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Die troidischen Drei

Teil 7 - Troid

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Inhaltsverzeichnis

1

Ein paar Minuten später traf Dine ein. Sie gratulierte Duncan zuallererst zum Geburtstag, was Droy schon am Morgen getan hatte, und gesellte sich dann zu Duncan auf die Couch. Duncan, der selbst einige Fragen hatte, sollte zuvor von dem Angriff erzählen und anschließend würden seine Eltern ihm alles erklären. Dine wusste schon von dem Vorfall. Duncan ahnte, dass sie es von ihrem Informanten erfahren hatte, der nach Droy sein Großvater war.

Beim Berichten veränderte er ein paar Sachen, wie zum Beispiel die Sache mit Chris. Er sagte nichts darüber, dass er gezögert hatte, Chris zu helfen. Er hatte dafür zwar einen Grund, nämlich, dass er seine Fähigkeiten nicht offen hatte zeigen wollen, aber dennoch war es ihm im Nachhinein unangenehm. Auch den Zwischenfall mit der unsichtbaren Hand verschönerte er in der Geschichte ein wenig.

Sehr detailliert erklärte er jedoch, wie er seine Fähigkeiten eingesetzt hatte und wie er auf die Idee gekommen war, seine naturellen Fähigkeiten einzusetzen, obwohl er sich nicht sicher gewesen war, ob sie funktionieren würden. Auch die Monster illustrierte er seinen Eltern sehr anschaulich.

„Wirklich erstaunlich“, bemerkte seine Mutter.

„Wir sind stolz auf dich, in der Tat“, meinte Droy, als Duncan seine Erzählung beendet hatte.

Duncan war ein wenig verlegen. Er freute sich, etwas richtig gemacht zu haben. Als seine Eltern das Erzählte stillschweigend im Kopf Revue passieren ließen, fragte er sie das, was ihm seit dem Angriff keine Ruhe mehr ließ. Nämlich, warum er auf einmal einen Großvater hatte.

Seine Eltern konnten bei dieser Frage ihre ernsten Mienen wieder ablegen und lächeln.

„Wir konnten es dir bis heute nicht erzählen, weil...“, begann Dine zu erklären, doch sie hielt mitten im Satz an, weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte.

„Du erinnerst dich doch sicher daran, dass man bei uns mit 15 Jahren alles über unsere Welt erfährt“, begann Droy, sich auf die richtigen Worte konzentrierend. Duncan, der bemerkte, wie schwer es seinen Eltern fiel, nickte zustimmend. „Nun ja, es gibt da noch ein paar weitere Dinge, die du heute, an deinem Geburtstag, erfahren sollst. Unter anderem konnten wir dir bisher nicht sagen, dass du durchaus Verwandte hast. Da sie weit weg leben und dort nicht wegkönnen, genauso wenig wie wir bis jetzt nicht unentdeckt dorthin gehen konnten, halten wir es allgemein für schlauer, sie bis zum 15. Geburtstag geheim zu halten. So gibt es keine unangenehmen Fragen, verstehst du!“

„Das heißt also, ich hab noch mehr Verwandte?“

„Oh, ja. Eine ganze Menge sogar“, antwortete Dine.

„Aber warum können wir nicht zu ihnen? Wo sind die denn, dass alles so geheim gehalten werden muss? Am Nordpol oder wie?“ Verwundert schaute er seine Eltern abwechselnd an.

„Nun, sie leben ehrlich gesagt auf einem anderen Planeten, von dem du auch abstammst!“, warf Droy die Wahrheit in den Raum.

Duncan stockte daraufhin der Atem. „Wie bitte? Das ist nicht euer ernst, oder?“

„Ich weiß, es ist schwer zu begreifen“, meinte Dine mitfühlend, „aber bei all den Sachen, die du in den letzten Wochen gesehen und getan hast, ist es da noch so unwahrscheinlich?“

Duncan überlegte kurz. Ihr Argument war schlüssig, aber wie könnte er seinen Horizont mit einem Mal so drastisch erweitern.

„Das ist noch nicht alles“, warnte Droy ihn vor. „Dieser Ort, von dem wir kommen, der wird von uns regiert. Das bedeutet, du bist ein Prinz und wir sind eigentlich König und Königin, weshalb es auch so strenge Sicherheitsvorkehrungen gibt.“

Das traf Duncan wie ein Schlag. Es wurde ihm nun alles zu viel. Wie sollte er das glauben. Fremde Planeten, er ein Prinz. Seine außergewöhnlichen Kräfte waren das eine, aber diese Geschichte war zu weit hergeholt. Sie glaubten doch nicht tatsächlich, dass er ihnen das abkaufte. Doch ihre Gesichter blieben Tod ernst.

„Ich? Ein Prinz? Das hättet ihr mir doch aber auch gleich nach meiner Krankheit sagen können, wenn das stimmt.“

„Weißt du“, sagte Dine, „es ist alles nicht so einfach. Wir hätten dir das damals eigentlich schon nicht verraten dürfen, aber es ging nun einmal nicht anders. Also haben wir beschlossen, dir vorerst nur das notwendigste zu sagen und ansonsten bei dem alten Plan zu bleiben.“

„Trotzdem versteh ich nicht, wieso wir hier leben und nicht dort, wo ihr angeblich regiert.“

„Wir hatten beschlossen, dass unsere Kinder versteckt auf dieser Welt, der Erde, groß werden, damit sie nicht dauernd der Gefahr ausgesetzt sind. Die Dämonen haben dort nämlich mehr Kraft und er sollte uns hier eigentlich auch nicht aufspüren können. Das funktioniert anscheinend ja nicht mehr. Erst mit 15 sollten die Kinder schließlich von Corid, unserem Heimatplaneten, erfahren und anschließend dorthin zurückkehren. Es war eine Abmachung unter den Königshäusern, aber jetzt ist es zum ersten Mal vorgefallen, dass er uns entdeckt hat. Wir hätten die Vereinbarung sonst nie gebrochen, denn das könnte einen Bürgerkrieg oder, noch schlimmer, Unstimmigkeiten unter den Königen auslösen. Aus diesem Grund solltest du in nächster Zeit auch nicht sagen, dass du deine Kräfte schon beherrschst.“

Für Duncan war das eine ganze Menge an Informationen auf einmal gewesen, deswegen musste er sich dessen erst besinnen und seine Gedanken ordnen. Er hatte tausend Fragen, die er leider nicht alle auf einmal stellen konnte. Was ist Corid? Wo liegt das? Welche Königshäuser? Wer ist dieser böse Zauberer nun in Wirklichkeit? All diese Fragen und noch mehr sausten in seinem Kopf rasend schnell durcheinander.

Droy löste ihn nach einer kurzen Pause aus diesen Gedanken. „Am besten erzähl ich dir zuerst eine kurze Zusammenfassung von Corids Geschichte.

Auf unserem Planeten lebten die Einwohner damals schon unter der Herrschaft von Königen. Es gab viele Stämme auf dem ganzen Planeten verstreut, deren Stammeskönige sich nach und nach zusammenschlossen. Corid ist übrigens bei weitem nicht so groß wie die Erde. Eines Tages bekam der letzte dieser Könige, genannt Talin, zwei Söhne. Zwillingssöhne, um genau zu sein, die die Namen Troid und Troic erhielten. Diese beiden standen seit ihrer Geburt in Zwietracht miteinander und bekämpften sich, wo es nur ging.

Talin musste sich kurz vor seinem Ableben als letzter der Könige für einen der beiden Söhne entscheiden, der sein Nachfolger sein würde. Es fiel ihm schwer und er wählte den älteren Troid, auch wenn der nur ein paar Minuten früher geboren wurde. Nach dieser Entscheidung beschloss Troic, sich von seiner Familie abzuwenden und tauchte unter. Talin starb schließlich und Troid übernahm sein Reich und regierte Corid gutmütig und mit ganzem Herzen. Auf unserem dicht bewaldeten, schönen Planeten bekam er kurze Zeit später auch drei Kinder mit seiner Frau Cely.

Der Frieden, welcher auf Corid bis dahin geherrscht hatte, wurde allerdings bald durch Troic gestört. Er hatte all die Jahre im Untergrund Anhänger, um nicht zu sagen Untertanen, gesucht und gefunden, mit denen er auf einem abgelegenen Gebiet ein zweites Königreich aufbaute. Anfangs munkelte man schon, dass es dort nicht mit rechten Dingen zuging, denn man hörte in der Nähe des Schlosses, welches er erbauen ließ, merkwürdige Geräusche und mysteriöse Schreie. Das Umland des Schlosses verwandelte sich mit der Zeit in unfruchtbares Ödland, so dass sich kein normaler Coridianer mehr in die Nähe traute. Spione, die Troid auf Troic angesetzt hatte, verschwanden spurlos und auch sonst konnte niemand sagen, was wirklich an diesem Ort geschah.“

Duncan hörte gespannt zu. Er konnte nicht glauben, dass diese Geschichte einerseits wahr sein und dann auch noch zu seiner Vergangenheit gehören sollte. Dennoch faszinierte ihn der bloße Gedanke daran.

„Bis eines Tages das vorhersehbare Unglück passierte. Troic griff mit seinen dunklen Kreaturen, die er aus anderen Welten herbeigerufen oder auf Corid befreit hatte, das Königreich seiner Familie an. Brutal und grausam ging er vor und löschte hunderte von alten Stammeszweigen aus. Auf Corid brach der alles einnehmende Krieg aus. Troid setzte seine ganzen Streitkräfte ein, um seinem Bruder Einhalt zu gebieten, doch es führte kein Weg zum Ziel. Es dauerte nur wenige Wochen, da lag fast ganz Corid in Schutt und Asche. Es wuchsen keine Pflanzen mehr und die Gewässer waren von den Dämonen vergiftet worden. Ein solcher Kampf mit Magie führt unweigerlich ins Verderben des ganzen Planeten.

Troid sah sein Volk leiden, also fasste er einen Entschluss, um das ganze zu beenden. Er forderte seinen Bruder zu einem Zweikampf auf. Es lief auf ein Duell zwischen zwei gleichstarken Mächten hinaus, die mit ihrem Kampf ganz Corid hätten vernichten können. Troic ließ sich schließlich darauf ein. Er wollte zeigen, dass er besser war als sein älteres Pendant. Schließlich war das der einzige Grund für den ganzen Krieg.

Es vergingen Tage, in denen sich die zwei Brüder an ihren Kräften maßen und letzten Endes gab es doch keinen Sieger. Ausgehungert und ausgelaugt gingen sie beide erfolglos zu Boden. Troid musste einsehen, dass er seinen Bruder nicht besiegen konnte, aber er wusste, dass Troic niemals aufgeben würde, auch wenn er genauso wenig als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde. Deshalb entschloss er sich, seinen Notfallplan in die Tat umzusetzen. Er opferte sich, um Troic zu verbannen, so dass dieser wenigstens keinen Schaden mehr auf Corid anrichten konnte. Durch seinen Tod nutzte er sein ganzes Kontingent an magischer Energie, um seinen Bruder wirksam in sein eigenes dunkles Schloss einzusperren. Das war das letzte, was Troid für Corid und die verbliebenen Einwohner tun konnte.

Die Monster zogen sich zurück, als ihr König in seinen eigenen Mauern eingesperrt wurde. Sie dachten, er hätte seine Macht verloren, als er entkräftet in seinen Hallen auftauchte. Er verlor fast seine ganze Gefolgschaft, bis auf wenige, treue Ergebene.

Die noch lebenden Menschen auf Troid hatten sich derweil versteckt gehalten. Nach und nach bekamen sie jedoch mit, dass der Kampf vorbei war. Zu Anfang ging große Unsicherheit herum, denn sie wussten nicht, wo sie hin sollten, nachdem ihre Heime zerstört wurden. Nichts auf Corid war verschont geblieben. Das ganze Land trug noch lange danach die Zeichen dieses Kampfes.

Glücklicherweise entdeckten die Söhne von Troid ein großes Fleckchen Erde, an dem der Krieg wie ein Wunder fast spurlos vorbeigegangen war. Dieser Ort befand sich in einem riesigen alten Krater, der mal ein Vulkan gewesen war. Bis dahin galt dieser Ort als gefährlich und war verrufen von alten Sagen, die allerdings kein Fünkchen Wahrheit enthielten. Dorthin beförderten die drei Söhne alle Überlebenden, auch wenn einige davon nur widerstrebend mitkamen. In diesem Krater versammelt, wo die wundervolle Natur von Corid noch erhalten geblieben war, änderten fast alle ihre Meinung über diesen Ort und akzeptierten ihn als Grundstein einer neuen Heimat. Keiner wollte mehr zurück in das zerstörte Land außerhalb der schützenden Felswände, also blieben sie dort. Troids Nachkommen ließen eine riesige Stadt inmitten des Kraters errichten und teilten sie unter sich gerecht auf, so dass jeder einen Abschnitt regierte. Natürlich wollten sie den Fehler ihrer Familie nicht wiederholen, so dass sie die Mehrheit aller Entscheidungen zusammen trafen. Außerdem benannten sie die Stadt nach ihrem Vater, als Andenken an sein großes Opfer.“

Verblüfft, allerdings auch skeptisch, stellte Duncan sich dieses Geschehen vor.

„Und wir sind natürlich die Nachkommen von Troid“, ergänzte Dine.

„Was ist nun aus diesem Troic geworden?“, fragte er nachdenklich.

„Das ist das große Rätsel, welches schon Generationen vor uns beschäftigt hat“, antwortete Droy wahrheitsgemäß. „Wir wissen, dass er nicht aus seinem Schloss heraus kann, doch merkwürdigerweise ist jemand, kurz nachdem eine gewisse Ordnung in Troid hergestellt war, aufgetaucht, der sich für Troic ausgegeben hat. Er trug eine Maske, also konnte man ihn nicht identifizieren, aber ein paar Anwesende meinten, dass sie seine Stimme wiedererkannt hätten. Jedenfalls kam er in die Stadt und kündigte an, dass er nicht eher ruhen würde, bis nicht die Nachkommen seines Bruders ausgelöscht wären. Daraufhin verschwand er in einer Wolke aus Rauch.

Seit damals gab es immer wieder Angriffe auf Troid, die von ihm auszugehen scheinen. Es wurden auch schon heftige Kriege auf Corid geführt, natürlich keiner jemals wieder so extrem. Uns gelang es bisher immer wieder, die Angreifer zurückzuschlagen oder sie zu besiegen. Unerklärlicherweise tauchen Jahrzehnte nach einem Angriff immer wieder Angreifer auf, die unsere Familie auszulöschen versuchen. Dabei zeigt sich oft der Maskierte als Anführer des Unheils. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich Troic ist, der einen Weg gefunden hat unsterblich zu werden und aus seinem Bann zu entfliehen oder ob ihm nur jemand nacheifert. Einer seiner Gefolgsleute vielleicht. Wer weiß?“

„Wisst ihr denn wenigstens, welche Fähigkeiten er hat?“

„Das ist leider auch so ein Rätsel“, musste Dine zugeben. „Immer wenn er angreift, scheint er neue Fähigkeiten errungen zu haben, oder, wie einige von uns denken, ist es jemand anderes. Jemand mit Kräften. Dank dir wissen wir zum Beispiel, dass, wer auch immer es ist, er die Fähigkeit hat, Golems zu erschaffen.“

Duncan begriff nun einiges. „Also ist er das, der mir diese Dämonen auf den Hals gehetzt hat?“

Seine Eltern nickten beide besorgt.

Duncan dachte über die Geschichte nach. Er versuchte zu verinnerlichen, dass das ihre Vergangenheit war und sie zur Realität gehörte, doch es fiel ihm nicht leicht.

„Wir regieren also einen Teil von Troid? Und die anderen Könige sind dann mit uns Verwandt, ja?“

„Richtig“, bestätigte Droy ihm.

„Und was ist, wenn ein König mal keine Kinder bekommt?“

„Dann werden Neuwahlen in dem Teilgebiet von Troid gehalten. Das Volk sucht sich dann einen neuen König aus.“

„Also kann jeder König werden. Dann müssen wir untereinander doch nicht Verwandt sein.“ Er war leicht verwirrt.

„Nein, ganz so einfach ist das nicht“, wendete Dine ein. „Zuerst mal: Jeder der mit den drei Brüdern irgendwie Verwandt ist, lebt im Hauptkomplex von Troid.“

„Wie, Hauptkomplex?“

„Um das deutlich zu erklären, sollten wir es ihm veranschaulichen“, meinte Droy zu seiner Frau und stand auf, lief in die Küche und kam kurz darauf mit zwei Gegenständen zurück. Duncan erkannte das Troidon und das Troiduin, die sein Vater vor ihm auf den Tisch legte.

„Troid, der König, war vor dem großen Krieg ein Meister in der Herstellung von magischen Gegenständen gewesen. Unter anderem fertigte er auch drei Gegenstände aus uns unbekannten Materialien an, die er mit unglaublicher Macht versah. Er gab diese Gegenstände seinen Söhnen. Sie erhielten ein Buch, ein Amulett und einen Ring. Das hier sind zwei davon.“ Droy deutete zu dem Troidon und dem Troiduin. „Unsere Familie erhielt das Troiduin. Ceron, einer der Herrscher, besitzt den Ring, den Troidan, und der dritte Herrscher, Richard, hat das Troidon.“

Duncan fand das zwar interessant, doch er konnte sich nicht vorstellen, was das mit diesem Hauptkomplex zu tun hatte.

„Wenn du dir jetzt diese Gegenstände ansiehst“, fuhr Droy fort, „dann erkennst du sicher das Zeichen auf den beiden. Die Söhne von Troid haben die Stadt nach diesem Muster gebaut, so dass die Stadt von diesen ovalen Gebilden gleichermaßen in drei Abschnitte geteilt wurde.“ Droy zeichnete mit seinem Finger einen der langen, ovalen Arme des Troiduins nach. „Das Ganze hier“, er fuhr alle sechs ovalen Arme nach, „ist der sogenannte Hauptkomplex. Der Außenring war mal die Außenmauer der Stadt, doch sie wurde mittlerweile um ein Vielfaches erweitert und der Innenring hier grenzt das Zentrum ab. In diesen kleinen ovalen Gebilden übrigens, man nennt sie auch Trakte, da lebt die zurzeit herrschende Familie, also mitunter wir. In den längeren Hauptkomplexabschnitten leben alle anderen, die mit uns in irgendeiner Weise verwandt sind. In den Generationen sind natürlich eine Menge hinzugekommen, die ebenfalls magische Fähigkeiten besitzen, aber nicht regieren. Selbstverständlich gibt es auch welche, die ein eigenes Heim bevorzugten, sich also der Herrschaftsreihe abgewendet haben und ein übliches Leben führen.

So, um jetzt auf deine Frage zurückzukommen, wenn jetzt der Fall eintritt, dass ein König keine Kinder hat, dann können die Einwohner Troids einen anderen Erben, der noch in den ovalen Gebäuden verweilt wählen, der als Nachfolger die Thronreihe fortsetzt. So ist gesichert, dass immer ein Nachfahre mit magischen Fähigkeiten von den Troid Söhnen die Führung behält.“

Duncan dachte kurz nach, dann fiel ihm etwas auf. „Mit magischen Fähigkeiten.“

„Nun ja. Nur die Königsfamilie weist magische Fähigkeiten, so wie du sie kennen gelernt hast, auf. Deswegen ist uns auch so viel daran gelegen, unsere magisch schwächeren Bürger zu führen und somit zu beschützen.“

„Und die anderen auf Corid haben keine Kräfte?“

„Sie haben alle durchaus etwas Magisches in sich“, berichtigte Dine. „Aber damit können sie nur Zaubersprüche wie „Cailles“ bewerkstelligen. Die drei Brüder haben sich damals aber dazu entschlossen, den Menschen diese Kraft zu nehmen, damit es nicht wieder zu solch schweren Kämpfen kommt, wie es vorher der Fall gewesen war. Jetzt bekommen nur wenige Auserwählte diese Macht zurück. Zum Beispiel Wächter oder Agenten.“

Duncan konnte sich mit seinem jetzigen Wissen nicht wirklich vorstellen, wie dieser Ort aussehen sollte. Es gab dieses seltsame Gebäude, regiert von Königen und dann Menschen, die keine Kräfte besaßen, obwohl sie von der Magie wissen müssten. Er war nicht ganz der Meinung, dass man den Leuten ihre Kräfte einfach wegnehmen durfte, aber wahrscheinlich fehlten ihm einfach noch die nötigen Kenntnisse über Corid. Es gab noch so vieles, was er wissen wollte. So viele Dinge, die ihn neugierig gemacht hatten. Sein Blick fiel auf die vor ihm liegenden Gegenstände.

„Wieso haben wir eigentlich zwei Gegenstände? Müsste dieser Richard nicht das Buch haben?“

„Das hier ist nicht das echte Troidon“, sagte Dine lächelnd und nahm das Buch in die Hand. „Man hat vor einiger Zeit beschlossen, dass jede Familie eine Kopie dieses Buches besitzen sollte, weil es die wichtigsten Informationen über unsere Familie und unser magisches Wissen enthält. Das Imitat wurde so angefertigt, dass es durch einen Zauber genau den Inhalt des Troidons widerspiegelt. So braucht man etwas Neues nur ins Troidon zu schreiben und alle anderen Familien sehen es ebenfalls.“

„Kluge Idee!“, meinte Duncan und ließ sich kurz Zeit, um das Erfahrene nach Lücken zu durchsuchen: „Wenn ihr seit fünfzehn Jahren hier seid, wer regiert dann jetzt euren Teil von Troid?“

„Das macht dein Großvater“, antwortete Droy. „Natürlich habe ich noch viel Kontakt zur Stadt, schließlich will ich informiert bleiben.“

„Wessen Vater ist er eigentlich?“, fragte Duncan interessiert.

„Oh, er ist mein Papa“, antworte Dine lächelnd.

„Dann gibt es auch eine Oma, oder? Und deine Eltern lern ich ja dann auch kennen!“ Er war begeistert von der Vorstellung, endlich eine richtige Familie zu besitzen, die an Feiertagen zu Besuch kommen und dergleichen.

Im Gegensatz zu ihm verdüsterte sich die Stimmung seiner Eltern, als er diese Vorfreude zeigte. Bei ihren verstohlenen Blicken gen Boden ahnte er Schlimmes.

„Deine Oma“, sagte Droy bedrückt, „ist kurz nach der Geburt deiner Mutter verschwunden und meine Eltern sind…“ Er verstummte, weil er es nicht aussprechen konnte.

„Sein Vater starb im letzten Krieg gegen ihn“, antwortete Dine für ihn.

„Oh, das tut mir leid“, sagte Duncan leise. Der in ihm für einen kurzen Augenblick erwachte Funke erlosch somit wieder ganz schnell. Kein großes Familientreffen, aber überhaupt einen anderen Verwandten zu haben, seinen Großvater, war Trost genug für den Moment. „Wieso könnt ihr diesen Typen eigentlich nicht fertig machen? Wenn man sein Schloss stürmen würde und ihn dann endgültig vernichtet, hätte man doch endlich Ruhe.“

Sein Vater musste auflachen. „Kampfgeist hast du, das steht fest, aber es geht nicht. Er hat sich ein riesiges Reich aufgebaut, das vor Bösem nur so wimmelt. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass wir ihn schon etliche Male erledigt zu haben glaubten, er aber immer wieder zurückgekehrt ist.“

„Hätte man sein Schloss nicht angreifen und abreißen können, als er zurückgeschlagen wurde. Dann gäbe es keinen Sammelpunkt mehr für das Böse.“

„Leider ist dieses Schloss nicht so leicht zu zerstören“, erklärte Dine. „Es besteht praktisch aus reiner Magie und es wäre zu viel Energie nötig, um es dem Erdboden gleich zu machen. Außerdem sind die bösen Mächte, die dort Leben viel zu stark. Ein derartiger Kampf würde Corid in ein ähnliches Chaos stürzen, wie es nach dem Großen Krieg geschah und dieses Risiko will keiner eingehen.“

Duncan konnte sich nur vage vorstellen, wie schwierig es war, mit einem Feind dieser Art fertig zu werden.

„So, ich würde sagen, dass du jetzt packst“, forderte Droy.

„Packen?“, wunderte sich Duncan. „Heißt das, dass wir nach Troid gehen?“

„Na sicher“, bestätigte Dine ihm, „Wir verlassen die Erde und kehren endlich zurück in unsere Heimat.“

„Ihr wollt für immer dorthin gehen? Jetzt gleich? Aber ich kann doch wieder zurück, oder?“

Duncan wurde mit einem Mal bewusst, dass es einen Haken an der tollen Herkunftsgeschichte gab. Es dämmerte ihm, dass ein Leben als Prinz bedeutete, in seinem Königreich zu leben. Ein Prinz; es ging alles so schnell und jetzt sollte er sein Schicksal antreten?

„Wir reisen heute Abend ab“, sagte Droy bestimmt. „Du wirst natürlich auf eine Schule in Troid gehen und bei deinen Freunden würde ich dir raten, dass du ihnen einen Abschiedsbrief schreibst. Es ist besser, wenn du keinen langen und schwierigen Abschied durchführst, denn Lebewohl zu sagen ist sehr schmerzhaft.“

Plötzlich erinnerte sich Duncan an diese seltsame Vorahnung, die er bei der Verabschiedung von seinen Freunden gespürt hatte. Jetzt wusste er, was es zu bedeuten hatte. Es war sein letzter Abschied von ihnen gewesen. Und wie sollte er ihnen das beibringen? Dabei wollte er doch überhaupt nicht fort. Man träumte zwar ständig davon, weit weg zu fahren, aber wenn es darum ging für immer zu verschwinden, verhielt sich das ganz anders. Widerwillig sah er ein, dass ein Brief die schmerzloseste Lösung für ihn sein würde.

„Aber die Geschenke und das Fahrrad holst du noch, oder?“, fragte er seinen Vater.

„Natürlich, das ist kein Problem. Gib mir nachher einfach deinen Brief, dann kann ich ihn gleich wegbringen, wenn ich deine Sachen hole.“

Niedergeschlagen akzeptierte er den bevorstehenden Aufbruch. „Ich gehe dann und schreibe den Brief. Es reicht ja, wenn ich einen an Angie schreibe, den sie dann den Anderen zeigen kann, oder?“

„Ich denke schon. Damals schrieb ich auch nur einen Brief an meine beste Freundin“, sagte Dine mitfühlend und streichelte ihm behutsam über den Hinterkopf.

Duncan lief nach oben in sein Zimmer. Nachdem er eine viertel Stunde das Gehörte in Gedanken Revue passieren ließ, wusste er nicht mehr, ob er Trübsal blasen oder sich auf die kommenden Erlebnisse freuen sollte. Einerseits war er aufgeregt diesen weltfremden Ort kennen zu lernen, aber andererseits fiel es ihm schwer, das Alte hinter sich lassen zu müssen.

2

Hin- und hergerissen zwischen seinen Empfindungen blickte er vom Bett durch den Raum. Es war so unbegreiflich, dass er all das zurücklassen musste, um in einer völlig fremden Welt ein neues Leben anzufangen. Es war natürlich verlockend, wenn, wie seine Eltern behaupteten, er dort Prinz war.

Nach einer Weile entschloss er sich, mit dem Abschiedsbrief zu beginnen. Es fiel ihm schwer einen Anfang zu finden, doch nach reichlichem Überlegen fand er ein akzeptables Ergebnis. Er las sich den Brief ein letztes Mal gründlich durch, bevor er ihn seinem Vater geben würde, denn er wollte sicher gehen, dass auch alles Wichtige darin enthalten war. Laut begann er zu lesen:

Liebe Angie, liebe Freunde,

es fällt mir nicht leicht, das könnt ihr mir glauben, aber ich muss mich in diesem Brief von euch verabschieden. Damit ich nicht zehnmal dasselbe schreibe, werde ich alles in diesem einen Brief schreiben und hoffe, dass Angie ihn auch den anderen gibt. Ich danke dir schon mal dafür, Angie.

Ihr werdet mich vielleicht nicht verstehen, weil ich euch nicht alles erzählen kann, aber es tut mir leid, dass ich mit einem lausigen Brief Abschied nehme. Wenn ich euch persönlich sagen würde, dass wir keinen Kontakt mehr haben können, dann würdet ihr mich nur ausfragen, aber ich kann euch eben keine Antwort geben.

Ich werde heute mit meinen Eltern woanders hinziehen und das habe ich selber erst vor ein paar Minuten erfahren. Macht mir deswegen bitte keine Vorwürfe.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns jemals wieder sehen, doch vielleicht habt ihr mir bis zu jenem Zeitpunkt verziehen. Mir fällt es ebenso schwer, euch nicht mehr zu sehen und deshalb will ich auch eigentlich nicht gehen, aber ich muss. Ihr werdet sicher auch ohne mich noch viel Spaß haben, also genießt euer Leben.

Dort, wo ich hingehe, wird es mir sicherlich auch gut gehen, also braucht ihr euch keine Sorgen um mich zu machen.

Angie, wenn Chris wieder irgendwas zu dir sagt, dann knall ihm ein paar. Ich glaube allerdings nicht, dass er nach dem heutigen Tag noch einmal gemein zu euch sein wird.

Jade soll nicht traurig sein und sich in der Schule nicht so gehen lassen. Sie könnte viel mehr, wenn sie wollte.

Sarah und Sari sollten mehr mit den anderen reden und sich nicht immer so auskapseln. Keiner hat was dagegen, wenn sie allein etwas unternehmen, aber sie müssen sich auch nicht dauerhaft zu zweit unterhalten, wenn ihr etwas gemeinsam in der Clique macht.

Siri. Was soll ich dir raten? Pass mit den Jungs auf und nerv die anderen nicht andauernd damit! Du könntest auch mal etwas genauer hinhören und deinen Freunden mehr helfen, wenn es ihnen schlecht geht.

Was anderes kann ich euch nicht mit auf den Weg geben, aber ich hoffe, dass ihr ewig Freunde bleibt.

In der Hoffnung euch irgendwann wieder zu sehen,

Euer Duncan

Mehr fiel ihm auch dieses Mal nicht ein, also steckte er das Blatt in einen Umschlag und verließ das Zimmer auf dem Weg zur Treppe. An einigen Stellen war der Text vielleicht etwas kitschig, aber er beließ es dabei. Er hatte einfach das aufgeschrieben, was ihm durch den Kopf gegangen war.

Er fand seine Eltern in der Küche am Tisch sitzend.

„Hast du deine Sachen etwa schon gepackt?“, fragte Dine überrascht.

„Noch nicht. Ich habe erst mal den Brief geschrieben.“ Er legte den Umschlag vor Droy auf den Tisch und den Fahrrad- samt Schließfachschlüssel gleich dazu. „Der ist vom Fahrrad und der vom Schließfach“, erläuterte er seinem Vater, damit er die Sachen holen konnte.

„Gut, ich geh gleich los. In der Seelowerstraße wohnt sie, stimmt’s?“

„Ja, in der 21“, ergänzte Duncan.

Droy nahm sich die Sachen vom Tisch und verschwand unangekündigt. Duncan drehte wieder um, denn es war an der Zeit, seine Sachen zu packen.

„Duncan!“, rief ihn seine Mutter zurück, als er an der Türschwelle zum Flur war. „Wenn du noch irgendwelche Fragen hast, dann stell sie ruhig.“

„Ja, mach ich“, sagte Duncan etwas betrübt wegen der Verabschiedung.

„Packst du dann deine Sachen? Du brauchst nur die Anziehsachen mitnehmen, den Rest lassen wir hier. Es sei denn, du willst irgendetwas ganz Bestimmtes mitnehmen, aber eigentlich haben wir da alles, was wir brauchen. Im Grunde genommen sogar mehr.“ Sie lächelte ihm zu, was Duncan erwiderte.

„Ist gut. Ich nehme die Reisetasche. Da müsste dann alles reingehen.“

Dine stimmte zu, wonach er die Küche verließ.

In seinem Zimmer steckte er seine ganzen Sachen in die Tasche und sortierte die aus, die ihm schon lange zu klein waren oder die er nicht mehr anziehen wollte. Ein paar kleine Gegenstände legte er auch noch dazu, weil er die nicht zurücklassen wollte. Das waren, unter anderem, Bücher, Fotos und Andenken. In einen kleinen Rucksack packte er zusätzlich ein paar persönliche Sachen. Es war, als würde er nur für längere Zeit verreisen, aber seine Gefühle zeigten ihm die Realität sehr deutlich. Es fiel ihm immer noch schwer zu glauben, dass er den Rest und seine Möbel nie mehr wieder sehen sollte. Trotzdem war er über sich selbst erstaunt, dass es ihn nicht zu sehr aus der Fassung brachte. Er schien in letzter Zeit so viel Anormales erlebt zu haben, dass er diese Neuigkeit leichter zu verkraften verstand. Er freute sich langsam sogar richtig auf Troid. Die neuen Leute, neue Traditionen, neue Freunde. Er hoffte jedenfalls, dort schnell neue Freunde zu finden.

Als er zurück nach unten ging, fand er seine Mutter im Wohnzimmer wieder. Sein Vater war bereits zurückgekommen und saß ihr gegenüber.

„Sachen gepackt?“, fragte Dine erwartungsvoll.

„Ja, steht alles oben in meinem Zimmer!“, antwortete Duncan. „Hast du alles gefunden?“, fragte er danach seinen Vater.

„Ja, ich hab das aus deinem Schließfach in die Küche gestellt. Dein Fahrrad steht im Garten“, erklärte Droy. „Und der Brief ist auch angekommen.“

„Gut, danke dafür.“

„Kein Problem“, sagte Droy fröhlich. „Eigentlich sind wir dann auch soweit fertig, nicht wahr. Das Haus und die ganzen Möbel werden noch verkauft und das, was wir behalten, muss nach Troid gebracht werden.“

„Müssen wir das jetzt noch alles machen?“, fragte Duncan unsicher.

„Nein, das wird für uns erledigt. Damit wird uns ein ganzes Stück Arbeit abgenommen“, sagte Dine erleichtert.

Nach Droy war es an der Zeit, aufzubrechen, weshalb Duncan die Geschenke in seiner Tasche verstaute und dann zurück ins Wohnzimmer ging. Dort wandte Droy sich an Duncan, um ihm noch etwas zu gestehen: „Als wir dir erzählten, dass dieser Teppich ein Tor zu anderen Zauberern ist, da mussten wir dich leider anlügen, wie du jetzt sicher verstehst. Es ist in Wirklichkeit das Tor zu Troid, wenn du das nicht schon selber geschlussfolgert hast.“

„Doch, das dachte ich mir schon. Also reisen wir jetzt damit nach Troid, ja?“

„Genau“, sagte Dine. „Aber vorher will ich dir noch einmal sagen, dass du deine Kräfte für die auf Troid noch nicht hast, ja!? Das darf keiner wissen, wegen der Vereinbarung.“

„Geht klar. Das krieg ich schon hin“, versicherte Duncan ihr.

„Das hast du schon mal gesagt“, meinte Droy stirnrunzelnd.

„Das ist aber was anderes“, verteidigte Duncan sich.

„Das sagen sie alle!“, konterte Droy.

„Wir müssen los! Die Stadt erwartet uns“, tadelte Dine die beiden.

„Ja, ist gut, Schatz“, sagte Droy und sprach dann mit erhobener Stimme zu dem Teppich vor ihm. „Bei Troid Terra! Zum D-Trakt.“

Duncan verstand nur Bruchteile von dem, was sein Vater gebrüllt hatte. Es schien so etwas, wie ein Codewort oder eine Anweisung zu sein, denn kaum hatte Droy ausgesprochen, schon entblößte der Teppich erneut das Tor mit dem blauen Strom, der dahinter lag. Sofort floss wieder das grelle, aber bezaubernde Licht in den Raum und erfüllte die Drei mit wohltuenden Gefühlen. Ihre Aufregung verschwand schlagartig und ließ das wundervolle Gefühl durch ihre ganzen Körper fließen.

Mit all dem kam allerdings auch der übliche Sog aus dem Strom und da Dine diesmal vergessen hatte, die beweglichen Gegenstände wegzuräumen, flogen einige davon durch das Tor und verschwanden für immer dahinter. Die Drei kümmerte das jedoch wenig, da es für sie im Moment wichtigere Dinge gab.

Droy erhob das Wort: „Es ist soweit. Dine, du gehst bitte voran, okay!? Duncan, wenn deine Mutter weg ist, springst du hinterher.“ Droy musste etwas lauter reden, damit sie ihn bei dem Lärm, den der Strom durch den Sog verursachte, überhaupt hören konnten. „Der Strom trägt dich bis nach Troid. Aber es kann eine Weile dauern, schließlich ist es ein langer Weg dorthin. Ich werde dir folgen.“

Duncan wurde mulmig bei dem Gedanken, gleich durch diesen Strom zu reisen.

„Pass nur auf, dass du nicht rausfällst“, warnte ihn Dine lässig. „Den Rest erledigt der Strom.“

Duncans Gesicht wurde mit einem Mal leichenblass. „Wie? Ich kann da rausfallen?“ Das Herz rutschte ihm bei dem Gedanken daran beinahe in die Hose.

Als sein hilfesuchender Blick auf seinen Vater fiel, wurde ihm bewusst, dass er gerade wieder zum Narren gehalten wurde. Droy grinste ihn hämisch an und Dine lachte schadenfroh.

„Dir passiert schon nichts“, versicherte sie ihm. „Natürlich kannst du nicht rausfallen. Mach dir mal keine Sorgen. Genieß einfach das Panorama.“

Und mit diesen letzten Worten sprang sie, als wenn sich Wasser vor ihr befände, durch das Tor, hinein in den Strom. Kaum war sie vom Boden abgehoben, schon beschleunigte der Strom ihren Körper und ließ sie in Sekundenschnelle aus dem Blickfeld verschwinden.

„Na los! Du verlierst den Anschluss“, drängte ihn sein Vater, und er ermutigte ihn ein letztes Mal: „Es passiert schon nichts.“

Daraufhin nahm Duncan all seinen Mut zusammen, setzte zum Sprung an und hob ab. Mit den Armen voraus durchquerte er das Tor und wurde mit einem Ruck hineingerissen. Der stärker werdende Sog beförderte ihn fast mit Lichtgeschwindigkeit durch die Weiten des Alls. Es fühlte sich an wie in einer riesigen, steilen Achterbahn.

Das Blau des Stroms wurde kurze Zeit später zu einem rötlich orange-gelben Ton. Duncan war total verkrampft und traute sich kaum, sich zu bewegen. Dine hatte ihm mit ihrem Scherz ganz schön Angst eingejagt.

Nach kurzer Zeit wurde es für ihn allerdings angenehmer, denn er konnte sich an die Geschwindigkeit gewöhnen und so das entzückende Gefühl ohne Angst entspannter wahrnehmen. In dem schwerelosen Zustand bemerkte er seine Umgebung sogar allmählich und erstaunte, als er bemerkte, dass man durch den Strom hindurchsehen konnte. Es war zwar alles verschwommen, wegen der hohen Geschwindigkeit, aber er schätzte, dass die vorbeihuschenden Lichter Sterne und andere Sonnensysteme waren.

Seltsam fand er das Fehlen von Gegenwinden und Temperaturunterschieden. Das leuchtende, transparente Farbspiel des Stroms entfachte dennoch eine gleichmäßige Wärme in ihm, so dass er sich wie in einem Wellnessprogramm zu fühlen begann. Nach einer Weile des puren Genusses wunderte er sich über die Endlosigkeit seiner Reise. Dadurch verspürte er das Bedürfnis, sich umzudrehen und zu sehen, was hinter ihm lag. Er konnte seine Mutter vor sich nicht ausmachen, aber vielleicht konnte er seinen Vater sehen. Es würde ihm Sicherheit geben, Droy bei sich zu wissen. Unglücklicherweise konnte er nicht genug Vertrauen aufwenden, um sich umzudrehen, falls es ihn doch aus der Bahn werfen sollte. Schließlich legte er volles Vertrauen in die Worte seiner Mutter, die ihm die Ungefährlichkeit garantiert hatte. Die Arme weiterhin fest an den Körper gedrückt, drehte er den Kopf leicht zur Seite. Er fiel nicht hinaus, wie befürchtet, jedoch geschah etwas völlig Unerwartetes. Der Strom war nicht mehr schlauchförmig und glatt, sondern wies direkt an der Stelle seines verdrehten Kopfes eine Rundung auf. Der Strom passte sich seinem Körper an, genau wie seine Schutzhülle. Prüfend streckte er langsam einen Arm aus und auch dort erschien eine runde Imitation seines Armes in der Hülle des Stroms. Mut machte sich in ihm breit, so dass er sich ganz auf den Rücken drehte und nach hinten sah. Seinen Vater konnte er nicht erkennen, aber er sah, dass er bis jetzt Schlangenlinien geflogen war. Nach hinten war der ungerade Verlauf viel deutlicher auszumachen, doch wegen der Schnelligkeit hielt er den Blick nach hinten nicht lange aus.

Es wurde eine lange, aber nicht unangenehme Reise. Duncan beugte Langeweile vor, indem er verschiedene Stunts ausprobierte, die auf festem Boden nicht möglich wären. Erst nach Stunden, so kam es ihm vor, ereignete sich etwas Verheißungsvolles. Ein dunkler Fleck tauchte weit hinten im Strom auf, der schnell näher kam und rasant größer wurde. Der Strom färbte sich an dieser Stelle grün und der Fleck offenbarte den Ausstieg, der innerhalb von Sekunden so nah war, dass seine rasende Geschwindigkeit ihm Angst bereitete. Er steuerte Kopfüber auf den hell erleuchteten Raum hinter dem Loch zu und schoss durch die Öffnung wie ein Formel Eins Wagen. Doch plötzlich kam er durch eine nicht spürbare Macht abrupt zum Stillstand. Eine Sekunde hing er in der Luft, bis er einen Meter tief zu Boden fiel und auf allen Vieren landete.

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