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Angel of Darkness

Tyr Dieanell - The last royal Beast

Chapter 2

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Ein pochender Schmerz breitete sich vom Hinterkopf in die vordere Stirn aus, als Callan allmählich seine Sinne zurückbekam und sich sofort daran machte seinen Körper aufzurichten, was ein jähes Ende mit einem aufstöhnenden Knurren nahm. Stechend wie Elektroschläge empfand er die in ihm ausbreitenden Krämpfe, die sich ihre Bahn durch seine Adern nahmen und sich mit bleierner Schwere, seinen lähmenden Körper, zurück in die weichen Laken sinken ließ. Kurz darauf vernahm er ein immer deutlicher werdendes zartes Stimmchen an sein Ohr dringen. “Haben Sie Schmerzen junger Mann?“

Erst nachdem er die Frage ein zweites Mal widerhallen hörte, reagierte er und zwang sich seine Augen zu öffnen, die sich in seinen Höhlen vehement weigerten sich der Welt zu stellen. Er fragte sich, was vorgefallen war, dass sein Körper ihm solche Schwierigkeiten machte. Obgleich er wenig Erinnerungen hatte, nach der Verabschiedung von Jaquline, musste irgendwas geschehen sein. Nur was? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Doch diese Gedanken rückten sofort in den Hintergrund, als Callan mit geöffnetem Blick das alt-moderne Mobiliar und das noch ältere, fast barocke, Zimmer sah. Wo war er nur gelandet? Das war definitiv nicht sein Zimmer.

„Sie befinden sich im Landhaus meines Cousins. Er hat sie bewusstlos mit einer Kopfverletzung mitten auf der Straße gefunden und sie hergebracht?“

Da war das kleine Stimmchen erneut und gab ihm eine passende Erläuterung zu seinen Kopfschmerzen, doch irritierte ihn der Rest. Woher wusste sie, dass er genau daran dachte oder erriet sie es nur? Und vor allem, was hatte er auf einer Straße gemacht, bewusstlos? Er war schlichtweg überfordert, mangels fehlender Informationen und dennoch schrie sein Körper voller Panik und vermittelte ihm das unheimliche Gefühl von Gefahr. Nur von was sollte diese wohl ausgehen, sicherlich nicht von der zerbrechlichen Stimme, die sich irgendwo in diesem Raum befand. Er sah sich um, aber erkannte nur einen vagen Schatten und der entfernte sich, je mehr er sich auf diesen zu konzentrieren versuchte.

Noch bevor er die Worte der Frau neben sich, die er immer noch nicht erkennen konnte, vernahm, zog ihn die Dunkelheit wieder in ihren Bann und er schloss mit einem tiefen Seufzer seine Augen und verschwand erneut im Schlafland. Er halluzinierte wirres Zeug von fliegenden Schatten, spitzen Zähnen und warmem Blut und glaubte fest daran, dass ihn der Vampirfilm im Kino mehr berührt hatte, als er es für möglich gehalten hätte. Wäre er wach gewesen, hätte er sicherlich köstlich gelacht und den Kopf geschüttelt über seinen kindlichen Albtraum, doch ändern tat es dennoch nichts daran, dass er genau von diesen Umständen immer tiefer in den Sog der Finsternis gezogen wurde und es sich lediglich nur um die Versuche seines Verstandes handelte, der das letzte Erlebnis zu verarbeiten hatte. Das konnte er nur nicht wissen, für ihn war es ein normales Traumerlebnis.


Das Weinglas an seinen Mund angehoben, verlagerte Tyr Dieanell sein Gewicht zurück in die Lehne seines Schreibtischsessels und begann seine Schläfe mit der freien Hand zu massieren, da diese quälend stach.

Unangenehme Erinnerungen brachten dieses ausdehnende Ziehen mit sich, verursacht durch das Blut, welches er heute zu sich genommen hatte. Es war so ungewöhnlich, dass er sich kaum hatte zügeln können und sich begierig an dem süßen Geschmack labte, doch es hatte auch sofort ein ungewolltes Magenziehen mit sich gebracht, welches er seit dem Tod seiner Mutter Firi nicht mehr hatte. Kaum hatte das Ziehen eingesetzt, begannen auch schon die Erinnerungen an sie zurückzukehren und hatten sein Gemüt bereits vollauf geflutet, während seine Zähne sich noch in dem Hals des Jungen verbissen hatten. Seither, besser gesagt, seit dem ersten Tropfen, hatten ihn all diese Emotionen auch nicht mehr verlassen, nicht einmal, nachdem er seine Zähne längst aus dem Körper des Jungen und seiner seidigen Haut entlassen hatte.

Irgendwas war an diesem Menschen merkwürdig, nicht nur sein sonderbares Blut, es war viel mehr. Er hatte auch eine ungreifbare Aura um sich, genauso wie Tyr es verwunderte keine Verschmelzung mit dessen Lebenserinnerungen durchleben zu müssen, so wie es sonst vollautomatisch ablief. Er bekam keinerlei Informationen während er sich an der Lebensenergie des Jungen nährte. Er war so ganz anders, als alles was er bisher kannte und dies brachte ihm eine ungewollte Unruhe. Nicht nur, dass er die Gedanken dieses Menschen nicht lesen konnte, er hatte auch keinen Zutritt bekommen, um dessen Erinnerungen zu bearbeiten, geschweige zu steuern. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, als ob dieser Junge keine Lebensgeschichte hatte und doch hatte dieser einen eindeutig menschlichen Körper. Es war verwirrend und faszinierend zugleich, ganz zu schweigen von dem Problem am Äußeren des Heranwachsenden nichts Ungewöhnliches feststellen zu können. Er sah aus wie ein jeder Mensch - sterblicher Mensch - und doch wusste er instinktiv, dass er das in keinem Fall sein konnte. Ein dämonischer Vampir oder einen menschlichen Vampie konnte er ausschließen, dass hätte er erkannt, doch in ihm war etwas nicht greifbares. Dieses unbestimmte Etwas sorgte auch dafür, dass der Uraltvampir nur in der Lage war diesem Menschen die Ohnmacht zu schenken. Er konnte keine Veränderung vornehmen und das allein war der Grund, wieso er ihn mit aufs Gestüt nahm. Er musste zuerst in Erfahrung bringen, was das Kind noch wusste von ihrer Begegnung, bevor er ihn gefahrlos nach Hause schicken konnte. Es war lange her, dass er Empfindungen fühlte und davon war Unsicherheit eine der unangenehmsten. Es passte nicht zu seiner Natur, des beherrschten Jägers und eines weitaus gefährlicheren Killers. Unsicherheit war kein guter Reiseberater und das ärgerte ihn, nein es machte ihn vielmehr wütend.

Es wurmte ihn schier, dass dieser Mensch in der Lage war, Gefühle in ihm zu wecken. Gefühle die er weder haben sollte, noch empfinden dürfte. Seit Anbeginn der Zeit waren die Dieanells dafür bekannt, keinerlei emotionale Regungen zu kennen, obwohl Dämonen sehr wohl dazu in der Lage waren, und doch ließen ihn die Gedanken um seine verstorbene Mutter nicht mehr in Ruhe. Wobei dies völlig unsinnig war, sogar unlogisch. Was hatte der Mensch nur für eine Macht, dass er längst Verstaubtes aufzuwirbeln vermochte.

Tyr hätte bei seinem Leben geschworen, dass er hinweg war über das düstere Kapitel seines Lebens. 'Anscheinend wohl nicht', musste er sich knurrend eingestehen und das wurde alles nur von diesem seltsamen, aber unglaublich schmackhaften, Blut wieder aufgewirbelt.

Seine Mutter starb vor mehr als 1000 Jahren durch einen ihrer zahlreichen Liebhaber. Dieser köpfte sie und brachte ihren Kopf zu einem aktiven Vulkan, um diesen dort hinein zu werfen, nachdem sein erster Versuch, mit einem Lanzenstich durchs Herz, keine Auswirkungen hatte. Wie auch? Schließlich besaßen sie kein Herz – zumindest kein lebendig schlagendes. Doch der in die Lava geworfene Kopf, besiegelte ihr Schicksal, ganz gleich, ob ihr Körper noch existierte, denn ohne ihren Kopf war auch dieser Teil irgendwann funktionslos und verrottete.

Natürlich hatte er sich gerächt an dem Mann, der ein besonderes Geheimnis in sich barg, und seiner gesamten Familie, doch seinen Schmerz hatte es nicht lindern können. Nur noch ein Portrait, in seinem Arbeitszimmer, von seiner bildhübschen Mutter mit dem haselnussbraunen Haar, war ihm geblieben. Erschreckend jedoch, war ihre Ähnlichkeit zu dem Jungen, den er heute gebissen hatte.

Nachdem er ihn in ein Gästebett gelegt hatte, fielen ihm die äußerlichen Ähnlichkeiten erst auf und das verstärkte die eigenen Erinnerungen. Seine Trauer kochte hoch und er war verdammt zornig auf diesen Mensch, aufgrund seiner erneuten Hilflosigkeit, die die Vergangenheit mit sich brachte. Was geschah hier? Er war sich sicher, dass sich irgendwas seiner Macht entzog und es machte ihn rasend. Doch damit nicht genug, dieser Sterbliche war nicht nur in seinen Geist eingedrungen, er quälte auch sein Herz. Er konnte nicht leugnen, dass er sich zu dem Jungen hingezogen fühlte und eine unbekannte Sehnsucht spüren konnte, die ihm ein anschwellendes Bedürfnis verschaffte, welches er Jahrzehnte lang nicht mehr hatte.

Er verfluchte das zerbrechliche Etwas und war sich sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben, da er nicht sicher war, was er sonst mit ihm getan hätte. Immerhin schwankte er zwischen der Begierde ihn ganz in sich aufzunehmen und zwischen dem Zorn ihn auszulöschen. Da er aber weder das eine noch das andere verantworten konnte, hatte er Dairean die Aufgabe überlassen sich um das Menschlein zu kümmern und hatte sich daraufhin in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, wo er vergeblich versuchte seine verwirrenden Gedanken zu ordnen.

Zu allem Überfluss hatte sich beim Trinken dessen Blutes plötzlich eine Bande zwischen ihnen geknüpft, vollkommen unbewusst natürlich, aber nicht minder bindend. Normalerweise war es gar nicht möglich, solche Verträge mit einem Sterblichen zu knüpfen und es fiel Tyr unheimlich schwer zu akzeptieren, was das nun für ihn bedeutete. Er wollte die Last eines Nachfolgers nicht tragen, nicht jetzt und schon gar nicht mit ihm.

Einem Jungen den er nicht lenken konnte. Er würde Geduld benötigen, sich sogar mit ihm auseinandersetzen müssen. Das war kein verlockender Gedanke, ganz im Gegenteil, es erschreckte ihn, geschweige, dass so etwas in keinem Fall hätte passieren können. Was war nur los? „Verdammt“ fluchte er laut. Er war der älteste Vampir des Diesseits und er hatte keinen blassen Schimmer davon, was hier vor sich ging. Er befand sich in einer merkwürdigen Situation. Mit einem Feind, der Schwert schwingend auf ihn zukam, mit dem konnte er in die Schlacht ziehen. Doch wie sollte er mit einem unbekannten Rätsel umgehen. Er wusste sich keinen Rat und fragen konnte er auch niemanden. Wer sollte es auch wissen, wenn nicht er. Und er wusste es schon mal nicht. Es war zu komisch und wäre er nicht so alt, würde ihn das wohl um den Verstand bringen.

Ein Mensch konnte, seiner Meinung nach, einem uralten Vampir nicht das Wasser reichen. Das war schier unmöglich, ganz gleich ob er ihn in seinesgleichen verwandeln würde. Es konnte nicht funktionieren und er hatte auch noch nie davon gehört, dass es gehen könnte. Das war doch verrückt. Was war hier los? In welchem irrsinnigen Spiel befand er sich und wer stellte die Regeln auf. Hatte man einfach nur vergessen, ihm die Anleitung zu reichen. Er wusste nicht ein, noch aus. Er war einfach sprachlos. Würde er es nicht besser wissen, würde er auf das Ende der Welt spekulieren. Wie konnte es etwas geben, was sich seines Wissens entzog. Unmöglich! Und doch war er damit konfrontiert.

Wenn er jedoch nicht sein Nachfolger war, was war er dann? Sie hätten nur bewusst eine Verbindung knüpfen können, wenn er seinen Erbling gefunden hätte, doch das hatten sie nicht. Sie entstand ohne Tyrs Willen und er wurde sich dieser leider auch erst bewusst, nachdem sie geknüpft war. Zu spät sie zu unterbrechen, wenn es denn überhaupt etwas gebracht hätte.

Die Antwort, die in seinem Kopf langsam Form annahm, gefiel ihm jedoch weitaus weniger.

Sollte er tatschlich, nach all den Jahrhunderten, seinen vom Schicksal bestimmten Lebenspartner gefunden haben. Das wäre die einzige Begründung, die ihm zu dem ganzen Chaos einfiel, doch das wäre furchtbar. Was sollte er ausgerechnet jetzt mit einem Partner anfangen und dann noch dazu einem Sterblichen? Hieß das etwa, dass seine Zeit ablief?

Knurrend stieß sich Tyr aus seinem Sitz und ging zum Portrait seiner Mutter. Er musste seine elenden Gedanken um den Burschen loswerden und mit ihm auch die Erinnerungen an Vergangenes...

Wie überhaupt sollte das alles Sinn ergeben, wenn das Etwas im Gästebett nur ein Sterblicher war? Er konnte doch unmöglich diesen Jungen zu seinem Erben ernennen oder schlimmer noch, zu seinem Lebenspartner. Das war doch absurd! Ein Mensch war nichts weiter als Nahrung für ihn.

Doch war er wirklich nur ein Mensch? Wäre ein Teil seiner Wurzeln dämonischer Natur, dann sähe es ein bisschen besser aus, doch seine Hülle war menschlich. Oder nicht? Und was hatte seine Mutter in dieser Sache verloren? Seine Erinnerungen, das gemeinsame Aussehen, das war zu stark, um eine Verbindung gänzlich auszuschließen. Und dann noch dieses Blut, das ihm irgendwie vertraut vorkam...

'Argh', gequält stöhnte Tyr auf, das war ihm im Moment zu kompliziert und mit einem Blick auf das Gemälde von Firi Dieanell mischte sich auch der Verlust seiner Mutter und die Trauer seiner gesamten Familie erneut hinzu.

Der Fluch, der letzte seiner Art zu sein, lastete schwer auf ihm und da konnte er solche neuen Rätsel, wie sie ihm heute unter die Zähne kamen, nicht gebrauchen. Er wand sich um und machte sich auf den Weg zu Dairean. Er hatte ein Problem aus der Welt zu schaffen und das Einfachste wäre, den Jungen los zu werden, in der Hoffnung, dass sich die Sache von allein ausmerzte. Er würde ihm nicht mehr über den Weg laufen und damit hatte Tyr seine altbekannte Ruhe zurück. So war der Plan und sorgte für ein kurzes, aufgeheitertes Lächeln in Tyrs sonst so mürrischer Miene.


Nachdem Callan wieder aufgewacht war, befand er sich immer noch im gleichen Bett, oder besser gesagt, er glaubte es. In Wahrheit befand er sich in seinem Bett daheim und träumte nur von einem Zimmer mit Kamin, in alt-barocker Atmosphäre. Das wurde ihm auch bewusst, als er langsam seine Augenlider hob und sich sofort Tränen wegblinzeln musste, die ihm in die Augen schossen, aufgrund des Sonnenlichts, was ihn stach und durch sein nicht geschlossenes Fenster direkt in sein Bett schien. Mehrfach blinzelnd, machte sich seine Verwirrung breit, denn er hätte schwören können, dass dieser Traum echt war und eben nicht nur ein Illusion.

Er zwickte sich in seine Wange und vergewisserte sich, dass er auch wirklich wach war, dabei wanderte sein Blick auf seinen digitalen Wecker, der ihm weit nach vierzehn Uhr anzeigte. Er runzelte seine Stirn und zog sein Handy zu sich, das komischerweise aus war und auch bei einem Versuch des Anschaltens keine Reaktion von sich gab.

'Komisch, gestern war doch der Akku noch voll', dachte er und schwang sich aus dem Bett, wobei sofort ein kurzer Aufschrei folgte, durch sein Poltern und dem Resultat, dass er sich der Nase lang auf dem Boden wieder fand. „Was zum Teufel geht hier nur vor?“, fluchte er, da er keine Kraft in seinen Gliedmaßen hatte und sich nicht erklären konnte, wie das auf einmal kam, schließlich hatte er sich aufsetzen können. Warum konnte er dann nicht auch stehen? Er versuchte, in seinen Erinnerungen zu wühlen und stieß nicht nur auf eine Nebelwand mit gemeinen Kopfschmerzen, er konnte sich auch sonst nur noch vage an andere Dinge erinnern. Teilweise war er sich absolut sicher, mit Jaquline und ihrer Clique im Kino gewesen zu sein, doch konnte er diesen Gedanken überhaupt nicht mehr greifen, genauso wenig konnte er den Tag bestimmen. Er hatte das Gefühl, sich vollkommen in Raum und Zeit verirrt zu haben und das war nun alles andere als möglich. Er schüttelte den Kopf und nahm sich vor, diesem Wirr-Warr später an den Kragen zu gehen, denn auch wenn er seine Gliedmaßen nicht fühlen konnte, seine Blase spürte er ganz deutlich.

Es war einige Zeit vergangen, dass er sich ins Badezimmer gezogen hatte und endlich dazu kam seine schmerzende Blase zu erleichtern, dann schleppte er seinen langsam wieder zu Kräften kommenden Körper in die Dusche und gönnte sich eine warme Massage.

Daraufhin fühlte er sich schon viel kräftiger und hatte auch das Gefühl, dass sein normaler Tagesrhythmus wieder zu sich kam, so putze er schnell seine Zähne und ging seinem knurrenden Magen nach. Doch kaum hatte er das Bad verlassen, gingen die Merkwürdigkeiten weiter. Sein Anrufbeantworter fasste beinahe dreißig Anrufe und das war extrem ungewöhnlich für nur eine Nacht. Doch die freundliche Stimme, die sofort ansprang mit dem leichten Druck der Starttaste, teilte ihm munter mit, dass heute bereits Mittwoch war. Beinahe wäre Callan vornüber gefallen, bei dem Schock, auf dem Weg zur Küche und drehte sich augenblicklich um. Geschockt blickte er zu dem Gerät, als ob es sich augenblicklich in einen Außerirdischen gewandelt hatte. Wie zum Teufel konnte heute denn schon Mittwoch sein, das konnte nur ein Scherz sein.

Die Welt von Callan stand Kopf, was hatte das zu bedeuten. Er war sich sicher, selbst wenn seine Erinnerungen sehr wacklig waren, dass es höchstens Wochenende sein durfte. 'Oh, Mist. Dr. Zwieber wird ausflippen.' Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, drang auch schon die verärgerte Stimme des Professors an sein Ohr und er zuckte wie geschlagen zusammen und vernahm den tadelnden Ton, der einen sofortigen Rückruf verlangte.

Stöhnend ließ er sich auf einen Stuhl in der Küche fallen und er begann sein Hirn zu zermartern, was er jetzt nur tun sollte. Es war wirklich Mittwoch, obwohl das vollkommen unmöglich war. Er konnte doch nicht fünf Tage geschlafen haben. Was war nur passiert und wo war er die ganze Zeit gewesen? Zu Hause ganz bestimmt nicht, sonst wäre er ganz sicher zum einen ans Telefon gegangen und zum anderen wäre er bei seinem Termin aufgetaucht.

Er stand so schon kurz vor der Zwangsexmatrikultion und hatte sich nur mit sehr viel Überzeugungskraft diesen einen Schlichtungstermin erbetteln können und nun war er nicht aufgetaucht. Das war's dann wohl für ihn und er hatte doch nur noch zwei Semester für das Abschließen des Hauptstudiums vor sich. Vollkommen geknickt, sank sein Körper noch tiefer in sich.

Nein, er durfte jetzt nicht aufgeben. Sofort stand er auf, straffte sich, nahm das Telefon zur Hand und rief seinen Hausarzt an, der gleichzeitig auch sein Schwager war, väterlicherseits.

Zwei Stunden später öffnete Callan die Tür und ließ einen mittelalten Mann mit Brille in seine Wohnung, der aussah wie eine Mischung aus Junganwalt und schüchterner Buchhalter. Callan allerdings mochte ihn, er war sehr sanftmütig und das genaue Gegenteil von seinem Vater, der immer viel zu herrisch war. Rene war der Einzige, mit dem er noch Kontakt hatte, nachdem ihn sein Vater verbannt hatte. Dieser hatte keinen Sohn mehr, wenn dieser schwul war, hatte er ihm entgegen geschleudert und so ging Callan seinen eigenen Weg und zog aus.

Nur, mit diesem Auszug, häuften sich seine Probleme, insbesondere die Finanziellen. Bis dahin hatte sein Vater immer für die Studiengebühren gezahlt, später musste er es allein, dabei hatte er kein Glück mit staatlicher Unterstützung. Er hätte den Verdienst seiner Eltern nachweisen müssen und wusste bereits, dass die mehr verdienten, als dass sie nicht heran gezogen werden würden und er konnte wohl kaum seinen Eltern so in den Rücken springen.

Er hatte sich daher für einen Teilzeitjob bei einem Verlag für englische Lerngeschichten beworben und kam an. Die Bezahlung war nicht toll, aber er konnte kommen und gehen wann er wollte, solange er am Ende des Monats seine achtzig Stunden zusammen hatte. Mit dem Geld konnte er mit Ach und Krach seine Ein-Raum-Wohnung bezahlen und sich sein Überleben sichern, doch für die Studiengebühren blieb da nichts übrig. Während der Semesterferien ging er noch zwei weiteren Teilzeitjobs nach, nur um sich einen Puffer anzuschaffen und eben auch seine Gebühren zu zahlen, doch in den letzten Ferien hatte er sich sein Bein gebrochen und war daher nicht in der Lage gewesen, genug zu verdienen, das fehlte jetzt allerdings an allen Ecken und Kanten.

Doch dies war nicht der ausschlaggebende Punkt für Dr. Zwieber ihm mit dem Ausscheiden zu drohen, sondern er hatte eindeutig nicht das Prüfungsziel geschafft und das auch nur, weil er kaum Zeit für sein Studium hatte, jedenfalls nicht so viel, wie er es wirklich brauchen würde. Es kam eben immer alles zusammen, wenn es am wenigsten passte. Manchmal war es echt zum Mäuse melken.

Und nun saß Rene vor ihm, nippte an seinem Kaffee und runzelte besorgt die Stirn. Bei dem was Callan ihm allerdings zu erzählen gehabt hatte, verwunderte es diesen nicht. Wie oft hörte man davon, dass Menschen so aus heiterem Himmel keine Erinnerungen mehr hatten. Gut, wenn sie tranken, aber daran konnten sie sich ja wenigstens noch erinnern und dann kannten sie auch den Grund.

Callan hingegen wusste nichts und das war alles andere als normal. So freute es ihn, dass Rene nichts mehr fragte und einen Block aus seiner Tasche zog. Ohne Umschweife stellte er ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus und reichte sie ihm, jedoch nicht ohne noch an dessen Familiensinn zu appellieren.

„Ich kenne Darlean jetzt genauso lang, wie ich meine Frau kenne und glaub mir, sie wird immer zu dir stehen. Du bist ihr Sohn. Sprich mit ihr, sie wird es verstehen, nicht nur deinen Black-Out. Sie wird dir helfen, wenn du es willst.“

Callan begann sofort ungläubig den Kopf zu schütteln. Ein Teufel würde er tun. Er hatte viel zu viel Angst, vor der Reaktion seiner Eltern. Nachher würde er, genauso wie sein geistesgestörter Onkel, in der Klapse landen. Sein Vater wartete sicher nur auf eine Gelegenheit, das schwarze Schaf endlich gänzlich los zu werden. Und seine Mutter war bestimmt nicht minder mitfühlend mit ihm. Sie hatte immerhin zu ihrem Mann gehalten und nicht zu ihrem Sohn. Sie hatte zugesehen, wie Callan das Haus verließ und ihn nicht aufgehalten.

„Du irrst dich, wenn du glaubst, sie steht auf derselben Seite wie dein Vater. Sie war nicht besonders glücklich, dass du sie verlassen hast. Aber sie war beruhigt, dass du aus dem Zentrum des Zornes entkommen bist. Sie will nur, dass es dir gut geht und sie hat dich nicht aufgehalten, weil sie wirklich davon überzeugt war, dass es für dich besser ist, nicht im gleichen Haus wie dein Vater zu leben. Sag ihr, dass du Geld brauchst und sie wird dir ganz sicher Welches geben. Sie liebt dich sehr. Ruf sie an und sprich mit ihr, versprich mir das.“

Bevor Callan reagieren konnte, klingelte das Handy von Rene und erschrocken griff er danach. Die Melodie kannte Callan und wusste, dass er zu einem Notfall gerufen wurde. So endete ihre kleine Konversation und mit dem Blick auf den davon eilenden Mann, der nur nochmal eindringlich daran erinnerte, Dailean anzurufen, war Callan froh, dass er den gelben Schein gleich ganz zu Beginn bekam. Diesen sah er sich nun an und ging zum Telefon. Er war dabei die Nummer seines Professors zu wählen, fand es aber besser vorbei zu gehen.

Schnell ging er in sein Schlafzimmer, zog sich eine Jacke drüber und Sportschuhe und machte sich auf dem Weg. Dabei merkte er nicht den Schatten, der ihm folgte und ihn ganz genau beobachtete.

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