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Rollercoaster

Teil 1

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Vorwort

Soll man eigentlich hier auch mit dem Disclaimer beginnen? Ich nehme an, jeder weiß, wo er/sie ist und was er/sie lesen darf, kann, will, möchte - sämtliche Modalverben – also ist es zwecklos alles zu wiederholen. Es geht hier um eine Geschichte, die ich auf meine Gefühle baue, es werden aber auch Fantasien – reichlich – eingebaut. Am Anfang gibt es also vieles, was wahr ist. Namen wurden verändert... :-) Dies ist mein erster Versuch auf Deutsch, die Geschichte soll weitergehen, wenn ihr das auch so wünscht! Würde mich selbstverständlich über Feedback jeder Art freuen (Feedback-Formular am Ende der Story; Anm. d. Red.), solange es konstruktiv ist. Schließlich sind die Geschichten für euch! ;-) Grüezz an alle! Marcos

1.

Aller Anfang ist schwer... Das natürlich, wenn wir über einen Anfang überhaupt sprechen können! Denn was ist ein Anfang schon? Wir reden immer über ein ordentliches, vollendetes Leben! Kann man das überhaupt haben? Können wir überhaupt ein rundes, vollendetes kleines Leben führen? Wir fühlen diesen Drang, alles zu beenden, sehr pünktlich zu sein und bloß nichts zu vergessen, versäumen, was sich gehört, gut angesehen und hoch beachtet ist. Alles Andere kommt dann in eine etwas andere Kategorie... In die heimliche, vergessene und meistens verborgene Ecke unseres Gedächtnisses.

„Robert, kommst du essen?“

„Bin sofort da!“

Komisch, wie ich mich dieser Welt nicht entreißen kann. Kann einfach nicht raus, es zieht mich immer noch zurück. Und Mutterkomplexe habe ich wohl kaum. Nein, eigentlich ist es die Geborgenheit, die Stille und die Ruhe, die mich an eine sichere und glückliche Zeit erinnern. Meine Kindheit war und ist immer noch die glücklichste Zeit meines Lebens. Sorglosigkeit, Liebe und Freiheit. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo ich meine Meinung so frei geäußert habe wie damals. Da brauchte ich keine Ängste zu haben. Ein Rebell war ich ja später während meiner Pubertät auch nicht...

Vielleicht war er schon damals da, dieser Gedanke, oder gar nur seine Sprösse? Jedenfalls steht etwas dahinter, wenn ich sage, dass meine jugendlichen Träume nie von IHR sprachen. Und damals habe ich noch den leichten Weg gewählt, und die Entscheidung immer wieder hinausgeschoben. An der Uni wird es doch sicherlich jemanden geben, in die ich mich dann verlieben kann! Ja, das stimmt! Das habe ich so eingeplant...

Etwas wesentlich dringenderes war aber der beste Freund! Ja, der beste Freund! Der allerbeste beste Freund! Ein Junge, dem ich mein Leben geschenkt hätte, wenn er mich nur darum gebeten hätte. Hat er aber nie...

Und was geblieben ist, ist nur dieses Foto auf meinem Schreibtisch. Wie soll ich ihn aus meinem Herzen streichen, wenn ich nicht einmal sein Foto wegräumen kann? Seine letzte Mail ist immer noch die erste in meinem Postfach! Hohe Priorität... Mail von IHM! Und dann:

„Robert, ich mag dich nicht mehr! Du magst mich zu sehr, und das ist zu viel für mich! Ich wollte am Anfang so sein wie du, aber dann hast du immer mehr und mehr von mir gefordert. Und ich will nicht mehr. Das kann ich nicht machen! Also sollten wir uns jetzt verabschieden! Wir gehören in verschiedene Welten. Es hätte von Anfang an nicht sein dürfen / müssen! Wünsche dir noch alles Gute. Eddy“

Das muss ich immer noch haben! Es ist einfach unvorstellbar, dass eine andere Nachricht da steht, und nicht seine! Das ist unmöglich! Kann er es nicht einsehen, dass es SEIN Platz ist? Ja, ich würde ihm auch heute noch gestatten, einfach in mein Leben zurückzuspazieren! Ich kann und will nicht über diese Phase hinweg! Ich will ihn zurückhaben! Hier und jetzt! Ich will ihn wieder in meinen Armen haben!!! Auch, wenn er es damals anders gemeint hat, will ich das zurück. Es interessiert mich nicht, warum er mich umarmt, solange ich seine tiefe Stimme hören, seine Wärme spüren und sein Parfum riechen kann. Es waren die schönsten grünen Augen für mich! Und das hübscheste Lächeln überhaupt!

„Hier bin ich nun! Entschuldigung, ihr wisst ja, manchmal verliere ich mich auf dem Weg ins Esszimmer. Das Haus ist ja eine Ausstellung der Erinnerungen für mich!“

Und der Rest des Mittags verging im guten alten Stil...

Meine Eltern, immer noch zusammen, und seit ich ausgezogen bin, scheinen sie einander wieder entdeckt zu haben! Und das macht mich etwas eifersüchtig, aber das ist auch natürlich! Sie sollen ihr Leben leben! Und ich meins... falls ich kann... falls ich will…, aber ich muss...

„No one can love you the way I love you! You give me fever…“ Warum muss im Radio immer das kommen, was mich an ihn erinnert? Als er mir beibringen wollte zu tanzen...

Als ob ich das seit langer Zeit nicht gewusst hätte, was er mir zeigen wollte! Doch, aber ich brauchte den Körperkontakt, meine Hände in seinen, seinen ernsten Blick, die Ausstrahlung seiner Augen...

Gefährlich, während der Fahrt an ihn zu denken! Aber er ist schon Teil meines Lebens! Auch wenn er das nie sein wollte! Zumindest nicht so. Sicherlich nicht! Nein, was er wollte war ein cooler Typ, mit dem er CS spielen kann. Immer noch! Mit dem er Sunshine Live hören kann! Alles, was ich nie war! Und alles was ich nie sein wollte! Aber das interessierte ihn nicht!

Gut, dass ich nicht mehr zu Hause wohne! So muss ich zumindest nicht immer Theater spielen! Ja, leider muss ich Theater spielen. Nur weil ich zutiefst unglücklich bin, kann ich alle Menschen, die wenigen, die mir noch geblieben sind, unglücklich machen! Gott weiß, was alles sie schon versucht haben! Meine Freunde haben das schon akzeptiert. Nehmen das noch so an, wie es ist! Nur so! Weil ich ja eh nie ein Partymensch war. Früher hieß es immer Eddy und jetzt heißt es immer noch Eddy, aber nicht mehr mit einem idiotischen Gesichtsausdruck eines Teenagers...

Ich vermisse ihn!

Die frische Luft reißt mich immer zurück in die Wirklichkeit. Eine ältere Dame mit einem kleinen Hund... So einen wollte ich schon immer haben! Auch wenn es extrem schwul ist, einen Weißterrier zu haben. Aber so einen will ich! Was mich daran hindert? Einmal habe ich einen Film gesehen, und da lautete die Antwort auf die Frage, wann man bereit ist eine Beziehung anzufangen, dass man sich eine Pflanze kaufen soll, und wenn sie nach einem Jahr immer noch blüht, soll man sich ein Haustier kaufen, und wenn dieses nach einem Jahr auch noch lebt, dann darf man es versuchen. Aber nur dann...

Nun, außer Kakteen habe ich nichts in meiner Wohnung... Traurig eigentlich...

Eigentlich will ich an solchen Tagen wie heute nur zu Hause bleiben, aber für heute war etwas anderes vorgesehen. Meine Freunde...

...

„Hast gehört, Erika heiratet im nächsten Monat!“

„Nee, oder? Ist es ihr doch noch gelungen? Hat sie jetzt wirklich diesen einen Kerl in ihrem Netz?“

„Wohl endgültig!“

„Oh, und bei Sandra ist es Ende Dezember auch soweit!“

„Hast du eigentlich gehört...“

Immer wieder dieselbe Geschichte... Ich liebe meine Freunde, aber ab und zu sind sie mir zu viel...

„Da scheint jemand wieder auf Alienjagd zu sein. Hey Robert, wir sind noch da! Earth to Robert!“

„Jaja, ich hör ja zu!“

„Sieht nicht so aus!“

„Doch doch, es ist nur, ich muss noch einiges erledigen. So leid es mir auch tut, muss ich euch jetzt verlassen.“

„Die gute alte Ausrede, was? Das ist ja toll!“

„Nein, wirklich nicht, ich hab echt zu tun!“

„Und zwar????“

„Ähm, nun, iiiich muss... ich habe noch... Hausarbeiten zu korrigieren! Ja! Genau!“

„Jetzt? Um halb zehn???“

„Ja, das muss unbedingt fertig werden und ich habe das völlig vergessen! Also bitte entschuldigt mich, meine Lieben! Wünsche euch viel Spaß noch und nicht allzu viel Gossip über mich!“

„Schon gut, ruf uns noch an, wenn du Lust hast, passiv zuzuhören!“

Oh je, jetzt geht es wirklich los. Gut, dass ich es nicht höre. Dass ich immer so was wie ein fünftes Rad bin, ist mir seit langem klar. Aber hören will ich es nicht! Lieber bleibe ich bei dem Idealbild: ich kann mich auf meine Freunde verlassen! Genau!

....

„Gossip??? Robert???“

„Das sind zwei solche Begriffe wie Tag und Nacht! Oder Nonne und Exhibitionismus!“

„Auch wenn wir wollten, was könnten wir über IHN, ausgerechnet über IHN erzählen?“

„Ja, der Typ sorgt seit einiger Zeit für keine Schlagzeilen mehr!“

„Ich glaube die Journalisten wären längst verhungert, begraben und von der Geschichtsschreibung vergessen, wenn Robert der Artikelstoff sein sollte.“

„Das war gemein, Anita! Hör damit auf, Robert ist ein lieber Kerl!“

„Aber langweilig! Depressiv! Unfunny! Kritisch!“

„GENUG! Hast schon vergessen wie es dir damals ging?“

„Hey hör auf! Dieses Thema kommt nicht mehr auf die Tagesordnung!“

„Aber Robert schon! Zumindest hat er keinen Vermögen für einen Psychotherapeuten ausgegeben! Ich mein, was hast du aus der ganzen Sitzungsreihe gelernt? Dass du Gerald verdrängen musst?“

„Hör auf! Ich will das nicht! Ich habe das hinter mir und fertig! Hauptsache ich habe es bewältigt! Aber Robert lebt immer noch in der Vergangenheit!“

„Ja, aber ist es nicht komisch? Gut, ich hatte auch mal meine Streitchen ab und zu mit dir, aber Anita, meine liebe, du bist trotzdem meine Freundin! Und das ist alles! Ich meine, es ist gut dich zu haben und so, toll, dass wir uns alles erzählen, aber das ist immer noch keine Beziehung! Das ist nur eine Freundschaft! Und fertig! Versteh mich nicht falsch, was ich meine ist nur, was wird passieren, wenn er sich mal verliebt und seine Freundin ihn verlässt. Jetzt ist nur der beste Freund weg, aber was, wenn die große Liebe dahin ist?“

„Ach Mädels, ihr seid doch so dumm! DAS war die große Liebe!!!“

„Waaaas???“

„Du kannst doch nicht annehmen, dass er... Also... Nun ja... Dass er...“

„Schwul ist?“

„Schweig! Das ist ein so grausames Wort!“

„Genau, das ist er!“

„Nee, Andrea, das geht zu weit. Ich mein, Anita und ich kennen ihn seit einer Ewigkeit. Wir haben zusammen studiert, waren zusammen im Ausland!“

„Eben weil ihr ihn so gut kennt, fällt es euch nicht auf! Aber er ist schwul!“

„Er hat keinen Ohrring, oder glühend roten Haare. Als Frau kleidet er sich auch nicht!“

„Komm Julia, klickt es bei dir, wenn du schwul hörst, dein Prozessor erarbeitet ein Monsterbild, das aus der Kreuzung von Elton John, Freddie Mercury und RuPaul einen Typen generiert, bei dessen Anblick du gleichzeitig Herzinfarkt und Hirnschlag erleidest?“

„Ja! Nein, also ich weiß nicht! Das sind doch die, denen alle Löcher gleich sind! Und sie sind grausam!“

„Aber immer die schönsten Typen!“

„Hast auch gesehen? Oh, stell dir vor, dieser eine Typ, du weisst ja, der aus dem Supermarkt, also der muss auch schwul sein. Letzte Woche wo wir bei der....“

....

Es ist doch immer gut, wenn man gute Freunde hat. Anita und Julia sind zwar nicht die hellsten Leuchten, aber sind immerhin angenehm und immer bereit, etwas zu unternehmen. Andrea ist wesentlich vorsichtiger, sie ist eine Karrierenfrau. Kann ich verstehen. Sie hat alles schon im Griff. Eine tolle Stelle, gute Familie, und Kevin. einen tollen Freund! Nein, einen geilen! Einen erstklassigen!

Und was habe ich? Eine Wohnung. Tja, nur eine Wohnung... Ist aber gut, ich habe immerhin etwas, was man hier nicht so oft haben kann! Eine Wohnung nur für mich, eingerichtet wie ich will und nur für mich! Meine Wohnung... Immer wenn ich durch die Tür gehe, fühle ich mich glücklich. Bis ich den Anrufbeantworter erreiche. Autsch! Das tut weh! Immer diese eine Zahl! 0. Das ist ja keine Zahl! Das ist nichts! Von wegen Anfang! Mit 0 fängt alles an! Es ist so wie Alpha oder A! Wohl nicht! Es ist ein Kreis! Ein dämlicher Kreis! Ein langweiliger, deprimierender Kreis! Er führt immer dahin zurück wo es angefangen hat. Oder es bewegt sich überhaupt nicht! Nein, das ist die Stabilität, die Verkörperung der Stabilität! Ich bin mir sicher, diese 0 würde auch dann brennen, wenn jegliche Stromquellen abgeschaltet wären. Das ist etwas konstantes, etwas, das mein Leben bestimmt! Das gehört zu mir, das bestimmt mich, setzt mich unter seine Macht! Es ist die stoffliche Verkörperung meines Geistes! Das kann man mit handfesten Beispielen beweisen! Genau, mit Fallstudien!

Fallstudie 1: Man nehme meine private Mailadresse! Nach den qualvollen Sekunden, wo die Nachrichtenliste vom Server abgerufen wird, darf ich feststellen, dass es keine neuen Nachrichten gibt! Nichts! Na ja, abgesehen von „Ich bin so heiß!“ oder „Mann, 70/150/100, mit dickem Bankkonto sucht jungen Mann für <Freizeittätigkeiten>“. Beweis genug? Nicht?

Fallstudie 2: mein Briefkasten! Das ist die Definition der Leere! Leerer kann nichts sein! Vielleicht sollte man bei diesem Adjektive doch noch eine weitere Steigerungsform zur Ausnahme einführen: leer, leerer, am leersten, Roberts Briefkasten. Da werden sogar Dichter und Schriftsteller machtlos! Und wenn das immer noch nicht ausreichend ist...

Fallstudie 3: Handy! Anrufe in Abwesenheit: kennt Handy nicht, wahrscheinlich nie fällig für Anzeige; Angenommene Anrufe: Mutter, Mutter, Mutter, Mutter, Uni-Sekretariat, Mutter, Mutter... Lohnt es sich, noch weiter zu blättern? SMS-Postfach wollen wir nicht aufmachen. Nicht weil es Pandoras Büchse Kästchen ähneln würde. Im Gegenteil, es lauert die Gefahr, der Briefkasten könnte ernsthafte Konkurrenz kriegen! Da der Fall aber so uninteressant ist, dass der Kampf zwischen Briefkasten und Handy sämtliche potenzielle analoge und digitale Postwaren verschrecken könnte, ist der Fall mit großer Aufmerksamkeit zu behandeln.

Ich habe eine leere Wohnung. Anita meinte mal, sie ähnelte einem Museum. Die Gegenstände sind so angeordnet, dass sie sich nie berühren. Dabei mag ich luftige Einrichtungen. Warum alles mit Gemälden voll hängen? Habe nur zwei im großen Wohnzimmer, dazu noch Couch, Fernseher & Co. Dann noch meinen Tisch mit 6 Stühlen. (Einspruch abgewiesen! Ich habe es mir nicht selber ausgesucht! Kann mich nicht einmal daran erinnern, ob jemals alle Stühle auf einmal besetzt waren...) Sonst noch Leuchtkörper. Ganz viele! Ich mag die Lichteffekte. Egal, ob Kerzen, Lampen oder was auch immer, es ist besonders schön!

Mein Arbeitszimmer ist auch mein Schlafzimmer. Warum zwei getrennte Zimmer haben, wenn ich eh im Bett arbeite? Habe meinen PC an den Fernseher angeschlossen, der ist ja an der Wand, muss also meine Augen nicht anstrengen und sitze/liege gemütlich. Ob ich jemanden beim Schlafen störe? Würde ich gerne, ist aber ausgeschlossen. Zwar habe ich ein Doppelbett, ist aber allein mein Besitz! Dieses Bett ist Standort meiner tagtäglichen Ereignisse zu Hause. Hier schreibe ich, hier lese ich und hier telefoniere ich. Mein Leben ist halt einfach. So einfach, wie es nur sein kann. Stressfrei nicht, aber einfach. Arbeit hoch und fertig. So kann ich meine Gedanken von gewissen Sachen fernhalten. Muss nicht an ihn denken. Ständig. Pausenlos. Gnadenlos diese Sehnsucht... Schrecklich! Und dabei vermisse ich ihn so sehr...

Ich lege mich wie immer auf mein Bett, drücke schon automatisch den Play-Knopf und verliere mich in der endlosen Dunkelheit des Nachthimmels. „Tonight I celebrate my love for you...“ Farben beleben den Nachthimmel. Das kleine weiße Haus am Strand, die große Bewegung... So schlafe ich ein... Ein Tag ist wieder vergangen...

Aber heute, am 7. November 2005, werde ich es tun! Ich warte nicht länger! Zwischen 22 Uhr und Mitternacht! Mich besonders anziehen werde ich auch nicht! Nein, das lohnt sich nicht! Es ist nichts besonderes! Jeans und ein einfaches T-Shirt! Das passt schon! Warum sollte ich gerade jetzt, wo ich mich entschlossen habe, was anderes zu machen, wieder nach dem alten Muster handeln? Bloß nicht!

Die Straße war, wie immer, voll. Zu voll für mich! Warum gibt es immer nur ein einseitiges Angebot? Ich meine, ist es so schwer, sich zu zeigen? Und ob es an mir liegt? Natürlich nicht! Das nicht! So ruhig war ich seit langer Zeit nicht mehr! Und wie immer, weiß ich auch jetzt, was ich will! Und ich werde es auch machen! Hier und jetzt! Zwischen 22 Uhr und Mitternacht! Die Straße wirkt aber anders. Ganz anders. Es ist eine andere Welt. Eine mir fremde Welt, die aber seit Ewigkeiten da ist, bloß fand sich kein Ort und kein Zeitpunkt, wo die zwei Welten sich hätten treffen können... Bis jetzt!

Schrille Farben, Parfum, viel zu viel Parfum. Viel zu viele Farben!

„Hey Süsser, was darf's denn sein?“

„Bei dir oder bei mir?“

„Bin frei für einen Quicky! Was meinst, Schnucki?“

Farben, Stimmen, Gerüche und ein angenehmer Abendwind. The Wind of Change. Der 7. November 2005, 21:47. Ein angenehmer Abend. Fast zu angenehm! Ein Abend, den jeder anständige Mensch zu Hause mit der Familie verbringen würde. Nicht auf so einer Straße! Nicht auf der Suche nach...

...etwas, das ein stärkerer Impuls ist als alle andere. Etwas oder Jemand. Wie dieser schüchterne, gut gekleidete junge Mann, ganz am Rand der Straße, weg vom grübelnden Markt, ganz vorsichtig, aber immerhin da. Halt im Hintergrund... Aber ein Hintergrundelement, das den Unterschied macht!

Und ich fühle mich sooo gut!!! Ich bin die verkörperte Ruhe! Bin die Ruhe selbst! Gehe nun auf ihn zu! IHN will ich! Ihn und keinen anderen! „Wenn du dir einen schönen holen willst, dann kauf dir einen!“, hat mir mal jemand gesagt. „Gut und schön sind nur in der Philosophie kompatibel, nicht in der Wirklichkeit!“ Er steht immer noch da, auf demselben Platz, aber irgendwie in der Zeit verloren... In der Ewigkeit... Er ist eigentlich überhaupt nicht da! Seine Seele ist weit weg von hier! Was hat dieser Junge zu verbergen? Jetzt bemerkt er mich. Gehe auf ihn zu und ihm wird es klar, dass ich ihn meine. Ich schaue ihm in die Augen und bestätige es: „Du bist mein Opfer!“ Sein Körper wird steif, Panik ergreift ihn, aber er rührt sich nicht vom Platz.

„Wieviel?“, frage ich ganz grob. Werde wohl keine Konversation führen!

„I... ich...“ Er hat's schwer, der arme Junge...

„Nun, Junge? Ich hab' nicht den ganzen Abend zur Verfügung!“

„50!“, sagt er und senkt den Blick. Ach, ist diese Stimme göttlich!

„Aktiv oder passiv?“ Was ist mit ihm los? Ist er kein Profi? Selbst ich könnte das besser machen!

„Was Sie wünschen...“, sagt er zögernd. Und plötzlich läuft er tiefrot an.

„Passiv! Wohin?“ Sein Körper reagiert sofort. Alles, was er nicht glauben wollte, wird jetzt wahr. Sein Körper reagiert, sein Hirn will die Information noch nicht verarbeiten.

„Wohin Sie wünschen.“

Mann bin ich doof! Warum muss ich, ausgerechnet ich, die Anfänger erwischen? Ich brauche einen Profi! Zumindest heute Abend! Es ist ja mein erstes Mal verdammt! Ich brauche einen Profi, der mir zeigt, wo es langgeht!

Ich gehe los und er folgt mir, wortlos und einen halben Meter hinter mir. Wir gehen ins erste Hotel. Er ist ganz blass. Ich muss alles allein machen! Fülle ein Anmeldeformular aus. Ausweis müssen wir nicht zeigen. Zimmer 106. Hundert... Sex... Mein erstes Mal. In einem billigen Hotel. Das Zimmer ist klein, das Bett ist alt, es riecht komisch. Er steht im winzigen Vorzimmer und ist blass. Ganz blass.

„Dann wollen wir mal!“ Meine Worte erschrecken ihn. Schaut mich nicht an, zögert ein wenig und beginnt, sich auszuziehen. Er ist nicht zu dünn, einfach normal. Dunklere Haut, kurze braune Locken, die ihm stehen. Dunkelbraun...Fast schwarz... Frisch gewaschen... Seine Arme sind schön. Die wenigen Haare machen ihn männlich. Ein schöner Hals, zwei dunkelrote Brustwarzen, ein kleiner Haarstreifen, der nach unten führt und sich in seiner Tommy Unterhose verliert... Jetzt zögert er wieder... Steht nur in seiner Unterhose da und schaut mich an.

„Das mache ich schon!“, entscheide ich mich und trete plötzlich näher zu ihm.

Warum will ich überhaupt die Wertesysteme übernehmen, die mir verschiedene Personen aufgedrängt haben? Das gehört ja zum allgemeinen Erbe der Menschheit, das wird ja generationsweise überreicht, darauf ruhen die Grundsteine unseres menschlichen Daseins und unserer Gesellschaft... Ach, das will ich endlich loswerden! Bin ich denn jetzt schuldig für die Sünden des ersten Menschenpaares oder nicht? Sagt das nicht die Religion aus? Dann soll ich bitte ausprobieren, kosten, riechen, sehen und spüren, mit allen Sinnen erleben, was es heißt zu sündigen! Sein Körper strahlt. Er schaut weg. Ich berühre seine Haut und er reagiert sofort. Spiele ein wenig mit seinen Brustwarzen. So fühlt es sich also an... Er schaut immer noch weg, aber sein Körper reagiert... Jetzt spiele ich mit dem kleinen Streifen. Seine Haut brennt. Mit meinem Zeigefinger zeichne ich unbekannte Formen auf seinem Bauch. Dringe dann in seine Unterhose ein. Er holt tief Luft ein. Aber das gönne ich ihm nicht so schnell... Nehme also seine Hand in meine Hände. Er hat schöne Finger. Ganz gepflegt. Die Spur eines Ringes an seinem linken Ringfinger... Kann er verheiratet sein? Nein, dafür ist er ja viel zu jung! Ich spiele mit dem Feuer. Dieser Junge hat etwas zu verstecken! Welche Geschichte versteckt sich hinter diesem hübschen Gesicht?

„Zieh deine Unterhose aus!“, kommandiere ich. Das kam unerwartet. Schaut mich aber nicht an, zögert ein wenig, schiebt seine Tommy runter. Gepflegt, gepflegt!

Ich beginne mich auszuzuiehen und sage ihm, er soll sich vorbereiten. So muss das sein! Keine Liebe, keine Zärtlichkeit! No heartache, no pain! Just sex... Dienstleistung... Ja! Ist so wie Einkaufen oder Unterricht. Ich drehe mich um und finde ihn auf dem Bett, auf allen Vieren mit einem Kondom auf dem Hintern. Einfallsreich der Kleine! Ich rolle es auf... Das erste Mal! Jetzt werde ich es endlich hinter mir haben! Aber nicht doch von hinten! So unpersönlich soll es auch nicht sein! So unpersönlich ist es ja zu Hause, bitte, das kann ich ja SO auch allein machen! Er soll mich anschauen!

„Leg dich auf den Rücken!“ Er macht es sofort, fast automatisch. Die Luft ist kühl, ich spüre Spannung und noch etwas Unsicherheit... Nehme die aus den Filmen so gut bekannte Position ein, seine Beine auf meinen Schultern... Schaue runter auf den angespannten Körper. Mit den Fäusten krallt er sich in die Bettwäsche, so fest, als ob eine Rettung von da kommen könnte. Seine Lippen sind zusammengepresst, die Augen geschlossen. Er zittert. Sehe ich da Tränen?

Komm schon! Was interessiert es dich? Du musst das hinter dir haben! Und bloß keine Gefühle! Das ist nur ein Job für ihn! So, jetzt geht es los! Je länger ich warte, desto stärker zittert er. Seine Wimpern schwimmen in den kristallklaren Tränen, ein Tropfen macht sich auf den Weg und hinterlässt eine silberne Spur auf seinem schönen Gesicht. Gott, ist er schön! So genau konnte ich ihn mir noch nicht anschauen. Er ist ein Sunnyboy. Lange schwarze Wimpern, ein länglicheres Gesicht mit feinen Zügen, eine einfach passende Nase. Ich kann mich nicht zurückhalten und berühre den Tropfen. Er öffnet erschrocken die Augen. Es sind die schönsten blauen Augen. Nicht eisig kalt, nur traurig und erschrocken. Vielleicht auch resigniert... Ich lehne mich vor, er schließt die Augen und bereitet sich auf das Schlimmste vor...

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