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Die schwarze Wollmütze

Arno

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Informationen

 

"Meine Damen und Herren. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, befinden wir uns bereits im Landeanflug. Wir bitten Sie daher, sich anzugurten und Ihre Sitzlehnen gerade zu stellen. Wir werden in etwa 10 Minuten in Amsterdam landen."

Etwas beunruhigt blickte Arno aus dem Fenster ? obwohl er fast 15 war, war es sein erster Flug, etwas Angst hatte er also vor der Landung, seinem Sitznachbarn wollte er das natürlich nicht zeigen.

Das erste Mal von zu Hause weg. Für drei Wochen. Dennoch hatte er etwas gemischte Gefühle, vor allem, als sich tags zuvor einige seiner Freunde noch über die Reise lustig gemacht hatten. Es wäre eine ‚Pennerreise‘ mit lauter Kindern ohne Kohle, mit Kindern deren Eltern sich keinen Urlaub leisten könnten. Klar, sie hatten nicht Unrecht ? Arno kam wirklich aus einer armen Familie, der Vater war überdies hinaus ein ortsbekannter Säufer ? doch niemand durfte so über ihn reden. Also vermöbelte er einen seiner ‚Freunde‘ auf dem Heimweg vom Fußballplatz, was ihm kurz vor der Abfahrt zum Flughafen nochmals Ärger einbrachte, als dessen Vater seine Mutter anrief. Arno steckte das locker weg. Er hatte von seinem Vater früh gelernt, was es heißt, ein richtiger Mann zu sein. Obwohl er nicht der Größte war, ließ er keine Prügelei aus und hatte zumeist das letzte Wort. In seinem Freundeskreis war er ein geachteter Bursche, auch wenn er oft den Eindruck hatte, dass viele ihm nur aus Angst vor ihm folgten, was ihn noch mehr aufbaute. Als Weichei wollte er auf keinen Fall rüberkommen, vor allem deshalb, weil er in den letzten Monaten gefühlsmäßig mit sich selbst im Clinche lag. Irgendetwas fühlte er da tief in sich, was irgendwie da nicht hingehörte, nicht hingehören durfte.

Als Arno wieder mal am Grübeln war, setzte der Flieger fast unbemerkt am Flughafen auf. Da war er also jetzt ? Holland. Tatsächlich wurde die Reise von einer gemeinnützigen Organisation durchgeführt, die Kindern aus sozial schlechten Familien die Möglichkeit bieten wollte, ein neues Land, neue Leute und neue Familien kennenzulernen.

"Die sind ja sooo lieb, " hörte er am Flughafen in Wien eine Frau mit seiner Mutter reden und tätschelte ihrer dicken Tochter den Kopf. "Melanie ist bereits das dritte Mal dabei und es ist schon komisch, dass Ihr Sohn noch gar nichts von seinen Gasteltern gehört hat. Die schreiben doch normal vorher und stellen sich vor."

Arno tat so, als ob er es nicht gehört hätte. Immer muss seine Mutter irgendwelche wildfremden Personen anquatschen. Sorgen bereitete es ihm allerdings doch. Was wäre, wenn ihn niemand abholen würde? Oder wenn es Perverse wären, die allerhand Versuche mit ihm durchführen würden? Kurz vor dem Einsteigen ins Flugzeug überlegte Arno noch kurz, ob er sich im Flughafenklo einsperren sollte, um nicht mitfliegen zu müssen ? doch nun war er da.

Von Amsterdam ging es mit dem Bus zu einer Sammelstelle, wo bereits zahlreiche Eltern und einige Kinder auf ihre Gäste warteten.

Nach der Reihe wurden die Namen der Kinder verlesen und ein Kind nach dem anderen verließ den Bus und wurde draußen aufs herzlichste empfangen.

"Na toll. Die haben mich wirklich vergessen. Fängt ja gut an ", dachte sich Arno.

"Arno Stifter ? zur Familie de Bleeker!"

Arno schnappte sich sein Gepäck, rückte sich die Sonnenbrille zurecht und kletterte aus dem Bus.

"Hallo Arno, ich bin Jan. Alles klar?" Arno blickte in das Gesicht eines etwa 30-jährigen Mannes, der ihm gleich das Gepäck abnahm und ihm ein freundliches Lächeln schenkte. "Wir müssen etwa 30 Minuten fahren. Meine Frau wartet bereits auf dich. Bist du müde?"

"Etwas. Die Reise war sehr anstrengend. Ich bin Arno ? aber das weißt du ja bestimmt schon!"

Im Auto machte sich die ersten Minuten Schweigen breit ? ehe ihn Jan mit Fragen bombardierte. Auf welche Dinge er stünde, ob er Fußball möge, welche Musik er höre, ob er eine Freundin hätte, usw.

Ja, er spiele selbst Fußball, er höre gerne Rockmusik und nein, er habe keine Freundin. Die Frage nach der Freundin brachte ihn fast wieder ins Grübeln, hätte ihn Jan nicht schon weiter unterhalten.

"Also meine Frau Wilma und ich, wir haben einen Sohn. Er ist gerade eins geworden!"

"Oh nett. Ein kleiner Hosenscheißer", dachte sich Arno und irgendwie war er enttäuscht. Was soll man mit einem Einjährigen schon anfangen können. Das würden ja beschissene drei Wochen werden. Mit Grillen im Garten, Sonntagnachmittags-Kaffee, Besuch bei Verwandten und dem ganzen Scheiß. Als Jan endlich aufhörte zu reden, blickte Arno nachdenklich in die vorüberziehende, langsam dunkel werdende Landschaft. Fast wäre er eingeschlafen, als das Auto plötzlich hielt.

"So, hier sind wir! Alles aussteigen!"

"Du musst also Arno sein. Herzlich willkommen!" Eine große, hübsche Frau umarmte ihn herzlich, was Arno überhaupt nicht recht war. Mit solchen Liebkosungen hatte er noch nie etwas anfangen können.

"Du musst sehr müde sein. Am besten wir zeigen dir gleich, wo du schlafen kannst. Morgen können wir uns dann besser kennenlernen!"

Wilma und Jan führten ihn in die ausgebaute Dachkammer, die klein, aber sehr gemütlich eingerichtet war. Da waren sogar ein kleiner Kühlschrank und ein eigener Fernseher ? so was hatte er zu Hause nicht.

Nachdem man ihm noch eine Flasche Cola gebracht hatte, wurde ihm eine gute Nacht gewünscht. "Thys lernst du dann morgen kennen, der schläft bereits."

Thys, das war also der Name ihres Sohnes.

Arno ging rasch zu Bett und dachte, bald einzuschlafen. Die Reise war wirklich sehr anstrengend. Doch nun lag er da ? und war wach. Wie immer grübelte er dann über dieses und jenes nach. Sie hatten also einen Sohn, wär schön gewesen, wenn der in seinem Alter gewesen wäre. Da hätte man auch etwas unternehmen können, Fußball spielen oder was auch immer ? und wieder machten sich diese komischen Gefühle in ihm breit, irgendetwas war da noch ? ein Junge in seinem Alter...

"Ach, Arschloch", dachte sich Arno und schlief dann doch ein.


Die ersten Tage verliefen relativ unspektakulär: Mal half Arno Jan im Garten, dann ging er mit Wilma einkaufen und hier und da ertappte sich Arno dabei, wie er ausgelassen mit dem kleinen Thys spielte, den er ? ob er wollte oder nicht ? sofort ins Herz geschlossen hatte. Er ertappte sich außerdem dabei, wie er sich beim Spielen mit dem Kleinkind ängstlich umblickte ? als könne ihn einer seiner Freunde sehen. "Arno das Weichei. Spielt mit kleinen Kindern!" Doch Arno war weg von zu Hause ? und es tat ihm gut. Er hatte eine Familie um sich, die ihn zu mögen schien. Es wurde nicht gestritten, nicht herum geschrien und er schlief jeden Abend gut ein. Zu Hause schreckte er oft aus dem Schlaf, vor allem dann, wenn sein Vater besoffen aus der Kneipe kam ?

"Am Samstag fahren wir in einen Vergnügungspark. Ich hoffe, das gefällt dir und oh ja, dann lernst du auch Jeroen kennen. Er ist der Sohn meiner Schwester und ?"

"Bitte, bitte nicht ein Jahr alt", dachte sich Arno.

" ?und er ist ungefähr in deinem Alter. Etwas jünger als du", fuhr Wilma fort.

Bis Freitagabend konnte Arno an nichts anderes mehr denken, als an diesen Jeroen. Wer das wohl war? Wie er wohl aussehen würde? Wieder wurde ihm etwas unwohl ? warum bloß machte er sich Gedanken um das Aussehen eines anderen Jungen? Und noch ganz andere Gedanken kamen ihm dann in den Sinn, die von einem gewissen Körperteil auch noch gutgeheißen wurden! Oh Mann, was sollte das denn? Da es ihn immer unsicherer machte, beschloss er erstmals, diesen Namen aus seinen Gedanken zu streichen. Jeroen . Er konnte diesen Namen ja nicht mal richtig aussprechen, außerdem würde er ihn sowieso nicht verstehen und außerdem, shit.

Samstagvormittag.

Arno stand vorm Spiegel in der kleinen Dachkammer. Irgendwie wollte er Eindruck auf Jeroen erwecken, er könne ja schließlich nicht wie ein Vollbauer rüberkommen. Er suchte sich seine Lieblingsjeans aus der Tasche, ziemlich ausgewaschene blaue Levis (die hatte seine Mutter ohne sein Wissen auf dem Flohmarkt gekauft) ? dazu ein einfaches, pechschwarzes T-Shirt. Mehr brauchte er nicht, es war Juli und erbarmungslos heiß. Ein paar Minuten stand er also vor dem Spiegel. Seine schwarzen, mittellangen Haare standen nach allen Seiten ab. Da musste etwas Gel rein, also links und rechts nach hinten geklatscht, in der Mitte nach oben. Außer einer kleinen Strähne, die über seine Stirn hing, auch nur deshalb, um einen Riesenpickel zu verdecken, der ausgerechnet an diesem Tag sprießen musste. Eigentlich gefiel sich Arno selbst ganz gut: schwarze Haare, dunkle Augen, dafür helle Haut (Arno hasste es, in der Sonne zu liegen). Normal gewachsen für sein Alter, nicht zu muskulös, aber ziemlich drahtig und der Kräftigste, wenn es mal drauf ankam.

"So werd ich diesem Jeroen schon gefallen!", hörte sich Arno selbst sagen und wurde im gleichen Moment rot wie ein Puter. Da war es wieder, dieses Denken. "Mann, reiß dich zusammen! Du Weichei!" Bevor er zu wütend wurde, lief er nach unten, wo Wilma und Thys schon vor dem Auto warteten.

"Kommt Jan nicht mit?", fragte Arno.

"Nein, meine Schwester Anne und ihr Sohn kommen mit. Jeroen heißt er nochmal, du wirst dich gut mit ihm verstehen."

Warum sagte sie das? Hatte sie ihn vorm Spiegel gehört? Sah sie etwas, was gar nicht da war? Langsam kam sich Arno schon ziemlich paranoid vor.

"Wir holen die beiden auf dem Weg ab. Na los! Steig ein, am besten du sitzt hinten bei Thys."

Los ging's. Etwa 20 Minuten später hielt das Auto bei einem Bauernhof. "Na Klasse, ein Bauernjunge ?"

"Meine Schwester hat sich vor kurzem von ihrem Mann getrennt und ist mit Jeroen zurück zu meinen Eltern gezogen. Denen gehört dieser Bauernhof. Warte bitte bei Thys im Auto, ich hol die beiden und dann geht's gleich weiter!"

Wilma verstand scheinbar alles, was er dachte, da denkt er ‚Bauernjunge‘ und sie erzählt ihm sofort, dass lediglich ihre Eltern Bauern wären.

Arno beobachtete Thys, der friedlich vor sich hingurgelte und mit einem Stofflöwen beschäftigt war. Verdammt, wo blieben sie? Arno war ein äußerst ungeduldiger Junge und die 5 Minuten kamen ihm vor wie eine Stunde.

Da, Schritte. Die Seitentür ging auf und links neben ihm und dem Babysitz nahm ein Junge mit blonden, mittellangen, glatten Haaren Platz, die er zum Teil unter einer schwarzen Wollhaube (bei der Hitze!) versteckte.

"Hallo. Ich bin Jeroen. Ich spreche ganz gut Deutsch!"

Er hielt Arno die Hand hin, der diese zögernd erfasste. Ihre Blicke trafen sich kurz, ehe beide schüchtern zur Seite blickten.

Arno war wie vom Blitz getroffen, sein Herz pochte, er schwitzte. Am liebsten wäre er ausgestiegen und weggelaufen, um ja nicht zugeben zu müssen, dass er diesen Jungen sofort mochte. Auf eine Art, die ihm immer unheimlicher wurde.

"Dämliche Bauernhaube!", dachte er dennoch trotzig, die Gefühle durften auf keinen Fall Oberhand gewinnen.

Also versuchte er zunächst Jeroen nicht zu beachten und spielte eine Weile Großmaul, so wie er es von zu Hause gewohnt war. Er quatschte drauf los: Mit der Achterbahn würde er solange fahren, bis er kotzen müsse und so nebenbei meinte er in Richtung Jeroen, würden auch sicher eine Menge Weiber rumlaufen. Als er das sagte, war es ihm schon wieder peinlich und er wurde noch röter als Jeroen, der mit dieser Meldung scheinbar höchst überfordert war.

"Ja, sicher eine Menge", sagte dieser und drehte den Kopf auf die andere Seite, um aus dem Fenster zu blicken. Wilma blickte einige Male in den Rückspiegel. Ihr Gesichtsausdruck gegenüber Arno schien zu sagen: "Mach dir keine Mühe! Den harten Kerl kauf ich dir nicht ab."

"Verdammt. Bei dem hab ich wohl ausgeschissen", dachte sich Arno, als Jeroen den Blick von ihm abwandte. Die Röte aus seinem Gesicht war noch immer nicht verschwunden und er schämte sich für das Gesagte. Also beschloss er, erstmal seinen Mund zu halten ? und blickte auch aus dem Fenster.

Er war wütend. Auf sich selbst und auf diesen Bauernjungen mit seiner dämlichen Wollmütze. Dennoch blickte er, so oft es ging, in seine Richtung, um ihn genau unter die Lupe zu nehmen. Er musste tatsächlich ein Jahr jünger sein als er, knapp 14, vielleicht auch drüber. Von seinem Gesicht konnte er gerade die Nase sehen, der Rest wurde von seinem scheinbar frisch gewaschenen Haar verdeckt, dessen Geruch Arno in sich aufsog. Das ganze Auto schien davon erfüllt zu sein.

Jeroen war zwar jünger als er, hatte aber annähernd dieselbe Größe, wenn auch noch eine Spur dünner als er. Seine knielangen Hosen legten Teile seiner Beine frei, die von einigen, wenigen Härchen bedeckt waren. Arno genoss den Anblick, es wurde ihm richtig warm ums Herz. So etwas hatte er noch nie gefühlt ? wieder einmal die totale Verwirrung.

Plötzlich fing Thys an zu schreien. Sein Löwe war ihm abhandengekommen.

"Jetzt kann ich meine Großmäuligkeit wieder gutmachen", dachte sich Arno. "Wenn Jeroen sieht, wie liebevoll ich mich um Thys kümmere, dann sieht er vielleicht wieder in meine Richtung. Vielleicht spricht er dann auch mit mir."

Arno fand den Löwen sofort, hielt ihn Thys vors Gesicht, brummte und stupste immer wieder seine Nase an. Es schien zu helfen, aus Thys’ Weinen wurde augenblicklich ein zufriedenes Glucksen. Und tatsächlich, es half: Jeroen wandte ihm wieder den Blick zu ? und schenkte ihm tatsächliche ein Lächeln, ein Lächeln wie er es noch nie empfangen hatte.

"Er mag diesen Sch ?.er mag diesen Löwen."

"Er mag dich", erwiderte Jeroen.

"Und ich mag dich", hätte Arno am liebsten geantwortet, was ihm in dem Moment allerdings peinlich vorgekommen wäre.

Stattdessen antwortete auch er mit einem Lächeln ? das tat er sonst nie, er der ‚harte‘ Junge. Jeroen schien den Prolo-Spruch von zuvor schon vergessen haben. Zwar sagte er nicht viel, signalisierte aber mit seinen Blicken, dass er Arno unbedingt kennenlernen wollte. Beide Jungs versuchten sich nun darin zu überbieten, für Thys den Clown zu spielen. Dieser schien es zu genießen. Als die beiden anfingen seinen Bauch zu kitzeln, berührten sich kurz ihre Hände. Blitzschlag! Beide zogen ihre Hände zurück, blickten sich kurz an ? und wandten sich wieder dem Kleinen zu.

"Irgendetwas passiert mit mir", dachte sich Arno, "und Jeroen dürfte es auch so gehen."

Das Spielen mit dem Baby war nur Vorwand, denn nun musterte auch Jeroen Arno von oben bis unten. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Schließlich ‚ließen‘ beide von Thys ab und lehnten sich schweigend zurück.

Arnos Herz pochte ? und dennoch fühlte sich Arno so ruhig und geborgen wie selten zuvor. Alles andere schien plötzlich so weit weg zu sein, er war jetzt erst so richtig in Holland angekommen.


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Etwa eine halbe Stunde später war man am Ziel angelangt, einem dauerhaften Vergnügungsgelände, ähnlich wie der Wiener Prater, in dem sich Arno öfters herumtrieb. Nachdem Wilma für alle den Eintritt bezahlt hatte, steckte sie den Jungs noch jeweils 10 Euro zu und verabschiedete sich mit den Worten: "Also, dann bis 4 Uhr hier beim Auto!" "Toll", dachte sich Arno, "die sind also nicht mit von der Partie ?geil!"

Zunächst latschten die beiden ziemlich ziellos durch die Gegend, ohne viel zu reden, ehe Arno versuchte, das Eis zu brechen.

"Woher kannst du eigentlich so gut Deutsch?", fragte er ihn.

"Ach, wir haben lange in Deutschland gewohnt ? mein Vater hatte dort Arbeit und somit bin ich auch einige Jahre dort zur Schule gegangen."

"Und jetzt seid ihr also wieder hier ?"

"Ja, mein Vater hat nicht nur eine neue Arbeit, sondern auch eine neue Frau gefunden. Toll, nicht wahr?"

"Klingt, als ob er ein ziemliches Arschloch wäre."

"Nö, eigentlich ist er ein prima Kerl ? mal abgesehen davon. Ich komm gut mit ihm aus und besuch ihn des Öfteren in Hamburg. Und wie geht's deiner Familie?"

"Ach, ich komm schon klar mit denen." Mehr wollte er nicht sagen. Er wollte nicht sagen, dass sich sein Vater regelmäßig volllaufen ließ und dann seine Wut zu Hause abreagierte ? manchmal auch an ihm. Er wollte nicht sagen, dass seine Mutter zu schwach war, um irgendetwas dagegen zu unternehmen. Er wollte einfach nicht als Weichei rüberkommen.

"Mein Vater säuft zwar, ist aber ganz ok." So ganz gelogen war das auch nicht, denn Arno hasste seinen Vater nicht, was er selbst komisch fand, vor allem dann, wenn ihn dieser grün und blau schlug.

"Warum trägst du eigentlich diese Wollmütze bei der Hitze?"

"Wieso, findest du sie albern?"

"Nein, mein nur. Ist halt sehr ungewöhnlich, im Sommer so etwas zu tragen."

"Sie erinnert mich an meinen besten Freund. Ich hab sie vor zwei Jahren von ihm zum Geburtstag bekommen."

"Aha ? und sie erinnert dich an ihn, weil er noch in Deutschland lebt, richtig?" Zumindest wollte Arno, dass er in Deutschland lebte. Aus irgendeinem Grund war er sofort eifersüchtig auf diesen unbekannten Jungen.

"Kann man so nicht sagen", fuhr Jeroen fort. "Er lebt nämlich nicht mehr. Er ist vor einem Jahr an einer seltenen Herzerkrankung gestorben. Kurz danach sind wir dann nach Holland zurück. Es war nicht einfach."

Verdammt, mit jeder Frage, die Arno ihm stellte, bewirkte er, dass dieser traurig wurde, zunächst erinnerte er ihn an seinen Vater, jetzt an seinen toten Freund.

Jeroen fiel es sichtlich schwer darüber zu reden, er musste ihn sehr gern gehabt haben. Arno legte seinen Arm um seine Schulter und war selbst am meisten erstaunt über diese Geste ? denn so was zu tun würde ihm normalerweise im Traum nicht einfallen.

"Das tut mir echt leid. Sorry, dass ich danach gefragt habe." Er nahm seinen Arm weg, obwohl es ihm gefiel, den Tröster zu spielen.

"Macht nichts, kannst du ja nicht wissen. Er war einfach ein verdammt guter Freund und ich vermisse ihn immer noch. Ich finde es schlimm, wenn man in diesem Alter sterben muss. Stell dir vor, deinem besten Freund geschieht so etwas ? man fühlt sich irgendwie allein gelassen."

Bei den Worten ‚bester Freund‘ durchzuckte es Arno ? ihm wurde bewusst, dass er so etwas gar nicht hatte. Klar, er hing immer mit einer Menge Typen herum, doch einen besten Freund, mit dem man über alles reden konnte, der einem zuhörte, so etwas hatte er nie gehabt. Arno fühlte sich plötzlich ziemlich einsam.

"Na, also ? die Achterbahn!", versuchte ihn jetzt Jeroen abzulenken, der sofort bemerkte, dass Arno ins Grübeln gekommen war. "Wollen wir?"

"Jap, auf geht's!"

Die beiden fanden tatsächlich im Wagen ganz vorne Platz. Als die Bahn losrüttelte, um die erste Steigung rauf zu kriechen, schnappte sich Jeroen plötzlich Arnos Hand und meinte: "Ich hab immer etwas Angst. Es macht dir doch nichts aus, oder?" Dabei schenkte er ihm ein liebes Lächeln. Arno wurde ganz anders zu Mute: Zu Hause hätte so ein Typ sofort eins in die Fresse bekommen, aber bei Jeroen ließ er es zu, nicht nur das, er genoss es.

"Mach nur, recht wohl fühle ich mich in so Dingern ja auch nicht", gab Arno zu und erwiderte den Händedruck. Auch er versuchte Jeroen sein bestes Lächeln zu schenken, was dieser mit einem dankbaren Blick empfing.

"Am liebsten würd' ich dich küssen!" Verdammt, wo kamen diese Gedanken schon wieder her? Fast hätte er es gesagt!

Die nächsten drei Minuten waren gedankenfrei ? die Bahn sauste rauf und runter, drehte drei Loopings und beide Jungs schrien sich die Seele aus dem Leib. Es war herrlich! Besonders genoss es Arno, wenn die Bahn eine scharfe Kurve machte und Jeroen komplett an seine Seite gedrückt wurde. Jedes Mal, wenn dies der Fall war, drückte Arno Jeroens Hand noch stärker zusammen um auszudrücken: Keine Angst, ich bin da!

Nach der wilden Fahrt klapperten die Jungs sämtliche Attraktionen ab, ehe man sich gegen eins eine Portion Pommes genehmigte.

"Ihr Holländer seid schon komische Leute: Zum Frühstück gibt's Weißbrot mit Schokostreusel, zur Bratwurst esst ihr Apfelmus ? und auf die Pommes klatscht ihr Mayonnaise!", meinte Arno lachend zu Jeroen.

"Ihr Österreicher habt es notwendig: Sitzt den ganzen Tag in euren Lederhosen auf irgendwelchen Bergen und jodelt. Komm, jodle mir doch was vor", meinte Jeroen und sein Lachen wurde noch lauter, als Arno es tatsächlich versuchte.

"Haha, klingt wie eine Kuh mit Durchfall", meinte Jeroen, der sich vor Lachen nicht mehr einkriegen konnte.

"Arsch", gab ihm Arno kurz zur Antwort, und spielte auf beleidigt. Er tat dies aber so schlecht, dass es ihm Jeroen nicht abnahm. Kurzum, die beiden hatten eine Menge Spaß und genossen die gemeinsame Zeit. Arno war erstaunt über sich selbst: Da greift ein Junge nach seiner Hand und er tat ? nichts! Da lacht ihn ein anderer aus und er tat ? nichts! War es die Umgebung oder einfach dieser zauberhafte, blonde Junge, der in ihm auf einmal Gefühle aufkommen ließ, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. Er fühlte sich einfach ? gut! Und es war niemand in der Nähe, der ihn kannte. Niemand, dem er beweisen musste, welch harter Kerl er doch eigentlich war.

Der Nachmittag ging rasch vorüber und man hatte alle Attraktionen ein- oder mehrmals ausprobiert, als die Jungs plötzlich vor einem Karussell zu stehen kamen, dass ihnen bislang entgangen war. Es war eine Art Berg- und Talbahn und nach einigen Runden schlossen sich die Wägen komplett zu, wie das Dach eines Cabrios.

"Sieht langweilig aus, aber ok, lass uns damit fahren", meinte Arno. Beim Anstellen fand es Arno dann schon eigenartig, dass vor ihnen nur Pärchen auf das Einstiegen warteten. Auch Jeroen wurde auf einmal sichtlich nervös. Entweder stand Arno komplett auf der Leitung, oder er wusste tatsächlich nicht, dass dies ein Karussell für Verliebte war und das ‚Verdeck‘ sich deswegen schloss, um den Paaren die Gelegenheit zum Knutschen zu geben.

Nachdem beide Platz genommen hatten, setze sich das Karussell in Bewegung und nach einigen Runden ging das Verdeck herunter. Eine weitere Runde, eine weitere.. und plötzlich passierte es: Jeroen drehte sich zu Arno herüber und gab ihm einen Kuss auf die rechte Wange. Danach fuhren beide schweigend die Fahrt zu Ende! Jetzt hatte es dieser Holländer tatsächlich geschafft ? Arno war total durcheinander und sagte kein Wort. Auch Jeroen wusste nicht so recht, mit dieser Situation umzugehen.

"Entschuldigung", meinte er verlegen, nachdem beide ausgestiegen waren. "Ich dachte nur, du ? ach, ich bin ein Blödmann ?", Jeroen war den Tränen nahe.

"Ist ok, ich war nur ? überrascht, ehrlich, es ist ok."

Arno betrachtete Jeroen erneut und konnte jetzt so langsam seine Gefühle einordnen ? er hatte sich einfach über beide Ohren in Jeroen verliebt. Der Kuss zeigte ihm, dass es ihm ähnlich gehen musste.

Arno setzte jetzt alles auf eine Karte, indem er meinte: "Lass uns nochmals fahren. Jetzt bin ich dran. Ich zeig dir, wie man wirklich küsst."

Jeroen blickte erstaunt auf, weil er zunächst glaubte, Arno würde ihn bloß verarschen. Doch nach wenigen Augenblicken erkannte er dessen Ernst in den Augen ? er nickte feierlich und wenige Minuten später saßen sie erneut im Karussell.

Das Verdeck ging nieder und Arno begann zu zittern: "Ich Großmaul bring’s nicht, warum muss ich immer meine Klappe aufreißen." Doch dann blickte er zu Jeroen hinüber, der ihm lächelnd das Gesicht zuwandte. "Wie süß er doch aussieht", dachte sich Arno, "ach, scheiß drauf."

"Öffne deinen Mund zur Hälfte", befahl er Jeroen mit zittriger Stimme. Dieser tat wie befohlen ? und Sekunden später spürte Arno Jeroens Lippen auf seinen. Jeroen atmete heftig und umklammerte Arnos rechten Oberarm. In Arnos Hose bewegte sich einiges, während er Jeroens Zunge auf seiner spürte. Auch er war höchst erregt. Arno hatte schon öfters ein Mädchen geküsst ? wahrscheinlich aber nur, weil es die anderen von ihm erwarteten, aber noch nie zuvor hatte er das gefühlt, wie in diesem Moment. Er legte seinen Arm um Jeroens Hals und streichelte kurz sein Haar. Der Geruch davon, sowie die Wärme seiner sanften Haut brachten ihn beinahe um den Verstand, am liebsten wäre er ewig mit ihm hier sitzen geblieben. Die beiden lagen sich immer noch in den Armen, als das Verdeck längst wieder auf war.

"Aussteigen", meinte jemand und erst jetzt blickten die beiden verwirrt um sich. Doch niemanden schien es zu stören, im Gegenteil: Ein etwas älterer Bursche gab mit seinem Augenzwinkern zu verstehen: Herzlichen Glückwunsch, Jungs!

Als beide ausgestiegen waren, zitterten Arnos Knie immer noch, Jeroen ging es nicht anders. Beide waren sprachlos und als sie sich langsam fingen, grinsten sie sich lediglich an.

"Eis?", fragte Jeroen und bevor er die Antwort abwartete, hatte er sich schon bei einem Eisstand angestellt. Arno setzte sich erstmal in den Schatten, wo er endgültig wieder zu sich kam. Von dort beobachtete er Jeroen beim Bestellvorgang, er beobachtete die anderen Leute und blickte schließlich verträumt, aber auch nachdenklich in den Himmel.

"Hier. Was ist los?", fragte Jeroen, der mit zwei Eisbechern zurückkehrte, von denen er einen Arno überreichte.

"War das richtig, was wir gerade getan haben?", meinte Arno nachdenklich.

"Also mir hat's gefallen", erwiderte Jeroen und blickte jetzt ebenfalls in den Himmel.

"Aber ich meine, du bist doch ein Junge und ich auch und jetzt sitz ich hier in Holland und komme plötzlich drauf, dass ?. ich meine ?du ?"

"Ja?"

"Mein Vater sagt, es ist falsch, wenn sich zwei Jungs lieben. Und alles was dazu gehört ? er meint, denen gehöre einfach der Schwanz abgeschnitten. Wenn er zwei Homos im Fernsehen sieht, dann legt er so richtig los. Mein Gott, ob er weiß, dass ?"

Arno unterbrach sich selbst. Sonnenklar, sein Vater MUSSTE davon wissen, warum sonst sollte er so oft davon erzählen. Und ‚Motive‘ hatte ihm Arno rückwirkend betrachtet genug geliefert: Arno zeichnete gut und gerne, er legte Wert auf sein Äußeres, sang im Auto oft bei Liedern mit ? was ihm immer wieder strafende Blicke von seinem Vater einbrachte. Lauter Sachen, die sein Vater stets als ‚schwul‘ bezeichnete. Und das wichtigste Indiz: Arno hatte noch nie ein Mädchen nach Hause gebracht, geschweige denn, zu Hause von einem gesprochen. Geküsst hatte er genug ? jetzt wurde ihm klar, dass er das nur deswegen tat, um davon abzulenken, um den anderen zu zeigen: He, seht her, ich bin der Ober-Anmacher!

Und dann geschah etwas, dass Arno zuletzt getan hatte, als er fünf oder sechs war: Er begann leise zu weinen, während das Eis, dass ihm Jeroen gebracht hatte, langsam in seiner Hand dahin schmolz.

"Shhh. Es ist alles ok", meinte Jeroen tröstend und zog Arnos Kopf an seine Brust. Jetzt musste Arno noch mehr weinen: Noch nie zuvor war jemand so lieb zu ihm, so besorgt um ihn gewesen ? er konnte sich nicht mal dran erinnern, wann ihn seine Mutter so in den Arm genommen hatte. "Außer meinem T-Shirt, das hast du grad mit Eis beschmiert", setzte Jeroen fort und lächelte Arno an, der jetzt auf einmal lachen musste, so wie wenige Stunden zuvor der kleine Thys, als er ihn mit dem wiedergefundenen Stofflöwen tröstete ? es war die totale Verwirrung der Gefühle.

Arno hob seinen Kopf von Jeroens Brust und wischte sich die Augen aus, Jeroen legte ihm jetzt seinen Arm um die Schulter, als ihn Arno ? nicht mehr weinend, aber immer noch traurig ? anblickte.

Jeroen war jetzt auch nachdenklich geworden. Sein Gesicht, das zuvor noch kindlich wirkte, wies jetzt ernste, erwachsene Züge auf. "Deinem Vater würde ich was erzählen. Du bist doch sein Sohn, er muss doch merken, dass er dich damit verletzt. Ich hoffe, du hast Freunde, mit denen du darüber reden kannst."

"Ja, hab ich ? dich! Ich muss dir gestehen, dass ich noch nie mit jemanden so reden konnte wie mit dir. Als du vorher von deinem besten Freund erzählt hast, da wurde mir klar, dass es so einen Menschen, wie er es gewesen sein muss, für mich noch nie gegeben hat. Einen Moment war ich sogar wütend auf ihn, bevor du sagtest, dass es..nunja.."

"Jetzt hast du so einen Menschen. Mir kannst du vertrauen, bei mir brauchst du dich nicht für jemanden ausgeben, der du gar nicht bist. Ich mag dich so, wie du bist."

Jeroen nahm ihn nochmals in den Arm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

"Aber der Haupttreffer kommt ja erst", setzte Arno fort, "ich glaube nämlich, dass ich ?dass ich ?naja, ich finde dich super und der Kuss vorhin ?. Das war das Beste, was ich bisher erlebt habe und ich glaube, ich glaube, ich habe mich ?.in dich verliebt." Kurz sträubte sich Arno dagegen, dieses Wort zu sagen, es klang ihm zu sehr nach Hollywood Liebesfilm, aber: Es war die Wahrheit.

"Als ich ins Auto gestiegen bin, dachte ich zuerst: so ein Blödmann", gab Jeroen zur Antwort, "ehrlich, du hast ziemlichen Müll gelabert, aber irgendwie hab ich da schon bemerkt, dass da mehr ist. Raue Schale, weicher Kern, sagt man das so? Und jetzt? Ich bin froh, dass du hier bist, seitdem wir wieder in Holland leben, naja, find ich nicht mehr so rechten Anschluss zu anderen. Meine Mutter hat schon überlegt, mich zu so einem komischen Psychologen zu bringen. Hat sie zumindest Wilma erzählt. Ich hab die beiden belauscht. Sie macht sich Sorgen, ich könnte den Anschluss verlieren. Was immer sie damit meint ?Naja und mit dieser Sache muss ich ? so wie du ? auch erst ins Reine kommen ? Aber nochmal: Ich bin froh, dass du hier bist."

Arno schluckte, blickte kurz um sich und hauchte Jeroen auch einen Kuss auf die Wange. "Danke fürs Eis! Noch eine Runde Achterbahn?"

"Scheiß drauf, ok!"

"Jap, scheiß drauf!"

Sie erhoben sich und reihten sich erneut in die Schlange vor der Achterbahn ein.

Es war bereits kurz vor vier.


Sobald Arno wieder ins Auto gestiegen war, schlief er auch schon ein ? der Tag mit seinen ganzen Ereignissen hatte ihn müde gemacht. Dabei hatte er einen seltsamen Traum: Er war zu Hause in Wien und spielte Fußball mit seinen Kumpels, besser gesagt sie spielten. So sehr er auch schrie, er bekam keinen Ball ab. Was noch komisch war: Er sah alle nur von hinten. Einer der Spieler ähnelte Jeroen, also schrie er seinen Namen ? der Junge drehte sich nicht um. Er hat gesagt, er wäre da für ihn ? "Du Arschloch!", schrie er. Da sah er plötzlich die rote Karte vor seinem Gesicht. "Du hast hier nichts mehr verloren!", sagte der Schiri und als er in sein Gesicht sah, erkannte er seinen Vater.

Arno schreckte hoch. Alles war in bester Ordnung, Thys spielte mit seinen Zehen und Jeroen blickte schelmisch zu ihm rüber.

"Du hast ja Träume. Wer war da gemeint mit ‚Arschloch‘?", fragte er. Na toll, jetzt sprach er auch noch im Schlaf. Arno gab keine Antwort und blickte aus dem Fenster, während Jeroen seine Mutter mit Fragen zu durchlöchern schien. Da sie holländisch sprachen, klinkte sich Arno ziemlich schnell aus ? außer einigen Wortfetzen verstand er nichts. Mehrmals fiel dabei auch sein Name, was ihn vor Müdigkeit nicht zu stören schien. Auch die Traurigkeit hatte ihn wieder eingeholt, dieses Mal aus einem anderen Grund: Was würde nach diesem Tag passieren? Würde er Jeroen wiedersehen?

Nun sprachen Anne und Wilma miteinander, beide schienen sich dabei köstlich zu amüsieren ? Jeroen lief dabei einige Male rot an.

"Also von mir aus würde das in Ordnung gehen, ich denke Jan hat auch nichts dagegen. Aber hast du eigentlich Arno schon gefragt, was er davon hält?", hörte er jetzt Wilma ? wieder auf Deutsch ? reden.

Jeroens Mutter wirkte sehr glücklich, der Tag schien ihrem Sohn gut getan zu haben. Er war schon lange nicht mehr so fröhlich gewesen, vor allem, seitdem sie aus Deutschland wieder nach Holland zurückgingen.

"Los, frag ihn! Er ist grade mal munter, rasch, bevor er wieder einschläft!", forderte in Anne auf.

Jeroen räusperte sich, wandte sich Arno zu und begann feierlich zu reden: "Du, Arno! Ich hatte da so eine Idee und würde gerne wissen, was du davon hältst. Du bist ja noch zwei Wochen hier und ich hab ja auch Ferien. Also, hab ich Wilma gefragt, ob es ihr was ausmachen würde, wenn ich zu euch, also zu Wilma und Jan, käme. Oh und zu dir natürlich. Dann könnten wir vieles unternehmen, zusammen. Was hältst du davon?"

Er schien die Antwort gar nicht abwarten zu wollen ? Jeroen war sichtlich nervös. Und Arno? Wäre nicht Thys dazwischen gewesen, wäre er ihm augenblicklich um den Hals gefallen. Der Tag hätte nicht schöner enden können. Ja, ja, ja, natürlich wollte er das. Jede freie Minute der nächsten beiden Wochen wollte er mit Jeroen verbringen. Jede Stunde auskosten ? denn er wusste zu gut, dass nach diesen Wochen alles wieder vorbei sein würde. Doch diesen trübsinnigen Gedanken schob er rasch wieder bei Seite. Statt der Umarmung warf er Jeroen einen Blick voller Dankbarkeit zu und er musste sich zusammenreißen, um nicht wieder zu heulen - dieses Mal vor Freude.

Bald darauf waren sie wieder am Bauernhof ? Jeroens Zuhause ? angelangt. Anne hat Wilma eine Tasse Kaffee versprochen, außerdem wollte Wilma Jan anrufen, um ihn auch noch darüber aufzuklären, dass sie ab nun zwei Gäste zu verpflegen hätten. Währenddessen zeigte Jeroen Arno sein Zimmer. Es war sauber und ordentlich ? in der Ecke lehnte eine Gitarre, die Jeroen sofort schnappte und auf den Gang brachte. Sie musste unbedingt mit. Eine Katze kam angeschnurrt, die er sofort liebevoll aufhob, streichelte, auf das Köpfchen küsste und wieder absetzte. "Mina", meinte er so nebenbei zu Arno, der an Jeroens Schreibtisch Platz genommen hatte. "Sieh dich ruhig etwas um, ich packe einstweilen meine Sachen zusammen."

Auf Jeroens Schreibtisch standen einige Fotos herum: Eines zeigte ihn und seine Familie, auch sein Vater war zu sehen, ein nicht unfreundlich wirkender Typ. Auf einem anderen Foto war er zusammen mit einem anderen Jungen zu sehen, das musste sein Freund gewesen sein.

"Wie war sein Name?", fragte Arno in die Stille hinein und nahm das Foto in seine Hand.

"Patrik", antwortete Jeroen kurz.

"War er.. ich meine ?wart ihr ??"

"Zusammen? Nee, ich denke nicht, dass er es wusste. Ich weiß nicht mal, ob ich mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon selbst darüber bewusst war. Man vergisst so schnell."

Er stoppte kurz mit dem Einpacken, nahm das Foto aus Arnos Hand und setzte sich auf Arnos Knie.

Arno überlegte kurz, was er nun tun sollte: Er entschied sich, seine Arme um Jeroens Taille zu legen und seinen Kopf von hinten auf seine Schultern.

"Er sieht sehr nett aus ? ich glaube, er hätte dich verstanden!", meinte Arno.

"100%!", sagte Jeroen nur ganz kurz und stellte das Foto zurück an seinen Platz. Dennoch blieb er noch etwas sitzen ? er genoss die Umarmung und die Nähe seines neu gewonnenen Freundes. Schließlich musste er aber doch weiterpacken. Mann, was der alles einpackte, Sachen hatte der, unglaublich. Arno hatte das Gefühl, sein Koffer wäre beim Einchecken in Wien der leichteste von allen gewesen, die paar Lumpen die er mit hatte.

Arno streifte seinen Blick noch über ein DVD Regal (Jeroen schien Steven Spielberg Fan zu sein) und ein Bücherregal, ehe er sich blitzartig Richtung Jeroen drehte. Der hatte gerade beschlossen, sein T-Shirt zu wechseln und stand mit nacktem Oberkörper im Zimmer. Außerdem sah ihn Arno auch das erste Mal ohne seine Wollmütze ? seine blonden Haare reichten weit bis unter die Ohren. Leider bekam Arno nur seinen Rücken zu sehen, aber auch der gefiel ihm. Jeroen war wie gesagt schmächtig, aber nicht dürr, seine Oberarme schienen kräftig zu sein ? man erkannte, dass er erst einen Wachstumsschub hinter sich haben musste. Verzweifelt versuchte Arno zu erkennen, ob er schon einige Achselhaare hatte, als er allerdings schon ein neues T-Shirt übergestreift hatte. Jeroen beschloss nun auch seine Hose zu wechseln ? Arno bekam wieder nur die Hinteransicht zu Gesicht. Er hatte weiße, eng anliegende Shorts an, durch die ein wohlgeformter Po zu erkennen war. Arno bekam natürlich prompt einen Steifen und überlegte schon ernsthaft, ob er rasch aufs Klo gehen sollte. Doch in dem Moment war Jeroen auch schon fertig.

"Los gehen wir runter", meinte er und im Vorbeigehen streifte er bewusst Arnos Schritt. "Ich wusste es", kicherte er. Der kleine Kerl wusste also genau, was er tat und schien es zu genießen, Arno auf die Folter zu spannen. "Du schuldest mir was", hauchte Jeroen ihm ins Ohr und schon war er bei der Tür draußen. Arno brauchte noch einen Moment ? dann kam er nach.


"Hallo Jan, da sind wir wieder!", schrie Arno und hüpfte aus dem Auto. "Das hier ist Jeroen!"

"Ich weiß ? wir kennen uns!", antwortete Jan, während Wilma Thys aus seinem Babysitz befreite und auch Jeroen ausgestiegen war.

"Ach ja, ich bin ein blöder Arsch. Natürlich, ihr seid ja verwandt", lachte Arno, schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und schnappte sich Jeroens Tasche, um sie in die Dachkammer zu bringen.

"Was ist denn mit dem los?", fragte Jan verwundert in Richtung Wilma, die lächelnd mit den Achseln zuckte und unbemerkt Richtung Jeroen deutete. Jan setzte einen Ah-ich-verstehe-Blick auf und lächelte ebenfalls. Jeroen kam sofort ins Zimmer nach galoppiert, wo Jan bereits eine Luftmatratze samt Bettzeug bereitgelegt hat.

"Du kannst mein Bett haben, ich werde hier schlafen", sagte Arno, der gerade im Begriff war, unter die Dusche zu hüpfen. Nun bekam ihn Jeroen in fast gesamter Pracht zu sehen. Da stand der eine, nur in Unterhosen bekleidet ? da der andere, den Mund sperrangelweit offen.

"Bis später", raunte ihm Arno zu und verschwand unter der Dusche.

Jeroen blickte sich neugierig um ? so ordentlich wie er schien Arno nicht zu sein, teilweise hatte Arno noch nicht mal seine gesamte Kleidung ausgeräumt: Die lag entweder noch in der Tasche oder am Boden verstreut. Einen Augenblick überlegte Jeroen, in Arnos Rucksack herum zu schnüffeln, unterließ es schließlich aber ? er hatte zu viel Respekt vor ihm, um so etwas zu tun. Schmunzeln musste er dann doch ? unter dem Kleiderberg schauten die Ohren eines verknautschten Stoffhasen hervor. Nein, dieser coole, harte Kerl hatte noch ein Stofftier. Jeroen schnupperte an dem Hasen und setzte ihn Arno auf das Kopfpolster, mal sehen was er sagen würde, dachte er sich schelmisch. Dann begann er seine Kleidung auszuräumen, im kleinen Schrank war genug Platz, da Arno ihn ja nicht zu gebrauchen schien. Wieder musste Jeroen lächeln und ihm war klar: Auch er hatte sich in den Jungen verliebt. Das einzige, das ihm missfiel, war dieser stets traurige Blick in Arnos wunderschönen dunklen Augen ? es machte auch ihn traurig, was musste dieser Junge schon alles erlebt haben, fragte er sich nachdenklich.

"Ich hoffe, ich kann ihn in der Zeit, wo wir zusammen sind, auf andere Gedanken bringen", dachte sich Jeroen und hüpfte pfeifend die Stiegen herunter, um beim Decken des Tisches zu helfen.

Die Dusche erfrischte Arno und hauchte ihm wieder neues Leben ein ? beim Betreten des Zimmers musste er schmunzeln, als er seinen Hasen auf dem Polster sitzen sah, auch wenn er leicht rot anlief und sich ertappt sah. Er zog sich sein AC/DC T-Shirt an und betrachtete sich wieder im Spiegel, wollte aber schnell nach unten. Jeroen musste ihn unbedingt mit nassen Haaren sehen ? denn in diesen dunklen, nassen Wuschelkopf war Arno selbst verliebt. "Blöd, dass sie immer so abstehen, wenn sie trocken sind. Könnten sie doch ständig nass sein", dachte er sich und musste über seine eigene Eitelkeit lachen.

Gegessen wurde im Garten ? und als Arno auf seinen Teller blickte musste er lachen: Es gab Bratwürste mit Bratkartoffeln und ? Apfelmus. Jeroen verstand sofort und lachte mit, nur Jan und Wilma blickten abermals verwundert drein, vor allem als Arno auch noch kurz zu jodeln begann! Arno hatte großen Hunger: Im Vergnügungspark hatte er von den Pommes die Hälfte weg geschmissen und das Eis landete ja bekanntlich in Jeroens T-Shirt.

Nach dem Essen saßen alle noch gemütlich im Garten zusammen. Auch wenn Wilma es nicht gerne sah, durften sich Arno und Jeroen eine Flasche Bier teilen. "Sind ja keine kleinen Kinder mehr", meinte Jan augenzwinkernd. Danach erzählten die Jungs von ihrem Tag, die Kussszene und andere emotionale Turbulenzen wurden natürlich ausgeklammert. Als es dunkel wurde, zündete Wilma einige Kerzen an, nachdem sie Thys ins Bett gebracht hatte. Jeroen holte seine Gitarre ? nicht nur dass er hervorragend spielen konnte, er sang auch wunderschön dazu. Er hatte eine angenehme, noch nicht ganz ausgereifte tiefe Stimme, versuchte aber so rauchig wie möglich zu klingen. Arno lauschte andächtig, vor allem als Jeroen ‚Patience‘ von Guns’n’Roses sang, eines von Arnos Lieblingsliedern. Da jagte eine Gänsehaut nach der anderen seinen Rücken hinunter. Leider saß er direkt neben Jeroen, der andächtig ins Kerzenlicht blickte ? zu gerne wäre er bei diesem Lied in seinen Augen versunken. Jeroen merkte es und schenkte ihm gegen Ende des Liedes einen dermaßen tiefen Blick, der voller Liebe war. Arno blickte verschämt zur Seite, weil er Angst hatte, Jan oder Wilma hätten es sehen können.

Jeroen nutze diesen kurzen Moment der Spannung sofort wieder aus und stimmte fürchterlich falsch singend ‚Hey Baby‘ an.

"Dieser DJ Otzi ist doch Österreicher, oder?", meinte er lachend Richtung Arno.

"Verschone mich du Arsch!", rief Arno und knuffte ihn liebevoll in die Seite. Jeroen hatte sich bereits an das Fluchen Arnos gewöhnt, er meinte das ja alles nicht so ? es war halt seine Art. Wilma und Jan straften ihn bei solchen Worten immer mit einem (gespielt) strengen Blick.

"Zähne putzen, Schlafenszeit!", sagte Wilma schließlich ? es war fast Mitternacht geworden. Wenige Minuten später lag Arno auf seiner Luftmatratze und Jeroen im Bett. Arno war nervös ? er wollte unbedingt bei Jeroen liegen, traute sich aber nicht zu fragen. Jeroen starrte an die Decke ? es ging ihm genauso. Immerzu musste er an den Nachmittag denken, als er ‚zufällig‘ Arno streifte und kurz dessen Beule in der Hose spürte. Er schluckte und blickte Richtung Arno rüber.

"Arno? Schläfst du schon?" Und ohne die Antwort abzuwarten, fragte er weiter: "Ist dieses Luftding nicht furchtbar unbequem?"

"Es geht. Ich hoffe es geht nicht die Luft aus", antwortete Arno, kopfschüttelnd über diese dämliche Antwort.

"Also wenn du willst", setzte Jeroen fort, "wenn du willst, kannst du hier im Bett schlafen. Es ist breit genug!" Die letzten Worte waren angesichts der zu erwartenden Nähe seines Freundes nur mehr herausgepresst, fast knabenhaft hoch klang seine Stimme dabei.

Arno ließ sich das nicht zweimal sagen und wenige Sekunden später lag er neben Jeroen im Bett. Es war nach wie vor sehr warm, also hatten beide nicht mehr als ihre Boxershorts an. Die ersten Minuten zogen sich in die Länge, beide wagten kaum zu atmen, voll Erregung.

Schließlich legte Jeroen seinen Kopf in die Hand, stützte sich auf und strich mit seiner anderen Hand durch Arnos Haar, ehe er liebevoll und ganz zart seine Wangen streichelte. Arno genoss es in vollen Zügen, vor allem als er Jeroens warme Fingern auf seinen Lippen spürte. Wenig später zog Jeroen Arnos Kopf zu sich, um ihn auf seinen Brustkorb zu ‚betten‘. Arno konnte Jeroens Herz spüren, das wie verrückt schlug ? außerdem spürte er seinen heißen Atem im Gesicht, das immer näher kam. Am Nachmittag dachte er noch, es könne keinen besseren Kuss geben ? doch er wurde eines besseren belehrt. Jeroen spielte mit seiner Zunge herum, dass es Arno regelrecht schwindlig wurde. Währenddessen strich Jeroens Hand über Arnos Oberkörper, massierte sanft seine Brustwarzen, bewegte sich Richtung Nabel und wieder zurück. Arno knabberte an Jeroens Ohr, was ihn zum Kichern brachte. Er ist also kitzlig, der Kleine, mal sehen was er davon hält, dachte sich Arno und pustete mit voller Kraft in Jeroens Bauchnabel. Jeroen kicherte auf, war aber im selben Moment wieder damit beschäftigt, Arnos Kopf zu sich zu ziehen um ihn zu küssen. Langsam aber sicher wollte Arno aufs Ganze gehen und seine Hand wanderte Richtung Jeroens Boxershorts. Er würde es sicher nicht zulassen, dachte sich Arno, doch er irrte. Auch Jeroens Hand wanderte nun Richtung Arnos Unterhose ?

Es dauerte nicht lange ? und beide lagen vollkommen erschöpft im Bett, immer noch nach Luft ringend. Nach einer Weile kicherten beide, ob der immensen Sauerei in ihrer Unterwäsche. Also entledigten sie sich kurzerhand dessen und sie flog in hohem Bogen durch das Zimmer. Arno war noch immer völlig fertig, er masturbierte zwar schon seit einigen Jahren, aber so einen Höhepunkt hatte er noch nie erlebt.

"Und das soll falsch sein?", sagte just in diesem Moment Jeroen.

"Es war wunderschön, Jeroen", meinte Arno nur und hauchte ihm noch einen Kuss auf die Wangen. "Gute Nacht, mein Lieber!"

"Gute Nacht, Arno. Träum was Schönes ? von mir, haha!"

Jeroen schlief wenige Minuten später zufrieden ein und Arno war mit seinen Gedanken wieder alleine. Doch waren es dieses Mal keine schlimmen ? er spürte dieses Mal weder Angst, Wut noch Trauer. Nur Glück, vor allem als er Jeroen betrachtete, dessen Brustkorb sich im Schlaf ruhig auf und ab senkte.


Arno war alles andere als ein Langschläfer und so weckten ihn bereits um halb 5 die ersten Sonnenstrahlen. Kurz dachte er, die letzte Nacht sei nur ein Traum gewesen, doch dann sah er Jeroen neben sich, der tief und fest schlief. "Mein Gott, welch ein Anblick", dachte sich Arno. Er wusste es ? es war einer dieser kleinen, für manche vielleicht unbedeutenden Momente, an die man sich ein Leben lang erinnert. Jeroen lag auf dem Rücken, den Kopf seitlich auf seinem rechten Oberarm positioniert. Sein Haar verdeckte eine Gesichtshälfte fast komplett, nur sein rechtes Auge und seine liebe, spitze Nase waren zu sehen. Sein Mund war halb offen. Arno wusste, was er jetzt wollte. Er hüpfte aus dem Bett ? und holte sich ein Zeichenblatt und einen Bleistift aus seinem Rucksack. "Diesen Moment muss ich festhalten", sagte er zu sich selbst.

Ganz vorsichtig setzte er sich ans Bettende und begann zu zeichnen. "Wie in Titanic Leo di Caprio und Kate Winslet", dachte er, "dieser Scheiß-Film, haha." Und doch hat er ihn oft genug gesehen ? Arno konnte nur mühsam ein Kichern unterdrücken, um keinen Preis der Welt wollte er Jeroen aufwecken.

Er zeichnete und zeichnete, der Bauchnabel war gerade noch freigelegt, der Rest von der dünnen Decke verhüllt. Aber das machte Arno nichts ? er dachte in diesem Moment nur wenig an Sex, es war einfach dieser Moment der Schönheit, den Arno auskostete. Es schien für ihn, als ob er der einzige wache Mensch auf der Welt wäre ? und er war im Einklang mit sich wie nie zuvor. Zwei Stunden nachdem er begonnen hatte, war seine Zeichnung beendet ? so ungeduldig er normalerweise war, so perfektionistisch war er, was das Zeichnen anbelangte. Seiner Meinung nach war es schlichtweg die beste Zeichnung, die er je angefertigt hatte. Er nannte sie ‚Sleeping Beauty‘!

Sorgfältig verstaute er sie in seinem Rucksack ? danach beschloss er doch noch eine Runde zu schlafen. Vorsichtig legte er seinen linken Arm über Jeroens Brust, der dies instinktiv mit einem kurzen Stöhnen akzeptierte. Er spürte abermals Jeroens Herz, das dieses Mal gleichmäßig und ruhig schlug. Arno stieß einen zufriedenen Seufzer aus, ehe er auch wieder entschlummerte.

Gegen neun erwachte er erneut ? und wurde vom ebenso wachen Jeroen mit einem Kuss begrüßt, den Arno leidenschaftlich erwiderte. Man beschloss es allerdings dabei zu belassen, denn die beiden konnten hören, dass auch der kleine Thys bereits munter war ? überhaupt hatte man Zweifel, ob die letzte Nacht vielleicht doch nicht unbemerkt geblieben war. Also bemühte sich Arno, das Bettzeug auf der Luftmatratze etwas unordentlich zu gestalten ? es sollte den Anschein erwecken, als hätte er wirklich darin geschlafen.

Wilma und Jan saßen bereits beim Frühstück, als Arno und Jeroen ebenfalls in die Küche kamen.

"Na, gut geschlafen ihr beiden?", fragte Wilma und grinste dabei schelmisch ? zumindest kam es Arno so vor.

"Jap ? war gar nicht mal so unbequem auf der Luftmatratze", log Arno und wurde prompt rot. Also versuchte er abzulenken und nahm den wieder fröhlich quietschenden Thys in seine Arme.

Nach dem Frühstück lungerten beide Jungs faul auf der Couch herum, um etwas fernzusehen. Währenddessen besorgte Jan von einem Nachbarn zwei Fahrräder, die er den Jungs überließ. Es war gegen eins, als Arno und Jeroen beschlossen eine kleine Fahrradtour zu unternehmen.

Eine Weile fuhren sie hintereinander, ehe man in einen Fahrradweg einbog, der direkt neben einem künstlich angelegten Kanal verlief. Dort war Platz und endlich waren sie wieder ungestört. Man plauderte über dieses und jenes ? Dinge, über die Jungs in diesem Alter halt so sprechen.

Die Stadt hatten die beiden bereits hinter sich gelassen und die Landschaft wurde jetzt ländlicher. Links der Kanal, rechts Bäume. Bei einem kleinen Teich beschlossen sie, eine kleine Pause einzulegen.

"Ein schöner Fleck. Komm, setzen wir uns dorthin", meinte Jeroen und deutete auf eine Trauerweide. Gesagt, getan ? und kaum saßen sie, legte Arno sanft seine Arme um Jeroen, um an dessen Ohr zu knabbern. Dieser küsste dafür Arnos Wange, ehe sich wieder beide Lippen trafen und zärtliche Küsse austauschten. Da beide komplett allein und unbeobachtet waren, dauerte es nicht lange, ehe beide nackt nebeneinander lagen. Erstmals konnte Arno Jeroen in seiner ganzen Pracht sehen. So wie Arno hatte auch Jeroen bereits einen stehen ? allerdings hatte Jeroen im Gegensatz zu Arno nur wenig Schambehaarung.

Die beiden streichelten sich am ganzen Körper, Arno bedeckte so ziemlich jede Körperregion Jeroens mit sanften Küssen, während dieser lustvoll stöhnte. Als er sich der ‚unteren Region‘ näherte, warf er einen fragenden und gleichsam flehenden Blick Richtung Jeroen, der nur kurz nickte und in freudiger Erwartung die Augen schloss ? Wenige Minuten später kam es beiden so heftig, dass sie laut aufstöhnten.

Etwas schuldbewusst ? irgendjemand hätte sie ja doch sehen können - zogen sich beide flott wieder an, blieben aber noch sitzen.

"Schmeckt eklig", meinte Arno.

"Wir müssen es Wilma und Jan sagen", lenkte Jeroen das Gespräch in eine komplett andere Richtung.

"Müssen wir das? Also ich weiß nicht", erwiderte Arno und wurde unruhig. "Sie werden uns deswegen trennen und ich seh' dich nie wieder."

"Quatsch. Ich glaub die beiden würden es verstehen. Es ist doch ok was wir tun ? und ich will es nicht heimlich tun."

"Hast du auch vor, es deiner Mutter zu sagen?", wollte Arno wissen.

"Ich glaube, sie ahnt es schon. Aber natürlich: Wenn es Wilma und Jan erfahren, wird sie es ebenfalls."

"Gib mir noch ein paar Tage Zeit. Ich muss mir das noch überlegen, ok?", bat Arno und merkte, dass Jeroen nicht so ganz einverstanden damit war.

"Ich hab dich so verdammt lieb", fuhr Arno mit leiser Stimme fort, "ich will nicht, dass das von jemanden zerstört wird, ok?"

Er küsste Jeroens Stirn und beide versanken in einer stillen Umarmung.


Da sich der Nachmittag bereits wieder dem Ende entgegen neigte, beschlossen die beiden zurückzufahren. Das Abendessen fand wieder im Garten statt ? da es danach leicht zu regnen begann, pflanzte sich die Familie auf die Couch, um fernzusehen. Man entschied sich für den Film ‚Billy Elliot‘ - ein Film, in dem der Sohn eines Minenarbeiters seine Liebe fürs Ballett entdeckt und damit anfänglich auf wenig Gegenliebe stößt. In einer Szene wird Billy von seinem Freund Michael auf die Wange geküsst ? in diesem Moment spürte Arno, wie Jeroens Blick auf ihn gerichtet war.

"Ich muss mal aufs Klo", meinte der sichtlich nervös gewordene Arno und verzog sich auf die Toilette. Ob Jeroen mit diesem Blick etwas verraten hatte? Wussten es Wilma und Jan bereits? Und vor allem: Wäre er wirklich schon bereit, sich sozusagen zu outen? Arno bemerkte, dass er am ganzen Körper zitterte ? er hatte so richtig Schiss, kehrte dann aber auf die Couch zurück.

"Das Brathuhn wollte raus", log er und strich sich über den Bauch, als hätte er sich tatsächlich erleichtert.

Als beide wenig später im Bett lagen ? die Luftmatratze blieb natürlich wieder unbenutzt ? sagte Jeroen: "Du brauchst absolut keine Angst haben, ich meine vorhin, du musstest doch nicht wirklich aufs Klo, oder? Ich hab dich auch sehr lieb, du bist das Beste, was mir bislang passiert ist und ich tu nichts, was du nicht willst ?!"

Arno war etwas erleichtert: "Mir geht es genauso, ich hatte noch nie jemanden wie dich." Danach wurde er sehr ruhig, denn er musste daran denken, wie bemessen ihre gemeinsame Zeit doch war. Jeroen merkte, dass mit seinem Freund etwas nicht stimmte: "Ich weiß woran du denkst. Aber lass uns einfach das Hier und Jetzt genießen."

Arno staunte über diese reife Aussage des 14-jährigen. Er umarmte Jeroen so liebevoll es nur ging, küsste ihn innig auf den Mund ? und wenig später schliefen beide in ihrer Umarmung ein.


Im Laufe des nächsten Vormittags fragte Wilma Arno, ob er ihr beim Einkaufen helfen würde.

"OK. Ich hol Jeroen", gab Arno zur Antwort.

"Nein, lass nur. Jan braucht etwas Hilfe im Garten. Du hilfst mir und Jeroen hilft Jan, ok?" erwiderte Wilma.

Irgendwie spürte Arno, dass etwas nicht stimmte. Hatte Jeroen da seine Finger im Spiel? Es war ihm regelrecht schlecht, als er neben Wilma im Auto Platz nahm. Vor einem riesigen Supermarkt blieben die beiden auf einem noch viel riesigeren Parkplatz stehen. Als Arno aussteigen wollte, hielt ihn Wilma zurück.

"Bleib mal kurz sitzen, Arno. Ich möchte mit dir reden", sagte Wilma liebevoll. "Du und Jeroen, ihr seid gute Freunde geworden, nicht wahr?"

"Ja, er ist ganz nett."

"Ganz nett? Jan und ich, wir glauben, dass ihr mehr als Freunde seid. Er war gestern Abend noch bei euch im Zimmer um euch eine Flasche Wasser zu bringen, doch ihr habt schon geschlafen, im gleichen Bett ?"

Arno konnte nicht mehr hinhören ? er riss die Autotür auf und lief davon. Doch wohin wollte er eigentlich? Die Sinnlosigkeit dieser Aktion einsehend, blieb er nach etwa 50 Metern in einer Wiese stehen. Er wagte sich nicht Richtung Auto umzublicken ? ihm war zum Heulen, er konnte es aber noch zurück halten. Erst als er sanft Wilmas Arm auf seinen Schultern spürte, brachen alle Dämme. Schluchzend warf er sich in ihre Arme, ohne auch nur ein Wort herauszubringen.

"Shh. Es ist ok. Ich meine, es ist ok für uns, was dich und Jeroen verbindet. Du brauchst nicht zu weinen, nur weil wir es wissen. Es ist nichts Verbotenes, das ihr macht."

Arno konnte sich nun doch zu Worten durchringen: "Doch! Ist es! Mein Vater sagt, das ist nicht normal ? und alle gehören weg, die so etwas tun. Ich bin einfach nur ein Riesenhaufen Scheiße. Ich will nicht so sein ? aber ich kann's nicht ändern und Jeroen ?"

Als er Jeroens Name erwähnte, war es wieder vorbei mit seinen Worten und der nächste Heulkrampf nahm seinen Lauf.

"Jeroen ? er liebt dich", meinte Wilma tröstend, "und dein Vater weiß gar nicht, was für einen großartigen Jungen er hat. Du bist kein Haufen Scheiße ? du bist ein fabelhafter Bursche und wir sind alle sehr froh, dass du hier bei uns bist."

Danach schwieg sie ? wahrscheinlich wurde ihr ebenfalls in diesem Moment bewusst, dass die Zeit für Arno in ihrem Haus nicht stehen bleiben würde. "Na, komm zurück zum Auto. Mit dem verheulten Gesicht wirst du sicher nicht mehr in den Supermarkt wollen. Lass uns fahren."

Zu Hause angelangt saß Jan mit Jeroen im Garten und natürlich hatten auch die beiden miteinander darüber gesprochen. Arno war wiederum erstaunt über Jeroens Reife ? denn im Garten dürfte es weit weniger emotional zugegangen sein, als auf dem Parkplatz. Jeroen wirkte relaxed, machte einen Schritt auf Arno zu, umarmte ihn und gab ihm vor allen Anwesenden einen Kuss auf die Lippen.

"Toll. Gleich werd ich wieder los heulen", dachte sich Arno, doch das Gegenteil war der Fall ? er fühlte sich von einer tonnenschweren Last befreit und erwiderte Jeroens Kuss.

Danach verdrückte sich Jeroen ? er wollte mit seiner Mutter telefonieren und ihr ebenfalls mitteilen, dass er und Arno zusammen wären.

"Wenn du willst, kannst du mein Handy benutzen. Also, wenn du auch zu Hause anrufen willst", meinte Jan.

"Nein, lass nur", antwortete Arno. Dafür war er nun wirklich noch nicht bereit.


Die nächsten Tage wurden für Arno die besten, die er jemals erlebt hatte: Man unternahm Ausflüge, spielte etwas Fußball mit anderen Jungs (obwohl Jeroen ein miserabler Fußballer war ?), faulenzte und genoss unglaubliche Stunden zu zweit.

An einem Tag unternahm die Familie einen Ausflug in die Hauptstadt Amsterdam. Arno war hingerissen vom Charme dieser Stadt, die Menschen dort kamen ihm so viel entspannter vor, als in seiner Heimatstadt. Man unternahm eine Kanal-Rundfahrt, besuchte das Anne Frank Haus (das beide Jungs sehr berührte) und hatte ein Picknick im großen Vondel-Park.

Wie gesagt, die Leichtlebigkeit Amsterdams beeindruckte Arno, vor allem, dass es hier niemanden zu stören schien, wer mit wem ging. So sah er einige Frauen- und Männerpaare, die Hand in Hand durch die Straßen schlenderten, ohne dass sich jemand nach ihnen umdrehen würde.

Jeroen merkte wieder einmal genau, was in Arnos Gedanken gerade vor sich ging. Als ein weiteres, glücklich wirkendes, gleichgeschlechtliches Paar an ihnen vorbeiging, riskierte Jeroen es, nach Arnos Hand zu greifen, nervös blickend, wie dieser wohl reagieren würde. Alle sahen es. Wilma und Jan spazierten hinter ihnen ? auch sie sahen es. Es war Arno egal ? er erwiderte die Geste mit festem Händedruck. Hätte er vor ein paar Wochen gedacht, dass er einmal mit einem anderen Jungen Hand in Hand in der Öffentlichkeit spazieren gehen würde - er hätte den Kopf geschüttelt. Viel zu schnell ging auch dieser Tag zu Ende ? und immer öfters zögerten die beiden das Schlafengehen länger hinaus, sie wollten die gemeinsame Zeit wirklich intensiv auskosten.

Die letzte Woche war angebrochen, was man Arno an häufigen Stimmungsschwankungen auch anmerkte. Jeroen, der ruhigere von beiden, schaffte es allerdings immer wieder, Arno auf andere Gedanken zu bringen.

"Komm, gehen wir Fußball spielen", sagte er dann, obwohl er selbst Fußball hasste, aber wusste, dass Arno dieses Spiel liebte. Auf einem kleinen Platz, nicht unweit von Wilmas und Jans Haus entfernt, hatte man bereits mit einigen anderen Jungs Freundschaft geschlossen, mit denen man regelmäßig Fußball spielte. Arno liebte Jeroen, aber wenn er mit ihm in einer Mannschaft spielte, konnte er sich leider manche "Der ist voll unfähig" Gedanken nicht verkneifen. So auch an diesem Mittwoch, der übel ausgehen sollte ?.

Arno war mit Jeroen, Klaas und Hans in einer Mannschaft gelandet. Klaas ähnelte Arno vom Wesen her ? ein toller Spieler, allerdings auch ein Großmaul und Leadertyp. Im Spiel gegen vier andere Jungs lief nichts zusammen: Jeroen stolperte durch die Gegend, verlor so ziemlich jeden Ball und man lag rasch 0:3 zurück (meistens spielten sie solange, bis die erste Mannschaft 10 Tore erzielt hatte). Bei diesem Spielstand spielte Arno einen ? zugegeben schlampigen ? Pass Richtung Jeroen, der der letzte Spieler vor dem eigenen Tor war. Prompt verstolperte er den nächsten Ball und es stand 0:4. Klaas reichte es und fluchte Richtung Jeroen, der sofort rot wurde und hilfesuchend zu Arno blickte. Der hatte von diesen niederländischen Wortfetzen lediglich das Wort ‚Homo‘ verstanden. Sofort stürmte er Richtung Klaas, in ihm brodelte es: "What did you say?"

"That bloody homos like you and your friend shouldn’t play football!", schnaubte Klaas Arno an. Arno tickte jetzt komplett aus und bevor Klaas reagieren konnte, hatte ihm Arno seine Faust ins Gesicht gerammt. Klaas strauchelte und fiel hin, sofort schoss Blut aus seiner Nase. Hans, scheinbar Klaas’ bester Freund, wollte nun Arno angreifen und sofort baute sich Arno auch vor ihm auf. Da ging Jeroen dazwischen, legte den Arm um Arnos Schultern und sagte: "Komm, lass gut sein Arno!"

Es war alles zu viel für Arno: "Greif mich nicht an, du Scheiß Schwuchtel!", fuhr er Jeroen an, der nicht wusste wie ihm geschah. Es war ein Schock. Jeroen taumelte, als hätte auch ihn Arnos Faust getroffen. Die Tränen standen in seine Augen, er konnte nicht glauben, was sein geliebter Arno gerade gesagt hatte.

Arno lief zu seinem Fahrrad und fuhr davon. Ziellos und immer noch rasend vor Wut. Wie konnte er auch nur annähernd denken, diese Wochen würden ihn ändern, einen guten Menschen aus ihm machen? Und Jeroen? Der dachte doch wirklich er könne eine Schwuchtel aus ihm machen, so eine beschissene Tunte! Sein Vater hatte schon Recht ? die gehören alle weg!

So radelte er dahin ? und redete sich all diesen Unsinn ein. Am liebsten würde er mit dem Fahrrad bis nach Wien zurück fahren, um keinen von diesen Leuten hier wiederzusehen. Alles Scheiße! Er hasste sie alle und sie alle könnten ihm den Buckel runterrutschen! Am meisten ? so redete er es sich zumindest ein ? hasste er Jeroen! Nun blieb Arno stehen, Jeroen! Er wusste, dass es eine Lüge war, dass er ihn nicht hasste, sondern liebte. Aber nun schien alles vorbei zu sein. Langsam beruhigte sich Arno wieder, zumindest was seine Wut betraf.

Er fuhr weiter, obwohl er schon längst nicht mehr wusste, wo er eigentlich war. Vor ihm lag eine Autobahnunterführung. Arno dachte: "Was wäre, würde ich einfach mit dem Fahrrad die Autobahn überqueren. Die Augen schließen, die Lenker auslassen. Irgendein LKW oder Auto würde mich schon erwischen. Keiner würde einem Arschloch wie mir nachweinen. Keiner!"

Vor wenigen Stunden noch, schien Arno der glücklichste Mensch der Welt zu sein ? nun fühlte er sich allein, wie nie zuvor in seinem Leben. Und den einzigen Menschen, der ihn wirklich liebte hatte er mit aller Gewalt von sich gestoßen ?.


Jeroen ging wie in Trance nach Hause. Jan saß im Garten und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

"Was ist los?", fragte er Jeroen (natürlich sprachen die beiden niederländisch) mit sorgenvollem Blick.

Er konnte noch immer nicht reden, also beschloss Jan, ihn fürs erste mal in die Arme zu nehmen.

Jeroen fing nun an zu schluchzen, boxte auf Jan ein, der alle Mühe hatte, ihn zu beruhigen.

"Bitte ruf meine Mutter an", schluchzte er, "ich will hier weg!"

Es vergingen gut und gerne 10 Minuten, ehe sich Jeroen beruhigt hatte ? inzwischen war auch Wilma dazu gekommen und sie setzten sich alle auf die Couch, um Jeroen gut zu zureden.

"Weißt du, Arno hat sicher überreagiert. In seiner Gefühlswelt ist in den letzten Wochen einiges passiert", meinte Wilma.

"Trotzdem darf er nicht so mit mir reden. Was ist mit meiner Gefühlswelt?", meinte Jeroen etwas trotzig.

"Du hast nette Leute um dich, selbst wenn dein Vater in Deutschland lebt ? auch er ist immer da für dich. Du hast alles, was er nicht hatte. Ich habe mit dem Direktor seiner Schule gesprochen, er war derjenige der ihn für diese Reise vorgeschlagen hat. Er hat mir einiges erzählt. Einige sehr unschöne Dinge", seufzte Wilma.

"Was für Dinge?", fragte Jeroen neugierig.

"Sein Vater ist ein richtig übler Kerl, der beide, Arno und seine Mutter, schlägt und das ganze Geld vertrinkt. Das geht schon seit immer so. Als Arno acht war, hat ihn sein Vater so übel zugerichtet, dass er mit einem Lungenriss wochenlang im Krankenhaus lag. Und Arno der arme Kerl? Der fühlt sich als Beschützer seiner Mutter und ist damit heillos überfordert. Vor allem deswegen, weil seine Mutter längst aufgegeben hat. Damit ist sie Arno auch keine Hilfe. Er ist der einzige der zu kämpfen versucht ? noch. Im Freundeskreis spielt er den harten, mit der Polizei hatte er auch schon zu tun, aber wie es in seinem Inneren aussieht, kann man sich nur sehr schwer vorstellen. Und jetzt kommt er hier zu uns ? hat Leute die ihn mögen, einen Freund der ihn liebt. Da ist heute wahrscheinlich alles hoch gekommen."

Jeroen kullerten leise die Tränen herunter ? jetzt fühlte er sich hilflos und er hatte Riesenangst. Angst was passieren würde, wenn Arno wieder zu Hause in Wien ist.

"Können wir ihm gar nicht helfen?", meinte er traurig. "Warum lassen wir ihn nicht einfach hier bei uns? Er könnte doch bei uns bleiben?"

Jan schüttelte traurig den Kopf: "So einfach, wie du dir das vorstellst, ist das nicht. Würden wir ihn hierlassen, wäre das so etwas wie Kindesentführung."

"Aber man muss ihm doch helfen", meinte Jeroen abermals, jedes Wort presste er mit Mühe heraus, weil dieser Kloß im Hals einfach nicht runter wollte.

"Glaub mir", meinte Wilma, deren Augen auch mit Wasser gefüllt waren, "du hast ihm in den letzten Tagen so sehr geholfen, wie noch keiner zuvor. Du hast ihm all die schönen Sachen gezeigt, von denen er wahrscheinlich nicht mal ahnte, dass es sie gibt."

Jeroen stand schweigend auf. "Aber gut, du kannst gerne zu Hause anrufen", meinte Jan.

"Nein", schüttelte Jeroen den Kopf, ging in den Garten und schwang sich aufs Fahrrad. Er musste Arno finden.


Arno hatte mittlerer weile die Stadt weit hinter sich gelassen und fuhr still vor sich hin. Langsam wurde ihm bewusst, was er bei Jeroen angerichtet haben konnte. "Ich hab alles vertan mit meinem Egoismus, als ob ich der einzige auf der Welt wäre, der Probleme hätte", dachte er sich. Er schämte sich fürchterlich und übersah den Stein, der da vor ihm auf dem Weg lag. In hohem Bogen flog er vom Rad und landete unsanft auf dem Boden.

"Autsch, fuck!", sein Kopf schmerzte, aber im Großen und Ganzen war ihm nichts passiert ? außer, dass das Rad ziemlich hinüber war, fahruntüchtig sozusagen. Also beschloss er Richtung Stadt zurück zugehen, was sich als ziemlich mühsam herausstellte, denn auch sein rechtes Knie hatte etwas abbekommen ? und ein kaputtes Rad durch die Gegend zu schieben war auch nicht wirklich einfach. Als es zu allem Überdruss auch noch zu schütten begann, suchte Arno Zuflucht unter einem Baum, um Rast zu machen. Sein Knie und sein Kopf schmerzten, als er sich zusammen kauerte. Eines wurde ihm jetzt klarer und klarer: Es lag einzig und allein an ihm, wie seine Zukunft aussehen würde. Er müsse aufhören, ständig andere Leute für seine Probleme verantwortlich zu machen. Ihm wurde übel bei dem Gedanken, dass er manche Eigenschaften seines Vaters in ihm wieder erkannte. Die verletzende Art anderen gegenüber, das sofortige Zuschlagen ? das müsse aufhören. Und genau das schwor er sich unter diesem Baum, als der Regen über ihm hernieder prasselte. "Schluss damit ? ich bin doch kein Kind mehr", schwor er sich, halblaut zu sich selbst sprechend. Er beschloss, den Regen abzuwarten, um dann weiter zu gehen. Angst hatte er dennoch: Wie würde Jeroen reagieren, wenn er ihm gegenüber stehen würde? Würde er ihm verzeihen? Was sollte er ihm bloß sagen? Ein einfaches ‚Entschuldigung‘ würde seiner Meinung nach nie und nimmer ausreichen, um diesen Schaden wieder gut zu machen. Arno war erschöpft, traurig und schloss die Augen ? vielleicht könnte ihm ein wenig Schlaf helfen.

Kaum eingeschlafen hatte er einen komischen Traum: Er befand sich in der Luft und flog über den Weg, den er mit den Rad befahren hatte, als er sich einer Autobahnbrücke näherte. Er sah von oben, dass der Verkehr auf der Brücke zum Stillstand gekommen war. Rettungswagen mit schimmernden Blaulichtern standen sich gegenseitig im Weg. Mitten auf der Straße knieten drei Sanitäter über einem scheinbar Schwerverletzten. "Na sehr toll, jetzt hat es mich also wirklich erwischt", dachte sich Arno, als er sich dieser Szene immer mehr von oben näherte. Einer der Sanitäter sah komischerweise aus wie sein Physiklehrer ? was machte der denn hier? Nur noch wenige Augenblicke ? dann würde er sehen, wer hier auf der Straße liegt. Die Sanitäter schüttelten den Kopf und zogen eine silberne Aludecke über den geschundenen Körper. Alles war ruhig, keiner schien zu atmen. Arno ging langsam auf den Verunglückten hin, er musste wissen, wer unter der Decke lag. Er rechnete fest damit sich selbst zu sehen, doch als er langsam die Decke anhob, sah er ein Büschel blonde Haare, das unter einer blutverschmierten, schwarzen Wollmütze hervorlugte. Er entfernte die Mütze und starrte in Jeroens Gesicht, in zwei leblose Augen. "Ich liebe dich", hörte Arno von irgendwo her, als er aus dem Schlaf hochschreckte. Er zitterte am ganzen Leib: Der Traum war schlimmer, als alle anderen Albträume, die er bis dahin hatte. Außerdem fror er erbärmlich, zwar hatte es zu regnen aufgehört, doch die Tropfen haben irgendwie den Weg durchs Blätterdach auf Arnos Körper gefunden. Er beschloss seinen Weg fortzusetzen, da es außerdem bald dunkel werden würde.


Wo er genau hinwollte, wusste Jeroen eigentlich auch nicht ? natürlich wollte er Arno finden, aber viel mehr wollte er mit seinen Gedanken alleine sein. Stumm fuhr er durch die Straßen. Arno tat ihm so unendlich leid ? und am Sonntag würde er wieder zurück nach Wien müssen, ohne dass man auch nur irgendetwas dagegen tun konnte. Gedankenversunken bemerkte er nicht, dass plötzlich ein anderes Fahrrad neben ihm entlang fuhr ? erst als er ein leises ‚Hoi‘ hörte, drehte er sich nach links. Es war Klaas.

"Bestens, der wird sich jetzt sicher an mir rächen wollen", dachte sich Jeroen, sah aber sofort, dass das nicht eintreffen würde. Klaas hatte sich ein Taschentuch in die Nase gestopft, die ziemlich geschwollen war. Mit schuldbewusster Miene blickte er Jeroen an: "Es tut mir leid was ich gesagt habe. Bitte verzeih mir."

"Danke", meinte Jeroen anerkennend, er hatte das so nicht erwartet, "du kannst mir helfen Arno zu suchen. Er ist vorhin einfach weg."

"Er hat einen verdammt guten Schlag, dein Freund", meinte Klaas und versuchte zu lachen. Es gelang nicht ? zu gedrückt war die Stimmung.

"Woher wusstest du eigentlich, dass Arno und ich ? zusammen sind?", fragte Jeroen.

"Also, dass sieht doch ein Blinder ? die Art wie ihr miteinander redet, wie ihr euch anseht, der ganze Umgang miteinander ? Noch mal: Es tut mir leid. Ich habe ja nichts gegen euch beide, im Gegenteil: Ihr seid beide nette Kerle, mich hat einfach das Spiel so aufgeregt, dass ich ? ich meine ?" Klaas hielt an, stieg vom Rad und hielt Jeroen die Hand hin.

"Freunde?", meinte er.

"Freunde", antwortete Jeroen und erwiderte den Händedruck Klaas’.

"Komm, lass uns weiterfahren. Es wird bald dunkel", meinte Jeroen und beide schwangen sich wieder in den Sattel.


Arno hatte mittlerer Weile wieder einige Kilometer zurückgelegt, die Gegend kam ihm nun etwas bekannter vor. Ja, natürlich: Vor wenigen Tagen war er hier mit Jeroen unterwegs gewesen und aus einiger Entfernung sah er plötzlich die markante Trauerweide auftauchen ? da, wo er und Jeroen sich geliebt hatten. Er beschloss, dort eine weitere Pause zu machen.

Da Jeroen wirklich nicht wusste, wo er eigentlich suchen solle, fuhr er instinktiv die Strecke ab, auf der er vor wenigen Tagen mit seinem Freund unterwegs war. Beide Jungs riefen abwechselnd nach Arno.

"Da! Dort unter dem Baum! Ist er das?", rief Klaas plötzlich.

Jeroen schlug das Herz bis zum Hals. Es war tatsächlich Arno ? bislang war er besorgt um ihn, jetzt wusste er nicht, was er ihm sagen sollte. Schließlich hatte er ihn doch ziemlich verletzt.

Klaas blieb mit seinem Rad auf dem Weg stehen ? er wusste, dass dies eine Angelegenheit zwischen Arno und Jeroen war, er könne sich auch später noch bei Arno entschuldigen.

Jeroen näherte sich Arno, der ebenfalls bereits bemerkt hatte, wer da auf ihn zukam. Auch in seiner Gurgel pochte es laut.

Beide standen sich gegenüber, etwa einen Meter entfernt. Keiner der beiden war im Stande, auch nur ein Wort zu sagen. So war es wieder mal der besonnenere Jeroen, der den ersten Schritt wagte. Er ging langsam auf ihn zu, umarmte ihn und vergrub weinend seinen Kopf in Arnos Schultern.

"Es tut mit so unendlich leid, was ich gesagt habe", presste Arno mühsam hervor, ehe auch bei ihm die Tränen flossen. Immer und immer wieder strich er Jeroen durchs Haar, sagte ihm wie sehr er ihn brauchte.

"Immer verletz ich die Leute, die ich am meisten liebe. Ich hätte mir das nie verzeihen können, wenn du jetzt einfach weggegangen wärst. Ich bin nichts ohne dich!"

‚Immer verletz ich die Leute, die ich liebe‘. "Weil du auch immer von Leuten verletzt wirst, die dich lieben sollten!" Diesen Satz dachte sich Jeroen allerdings nur, er wusste nicht wie Arno reagieren würde, wenn er ihm dass erzählen würde, was ihm Wilma erzählt hatte. Zumindest war dies nicht der richtige Augenblick dafür.

Nach einer Weile lösten sich die beiden voneinander und erst jetzt erkannte Arno, dass auch Klaas mit von der Partie war. Beschämt blickte er auf den Boden, als sich dieser ihm näherte.

"Bestimmt haut er mir jetzt eine aufs Maul", dachte sich Arno, "ich würd' es ihm nicht verdenken."

"Sorry, for calling you a fag", sagte Klaas, "you’re a great footballer!"

"Sorry, for punching you ? that was absolutely shit. It’s inexcusable", meinte Arno.

Beide gaben sich die Hand.

"Forget about it, Mike Tyson", sagte Klaas augenzwinkernd, hob Arnos kaputtes Fahrrad auf und sagte, "Let’s go home!"


Nachdem man sich von Klaas verabschiedet hatte, erreichte man wieder das Haus der de Bleekers. Wilma stürzte sofort ins Freie und umarmte beide.

"So, du gehst erst mal unter die Dusche. Du bist ja halb erfroren", meinte sie zu Arno und wuschelte durch sein Haar. "Aber danach reden wir noch. Es ist nämlich nicht ok, einfach abzuhauen. Das war sehr dumm von dir. Na, nicht weinen, geh unter die Dusche!"

Er ließ die kleine Schelte über sich ergehen und dachte dabei an seine Mutter, die in solch ähnlichen Situationen immer heillos überfordert war. Nie schimpfte sie mit ihm, auch wenn es manchmal angebracht gewesen wäre. Dennoch vermisste er sie gerade in diesem Moment das erste Mal seit seiner Ankunft.

Arno stieg mit wackeligen Beinen in die Dusche, ehe das heiße Wasser seinen Körper hinablief ? wie gut ihm das jetzt tat. Nach knapp 20 Minuten kam er zurück ins Wohnzimmer.

"Nah, dein Knie sieht ja bezaubernd aus", meinte Wilma. "Komm setz dich", befahl sie Arno und begann die Wunde auf seinem Knie zu versorgen.

Dann begann sie zu reden ? Arno hörte schweigend zu.

"Du weißt, dass du Jeroen sehr verletzt hast. Er ist ein anständiger Kerl ? und ich dulde so etwas keineswegs. Er wollte eigentlich weg von hier, aber dann ? Ich hoffe es ist dir Recht, ich habe ihm von deinem Zuhause erzählt ? von deiner Familie, insbesondere deinem Vater."

Arno blieb ruhig ? unter anderen Umständen hätte er sicher gebrüllt: "Das geht dich einen Scheiß an!" Aber er saß da und hörte traurig zu.

"Das alles muss sehr schwer für dich sein, aber es ist nicht deine Schuld! Hörst du, es ist nicht deine Schuld!" Dabei strich sie ihm liebevoll über das Gesicht, Arno wunderte sich, woher das ganze Wasser aus seinen Augen herkam, denn wieder flossen Tränen über sein Gesicht.

"Aber du sollst auch wissen: Du hast hier eine zweite Familie. Wann immer du Probleme hast, ruf an und wir setzen dich ins Flugzeug. Du musst zwar am Sonntag wieder zurück, doch das ist nicht das Ende. Wir werden immer für dich da sein. Aber du musst mir auch etwas versprechen: Mach nicht solche Dummheiten und vor allem ? kämpfe weiter! Mach die Schule fertig und in zwei, drei Jahren steht dir die Welt offen. Das haben auch schon andere geschafft, die es noch viel schwerer hatten. Wir alle haben dich sehr lieb. Du bist nicht allein ? und wirst es auch niemals sein."

Wilma blickte in Arnos Augen ? sie war sichtlich gerührt, als sie dort schlicht und einfach Dankbarkeit erkannte. Danach umarmte sie ihren großen: "Ab heute hab ich zwei Söhne!"

"Ist sie nicht großartig", meinte Jan zu Jeroen und legte ihm seinen Arm um die Schulter. Beide hatten die Szene in sicherem Abstand verfolgt ? Jeroen war dankbar und er war sich sicher: Seine Liebe zu Arno würde ewig halten!

"Na los. Lauf schon hin", stupste ihn Jan an, was sich dieser nicht zweimal sagen ließ.

Wenig später waren sie dann allein in ihrer Kammer. Arno war schrecklich erschöpft, also wanderte Jeroen auf die Luftmatratze aus, um seinen Freund das Bett zu überlassen. Arno hatte sich auch leicht verkühlt, schnüffelte vor sich hin und nieste ab und zu.

"Danke für alles, Jeroen", sagte er in die Stille hinein. "Du bist zweifellos der Vernünftige von uns beiden!" Er ging zu seinem Rucksack, kramte herum und nahm einen Umschlag heraus.

"Hier! Ich wollte sie dir eigentlich erst zum Abschied geben, aber ich denke, heute ist der bessere Zeitpunkt. Ich habe diese Zeichnung nach unserer ersten Nacht angefertigt. Sie zeigt dich so, wie du für mich bist: vollkommen!"

Jeroen nahm die Zeichnung mit zittriger Hand entgegen.

"Sie ist ? wunderschön", sagte er stockend. "Aber, willst du sie nicht selbst als Erinnerung behalten?", meinte er.

Arno schüttelte den Kopf. "Sie ist längst in meinem Hirn abgespeichert ? ich werde sie stets bei mir tragen. Ich liebe dich ? und vermisse dich jetzt schon."

Jeroen ging nochmals zu seinem Bett hinüber und küsste ihn. "Ich wünschte, es würde nie Sonntag werden", flüsterte er zitternd in Arnos Ohr. "Ich werde dich auch vermissen ? so sehr, dass es schon weh tut, wenn ich nur daran denke."

Er hielt ihn in den Armen. Es kam keine Antwort mehr ? Arno war sanft in seinen Armen eingeschlafen.

Noch einmal betrachtete sich Jeroen auf der Zeichnung ? einen größeren Liebesdienst hätte ihm Arno gar nicht erweisen können. Längst hatte er die kränkenden Worte vom Nachmittag vergessen.


Den nächsten Tag gingen beide sehr ruhig an ? Arno hatte sich tatsächlich verkühlt, auch das Wetter war zum Vergessen, es regnete und machte nicht den Eindruck, als würde es tagsüber irgendwann aufhören. Also beschloss man, den Tag faulenzend auf der Couch zu verbringen. Man spielte Kartenspiele, sah fern und hörte Musik. Jeroen griff auch wieder zu seiner Gitarre und sang einige Balladen für Arno, der immer wieder wegschlummerte.

Am Nachmittag ging es Arno schon etwas besser, nachdem ihm Wilma einen Tee (nach altem Familienrezept) zubereitet hatte. Da Arno ohnedies die meiste Zeit schlief, fuhr Arno am späteren Nachmittag mit Jan in die Innenstadt ? er wollte einige Besorgungen machen ?

Der Tee ? in dem auch ein ordentlicher Schuss Rum enthalten war ? machte Arno schwindelig und als er nach einem erneuten Schläfchen wieder aufwachte, hatte er für einen Moment keine Ahnung, wo er eigentlich war. Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, dass er in Holland war ? zumindest noch für einige Tage ? Da wurde er wieder traurig. Wo war Jeroen eigentlich? Waren die letzten Wochen nur ein Traum? Er blickte ratlos um sich ? um gleich darauf wieder einzuschlafen.

Als er wieder munter wurde, war es tatsächlich schon wieder Morgen ? Arno hatte 15 Stunden durchgeschlafen und fühlte sich bestens, gesundheitlich zumindest. Zwar hustete er noch, aber der heiße Kopf und das Kratzen im Hals waren verschwunden. Er lag in seiner Kammer, keine Ahnung, wer ihn dorthin gebracht hatte. Wahrscheinlich Jan, dachte er. Jeroen hatte wieder auf der Luftmatratze geschlafen, war aber bereits munter und erkannte sofort, dass es Arno wieder besser ginge. Sofort kam er in Arnos Bett gekrochen.

"Guten Morgen", hauchte er Arno entgegen.

"Guten Morgen", seufzte Arno. "Nur noch zwei Tage" ? das war es, was Arno im Kopf hatte.

Doch bald kam er auf andere Gedanken, als er Jeroens sanfte Hände auf seinem Körper spürte. Der Kleine legte richtiggehend los, küsste ihn am ganzen Körper. Arnos Kopf wurde sofort wieder heiß ? dieses Mal vor Erregung. Jeroens Zunge liebkoste sanft seine Brustwarzen, während er Arno genussvoll einen runterholte. Arno tat es ihm gleich und holte Jeroen einen runter. Beiden kam es fast gleichzeitig, ehe sie sich erschöpft ineinander fallen ließen. Noch eine ganze Weile lag Jeroen auf Arno ? zu erschöpft und zu faul, um sich zu erheben. Schließlich standen beide doch auf.

"Ich geh duschen. Kommst du mit?", fragte Jeroen, was sich Arno nicht zweimal sagen ließ. Unter der Dusche ging es gleich wieder weiter ? als Arno Jeroens Rücken einseifte und Jeroens prachtvollen Hintern sah, schwoll sein Penis sofort wieder an.

Jeroen drehte lediglich den Kopf zu Arno, sah ihn verliebt an und sagte: "Schlaf mit mir!"

"Aber nur wenn du es wirklich willst", erwiderte Arno.

Ein wenig später bewegte er sich sanft und vorsichtig in Jeroen, der leise stöhnte. "Alles ok?", fragte er besorgt. "Mach weiter, mach weiter", hauchte Jeroen. Arno schwanden fast die Sinne ? es fühlte sich herrlich an. Er kam zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde, dieses Mal noch heftiger, so heftig dass seine Knie weich wurden und er auf den Boden der Dusche sank. Jeroen sank ebenfalls zu Boden und beide blieben noch eine Weile sitzen, genossen das Wasser, das auf sie herab prasselte. "Das war eindeutig das Beste, das ich je erlebt habe", meinte Arno schnurrend. "Heute Nacht darfst du, wenn du möchtest!", meinte er zu Jeroen, der ? zwar immer noch verwirrt ? nur nickte.

Am späten Vormittag fuhr die gesamte ‚Familie‘ in ein riesiges Einkaufszentrum. Wilma, der der bevorstehende Abschied ziemlich nahe gehen durfte, wollte Arno noch einmal richtig verwöhnen.

"Und ich möchte auf keinen Fall ein ‚Nein, das geht doch nicht‘ von dir hören, verstanden?", meinte sie zu Arno.

Zuerst landeten sie bei Esprit. "Such dir einfach aus, was du möchtest, ok?", sagte nun Jan, und wenig später waren Arno und Jeroen zwischen den Regalen verschwunden. Nach einer Weile wurde Arno fündig: Er entschied sich für ein schwarzes T-Shirt, auf dem in silbernen Plättchen das Wort ‚No surrender‘ stand. "Ich hoffe, dass ist ok für die beiden", meinte er zu Jeroen, "immerhin kostet es 25 Euro."

Wilma schüttelte nur den Kopf, als ihr Arno das T-Shirt unter die Augen hielt. "Also doch zu teuer", dachte Arno.

"Ich seh' schon, da muss wohl ich Modeberater spielen", meinte sie mit gespielt strengem Blick zu Jeroen.

Eine ganze Stunde später stand man an der Kasse an und Arno wusste nicht wie ihm geschah: Gemeinsam mit Wilma und Jeroen (Jan ging einstweilen mit Thys in einen Spielzeugladen) hatten sie zwei weitere geile T-Shirts, eine dunkelblaue Jeans, sowie einen schwarzen und weißen Sommerpullover ausgesucht.

"Ich werde mich für all das irgendwann revanchieren", meinte er gerührt zu Wilma, "das verspreche ich dir!" Wilma winkte nur ab und drückte Arno ganz fest. "Nicht eifersüchtig werden Jeroen", meinte sie frech zu Jeroen und kniff ihm liebevoll in die Wangen.

"Dafür bist du ihm jetzt auch was schuldig!", meinte Arno und zwinkerte mit den Augen. Wilma wusste genau, was Arno wirklich wollte ? Zeit für sich alleine, um ein Abschiedsgeschenk für Jeroen zu finden. Unbemerkt wollte sie ihm 50 Euro zustecken, doch Arno winkte dankend ab. Er wollte für Jeroen sein eigenes Geld ausgeben, viel hatte er von den 100 Euro, die er mit hatte ja nicht gebraucht.

"OK, Jeroen. Ich denke Arno möchte etwas für seine Familie kaufen. Da lassen wir ihn lieber allein, ok? Also Arno, sagen wir in einer Stunde wieder hier?"

"Ok", murmelte Arno. Was für eine tolle Frau diese Wilma doch war.

Arno lief sofort in ein Schmuckgeschäft ? er wollte Jeroen einen Silberring kaufen, weil er dachte, dass ihm dieser gut stehen würde. Er könnte ihn unter Umständen auch als Halskette verwenden. In den Ring ließ er die Worte ‚Love Faith Hope‘ eingravieren. Mit dem Restgeld kaufte er ihm noch ein blütenweißes Hemd, auf dessen linker Brusttasche klein das Wort ‚Angel‘ eingestickt war. Schließlich war er ja auch sein Engel. Er ließ beides als Geschenk einpacken und ging zurück zum ausgemachten Treffpunkt.

"Und, hast du was gefunden?", fragte Jeroen neugierig.

"Jap, einen Flaschenöffner für meinen Vater", meinte Arno, nicht ohne ironischen Unterton, "und eine Bluse für meine Mutter. Mit Windmühlen drauf, so typisch Holland eben." Arno freute sich, er klang sehr glaubwürdig und Jeroen schien ihm jedes Wort abzunehmen.

Da sich der Regen der letzten Tage verzogen hatte und es wieder sehr warm war, beschloss man, den Nachmittag im Freibad zu verbringen. Wilma machte an diesem Tag wohl 100 Fotos: Sie fand es einfach süß, wie rührend sich Arno und Jeroen um den kleinen Thys kümmerten, der seine Freude damit hatte, im Mittelpunkt zu stehen.

Am Abend gingen sie alle zusammen in eine Pizzeria ? die Stimmung war feierlich und zugleich auch traurig. Arnos Stunden in Holland waren gezählt.


Es war Samstagmorgen ? der letzte volle Tag für Arno in Holland. Bereits am nächsten Nachmittag würde Arno wieder im Flugzeug sitzen, dass ihn nach Wien zurückbringen sollte. In der vergangenen Nacht hatte Arno außerdem sein Versprechen wahr gemacht und für Jeroen war es genauso toll wie für ihn tags zuvor.

Arno war wie immer früh munter. Er ging in die Küche und schrieb einen Zettel: "Keine Angst, ich bin nicht wieder weggelaufen. Ich möchte nur die nächsten Stunden alleine verbringen. Ich bin zum Mittag zurück. Lieb euch alle, Arno."

Dann setzte er sich auf sein Fahrrad, dass Jan mittlerer Weile reparieren hatte lassen. Er wollte allen vertrauten Plätzen der letzten Woche nochmals einen Besuch abstatten ? ganz alleine, mit sich und seinen Gedanken, die voll Trauer und Freude zugleich waren. Freude, weil er das alles erleben durfte, Trauer, weil er am nächsten Tag von dem Menschen Abschied nehmen musste, den er am meisten liebte: Jeroen!

Auf dem Fußballplatz drosch er seinen mitgebrachten Ball einige Male ins Tor ? ein Ort, an der er sich zwar nicht gerne erinnerte, den er aber trotzdem noch mal aufsuchen musste, wahrscheinlich, um endgültig mit sich ins Reine zu kommen.

"Danke nochmals, Jeroen, dass du mir verziehen hast!", sagte er zu sich selbst und setzte seine Tour fort. Er radelte am Kanal entlang, bis hin zur Trauerweide, wo er natürlich auch einen Aufenthalt einlegte. Ein magischer Ort! Mit einem mitgebrachten Messer ritzte er seinen und Jeroens Namen in die Rinde ein. Er kam sich kein bisschen dämlich vor, als der den Baum zum Abschied küsste. "Danke, Jeroen, dass du mich liebst", flüsterte er, der dicke Kloß im Hals war wieder hier.

Ein letzter Blick zurück ? er sah sich und Jeroen dort liegen.

"Auf Wiedersehen", stammelte er, schwang sich auf sein Rad und fuhr davon.

Da Samstag war, dauerte es eine Weile bis andere Menschen auftauchte, doch langsam kamen ihm andere Radfahrer oder Jogger entgegen, die ihn alle freundlich grüßten. "Unglaublich, wie freundlich hier alle sind. Wenn ich da an meinen Bezirk denke", dachte sich Arno und wieder waren seine Gedanken beim nächsten Tag.

Arno fuhr nochmals ins Schwimmbad, den Eintritt konnte er sich grade noch leisten. Er drehte einige Runden, beschloss aber sehr bald wieder zu gehen. Schließlich war er erst tags zuvor dort ? die Erinnerungen waren noch sehr frisch. Es war daher seltsam, dort alleine zu sein.

Den Kopf voller gemischter Gefühle kam er gegen halb eins zurück zum Haus der de Bleekers ? er traute seinen Augen nicht: Der Garten war geschmückt und voller Leute. Thys quietschte vor Freude, als er Arno sah: Auch den kleinen würde er schrecklich vermissen. Jan war beschäftigt, den Grill anzufeuern, während Wilma allerhand Fleisch klein schnitt und auf Spießchen steckte. Jeroen war sofort aufgesprungen, nahm Arno stillschweigend an die Hand und führte ihn in eine abgelegene Ecke des Gartens, wo Anne, Jeroens Mutter saß. Wie selbstverständlich erhob sich diese, um Arno zu umarmen. "Danke, was du für Jeroen getan hast", flüsterte sie ihm dabei ins Ohr und drückte ihn noch fester, als Arno hemmungslos zu weinen begann. "Ihr seid alle so freundlich zu mir", schluchzte er, "das hab ich doch gar nicht verdient!" "Doch hast du. Du hast Jeroen so sehr geholfen, wieder Schritt zu fassen ? und damit auch mir. Du bist jederzeit in meinem Haus willkommen!"

Um die anderen nicht mit seinem verheulten Gesicht zu verschrecken, begab sich Arno ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen. Er blickte aus dem Fenster im ersten Stock: Die Feier war für ihn ? nur für ihn. Jeroens Großeltern waren da, zwei weitere ältere Leute ? wahrscheinlich Jans Eltern. Jans Bruder war da, der seine Frau und seine Zwillingsmädchen dabei hatte. Ein paar Nachbarn waren ebenfalls gekommen ? einer von ihnen würde später auch die Räder mitnehmen, die Jan zwei Wochen zuvor für Jeroen und ihn besorgt hatte.

Auch die Jungs, mit denen er öfters Fußball gespielt hatte, waren gekommen. Klaas und die anderen. So stand er da, blickte stumm aus dem Fenster. Erst als er merkte, dass Jeroen unruhig nach ihm suchte beschloss er runter zu gehen. Es war ja sein Fest.


Es wurde ein tolles Fest. Bis in die späte Nacht hinein wurde Arnos Abschied gefeiert. Es wurde gegessen, getrunken, gesungen, gelacht, geweint. Jeroen hatte wieder seine Gitarre ausgepackt, sang abwechselnd Schmacht- und Spaßlieder. Ein anderer Junge hatte seine Playstation sowie ein Singstar-Spiel dabei ? welch Spaß, als Jan versuchte, ‚Grace Kelly‘ von Mika zu singen. Ein beklagenswerter Versuch ? ein Spaß für alle anderen. Gegen Einbruch der Dunkelheit überraschte Jan dann Jeroen und Arno allerdings, als er auf einer Leinwand alle von ihm und Wilma gemachten Fotos von Arnos Aufenthalt ablaufen ließ. Dazu lief die Filmmusik von Jeroens Lieblingsfilm Artificial Intelligence von Steven Spielberg. Bei diesen Bildern wurde es absolut ruhig im Garten ?jedem der Anwesenden war bewusst, welch großartige Freundschaft in diesen Wochen entstanden sein muss, und welch schweren Tag die Jungs noch vor sich hatten. Arnos Lieblingsfoto stammte von dem Tag, den sie in Amsterdam verbracht hatten ? darauf sind er und Jeroen von hinten zu sehen, Händchen haltend, die Köpfe im Gespräch zusammen gesteckt, mitten im Vondelpark. Jeroens Lieblingsfoto stammte von dem Tag an dem sie sich kennen gelernt hatten, auf dem Heimweg vom Vergnügungspark. Es zeigte einen im Auto schlafenden Arno. "Sleeping Beauty", sagte Jeroen in dem Moment zu Arno und wischte sich im selben Moment mit der flachen Hand eine Träne aus den Augen.

Natürlich bekamen beide Jungs eine CD mit allen Fotos drauf, außerdem bekam Arno einige Päckchen für seine Familie in Wien mit. Unglaublich, sogar für seinen Vater hatten sie etwas gekauft. Gegen halb ein Uhr nachts machten sich die Gäste auf den Weg, alle umarmten Arno zum Abschied und dieser konnte nicht glauben, dass selbst Klaas dabei Tränen in den Augen zu haben schien.

"Bis bald mal, Kumpel", sagte dieser in gebrochenen Deutsch.

"Bis bald!", sagte Arno.

Ein wenig später stiegen er und Jeroen das letzte Mal in die Dachkammer hinauf.

Arno packte. Er legte sich sein neues Gewand für den nächsten Tag zurecht, während es ihm Jeroen gleichtat. Beide Jungs waren still ? und das Packen war eine willkommene Ablenkung, für die man sich ungewöhnlich viel Zeit ließ.

Als Arno fertig war, setzte er sich immer noch schweigend auf das breite Fensterbrett und blickte nachdenklich in die Nacht. Jeroen kam nur wenig später nach und setzte sich mit dem Rücken an Arnos Vorderseite gelehnt dazu. So saßen sie eine Weile schweigend da, um ihre Gefühle zu sammeln.

"Wir werden uns wiedersehen. 100%!", durchbrach Jeroen die Stille. "Vielleicht kannst du ja zu Weihnachten wieder kommen", setzte er fort.

"Ja, vielleicht", antwortete Arno, obwohl er wusste, dass er sich das nicht leisten würde können. Klar, sie hatten ihm angeboten, jederzeit wieder kommen zu können, aber ob er das wirklich ausnutzen könne?

"Wie geht's bei dir im Herbst weiter?", fragte er Jeroen.

"Ich komme in eine neue Schule. Eine mit musischem Schwerpunkt. Mal sehen wie das wird. Und du?"

"6. Klasse, noch drei Jahre bis zur Matura, also zum Abitur."

"Und danach?"

"Keine Ahnung. Nur weg von zu Hause!"

"Du redest nicht gerne darüber, stimmt's? Wilma.. ich meine ?sie hat mir alles erzählt."

"Ja, ich weiß, aber das ist eine Sache, über die ich nicht reden will, ich muss alleine damit zurechtkommen."

"Musst du nicht. Ich werd immer bei dir sein. Wenn auch nur in Gedanken. Vergiss das nie."

"Was möchtest du mal machen", lenkte Arno das Gespräch in eine andere Richtung.

"Weiß noch nicht, vielleicht irgendetwas mit Musik. Aber vor allem möchte ich eins werden: glücklich! So glücklich, wie ich in den letzten Wochen war."

"Ja, du hast mich auch sehr glücklich gemacht. In ein paar Tagen wird schon alles so scheinen, als wäre es nur ein Traum gewesen. Ein wunderschöner Traum. Ich liebe dich über alles", flüsterte Arno und küsste Jeroens Nacken.

"Ich liebe dich auch", antwortete Jeroen und schmiegte seinen Kopf an Arnos Brust, den Blick aus dem Fenster gewandt.

"Da draußen schlafen alle", meinte er. "Es ist, als wären wir die einzigen, die wach sind!"

Wieder staunte Arno ? wie so oft ? über diese reifen Aussagen seines Freundes.

Es war bereits halb vier, Arno und Jeroen wollten beide nicht einschlafen, es waren schließlich ihre letzten Stunden.

"Guten Morgen", hörten beide plötzlich. Es schien ihnen, als wären sie gerade erst eingeschlafen, doch draußen hatte bereits ein neuer Tag begonnen. Sonntag. Arnos Abreisetag.

Es ging alles sehr schnell ? nach einem kurzen Frühstück wurde Arnos Gepäck im Wagen verstaut und er musste sich von der ersten Person verabschieden: Jeroens Mutter, die die Nacht im Hause der de Bleekers verbracht hatte. Für sie war leider kein Platz im Auto.

"Denk daran, was ich dir gesagt habe, du bist immer willkommen und nochmals: Danke", sagte sie, umarmte ihn und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. Arnos Knochen taten vom kurzen Schlaf auf der Fensterbank weh, doch noch mehr schmerzte seine Seele. Alles kam ihm irgendwie so irreal vor ? als liefe ein Film vor seinen Augen ab.

Wenig später saßen sie im Auto ? Jan fuhr, Wilma am Beifahrersitz. Zwischen ihm und Arno saß Thys in seinem Sitzchen, der Einzige, der fröhlich gluckste.

Alle anderen schwiegen ? Arno konnte Jeroen nicht mal ansehen. Er hatte ein schwarzes Hemd an, bis oben zugeknöpft. Einige Strähnen seiner Haare hingen ihm ins Gesicht ? er schnüffelte unaufhörlich und hielt krampfhaft eine Plastiktüte in der Hand. Arno konnte bei seinen wenigen Blicken feststellen, dass seine Hände zitterten. Jeroen hatte alle Mühe damit, sich zu beherrschen um nicht sofort los zu heulen. Arno überkamen auch immer schubhafte Heulattacken, die er dadurch unterdrückte, indem er aus dem Fenster blickte. Die Stimmung im Auto war einfach nur traurig ? auch Jan und Wilma sprachen kaum.

"So ? da sind wir", hörte er Jan viel zu schnell sagen. Sie waren am Sammelplatz angekommen, auf dem Platz, wo drei Wochen zuvor dieses Abenteuer begonnen hatte. Arno kam es vor, als wäre es gestern gewesen.

Der Bus war noch nicht da, aber die meisten der Kinder, die an diesem Tag ebenfalls Abschied nehmen mussten. Auch das dicke Mädchen war da, die schon dreimal mit war. Auch sie war das letzte Mal hier. Die Kinderaktion ging nur bis zum 15. Lebensjahr, ein Alter das Arno im September erreichen sollte.

Man hörte es überall Schnüffeln, aber auch Lachen. "Keiner kann es auch nur annähernd so schwer haben, wie ich heute", dachte sich Arno und hatte wahrscheinlich nicht unrecht damit. Er wagte es immer noch nicht, Jeroen anzublicken, der dicht neben ihm stand und nach wie vor zitterte.

Und dann war der Bus da. Die Kinder fielen reihenweise ihren Gasteltern um den Hals und wurden zum Einsteigen aufgefordert.

Arno verabschiedete sich zuerst von Thys, dem er ein Küsschen auf die Stirn drückte.

Danach von Jan ? die Tränen flossen bereits, danach von Wilma, die hörbar aufschluchzte.

Dann von ? Jeroen!

Beide weinten bitterlich, als sie sich in den Armen lagen. Arno waren alle anderen egal, er küsste Jeroen ein letztes Mal auf die Lippen, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Jeroen schienen kurzfristig die Kräfte zu verlassen und sank kurz ein, doch Arno hielt ihn aufrecht. Auch er vermochte kein Wort heraus zu bringen.

Arno löste sich aus der Umarmung, griff in seinen Rucksack und gab Jeroen die zwei kleinen Päckchen, die er erst am Freitag gekauft hatte. Jeroen gab Arno die Plastiktüte, in der ebenfalls zwei kleine Päckchen lagen.

Weinend drückte er ihm noch einen Kuss auf die Lippen ? er war der letzte, der in den Bus stieg. Im Bus glotzten ihn alle komisch an, Arno registrierte das gar nicht. Er suchte sich einen Fensterplatz, um noch einen Blick auf seine ‚neue Familie‘ zu werfen. Alle winkten sie, Jeroen lehnte sich hilfesuchend an Wilma, er schluchzte nach wie vor, sein Gesicht war verschwollen vor Tränen.

Arno presste beide Hände gegen die Fensterscheibe - er atmete schwer, es war als würde sein Herz aufhören zu schlagen. Da draußen stand seine große Liebe, wer weiß wann er ihn wiedersehen würde.

Der Bus rollte an ? da riss sich Jeroen von Wilma los. Er lief neben dem Bus her und schrie heulend: "Ich liebe dich! Ich werde dich immer lieben! Immer ?"

Der Bus bog um die Ecke ? und Jeroen war weg. Alle waren sie weg. Arno schloss die Augen und weinte ? eine Betreuerin nahm neben ihm Platz und versuchte ihn zu trösten. Ohne Erfolg. Einige andere Kinder weinten ebenfalls, ein paar andere schienen sich nur zu amüsieren.

Zwei Stunden später kam man am Flughafen an, Arnos Wohlbefinden war immer noch auf dem Tiefpunkt, er hatte nach wie vor das Gefühl, als befände er sich nur in einem schlechten Traum. Er wollte aufwachen und merkte ? es war leider die Realität.

Wie drei Wochen zuvor überlegte er abermals, sich auf einer Toilette einzuschließen um den Flug zu versäumen. Der Gedanke kam ihm dann allerdings ziemlich unreif vor. Das Einchecken ging relativ rasch, der Flieger sollte um 5 Uhr nachmittags starten.

Arno hatte einen Fensterplatz, er beobachtete neugierig das Treiben auf den umliegenden Start- und Landebahnen um sich abzulenken. Doch als das Flugzeug etwas verspätet abhob, kamen ihm wieder die Tränen. Nun hatte er Holland endgültig verlassen!

Als das Flugzeug die Reisehöhe erreicht hatte, durchzuckte es Arno: die Plastiktüte! Er kramte im Rucksack herum und holte Jeroens Geschenke heraus. Er öffnete das erste und fand einen Brief und eine CD. Auf der CD befanden sich einige von Arnos und Jeroens Lieblingsliedern, gesungen und gespielt von Jeroen selbst.

Mit zittriger Hand las er den Brief.

Lieber Arno!

Wenn du diesen Brief liest, haben wir uns bereits verabschiedet. Ich wollte dir nur danken für die letzten Wochen ? es waren die schönsten meines Lebens. Nach der Scheidung meiner Eltern, nach Patrik s Tod, hatte ich keine leichte Zeit ? bis du kamst. Du hast mir gezeigt, was es heißt, glücklich zu sein. Ich trage dich immer in meinem Herzen und meinen Gedanken. Ich werde immer bei dir sein und hoffe, dass wir uns bald wiedersehen. Ich liebe dich über alles ? und werde dich immer lieben.

Machs gut ? bis bald!

Jeroen

An die untere linke Ecke hatte Jeroen doch glatt eine kleine Strähne seiner Haare geklebt.

Darunter stand: PS.: Glaub nicht, dass ich nicht gemerkt habe, wie sehr du auf meine Haare stehst.

Arno musste lächeln. Er war traurig, aber er lächelte. Es würde schon alles wieder gut werden.

Dann öffnete er das zweite Päckchen, er schluckte und wieder kamen ihm Tränen: Darin war Jeroens schwarze Wollmütze! Dazu ein kleiner Zettel: Patrik wird es verstehen.

Arno schloss die Augen und presste die Mütze gegen seine Brust. Wieder schloss er die mit Tränen gefüllten Augen. Er vermisste ihn fürchterlich.

Er wusste nicht, was die Zukunft bringen würde. Was er wusste war, dass es nicht leicht werden würde. Dass er noch einen langen, schweren Weg ? und zwar in allen Belangen ? vor sich haben würde. Dass er noch viel zu kämpfen hatte, aber, so dachte er: "Wer hat das nicht?"

Was er hoffte war, dass er genug Liebe in seinem Herzen hatte, um es zu schaffen, dank Jeroen, dem blonden Engel. Dem Jungen mit der schwarzen Wollmütze.

Sanft setzte das Flugzeug wieder in Wien auf.

Arno war zu Hause.

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