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Als ich aufwachte, fühlte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Doch ich konnte nichts

Verdächtiges erkennen. Es war alles so, wie gestern Abend. Meine Kleider hingen über dem Schreibtischstuhl. Mein PC stand auf meinem Schreibtisch, auf dessen Arbeitsfläche sich allerlei Papiere, Bücher und CDs türmten. Ich sollte ihn mal wieder aufräumen. Doch wie war das?

Nur ein Kleingeist hält Ordnung, das Genie überblickt das Chaos. Auch sonst war alles unverändert, meine Bilder hingen noch immer an der gleichen Stelle. Der Kleiderschrank hatte sich auch nicht bewegt.

Eigentlich kam mir mein Gefühl absurd vor.

Was sollte sich denn auch ändern? Hier in unserem Ort? Da passiert doch nie etwas. Also verdrängte ich das ungute Gefühl genauso schnell, wie es mich überkommen hatte, und stand auf. Ich ging ich zum Fenster und öffnete es. Doch auch draußen schien alles wie gestern Abend, keine Veränderungen waren auszumachen. Die Wohnblöcke waren immer noch zweckmäßige Betonklötze, die Grünanlagen wenig gepflegt. Am Straßenrand standen Autos. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Etwas anderes hatte ich ja auch nicht erwartet.

Eigentlich sollte ich mich freuen. Denn ich wollte mich mit meiner Freundin treffen. Sie war für ein Jahr im Ausland studieren und gestern wieder zurück gekommen. Wir hatten telefoniert und ausgemacht, dass wir uns nach dem Frühstück im Stadtpark treffen. Also nahm ich nach der üblichen Morgentoilette noch ein ausgiebiges Frühstück zu mir. Gut

gelaunt trat ich aus der Wohnung. Die Sonne schien, meine Laune war in Hochform. Außerdem werde ich ja gleich meinen Schatz treffen. Was sollte mir einen solch schönen Tag verderben können? Eigentlich nichts. Ich fühlte mich prächtig.

Die Straßen auf dem Weg zum Park waren noch immer ziemlich leer, nur wenige Menschen waren unterwegs. Mir fiel im Stadtpark ein schwules Pärchen auf, das händchenhaltend entlang schlenderte. »Das die das jetzt so in aller Öffentlichkeit zeigen. So etwas Abartiges wäre früher nicht passiert. Einfach widerlich dieser Anblick. Es wird Zeit,

dass so etwas endlich verboten wird. Anständige Menschen wollen schließlich ungestört durch die Stadt laufen können.» Bevor ich mich jedoch weiter damit beschäftigen konnte, sah ich schon meine Freundin vor dem Parkcafé winken.

Freudestrahlend lief ich auf sie zu. Sie hatte sich kaum verändert, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie war immer noch umwerfend schön.

Dieses Lächeln, ihre langen blonden Haare, ihre Figur. Kurzum, sie war jemand, in den man sich einfach verlieben musste. Und da war ich nicht der einzige. Viele andere Männer beneideten mich um diese Freundin und hätten sie wohl gerne selbst gehabt. Doch zu spät, sie gehörte mir.

Zur Begrüßung gab ich meiner Freundin einen Kuss. »Hi Schatz, gut siehst du aus.«, sagte ich zu ihr. »Danke du aber wie immer auch.«, antwortete sie mir. »Lass uns erst einmal reingehen.« Also gingen wir hinein. Hier war ebenfalls noch nicht viel los. Einige ältere Menschen saßen neben wenigen jungen verteilt an den Tischen. Wir bestellten einen Latte Macchiato. Ich war richtig glücklich und gab meinem Herzblatt einen innigen Kuss. Sie wollte gerade anfangen, einiges von

ihrem Studienaufenthalt zu erzählen. Doch sie kam nicht dazu.

Im Café entwickelte sich plötzlich ein Tumult. »Das ist ja das

allerletzte.» «Schaut euch diese Perversen an.» «Also einfach nur abartig.» Wir schreckten auf und ich suchte ein schwules Paar, das sich gerade küsste. Gut, dass es noch mehr anständige Menschen gibt, die das widernatürliche Treiben dieser Homosexuellen auch nicht ab können. Doch wo war dieses Pärchen? Entweder waren sie schnell geflüchtet oder es war vor dem Café und jemand schaute gerade in diesem Augenblick zum Fenster hinaus. Denn ich fand kein schwules Paar.

Doch halt. Moment? Was ging denn hier ab? Die Aufschreie galten uns. Wir waren das abartige, perverse Paar. Wir kamen uns wie im falschen Film vor. Doch dies war keine Fälschung. Nein. Es war bittere Realität. Die Leute standen auf und gingen auf uns los. »Los zeigt es diesen Perversen.« »Zeigen wir ihnen, was anständige Leute mit solchem Abschaum machen.«

Wir waren definitiv im falschen Film. Was hier passierte, konnte doch einfach nicht wahr sein. Oder war meine Vorahnung heute Morgen doch richtig? Darüber konnte ich mir jedoch jetzt keine Gedanken machen. Denn die Meute wollte meiner Freundin und mir ans Leder.

Also nichts wie raus hier und die Flucht ergreifen. Ich nahm meine Freundin und wir stürzten aus dem Café.

Doch draußen ging es erst richtig los. Die gewaltbereite Meute jagte uns hinterher. »Nieder mit dem Pack.« »Macht diese Perversen fertig.«, hörte ich sie schreien. Wir hatten die Hosen voll und rannten so schnell wir konnten. Aber irgendwann war unsere Kondition am Ende und wir sanken erschöpft zu Boden. Sofort waren wir von der Menge umringt. Sie sahen alle nicht gerade freundlich aus. Nicht unbedingt die Gesellschaft, in der man sich wohl fühlte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Ja jetzt sah ich es. Der Haufen waren wohl Schwule und Lesben.

Denn einige Männer und Frauen küssten oder umarmten sich. War ich jetzt in einer verkehrten Welt gelandet? Schwule und Lesben sind normal und Heteros werden verfolgt und diskriminiert?

Die Schimpftirade ging wieder los. Wir seien doch Perverse, wir trieben es mit dem anderen Geschlecht. Das sei doch wider die Natur, einfach abartig. Wir wären Abschaum, den man beseitigen müsse. Und dann kamen sie näher. Ich roch bei einigen schon ihre Alkoholfahnen und sah wie sie ihre Fäuste ballten.

Sie umringten meine Freundin und mich nun mit einem festen Kreis und schubsten uns hin und her. Manchmal fielen wir hin. Doch wir standen sofort wieder auf. Keinesfalls wollten wir als weinerliche Schwächlinge dastehen. Nein wir hatten auch unsere Selbstachtung. Wir sind doch kein Abschaum, den man nach Lust und Laune vermöbeln kann. Wir sind doch auch nur Menschen, die sich lieben. Doch scheinbar wich unsere Liebe von der Norm ab. Und das wurde hier gar nicht gerne gesehen.

Während die Meute uns so herumschubste, beschimpften sie uns

fortdauernd ziemlich übel. »Abschaum« »Muschilecker«

»Tittengrabscher« »Lutschschlampe« Einige schlugen auch mit Fäusten auf uns ein. Mir taten so langsam alle Knochen weh. Blaue Flecken übersäten meinen Körper und einige Wunden bluteten. Meiner Freundin erging es nicht anders.

»Warum? Warum lasst ihr uns nicht in Ruhe? Wir haben euch doch

nichts getan.», wollte ich die Meute zum Aufhören bewegen. Doch sie reagierten überhaupt nicht. Ich war verzweifelt und wollte einfach aufwachen und hoffen, dass das alles nicht wahr ist. Doch nichts geschah. Die wütende Meute war immer noch da.

Und einer davon stürmte gerade auf mich zu und ich fiel hin. Ich hielt die Hände schützend vor mein Gesicht. Der Kerl prügelte erbarmungslos auf mich ein. Überall trafen mich seine Schläge und Tritte. Ich konnte mich kaum wehren. Die Schmerzen waren unerträglich. Mir tat alles weh. Ein Stiefel näherte sich meinem Kopf. Jetzt ist es aus, dachte ich. Mir wurde schwarz vor Augen. Mit einem lauten Krachen und verschwitzt wachte ich neben meinem Bett auf. Ich war wohl gerade heraus gefallen und unsanft aufgekommen. Puh. Ich hatte das alle nur geträumt. Da hatte ich ja noch einmal Glück gehabt. Alles war beim alten. Alles? Fast alles. Denn der sehr reale Traum brachte mich zum Nachdenken.

Ich erinnerte mich an das schwule Pärchen, das ich mit meinen

Kumpels letztens im Park vermöbelt hatte. »Ja gebt es dem Abschaum.

Der hat es nicht besser verdient.» Wir schlugen so lange auf sie ein, bis sie bewusstlos waren. Dann ließen wir sie einfach liegen. Wir fühlten uns wie Helden. Wir hatten es den «Drecksschwuchteln» mal wieder richtig gezeigt. Alles lief so ab wie in meinem Traum.

Jetzt wurde mir bewusst, wie es den beiden ergangen sein musste. Wir hatten sie grundlos zusammengeschlagen und das nur, weil sie nicht »normal liebten«. Was ist aber normal? Ich begann über meine Vorurteile nachzudenken. Etwas begann sich in meiner Welt zu ändern.

Meine Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben waren am Bröckeln, mein Weltbild kam ins Wanken.

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