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Wie ein roher Diamant

Teil 8 - Bernstein

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Die Iden des März.

Zwar hatte ich nicht vor jemanden umzubringen, aber war nahe dran, den ein oder anderen Gedanken daran zu verschwenden.

Der Lernstoff fraß mich förmlich auf. Und nicht nur der.

Wie so oft an einem Freitag- oder Samstagabend, musste Jan allein um die Häuser ziehen. Ich war nun mal nicht so gut situiert wie er.

Ich hatte keinen Regenbogen entdeckt, an dessen Ende ich einen Topf voller Gold gefunden hatte. Wobei sein Regenbogen beim Bankkonto seines Vaters endete.

Nein, ich war einer der armen Trottel, die neben dem Studieren ihre wertvolle und knapp bemessene Zeit mit Arbeiten verbrachten.

Arbeiten um studieren zu können.

Und die restlichen zwei Stunden des Tages musste ich mir mit Essen, schlafen und Jan teilen.

Das Schnaufen das hinter mir erklang und meinen Nacken streifte, verführte mich zu einem Augenrollen.

„Tut mir leid," wimmerte ich sofort, „aber..."

„Aber du musst lernen, weil du eine Klausur schreibst. Schon klar." Jan legte seine Hände auf meinen Schultern und begann sie sacht zu massieren. Ein wohliges Stöhnen kam über meine Lippen, als er begann, die Spannplatte, die es wagte sich mein Rücken zu nennen, zu lockern.

Erleichtert nahm ich wahr, dass er nicht sauer zu sein schien. Schließlich war es nicht das erste Mal dass ich ihn quasi versetzte. Mir hätte es auch besser gefallen, nachts durch die Clubs zu ziehen. Na ja, weniger der Clubs wegen; eben um mehr Zeit mit Jan verbringen zu können.

„Wenn du mir versprichst, dir nächstes Wochenende einen Abend frei zu nehmen, schmolle ich nicht."

Ich seufzte tief.

„Ich weiß nicht, ob ich arbeiten muss. Aber ich werde es versuchen!"

Ich legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm auf. Meine Lippen formten eine weitere stumme Entschuldigung. Aber er schüttelte nur leicht den Kopf. Ein Abschiedskuss auf meine Lippen folgte und dann sah ich nur noch die prachtvolle Kehrseite meines Freundes nach draußen verschwinden.

Es war so unfair.

Ich warf einen Blick auf die Uhr.

Es war nicht einfach für mich, ihn einfach so allein ziehen zu lassen. Schließlich kannte ich seinen Ruf. Aber seit wir zusammen waren, schlief keiner von uns beiden kaum mehr eine Nacht allein. Und solange ich am nächsten Morgen erwachte und Jan neben mir lag, hatte ich keine Probleme. Außerdem stand es mir gar nicht zu etwas zu sagen. Ich konnte Jan nicht fest ketten. Und wenn ich keine Zeit hatte, trug er daran keine Schuld und sollte dafür nicht bestraft werden.

Gegen zwei Uhr morgens, einen Bleistift auf dem Gewissen mit dazugehörigem Radiergummi und einer blauen Zunge – ein Kugelschreiberunfall - konnte ich den Kram einfach nicht mehr ersehen.

Geräuschvoll knackten meine Knochen als ich die Arme über den Kopf streckte. Allerdings war ich nicht müde. Ich hatte diesen Punkt bereits weit übergangen. Also würde aus ‚einfach schlafen gehen' nichts werden. Stattdessen schnappte ich mir mein Buch vom Nachttisch, das da seit etwa einer Woche ungelesen lag.

‚Dachgeflüster'

Auf Empfehlung eines Bekannten gekauft, aber noch nicht dazu gekommen, es anzulesen. Ich kuschelte mich in mein Bett und schaltete insoweit ab, dass ich mich ganz auf das Buch konzentrierte. Lange dauerte es nicht. Bald schon zog es mir die Augen zu. Irgendwann legte ich fest nur noch bis zum nächsten Absatz zu lesen und dann zu schlafen.

Bevor ich die Augen schloss und mich die Erschöpfung übermannte, warf ich einen letzten Blick auf die Uhr.

Drei Uhr.

Nein, um diese Zeit musste ich noch nicht damit rechnen, dass ein nach Zigarettenqualm und Alkohol riechender Knabe in mein Bett kroch.

Gegen elf wachte ich durch Zufall auf. Ein Zufall der mir gelegen kam, denn ich hatte nur noch eineinhalb Stunden Zeit, bevor ich an der Arbeit sein musste.

Keine Frage, ausreichend genug. Aber ich hasste es einen Tag mit der erschreckenden Kenntnis zu beginnen, dass man verschlafen hatte.

Gähnend rieb ich mir die Augen und streckte mich.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich allein in meinem Bett lag. Verwundert setzte ich mich auf. Die leere Bettseite deutete auch nicht darauf hin, dass jemand des Nachts darin gelegen hatte. Ich krabbelte zur Bettkante und lugte über den Rand.

Nichts.

Keine verstreuten Klamotten. Keine stinkenden Socken. Nicht mal eine besudelte Unterhose.

Meine Stirn zog sich in Falten. Merkwürdig. Aber nicht ungewöhnlich.

Auf dem Weg zum Badezimmer lauschte ich an Jans Zimmertür.

Nichts.

Ich öffnete einen Spalt und erkannte den blonden Haarschopf, der leise vor sich hin schnarchte und dessen dazugehöriger Körper bis zu den Ohren unter der Bettdecke verborgen war.

Der strenge Geruch, der in der Luft lag, ließ nicht nur den Wunsch zurück, das Fenster sperrangelweit aufzureißen. Nein, eher erklärte er mir die unübliche Abwesenheit jenen Ursprungs in meinem Bett.

Der miefige Alkoholgeruch, der in der Luft lag, deutete darauf hin, dass Jan am Abend nicht nur übertrieben sondern die gesamte Getränkekarte der harten Sachen mindestens fünfmal hoch und runter bestellt hatte.

Er würde einen mordsmäßigen Kater haben. Zu schade, dass ich arbeiten musste.

Nachdem ich Kaffee aufgesetzt hatte, schaute ich noch einmal bei Jan vorbei. Allerdings fand ich sein Bett leer vor. Da ich keine Würgegeräusche bisher vernommen hatte, war er wohl von allein aufgewacht.

Nett von ihm, mir doch noch die Gelegenheit zu geben, mich an seinem Gebrechen zu laben. Ein hinterhältiges Grinsen stahl sich auf meine Lippen, als ich auf Zehenspitzen zum Bad schlich.

„Guten Morgen!" dröhnte meine Stimme, außerordentlich gut gelaunt und laut in den Raum, nachdem ich die Tür aufgestoßen hatte.

Mein Lächeln gefror.

Jan sah aus wie eine wandelnde Leiche. Eine Leiche, die sogar Todesflecken aufwies: An seinem Hals und auf seiner Brust prangten Knutschflecke, die gestern noch nicht da gewesen waren, als er gegangen war.

Da stand ich nun. Vollkommen starr und mein Blick auf diesen einen Knutschfleck an seiner Halsbeuge gerichtet, der mir förmlich schadenfroh entgegengrinste.

„Sag mir, dass es nicht das ist, was ich denke" hörte ich mich wispern, und hob endlich den Blick. Ich war mittlerweile genauso aschfahl wie Jan auch.

Er erwiderte meinen Blick mit einer Mischung aus Schock, Gewissheit, um Erbarmung heischend und sogar Trotz.

„Wer?", war meine nächste Frage, und ich klang bereits reservierter als vorher.

„Ich kenn sie nicht", krächzte er heiser.

Erneut riss ich die Augen auf.

„Sie? SIE?", fragte ich schrill. „Seit wann... Sind dir Männer jetzt zu langweilig, dass du dir schon Weiber ins Bett holen musst?" fauchte ich.

Er fuhr sich zitternd mit einer Hand durch die blonden zersausten Haare.

Unsicher trat er ein paar Schritte auf mich zu, streckte eine Hand nach mir aus. Ich machte keine Anstalten mich vom Fleck zu bewegen, aber er ließ die Hand dennoch sinken, bevor er mich berührte.

„Keine Ahnung. Ich... kann mich nicht erinnern...", kam es murmelnd über seine Lippen.

Während meine Augen vor Wut flackerten, waren die seinen glasig.

Ich ächzte gequält, als ich die erweiterten Pupillen bemerkte. Meine angespannte Haltung brach in sich zusammen.

„Du hast wieder Drogen genommen...", hauchte ich fassungslos.

In diesem Moment wusste ich nicht, was mir mehr Schmerz bereitete: Dass Jan mich offensichtlich betrogen oder dass er wieder Pillen eingeworfen hatte.

„Alex, ich..."

Ich hob nur abwehrend die Hände.

„Ich muss an die Arbeit."

Mechanisch lenkten sich meine Schritte Richtung Wohnungstür. Ich schnappte mir Jacke und Schlüssel.

Nur noch weg. Raus hier.

„Alex..." folgte mir der hilflose Klageruf von Jan, doch ich zog die Tür hinter mir ins Schloss.

Als die Fahrstuhltüren sich geschlossen hatten, begannen meine Beine zu zittern und gaben schließlich nach. Ich sank in einer Ecke zusammen, umarmte meine Knie und vergrub das Gesicht in meiner Jacke.

Seit zehn Minuten stand ich unschlüssig vor der Wohnungstür. Es würde nichts ändern. Es war passiert und ich wohnte hier.

Ich konnte das Geklapper von Vincents Computertastatur hören. Er saß mit Sicherheit auf der Couch, schlürfte die 15te Tasse Kaffee an diesem Tag und ahnte nichts.

So wie ich Jan kannte, hatte er sich in seinem Zimmer verbarrikadiert, schob den Kater vor um mies gelaunt zu sein oder aber er war gar nicht da.

Er hatte sich damit gekonnt aus der Affäre gezogen, aber ich musste an unserem Schießhund vorbei. Und da mein Gesicht, selbst unter Auferbietung aller Kraft, für jedermann ein offenes Buch war – ganz so, als würden meine Gedanken als Laufschrift über meine Stirn wandern – würde ich nicht mal in die Nähe meines Zimmer kommen, ohne von Vincents Radar erfasst zu werden.

Ich atmete tief durch, setzte eine ausdruckslose Miene auf und begab mich in die Höhle des Löwen.

Allerdings schien Vincent von etwas fasziniert zu sein, denn er sah nicht einmal auf.

Ich nutzte diese göttliche Chance und huschte an ihm vorbei. Allerdings kreuzte auf Höhe der Küche ausgerechnet Jan meinen Weg. Stocksteif blieben wir beide gleichzeitig stehen und starrten uns wie verschreckte Kaninchen an.

Allerdings reagierte ich schneller. Ich schob mich einfach an ihm vorbei, ignorierte den mitleiderregenden Blick.

„Alex..." begann er leise und folgte mir.

Ich hatte bereits meine Zimmertür einen Spalt geöffnet, blieb dennoch stehen, aber wandte mich nicht um.

„Lass mich in Ruhe" erwiderte ich leise. „Ich kann dich momentan nicht ertragen." Ich erschrak selbst vor dem eisigen Klang meiner Stimme.

An diesem Abend war ich froh darüber, so viel für die Uni lernen zu müssen.

‚XI-tes Gebot

Gehe nie eine Beziehung mit einem Mitbewohner deiner Wohngemeinschaft ein!' Dieses Memo nahm in etwa die Hälfte meiner Pinwand ein.

Es sollte mir eine Erfahrung vor Augen führen, die ich schmerzhaft hatte erleben müssen.

Es war schon schlimm genug, dass man sich damit auseinandersetzen musste betrogen worden zu sein. Aber dem Übeltäter jeden Tag über den Weg zu laufen...

Das war reinste Folter und meinen Nerven nicht gerade zuträglich. Oder der Situation im Allgemeinen.

Ich befand mich in einer Art Schwebe. Ich konnte nicht genau definieren, wie ich mich fühlte. Es war mir egal, gleichgültig. Dann wenige Momente später, hätte ich heulen können oder einfach nur etwas zerschlagen.

Meine Emotionen waren eine reinste Achterbahn und kein Gefühl konnte sich darauf einigen vorzuherrschen. Bis auf eines: Vollkommene Verwirrung.

Was sollte ich tun? Wie sollte es weitergehen? Welche Konsequenzen zog ich für mich, und damit für Jan, daraus?

Schließlich war es Steffen der mir die Pistole auf die Brust setzte.

„Und was gedenkst du jetzt zu tun?"

„Ich?", fragte ich entgeistert. „Warum ich? Er hat mich betrogen!", stellte ich noch einmal klar.

„Das weiß ich auch", bemerkte Steffen genervt und setzte sich auf meine Schreibtischplatte, während ich mich nach hinten auf mein Bett kippen ließ und die Decke anstarrte.

„Ehrlich gesagt,... ich weiß es nicht", gab ich leise zu. Und dieser Zustand hielt seit über einer Woche an, ohne Aussicht auf Besserung.

„Liebst du ihn?"

Ich zog meine Unterlippe zwischen meine Zähne, knabberte darauf herum und dachte nach. „Ja", antwortete ich nach einer Weile und meinte es auch so.

Ja. Ich liebte diesen gedankenlosen Trottel. Aber was brachte mir schon diese Erkenntnis, außer noch mehr Schmerz.

„Dann solltest du dich fragen ob du ihm vergeben kannst."

Mit weit aufgerissenen Augen schoss ich hoch und starrte Steffen an, als wäre ihm gerade ein zweiter Kopf gewachsen.

Steffen hob langsam die Schultern und seine Hand, als ich bereits meinen Mund geöffnet hatte um zu protestieren.

„Ich will damit keinesfalls herunterspielen was passiert ist. Aber ihr seid erwachsene Menschen und solltet langsam übereinkommen was daraus resultiert. Entweder du gibst ihm eine zweite Chance oder du verlässt ihn. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten."

Ich brummte missmutig.

„Warum gibst du mir gerade das Gefühl, dass es meine Schuld ist?" fragte ich nach und fixierte Steffen mit zusammengekniffenen Augen.

Steffen rutschte von meinem Schreibtisch und ließ sich neben mich auf die Bettkante fallen. Er seufzte schwer.

„Ich gebe dir nicht Schuld, Alex", begann er und sah ihn nun an. „Aber ich weiß wie es von der anderen Seite aussehen kann."

Abermals wurde meine Augen kugelrund. „Du? Aber... ich meine, Vincent..." stotterte ich verwirrt zusammen. Meine heile Welt brach gerade zusammen. Das Vorzeigepärchen schlechthin. Die immer gut gelaunten und ewig verliebten. „Wieso? Wann?" Diese Offenbarung versetzte mir einen ebensolchen Schock, wie Jans Fremdgehen.

Interessiert betrachtete Steffen plötzlich seine Fußspitzen und meinen Teppich. „Es ist schon eine Weile her. Du warst gerade eingezogen und Vincent war so oft unterwegs. Wir haben uns manchmal tage- oder gar wochenlang nicht gesehen, nur ab und an telefoniert."

Ich konnte mich an die Zeit erinnern, und wie oft Steffen mir leid getan hatte. Es stand ihm damals im Gesicht, wie er gelitten hatte und ich hatte das dauernde Bedürfnis verspürt ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten.

„Ich... war einsam. Er hat mir so gefehlt, die Nähe hat mir gefehlt." Erneut hob er – diesmal hilflos – die Schultern. „An dem Abend hatten mich ein paar Bekannte eingeladen... ich hatte zu viel getrunken und er war so, ich weiß nicht. Ich fühlte mich einfach wohl bei ihm, konnte vergessen und dann ist es eben passiert. Es hat nichts bedeutet. Ich fühlte mich schrecklich danach. Beschissen um genau zu sein."

Ich musterte ihn neugierig.

„Und Vincent hat dir verziehen?" fragte ich vorsichtig nach.

Ein stummes Nicken folgte.

„Wir haben lange geredet, darüber was im Moment falsch läuft bei uns. Es war ein hartes Stück Arbeit sein Vertrauen zurückzugewinnen. Aber das war es allemal wert. Ich hätte mit dem Teufel paktiert um Vincent zu halten."

Erst jetzt hob er wieder den Kopf und sah mich an. „Ich will Jan nicht in Schutz nehmen, ich möchte nur dass du mit ihm darüber redest."

Ich dachte lange und ernsthaft darüber nach. Eigentlich hatte ich darauf gewartet dass Jan den ersten Schritt machte und sich zumindest entschuldigte. Schließlich war ihm der Fehltritt unterlaufen, nicht mir.

Ich klopfte nur pro forma an seine Tür und trat gleich darauf ein.

„Wir müssen reden", begann ich leise und lehnte mich an das geschlossene Türblatt in meinem Rücken.

Erleichterung huschte über Jans Gesicht und er nickte mir zu.

Abwartend sah Jan mich an, doch ich hatte nicht vor das Gespräch zu beginnen. Ich hatte den ersten Schritt gemacht, jetzt war es an ihm nachzuziehen.

Unsicher deutete er auf den freien Platz neben sich, doch ich rührte mich nicht vom Fleck. Ich sah ihn einfach nur an.

Fast schien es so, als erwartete Jan von mir, dass ich ihm sagen sollte, was ich gedachte von ihm zu hören. Doch darauf konnte er warten bis er schwarz wurde.

„Es tut mir leid", hörte ich schließlich, aber ich konnte nicht aus meiner Haut. Ich war verletzt und hatte auch vor, ihm das zu zeigen. Ihm vielleicht ebenso weh zu tun, wie er es bei mir getan hatte. Und allzu leicht wollte ich es ihm auch nicht machen.

Einerseits fiel es mir schwer hart zu bleiben. Er war seit Tagen wie ein geprügelter Hund durch die Wohnung geschlichen, und er fehlte mir. Es war ungewohnt nach einiger Zeit wieder allein zu schlafen. Ich vermisste den warmen Körper an meiner Seite, ich vermisste ihn.

Andererseits wollte ich nicht so leicht nachgeben. Er sollte sich Mühe geben, sollte mir zeigen, dass es ihm wirklich Leid tat. Dass er aufrichtig bereute.

„Ich weiß nicht warum es passiert ist. Ich..." Jan sah vollkommen verunsichert aus. Das hier war Terrain das er zuvor noch nie betreten hatte. „So eine Situation ist mir vollkommen neu. Genauso neu, dass es mir dreckig dabei geht." Er stand auf und kam auf mich zu.

Seine Schritte – unsicher. Er war auf ganzer Linie hilflos.

Es brach mir fast das Herz, ihm dabei zuzusehen. Aber ich bewegte mich noch immer nicht vom Fleck, genauso wenig wie meine Miene etwas anderes ausdrückte, außer Verletzung und Wut.

Als er direkt vor mir stand, erwiderte ich seinen Blick stumm.

Seine Arme schlangen sich um meine Schultern und er drückte sich fest an mich. „Es tut mir so leid", wisperte er.

Die darauf folgende Zeit war noch schlimmer für mich, als die in der ich nicht wusste, was ich tun sollte.

Eifersucht und Misstrauen fraß sich wie Gift durch meine Eingeweide. Bei jedem Telefonklingeln, jeder SMS die einging roch ich potentielle Liebhaber.

Wenn ich arbeiten ging oder zur Uni, fragte ich mich, was er gerade tat.

Jedes Mal war der Gedanke in meinem Hinterkopf präsent, dass er gerade in diesem Moment in einem fremden Bett lag.

Ich begann ihn systematisch abzutasten, wenn ich nach Hause kam. Roch ich fremdes Parfüm? Hatte er, entgegen seinem Rhythmus, geduscht? Wies er Spuren, wie Kratzer oder Knutschflecke auf?

In der Nacht wachte ich manchmal auf und vergewisserte mich, dass er neben mir lag.

Es war belastend. Für mich. Für ihn. Für unsere Beziehung.

Ich wusste nicht ob ich jemals in der Lage sein würde, ihm zu vergeben oder zu vergessen.

Und ich wusste nicht, was diese Beziehung noch für einen Sinn machte, wenn ich ihm doch nur misstraute.

Allerdings überraschte mich der Umstand, dass er das einfach hinnahm. Jan selbst verlor kein Wort über meine penetrante Kontrolle. Stattdessen verbrachte er zusehends mehr Zeit zu Hause. Er begann sogar zu lesen, wenn ich lernen musste, oder war mit einem DVD-Abend auf der Couch zufrieden. Wenn er doch mal ausging, dann nur mit mir zusammen oder in Begleitung von Vincent und Steffen. Er machte keine Anstalten allein irgendwohin zu gehen, davon abgesehen, dass er kaum Alkohol zu sich nahm.

Zugegebenermaßen beruhigte mich diese Entwicklung nach einiger Zeit.

Langsam konnte ich wieder beginnen Vertrauen, zu ihm und seinem Wort, zu fassen. Ich begann damit nicht mehr heimlich in seinem Handy herumzuschnüffeln; nach verdächtigen Nachrichten oder Nummern zu suchen.

Ich konnte seine Nähe wieder genießen und zulassen.

„Ich geh jetzt."

Ich sah von meinem Buch auf und lächelte Vincent an. „Okay. Siehst gut aus."

„Und du willst wirklich hier bleiben?" fragte er zweifelnd. Sein Blick wanderte kritisch über meine Erscheinung. Mit Schlabberhose und Shirt lümmelte ich auf der Couch, meinen Schmöker in Händen.

„Jab."

„Du musst keinem was beweisen", bemerkte er murmelnd und sah mich an.

„Ich weiß. Aber irgendwann müssen wir wieder anfangen normal miteinander umzugehen."

Vincent schnaufte.

Seit einiger Zeit gingen Jan und ich wieder getrennt weg. Ein Abend in der Woche gehörte jedem von uns allein. Und heute war Jan dran. Zwar hatte ich jedes Mal ein mulmiges Gefühl, aber es bestätigte sich bei seiner Rückkehr, dass ich Unrecht hatte.

Vincent hielt mir einen Zettel vor die Nase.

„Was ist das?" fragte ich überrascht und griff danach.

„Naja,...so ein, zwei Stunden für sich ist ganz toll. Aber, wenn dir langweilig ist..." er zwinkerte mir zu und richtete sich wieder auf.

Ich überflog den Text kurz. Es war die Adresse von Jans Party, zu der er eingeladen worden war.

„Ich kann da doch nicht einfach so auftauchen", murmelte ich.

„Sicher kannst du das. Er ist schließlich dein Freund." Vincent wuschelte mir durch die Haare und winkte zum Abschied.

Ich verwarf diesen Gedanken sofort. Es sollte nicht aussehen als würde ich ihm hinterher spionieren. Also widmete ich mich wieder meinem Buch und genoss die alleinige Ruhe in der Wohnung.

Unwohl war wohl kein Ausdruck dafür, wie ich mich fühlte.

Ganz als würde ein riesiger Reklamepfeil über mir leuchten. Der Vergleich eines Kaninchens das in eine Schlangengrube geworfen wurde, hätte passender nicht sein können. Denn es kam mir so vor, als würden die Gäste dieser Party riechen, dass ich eigentlich keiner der ihren war.

An meinen Klamotten lag es nicht – mir fehlten zwar die kleinen Hinweisschilder mit den Aufdrucken ‚Gucci', ‚Dolce&Gabana', ‚Armani' aber das konnten sie doch nicht sehen, oder?

Ich sah mich ein wenig um und kam zu der Feststellung dass dem wohl doch so war. Es wunderte mich, dass mich noch keiner darum gebeten hatte ihm einen Drink zu mixen oder die Jacke in die Garderobe zu bringen.

Es grenzte an ein Wunder, dass man mich überhaupt herein gelassen hatte.

Aber die meisten waren bereits so dicht, dass es ihnen wohl eh egal war. Und so hatten sie zumindest einen Grund sich dass Maul zu zerreißen. Der Gesprächsstoff für diesen Abend war jedenfalls gesichert.

Ich schnappte mir ein Glas vom Tablett einem der herumeilenden Kellner und versuchte einen Überblick zu gewinnen. Der Gastgeber hatte mich mit den Worten ‚Jan? Der ist hier irgendwo' empfangen, mich in das Gedränge geschoben und einfach stehen lassen.

Ich stürzte den Inhalt des Glases auf Ex hinunter. Champagner.

Noch nie hatte ich das getrunken,... und würde es wohl auch nie wieder tun. Da konnte ich auch meine Socken nach einem Arbeitstag in Mineralwasser legen – das kam im Geschmack auf dasselbe heraus.

Ich schob mich weiter durch die Menge. Ich hätte nie erwartet, dass hier so viele Menschen waren. Wie auf einer Gala.

Ich hatte allerdings keine Ahnung wie es auf einer Gala zuging, war ich noch niemals auf einer gewesen. Aber ich war mir sicher, dass es in etwa so ablaufen würde. Nur mit Fernsehen und Paparazzi.

Leise Zweifel keimten auf, ob ich hier überhaupt richtig war. Aber ich rief mir den Gastgeber zurück ins Gedächtnis, und der hatte schließlich bestätigt, dass Jan hier war. Vielleicht war er aber auch schon auf den Nachhauseweg und ich hatte ihn verpasst. Etwas unschlüssig drehte ich mich in der Menge und erhaschte einen Blick auf den bekannten Blondschopf. Den ebenmäßig geformten Hinterkopf hätte ich unter Tausenden erkannt.

Erleichterung machte sich breit und ein Lächeln schob sich auf meine Lippen. Ich hoffte, er freute sich über mein Auftauchen. Auf einen Streit konnte ich verzichten.

Nur noch wenige Schritte trennten mich von Jan. Hin und wieder sah ich ihn durch ein paar Lücken, die die sich bewegende Menschenmasse aufrissen.

Nach einem ähnlichen Prinzip musste sich die Kontinentaldrift entwickelt haben. Ich brauchte mit Sicherheit eine halbe Stunde, um von einer Seite des Raumes auf die andere zu gelangen.

Allerdings riss mich der Pfennigabsatz, der sich in meinen Fuß bohrte, aus dieser verwegenen Entstehungstheorie. Zischend zuckte ich zusammen und bekam prompt eine Champagnerdusche, als etwas Weiches gegen mich stieß. Das aufkommende kreischende Gekicher konnte ich seismographisch spüren. Rote Locken waren das Erste was ich sah. Daran hing eine ziemlich betrunkene junge Frau, die mir Entschuldigungen zulispelte und mehrfach erfolglos versuchte wieder allein stehen zu können. Ich hielt sie an der Taille fest und sah mich suchend um, ob es jemanden gab der mir sie abnehmen konnte. Sie krallte sich in mein durchtränktes Hemd und nuschelte mir irgendetwas zu. Ich verstand kein Wort, hatte aber auch keine Lust mich jetzt um ein besoffenes Weibsstück zu kümmern, das ich nicht einmal kannte.

Der Schlag den ich versetzt bekam, ließ sämtliche Gedanken an dieses Mädchen verschwimmen. Ich bekam gar nicht mit, dass ich sie losgelassen hatte, sie kraftlos an mir zu Boden rutschte und mich dabei brabbelnd beschimpfte.

Eiskalt kroch es mir die Wirbelsäule entlang und die Welt hörte auf sich zu drehen. Ich stolperte rückwärts und stieß gegen Jemanden. Ich entschuldigte mich nicht, sondern kämpfte mich mit Ellenbogen und Fäusten durch die Menge. Ich blieb erst stehen, als ich die Musik nur noch gedämpft wahrnehmen konnte.

Ich zitterte am ganzen Leib und umarmte mich selbst, um mich zum aufhören zu bewegen.

Warum?

Diese Frage ging mir immer wieder, wie eine Schallplatte mit Sprung durch den Kopf. Träumte ich nur? Hatte ich es mir nur eingebildet? Es konnte doch nicht der Wahrheit entsprechen?

Nicht schon wieder!

Taubheit legte sich nach einer Weile über mich, wie ein Tuch, während ich ziellos durch Berlin irrte. Bis ich eine Parkbank fand, mich darauf nieder ließ und blicklos auf den Boden starrte.

Kein einziger Gedanke durchzog meinen Kopf. Nur diese schmerzhafte Leere erfüllte mich.

Irgendwann registrierte ich, dass ich die ganze Zeit mit etwas Kleingeld in meiner Jackentasche spielte. Ich holte es hervor und blickte auf. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Coffee-Shop.

War vielleicht keine schlechte Idee, erst einmal etwas Koffein in mich hineinzuschütten.

Als ich eintrat, schenkte ich den Gästen keinerlei Beachtung. Ich brauchte einfach nur einen Kaffee, groß und so schwarz wie möglich.

Als ich auf der Straße einen ersten Schluck nehmen wollte, vernahm ich die Türglocke. Kurze Zeit später lag eine Hand auf meiner Schulter.

„Ich bin zutiefst beleidigt", bemerkte die Stimme hinter mir. „Ein ‚Hallo' hätte ich schon erwartet."

Meine Nackenhaare stellten sich erneut auf.

Ich wandte den Kopf etwas und das Lächeln auf Valandros schönem Gesicht bekam Sprünge.

„Alles okay?" fragte er.

Und hätte er mir einen Spiegel vorgehalten, wäre der wohl zersprungen. Allerdings hätte mir das dann aber auch erklärt, warum mich das Pech so derart verfolgte.

Ich schüttelte stumm den Kopf.

Als hätte Valandro einen Stein lose getreten, brach der Damm und heiße Tränen schossen mir in die Augen.

„Gar nichts ist okay", krächzte ich. „Er... er hat es schon wieder getan. Schon wieder!" schrie ich erstickt, ließ den Kaffeebecher fallen; dessen Inhalt sich als pechschwarzer See auf dem Asphalt ausbreitete, und warf mich schluchzend – verletzt und enttäuscht - in die Arme meines Exfreundes.

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