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Die troidischen Drei

Teil 5 - Duncan vs Chris

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

1

Als Dine das Zimmer erreichte, konnte sie gerade noch sehen, wie das Monster verschwand. Droy hatte schon einen Energieball in der Hand, jedoch war das Monster verschwunden, bevor er ihn werfen konnte.

„Duncan, hat er dir etwas getan?“, fragte Dine beängstigt.

„Nein, mir ist nichts passiert“, erwiderte Duncan, während er sich aufrichtete. Er war unsicher, weil er nicht fassen konnte, dass er nach dem Angriff des Monsters unversehrt geblieben war.

Dine und Droy sahen sich im Zimmer um, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass es Duncan gut ging. Sie sahen die zerbrochenen Eiszapfen überall herumliegen, aber zum Glück hatten diese nichts umgeworfen oder zerstört, da Dine alles Zerbrechliche zur Zeit des Trainings weggeräumt hatte. Als sie den Magiator brennend auf dem Fußboden liegen sah, erschuf sie eine kleine Wolke, die den Brand mit einem kleinen Regenguss löschte. Danach schob sie ihn mit einem Kopfnicken zur Seite, damit sie unbekümmert in den Raum treten konnte. Sie schritt auf Duncan zu, der noch geschockt im Raum stand.

„Was ist passiert?“, fragte Droy ernst. „Du musst uns alles bis ins kleinste Detail erzählen!“

Duncan erzählte ihnen, dass er das vierte Blatt aus dem Magiator geholt hatte und dann das Monster hinter ihm aufgetaucht war. Dass es angegriffen hatte und er sich schützen musste.

Während er berichtete, waren seine Eltern still und hörten aufmerksam zu. Sie wollten alle Einzelheiten erfahren, besonders als er die seltsame Kugel erwähnte.

Als er fertig erzählt hatte, fühlte sich Duncan erleichtert. Der Schock war überwunden, doch nun wollte er Erklärungen haben. Dine sprach gleich etwas Interessantes an: „Das mit dieser Kugel, könnte das nicht eine von Duncans Fähigkeiten sein? Ich glaube, ich hab von einer ähnlichen schon mal gehört.“

„Ja, das könnte sein. So eine Fähigkeit gibt es in der Tat“, stimmte Droy zu. „War denn der Magiator fertig, Duncan?“ Der Magiator musste die Schutzhülle als letzte Fähigkeit angezeigt haben, darauf wollte Droy hinaus.

„Ich weiß nicht. Wie gesagt, er hat das Blatt ausgespuckt und dann hörte ich das Monster.“

„Waren die Lichter aus oder blinkte noch irgendein Licht?“, fragte Droy nachhakend.

Duncan dachte scharf nach, dann antwortete er: „Ich glaube, da war ein rotes Licht, das vorher noch nicht geleuchtet hat. Ja, da hat ein rotes Licht geleuchtet. Und der Magiator hätte auch längst weitergearbeitet, bevor er zerstört wurde. Er muss fertig gewesen sein.“

„Und wo ist das Blatt, von dem du gesprochen hast?“, wollte Dine wissen.

Daran hatte Duncan überhaupt nicht mehr gedacht. Er sah kurz zu seiner Hand, aber dort befand es sich nicht mehr. Beim Kampf musste er es losgelassen haben, was ihn jetzt ärgerte.

Zusammen suchten sie danach in dem Trümmerzimmer, aber sie fanden nur die anderen drei Zettel, die nach dem Eisregen unter dem Tisch gelandet waren.

„Aha“, sagte Dine, die die Zettel aufgehoben hatte. „Deine dritte Fähigkeit ist also Unsichtbarkeit.“

„Ach, ja“, bestätigte Duncan, ohne zu wissen, was er dazu sagen sollte. Droy lächelte nach dieser Nachricht zum ersten Mal wieder.

Sie suchten weiter, doch unter dem Eis war ein weißes Papier kaum auffindbar. Schließlich erblickte Duncan den Zettel zusammengequetscht unter den Trümmern des Magiators. Das Blatt hatte viel mitgemacht. Ein Teil war angekohlt vom Feuer des Geräts, in der Mitte klaffte ein Loch von einem Eiszapfen und das was übrig blieb, war von Dines Regen feucht geworden. Es war unmöglich noch etwas zu erkennen.

„Gib mal her!“, sagte Dine und nahm sich das Blatt. Sie benutzte ihre Kräfte, indem sie einen Zauberspruch aussprach, wodurch das Blatt wieder aussah wie frisch bedruckt. „Schutzhülle“, las sie vor. „Bei Ausführung dieser Fähigkeit entsteht eine Kugel aus Energie, die den Zauberer einhüllt und schützt. Von außen kann nur stärkere Magie als die des Zaubernden eindringen.“

„Als ich in dieser Kugel war, hatte ich das Gefühl, dass sie ganz heiß war. Darum hab ich mich auch nicht getraut mich zu bewegen. Steht irgendetwas darüber in der Beschreibung?“

„Eigentlich dürfte das nicht sein“, antwortete Droy. „Ich kenne die Kraft, aber sie hat seit Ewigkeiten keiner mehr besessen. Ich seh mal im Troidon nach, dort müsste es geschrieben stehen.“

Er ging in die Küche, wo sie das Troidon verstaut hatten, nachdem sie die Übungen am Nachmittag beendet hatten.

„Und dir geht’s wirklich gut?“, fragte Dine besorgt.

„Ja, die Schutzhülle hat mich doch beschützt. Warum ist sie eigentlich erschienen? Ich kann sie doch noch gar nicht erschaffen.“

„Natürlich kannst du sie erschaffen. Die Fähigkeit steckt tief in dir.“ Sie zeigt mit einem Finger auf Duncans Brust, wo sein Herz war. „Als Gefahr drohte, hat dein Unterbewusstsein die versteckte Magie geweckt. Die Übungen für deine Fähigkeiten brauchst du nur, um deinem Kopf zu zeigen, wie es geht, aber dein Unterbewusstsein weiß das längst.“

Die Erklärung war für Duncan einleuchtend. Droy kam mit dem Troidon zurück ins Wohnzimmer, die Seite mit der Schutzhüllenfähigkeit aufgeschlagen.

„Hier steht, die Schutzhülle passt sich immer dem Träger an. Also kannst du dich unbesorgt bewegen.“ Er schloss das Buch wieder. „Und Duncan, ich wollt noch gesagt haben, dass du mit vier Kräften zwar mal stärker als dein Vater sein wirst, aber dennoch bleib ich dein Vater. Vergiss das nicht!“ Droys ernste Miene verwandelte sich in ein freundschaftliches Lächeln.

„Ich schreib es mir hinter die Ohren!“, meinte Duncan grinsend.

Für Duncan blieb noch eine weitere Frage offen: Was war das für ein Ding? Sein Vater erläuterte es ihm: „Das war ein Eisdämon, aber die sind nicht besonders stark, deswegen konnte er deine Kugel auch nicht durchbrechen. Ein stärkerer Dämon wäre wahrscheinlich dazu fähig. Der Eisregen ist das einzige, was er kann, und es gibt einen ganz einfachen Vernichtungszauber für sie.“

„Schön, dass es den gibt. Solange ich ihn nicht kenne, bringt er mir gar nichts.“

„Du wirst die schon noch kennen lernen“, beruhigte Dine ihn. „Konzentrier dich erst mal auf deine Fähigkeiten. Mit denen hättest du ihn auch besiegen können. Danach geht es um die Feinarbeit, wo man deine Kräftekenntnisse festigen muss.“

„Und wie soll ich mich auf meine Fähigkeiten konzentrieren? Ich kenn sie ja erst seit ein paar Minuten.“

„Ich meine ja nur, dass du sie nicht vernachlässigen sollst, wenn du angefangen hast, sie zu erlernen“, korrigierte Dine sich.

„Wo stehen eigentlich all diese Zaubersprüche?“

„Die meisten stehen im Troidon, wie die Fähigkeiten“, sagte Droy. „Das kannst du dir später mal genauer ansehen.“

Damit war Duncan einverstanden, denn er hatte noch andere Fragen, die er geklärt haben wollte.

„Bei dem Dämon habe ich cailles angewandt und dabei hatte ich auch das Gefühl, als ob es funktioniert hat, aber das Eisding hat mich nur komisch angegrinst und ist nicht erstarrt.“

„Ja, das ist Physik, Duncan“, gab Droy zu verstehen. „Der Eisdämon besteht aus purem Eis. Also nichts Anderes als Wasser, dessen Moleküle sich fast nicht bewegen können. Und cailles beruht darauf, dass du die Atome einer Person zum Stehen bringst, also einfrierst. Deswegen ist cailles bei Eis unwirksam. Das ist vielleicht jetzt noch zu hoch für dich, aber im Unterricht lernst du das noch.“

Duncan verstand größtenteils, was Droy ihm geschilderte hatte, denn er hatte Aggregatzustände in der Schule bereits behandelt.

„Während der Dämon hier im Raum war, wurde es richtig kalt, wie am Nachmittag. Kann es nicht sein, dass er vorhin schon mal hier war?“

„Das ist schon möglich. Gut beobachtet“, lobte Droy ihn.

„Wieso hat er mich dann nicht angegriffen, als ich in meinem Zimmer war? Weshalb hat er so lange gewartet?“

„Das liegt an dem Schutz, den wir im oberen Stockwerk verlegt haben“, erinnerte Dine ihn.

„Ach so, stimmt ja. Also kann mich das Monster heute Nacht wenigstens nicht holen“, freute Duncan sich. „Ich frag mich nur, was es von mir wollte? Kann er mir meine Kräfte aussaugen oder so etwas?“

„Ich glaub, du hast zu viel Science-Fiction gesehen“, argwöhnte Droy. „Außerdem dachte ich, das wäre klar. Es steht fest, dass er es war, der ihn geschickt hat. Der böse Zauberer, von dem wir dir erzählt haben. Es gibt zwar noch andere, die Interesse an dir hätten, aber die wären nicht in der Lage uns aufzuspüren.“

„Aber dieser Zauberer wollte mich doch umbringen? Der Eisdämon hat allerdings nur versucht, mich zu fangen oder an mich heranzukommen. Erst als er gemerkt hat, dass er das nicht schafft, hat er versucht mich zu töten. Das glaube ich zumindest.“

„Man kann nie wissen, was er vorhat. Er hat uns schon viele Male überrascht. Allein die Tatsache, dass er uns gefunden hat“, meinte Dine.

Duncan fielen im Moment keine weiteren Fragen ein, die er stellen wollte, deswegen herrschte kurze Zeit Stille im Zimmer, bis Dine sprach: „Ich schlage vor, du gehst jetzt ins Bett, Duncan. Der Tag war anstrengend und du bist auch schon ganz müde.“ Duncan musste gerade gähnen. Dine erklärte, dass sie das Aufräumen des Zimmers übernehmen würde, da sie Magie anwenden konnte. Da Duncan das gern gesehen hätte, protestierte er, schon ins Bett zu gehen, jedoch ohne Erfolg. Also lief er nach oben und legte sich schlafen, auch weil er wirklich müde war. Der Tag hatte ihn ganz schön geschafft. Beim Einschlafen hatte er das grässliche Monster in Gedanken, wobei er sich vorstellte, wie er es mit seinen Kräften vernichtete. Diese eine Szene spielte er in allen Varianten durch, bis sich der Schleier der Nacht über seine Sinne legte und ihn alles vergessen ließ.

Dine schaffte währenddessen mit einem einzigen Zauberspruch Ordnung im Wohnzimmer. Das Eis versank im Boden, die Brandflecken verschwanden, die Trümmer des Magiators wurden entsorgt und all das, was umgeflogen oder zerstört worden war, stellte sich in unversehrtem Zustand an seinen rechtmäßigen Platz zurück.

Droy war Duncan nach oben gefolgt, um Großvater, der wahrscheinlich aufgewühlt wartete, Bericht zu erstatten. Tatsächlich war er noch in dem Spiegel zu sehen.

Da er nichts sagte, sprach Droy: „Tja, deine Vermutung hat sich bewahrheitet. Duncan wurde von...“

„Ich weiß“, unterbrach Großvater ihn. „Ich hab alles mit meiner Kugel mit angesehen. Sie funktioniert nun wieder einwandfrei.“

„Ach so? Du weißt alles? Als der Eisdämon da war, hast du doch aber mit uns gesprochen, und mit deiner Kugel kannst du auch nicht zuhören.“, wunderte sich Droy.

Dine betrat das Zimmer und setzte sich zu Droy aufs Bettende.

„Nun, ich habe mir eine zweite Kugel anfertigen lassen, die Duncan rund um die Uhr beschattet. Wenn etwas Wichtiges passiert, kontaktiert sie mich. Dann kann ich mir ansehen, was los ist oder war. Und als ihr mit Duncan alles geklärt habt, habe ich mir angesehen, was Duncan zu bewältigen hatte. Die Aufnahmen haben glücklicherweise kurz vor dem Angriff wieder eingesetzt, weshalb ich alles sehen konnte.“

„Das ist gut. Warum erfahren wir das erst jetzt?“, wollte Dine wissen. „Du kannst uns Bescheid geben, wenn etwas mit Duncan ist.“

„Die Kugel ist vor kurzem erst fertig geworden. Sie ist jetzt mit Ton, sogar ohne die kleine Wolke vom Konversationsmodus. Wir erproben sie noch und ich wollte euch erst davon erzählen, wenn sie als tauglich eingestuft wurde, aber wie man sieht, ist sie sehr funktionstüchtig.“

„Dann hab ich ja eine Sorge weniger“, sagte Droy, der sich somit weniger um Duncan Gedanken zu machen brauchte.

„Ich schätze, um Duncan brauchst du dir eh keine Sorgen machen. Nach dem, was ich heute gesehen hab, ist er wirklich begabt. Er weiß sein - noch kleines - magisches Wissen gut einzusetzen und wenn er erst seine volle Stärke besitzt, wird er kaum zu übertreffen sein.“

„Was, wenn er in der Schule oder anderswo angegriffen wird? Es wird zu lange dauern, bis du uns benachrichtigt hast und wir dort sind“, warf Dine besorgt ein.

„Wir können nichts machen“, sagte Großvater, allerdings war er unbesorgt. „Alles, was ihr tun könnt, ist ihm seine Fähigkeiten beizubringen. Den Rest muss er allein bewältigen. Aber das wird er, da bin ich mir sicher.“

Großvater versuchte Dine etwas zu beruhigen, jedoch mit wenig Erfolg. Nach dem Angriff des Eismonsters hatte sie große Angst um ihren einzigen Sohn. Auch Droy war nicht so ruhig wie sonst.

„Das mit dem Magiator tut uns übrigens leid“, entschuldigte er sich. „Du weißt sicher, dass er zerstört wurde.“

„Das ist kein Problem. Wie gesagt, es war nur ein Prototyp. Der neueste wird auf den Markt kommen, wenn Cerons Sohn ankommt. Ihr wisst doch, dass er kurz nach Duncan Geburtstag hat?“

Dine und Droy hatten vergessen, dass der Sohn von Ceron, eines weiteren Verwandten, fast genauso alt wie Duncan war.

„Ja, stimmt“, meinten sie einstimmig.

„Okay, dann sehen wir uns an Duncans Geburtstag, falls nicht vorher etwas passiert“, sagte Großvater abschließend.

„Gut, bis dann“, verabschiedete sich Droy.

Auch Dine verabschiedete sich, wonach Großvaters Gesicht mit den grauen Haaren von der Bildfläche verschwand. Die beiden gingen anschließend ebenfalls schlafen, da der Tag auch für sie sehr nervenaufreibend gewesen war.

2

Am nächsten Tag, einem Samstag, konnte Duncan seine Fähigkeiten richtig kennen lernen und mit Hilfe von seinen Eltern üben, allerdings musste er schnell feststellen, dass sie nicht so einfach zu beherrschen waren wie Zaubersprüche. Hinzu kam, dass sie ihn viel mehr Kraft kosteten, so dass er nicht durchgängig trainieren konnte. Trotzdem schaffte er es, alle vier Fähigkeiten an diesem Tag wenigstens ein Mal auszuprobieren, wobei ihm die naturellen am schwersten vorkamen. Die Schutzhülle war hingegen vergleichsweise noch am einfachsten, was wahrscheinlich daran lag, dass er sie bereits ausgeführt hatte, wenn auch unbewusst.

Droy half ihm beim Lernen, indem er Stifte auf ihn warf, mit dem Ziel ihn dazu zu bringen, die Hülle zu aktivieren. Sie kamen so weit, dass Duncan die Hülle für den Moment des Stiftaufpralls aufflackern ließ, doch war dies sehr mühselig und bei weitem nicht ausreichend. Dine war dennoch überzeugt, dass Duncan die Hülle in einer Gefahrensituation wieder aufrecht erhalten könnte.

Bei den anderen Fähigkeiten hatte Duncan nicht das Vorwissen oder das Gefühl dafür, deswegen kam er mit ihnen auch weniger klar. Die Unsichtbarkeit war sehr schwer. Im Troidon hieß es, dass er sich vorstellen solle, die Farben seines Körpers zu ändern. Das sei der erste Schritt zur Unsichtbarkeit, denn mit sich ändernden Pigmenten kann man sich dem Hintergrund anpassen, was die Fähigkeit im Normalfall automatisch tat. Sein Vater erklärte ihm das Ganze zusätzlich physikalisch und meinte, dass Farben durch Reflektionen entstünden und er versuchen solle, seine Haut und Kleidung nach seinen Bedürfnissen reflektieren zu lassen. Im Endeffekt half ihm das kein bisschen weiter, weil er die Hälfte nicht verstand und nicht wusste, wie es in die Tat umzusetzen war.

Am Sonntag Vormittag glaubte er, dass sich seine Haut nach den Unsichtbarkeitsübungen aufgehellt hätte, aber er war sich dessen nicht sicher, da kurz zuvor die Sonne aufgegangen war.

Die naturellen Fähigkeiten kosteten ihn die meisten Nerven, denn er brauchte, um überhaupt mit den Übungen beginnen zu können, die Verbindung mit der Natur. Er hatte sich immer für sehr naturliebend eingeschätzt, aber bei dem Versuch eine Bindung aufzustellen, änderte sich seine Meinung. Er fühlte rein gar nichts, weder als er sich vor eine Pflanze stellte, noch als er an der frischen Luft im Garten sog. Seine Eltern hatten beide diese Verbindung insofern beschrieben, als dass sie warme und ergreifende Gefühle auslöste, aber Duncan empfand nichts dergleichen.

„Du musst Geduld haben“, hatte Dine gesagt, als Duncan sich am Frühstückstisch beschwert hatte. „Wir haben Wochen dazu gebraucht, also erwarte nicht zu viel auf einmal. Es ist schon bemerkenswert, dass du nach so kurzer Zeit mit der Hülle so gut klarkommst.“

Allmählich näherte sich der Tag, an dem er zurück in die Schule musste. Montag, so wollten es seine Eltern, sollte es soweit sein, doch er hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken daran. Es beschäftigte ihn zunehmend, dass Chris ihn demütigen würde. Es stand fest, dass Chris diese Gelegenheit ausnutzen würde. Es war keinesfalls so, dass er Angst vor diesem Jungen hatte, allerdings drehte sich ihm der Magen um bei dem Gedanken an ihn und an Montag. Mit den Übungen brachte er sich zwar auf andere Gedanken, aber die Vorstellung von Montag holte ihn trotzdem ständig ein.

Am Sonntag Abend war Duncan gerade damit beschäftigt, mit einer Pflanze aus dem Garten zu reden, einer kleinen Tulpe mit noch halb geschlossenen Blütenblättern, die rot-gelb leuchteten. Er redete über alles, das ihm in den Sinn kam.

Den eigentlichen Sinn der Übung hatte er seit langem vollkommen vergessen, so dass er ihr seelenruhig sein Herz ausschüttete, so als würde er den lieben langen Tag nichts Anderes tun. Plötzlich strömte ein starker Wind durch den schmalen Gang zwischen Haus und Zaun, wo sich Duncan und die Tulpe befanden. Der Wind umfloss die Umrandungen seiner Ohren und ließ seine Haare sanft tanzen, genau wie er es mit der Blume tat. Zwischen den Blüten sang er sein Lied und wiegte die Pflanze leicht von einer Seite zur anderen. In diesem Augenblick fühlte Duncan, wie ihn eine Welle der Wärme durchströmte. Erschrocken hörte er auf zu sprechen und sah die schöne Tulpe bewundernd an. Er wusste, dass das, was von der Pflanze ausging, die Verbindung sein musste. Es war ein angenehmes Gefühl, von dem er eine Gänsehaut bekam. Doch nur kurze Zeit hielt es an. Der Wind legte sich wieder, die Tulpe pendelte langsam aus und seine Haare legten flach auf seinen Kopf zurück, womit auch das Gefühl der unsäglichen Freude wieder in den Tiefen seines Bewusstseins verschwand. Dieser Moment, mochte er auch kurz gewesen sein, hatte für Duncan eine große Wirkung, denn er sah dem nächsten Tag nun nicht mehr dermaßen verbissen entgegen. Er fasste neuen Mut und Vertrauen in seine Kräfte, da er sich nun sicher war, dass er in der Lage war, die Verbindung aufzubauen und mit viel Übung irgendwann festzuhalten.

3

Den nächsten Morgen quälte Duncan sich früh aus dem Bett. Eigentlich wollte er etwas essen, bevor er die zwei Sportstunden anging, allerdings tat ihm der Bauch weh, wodurch ihm der Appetit verging. Er wusste genau, dass es an der bevorstehenden Begegnung mit Chris und den anderen lag.

Kurze Zeit später befand sich Duncan schon an der Turnhalle, zufrieden, diesmal nicht fast vom Fahrrad gefallen zu sein und das Schloss geglückt angebracht zu haben, ohne dass es heruntergefallen war. Vor der großen Halle setzte er sich auf eine Treppe und wartete angespannt auf das, was in der nächsten halben Stunde passieren würde. Wie immer war er der erste.

Der Tag begann mit schönem Wetter, denn die Sonne blickte häufig an den vereinzelten Wolken vorbei. An den Bäumen beobachtete er die ersten Blätter und Knospen, was ihn an das schöne Gefühl vom Vortag erinnerte, als er die Verbindung aufgestellt hatte. Seine Stimmung besserte sich dadurch ein wenig. Gleichzeitig wurden seine Bauchschmerzen allerdings schlimmer, denn seine Vorstellungen von den Kommentaren seiner Klassenkameraden machten ihm zu schaffen. Zum Glück war dies ein anderer Grund als beim letzten Mal und daher für ihn weniger dramatisch.

Angie leistete ihm nach wenigen Minuten Gesellschaft. Sie war erfreut Duncan wieder zu sehen, obwohl sie gewusst haben musste, dass er an diesem Tag zurückkam, denn sie hatte sich am Wochenende bei Duncans Eltern nach seinem Zustand erkundigt. Dabei mussten sie ihr zwangsläufig gesagt haben, dass es ihm schon viel besser ging.

„Und, wie geht’s dir jetzt?“, fragte sie.

„Gesundheitsmäßig eigentlich gut, bis auf dass ich Bauchschmerzen von dem Gedanken an Chris’ dumme Bemerkungen bekomme.“

„Dein Abgang war aber auch böse. Es wäre besser gewesen, du wärst gleich zu Hause geblieben.“

„Zu Hause ging es mir doch aber noch gut. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich im Unterricht fast zusammenbreche.“

„Hauptsache, dir geht es jetzt wieder besser.“

„Ja, noch geht es, aber das ändert sich sicher in den nächsten Minuten.“

„Du hast doch noch die Geschichte mit der Prügelei, wenn er etwas sagt“, wollte sie ihn aufmuntern.

„Aber die Geschichte ist alt und nicht halb so peinlich, wie heulend aus dem Unterricht zu verschwinden“, rechtfertigte er seine Bedenken. „Ach, nee. Wenn man vom Teufel spricht. Und das meine ich wörtlich.“ Chris, Paul und Olli waren eben hinter der nächsten Häuserwand hervorgetreten und liefen ins Gespräch vertieft in Richtung Turnhalle. Bevor sie Duncan und Angie erreicht hatten, blickte Olli zu ihnen hinüber und zeigte sofort den andern beiden, wen er erblickt hatte. Chris’ fröhliches Gesicht verzog sich bei dem Anblick zu einem hämischen Grinsen. Er war mittelmäßig groß, hatte dunkelblonde, kurze Haare und war ziemlich dünn, was aber nicht bedeutete, dass er schwach war.

„Hör einfach nicht hin“, riet Angie ihm im Voraus, doch er war bereits zu fixiert auf die drei und hörte ihr schon nicht mehr zu.

„Morgen, Duncan“, tat Chris gekünstelt freundlich. „Bist du etwa schon wieder gesund? Hat dich Mammichen gut gepflegt? Oder musst du gleich wieder heulend weglaufen?“ Die drei lachten auf.

Er erwartete, dass Duncan etwas erwiderte, doch der war im Moment ziemlich wortkarg. In seinem Kopf kämpften viele Gedanken darüber, dass er Magie anwenden konnte und gern unsichtbar werden würde, um die Oberhand zu gewinnen. Davon durfte er selbstverständlich nichts erzählen, was ihn sichtlich Mühe kostete.

Seine langwierigen Überlegungen waren allerdings ein Fehler, denn durch seine Stille verstärkte er ungewollt Chris’ Angriffslust. „Mann, dich hat die Krankheit ja ganz schön mitgenommen? Ab jetzt immer so still?“

Mit den Gedanken bei seinen Kräften, holte Duncan kurz tief Luft, setzte sich gerade hin und lehnte sich lässig gegen die Treppenstufen, auf denen er saß. Dann sah er Chris tief in die Augen und grinste. Das war das beste, das ihm einfiel. Somit verriet er nichts über seine Kräfte, hatte aber trotzdem das Gefühl, ihm überlegen zu sein. Außerdem überraschte es Chris, der verdutzt guckte und sich schließlich mit seinen Freuden umdrehte und ein paar Schritte weiterging.

„Der hat doch wirklich einen an der Klatsche“, hörte Duncan Paul sagen.

„So schlimm war es nun auch wieder nicht“, meinte Angie flüsternd, als die drei außer Reichweite waren.

„Das nicht, aber es ist auch noch nicht vorbei.“ Trotz seines coolen Auftritts eben blieb er misstrauisch, was Chris’ Sprüche anging, denn er wusste, dass es den ganzen Tag so weitergehen würde. Und er konnte nicht den ganzen Tag nichts sagen und gelangweilt gucken. Das würde ihn irgendwann zum Gespött des Jahrgangs machen.

„Er hat sich den ganzen Donnerstag über deinen Abgang lustig gemacht. Vielleicht hat er ja genug.“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht, oder?“

Angie sah ein, dass sie mit ihrer Vermutung wahrscheinlich daneben lag. Bewiesen wurde es spätestens, als schon weitere von Duncans Freunden hinzugekommen waren - und ihn allesamt nach seinem Gesundheitszustand gefragt hatten - , denn Chris, der mit dem Rücken zu Duncan stand, drehte sich auf einmal um und rief: „Hey, Duncan, sag mal, hat deine Mutter dir auch die Tränen abgewischt, als sie dich von der Schule abgeholt hat? War sie allein oder hat sie gleich ein halbes Krankenhaus mitgebracht?“ Dem folgte ein johlendes Gelächter von den drei Jungs, Luise und Claudia.

„Immerhin hab ich eine Mutter, die mir hilft und nicht immer mit aufs Revier muss, weil ihr Kleiner etwas ausgefressen hat.“

„Ach, du gibst es sogar zu. Na ja, wer’s braucht.“ Chris tat, als hätte er Duncans Anspielung nicht gehört.

Zu seinen Freunden meinte Duncan, so dass Chris es nicht verstehen konnte: „Er ist wahrscheinlich schwerhörig.“

„Und blöd dazu. Ist eben die perfekte Mischung.“, fügte Siri hinzu, doch das besserte Duncans Stimmung nicht im geringsten, denn für ihn war Chris im Moment der bessere Redner, was ihm überhaupt nicht passte.

Da Chris die Situation vollkommen ausnutzen wollte, drehte er sich wieder ihrer Gruppe zu. „Hat unser kleiner eigentlich auch brav seine Medizin genommen?“

In Duncan stieg langsam Wut an. Warum konnte er nicht einfach seine Klappe halten?

„In deiner Gegenwart geht es einem aber auch immer so schlecht, dass man die Medizin wirklich braucht. Das sieht man ja bei dem Kleinen, den du zum Dauerkrankenfall gemacht hast.“ Duncan atmete auf. Das war wenigsten ein gelungener Spruch. Das dachte er zumindest, weil Chris kurz bedeppert dreinsah.

„Weißt du, die Geschichte mit dem Kleinen ist nun wirklich alt. Da solltest du dir was Besseres ausdenken!“

„Wenn das so lange her ist, warum musst du dann immer noch auf dem Schulhof sauber machen?“, erwiderte Angie gewagt. Duncan musste zugeben, dass dieses Argument nicht besonders gekonnt war. Auch Sari und Sarah hatten bemerkt, wie ungeschickt Angie sich angestellt hatte und klatschten sich die Hände gegen die Stirn. „Was denn?“ fragte Angie sie unverständlich.

„Halt du dich da raus, du... du Pferd!“, warf ihr Chris mit seiner tiefen Stimme verärgert zu, nachdem er seine Freunde kurz beäugt hatte.

„Hey, red nicht so mit ihr! Als wenn du so wunderbar aussehen würdest“, forderte Duncan ihn auf, doch Chris drehte sich hochmütig weg und hörte nicht mehr hin. Das machte Duncan noch rasender.

Als der Lehrer kam und die Turnhalle aufschloss, wartete er mit dem Hochgehen, bis Chris mit seinen Kumpanen durch die Tür verschwunden war. Duncan lief die Treppe zur Jungenumkleidekabine somit allein hinauf. Als er die Tür dazu öffnete, ging er zügig an seinen Platz und zog sich eilig um, damit er möglichst vermied mit Chris in Konflikt zu geraten. Allerdings konnte er dem nicht entgehen:

„Warum beeilst du dich so, Duncan? Hast du Angst und willst zu deiner Mami? Ich kann sie für dich anrufen, damit sie dich mir vom Hals schafft.“

Warum musste er so auf seiner Mutter herumhacken? Das brachte Duncan fast zur Raserei. Wenn der wüsste, wie mächtig sie war, würde er nicht so reden. Ihm fiel in dem Moment allerdings nichts zum Kontern ein.

„Warum so still? Hat Mami es nicht geschafft, dich ganz zu heilen oder haben sie dir ein paar Stimmbänder gekappt?“

Nun war es endgültig genug. Er musste einen Teil seiner aufgestauten Energie freien Lauf lassen, bevor sie den Damm vollends brechen würde. Er wusste, dass er es lieber nicht tun sollte, doch ihm blieb keine andere Wahl. Flüsternd rief er: „Cailles“ und der Arm von Chris, den er anvisiert hatte, blieb über seinem Kopf stecken, als er sich gerade das T-Shirt anziehen wollte. Chris wunderte sich über seine Unfähigkeit, den Arm zu bewegen, denn dieser blieb, wo Duncan ihn eingefroren hatte.

„Was ist? Bist du irgendwie gestört oder so?“, fragte Duncan ihn belustigt. Die anderen Jungen bemerkten die komische Haltung ebenfalls und fingen an zu lachen. Es sah sehr bizarr aus, wie Chris versuchte, den eingefrorenen Arm mit dem anderen herunter zu ziehen.

Duncan brauchte nicht viel Kraft, um den Arm erstarren zu lassen, jedoch konnte er ihn nicht ewig dort lassen ohne zu großes Aufsehen zu wecken. Deswegen ließ er Chris’ Arm wieder frei, so dass er durch Chris’ Bemühungen prompt nach unten gerissen wurde. Das anhaltende Gelächter wurde noch lauter. Selbst Olli und Paul, Chris’ beste Freunde, mussten mit einstimmen.

Chris schien irgendwie zu ahnen, dass Duncan etwas damit zu tun hatte, denn er sah ihn Unheil verheißend an. Dann zog er sich gedemütigt weiter um, wobei sich wieder Ruhe in der Umkleide einstellte. Duncan war inzwischen fertig und ging schleunigst hinunter in den Vorraum, wo Siri mit Jade wartete. Er erzählte ihnen von Chris’ peinlichem Auftritt, wobei er den Teil mit seinen Kräften ausließ. Sie fanden es sehr amüsant, besonders Siri, die nach Duncan am stärksten mit dem Peiniger auf Kriegsfuß stand. Die anderen waren zwar genauso gegen ihn, aber nicht so engagiert wie die zwei.

„Echt?“, fragte Siri, nachdem Duncan zu Ende berichtet hatte. „Ist der bescheuert. Ich hab’s ja schon immer gewusst. Jetzt hast du jedenfalls wieder etwas Neues, womit du ihn aufziehen kannst. Ich kann das immer noch nicht glauben. Er hat wirklich versucht seinen Arm mit dem anderen nach unten zu ziehen? Wie blöd kann man eigentlich sein? Ich sag nur, alle Macht den Drogen, so sieht das für mich aus.“

„Nun, bei Chris weiß man das nie. Da gibt es immer eine weitere Stufe“, sagte Duncan grinsend.

Nach der kleinen Unterstützung durch seine Kräfte fühlte er sich großartig. Es war befreiend, Chris jederzeit bloßstellen zu können. Nein, er musste sich zusammenreißen. Wenn seine Eltern das herausfänden, wäre zu Hause die Hölle los. Er entschloss sich, es bei diesem einen Mal zu belassen.

In diesem Moment betrat Chris mit Olli und Paul den Treppenansatz und begab sich zum unteren Rand, wo er sich wartend niederließ. Kurze Zeit später erschien Luise, gefolgt von Claudia, aus der Umkleidekabine der Mädchen, welche am anderen Ende des Vorraumes lag. Sie steuerte das Ende der Treppe an, wobei ihr Weg den Standpunkt von Duncan und den anderen kreuzte. „Meinst du, du schaffst diese anstrengende Stunde, nach einer so schrecklichen Krankheit?“, fragte sie gehässig und stolzierte schmunzelnd weiter zu Chris und den anderen. Claudia warf Duncan ebenfalls einen feindlichen Blick zu.

„Frag lieber deinen psychisch gestörten Freund, ob er so eine geistig anspruchsvolle Stunde übersteht, wenn er nicht mal die Kontrolle über seine Arme behalten kann“, warf Duncan ihr an Kopf. „Da scheint etwas im Gehirn nicht ganz zu stimmen, aber das ist auch wieder allgemein bekannt.“

„Ach, halt den Mund“, rief Chris, der alles mitgehört hatte, genervt.

Unwissend richteten sich Luise und Claudia anschließend an Chris, weil sie einer Erklärung bedurften. Duncan erhaschte noch, wie Chris ihnen erzählte, was sich im Umkleideraum zugetragen hatte, als Angie, Sari und Sarah aus dem Raum traten, damit beschäftigt, sich über das Wochenende zu unterhalten.

„... keine Schuhe in dem ganzen Center und dann waren wir noch in diesem neuen in der Seelowerstraße, aber dort war nur ein einziger Schuhladen. Der hatte fast nichts in der Farbe“, berichtete Sarah, die mit Sari anscheinend auf der Suche nach bestimmten Schuhen war.

Duncan erzählte den dreien, nachdem sie ihren Wochenendreport beendet hatten, was Chris angestellt hatte.

„Siehst du“, meinte Angie, „der Tag wird wohl doch nicht so schlecht wie du dachtest.“

„Stimmt vielleicht.“

Die Tür der Lehrer öffnete sich, was bedeutete, dass ihnen die Halle aufgeschlossen wurde.

„Baut bitte Weitsprung, 50-Meter-Lauf und Schlagballweitwurf auf! Wir üben fürs Sportfest“, bat Herr Biedermeier sie.

Alle machten sich sofort an die Arbeit, einige von ihnen jedoch missgelaunt, denn wie Sari und Angie hatten sie keine Lust auf diese Sportarten. Nachdem alles aufgebaut war, mussten sie in Gruppen an den Stationen trainieren. Duncan ging mit Siri zum Weitwurf, das einfachste zuerst. Die anderen wählten den 50-Meter-Lauf, damit sie das schwierigste schnell hinter sich bringen konnten. Zu Duncans Verwunderung wollten Chris und Olli ebenfalls beim Weitwurf anfangen. Anscheinend hatte sein Rivale noch nicht genug oder er hoffte, sich an ihm rächen zu können.

Neben Duncan stehend sagte er in angriffslustigem Ton: „Mal sehen, ob du wieder richtig fit bist oder dich deine Mutter lieber abholen sollte.“

„Pass du lieber auf, dass du den Ball auch in die richtige Richtung wirfst!“, gab Siri genervt zurück.

Frau Ruberts kam mit dem wurfballgefüllten Korb herum, damit sich jeder drei herausnehmen konnte.

„Alles wieder in Ordnung, Duncan?“, fragte sie, als er sich die Bälle griff.

„Ja, es war nichts Schlimmes“, antwortete er ihr.

„Dann will ich sehen, was er macht, wenn er etwas richtig Schlimmes hat“, hörte Duncan Olli reden. „Heult er jetzt bei jeder Kleinigkeit? Dann müssen wir wohl demnächst eine Tonne voll Taschentücher besorgen.“

Chris lachte darüber und nickte zustimmend. Der peinliche Auftritt mit dem Arm schien ihm nicht gereicht zu haben. Leider konnte Duncan nichts gegen diesen Spruch erwidern. Dadurch verstärkte sich der Drang in ihm, seine Kräfte erneut zu benutzen. Aber das durfte er nicht. Er hatte es geschworen.

„Auf Pfiff werft ihr“, rief Frau Ruberts. „ein... zwei...“ Der Pfiff erklang und die ganze Gruppe setzte sich mit ihrem ersten Ball in Bewegung. Ein Hagelregen flog durch die Halle. Chris warf am weitesten und streckte die Arme nach dieser Erkenntnis siegreich über den Kopf, als hätte er ein Tor beim Fußball erzielt.

„Gut, Chris“, lobte Frau Ruberts. „eins... zwei...“ Wieder ertönte ein Pfiff und die nächsten Bälle flogen in umher. Erneut war Chris am weitesten, mit dem Ergebnis, dass er die Hände gen Himmel streckte. Dass er besser war, fand Duncan ziemlich ungerecht. Er schob seine schwache Leistung auf die Wirkung des Gifts von der vorangegangen Woche, allerdings wusste er genau, dass der Antus ihn vollkommen geheilt hatte. Es machte ihn noch wütender und entfachte ein Verlangen nach Vergeltung.

„Ist doch nicht so schlimm“, versuchte Siri ihn abzuregen. „Beim Rennen bist du doch eh wieder schneller.“

Leider tröstete ihn das nur wenig, denn Chris setzte noch einen drauf: „Schlecht, Duncan! Sehr schlechte Leistung! Leg dich vielleicht erst mal hin und ruh dich aus!“

Das war zuviel. Als Frau Ruberts erneut pfiff, benutzte Duncan seine Kräfte dazu, Chris’ Fuß, den er zum Anlauf brauchte, nach hinten zu ziehen, so dass er nach vorne fiel und auf dem Boden landete. Sein Ball flog ihm dabei aus der Hand und landete im Weitsprunggebiet. Alle Werfer mussten lachen. Chris richtete sich zwar so schnell wie möglich wieder auf, doch der Rest in der Halle hatte ihn ebenso bemerkt.

„Das ist nicht witzig“, beschwerte er sich, wonach Olli auch sofort mit dem Lachen aufhörte. „Er hat mir ein Bein gestellt“, beschuldigt er Duncan, den Finger auf ihn gerichtet.

Zu Duncans Glück stand Chris viel zu weit weg, als dass er ihm ein Bein hätte stellen können, also nahm ihn niemand ernst. Das Gelächter wurde dadurch nur lauter.

Nachdem sich die Schüler wieder beruhigt hatten, bemerkte Duncan ein ihn unbekanntes Gefühl. Es machte ihm viel Spaß, die Kräfte einzusetzen und Chris zu demütigen. Er wusste zwar, dass es falsch war, aber dennoch konnte er nichts gegen seine Bedürfnisse ausrichten.

Trotz allem tat Chris ihm im Nachhinein leid, denn dieser blieb den Rest der zwei Stunden äußerst niedergeschlagen und suchte sich Stationen aus, an denen Duncan nicht trainierte. Außerdem bekam er oft mit, wie Chris von an ihrem Streit unbeteiligten Personen aus dem Jahrgang geneckt wurde oder sie sich über ihn lustig machten. Das hatte er eigentlich nicht beabsichtigt, denn es war ein Streit zwischen ihnen. Bisher hatte sich das nicht auf die anderen Klassen ausgewirkt. Deshalb beschloss er auch, Chris für den restlichen Tag in Ruhe zu lassen; es sei denn, er würde wieder aufmüpfig.

4

Nach dem Sportunterricht zogen sich alle zügig um und eilten zurück zur Schule, die von der Turnhalle einen kurzen Fußmarsch entfernt war. Die ersten zwei Stunden des Tages hatten sie hinter sich gebracht, doch nun kamen die komplexeren Stunden, wo Nachdenken gefragt war.

Duncan und Angie schoben ihre Fahrräder, um mit den anderen zu laufen. Sie alle unterhielten sich dabei über die bevorstehenden Geburtstage von Siri und Duncan.

„Fällt dir wirklich nichts ein, was man dir schenken könnte?“, fragte Jade Siri.

„Uns wird schon noch was einfallen“, antwortete Duncan, den die anderen ebenfalls gefragt hatten. „Es sind immerhin noch ein paar Wochen bis dahin. Macht mal keine Panik.“

„Feiert ihr nun eigentlich zusammen?“, wollte Sari wissen.

„Ja, ich glaube schon, oder?“, überlegte Siri, die immer wenig über die Pläne mitbekam oder sie ständig vergaß.

„Woher soll ich das wissen? Ich hab dich gefragt und jetzt warte ich auf eine Antwort von dir“, sagte Duncan verwirrt.

„Ach so. Na dann frag ich erst mal meine Mutter“, entschied Siri.

Sarah und Duncan stöhnten auf, da Siri das schon längst hätte tun sollen.

Plötzlich hörte Duncan, wie Chris, Olli und Paul von hinten näher kamen. Sie unterhielten sich über einen James-Bond-Film, der am Wochenende im Fernsehen lief. Da sie recht schnell gingen und Duncan mit seinen Freunden recht gemütlich schlenderte, überholten die drei sie kurze Zeit später. Dabei kreuzten sich Duncans und Chris’ Blicke, als dieser sich zu ihm drehte. Dabei funkelten sie sich gegenseitig finster an. Dann drehte sich Chris wieder seinen Freunden zu und lief schnellen Schritts weiter.

Für diesen Blick hätte Duncan am liebsten wieder etwas angestellt, aber er wollte sich zusammenreißen, besonders da sie auf einer öffentlichen Straße waren. Dennoch war es sehr verlockend. In seinen Kopf wucherten schon genaue Vorstellungen von dem, was er mit ihm veranstalten wollte.

Von seinen Gedanken hin- und hergerissen, bemerkte er nicht, wie das Auto seiner Mutter auf der Straße links von ihnen vorbeifuhr und sich in die nächste Parklücke stellte.

„Duncan, ist das nicht deine Mutter?“, wunderte sich Angie und zeigte ihm das Auto, dessen Motor gerade ausging.

Aus seinen Träumen gerissen, sah er erschrocken zum Auto. Seine Mutter stieg nun aus. Bei ihrem Anblick verwandelte sich der erste Schreck in eine böse Vorahnung. Er konnte sich nur einen Grund vorstellen, wegen dem sie hier sein könnte. Es musste damit zu tun haben, dass er seine Kräfte eingesetzt hatte. Aber woher sollte sie es wissen? Duncan bekam ein ungutes Gefühl aufgrund seines schlechten Gewissens.

Die Gruppe näherte sich Dine, welche ihnen entgegenkam. Sie sah nicht besonders erfreut aus, sondern vielmehr erzürnt. Als sie sich trafen, sagte Dine in aufgesetzt freundlichem Ton zu Duncans Freunden: „Würdet ihr uns bitte allein lassen?“

Sie nickten und liefen weiter. Damit war Duncan gar nicht einverstanden. Er fühlte sich unwohl in der Gegenwart seiner Mutter, jedenfalls im Moment.

„Komm’ mit!“, forderte sie ihn erbost auf und lief auf das Auto zu. „Steig ein! Das Fahrrad kannst du abstellen.“

Duncan lehnte das Fahrrad gegen eine Straßenbeleuchtungsstange und stieg anschließend in das Auto. Während er die Tür öffnete, sah er Chris, wie der ihn im Laufen zurückschauend beobachtete und sich mit seinen Kumpanen darüber belustigte. Als die Tür zuflog verschwanden sie hinter der nächsten Ecke.

Im Auto wurde es still, als die Türen geschlossen waren. Das Geräusch der fahrenden Autos verklang und das Rauschen des Windes verstummte. Die Ruhe vor dem Sturm machte ihm Angst. Seine Mutter starrte die Frontscheibe an, wobei sie aussah, als wolle sie sich beruhigen, bevor sie zu sprechen anfing. Erst als auch seine Freunde um die Ecke verschwunden waren, begann sie angestrengt ruhig: „Kannst du mir erklären, warum du deine Kräfte, ohne Grund, vor all den Menschen eingesetzt hast? Hast du nicht versprochen, das auf keinen Fall zu tun?“

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Duncan leise, auf seine Knie schauend.

„Es tut dir leid? Duncan, versteh’ doch“, verzweifelte sie. „Es ist gefährlich, wenn du deine Kräfte in der Öffentlichkeit einsetzt. Dieser böse Zauberer kann dich dann aufspüren und wenn er merkt, dass du nicht zu Hause bist, somit ohne unseren Schutz, dann wird er dir sicherlich einen Dämon auf den Hals hetzen. Das wäre sowohl riskant für dich als auch für die Personen mit denen du zusammen bist. Hinzu kommt, dass es jemand hätte mitkriegen können. Daran hast du wohl auch nicht gedacht. Mensch, du musst langsam anfangen an die Konsequenzen zu denken.“

Als ihm die verhängnisvollen Folgen seiner Taten so offen auf dem Tisch präsentiert wurden, wünschte er sich aufrichtig nicht gezaubert zu haben, doch das war nun zu spät. „Ich hätte es nicht tun sollen.“

„Nein, das hättest du nicht. Schön, dass du es wenigstens einsiehst.“ Dine hatte sich jetzt abreagiert, nachdem sie alles losgeworden war, doch einen Vorwurf hatte sie ihm noch zu machen. „Was mich jedoch am meisten enttäuscht hat, war nicht, dass du gezaubert hast, sondern der Grund dafür. Es war sehr unfair und... du weißt schon, was ich meine. Ich hoffe, du denkst darüber nach. Diesen Jungen so zu demütigen!“

„Ja“, sagte er gequält, wendete jedoch noch ein: „Aber er hat mich auch provoziert.“

„Das ist noch lange kein Grund, deine Überlegenheit dermaßen auszunutzen.“

„Er hat dich aber die ganze Zeit beleidigt! Sollte ich das einfach so hinnehmen?“

„Es ist egal, was er getan oder gesagt hat. Man nutzt diese Macht nicht aus, da gibt es nichts dran zu rütteln“, sagte Dine leicht betroffen von der Erkenntnis, dass Duncan sie verteidigt hatte.

„Ich weiß“, sah Duncan ein. Beim aus dem Fenster Schauen sprach er den Gedanken aus, der seit der Ankunft seiner Mutter in seinem Hinterkopf herumschwirrte: „Woher weißt du eigentlich davon?“

„Nun ja.“ Sie überlegte kurz, was sie ihm sagen sollte, bevor sie weitersprach: „...ein Bekannter hat eine Art Kristallkugel, mit der er dich beobachtet.“ In Wirklichkeit war es Großvater, der ihr durch seine Kristallkugel Bescheid gegeben hatte, dass Duncan von seinen Kräften auf unsoziale Weise Gebrauch gemacht hatte.

„Was? Ihr lasst mich beschatten?“, erschrak Duncan entrüstet.

„Stell dir doch mal vor, dich greift jemand an, während du außer Haus bist! Du wärst auf dich allein gestellt ohne den Bekannten, der uns kontaktiert, sobald er etwas sieht. Erst dadurch wissen wir, wann wir dir zu Hilfe kommen müssen.“

„Na schön. Ihr hättet es mir aber sagen können!“, sagte er etwas gekränkt. Ihm gefiel es nicht, dass er zu jeder Zeit beobachtet wurde. „Und wer ist dieser Bekannte?“

„Später! Ich muss jetzt zurück zur Arbeit, meine Pause ist gleich vorbei. Von jetzt an setzt du deine Kräfte nur noch ein, wenn du uns um Erlaubnis gefragt hast! Hast du das verstanden?“

„Ja“, sagte er beschämt. „Bei Gefahren muss ich aber.“

„Du weißt genau, was ich meine! Und jetzt geh zurück zur Schule. Bis nachher!“ Normalerweise lächelte sie beim Abschied, doch heute blickte Dine ernst. Sie war sehr enttäuscht.

„Bis dann“, verabschiedete sich Duncan und stieg mit einem noch schlechteren Gewissen wieder aus. Zu spüren, wie seine Mutter auf diese Weise auf ihn reagierte, war entsetzlich für ihn.

Er nahm sein Fahrrad und folgte seinen Freunden schleunigst zur Schule. Seine Mutter sah er weder ausparken, noch an ihm vorbeifahren. Er überlegte sich stattdessen eine Ausrede für seine Freunde, da sie mit Sicherheit nachfragen würden, was sie Wichtiges gewollt hatte. Nachdem er eine parat hatte, fragte er sich, was Chris wohl dachte und wie er auf dessen kommenden Kommentar reagieren sollte. Der Tag entpuppte sich als ein reiner Parcours aus Unannehmlichkeiten und schwierigen Situationen.

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