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Verstecktes Leben im Abseits - Tabuthema Homosexualität in der Männerdomäne Fußball

Kapitel 4 - Defensives Maskenspiel

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Informationen

 

Ich hatte nie das Bedürfnis, besonders männlich zu erscheinen. Ich wollte erwachsener wirken, als es mein Alter sagte, doch das lag daran, dass in meiner Mannschaft alle älter waren. Außerdem wollte ich von Dirk hoch angesehen werden. Doch das alles hatte für mich nichts mit Männlichkeit zu tun.

Diese Ansicht änderte sich immer weiter, denn je häufiger ich die Sprüche hörte, desto mehr fing ich an, darauf zu achten, was ich tat, wie ich sprach, wie ich mich bewegte. So sehr ich auch versuchte, zu verdrängen, dass bei mir etwas anders war, so wenig schaffte ich es. Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch letztendlich kam ich nicht darum herum, zu erkennen, dass mich Mädchen nicht in dem Maße interessierten, wie es normal für mein Geschlecht und Alter gewesen wäre.

Ich hatte nie sonderlich viel über Mädchen geredet, doch allmählich fing ich damit an. Ich schaute ihnen bewusst hinterher und wenn ich mit Freunden im Zeitungsladen war, stahlen wir uns ab und an zu den Pornoheften, bei denen ich mich fast zwingen musste, auf die blanken Brüste zu starren und sie toll zu finden. Wir redeten hier über den Hintern der Freundin eines Mannschaftskameraden und da über den tiefen Ausschnitt der großen Schwester eines anderen. Ich wurde gut darin, lernte viele Sprüche und entsprechende Blicke. Eigentlich ist es ganz einfach, wenn man es sich bei den anderen abgucken kann.

Auch auf dem Spielfeld wurde ich vermeintlich männlicher. Ich ging grober in Konfrontationen hinein und gewann bald fast jedes Zweierduell. Ich stürmte mit einer solchen Kraft auf das Tor zu, dass mich kaum einer aufhalten konnte, sei er noch ein paar Jahre älter als ich, und wenn ich den Ball trat, dann legte ich meine ganze Kraft hinein. Ich verzog keine Augenbraue, wenn ich mir wieder eine Prellung oder Schürfwunde holte, und ich tat eine blutende Lippe als lächerlich ab.

Im Endeffekt tat ich alles, um nicht schwul, sondern richtig männlich zu wirken, und es ist vielleicht genau diesem Verhalten zuzusprechen, dass ich letztendlich so erfolgreich wurde.

Als ich gerade fünfzehn geworden war, wurde der Coach einer Nachwuchsmannschaft für einen Zweitligaverein auf mich aufmerksam. Ihm gefielen besonders mein energisches Zweikampfverhalten und mein torsicherer Schuss. Er warb mich ab und somit wechselte ich nach nicht mal einem Jahr schon wieder den Verein. Dieses Mal war ich alt genug, um nicht als das Kücken zu gelten, außerdem war ich mittlerweile selbstbewusster in meinem Auftreten. Dennoch wollte ich meine Mannschaft nicht verlassen, denn ich glaubte, dass ich Dirk unheimlich vermissen würde. Ich hatte das Bedürfnis, mich dagegen aufzulehnen und zu kämpfen, doch ich tat es nicht, denn dadurch wäre ich nur unnötig aufgefallen. Dabei realisierte ich wohl nicht, dass ich einfach nur ein wenig dagegen abgeneigt war, schon wieder in eine Menge fremder Leute geworfen zu werden. Mit Dirk hatte das rein gar nichts zu tun, weshalb ich ihn letztendlich so schnell vergaß, wie ich mich angeblich in ihn verliebt hatte.

Und ich begriff schnell, dass die erneute Veränderung wirklich positiv war, denn sie bedeutete doch, dass ich auf dem wohlmöglich besten Weg war, nach ganz oben zu kommen. Dennis und ich malten es uns in den schönsten Farben aus. Längst ging es nicht mehr nur darum, dass ich einfach auf dem Spielfeld stehen wollte, weil es mir einen solchen Spaß bereitete, mittlerweile hatte ich einen Traum. Ich wollte Fußballprofi werden, einer der ganz großen! Ich würde dafür alles tun!

Alles tun, heißt, sich selbst zu verleugnen. Wenn man nicht genau so ist, wie einen die Gesellschaft haben will, versucht man, es zu werden. Ich war junge Fünfzehn und somit in der Zeit, in der einen das Umfeld und Leben noch sehr stark prägt. Außerdem versucht man schon unter normalen Umständen in dem Alter, sich seinen Mitmenschen und deren Wünschen anzupassen, zumindest dann, wenn man kein Rebell ist – und das war ich ganz sicher nicht. Aber ich war ein Schmutzfleck, denn so sah ich mich selbst. Ich wollte genauso rein und richtig wie alle anderen sein, dabei hatte ich nicht mal einen wirklichen Makel, außer dass ich eher den Männern zugeneigt war – natürlich traf mich damit bei den No-Gos im Fußball ausgerechnet das Schlimmste.

Sich bloß nicht zu verraten, zermürbt einen mit der Zeit. Wenn man immer darauf achtet, sich vermeintlich normal zu geben, kann man kaum noch frei fühlen. Man kontrolliert sich in jeglichem Moment und achtet darauf, bloß nie die Maske fallen zu lassen. Und man fühlt sich verfolgt, beobachtet, kontrolliert. Man glaubt bald, dass einem jeder an der Nasenspitze ansehen kann, dass man ein perverser Schwuler ist. Würde man die Fassade fallen lassen, gingen sie auf einen los. Sie warten nur darauf, über dich herzufallen, dich erniedrigen zu können und dir alles zu nehmen, was dir wichtig ist.

Irgendwann sind es genau diese Wahnvorstellungen, die einen verfolgen. Ständig achtet man auf seine Schritte und hat das Gefühl, hinter jeder Ecke lauern die Angreifer. Man hat Angst, eingeholt zu werden von seinem Innersten und damit sein Gesicht zu verlieren. Also achtet man noch mehr auf jede Handlung, jedes Wort, jeden Blick, so sehr, dass man bald selbst nicht mehr weiß, was eigentlich die Wahrheit ist. Bald schon ist es unmöglich, sich selbst noch zu fühlen.

Ich war noch immer mit Natalie zusammen, als ich in den neuen Verein kam. Durch den erneuten Wechsel war ich zunächst gereizter und forscher als sonst. Wir stritten uns oft und sahen uns immer weniger, was man aber auch damit erklären konnte, dass ich fast jede freie Minute trainierte. Natalie wollte das nicht verstehen und war oft wütend auf mich, was wiederum ich nicht verstehen konnte. Sah sie nicht, dass ich auf dem besten Weg war, ein Profi zu werden?

Doch, natürlich sah sie das. Ich war hingegen zu blind, zu merken, dass ich mich selbst auf dem Weg dorthin kaputt machte. Das lag vor allem daran, dass ich wieder Gefühle entwickelte, dieses Mal ernste, wahre Gefühle. Dieses Mal ging es nicht um ein Idol, um niemanden, den ich bewunderte. Vielmehr war er ein einfacher Junge, Teil meiner neuen Mannschaft, ein stiller, unauffälliger Bursche, mit dem ich mich aber schon schnell gut verstand. Dass ich jedoch tatsächlich Gefühle für den sechzehnjährigen Karim entwickelte, wollte ich dabei lange nicht sehen.

Karims Eltern kamen aus der Türkei. Mein Vater hatte zu Beginn ein bisschen Probleme damit, wenn ich ihn besuchen ging, und ich verstand nicht, wieso das so war. Meine Mutter konnte ihn allerdings immer wieder beschwichtigen und so akzeptierte er wenigsten irgendwann die Freundschaft.

Mit Karim schaute ich mir fast jedes Spiel der Europameisterschaft an, welche gerade begonnen hatte. Darüber vernachlässigte ich nicht nur Natalie, sondern auch Dennis. Er sagte es mir einmal, doch ich stritt es ab, nahm es nicht wahr. Ich merkte nicht, dass ich kaum noch Zeit mit jemand anderem verbrachte, da mir die Stunden mit Karim immer viel zu kurz vorkamen und ich noch viel länger bei ihm sein wollte.

In unserer Mannschaft nahm Karim meist die Position des linken Mittelfeldspielers ein. Auf diese Weise hatten wir auch während des Spiels viel miteinander zu tun und wurden ein ziemlich gutes Team. Karim wusste bald, wie er mir die Bälle zuspielen musste, damit ich sie gut verwandeln konnte. Es war die pure Freude für mich, mit ihm auf dem Platz zu stehen.

Ohne es zu merken, drehte sich bei mir bald alles nur noch um Karim. Bewusst hatte ich keine sexuellen Gefühle ihm gegenüber, was aber wohl auch daran lag, dass ich mir jegliches Denken in die Richtung verbot und es hinter meiner fast perfektionierten Maske verbarg. Nur wenn ich mit Natalie schlief, kam es ab und an oder öfter durch, doch das verdrängte ich danach sofort wieder und redete mir ein, dass ich nur aufgrund meiner hübschen Freundin, um die mich alle beneideten, solch einen Spaß gehabt hatte.

Mit Karim redete ich nie über Sex. Tatsächlich hatte ich es ein einziges Mal versucht, doch er hatte sehr zurückhaltend auf das Thema reagiert und mir somit deutlich gemacht, dass es ihm unangenehm war, darüber zu sprechen. Aber ich wusste, dass er keine Freundin hatte, und der Gedanke gefiel mir sehr, solange, bis es da dieses eine Mädchen gab, welches an Karim Interesse zeigte. Ich hätte ihr am liebsten die Augen ausgekratzt und am nächsten Abend machte ich sie stundenlang vor Natalie schlecht. Diese verstand natürlich überhaupt nicht, was ich gegen das nette Mädchen hatte, schüttelte immer wieder den Kopf und verführte mich schließlich, weil sie keine Lust mehr hatte, sich mein Gemecker anzuhören.

Ohnehin innerlich irgendwie erregt aufgrund meiner Wut und unterbewussten Eifersucht, war es für Natalie nicht schwer, mein Gerede zu stoppen. Schnell riss ich ihr die Kleider vom Leib und kaum hatte sie mir das Kondom übergezogen, stieß ich sie zurück aufs Bett und drang hart in sie ein. Ich schrie und stöhnte und hatte meinen Spaß, so sehr, dass ich nicht merkte, wie sie irgendwann still unter mir wurde und mich einfach gewähren ließ. Erst danach, als ich sie in den Arm nehmen wollte, distanzierte sie sich von mir, stand auf und schlang sich die Decke um den nackten Körper. Jetzt sah ich die Tränen.

Sie habe schon immer gewusst, dass irgendwas komisch sei, das war ihre erste Aussage und sie machte mir sofort Angst damit. Sie schüttelte den Kopf und redete auf mich ein, und ich verstand nicht, was sie von mir wollte, nur dass sie das nie von mir erwartet hatte, dass sie enttäuscht von mir war und mich nie wieder sehen wollte. Als ich dann endlich aus ihr heraus bekam, was denn eigentlich los sei, traf es mich selbst wie ein Schlag: Ich hatte während des Sexes Karims Namen gestöhnt. Ein eindeutigeres Zeichen brauchte es nicht; auch ich verstand es.

„Haben Sie es nicht abgestritten?“

„Doch, natürlich ... aber sie glaubte mir nicht. Wie sollte ich es auch erklären? Außerdem war ich selbst ja total schockiert, weil mir bis dahin gar nicht bewusst gewesen war, dass ich Gefühle für Karim hatte ...“

„Wie ging es dann weiter mit Natalie? Hat sie es jemandem erzählt?“

„Nein, zum Glück nicht. Aber sie trennte sich natürlich sofort von mir und sagte, ich solle ihr nicht mehr unter die Augen treten oder sie würde es allen sagen ...“

„Hatten Sie seither noch mal Kontakt mit ihr?“

„Ja. Letzten Monat habe ich sie angerufen. Ich hatte eigentlich immer das Bedürfnis, noch mal mit ihr über die Sache zu sprechen, aber dann hätte ich auch zugeben müssen, dass ich schwul bin. Deshalb habe ich es nie gekonnt ...“

„Wie ist das Gespräch gelaufen?“

„Sehr gut. Sie ist glücklich verheiratet und hat ein Kind. Wenn ich das nächste Mal in der Stadt bin, wollen wir uns treffen ...“

„Das klingt gut. Und wie ging es mit Karim weiter?“

„Tragischer als man vermuten mag ...“

Meine erste Reaktion, nachdem Natalie hinter mein Geheimnis gekommen war, war, mich von Karim zu distanzieren. Plötzlich sah ich mich selbst als größte Gefahr an, zumal ich wieder Single war. Ich hatte Angst vor mir, vor ihm, vor meinen Gefühlen, denen ich mir nach und nach bewusst wurde. Also ging ich ihm aus dem Weg, duschte erst dann, wenn er bereits fertig war, versuchte, nie gleichzeitig mit ihm in der Umkleidekabine zu sein.

Es dauert nicht lange, da war es nicht nur ihm mehr als bewusst, sondern auch allen anderen. Im Grunde waren Karim und ich ein Herz und eine Seele gewesen, ein untrennbares und unschlagbares Zweiergespann. Doch plötzlich wollte ich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das konnte sich niemand erklären, am wenigsten natürlich Karim selbst. Immer wieder versuchte er, mit mir das Gespräch zu suchen. Er fragte wieder und wieder was denn geschehen sei, was er falsch gemacht hatte, warum ich ihn nicht mehr leiden konnte. Ich sagte ihm zwar, dass letzteres nicht der Fall war, aber er glaubte mir nicht, weil ich ihm dennoch weiter aus dem Weg ging.

Auch meine Eltern wunderten sich, was passiert war, und Sophie, die mittlerweile frühreife zwölf Jahre alt war, versuchte immer wieder, mit mir darüber zu sprechen. Letztendlich war sie auch die einzige, die mich wegen der Sache weinen sah, ein einziges Mal nämlich, nachdem Karim mal wieder versucht hatte, mich anzurufen und ich ihn sofort abgewimmelt hatte.

Schon seit Wochen war ich wütend auf mich selbst, vermisste Karim ständig und jede Minute und schaffte es oft abends nicht einzuschlafen, weil ich an ihn denken musste oder mich die Lust überkam und ich einfach nicht anders konnte, als mich in Gedanken an ihn selbst zu befriedigen. Dann fühlte ich mich nur noch dreckiger und ekelhafter und hasste mich noch so viel mehr. Dies hielt nun schon Wochen an und noch immer wollte Karim keine Ruhe geben. Also hatte ich ihn am Telefon angeschrien und gesagt, dass ich auf einen Türken keinen Bock hätte. Dabei hatte seine Abstammung für mich nie auch nur eine Sekunde lang eine Rolle gespielt. Im Gegenteil, fast mochte ich sein leicht anderes Aussehen. Doch das wusste er nicht, also hatte er mich am anderen Ende beschimpft und war dabei in Tränen ausgebrochen. Sofort hatte ich aufgelegt und den Hörer angeschrien, ehe ich merkte, dass auch bei mir die Tränen liefen. Im selben Moment kam Sophie rein, die mich gehört hatte, und fand mich aufgelöst vor. Zuerst wollte ich es verstecken und tun, als sei nichts passiert, doch es klappte einfach nicht, erst recht nicht, als sie zu mir aufs Bett krabbelte und ihre Arme um mich legte. Zum allerersten Mal sah sie ihren großen, starken, ach so männlichen Bruder heulen und sie war in dem Moment die beste kleine Schwester, die ich mir vorstellen konnte.

Man ist gerne ein guter Mensch. Man macht gerne alles richtig, lebt nach den Vorstellungen anderer, um nicht aufzufallen und versucht, sich anzupassen. Man versucht, etwas zu sein, das man nicht ist, trägt eine Maske und kann diese vor niemandem abnehmen.

Das beschreibt so ziemlich, wie ein schwuler Fußballer lebt, zumindest dann, wenn er plant, voran zu kommen. Und ich kam voran. Das, was sich viele junge Fußballer wünschen, war für mich tatsächlich ein greifbarer Traum und er kam immer näher.

Wochen nach meiner Trennung mit Natalie rief mich der Coach zu einem Gespräch zu sich, um mir zu sagen, wie ich mich gesteigert hätte. Ich wäre noch stärker geworden, vor allem in den Zweikämpfen, meine Schusstechnik wäre voll geballter Energie und meine Bälle könne man kaum halten. Er war unheimlich stolz auf mich, während ich ihm nur schweigend zuhörte. Ich wusste genau, woran es lag, dass ich mich nochmals verbessert hatte. An meiner Wut auf mich selbst und vor allem daran, dass ich beim Spiel für ein paar Minuten alles vergessen konnte. Hier lenkten mich keine dreckigen Gedanken ab, hier konnte ich einfach Spaß haben. Und genau das hatte ich und deshalb ging ich darin auf, zumindest die paar Minuten auf dem Spielfeld. Alles abseits davon war eine andere Geschichte.

Der Coach kannte die Hintergründe natürlich nicht und sah nur meine Leistungen. Er sprach davon, wie ich bald noch weiter kommen könnte und dass bereits andere Vereine an mir Interesse zeigten. Ob ich das EM-Finale gesehen hatte, wollte er wissen, und er verglich mich mit dem Spieler, der das Siegestor geschossen hatte. Freilich eine große Ehre und ich freute mich auch darüber, doch als ich sein Büro verließ, fühlte ich mich einsam, denn zu dem Menschen, dem ich das nun am liebsten erzählt hätte, zu dem konnte ich nicht gehen. Also rief ich Dennis an und erzählte es stattdessen ihm. Er freute sich natürlich für mich, aber er verhielt sich anders als Karim es getan hätte. Ich konnte das nicht mal an irgendwelchen Aussagen festmachen, ich wusste es einfach. Und als wir aufgelegt hatten, fühlte ich mich noch leerer. Ich fragte mich, warum es so weit gekommen war. Warum hatte ich diese widerlichen Gefühle entwickelt? Warum ausgerechnet für ihn? Hatte ich nicht Dirk toll gefunden?

Ich lag Zuhause auf meinem Bett und verspürte so sehr den Drang danach, mit Karim zu sprechen, dass es fast wehtat. Was wäre, wenn ich dieses Gefühl ausstellen könnte? Konnte ich sie nicht einfach ignorieren und mit ihm weiter so befreundet sein, wie ich es bisher gewesen war? Er musste nichts davon erfahren und ich würde mir eine neue Freundin suchen, um ihn schnell wieder zu vergessen. Wir würden weiter unseren Weg nebeneinander gehen und ich würde nichts verlieren, außer einem kleinen Teil von mir selbst. War es das nicht wert?

Ohne noch länger zu grübeln, stand ich auf und sagte meinen Eltern, dass ich die Nacht bei Karim schlafen würde. Sie waren verständlicherweise mehr als überrascht, doch ich erklärte nichts und fuhr stattdessen mit dem vorletzten Bus in die benachbarte Kleinstadt. Vor der Tür stehend, zögerte ich nur ganz kurz, doch ich hatte meinen Entschluss gefasst. Ich wollte meinen Freund zurück, wollte den Menschen zurück, mit dem ich meine große Freude am liebsten teilen wollte. Und genau das sagte ich ihm, als seine Mutter mich rein gelassen hatte und er überrascht vom Bett aufgesprungen war. Ganz unmännlich umarmte ich ihn und sagte ihm, dass er mein bester Freund sei. Ich wäre auch seiner, meinte er erleichtert, und obwohl wir die ganze Nacht durchquatschten, forderte er nicht ein einziges Mal eine Erklärung von mir.

„Das ist doch schön. Aber sie meinten, es wäre eine tragische Geschichte ...“

„Ja, das ist es auch ...“

„Hat er von Ihren Gefühlen erfahren?“

„Nein, ich habe es sehr gut geschafft, sie zu verbergen ...“

„Und was war dann das Problem?“

„Naja ... sechs Wochen nach unserer Versöhnung sagte Karim mir, dass er schwul ist.“

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