst sich von der Hauswand und trat zu Kutari.

„Ihr habt eine seltene Art, Euch der Begeisterung Eurer Leute zu versichern.“

Kutari musterte den Arzt, aber der stand entspannt vor ihm und lächelte leicht.

„Ich habe es lieber, wenn man mich mag, als wenn man mich hasst. Solche Leute enden oft mit einem Messer im Rücken.“

„Habt Ihr keine Angst, die Leute ringsum würden im Laufe der Zeit über Euch tuscheln?“

„Das tun einige jetzt schon. Ich glaube, ich beginne diesen Reiz des Außenseiters zu mögen.“


Am nächsten Morgen grübelte Kutari eine ganze Zeit darüber nach, wie er den ihm übertragenen Fall angehen sollte. Außer der etwas schwachen Aussage von Hori hatte er keine Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen. Ziellos wanderte er durch das Haus und stieg auf das Dach, um dann vor Hamadis Tür stehen zu bleiben. Drinnen waren Kanefer und Hamadi mit etwas beschäftigt, das er nicht genau erkennen konnte.

Kutari spähte durch die Türöffnung und sah den beiden Jungen zu, ohne dass sie ihn bemerkten. Kanefer stand rechts hinter Hamadi, der sich in die klassische Schreiberposition gehockt hatte und mit einem harten Griffel Zeichen in ein paar alte Tonscherben ritzte.

„Sieh her. Dies ist dein Name. Ka-Nefer. Schöner Stier. Zuerst das Zeichen für Ka, denn das heißt Stier. Das ist ganz einfach zu merken, denn man erkennt einen Stier. Dann das Zeichen für ‚schön sein‘. Dies soll ein Herz sein.“

Kanefer sah interessiert zu, als Hamadi ihm die Zeichen erklärte.

„Warum lachen einige bei meinem Namen? Ich finde ihn schön.“

Hamadi sah erstaunt auf. War Kanefer so unschuldig oder fehlte ihm die Verbindung zu der

Symbolik?

„Nun, man kann deinen Namen auch anders schreiben. Es gibt noch ein heiliges Zeichen für den Stier.“

Hamadi zeigte es ihm und Kanefer fing an zu stottern.

„Ist es das, was… was… ich…“

„Was glaubst du denn wohl, was das ist?“

Hamadi legte den Griffel beiseite und fuhr mit seinem Handrücken über die Vorderseite von Kanefers Leinenschurz.

Kanefer wurde prompt rot.

„Oh, ich habe mich schon gefragt…“

Kanefer unterbrach sich selber im Satz und sah Hamadi an.

„Sag, ist es wirklich so schön, wie alle erzählen?“

Hamadi wusste erst nicht, was er Kanefer sagen sollte, dann sah er hoch zu ihm. Er wollte eine lustige Bemerkung machen, doch dann sah er Kanefers traurige Augen.

„Du hast noch nie bei einer Frau gelegen?“

Kanefer schüttelte wortlos den Kopf.

„Und auch nicht bei einem Mann?“

Kanefer wurde wieder rot. Hamadi hatte einen Verdacht.

„Es hat sich dir jemand genähert?“

„Nun ja. Er hat mich öfter berührt, so wie du eben. Doch das war schon alles. Mehr hätte ihm ja auch nicht genutzt. Er sprach nur einmal davon, dass ich vielleicht im nächsten Schemu so weit wäre. Es ist vielleicht ganz gut, dass ich nicht so lange dort war.“

„Wieso hätte es ihm nichts genutzt?“

Kanefer deutete an seinem Körper ein paar Brüste an und Hamadi wusste, er meinte einen Eunuchen.

Kutari war inzwischen aufmerksam der Unterhaltung gefolgt und suchte eine Möglichkeit, mit Kanefer zu reden, ohne dass die beiden mitbekamen, dass er sie belauscht hatte. Doch Hamadi kam ihm zuvor.

„Du musst es dem Herrn erzählen. Es hat vielleicht mit dem Auftrag zu tun, den er erhalten hat.“

„Woher weißt du davon?“

„Im Tempel der Maat wird eine Menge getratscht.“

Soviel zum Thema Geheimhaltung, dachte Kutari

„Und Hori hat mir auch alles erzählt. Du hast doch auch etwas mitbekommen, als du ihn versorgt hast.“

„Ja. Aber es war so schrecklich. Hat er wirklich…, ich meine, sich wie eine Frau…?“

Hamadi zog den Kopf von Kanefer herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Kanefer zuckte zurück und wurde über und über rot.

„Das… das geht? Das muss doch wehtun?“

„Wahrscheinlich. Wenn du es genau wissen willst, frag Hori. Oder einen der Jungen aus den Freudenhäusern. Es gibt dort nicht nur Frauen, die sich wahllos den Männern hingeben gegen Bezahlung.“

„Ja, ich weiß. Einmal habe ich ganz kurz einen gesehen. Der Dicke hat ihm etwas zugesteckt und ihm zugeraunt, er könne jetzt wieder verschwinden in das Dreckloch von Freudenhaus, aus dem sie ihn geholt haben.“

Kutari hielt jetzt nichts mehr. Er räusperte sich und trat endgültig durch die Tür. Die Jungen fuhren auseinander wie ertappte Sünder.

„Wir haben Euch nicht bemerkt, Herr.“

„Das sehe ich. Ich muss Euch sagen, dass ich Euer Gespräch schon eine ganze Zeit verfolge.“

Jetzt wurden beide Jungen rot und Kanefer sah betreten zu Boden.

„Hamadi, geh und hole Hori, Leutnant Imiuthetep und Sekhet, den Arzt. Wir müssen etwas gemeinsam besprechen. Wir treffen uns draußen am Teich.“

Hamadi stand auf und verließ den Raum. Kanefer stand immer noch da mit gesenktem Kopf und wagte nicht, Kutari anzusehen.

„Was ist mit dir? Habe ich dir nicht beigebracht, mir in die Augen zu sehen?“

„Ja, Herr. Doch es ist so peinlich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, was ich fühle. Ich bin glücklich, wenn ich bei jemandem bin und bemerke auf einmal, das sich bei mir etwas rührt, was eigentlich gar nicht sein sollte.“

Kutari lächelte.

„Du wirst ein Mann. Sorge dich nicht. Hier in diesem Haus wird niemand schief angesehen, egal, mit wem er das Lager teilt.“

Kanefer sah Kutari erstaunt an, wofür er den Kopf ziemlich anheben musste. Dann, in einer impulsiven Reaktion umarmte Kanefer seinen Herren, drückte ihn kurz an sich und stürmte dann schnell aus dem Raum. Kutari sah ihm kopfschüttelnd nach.


Als Kutari im Garten ankam sah er, dass die Zwillinge fleißig bei der Arbeit waren. Der Teich war ausgeräumt und anscheinend vertieft worden. Eine Zulaufrinne führte jetzt vom Ziehbrunnen hierher und ein Überlauf mündete in einen der Bewässerungskanäle. Kutari winkte die Zwillinge zu sich. Ehrerbietig standen sie mit gesenkten Köpfen vor ihm. Kutari seufzte zum wiederholten Mal. Er musste dringend mit dem Verwalter sprechen.

„Wenn ich mit euch rede, seht mich an. Es nützt nichts, wenn ihr auf den Boden starrt und nachher nicht wisst, was ich wollte. Außerdem wird jeder seinen Namen sagen, bevor er redet.“

Zögernd sahen die beiden zu ihm auf.

„Was habt ihr bis jetzt getan und was soll noch werden?“

„Ptahor, Herr. Wir haben den Teich gereinigt. Dabei haben wir festgestellt, dass der Boden des Teichs mit Steinplatten belegt ist und an der Westseite führen Stufen hinab, die wir freigelegt haben.“

Kutari staunte. Also war es nicht nur ein Gartenteich sondern auch ein Reinigungsbad.

„Metufer, Herr. Wir haben deshalb den Teich nicht mehr mit Pflanzen versehen. Die wenigen Sträucher und Büsche, die überlebt haben, stehen alle auf dieser Seite des Teiches, genau wie die Dattelpalmen. Auch die Sykomoren, die den Weg vom Tor zum Haus säumen, haben alle überlebt.“

„Ptahor, Herr. Wir schlagen vor, vor dem Teich weitere Tamarisken zu setzen und vielleicht eine kleine Sitzecke zu gestalten. Mit ein paar Sykomoren könnte man dort ein schattiges Plätzchen schaffen…“

Sein Bruder begann hektische Zeichen zu machen. Anscheinend waren sie nicht ganz einer Meinung. Auch Kutari war überrascht.

„So, Ptahor. Du hast dich also vorgewagt auf das Gebiet der Landschaftsgärtnerei?“

Ptahor wurde blass und sein Bruder sah mit einem zu den Göttern flehenden Blick in den Himmel.

„Oh, nein, Herr. Ich würde niemals wagen, mich mit den großen Gärtnern zu vergleichen.“

„Das habe ich nicht gemeint. Wie bist du auf die Idee gekommen?“

Kutari ging in Richtung des Teiches und die Zwillinge mussten ihm wohl oder übel folgen. Ptahor zeigte auf die freigelegten Stufen des Teiches.

„Hier ist es ohnehin sehr sandig und trocken. Deshalb kam mir die Idee mit den Sitzbänken. Sie wären auch gleichzeitig Ablage für die Kleider, wenn jemand…“

Wieder verstummte er unter den Blicken seines Bruders.

„Lass ihn weiterreden, Metufer. Ich höre nur zu. Erst einmal.“

„Ptahor, Herr. Also, um ausreichenden Schatten zu haben, könnte man ringsherum einige Sykomoren setzen. Bis zur Außenmauer ist ausreichend Platz, auch wenn die Bäume älter werden.“

Kutari sah sich um. Die Idee hatte etwas. Ein Platz zum Baden, ein Platz zum Reden ohne fremde Ohren fürchten zu müssen. Ein Platz zum Entspannen.

„Was ist mit der Fläche jenseits des Teiches?“

„Metufer, Herr. Hier waren bisher Tamarisken, die aber alle abgestorben sind. Einen kleinen Teil hat auch Frau Meresanch als Gemüsegarten genutzt. Wir würden dort, wenn es gewünscht ist, einen Acker anlegen mit den am meisten benötigten Feldfrüchten. Dieser kann durch kleine Bewässerungsgräben versorgt werden, die vom Ziehbrunnen aus befüllt werden. Der Brunnen hätte eine ausreichende Menge Wasser.“

Kutari besah sich die Zwillinge näher. Wo er zunächst geglaubt hatte, sie wären identisch, bemerkte er jetzt winzige Unterschiede. Eine etwas andere Frisur, wobei beide den gleichen kurzen Haarschnitt trugen. Ein leichter Unterschied in der Statur, Metufer war anscheinend etwas muskulöser als sein Bruder. Und bei Ptahor entdeckte er eine kleine Narbe über der linken Brustwarze.

Auch schien Metufer mehr der klassische Ackerbauer zu sein, während Ptahor ein gewisses künstlerisches Geschick bewies.

„Lässt es sich machen, dass die Ackerfläche aufgeteilt wird? Wir werden etwa ein Achtel für Medizinische Kräuter und Heilpflanzen benötigen. Sekhet wir euch sagen können, was er benötigt.“

„Metufer, Herr. Selbstverständlich ist es möglich. Wir könnten für bestimmte Pflanzen sogar ein Schutzdach bauen, wenn nötig. Allerdings… es müsste jemand die Flächen dafür vermessen.“

Kutari wurde sich wieder einmal bewusst, dass er privilegiert war, da er lesen, schreiben und rechnen konnte. Die Jungen konnten zwar arbeiten, aber man musste ihnen zeigen wie.

„Natürlich, Hamadi wird kommen und die Vermessung machen. Und er wird euch beiden zeigen, wie die Flächen aufgeteilt werden, so dass ihr es selber könnt, wenn es notwendig sein sollte.“

Mit offenem Mund sahen die beiden Kutari an. Hier in diesem Haushalt schien so einiges anders zu sein, als sie es gewohnt waren.

„So, ihr geht jetzt zum Verwalter und erzählt ihm, was ihr mir gerade erzählt habt. Und sagt ihm, das alles so geschehen soll, wie ihr vorgeschlagen habt.“

Mit nun geschlossenem Mund, aber freudig glänzenden Augen machten sich die Zwillinge auf den Weg zum Verwalter.

Im Schatten der Außenmauer warteten inzwischen die Leute, die Kutari herbestellt hatte.

„Ich habe euch zusammenrufen lassen, weil ich gerne möchte, dass jeder von euch das gleiche Wissen hat, über das, was der Wesir befohlen hat und über das, was wir bisher erfahren haben.“

Kurz fasste Kutari zusammen, was er von Hori gehört hatte und was daraufhin der Wesir angeordnet hat. Dann kam die Geschichte von Kanefer dazu.

„Es ist so, dass ich zwar der Aufseher der Fragen des Pharao bin, doch wie der Name Aufseher sagt, muss es auch jemanden geben, der beaufsichtigt wird. Ihr, die ihr hier steht, werdet meine Augen und Ohren sein. Ich werde euch mit Aufträgen versehen und ihr werdet sie ausführen. Ich werde Fragen stellen und ihr werdet für Antworten sorgen.“

„Ich etwa auch, Herr?“

„Ja, du auch Kanefer. Was glaubst du, mit wem wird ein Diener eher vertraulich sprechen? Mit einem hohen Herren oder einem anderen Diener?“

Kanefer sah erst etwas nachdenklich aus, dann schien er zu verstehen.

„Kanefer, du hast uns nur eines nicht gesagt. Wer war der Mann, der den Jungen aus dem Freudenhaus bezahlt hat?“

Kanefer zögerte, dann flüsterte er

„Nefoy.“

„Was? Nefoy, der Oberster Schreiber der Geheimen Kammer des Wesirs von Ober- und Unterägypten?“

Kutari atmete hörbar aus.

„Das wird dann wohl um einiges schwieriger als ich dachte.“

„Hori, könnte der Mann mit der Peitsche Nefoy gewesen sein?“

Kutari beschrieb ihm kurz Nefoy und schon nach den ersten Sätzen schüttelte Hori den Kopf.

„Nein. Wie gesagt, er war nackt, bis auf die Maske. Er war nicht gerade groß, wohl kaum größer als ich, aber viel kräftiger.“

Hori überlegte kurz.

„Etwa fast so, wie der nubische Soldat, Ngozi, glaube ich. Und er benutzte die Peitsche sehr geschickt.“

Sekhet nickte.

„Ja. Sonst hätte er dir den ganzen Rücken aufgerissen und das wäre aufgefallen. Hat er nichts gesprochen? Keine Bemerkungen? Keine Flüche?“

Hori schüttelte den Kopf, doch dann stutzte er.

„Doch, beim zweiten Mal hat er etwas gezischt, das ich nicht verstanden habe. Es klang so ähnlich wie: kuwas.“

Hori sah fragend in die Runde, bis Kanefer kicherte.

„Das ist hethitisch und heißt Hund.“

Plötzlich befand sich Kanefer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

„Was denn? Ich habe bereits gesagt, ich war eine Kriegsbeute. Man hat mich aus meinem Dorf gerissen und der langen Karawane hinzugefügt, die nach Khemet gezogen ist. Noch kann ich hethitisch, auch wenn ich es lange nicht mehr gesprochen habe.“

Nach einem kurzen Blick auf den Boden fügte er hinzu: „Na ja, eigentlich ist es den Sklaven verboten, aber wenn wir alleine waren, haben wir manchmal doch noch hethitisch miteinander gesprochen.“

Kutari bedachte Kanefer mit einem merkwürdigen Blick, kommentierte seine letzte Aussage aber nicht.

„Wir suchen also jemanden der hethitisch spricht und mit einer Peitsche umgehen kann. Was ist eigentlich mit dem Jungen, den Nefoy bezahlt hat. Würdest du ihn wiedererkennen?“

„Ich glaube schon. Für einen Jungen war er recht hübsch…“

Kanefer verstummte, als er merkte, was er gerade gesagt hatte. Hori und Hamadi sahen sich grinsend an.

„Sonst würde er ja nicht ausgewählt worden sein. Die Frage ist, wo kommt er her? Was weiß er? Und würde er uns überhaupt helfen?“

Leutnant Imiuthetep kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„Diese Stadt hat jede Menge Freudenhäuser und ich wette, nicht wenige haben auch Jungen anzubieten. Viele der ausländischen Besucher haben einen, hm… ausgefallenen Geschmack. Es dürfte nicht einfach sein, ihn zu finden.“

„Sekhet, du fängst morgen Abend an und ziehst mit Kanefer durch die Freudenhäuser. Ihr fangt mit dem an, das dem Palast des Wesirs am nächsten gelegen ist. Du erzählst am besten, du möchtest deinem kleinen Bruder etwas Gutes tun oder so etwas.“

Sekhet nickt und grinste Kanefer an, der bei dem Gedanken, in ein Freudenhaus gehen zu müssen, rot angelaufen war.

„Gut, das war es dann erst einmal. Hamadi, ich habe noch eine andere Aufgabe für dich.“

Kurz erklärte Kutari seinem Schreiber, welche Vorschläge die Zwillinge gemacht hatten und wie sie sich den Garten vorstellten.

„Ich möchte, dass du zusammen mit den beiden den kompletten Garten vermisst, eine entsprechende Einteilung der Feldflächen vornimmst und es ihnen auch erklärst, wie du es machst.“

„Sie sollen lernen, wie man Felder vermisst? Es sind doch nur Bauern.“

„Ja. Und wer warst du, bevor du Schreiber wurdest? Der Sohn eines Töpfers?“

Aufgeschreckt hob Hamadi den Kopf und sah Kutari an. Dann senkte er den Kopf und murmelte

„Ja, Herr. Ich bin der Sohn eines Töpfers. Wir haben so viele Lobpreisungen auf den Beruf des Schreibers gehört, dass wir selber daran glauben. Ich weiß, was ihr sagen wollt. Ich habe die Möglichkeit gehabt, etwas zu werden, die beiden nicht.“

„Es ist gut, dass du es selber siehst. Deine Position, so gering sie jetzt auch noch sein mag, erfordert Verantwortung. Nicht nur für die Ausübung der Tätigkeit, sondern auch für das Wohlergehen deiner Untergebenen. Sie sind auf dich angewiesen und sie vertrauen dir.“

„Ja, Herr. Ich werde mich um die Zwillinge kümmern. Vielleicht fällt uns zusammen ja auch noch etwas Neues ein.“

Genau wie bei Kanefer zuvor hob Kutari Hamadis Kopf an, beugte sich vor und gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn.

Hamadis braune Augen musterten ihn erstaunt, doch dann lächelte er.

„Danke, Herr.“


Am Abend saß Kutari zusammen mit Sekhet, Imiuthetep und Teremun wieder bei einem Krug Wein. Diesmal saß Hori rechts neben Kutari auf einem Kissen und hatte seine Schreibutensilien vorbereitet.

„Ich habe euch jeweils eine Aufgabe gestellt. Lasst hören, was das Ergebnis ist.“

Aufmunternd nickte er Teremun zu. Dieser nahm eine kleine Steintafel zur Hilfe auf der er sich Notizen gemacht hatte.

„Es ist schwierig, Herr. Die Lebensmittel, die wir jetzt haben, reichen gerade mal einen Monat. Dann bekommen wir eine neue Zuteilung aus dem Lager des Großen Hauses. Doch nur für die Personen, die offiziell zum Großen Haus gehören. Alle, die Ihr selber eingestellt habt, so wie mich und Kanefer, müsst Ihr aus eigener Tasche bezahlen. Die Soldaten bekommen ihre Rationen aus dem Lagerbestand der Armee.“

Kutari nickte Hori zu, der fleißig mitschrieb.

„Die Lagermöglichkeiten hier im Haus sind erheblich größer als unser Bestand. Wir könnten Lebensmittel für ein halbes Jahr hier lagern. Wenn mehr Leute kommen, können wir sie natürlich versorgen, die Vorräte würden dann aber entsprechend schnell schrumpfen.“

„Was ist mit unseren Dattelpalmen und den Sykomoren?“

„Die Datteln sind noch nicht reif. Die zu erwartende Ernte wird wohl reichhaltig ausfallen aber wir können nicht alle gebrauchen. Der Verkauf bringt nur geringe Einnahmen. Bei den Sykomoren ist das anders. Wenn wir die Früchte so verkaufen wie wir sie ernten, bringen sie recht wenig, aber ein Heilkundiger könnte aus dem Milchsaft und den Früchten ein fertiges Heilmittel herstellen, das erheblich mehr einbringt.“

Kutari sah Sekhet an, der zustimmend nickte.

„Darauf möchte ich gleich zurückkommen.“

„Was den letzten Punkt anbelangt, muss ich passen. Wir können hier niemanden verstecken. Die Gebäude sind für ein Versteck ungeeignet, ebenso der Garten. Wenn ich jemanden verstecken wollte, würde ich es öffentlich tun.“

Teremun sah sich von fragenden Blicken umringt.

„Nun, wenn Beispielsweise ein Kind gesucht würde, von dem man nicht ganz genau weiß, wie es aussieht, so würde ich es draußen zusammen mit den anderen spielen lassen. Genau wie einen Mann, der gesucht wird. Mit Lendentuch und Hacke zwischen den anderen Bauern, verschwendet kein Schreiber einen Blick auf ihn.“

Kutari sah Teremun erstaunt an. Der Gedanke wäre ihm nie gekommen, aber jetzt wusste er sogar, wonach er in einem solchen Fall suchen müsste.

„Ich danke dir, Teremun. Das waren wertvolle Auskünfte und ich werde sie in meinen Überlegungen berücksichtigen.“

Als Nächsten wandte sich Kutari an Imiuthetep. Dieser sah etwas bedrückt aus, aber er straffte sich und begann zu berichten.

„Ich habe mit Feldwebel Chepren gesprochen. Die Soldaten sind erst vor wenigen Monaten aus der Grundausbildung gekommen. Dort haben sie gute Leistungen gezeigt und wurden unserem Regiment zugeteilt. Unser Auswahlverfahren war sehr schnell, aber wir haben wohl die Besten erwischt, die dabei waren. Sie sind jung und begeisterungsfähig. Bei einigen fehlt noch der letzte Schliff an ihren Fertigkeiten, aber alle sind als Bogenschützen ausgebildet und darin auch sehr treffsicher.“

Kutari fragte sich gerade, was der Leutnant ihm eigentlich sagen wollte, als der auch schon fortfuhr.

„Als Infanteristen im Nahkampf fehlt die Erfahrung. Bis auf zwei Ausnahmen würde ich keinen gegen einen erfahrenen Gegner direkt antreten lassen.“

„Einer ist geschickt genug mit dem Chepesch um gegen einen Feind zu bestehen. Den Rest würde ich lieber aus der Entfernung angreifen lassen.“

Kutari fand das Ergebnis mehr als ernüchternd. Als Wache sahen sie gut aus, aber zum Kampf waren sie nur bedingt geeignet.

„Ich wollte Euch fragen, Herr, ob wir einen Platz zugeteilt bekommen können für unsere Waffenübungen.“

„Selbstverständlich. Es scheint ja ein großer Bedarf an Übung zu herrschen. Hori, mach eine Notiz für Hamadi für die Vermessung.“

„Was nun Eure andere Frage betrifft, Herr. Eure Soldaten hatten vorher sehr unterschiedliche Berufe oder Beschäftigungen. Wir hätten da drei Bauern, einen Steinbrecher, einen Vogeljäger, einen Jagdgehilfen, einen Schilfschneider, einen Fischer, einen Ruderer und einen - Tänzer.“

„Einen Tänzer? Wer ist es?“

Hori grinste.

„Sekani.“

„Woher weißt du das?“

„Er ist der einzige, der dafür in Frage kommt. Habt Ihr einmal gesehen, wie er sich bewegt? Er ist so elegant, als sei er der Bastet geweiht.“

„Wie auch immer. Auf Anhieb könnte ich nicht sagen, ob wir jemanden gebrauchen können mit diesen Fähigkeiten… Wer von ihnen kommt aus dem Delta und wer aus dem Süden?“

Imiuthetep dachte kurz nach.

„Direkt aus dem Süden sind nur Ngozi und ich. Aus dem Delta sind Amani, Userhet und Mensah.“

„Ich überlasse es dir, die Ausbildung so weit voran zu treiben, dass wir eine kampfstarke Truppe haben werden. Und nun zu dir Sekhet.“

Sekhet räusperte sich, schloss kurz die Augen und fing an aufzuzählen.

„Es gibt in diesem Haus keine nennenswerten medizinischen Vorräte. Es gibt weder Instrumente für einen Arzt, noch irgendwelche Arzneien. Auch Verbandmaterial ist nicht vorhanden, abgesehen vielleicht von Leinentüchern. Wir könnten hier nicht einen einzigen Patienten so versorgen, wie es sich gehört. Für den Fall, dass wir belagert würden, würde ich das Haus im Garten in ein Lazarett umwandeln. Die Soldaten wären ja dann wahrscheinlich sowieso draußen. Dort könnte man in den Räumen wohl einen Behandlungsraum und fünf Räume für Patienten einrichten, also 10 bis 15 Plätze. Dazu würden wir natürlich die ausreichende Menge von Material benötigen.“

Kutari nickte. Genau das, was er vermutet hatte.

„Ich hätte dann noch eine Bemerkung zu dem Kräutergarten und den Sykomoren. Einer dieser Zwillinge hat mich angesprochen, wegen des Anbaus von Heilpflanzen. Ich habe Hamadi eine Liste gegeben, was hier in Frage kommt. Die Menge sollte mehr als ausreichend sein. Wenn es gewünscht wird, können wir aus den Sykomoren eine größere Menge Arznei gewinnen, die sich dann verkaufen ließe. Die Zubereitung ist zwar aufwändig, aber bei der Anzahl Sykomoren die ich gesehen habe, könnte das etwa eine Menge von 8 hin ergeben. Das wären dann 256 ro. Jedes ro zu einem Kupferdeben. Das wären dann hm… etwa 21 Deben Gold.“

Kutaris Augenbrauen ruckten erstaunt in die Höhe. Dann wandte er sich an Teremun.

„Wieviel bringen die Datteln?“

„Wenn wir alle verkaufen sind das etwa 280 hekat, je hekat ein halber Kupferdeben sind 130 Kupferdeben oder knapp 11 Deben Gold. Dazu muss gesagt werden, dass Datteln nur alle zwei Jahre geerntet werden können.“

„Das ist bis zum Ende des Schemu also ein Wert von etwa 32 Deben Gold. Und wir sind hier nur in einem Stadthaus, nicht zu vergleichen mit einem Landgut.“

„Darf ich fragen, Herr, wie man Euch bezahlt? Möglicherweise brauchen wir dann doch den Lagerplatz.“

Kutari sah Teremun verwirrt an.

„Ich wurde eingestuft als Oberster Verwalter, warum?“

„Es ist etwas kompliziert. Alle Häuser, die dem Palast gehören werden dem Verwalter der Häuser zugeteilt und er vergibt die einzelnen Häuser auf Anordnung unseres göttlichen Herrschers oder des Wesirs. Diese Häuser, die dem Großen Haus gehören, werden auch durch das Große Haus versorgt. Also, Nahrungsmittel für das Personal oder Ausbesserungsarbeiten am Haus werden gestellt. Zu diesem Haus gehören aber nur die beiden Alten, Ayam und Meresanch. Ihr hingegen seid ein Beamter unseres göttlichen Herrschers und bezieht ein eigenes Gehalt in Form von Getreide, Bier und sonstigen Lebensmitteln, das monatlich angeliefert wird. Als Oberster Verwalter werden euch Waren geliefert im Werte von 250 Deben Gold. Davon müsst Ihr Eure persönlichen Angestellten bezahlen. Das sind alle, außer den beiden Alten und den Soldaten. Die bekommen ihre Zuteilungen weiterhin von der Armee.“

„Was? Waren für 250 Deben Gold im Jahr?“

Teremun sah betreten zu Boden.

„Nein, Herr. 250 Deben Gold im Monat!“

Kutari sah Teremun mit erschreckt aufgerissenen Augen an.

„Im Monat!?“

„Ja, Herr. Bei einem Beamten Eures Ranges geht man davon aus, dass er einen erheblich größeren Haushalt hat und Gäste bewirtet und Feste veranstaltet. Es wird erwartet, dass Ihr Schmuck tragt und edle Gewänder, vielleicht einen Streitwagen führt.“

Kutari schüttelte sich.

„Das wird natürlich alles nicht stattfinden. Möglicherweise werden wir die Ausstattung der Soldaten und auch meiner Begleiter ein wenig verändern.“


Der nächste Morgen brachte etliche kleine Änderungen im Tagesablauf des Hauses. Teremun lief von Lagerraum zu Lagerraum, von Silo zu Silo, immer dicht gefolgt von Thotmes.

Hamadi hatte in Absprache mit Feldwebel Chepren ein Areal zwischen den Dattelpalmen abgesteckt, wo Kampfübungen abgehalten werden konnten. Kutari hatte sich entschlossen, den Teich als Reinigungsbad zu verwenden. In Begleitung von Kanefer hatte er das Bad betreten und sein Diener schrubbte gerade fleißig seinen Rücken, als Hamadi und Hori am Rande des Teiches auftauchten.

Sie verbeugten sich leicht und Kutari sah sie fragend an.

„Wir wollten fragen, Herr ob wir auch das Bad benutzen dürfen.“

Kutari überlegte kurz. Der ehemalige Teich war groß genug, fast dass man darin schwimmen konnte und ein Wasserzulauf bestand auch, es sprach also nichts dagegen.

„Natürlich. Ihr könnt gerne hereinkommen.“

Kanefers Augen waren die ganze Zeit auf Hori fixiert, als dieser sich auszog und die Treppe herunter kam. Dicht dahinter folgte auch Hamadi. Hamadi tauchte erst ganz unter, während Hori im flachen Wasser stehen blieb. Dort langte Hori nach der Pflanzenasche, doch Kanefer schnappte sie ihm weg und fing an, ihn mit Wasser zu begießen und ihm dann den Rücken abzureiben. Vorsichtig vermied Kanefer jeden Kontakt mit Horis Hinterteil. Kutari und Hamadi sahen amüsiert zu, wie sich Kanefer langsam um Hori herumarbeitete und dieser immer nervöser wurde. Da beide in dem flachem Wasser standen, sah man Horis eindeutige Reaktion auf Kanefers arbeitende Hände. Erst als Hori zugriff und Kanefer festhielt, fiel dessen Blick nach unten. Sowohl Hori als auch Kanefer liefen knallrot an. Hori blickte an Kanefer herab und erkannte nun auch, dass dessen Name in allen Einzelheiten der Wahrheit entsprach und, dass der Stier kampfbereit war.

Kutari ergriff eine zweite Schale mit Asche und begann Hamadi zu reinigen. Der bedachte ihn erst mit einem überraschten Blick, aber dann ließ er sich wohltuend abseifen. Hori und Kanefer standen sich immer noch wie erstarrt gegenüber und Kutari machte Hamadi ein Zeichen, das Wasser zu verlassen. Hamadi watete langsam zur Treppe und stieg hinauf. Als er sich umdrehte, sah er Kutari, der ihm folgte. Auch bei ihnen beiden war der Anblick von Hori und Kanefer nicht ohne Folgen geblieben. Hamadi bewunderte den Körper seines Herrn und ihm blieben auch nicht die Blicke verborgen mit denen Kutari ihn bedachte. Rasch half er Kutari beim Abtrocknen und dann legte er ihm den Leinenschurz an. Kurz darauf war er auch selber wieder bekleidet. Als sie den Platz vor dem Teich verließen, sahen sie Hori und Kanefer, die jetzt eng umschlungen immer noch im flachen Wasser standen.

Die Zwillinge waren seit Sonnenaufgang damit beschäftigt, die Bewässerungsgräben für die geplanten Felder zu ziehen. Neugierig spähten sie kurz hinüber zum Teich. Ptahor seufzte.

„Er ist tatsächlich wunderschön.“

„Was? Wer?“

„Der Herr. Die helle Haut und die Haare, wie der Weizen auf den Feldern.“

„Ich dachte schon, du meinst Kanefer.“

„Das ist etwas ganz anderes. Er ist noch ein bisschen jung. Stell dir vor, in zwei oder drei Jahren…“

Metufer verdrehte die Augen.

„Es reicht, wenn du dir das vorstellst. Lass die Finger von ihm. Schlimm genug, dass du mit Sinuhe erwischt worden bist. Weißt du eigentlich, dass Vater ursprünglich vorhatte, unsere Schwester Tamit zu verpfänden?“

„Was? Aber warum… Du meinst, nur weil ich…“

„Ja. Einige Nachbarn haben wohl mit ihm gesprochen.“

„Aber wenn es um mich ging, warum bist du dann hier? Er hatte doch schon ein Mädchen für dich ausgesucht.“

Metufer sah seinen Bruder mit einem unbestimmbaren Gesichtsausdruck an.

„Weil ich dein Bruder bin. Ich bin du und du bist ich. Ich mag dich eben. Außerdem muss doch jemand auf dich aufpassen.“

Ptahor sah seinen Bruder an, dann näherte er sich blitzschnell und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich mag dich auch.“

Metufer streckte ihm die Zunge heraus.

„Blödmann. Los, weiterarbeiten.“


Kutari saß auf der Terrasse im Schatten und grübelte darüber nach, was er sonst noch erledigen konnte oder wen er sonst noch fragen konnte. Er sah auf einen kleinen Papyrus auf dem er sich Notizen über seinen Fall gemacht hatte und auch Gedanken notiert hatte, die ihm irgendwann durch den Kopf geschossen waren. Leise pfeifend machte er sich mit seiner Eskorte auf den Weg zum Großen Haus.

Hamadi brütete über der Zusammenfassung der 40 Schriftrollen der Gesetze Khemets. Sie bestanden hauptsächlich aus Präzedenzfällen, die ein Anhaltspunkt für den jeweiligen Richter sein sollten. Kläger oder Beklagte hatten keinen Anspruch auf festgeschriebene Gesetze, auf die sie sich berufen konnten.

Hori versuchte sich abzulenken. Er übte die heiligen Zeichen, doch mit wenig Erfolg. Immer wieder schob sich die Szene aus dem Teich vor sein geistiges Auge. Die schlanke Gestalt Kanefers mit den braunen Augen und der Stupsnase. Ihm fiel nur ein Wort für ihn ein und das war: niedlich. Wie konnte ein Junge niedlich sein?

Als er seine Sitzposition veränderte, durchfuhr ihn trotz des Kissens ein kurzer Schmerz. Das war etwas ganz anderes. Er hatte aufhören wollen, auch wenn er den Lohn dringend benötigt hätte. Wenn er ehrlich zu sich selber war, war es nicht die Abneigung die ihn aufhören ließ, sondern weil er spürte, dass er es mochte. Er hatte Angst vor sich selber.

Hori musste nochmals seine Sitzposition ändern, als er wieder an Kanefer dachte. Der Junge trieb ihm die Röte ins Gesicht und nicht nur dorthin schoss das Blut. Die Reihe Wachtelküken auf dem Übungsbrett sahen immer mehr aus wie eine Reihe verhungerter Enten.

Kanefer hatte es endlich geschafft und er verbrachte den Tag im Palast des Wesirs, wo der Haushofmeister ihm eine Einweisung in den Umgang mit hohen Würdenträgern und in die Grundlagen des höfischen Protokolls gab.

Kanefer schwirrten die Gedanken frei im Kopf umher, so prasselten die Worte auf ihn ein, die er nie zuvor gehört hatte. Da er nicht lesen oder schreiben konnte, musste er alle Informationen die er bekam, auswendig lernen.

Sekhet war den ganzen Tag unterwegs, hörte sich um und besorgte für den Abend einige alte Bekleidungsstücke. Für sich einen grauen Leinenschurz, Kanefer würde nur im Lendentuch gehen.

Die Zwillinge hatten Kanefer dann am frühen Abend mit auf den Acker genommen, ihn mit Erde beschmiert und am Brunnen oberflächlich gereinigt. Seine dunkelbraunen Haare hatten sie mit Ruß schwarz gefärbt. Sie hatten ihn sogar mit den Händen in der Erde graben lassen, damit noch Dreck unter seinen Fingernägeln war.

„So sieht in etwa jemand aus, der den ganzen Tag draußen war und wenig Wasser zur Verfügung hat. So, du tauscht jetzt noch das Tuch, dann können wir das auch noch eine wenig ‚hübsch‘ machen.“

Damit wies Ptahor auf Kanefers noch einigermaßen sauberes Lendentuch. Zögernd legte der Junge das Tuch ab und Ptahor band ihm das um, welches Sekhet besorgt hatte. Leicht angeekelt starrte Kanefer an sich herab.

„Keine Angst. Wenn du wiederkommst, werden wir dich gerne ausgiebig reinigen.“

Metufer sah seinen Bruder kopfschüttelnd an und auch Kanefer sah ihn erstaunt an. Wollte Ptahor damit irgendetwas andeuten?

Alle drei zuckten zusammen, als ein fremder Mann lautstark um die Ecke des Hauses kam. Erst nach einer Weile erkannten sie Sekhet. Er trug nichts als einen alten, grauen Leinenschurz, mehrfach geflickt und von einem dünnen Seil über den Hüften gehalten. Seine Beine starrten vor Dreck und auf dem Kopf trug er eine alte Perücke, deren Haare schon sehr zerrupft aussahen und in alle Richtungen auseinanderstanden.

Mit leicht schwankendem Schritt kam er auf die drei Jungen zu und musterte Kanefer. Immer noch leicht schwankend umkreiste Sekhet seinen Begleiter für den heutigen Abend und rülpste einmal laut. Kanefer roch den Gestank von Bier und Knoblauch.

Sekhet richtete sich auf und sah die Zwillinge an.

„Gute Arbeit. Wir werden sehen, ob man uns die armen Bettler abnimmt. Geht hinüber in die Küche. Senmut der Bäcker hat noch etwas für euch.“

In freudiger Erwartung auf etwas Süßes zogen die beiden los.

Sekhet sah Kanefer ernst an.

„Du weißt, worauf es ankommt? Wir sollen uns hauptsächlich nur umsehen. Wenn wir Glück haben, sehen wir den jungen Mann, den du schon einmal getroffen hast. Ansonsten können wir nur beobachten und vielleicht feststellen, ob zwischen den Frauen auch ein paar Knaben versteckt sind.“

Kanefer nickte ergeben. Er hörte die Anweisungen jetzt schon zum dritten Mal.

„Du weißt, dass du möglicherweise alleine zu den Frauen musst. Sich ihnen vielleicht sogar nähern, um…“

Sekhet hob etwas hilflos die Arme und Kanefer sah ihn mit großen Augen an. Davon war bis jetzt nicht die Rede gewesen.

„Du weißt, was du dann dort tun musst?“

Kanefer lief tiefrot an und nickte tapfer.

„Dann ist ja alles gut. Jetzt müssen wir nur noch so auffällig wie möglich hier herauskommen. In dem Aufzug können wir kaum durch den Haupteingang spazieren.“

Über die Höfe der Küche gelangten sie zu den Getreidesilos, dann zu einer kleinen Pforte. Sie war der Eingang der Dienerschaft und für die Warenanlieferungen gedacht. Tagsüber stand sie offen, nachts war sie verriegelt. Als sie die Pforte erreicht hatten, sah Kanefer dort Teremun und Thotmes stehen.

„So, unser erster Auftritt.“

Teremun hatte Thotmes darauf vorbereitet und der Junge war nervös wie vor einem Theaterauftritt. Sekhet und Kanefer sahen hinaus auf die Straße. Es war nur noch wenig Verkehr, einige Fußgänger eilten vorbei und ein einsamer Packesel wurde vorbeigetrieben.

Jetzt hörte man die helle Stimme von Thotmes.

„Herr, es sind Bettler! Bringt einen Knüppel, denn sie sind aufdringlich!“

Teremun erschien mit einem Stock und drohte den beiden ‚Bettlern‘.

„Verschwindet! Hier gibt es nichts. Sucht euch Arbeit!“

Sekhet und Kanefer verbeugten sich fortlaufend, während Sekhet mit weinerlicher Stimme lamentierte.

„Oh, Herr. Eine kleine Gabe nur, denn wir sind hungrig. Wir haben nichts gelernt und mein Bruder hier, er ist ein wenig zurückgeblieben. Nur ein wenig für den hungrigen Magen. Herr.“

„Mir scheint, dass der Durst dich mehr plagt, als der Hunger. Verschwindet, alle beide!“

Mit einer kurzen Bewegung warf Teremun einen kleinen Gegenstand vor den beiden auf die Straße, während er den Torflügel zudrückte. Von Innen hört man noch seine Stimme.

„Verriegele das Tor gut.“

Inzwischen hatte sich Kanefer auf den Gegenstand gestürzt, den Teremun ihnen zugeworfen hatte. Nach kurzem Kratzen im Sand hielt er ein kleines Stück eines Kupferringes hoch. Vor den Augen einiger stehengebliebener Neugieriger riss Sekhet dem Jungen das Kupferstück aus der Hand und gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.

„Finger weg. Danke den Göttern, dass wir etwas bekommen haben. Doch nun schnell. Lass uns unseren Reichtum feiern bei etwas Bier.“

Kopfschüttelnd gingen die Passanten weiter, während sich Sekhet und Kanefer auf den Weg zu dem Gasthaus machten, das sie sich vorher ausgesucht hatten. Sie waren davon ausgegangen, dass es kein Gasthaus für die Reichen sein würde. Die Kunden dort waren alle bekannt und die Wirte waren wohl etwas seriöser als bei Häusern niedrigerer Klasse.

Das Haus lag in einer Nebenstraße und war recht unscheinbar. Nur durch seine Größe von den angrenzenden Wohnhäusern zu unterscheiden, sah man doch einige Gäste auf kurzen, dreibeinigen Schemeln vor der Tür sitzen, ihre Krüge mit Bier neben sich auf kleinen Tischen. Von drinnen klangen gedämpfte Geräusche einer Unterhaltung heraus.

Sekhet steuerte zielsicher auf den Eingang zu und musste von Kanefer davon abgehalten werden, gegen den Türpfosten zu rennen. Drinnen gab es nur wenige der kleinen Tische, aber umso mehr Schemel, doch nur die wenigsten waren besetzt. Aus einer in den Hintergrund führenden Tür mit einem Schnürenvorhang trat eine korpulente Frau und musterte die beiden Neuankömmlinge.

„Was wollt ihr hier? Verschwindet. Ihr seht nicht so aus, als ob ihr bezahlen könntet. Ich verschenke kein Bier an Bettler.“

Sekhet starrte die Frau an und schwankte.

„Oh, Schöne der Nacht, wir können bezahlen. Sieh her. Die Ernte eines ganzen Tages“, lallte er. Dann griff er in den kleinen Beutel der an dem Strick um den Leinenschurz befestigt war und holte einige kleine Bruchstücke heraus.

„Sieh her, Herrin der Freuden, es gibt etwas zu verdienen.“

Mit einem erstaunlich tiefen Lachen nahm die Frau Sekhet die kleinen Kupferstückchen ab und ging zu einer Waage, die in der Ecke des Raumes auf einer großen Truhe aufgestellt war. Sie legte das Kupfer in die eine Waagschale, in die andere kamen steinerne Gewichte.

„Ich will großzügig sein. Es ist fast ein ganzer Kupferdeben. Dafür bekommst du einen Krug des Bieres von gestern.“

Sekhet hatte nichts Anderes erwartet. Die Kupferstücke waren vorher zu Hause gewogen worden und machten genau anderthalb Deben aus.

„Wie wäre es noch mit ein wenig Gesellschaft. Mein Bruder hier, er ist so schüchtern. Er hat noch nie die Gesellschaft einer jungen Dame genossen.“

Ungeniert legte Sekhet seine Hand bei Kanefer auf die Vorderseite seines Lendenschurzes. Prompt errötete Kanefer, was man sogar bei dem schlechten Licht erkennen konnte.

Jetzt lacht die Wirtin laut und dröhnend.

„Da muss er aber noch was drauflegen und ich meine nicht nur sich.“

„Oh, Herrin, Ihr seid grausam. Seht Ihr nicht, wie er sich verzehrt?“

Noch einmal klopfte Sekhet mit der Hand leicht auf Kanefers Lendentuch in dem nun eine ausgeprägte Beule sichtbar wurde.

„Ja, ein junger Stier wie es scheint und doch ist der Weg zu den unendlichen Freuden mit edlem Metall gepflastert.“

Zähneknirschend gab Sekhet ein weiteres Stückchen Kupfer ab, das auch sogleich auf die Waage wanderte.

„Ein halber Kupferdeben. Wollt ihr mich beleidigen? Ich habe vier Mäuler zu stopfen. Ich weiß kaum, wie ich sie nähren und kleiden soll. Wie sollte ich sonst meine Schönen durchbringen?“

Kanefer kramte in seinem Lendentuch und zog einen kleinen Ring hervor, den er der Wirtin zeigte. Sekhet starrte darauf, dann versuchte er ihn Kanefer wegzuschnappen, doch der war schneller und gab ihn der Wirtin.

„Ein ganzer Kupferdeben! Ich sehe, du hast es nötig.“

Sekhet starrte Kanefer an und zischte.

„Woher hast du den denn? Wenn ich daran denke, das ganze schöne Bier.“

Die Wirtin winkte Kanefer mit dem Zeigefinger und lotste ihn durch den Vorhang in eines der halbdunklen Hinterzimmer. Hier lagen drei junge Frauen auf ihren Matten und dösten vor sich hin.

„Wacht auf! Es gibt Arbeit, meine Schönen.“

Kanefer sah die drei an und kam zu dem Schluss, dass die Sache mit der Schönheit schon etwas länger her sein musste. Man hatte ihn gewarnt, dass einige der Frauen möglicherweise eher im Alter seiner Mutter sein könnten, als dem einer Schwester. Etwas gehetzt sah er sich um, aber von einem Mann war hier nichts zu sehen. Nun ja, sie konnten ihn ja schließlich auch nicht öffentlich anpreisen. Kanefer überlegte, wie er der Situation am elegantesten entkommen konnte, doch da erhob sich eine der Frauen halb und musterte Kanefer.

„Na, dann komm mal her, mein Süßer.“

Langsam näherte sich Kanefer ihrem Lager und dann erkannte er, dass sie alle nicht viel mehr am Körper trugen als sie für ihren Beruf brauchten.

Ungeduldig zog sie Kanefer auf ihr Lager und wartete, doch der rührte sich nicht.

„Was ist? Gefalle ich dir nicht?“

„Doch, doch, aber…“

„Oh, weh. Du bist noch unschuldig? Das macht nichts. Na, dann wollen wir mal sehen…“

Eine sehr kurze Zeit später seufzte die Frau ergeben.

„Na, das ging ja schnell. Mach dir nichts draus. Beim ersten Mal ist das so.“

Kanefer hatte sich auch schon wieder halb erhoben, als die Frau laut nach hinten rief.

„Manetho, bring Wasser!“

Von einem weiteren Zimmer im hinteren Teil des Gebäudes erschien ein junger Mann in der Türöffnung. Er war, wie die Frauen, splitternackt und trug einen Krug mit Wasser. Überrascht blieb er stehen und sah bewundernd an Kanefer herab.

Ein einziger Blick hatte genügt und Kanefer schwor, der Göttin Bastet einen halben Monatslohn zu opfern. Er hatte den Jungen sofort wiedererkannt und war heilfroh, dass er nicht tagelang alle Wirtshäuser Thebens abklappern musste. Kanefer beeilte sich, sein Lendentuch wieder an Ort und Stelle zu bringen, doch dann erstarrte er kurz in der Bewegung. Der Junge hatte den Wasserkrug abgestellt und sich nach einem letzten Blick auf Kanefer umgedreht. Sein gesamter Rücken, bis hinunter zu den Hinterbacken war von sich kreuzenden Peitschenstriemen übersät.


Zu nächtlicher Stunde hatte Kutari seine Ratgeber noch einmal um sich versammelt.

„Und es gibt keinen Zweifel? Ist das tatsächlich der Junge, den Nefoy bezahlt hat?“

Kanefer nickte zum wiederholten Mal.

„Ich will das ja nicht in Zweifel ziehen, aber was ist, wenn die beiden Sachen gar nichts miteinander zu tun haben?“

Jetzt sahen alle zu Hamadi.

„Wenn sich Nefoy einfach jemanden gekauft hat für sein Lager und er gar nichts von den anderen Vorgängen weiß.“

Kutari schüttelte den Kopf, dann sah er auf seine Notizen.

„Kanefer, was genau hat Nefoy damals gesagt? Kannst du dich an den genauen Wortlaut erinnern?“

Kanefer blies die Backen auf.

„Das ist fast ein halbes Jahr her, Herr. Aber er sagte in etwa: Jetzt verzieh dich, räudiger Kater, sonst kriegst du noch einmal das Fell gegerbt. Verschwinde zu deiner alten Vettel oder geh zurück in das Dreckloch aus dem wir euch geholt haben. Das Kupfer ist eigentlich noch viel zu schade für dich.“

Jetzt sahen alle noch viel ratloser aus als vorher.

„Also: Er wollte ihm eigentlich keinen Lohn geben, hat es aber trotzdem getan. Wahrscheinlich hatte er Angst, der Junge würde etwas sagen wenn er nichts bekäme. Dann sollte er zurück zu seiner alten Vettel - ich nehme an, das Wirtshaus. Oder zurück in das Dreckloch aus dem wir euch geholt haben? Wo soll das gewesen sein? Außerdem - wir - also war er doch nicht alleine bei dieser Aktion, interessanter noch - euch - es handelt sich also wohl um mehrere Jungen.“

Alle sahen Sekhet an, als dieser seine Gedanken so völlig unsortiert in die Runde gab.

Kutari seufzte, dann sah er Kanefer an.

„Wie alt ist dieser Junge denn eigentlich?“

„Also, ich schätze, ein oder zwei Jahre älter als ich. Er hat schon eine richtig breite Brust und starke Arme, seine Haut ist glatt und er ist überall am Körper rasiert…“

Kanefer verstummte, als ihm Hori einen grimmigen Blick zuwarf und der Rest ihn erstaunt ansah. Kutari räusperte sich.

„Ich glaube, so genau wollten wir das dann doch nicht wissen. Doch, warte mal. Wie war das mit seinem Rücken?“

„Überall waren Peitschenstriemen, schräg von beiden Seiten.“

„Waren die unterschiedlich alt?“

Kanefer sah Sekhet an und schüttelte den Kopf.

„Es war dunkel und ich hatte es eilig.“

„Schon gut. Wir sollten jetzt alle schlafen gehen. Morgen früh können wir uns noch einmal zusammensetzen. Vielleicht ist ja bis dahin jemandem etwas eingefallen.“

Am nächsten Morgen trafen sich wieder alle in der Großen Halle zum Frühstück. Es gab frisches Brot, in verschiedenen Körben lagen Datteln, Feigen und sogar Weintrauben. Hori fluchte gerade wie ein alter Nilschiffer, denn er hatte sich einen seiner weißen Leinenschurze mit dem Saft eines Granatapfels eingesaut. Hamadi lachte schadenfroh, denn er hatte seine Frucht ohne Zwischenfälle aufbekommen. Für das Frühstück hatte Kutari Wein und Bier untersagt und so gab es nur frisches Brunnenwasser. Kanefer trug gerade einen kleinen Korb mit süßen Kuchen herein, als Imiuthetep durch die Tür trat, den Soldaten Sekani dicht hinter sich. Breit grinsend angelte sich Imiuthetep zwei der kleinen Kuchen aus dem Korb und gab einen Sekani.

„So früh schon gute Laune?“

„Ja. Ich habe vorhin auf dem Übungsplatz einen räudigen Kater getroffen und ihn auch gleich mitgebracht.“

Die Bewegungen innerhalb der Halle erstarben, als sich alle Köpfe Imiuthetep zuwandten.

„Du hast was!?“


Feldwebel Chepren hatte seine kleine Truppe noch vor dem ersten Licht des Tages aufgescheucht. Im Laufschritt ging es durch die Straßen hinunter zum Flussufer, dort durch einen Abschnitt weichen Sandes und zurück zum Haus. Für den heutigen Morgen hatte der Feldwebel Ringen angesetzt. Er musste die Paare dafür auslosen, denn niemand wollte mit Ngozi ringen. Es hatte ausgerechnet Heru getroffen, den mit 21 Jahren ältesten Soldaten. Heru war früher Ruderer auf einem Nilschiff gewesen, doch auch er hielt nicht lange stand gegen den muskulösen Nubier.

Leutnant Imiuthetep hatte, wie jeden Morgen, die Truppe begleitet, denn er war der Ansicht dass es gut war für die Moral, wenn der Offizier mit gutem Beispiel voran ging. Außerdem brauchte er die Übung bei der wenigen Bewegung während des Tages.

Interessiert sah er nun den Ringern zu. Bei Ngozi hatte er keine Zweifel gehabt, aber das nächste Paar war schlecht einzuschätzen. Amani war schlank und geschickt mit dem Bogen, aber im Ringkampf hatte er ihn noch nicht gesehen. Sein Gegner war Sekani, der jüngste der Runde und wohl auch der leichteste. Es dauerte nicht einmal so lange wie beim ersten Paar, als Sekani seinen Gegner auf den Rücken gepinnt hatte. Grinsend erhob sich Sekani und sah sich um. Sein Blick blieb an Mensah hängen, einem ehemaligen Schilfschneider aus dem Delta.

Auch hier dauerte es nicht lange, bis Sekani ihn besiegt hatte. Die Umstehenden jubelten ihm zu.

„Du bist so gewandt wie eine Katze. Dich kriegt man ja gar nicht zu greifen.“

„Ha, nicht umsonst haben uns die Jungs aus dem Hafenviertel immer räudige Kater geschimpft.“

Imiuthetep verschluckte sich und musste husten. Er winkte Sekani heran und gab dem Feldwebel ein Zeichen, mit dem Rest weiterzumachen.

„So, du gehörst also zu den räudigen Katern.“

Sekani senkte den Blick. Seine Stimme war leise.

„Nein, Herr. Ich habe dazu gehört, aber ich habe es geschafft, einen anständigen Beruf zu erlernen.“

„Was genau heißt das?“

Sekani sah seinen Offizier jetzt erstaunt an.

„Nachdem man mich entlassen hatte, bin ich im Tempel aufgenommen worden und wurde zum Tänzer ausgebildet. Ein ehrenhafter Beruf, denn wir durften neben unseren bezahlten Vorführungen auch zu Ehren der Göttin tanzen.“

Langsam dämmerte es Imiuthetep, denn männliche Tempeltänzer gab es nur zu Ehren einer einzigen Göttin, besonders beim Schönen Fest der Trunkenheit.

„Komm mit. Unseren Herrn wird deine Geschichte ganz sicherlich interessieren.“

Völlig verwirrt folgte Sekani seinem Leutnant in Richtung des Hauses. Imiuthetep war in der Eingangstür stehen geblieben und warf Sekani einen süßen Kuchen zu, den er sofort in Angriff nahm.

„So früh schon gute Laune?“

„Ja. Ich habe vorhin auf dem Übungsplatz einen räudigen Kater getroffen und ihn auch gleich mitgebracht.“

Mit einem Arm schob der Leutnant seinen jüngsten Soldaten in die große Halle.

„Du hast was!?“

Etwas eingeschüchtert erkannte Sekani seinen Herrn Kutari, die beiden Schreiber, den neuen Arzt und sogar Kanefer ging herum und verteilte Kuchen.

„Erzähl deine Geschichte, Sekani.“

Aufmunternd klopfte Hori auf ein freies Kissen neben sich und Sekani setzte sich zögernd.

„Ich wurde wahrscheinlich in Men-nefer geboren…“

„Was, der alten Hauptstadt des Reiches?“

„Hori, lass ihn ausreden.“

„Ja, Herr.“

Hori senkte den Kopf und lauschte ergeben.

„Ja, der alten Hauptstadt. An meine Eltern kann ich mich nicht erinnern. Ich kenne nur das Waisenhaus der Stadt. Dort bin ich aufgewachsen. Als ich das Alter der Beschneidung erreicht hatte, wurde ich entlassen und man hat mich in den Tempel aufgenommen und zum Tänzer ausgebildet.“

Hori konnte sich nicht mehr beherrschen.

„Aber was hat das jetzt mit den Katern auf sich?“

„Ich dachte, das wüsstet ihr. Das Waisenhaus in Men-nefer wurde vom Tempel der Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit unterhalten, deshalb der Spitzname.“

„Bastet!“, erschall es aus drei oder vier verschiedenen Richtungen.

„Ja. Wir waren die Kater der Bastet. Aber was ist daran so interessant?“

Imiuthetep warf Kutari einen fragenden Blick zu und dieser nickte zustimmend. Mit kurzen Worten erklärte der Leutnant Sekani die Geschichte mit Nefoy und seiner Äußerung.

„Wenn die Herrin Bastet hier ebenfalls ein Waisenhaus hat, könnte es sein… nein, das wäre mehr als ein Zufall.“

Kanefer hatte sich nun ebenfalls gesetzt und hockte zwischen Hamadi und Sekani.

„Das ist kein Zufall. Nefoy beginnt fast alle seine ellenlangen Belehrungen mit den Worten: Als ich noch Schreiber in Men-nefer war, da war alles anders.“

Kutari starrte in die Runde. Welchem der Götter sollte er zuerst opfern? Es grenzte ja wirklich schon fast an göttliche Hilfe, die ihnen hier zuteil wurde. So schnell hatte er eine Antwort auf seine Fragen nicht erwartet.

„Imiuthetep, ich brauche die ganze Wache. Drei Mann vorne mit Schilden, volle Straßenbreite, dann zwei Mann mit Schild und Speer, dann folge ich, dicht hinter mir Kanefer und Sekani ohne Waffen. Dahinter Hori und Hamadi. Am Ende wieder vier Mann mit Schild und Speer. Wir besuchen die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit.“

„Verzeiht, Herr. Aber das ist die Göttin der Liebe. Sind das nicht ein wenig zu viel Soldaten?“

Leutnant Imiuthetep hatte sich schon halb erhoben, als er Sekani einen tödlichen Blick zuwarf um ihn zum Schweigen zu bringen. Wütend funkelte er ihn an.

„Was fällt dir ein, die Anweisungen unseres Herrn in Frage zu stellen?“

Sekani war blass geworden und starrte seinen Leutnant an.

„Es ist gut, Imiuthetep. Sekani, zwei Dinge. Erstens, lass es nicht wieder an der gebührenden Ehrfurcht vor einem Vorgesetzten fehlen. Der Feldwebel hat eine harte Hand und es bleibt nicht bei 10 Schlägen. Zweitens, du könntest recht haben.“

Kutari sah strafend auf Sekani herab, der jetzt schwer schluckte und sich gerade wünschte, er wäre unsichtbar.

„Wir machen es anders. Ich nehme lediglich die tägliche Eskorte. Dazu begleiten mich Hori, Hamadi, Kanefer und Sekani ohne Waffen.“


Der große Vorhof der Tempelanlage der Bastet war selbst zu der frühen Stunde schon vielfältig bevölkert. Hauptsächlich Frauen opferten kleine Gaben an der großen Statue der katzenköpfigen Göttin. Der Weg in den inneren Hof führte durch die beiden riesigen Pylone, an denen jeweils ein weit aufragender, an der Spitze vergoldeter, Flaggenmast befestigt war mit bunten Wimpeln in rot und gelb.

Die Tempelwachen an den Pylonen hatten sie mit einem neugierigen Blick passieren lassen. Im inneren Hof waren Priesterinnen unterwegs und sprachen mit Besuchern, die besondere Wünsche vortrugen oder ein größeres Opfer darbringen wollten. Der Weg bis hin zur Vorhalle war von großen Palmen gesäumt und Kutari befahl Cheperrepachti und Mensah, seinen Begleitern für den heutigen Tag, sich dort im Schatten aufzuhalten.

Als die kleine Gruppe sich der Halle zuwandte, sah Kanefer plötzlich eine der eleganten Tempelkatzen dort herauskommen. Im Gegensatz zu den sandfarbenen Exemplaren hatte diese hier ein helles Fell mit kurzen dunklen Streifen darin. Neugierig kam die Katze näher und Sekani erstarrte. Die anderen hielten ebenfalls und sahen ihn fragend an.

„Eine Tempelkatze aus dem Allerheiligsten. Ihr dürft sie nicht berühren.“

Aufmerksam sahen sie zu, wie die Katze näher kam und langsam die Gruppe umkreiste. Mit erhobenem Schwanz ging sie gemessenen Schrittes auf Kanefer zu und rieb ihren Kopf an seinem Bein.

„Und jetzt?“

Sekani antwortete nicht und Kanefer bückte sich, um die Katze näher zu betrachten. Mit einem Satz sprang ihn die Katze an und er konnte eben noch die Arme ausstrecken um sie aufzufangen. Mit angezogenen Armen stand Kanefer da, während die Katze sich schnurrend zusammenrollte.

„Es ist übrigens ein Kater“, murmelte Kanefer, während er das Tier ansah, das ihn ebenso genau musterte.

Langsam führte Kutari jetzt seine Leute zum Eingang der Halle. Kurz bevor sie den Durchgang erreichten, trat eine Frau mittleren Alters in einem langen, fließenden Gewand aus weißem Leinen dort hervor. Ihre schwarzen Haare fielen in wallenden Locken bis auf den Rücken und als Schmuck trug sie nur ein goldenes Amulett mit dem Abbild der Göttin Bastet in ihrer Darstellung als katzenköpfige Frau.

„Benumau, da bist du ja!“

Sanft nahm sie Kanefer den Kater ab und reichte ihn einer Priesterin, die ihr gefolgt war.

„Entschuldige bitte sein Benehmen. Doch er hat etwas in dir gesehen.“

Sie schenkte Kanefer ein Lächeln, während sie sich an Kutari wandte.

„Seid gegrüßt ehrenwerter Kutari, Sohn des Amun.“

Sie beugte kurz das Haupt, während es Kutari ebenso machte.

„Seid ebenfalls gegrüßt. Es scheint in den letzten Tagen mein Schicksal zu sein, erkannt zu werden, selbst von einer Dame, deren Bekanntschaft zu machen, ich noch nicht die Ehre hatte.“

Sie lachte mit einer hellen Stimme und drohte Kutari mit dem Zeigefinger.

„Ihr versteht es, einen Vorwurf in einem Kompliment zu verstecken. Mein Name ist Tehenaya und ich bin die neue Hohepriesterin der Göttin Bastet hier in Theben. Was führt euch zum Tempel der Katzengöttin?“

Tehenaya sah und spürte, wie sich schlagartig die Stimmung veränderte. Der Sohn des Amun hatte einen ernsthaften Gesichtsausdruck bekommen, die beiden Schreiber, erkennbar an den umgehängten Taschen mit den Schreibutensilien wirkten mit einem Mal verschlossen. Der Junge mit der Statur eines Tänzers sah zu Boden und der Junge, den die Göttin erwählt hatte, bekam rote Ohren.

„Ich merke schon, es wird nicht angenehm. Lasst uns in den Garten hinausgehen und uns dort weiter unterhalten.“

Vom inneren Hof führten zu beiden Seiten kleine Tore hinaus aus dem eigentlichen Tempelgelände zu den Gärten und Nebengebäuden des Tempelbezirks.

In der Nähe eines kleinen Teiches ließ sich die Hohepriesterin auf eine Steinbank nieder und Kutari setzte sich neben sie. Der Rest umringte die beiden auf dem Boden.

„Hier sollten wir ungestört sein.“

Kutari ertappte sich dabei, wie er einige der Enten auf dem Teich misstrauisch musterte. Wenn das Verdächtigen unschuldiger Enten das Ergebnis eines Lebens voller Gefahren und Intrigen war, würde er aufpassen müssen, seinen Geist rein zu halten.

Nach kurzem Zögern erzählte Kutari der Hohepriesterin die gesamte Geschichte, von Horis Bestrafung bis zu Kanefers erstem Abenteuer mit einer Frau.

Die Emotionen waren abwechselnd an den Gesichtern vor ihnen abzulesen.

„Ich nehme an, ihr wollt wissen, ob dieser - Manetho? - hier im Waisenhaus gewesen ist.“

„Ja, vielleicht gibt es Hinweise, wohin andere Jungen gegangen sind und ob wir welche davon finden und befragen können.“

„Eine Bitte an die Göttin wird nie ungehört verhallen, doch manchmal verlangt sie auch einen Preis dafür. Folgt mir.“

Erstaunt erhoben sich alle und folgten der Hohepriesterin in den inneren Vorhof und durch die Halle. Dahinter öffnete sich die Pfeilerhalle der Bastet. Direkt vor dem Zugang zum Allerheiligsten war die Mitte der Halle eine große freie Fläche, während die Säulen, die das Gewicht der Decke trugen, etwas zu den Seiten verschoben waren und alle die Form einer Frau mit dem Kopf einer Katze hatten.

„Du bist ein Tempeltänzer.“

Das war keine Frage und Sekani verbeugte sich nur vor der Hohepriesterin.

„Deine Kunst wir nun entscheiden, ob ihr eine Antwort bekommt.“

Sekani wurde blass. Er hatte schon fast zwei Jahre nicht mehr getanzt.

„Du bekommst eine Partnerin für den Tanz der großen Erbauung.“

Sekani war erleichtert. Es war nicht gerade der schwierigste Tanz, doch er musste aufpassen.

Aus den Seiteneingängen traten einige Musiker herein und ein junges Mädchen, nur mit einer Perlenschnur um die Hüfte bekleidet.

Kanefer blickte wieder peinlich berührt zu Boden, doch die anderen, besonders Hamadi, betrachteten das Mädchen und bewunderten ihre eleganten Bewegungen.

Sekani trat nun vor und legte Leinenschurz und Lendentuch ab. Nackt wie am ersten Tag begab er sich zu dem Mädchen in die Mitte und die Musiker fingen an zu spielen.

Noch nie zuvor hatte Kanefer solch einen Tanz gesehen. Die graziösen Bewegungen, die eleganten Figuren, Bewegungen und Körperhaltungen die er nie für möglich gehalten hatte. Die Musik wurde schneller und auch die Bewegungen der Tänzer wurden leidenschaftlicher. Kanefer erkannte, dass sie zwar zusammen tanzten, sich aber nicht ein einziges Mal dabei berührten.

Mit einem lauten Geräusch brach die Musik ab und die Tänzer knieten sich auf den Boden und verbeugten sich in Richtung des Allerheiligsten.

Schwer atmend kamen sie dann zur Hohepriesterin und verbeugten sich ebenfalls vor ihr.

„Sehr gut. Du hast deine Aufgabe mehr als erfüllt. Ihr habt euch die Belohnung der Göttin verdient. Sucht euch einen aus.“

Sekani tuschelte kurz mit seiner Partnerin, dann kam sie nach vorne und streckte die Hand zu Hamadi aus. Überrascht nahm der ihre Hand und sie zog ihn vom Boden hoch. Kichernd lief sie mit Hamadi an der Hand zum rechts gelegenen Durchgang zum Garten.

Sekani hatte seinen Kopf gesenkt, dann trat er vor Hori und streckte seine Hand aus. Hori nahm sie und ließ sich hochziehen. Gemeinsam gingen sie nach links hinaus in den Garten.

Die Hohepriesterin lächelte Kutari an.

„Die Göttin fragt nicht. Sie schenkt die Liebe denen, die sie verdient haben.“

Kanefer sah immer noch erstaunt hinter Hori und Sekani her, als ihm bewusst wurde, warum die beiden nach draußen gegangen waren. Wieder waren seine Ohren von plötzlicher Hitze betroffen.

„Wir werden inzwischen dem Aufseher des Waisenhauses einen Besuch abstatten.“

Kanefer seufzte und folgte Kutari, warf jedoch einen sehnsüchtigen Blick auf den Durchgang durch den Hori und Sekani verschwunden waren.


Das Waisenhaus befand sich außerhalb des Tempelbezirkes. Es bestand aus zwei großen, langgestreckten Häusern und einem kleineren Gebäude das als Küche diente. Mehrere Jungen und Mädchen in unterschiedlichem Alter spielten auf dem Platz zwischen den beiden großen Häusern. Als sie der Hohepriesterin ansichtig wurden, liefen sie laut rufend zum Küchengebäude. Eine Frau streckte neugierig ihren Kopf hervor und trat eilig aus dem Haus, als auch sie die Hohepriesterin erkannte.

„Dies ist Nefari, sie beaufsichtigt mit Lorkas die Mädchen. Buto und Heb beaufsichtigen die Jungen.“

Die Frau verneigte sich ehrfürchtig vor der Hohepriesterin und als diese Kutari vorstellte, verneigte sie sich ebenso vor ihm.

„Dies ist Kutari. Der Aufseher der Fragen des Pharao und Sohn des Amun.“

Die Hohepriesterin bedachte Kutari jetzt mit einem nachdenklichen Blick.

„Wenn man es recht bedenkt, dann habt Ihr Glück gehabt, dass Ihr einen Vater habt, auch wenn er euch vielleicht nur adoptiert hat. Ihr hättet genauso gut hier landen können.“

Die Waisen des Großen Hauses wurden zwar im Frauenhaus aufgezogen, doch Kutari wusste, was Tehenaya meinte. Eine Familie zu haben oder im Waisenhaus zu landen war oft nur eine kurze Entscheidung oder eine Laune der Götter.

„Wo ist Buto? Wir haben einige Fragen an ihn.“

„Oh, er ist mit einer Gruppe Jungen unten am Fluss zum Fischen. Ihr müsst wissen, Herr, wir lehren die Kinder hier früh, sich selbst zu versorgen.“

Kutari nickte. Sie werden sehr früh selbständig, aber manchmal treffen sie wohl auch die falschen Entscheidungen.

Als ein älterer Mann mit ledernem Schurz um die Ecke kam, sah Tehenaya ihn nachdenklich an.

„Heb ist alt geworden. Wir werden wohl bald einen neuen Aufseher brauchen.“

Der Mann erkannte die Hohepriesterin und verbeugte sich etwas mühselig, ebenso vor Kutari als dieser vorgestellt wurde.

„Sagt, Heb, könnt ihr euch noch an einen Jungen mit Namen Manetho erinnern, er müsste jetzt etwa 16 oder 17 Jahre alt sein.“

„Manetho? Der einzige mit diesem Namen den wir hatten, müsste jetzt… etwa 18 sein. Er hatte sich damals bei den Tempeltänzern beworben, ist aber nicht genommen worden. Das ist jetzt aber auch schon fünf Jahre her.“

„Ihr könnt euch aber noch an ihn erinnern?“

Heb lachte und zeigte seine Zahnlücken.

„Wir haben hier nicht so viele Jungen. Jungen sind wertvoll für ihre Familien. Und sie werden eher adoptiert als Mädchen. Wir haben vielleicht zwei oder drei aus jedem Jahrgang. Mädchen gibt es drüben fast doppelt so viele.“

„Was passiert mit denen, die ihr hier entlasst?“

„Wenn sie das mannbare Alter erreichen, bekommen sie einen Kupferdeben aus dem Tempel der Göttin und können gehen wohin sie wollen.“

Kutari schüttelte unwillig den Kopf. Anscheinend war er in einer Sackgasse gelandet.

„Doch ihr habt nach Manetho gefragt, Herr. Darf ich fragen, warum?“

Kutari war nicht willens, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.

„Er hat womöglich ein Verbrechen begangen und nun suchen wir Komplizen aus seiner Vergangenheit.“

„Manetho? Ein Verbrecher? Entschuldigt, Herr, aber das kann ich kaum glauben. Er war immer einer der folgsamsten und auch der frömmsten Schüler. Er und Periseneb waren unzertrennliche Freunde.“

„Und wo ist dieser Periseneb heute?“

„Oh, das kann ich Euch sagen, Herr. Ich traf ihn erst vor kurzem, durch Zufall. Er hat es sehr gut getroffen, denn er hat eine Anstellung als Diener im Palast des Wesirs.“

Betroffen sahen sich Kutari und Kanefer an. Kanefer schüttelte stumm den Kopf und Kutari überlegte fieberhaft, wie er jetzt weiter vorgehen sollte.

Er dankte der Hohepriesterin für ihre Unterstützung, doch sie lächelte ihn nur an.

„Auch die Göttin war erfreut über Euren Besuch. Ihr habt ihr ein Opfer gebracht und ein Geschenk erhalten. Die Göttin freut sich auf Euren nächsten Besuch.“

Kutari und Kanefer verbeugten sich kurz und gingen dann zurück zum Tempel der Bastet. Am Seiteneingang des Gartens stand bereits Hamadi und sah sich suchend um.

„Dann fehlen ja nur noch Hori und Sekani.“

Hamadi sah Kutari unsicher an, dann senkte er den Kopf.

„Ja, ja. Das kann schnell gehen, weiß ich aus eigener Erfahrung.“

Kanefer grinste Hamadi frech an, während Kutari sich ein Lachen verkneifen musste.

Hamadi wollte etwas antworten, als Hori und Sekani aus dem Tor traten. Beide waren ordnungsgemäß bekleidet und hielten sich an den Händen. Als sie Kutari und die anderen beiden sahen, blieben sie stehen und ließen sich zögernd los.

Kutari warf einen halb fragenden, halb bittenden Blick auf das Allerheiligste des Bastet-Tempels. Manchmal war es schwierig, den Willen der Götter zu erkennen.

„Wir müssen zurück. Ich habe einen Hinweis bekommen, aber der hilft uns auch nicht wirklich weiter. Wir müssen uns wieder zusammensetzen und beraten.“

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