zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Kann Sehnsucht krank machen?

Dritter Teil

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort

Hey liebe Leser und Leserinnen ;-)!!

Nun soll es endlich weitergehen mit dem dritten Teil. Auch wenn es wie eine Wiederholung klingt aber habt recht vielen Dank für Eure Feedbacks – sie sind wie heilendes Wasser auf meine wundgetippten Finger *fg*.

Ja, ich hör ja schon auf zu Quatschen, nun schaut endlich, was der Anhang enthält – Eure Spekulationen waren ja sehr unterschiedlich.

Somit viel Spaß beim Lesen wünscht Euch

jR

 

Der Anhang war eine Zipdatei und gab dann ein Bild preis. Da es ziemlich groß war, baute sich das Foto nur sehr langsam auf dem Bildschirm auf …

… mein Traum brach zusammen …

… aus meinem schnuckeligen, schwarzhaarigen, verstrubbelten Boy wurde ein dickliches Etwas! Geschockt saß ich vor dem PC.

Dieser Junge dort sollte Raphael sein? Nein, bitte nicht! Strähnige, hellbraune Haare, undefinierbare, helle Augen, starke Akne und eine pummelige Figur, die er durch seine weite Kleidung etwas kaschieren wollte. Das Ganze traf mich doch sehr unvorbereitet.

Können Enttäuschungen so schmerzen? Ich konnte diesem Bild nix abgewinnen. Was mich aber viel mehr traf – ich fand diesen Jungen auf Anhieb sehr unsympathisch! Es passte nicht, es passte wirklich nicht zusammen. Noch immer unter Schock machte ich meinen PC aus und warf mich auf mein Bett. In Ruhe versuchte ich Für und Wider abzuwägen. Vor meinen Augen blieb hartnäckig mein Traumbild, ich konnte es einfach nicht mit dem anderen Bild ersetzen – ich wollte nicht!!!

»Guten Morgen, mein Sohn«, hörte ich die tiefe Stimme meines Vaters. Erschreckt fuhr ich hoch.

»Hast Du etwa in Deinen Klamotten geschlafen?«, der sorgenvolle Ton war bei ihm sehr gut herauszuhören.

Verschlafen rieb ich mir die Augen »Muss wohl« und wollte mich wieder in mein Kissen vergraben. Ich war hundemüde, total zerschlagen und mein Kopf brummte.

»Nix da Sohnemann. Raus aus den Federn – eine kalte Dusche wird Dir gut tun!«, kam es fröhlich von ihm. Jetzt galt es sich schnellstens zu bewegen, denn mein alter Herr hatte es wirklich drauf, mich unter die kalte Dusche zu setzen – Tim und ich konnten von solchen Maßnahmen ein Lied singen!!

Nach einer warmen Dusche ging es mir nicht wirklich besser, vielleicht hätte ich doch kaltes Wasser nehmen sollen! Meine Mutter machte auch noch ein paar anzügliche Bemerkungen zu meinen neuen Schlafklamotten, die konnten aber auch nichts für sich behalten. Als sie aber merkte, dass meine Stimmung im Keller war, ließen sie mich Beide in Ruhe. Und ich war richtig Scheiße drauf. Je länger ich über meine Mailfreundschaft mit Dark nachdachte, desto deprimierter wurde ich. Ohne Grund hatte ich dem Bild jetzt wieder den Namen Dark gegeben, ich wollte immer noch nicht akzeptieren, dass DAS Raphael sein sollte!!

Man und wer brauchte heute Schule?? Die gingen mir nur alle auf den Keks. Sollte Tim doch seine Freundin fi…, mir konnte er gestohlen bleiben. ‚Na fast‘, seufzte ich einen Augenblick später. Nur eine Person ließ mich natürlich nicht in Ruhe. Svenja nervte so lange, bis sie ihren Willen hatte. Ich versprach ihr, heute Nachmittag bei ihr vorbeizuschauen und mit ihr zu quatschen. Danach ließ sie mich in Ruhe und ich hing weiter meinen dunklen Gedanken nach.

Und auf einmal saß ich wieder vor meinem PC und sah auf einen leeren Bildschirm. Ich konnte ihm einfach nicht schreiben! Tja und ihm die Wahrheit schreiben, das konnte ich schon lange nicht. Entnervt schaltete ich die Kiste wieder aus und verließ fast fluchtartig die Wohnung. Mein Weg führte mich unbewusst zu Svenja. Okay sie wollte wissen, was los war – sollte sie haben.

Ich klingelte etwas später bei ihr und der Summer der Schließanlage ertönte. Oben hörte ich Franka schon bellen, aber sie flößte mir schon seit einer Weile keine Angst mehr ein. Ein kleines ungutes Gefühl war geblieben, doch nach einer Streicheleinheit war die Hündin meistens beruhigt und mein Gefühl verflogen. Nach wie vor mit mir im Unklaren stieg ich missmutig die Treppen hoch. In der offenen Tür hinter Franka stand aber nicht Svenja, nein.

Da grinste mich jemand mit knallroten Haaren an. FELIX!! Als ich ihn so sah, die grau-blauen Augen leuchten und ein freches Lachen im Gesicht, wurde mir wieder ganz schwummrig.

»He Kleiner, sieht man Dich auch mal wieder!«, feixte er.

»Nicht meine Schuld«, knurrte ich, zum Scherzen war mir wirklich nicht. Prüfend sah er mich an und versperrte mir den Weg.

»Probleme?«

»Blitzmerker!«

»Dann rede darüber und lass es nicht an Unschuldigen aus!«, sagte er und sein Tonfall war eine Spur ernster geworden. Des Weiteren machte er Platz und ich schob mich in den Flur. Franka hopste um mich rum und als ich sie nicht streichelte, stupste sie meine Hand an. Warum mussten Frauen immer ihren Willen durchsetzen??? Mehr widerwillig erledigte ich meine Pflicht und streichelte sie.

»Ja, ja wir Männer sind pflegeleichter«, hörte ich Felix sagen und drehte mich zu ihm um. Konnte man wirklich wie in einem offenen Buch in mir lesen? Zweifelnd sah ich ihn an.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, antwortete ich ihm.

»Ist Deine Schwester da?«

»Oh, seit wann ziehst Du denn wieder Frauen vor?«, schmunzelte er.

»FELIX!!!«

Dieser entrüstete Ausruf kam nicht von mir. Svenja stand in ihrer Tür und die Stirn war sturmumwölkt. Ihre Augen blitzten kampflustig zu ihrem Bruder und der sah sofort, dass er sehr schlechte Karten hatte. Wortlos drehte er sich um und ging in sein Zimmer. Mir tat es sofort leid, denn ich hatte mir ein erneutes Treffen mit ihm immer in meinen Träumen ausgemalt. So sollte es bestimmt nicht verlaufen!

»Jean, kommst Du?!«, riss sie mich aus meinen Grübeleien. Eine Weile saßen wir uns dann gegenüber. Ich wusste gar nicht, wie ich anfangen sollte. Meine Gedanken gingen soweit in meine Gefühlswelt, dass ich mir nicht sicher war, ob man das in Worte fassen konnte.

»Was ist gestern passiert?«, fragte sie mich unverbindlich. Zuerst erzählte ich zögernd, aber dann floss eins ins andere und ich versuchte ihr meine Empfindungen zu schildern. Sie zeigte keine Regung und so wusste ich auch nicht, ob sie alles so verstanden hatte, wie es von mir gemeint war. Ihre Frage traf mich dann unerwartet.

»Hast Du geantwortet???«, kam es ziemlich ernst von ihr.

»Nein!«

»Jean Neumann kannst Du Dir eigentlich vorstellen, was Raphael gerade empfindet?« Verwundert sah ich sie an.

»Man setzt doch mal Dein Hirn ein. Wie hast Du Dich denn gestern gefühlt, als Du Deine Mail auf Reisen geschickt hast? Du warst unruhig, unsicher und nervös! Und sind diese Empfindungen in der Stunde, die Du warten musstest, geringer oder größer geworden????«, hörte ich ihre eindringlichen Worte.

»Oh!« Zu mehr war ich nicht in der Lage.

»Ja oh. Kannst Du Dir nur annähernd vorstellen, wie sich Dein Freund nun nach einem Tag fühlt????? Er sitzt vor seinem PC und Du antwortest nicht, obwohl er Dich darum sogar noch einmal ausdrücklich gebeten hatte!«

»Scheiße?!«

»Das kannst Du laut sagen. Wenn er nur halbwegs so unsicher und sensibel ist, wie Du mir gerade geschildert hast, dann leidet er zurzeit Höllenqualen!!«, kam es sehr heftig von ihr.

»Also sitz hier nicht rum, sondern geh nach Hause und schreibe ihm endlich. Vorher will ich Dich nicht wieder sehen!« Diese Aufforderung war unmissverständlich. Zögernd stand ich auf und sah sie flehend an. Ich konnte ihm nicht schreiben. Unter keinen Umständen konnte ich ihm DAS schreiben.

»Und untersteh Dich, ihn anzulügen!« Peng, das hatte gesessen – wieso sah man mir meine Gedanken so deutlich an??

»Svenja …?«, fing ich noch einmal an.

»Nein!«, fuhr sie mich fast an, um dann besänftigend nachzuschieben, »Mensch Jean, Du bist ihm das schuldig und Dir auch!«. Okay, sie hatte ja Recht und mit müdem Schritt schleppte ich mich zur Tür.

»Warte, ich begleite Dich zur Haustür. Sonst wirst Du wieder Opfer von den Lippen meines Bruders«, versuchte sie mich aufzumuntern. Ich lächelte sie gequält an, denn nicht mal ein Kuss könnte mich jetzt entsprechend aufmuntern. Auf halben Weg stellte Svenja dann noch eine Frage, die mir noch gar nicht gekommen war.

»Was hat er eigentlich zu Deinem Bild gesagt?«, kam es von ihr.

»Ähmm …«, krampfhaft durchdachte ich noch einmal seine Mail, aber er hatte zu meinem Bild überhaupt nichts geschrieben. Warum war mir das nicht aufgefallen? War ich durch das Pic so durch den Wind?

»Nichts!«, stieß ich hervor. Verwundert sah sie mich an.

»Komisch. Du siehst doch …«, mitten im Satz brach sie ab und sah mich verlegen an, »hm, ich … meine …, egal, aber auch wenn er dasselbe empfinden würde wie Du und sein Traumbild zerstört wäre, hat er Dir wenigstens geantwortet. Falls Du Dich nicht dazu durchringen kannst, ihm schonungslos die Wahrheit zu sagen, musst Du wenigstens antworten!«.

»Ja, ja, ich hab das schon beim ersten Mal kapiert!«, rutschte mir so raus, war aber mit meinen Gedanken bei seiner Mail. Hatte ich bei ihm vielleicht ähnliche Reaktionen heraufbeschworen? An der Tür gab mir Svenja noch einen aufmunternden Klaps und dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. Kurze Zeit später saß ich wieder vor meinem PC und beim Hochfahren des Gerätes überlegte ich einen sinnvollen Anfang.

Ich fand keinen! Mir fehlten einfach die Worte – vielleicht sollte ich es doch mit der Wahrheit versuchen. Ein Blick in mein Postfach ließ mein Herz rasen. Raphael hatte geschrieben.

Jetzt hatte ich zu meinen Zweifeln ein richtig schlechtes Gewissen. Es war das erste Mal, dass ich mich nicht unbedingt über eine Mail von ihm freute, sondern eher vor dem Inhalt eine Angst verspürte. Zögernd öffnete ich die Mail und fing an zu lesen. Minuten später liefen mir dann die Tränen über mein Gesicht. Seine Zeilen waren so voller Selbstzweifel und Ängste und mit meiner Nichtantwort hatte ich das nur noch alles verstärkt. Diesmal äußerte er sich auch zu meinem Bild und seine Reaktion machte mir mein Antworten nicht einfacher. Raphael schrieb:

‚Du wirst wahrscheinlich irritiert gewesen sein, dass ich mich gestern nicht zu Deinem Bild geäußert habe. Aber das hatte einen guten Grund – ich war einfach zu perplex, um Dir meine Gefühle dazu zu schildern. Zuerst wollte ich Deine Reaktion zu meinem Aussehen lesen, dann hätte ich mich mit meiner auch nicht mehr zurückgehalten. Doch es scheint genau das eingetreten zu sein, was ich befürchtet habe. Dass Du die Mail noch nicht gelesen hast, kann ich nicht glauben – nein, ich weiß es sogar ziemlich sicher! Bist Du so erschüttert? Für mein Aussehen und meine Fehler kann ich nichts, somit kann ich mich auch für nichts entschuldigen. All diese Worte lösen nur mein Problem nicht, denn ich bin sehr durcheinander. Warum fragst Du – weil Dein Bild in mein Herz getroffen hat. Ich hatte mich so sehr davor gefürchtet, dass mein Traumbild von Dir dadurch zerstört würde, aber genau das Gegenteil trat ein. Genau so hab ich mir Dich vorgestellt.‘

Und nach diesem Satz hörte die Mail einfach ohne weitere Erklärungen und mit seiner Unterschrift auf. Er brauchte auch nichts erklären, denn wenn ich seinem Traum entsprach, konnte ich sehr gut nachvollziehen, wie es ihm ging.

Warum musste er soooooo aussehen? Wann hatte ich auch mal ein wenig Glück, nur ein bisschen, alles blieb mir verwehrt. Ich zwang mich zu einer Antwort, denn mein schlechtes Gewissen schien mich zu erdrücken und ich konnte diesen Jungen nicht leiden sehen. Trotz allem wusste ich nicht, wie ich meine Abneigung in Worte fassen sollte. So dankte ich ihm nur für das Bild, war aber immerhin so ehrlich zu schreiben, dass er nicht so aussah, wie ich mir ihn vorgestellt hatte. Ansonsten versuchte ich jegliches Gefühl aus der Mail herauszuhalten.

Ich fühlte mich elend und konnte eine ganze Zeit keinen klaren Gedanken fassen. Warum log ich Raphael an? Wer gab mir das Recht, mit seinen Gefühlen zu spielen?

Die nächsten zwei Tage waren der Horror. Raphael antwortete nicht auf meine Mail. Meine Nerven lagen so blank, dass nicht mal Svenja mich ansprach. Was ich dann nach diesen Tagen auf meinem Monitor las, ließ das Fass sprichwörtlich überlaufen. Der Schmerz, den ich empfand, bewirkte jedoch, dass mein Verstand wieder in Schwung kam. Raphael hatte nur einen Satz geschrieben, ohne Anrede, ohne Unterschrift.

‚Es tut mir leid, dass ich Dich enttäuscht habe und nicht Dein Traum bin‘

Dieser Junge hatte mir grenzenlos vertraut, hatte meinem Drängen nach einem Bild nachgegeben und ich reagierte so egoistisch darauf. Ich hatte ihn kennen gelernt, so wie sich mir noch nie ein Mensch gezeigt hatte. Wie konnte ich sein Vertrauen zurückgewinnen? Der erste Schritt war, dass ich ihm eine lange, eine sehr lange Mail schrieb und ihm alles schilderte, einschließlich meiner Gefühle. Ich war auch so ehrlich, dass ich ihm schrieb, wie groß meine Enttäuschung war, dass sein Bild so gar nicht zu meiner Vorstellung passte. Auch gab ich meiner Hoffnung Ausdruck, dass er mir verzieh und wir wieder unser gegenseitiges Vertrauen herstellen konnten.

Man, wie ich das hasste, nun wieder stundenlang auf eine Reaktion zu warten. Ich wollte ihn sehen, seine Augen, seine Miene. Wollte endlich jemanden in meine Arme schließen, aber ob das je Raphael sein würde, konnte ich für mich nicht entscheiden.

Das Ergebnis meiner Mail war – wir schrieben uns wieder regelmäßig, nicht mehr und nicht weniger. Unser Umgangston war nicht mehr so privat, was aber an Raphael lag. Er gab nichts mehr über sein Leben preis – er war wieder zu seiner lockeren lustigen Art zurückgekehrt. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass wir uns wieder schrieben, war es aber nicht. Vielmehr verfluchte ich mich immer mehr, dass ich die einmalige Gelegenheit verpasst hatte, diesen Jungen näher kennen zu lernen. Zu allem Überfluss gingen mir auch die Personen aus, mit denen ich mich darüber hätte unterhalten können. Christian hatte auf meine Mail nicht reagiert und auch die folgenden Versuche blieben erfolglos. Dieses Verhalten fand ich mehr als Scheiße, wenn er kein Bock mehr hatte, soll er mir das bitte mitteilen – wir waren doch immer ehrlich zueinander gewesen. Im Chat tauchte er auch nicht mehr auf, jedoch nahm ich an, dass er nur unter einem anderen Nick chattete. Tja und Svenja hatte mehr als deutlich gesagt, wenn ich mich wieder einbekommen hätte, könnte ich mich bei ihr melden. Zuerst war ich über ihre Reaktion sehr angepisst, aber nach einiger Zeit fühlte ich mich elend. Während meiner Horrorphase, als ich sehnsüchtig auf eine Mail von Raphael gewartet hatte, waren wir beide aneinander geraten und ich hatte ihr an den Kopf geworfen, dass mir ihre Besserwisserei auf den Keks geht. Mir tat das schon lange leid, aber entschuldigt hatte ich mich noch nicht.

Wie aus dem Nichts traf mich dann nach ca. drei Wochen ein Vorschlag von Raphael. Wenn ich nicht auf meinem Stuhl gesessen hätte …

Er schlug ein Treffen am nächsten Wochenende vor. Einfach so, ohne viel Erklärungen – völlig aus dem Zusammenhang der Mail gegriffen. Da stand es und ich war baff.

Was machte ich nur?

Ich brauchte Rat und das dringend!

Meine Entschuldigung war schon lange fällig und so machte ich mich auf den Weg zu Svenja. Sein Vorschlag passte einfach nicht in unseren Schriftverkehr, denn wir hatten uns wieder ein wenig voneinander entfernt. Außerdem hatte ich noch ein ganz anderes Problem. Beim Schreiben und Lesen der Mails hatte ich nach wie vor mein Traumbild von Raphael im Kopf, nicht sein Originalfoto – ich hatte es mir auch kein zweites Mal angeschaut, nur vergessen konnte ich es ebenfalls nicht.

Durch meine Gedanken bekam ich gar nicht richtig mit, wer mir die Tür bei Svenja geöffnet hatte. Franka stürmte mir sogar auf der Treppe entgegen – da hatte ich wohl zwei weibliche Herzen in dieser Familie erobert. Etwas geistesabwesend streichelte ich sie, mein Unbehagen vor Hunden war fast verschwunden.

»Hey Kleiner!«

Peng, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen, so plötzlich blieb ich stehen. Ich hob meinen Kopf und sah einen grinsenden Felix.

»Schön, dass Du mich besuchen kommst«, säuselte er mir weiter entgegen. Ich lief rot an und mir war sofort wieder ganz anders. Was hatte dieser Junge nur, das mich immer so nervös machte und ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte?

»Ähm …, eigentlich wollte … hmm … Svenja?«, stotterte ich zusammenhangslos herum. Gott lass mich sofort im Boden versinken – wie peinlich konnte man denn noch sein???

»Oh entschuldige, Du machst Dir ja nichts aus Jungs!«, neckte er mich weiter. Mehr Blut vertrug mein Kopf nicht und mir hatte es endgültig die Sprache verschlagen. Felix hatte wohl ein Einsehen und machte eine auffordernde Bewegung, in die Wohnung zu treten. Dabei musste ich an ihm vorbei und das sehr dicht. Sein unverwechselbarer Duft stieg mir sofort in die Nase. Ich hatte ihn ja erst einmal so nah gespürt, aber den würde ich nie vergessen.

»Svenja ist noch nicht da. Sie wollte etwas einkaufen und hatte nicht angedeutet, dass Du kommst!«, erklärte er mir in meinem Rücken und schob noch nach, »sonst hätte sie bestimmt wieder eine Aufgabe gefunden, um mich aus dem Haus zu komplimentieren!«. Bei den letzten Worten drehte ich mich dann doch um und Felix lächelte mich breit an. Ich wollte mich schon wieder dem Ausgang zuwenden, denn hier Bleiben und Warten würde der Horror sein.

»Aber Du kannst gerne auf sie warten!?«, kam postwendend die Einladung von ihm.

»Hm, lass mal. Wir waren nicht verabredet und wer weiß, wann sie wieder auftaucht!«, versuchte ich elegant einen Ausweg zu finden. Aber anstatt die Beine in die Hand zu nehmen, blieb ich wie angewurzelt stehen.

»Ach papperlapapp«, grunzte er, nahm einfach meinen Arm und zog mich hinter sich her. Er lotste mich nicht in Svenjas Zimmer, sondern schlug eine andere Richtung ein. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, die wohl in sein Zimmer ging, ließ er meinen Arm los und trat selber in das Zimmer.

»Willkommen in meinem Reich«, murmelte er. Doch halt mal, hörte ich da Nervosität heraus? Verwundert blieb ich im Türrahmen stehen, die jedoch nicht von seiner Stimmlage hervorgerufen wurde. Vielmehr sah ich mich überrascht in seinem Zimmer um. Die Einrichtung passte so gar nicht zu dem ausgeflippten Kerl, den ich bisher kennen lernen durfte. Es quoll über von Regalen mit Büchern. Ja, BÜCHERN und das passierte mir. Ich liebte Bücher. Leseratte war für mich bestimmt kein Schimpfwort. Fassungslos schlenderte ich an den Regalen entlang und überflog die Titel.

Harry Potter, Clancy, Grisham, Dan Brown, Ludlum …

Dazwischen tummelten sich Romane wie »Die Zwerge«, »Die Orks«, »Der Greif« und »Azrael« von Hohlbein. Hier stand ein absoluter Schatz und den einen oder anderen unbekannten Titel nahm ich in die Hand, um festzustellen, dass ich das Buch unbedingt lesen musste. Felix hatte fast den gleichen Geschmack wie ich. So langsam tauchte ich aus meiner Welt wieder auf und sah Felix immer noch in der Mitte des Zimmers stehen. Lächelnd hatte er meine Bewunderung seiner Bücher beobachtet, aber sein Blick war auch forschend auf mich gerichtet.

»Überrascht?«, kam seine Frage. Ziemlich heftig nickte ich mit dem Kopf.

»Was glaubst Du denn, woher mein Schwesterherz »Harry Potter 5« hatte??«

»Von Dir!«, echt blöde Antwort, denn sie war ja mehr als offensichtlich. Felix schmunzelte in sich hinein.

»Da hat sie wirklich alle Tricks angewandt, um mir den Band aus den Rippen zu leiern, bevor ich ihn gelesen hatte. Glaub mir, das ist mir noch nie passiert!«, amüsiert zuckte er mit den Schultern.

»Und das Beste war, ich wusste nicht mal, dass sie das Buch für solch einen Schnuckel benötigte!«

Na Danke, da hatten mich die Bücher ein wenig abgelenkt und nun das. Jetzt flirtete er ungeniert mit mir, man wie sollte ich darauf nur reagieren. Felix bekam mein Unbehagen sehr wohl mit und näherte sich mir ein wenig. Somit trat ich die Flucht nach vorn an.

»Ehrlich gesagt, hätte ich das hier nicht erwartet!«, sagte ich und zeigte auf die überfüllten Regale. Fast schlagartig nahm sein Gesicht einen verträumten Gesichtsausdruck an.

»Ich weiß, dass passt nicht so ganz zu meinem ausgeflippten Aussehen, oder?«, legte er zielstrebig den Finger in die Wunde. Ich brauchte darauf nichts zu erwidern, denn meine Miene war ihm Antwort genug.

»Nun ja, zur Zeit genieße ich mehr das Leben und nehme nur noch ab und zu ein Buch in die Hand, so quasi als Ruhepol. Jedoch gab es mal eine Zeit …«, seine Stimme war zum Schluss sehr leise geworden und er brach dann unvermittelt mit seiner Erklärung ab. Dieser Junge wurde immer interessanter, aber ich wollte nicht in ihn dringen. Irgendetwas sagte mir, wenn er nicht wollte, würde er es mir nicht erzählen. Nur schien er zu einem anderen Resultat gekommen zu sein.

»Jean, vielleicht ist es ja ganz gut, wenn wir mal drüber reden. Vor nicht so langer Zeit habe ich mich in meinen Bücher vergraben, hatte meine Welt darin gefunden. Eine Welt, die ich formen konnte, wie ich es wollte. Es war einfach herrlich, keine Schwierigkeiten, ein Happy End nach dem anderen. Nur …«, und nun sah er mir tief in die Augen, war ganz dicht an mich herangetreten »… nur es ist nicht die Wirklichkeit!«

Nach den letzten Worten drehte er sich weg. Verdaddert stand ich im Zimmer. Noch nie hatte jemand so tief in mich hineingeschaut und das auch in Worte gefasst. Ich war zum Antworten nicht fähig und musste ganz schön schlucken.

»Ich wollte Dir nur zeigen, dass ich sehr wohl weiß, wie es Dir zur Zeit ergeht. Also wenn Du wirklich mal jemanden zum Reden suchst, meine Tür steht Dir offen und …«, kamen die ersten Töne noch ernst rüber, schloss er mit einem Grinsen, »… natürlich steht Dir meine private Bibliothek ebenfalls zur Verfügung, wenn Du die Leihgebühr bezahlen kannst!!!«.

»Ähh, Leihgebühr???«, mir schwante ‚Fürchterliches‘.

»Will mal gnädig sein, aber Deine Lippen sind echt geil, also sagen wir ein Kuss für jedes Buch!«, hörte ich ihn flüstern »außerdem musst Du ja für die Zukunft üben!«. Ich stand mit offenen Mund da, man der Kerl machte mich echt kirre.

Mein Blick irrte verlegen durch den Raum, denn wenn ich Felix noch länger anstarrte, konnte er alles mit mir machen. Meine Augen blieben an einem Buch hängen, welches auf seinem Schreibtisch lag. Langsam ging ich näher. Ah, hatte ich mich doch nicht geirrt.

»He, Du liest auch Gable?«, fragte ich ihn.

»Klar, geile Bücher!«, hörte ich seine Begeisterung.

»Bücher??«, murmelte ich mehr zu mir, als zu ihm, denn ich hatte mir den Roman schon gegriffen. Den kannte ich noch nicht.

»Sie schreibt auch Krimis, aber Dich interessieren eher die historischen Romane, oder?«, mein Nicken bestätigte seine Vermutung.

»Komisch, wir beide scheinen ziemlich auf einer Wellenlänge zu liegen!«

»Welche kennst Du denn schon?«

»Meine Eltern haben mir zu Ostern ‚Das Lächeln der Fortuna‘ geschenkt. Man, das hatte ich in drei Tagen durch. Frag nicht, wie ich die Stunden in der Schule überlebt habe!«, grinste ich ihn an.

»Da haste gerade ‚Das zweite Königreich‘ in der Hand. Dann gibt es noch, warte mal kurz …«, bei diesen Worten kramte er auf seinem Tisch herum.

»Ah, hier hab ich es!«, kam es nach einer Weile und er legte das Buch vor mich hin. Ich hatte schon längst in seinem Stuhl Platz genommen und war ins Lesen vertieft. So bekam ich gar nicht seinen nächsten Satz richtig mit.

»Du kannst es gerne haben«, kam es lockend von ihm.

»Ja, ja«, murmelte ich lesend.

»Tja, die erste Leihgebühr ist mir sicher!«

Ich Trottel hörte es zwar, aber es stieß nicht bis zu meinem Verstand vor und was antwortete ich!!!

»Klar!« Ein besseres Eigentor kann man gar nicht versenken.

Man, in kürzester Zeit war ich von der Handlung gefesselt und vergaß meine Umwelt. Ich überflog nur so die Seiten, die Frau schrieb einfach genial …

… irgendetwas störte …

… es war still … es war zu still!!! ES war so ruhig, ich konnte nicht mehr weiter lesen. Vorsichtig lugte ich unter meinen Haaren hervor, die mir ein wenig in die Stirn gefallen waren.

Was machte Felix?

Der fläzte sich mir gegenüber auf seiner Couch und - beobachtete mich! Natürlich bekam er meinen verstohlenen Blick mit und lächelte leicht. Man das Lächeln war einfach nur süß. Herr Neumann nur nichts anmerken lassen, redete ich mir ein und widmete mich dem Buch.

‚Na klar, ist ja auch ganz einfach, konzentriert weiter zu lesen, wenn Felix mich mit seinen Augen fast auszieht!‘, ging es mir im Kopf rum. Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl herum.

»So Kleiner, ich muss mich für den Abend vorbereiten!«, mit diesen Worten stand er vom Bett auf.

‚Mein Gott, was hat er denn jetzt wieder vor? Er wird doch nicht …???‘, vorsichtig schaute ich zu ihm und …

... er machte es wirklich. Vor meinen Augen zog er sein Sweatshirt aus, das T-Shirt folgte kurze Zeit später. Mein Mund wurde mehr als trocken. Da entblätterte sich dieser Junge noch vor mir. Hilfe, was soll ich machen?? Hoffentlich sieht er wie ein Bär aus oder hat überall Pickel – weit gefehlt. Felix einen sportlichen unbehaarten Oberkörper mit Waschbrettbauch und makelloser weißer Haut. Jetzt wurde mir warm, ach was sag ich – mir wurde schweineheiß. Bisher hatte ich mich ja ganz gut in Griff gehabt, aber jetzt spielten auch noch meine Hormone verrückt. Wer bei dem Boy nicht in Wallung geriet, der konnte nicht schwul sein!!?? Was sollte ich nur machen, wenn er das Spielchen immer weiter trieb?? Lesen ging auf jeden Fall nicht mehr!

Felix schien Erbarmen mit meinen Hormonen zu haben, schlenderte zu Tür und warf mir im Gehen noch zu,

»Ich bin dann mal Duschen. Du scheinst ja beschäftigt«, und schon war ich allein. Seufzend lehnte ich mich erleichtert auf dem Stuhl zurück. Wo sollte das nur hinführen? Irgendwie mochte ich Felix, aber Liebe war es nicht. Schwärmerei konnte man das schon eher nennen. Jedoch warum?? Er war älter, sah gut aus, hatte eine lockere Art und man konnte sich auch mit ihm unterhalten, wenn es zur Zeit auch mehr ein Stottern von meiner Seite war und …

… meine Zungenspitze fuhr über meine Lippen, Küssen konnte er auch. Jean, schalt ich mich, wen hast Du denn schon geküsst?? Hoffentlich kam Svenja bald, denn allzu lange hielt ich das nicht mehr aus, obwohl …

… mal schauen, was ich noch zu sehen bekam. Soweit ich mitbekommen hatte, war er jedenfalls nicht am Schrank, um Wechselwäsche mitzunehmen. Absicht? – egal, mir entlockte es ein kleines teuflisches Grinsen. Mit diesen Gedanken widmete ich mich wieder dem Buch, ein Ohr war aber immer in Richtung Bad ausgerichtet - noch rauschte das Wasser.

Das Rauschen verstummte und ich nahm einen unterdrückten Fluch war. Nun ja auf jeden Fall schien er das Vergessen seiner Unterwäsche nicht geplant zu haben. Zufrieden grinste ich in mich hinein und versuchte einen sehr beschäftigt-lesenden Eindruck zu machen. Leise pfeifend hörte ich ihn näher kommen.

‚Okay Jean, einen Blick kann ich ja mal riskieren!‘, versuchte ich mir einzureden. Klar, als wenn mich jemand abhalten könnte, diesen Jungen halbnackt zu sehen. Vorsichtig lugte ich zur Zimmertür. Mir klappte meine Fresse fast ins Bodenlose – sah der geil aus!! Ein zugegebenermaßen sehr knappes Handtuch war um seine schmalen Hüften geschlungen, die langen, schlanken Beine waren fast ganz zu sehen. Seinen sportlichen Oberkörper hatte ich ja schon vorhin bewundern dürfen. Seine nassen Haare hingen ihm frech im Gesicht und sein Grinsen zeigte mir ganz genau, dass er wusste, wie er auf mich wirkte. Verlegen fuhr ich mir durch die Haare und hätte mich eigentlich wieder dem Buch zuwenden sollen. Felix stellte sich aber in meine unmittelbare Nähe an den Schreibtisch, sein Duschgel stieg mir in die Nase und mein Blick wanderte an seinem Körper abwärts. Hatte ich Halluzinationen oder bewegte sich da was unter seinem Handtuch. Allein dieser Gedanke führte zu einem Aufstand in meiner Hose und ich war versucht, dort für Ordnung zu sorgen. Nur wenn ich das jetzt tat, könnte Felix diese Geste als unmissverständlich auffassen. Auf jeden Fall schoss mir zu allen Überfluss das Blut in den Kopf. In diesem Augenblick erschall ein lautes Gelächter …

… nur kam es nicht von Felix, sondern von der Tür und dort stand eine breit grinsende Svenja.

»Na Bruderherz, Du kannst auch nichts unversucht lassen??« Mein Blick wanderte wieder zu dem Halbnackten. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, rapide sogar. Sein kleines verführerisches Lächeln hatte sich in ein verlegen Gequältes geändert. Auf einmal schien es ihm ziemlich peinlich zu sein, hier so rumzustehen.

»Schade, da bin ich wohl ein paar Minuten zu früh gekommen. Anderseits scheinst Du bei Jean nicht solch durchschlagenden Erfolg zu haben wie sonst«, lästerte sie schön weiter.

‚Man Svenja, das war nicht fair von Dir, denn diese Situation war nicht geplant gewesen. Da tat sie ihrem Bruder wirklich Unrecht!‘, fuhr es mir durch den Kopf.

»Ich habe mich nur um DEINEN Freund gekümmert und ihn unterhalten, weil Du ja nicht hier warst! Außerdem soooooo gleichgültig schien ihn das auch nicht gelassen zu haben!«, kam es von ihm und mit einem schiefen Grinsen nickte er zu meiner nun sehr eng sitzenden Hose.

SCHEIßE – mir wurde noch heißer, ich wurde noch roter, ich wollte einfach nur spurlos verschwinden!!! ER hatte es mitbekommen, was gewisse Körperteile von ihm hielten. Und zu allem Überfluss hatte ich genau mitbekommen, dass in seinem kleinen Sätzchen das Wörtchen »auch« aufgetaucht war. Ich schien nicht der Einzige in diesem Raum zu sein, der gewisse Wünsche hegte und damit meinte ich nicht Svenja. Diese schien wohl nun erst richtig zu realisieren, dass ich da saß. Verwundert sah sie mich auffordernd an.

»Was willst Du eigentlich hier? Wir waren nicht verabredet?!«, bombardierte sie mich nun mit ihren Fragen und ihr Ton war etwas ungehalten.

»Zuerst einmal will ich mich bei Dir entschuldigen und zweitens benötige ich Deinen Rat!«, fing ich stockend an, denn mir war nicht ganz wohl in meiner Haut. Mein Tonfall schien sie aber zu besänftigen und aufmunternd forderte sie mich mit einen Handbewegung auf, ihr in ihr Zimmer zu folgen. Ich stand also auf und legte das Buch nicht aus der Hand. Es beruhigte mich ein wenig und meine Finger konnten mit etwas spielen.

Tja, da hatte ich aber die Rechnung ohne den Eigentümer des Buches gemacht und etwas vergessen …

… leise hörte ich hinter mir Felix flüstern, denn ich hatte die Tür schon fast erreicht.

»Na mein Kleiner, haben wir nicht etwas vergessen … ??«, diese Stimme ließ es sofort in meinem Bauch kribbeln. Langsam drehte ich mich um. Er hatte den Abstand zwischen uns auf wenige Zentimeter verkürzt und stand sehr dicht vor mir. Sein Duft, sein freches Lächeln, dieser halbnackte Körper, seine blitzenden Augen – ich konnte nicht weitergehen, wollte ich überhaupt???

Seine Lippen näherten sich und diesmal kam ich ein wenig entgegen. Als sie sich berührten wurde aus meinem Kribbeln eine Gänsehaut. Als ich seine Zunge spürte, öffnete ich leicht meine Lippen und sie drang vorsichtig in meinen Mund. Meine Beine drohten nachzugeben, die Welt schien sich zu drehen. Felix merkte dies und legte seine Hände auf meinen Hintern, zog mich zu sich heran. Ich spürte sofort, dass es um ihn nicht anders bestellt war als um mich. Gierig presste er seinen Mund auf meinen.

»FEEEELIIIIIX!!!!!«

Dieser entrüstete Aufschrei nahm jeden Zauber, der auf uns lag, von uns. Behutsam lösten wir unsere Lippen voneinander. Fast sehnsüchtig wollten sich meine wieder an seine heften.

»Wow!«, ertönte es leise.

Nein, das kam nicht von mir, obwohl ich mich in hellem Aufruhr befand. Nein, diese Aussage kam von meinem Gegenüber, seine Augen ruhten verträumt auf mir und ich konnte eine große Sehnsucht in ihnen sehen. Einmal verlegen, aber auch bedauernd mit den Schultern zuckend drehte ich mich wieder zu der Türe um und ging Svenja entgegen, die mit wütenden Blicken ihren Bruder förmlich durchbohrte.

»Das ist ja …«, fing sie aufgebracht an.

»Lass es gut sein Svenja. Das war nur die abgesprochene Leihgebühr!«, fiel ich ihr ins Wort. Ich hätte nicht gedacht, dass ich sie mal sprachlos sehen würde. Verdutzt wanderte ihr Blick von mir zu Felix. Dieser lächelte leicht, aber das Freche und Ausgeflippte war daraus verschwunden, viel eher wirkte es unsicher und schüchtern. Sie kannte ihren Bruder viel besser als ich und musste das noch deutlicher sehen, auf jeden Fall nahm ihr Gesicht eine nachdenkliche Miene an.

»Oh«, mehr kam nicht über ihre Lippen.

»Nun ja, da ich nun mal gerne lese und die Regale Deines Bruders für mich das Himmelreich auf Erden sind, hat er mir erlaubt, mir ab und zu eins auszuleihen unter einer Bedingung. Ich hatte natürlich zu schnell eingestimmt, bevor ich davon erfuhr. Tja und nun gilt die Abmachung und ich kann mich nicht dagegen wehren!!!«, erklärte ich ihr abschließend und versuchte dabei ein zerknirschtes Gesicht zu machen. Dass ich dabei die Wahrheit ein wenig zu meinen Gunsten verbog, brachte mir ein kleines Stirnrunzeln von Felix ein, aber ich wollte im Leben nicht auf den nächsten Kuss verzichten.

»Also wie Wehren sah das bei Dir eben nicht gerade aus!!!«, murmelte sie, konnte sich jedoch nun ein Grinsen auch nicht mehr verkneifen. Kopfschüttelnd drehte sie sich um und ging vor mir her in ihr Zimmer. Ich folgte ihr langsam, musste aber noch einmal einen Blick auf Felix werfen. Er stand irgendwie verloren in seinem Zimmer, seine Begierde war nun auch eindeutig zu sehen, aber er ließ mich mit einem sehnsüchtigen Blick ziehen. Schnell schloss ich die Zimmertür. In ihrem Zimmer herrschte dann erst einmal Schweigen. Erstens musste ich meine Hormone wieder herunterschrauben und zweitens war ich ziemlich in Gedanken. Die ganze Szene mit Felix sah nicht danach aus, als wenn ich nur eine weitere Eroberung für ihn wäre. Wollte ich was von ihm?? Oh je, den ersten schwulen Boy, den ich real traf und schon solche Verwicklungen!!

»Man oh man, das ich das noch erleben darf«, seufzte Svenja auf einmal auf. Fragend sah ich sie an.

»Mein Bruder ist verknallt in meinen besten Freund!«, haute sie mir ganz locker an den Kopf.

»Hee!«, zu mehr war ich nicht in der Lage, aber zum Teil war ich mir sicher, dass sie nur das aussprach, was ich gerade dachte. Nur kannte sie ihn halt besser.

»Ach komm Jean. Ich weiß ja, dass Du noch nicht soviel Erfahrungen hast, aber das musst Du auch gemerkt haben!«

»Ja und Nein. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich denken soll. Vielmehr bin ich mir nicht sicher, was ich für Deinen Bruder empfinde. Zugegeben er ist eine absolute Sahneschnitte und mir werden ständig die Knie weich, wenn er mich berührt, aber ich glaube, mehr als Schwärmerei ist es nicht!«, gestand ich ihr freimütig.

»Ups, dieses Mal wird wohl mein Bruder eine Eroberung und wird mal selbst spüren, wie es ist, wenn jemand einem das Herz bricht!« Warum hatte ich das Gefühl, dass nicht nur ihr Bruder damit gemeint war???

»NEIN, das will ich nicht. Dafür mag ich Deinen Bruder viel zu sehr, um ihm so etwas anzutun«, sagte ich zu ihr und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben, nur war ich mir meiner Absicht nicht so sicher.

»Zu spät mein Freund!«, murmelte sie.

»Wieso???« ‚Bitte lass sie nicht das Antworten, was ich denke!‘

»Du hast sein Herz schon erobert! Ich habe meinen Bruder noch nie jemanden so anschauen sehen, wie er Dich vorhin angesehen hat!«, kam ihre ernste Antwort.

‚Scheiße!‘ Ich wollte diesem Jungen nicht wehtun! Verdammt, ich wusste zu gut, wie es ist, sich nach etwas Unerreichbarem zu verzehren …

… jedoch war ich das wirklich??

Habe ich nicht zu lange auf solch eine Gelegenheit gewartet? Ich spürte schmerzlich, dass ich Felix nicht liebte.

Svenja musste mir meinen inneren Kampf ansehen, denn sie setzte sich zu mir auf das Bett und nahm meine Hand.

»Jean, Du kannst Dich nicht zwingen, ihn zu lieben und darfst ihm auch nichts vorspielen. Lass uns abwarten, was die Zukunft bringt. Heute lösen wir dieses Problem nicht! Aber vielleicht ein anderes??«

Ich hörte ihre Aufforderung, zu meinem eigentlichen Anliegen zurückzukehren. Man, beinahe hätte ich den wahren Grund meines Kommens verdrängt.

Zuerst einmal entschuldigte ich mich nochmals für mein Fehlverhalten der letzten Tage und erzählte ihr all das, was sie noch nicht wusste. Den Schluss bildete natürlich Raphaels Einladung zu einem Treffen am Wochenende. Verblüfft schwieg sie erst einmal, nachdem ich verklungen war.

»Na, das nenne ich aber eine Entwicklung«, murmelte sie dann.

»Und willst Du??«, stellte sie die alles entscheidende Frage schon sehr früh.

»Ich weiß nicht!«, antwortete ich ehrlich.

»Doch Du weißt es genau!«, hörte ich sie. Bevor ich verdutzt antworten konnte, sprach sie weiter.

»Du willst Deinen Raphael sehen!«, kam es von ihr, wobei sie das Wort »Deinen« mehr als betonte.

» Meinen Raphael??«, fragte ich sie verwundert, so gut bekam ich die Betonung jedoch nicht hin.

»Ach komm, verkauf mich doch nicht für dumm, mein Lieber!«, brauste sie auf.

‚Würde mir nie in den Sinn kommen. Aber was meinte sie bloß damit?‘, grübelte ich.

»Du willst den Raphael aus Deinen Träumen nur zu gerne sehen, jedoch nicht den Jungen vom Bild!«, erklärte sie mir ihre Ansicht und zeigte mir mehr als deutlich, dass sie genau wusste, wie es in mir aussah.

»Also wirst Du fahren, so oder so. Entweder Du findest das, was Du Dir erhoffst oder Deine Träume platzen wie eine Seifenblase!«, legte sie wieder mal den Finger zielsicher in meine Wunde. Etwas wehmütig seufzte ich auf.

»Jean, warum sollte ich Dir etwas vormachen? Vielleicht wolltest Du etwas anderes hören, aber ich bin mir sicher, damit hätte ich Dir nicht geholfen! Und, wie willst Du es machen?«

»Na ja, er hat vorgeschlagen, dass wir uns in Hannover treffen. Er hat zwar den weiteren Weg, aber der Ort ist für uns beide gut mit dem Zug zu erreichen. Und der Samstag würde sich anbieten, da bräuchte ich meinen Eltern nur anzudeuten, ich würde zum Shoppen dorthin fahren.«

»Somit ist alles klar!« Mein unglückliches Gesicht ersparte mir die Antwort. So klar fand ich die Sache gar nicht.

»Los verschwinde nach Hause und schicke ihm Deine Zustimmung«, sagte sie zu mir und auf meine verdutzte Miene, schob sie noch nach, »Ich kann Dein leidendes Gesicht nicht mehr sehen!!«. Ihr Grinsen passte definitiv nicht zu ihren Worten.

»Ok, Du hast mich durchschaut, ich mag Deinen leidenden Blick, nur habe ich noch etwas vor! Und mit meinem Bruder kann ich Dich nicht alleine lassen, nicht nachdem, was ich da gerade gesehen habe«, schmunzelte sie. Also schnappte ich mir das Buch und schlenderte zu ihrer Tür.

»Verabschieden darf ich mich doch noch, oder?«, fragte ich sie vorsichtig. So richtig konnte ich mir noch keine endgültige Meinung davon machen, wie sie die Angelegenheit mit Felix aufnahm.

»Nur unter meiner Aufsicht!«, brummte sie, ihre Augen blitzten jedoch übermütig. Leider war ihr Bruder unauffindbar und ich musste ohne Abschied nach Hause dackeln. Meine Antwortmail fiel eigentlich sehr kurz aus, wobei ich meine Überraschung zum Ausdruck brachte. Eine Stunde später hatte ich schon eine Antwort von ihm – mir kam es mal wieder so vor, als lauerte Raphael an seinem PC regelrecht auf Post von mir. Da ging es ihm wohl so wie mir.

Seine Freude zu meiner Zusage war offensichtlich – mir selbst war nicht ganz wohl bei der Sache, ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. In der Woche klärten wir dann alle Punkte zum Treffen und aus meiner Unruhe wurde nun doch eine freudige Erwartungshaltung. Die letzten Tage vergingen wie im Fluge und auf einmal stand ich auf dem Bahnsteig. Svenja hatte es sich nicht nehmen lassen und wollte mich verabschieden. Etwas verloren stand ich nun schon da.

»Kopf hoch Jean!«, versuchte sie mich aufzumuntern.

»Wenn ich nur nicht so nervös wäre!«, gestand ich ihr murmelnd.

»He, hab Deinen Spaß und ich wünsche Dir, dass Du Deinen Sonnenschein findest!«, lächelte sie mich an und gab mir einen aufmunternden Klaps auf den Rücken. Mit einem schiefen Grinsen stieg ich in den Waggon und winkte ihr noch einmal durch das Fenster zu. Schon setzte sich der Zug in Bewegung und brachte mich meinem Ziel unaufhörlich näher. Falls es überhaupt noch möglich war, meine Nervosität stieg weiter und das Kribbeln im Bauch nahm noch mehr zu. Ich würde Raphael sehen, mit ihm sprechen, ihn riechen – einfach von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Sein Bild hatte ich irgendwie verdrängt, schwebte in meinen Träumen.

Gegen Mittag hatte ich Hannover erreicht, bis zum Treffen blieb mir noch eine Stunde Zeit und ich schlenderte ein wenig durch den Bahnhof. Die meiste Zeit vertrieb ich mir in einem Bücherladen.

Dann war es soweit. Wir wollten uns vor dem Bahnhof am Taxistand treffen. Meine Hände wurden klatschnass, mein Bauchkribbeln wurde so stark, dass es mir unangenehm war. An unserem Treffpunkt war noch niemand, so schlenderte ich ein wenig an den Taxis entlang. Da es schon angenehm warm war, hatte ich mir meine Jacke nur über die Schulter gehängt – sogar so war es mir fast zu warm. Aus dem Eingang sah ich einen Jungen auf mich zuschlendern.

‚Hm, das konnte er nicht sein. Dieser machte einen schlankeren Eindruck, auch war er etwas älter. Nur sein Gesicht …‘, grübelte ich.

»Hey Jean«, sprach mich dieser Junge an.

»Raphael???«, fragte ich verwundert. Mein Gegenüber hatte keine Akne mehr im Gesicht, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, die blau-grauen Augen blitzten belustigt – ich erkannte ihn, nur hatte er sich verändert …

… und die Veränderung war nur positiv zu sehen. Jedoch …

… mein Bauchkribbeln war schlagartig weg, meine Überraschung wurde durch ein anderes Gefühl überlagert – ich mochte ihn nicht! Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Das war nicht Raphael …

Natürlich war es Raphael – aber es war nicht mein Raphael!!!

Von all diesen Gedanken schien er nichts zu merken. Vielmehr hielt er mir zur Begrüßung seine Hand hin und ich nahm sie. Sie war warm, aber mehr gab die Berührung nicht her. Nicht die Spur der Mystik, die wir mit unseren Mails aufgebaut hatten, war hier zu spüren. Ich konnte das Gefühl der Abneigung nicht in Worte fassen, aber es war da.

Was ich mir alles ausgemalt hatte … Von einer Umarmung, seinen Körper an meinem spüren, sogar bis zu einem Kuss hin, seine warmen Lippen berühren und was geschah!!! Wir schüttelten uns die Hände und ich mochte ihn nicht!

»Du scheinst überrascht. Nun ja, mein Bild war etwas älter und ich habe etwas für meine Figur getan!«, lächelte er mir zu. Man könnte ja nun behaupten, das erste Eis sei gebrochen, aber meine Abneigung wuchs. Irgendetwas war falsch – grottenfalsch. Wir verbrachten dann einen Nachmittag miteinander. Unterhalten konnte man sich ganz gut mit ihm, aber meistens redeten wir aneinander vorbei. Dieses »mein Bruder im Geiste« passte nicht, so sehr wir uns in unseren Mails verstanden – hier funktionierte es nicht.

Eins bekam ich jedoch so nebenbei mit. Sein Handy klingelte und ich hörte, wie er sich mit »van Dahlen« meldete. So wusste ich wenigstens seinen Nachnamen, wozu das auch immer gut war?! Mit der Zeit ging uns der Gesprächsstoff aus und die Pausen wurden immer größer – es war ein unangenehmes Schweigen. Irgendwie schienen wir beide erleichtert, als ich den Vorschlag machte, dass wir wieder nach Hause fahren sollten – mir hatten die zwei Stunden wirklich gereicht. Nach unserer Verabschiedung flüchtete ich fast zu meinen Bahnsteig – bloß weg hier.

Man war das ein Reinfall gewesen! Ich konnte immer noch nicht in Gedanken, geschweige denn in Worte fassen, was mich störte. Das war nicht der Junge aus den Mails! Okay, dass er nicht meinem Traumbild entsprach, wusste ich spätestens durch das Bild. Nur wie konnte man so schreiben und dann ganz anders sprechen? Meine Gedanken rasten und ich nickte leicht ein. Dann schrak ich aus meinen Gedanken und war putzmunter. Jetzt wusste ich, was nicht passte …

‚Raphael war nicht schwul!‘ Ja, das war es! Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Er hatte in der Fußgängerzone nach Mädchen geschaut, nicht nach Jungs. Das Thema hatten wir nicht einmal angeschnitten. Bloß wie konnte das sein – seine Mails waren doch so klar!

Konnte sich ein Mensch so verstellen???

Konnte jemand so lügen?? Meine Stimmung schlug um. Ich fühlte mich enttäuscht und verraten. In solch düsterer Stimmung kam ich zu Hause an und hatte keine Ahnung, wie ich ihm weiter begegnen sollte. Einfach den Kontakt abbrechen? Nein das war keine Lösung. Ich hasste ja selbst dieses Schweigen, das Chris uns auferlegt hatte – seit Wochen meldete er sich nicht mehr auf meine Mails. Mein Ton ihm gegenüber war schärfer geworden, trotz allem wartete ich immer noch auf eine Antwort!! Und nun wollte ich dasselbe Mittel gegenüber Raphael auspacken – nein das war keine Lösung. Sollte ich ihm meine Gedanken an den Kopf werfen – nur wenn sie falsch waren, was dann?? So kam ich nicht weiter!

Vielleicht gab es ja noch eine andere Lösung! Warum sah ich es nicht einfach nur als gute Mailfreundschaft? Ich war es doch selbst, der in die ganze Sache zuviel hineininterpretiert hatte. Ich hatte mehr gewollt und weniger bekommen. Ziemlich deprimiert verkroch ich mich das Wochenende wieder in mein Zimmer und versuchte Abstand zu gewinnen. Leider brachte eine Mail meine ganze Welt wieder ins Wanken. Am Sonntagmittag hatte ich von ihm Post und er schwärmte in den höchsten Tönen von unserem Treffen. Verwundert schüttelte ich den Kopf, hatte er die ungemütliche Stimmung wirklich nicht bemerkt?? Zwischen den Zeilen flirtete er ziemlich offen mit mir, machte mir Komplimente – verdammt, wie sollte ich darauf reagieren?

Und ein weiteres Problem türmte sich vor mir auf. Das Kribbeln, welches ich gestern bei seinem Anblick verloren hatte, stellte sich bei seinen Zeilen augenblicklich wieder ein. Wie konnte jemand so verschieden sein? Ich konnte nicht antworten und verzog mich frustriert in mein Bett.

Niedergeschlagen machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg zur Schule. Das Wochenende hatte weit mehr Probleme aufgeworfen, als mir lieb sein konnte. Am Eingang empfing mich schon Svenja. Sie hatte versucht, mich gestern telefonisch zu erreichen, aber ich hatte mein Handy ausgeschaltet. An meinem Gesicht konnte sie wohl einiges erkennen und drang erst mal nicht in mich. Zu allem Überfluss hatten wir auch noch Mathe – hoffentlich wurde ich heute nicht wieder Opfer von »Mathe-Monster-Müller«. Tja, der alte Trick »in der Schultasche kramen, bis der bittere Kelch an einem vorübergegangen war« funktionierte perfekt – ich war heute nicht der Unglückliche! Dafür traf es jemanden, dessen Qual mich ein wenig aufheitern würde …

… vorne an der Tafel stand ein sehr unglücklicher Zwilling – es hatte Tim erwischt. Im Gegensatz zu mir hasste er Mathe und seine Leistungen waren in den letzten Wochen abgesackt.

»So Herr Lindner, nun wollen wir mal schauen, wie sie ohne ihre bessere Hälfte auskommen!«, hörte ich den Lehrer sagen. In der Bemerkung war ein solcher Unterton, dass mir sofort klar war, welche bessere Hälfte er meinte – es war nicht Corinna, sondern Meinereiner. Zufälligerweise stellte sich der Müller auch noch so hin, dass er mir den Rücken zuwandte und ich somit Tim hätte helfen können. Der flehentliche Blick von Tim sprach Bände. Ich zwang mich aber an ihm vorbeizuschauen. Sollte er doch zusehen, wo er Hilfe herbekam. Mein Blick wanderte provozierend zu seiner Freundin , um ihm zu zeigen, wo er um Hilfe betteln sollte. Dann geschahen mehrere Sachen so schnell hintereinander, dass mein Kopf, der das gar nicht alles verarbeiten konnte, meinen Mund befahl, diesen vor Staunen offen stehen zu lassen.

Das Erste, was ich nur ansatzweise sah, wollte ich nicht verstehen bzw. konnte es nicht begreifen. Corinna lächelte gehässig und das nicht in meine Richtung. Nein, sie schien sich über Tim lustig zu machen, leider war dieser Gesichtsausdruck nur einen kurzen Augenblick zu sehen. Mein Blick wanderte zurück – Tim schaute mich immer noch unverwandt an. Seine Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen, resignierend hob er seine Schultern und ergab sich seinem Schicksal. Da hörte ich es neben mir flüstern. Verwundert schaute ich zu Svenja – das konnte doch nicht wahr sein!! Sie wollte Tim helfen. Warum fiel sie mir in den Rücken?? Mit dem Ellenbogen stieß ich ihr recht unsanft in die Rippen, sie keuchte auf.

»Wenn Du ihm nicht helfen willst, tue ich es!«, zischte sie mich an. Tim schaute verwundert erst Svenja und dann mich an. Seine Lage war jedoch so hoffnungslos, dass er gerne die angebotene Hilfe von ihr annahm. Herr Müller tat weiter so, als würde er davon nichts bemerken. Meine Nebensitzerin machte es aber auch sehr geschickt und lotste Tim durch die Aufgaben. Ein Blick zu Corinna zeigte mir, was die davon hielt – sie kochte und konnte ihre Wut nur mühsam zurück halten. Und ich … ich war einfach sprachlos, denn Svenjas Miene zeigte nicht nur selbstlose Hilfe, nein, da war noch mehr. Dann hatte die Qual meines Zwillings ein Ende und er schlenderte erleichtert zu seinem Platz. Seine Grazie zeigte ihm die kalte Schulter, irgendwie fing ich an ihn zu bedauern – was hatte er sich da nur angelacht??

»So Herr Lindner, mit tatkräftiger Unterstützung haben Sie sich ja mehr Recht, als schlecht durch die Aufgaben gequält. Leider möchte ich diese Leistung nicht benoten, denn dann müsste ich jemand anderem auch eine Note geben. Ich hoffe, es hat Ihnen ein wenig die Augen darüber geöffnet, wie sehr Sie im Stoff hinterherhinken und auf wen Sie zählen können!«, bei diesen Worten streifte sein Blick mich und Svenja. Was wollte er mit diesem letzten Teilsatz ausdrücken, hatte der Pauker uns denn alle durchschaut? Aus den Augenwinkeln konnte ich Tims Blick sehen und das er mühsam einen Kloß herunterschluckte.

Verdammt, warum musste das Leben nur so kompliziert sein??? Was sprach denn dagegen, Tim als guten Freund zu haben, Felix als Boyfriend und Raphael als guten Gesprächspartner in Sachen Gefühle – was zum Teufel war daran so kompliziert?????

Ganz einfach, Jean Neumann, Deine Träume und Hoffnungen. Du wolltest von diesen drei Jungen nur das Beste für Dich und Dir daraus einen Freund, den Freund, backen!!! Noch nie war mir so klar, dass das nicht ging und ich langsam eine Entscheidung treffen musste. Wollte ich weiter in meinen Träumen weilen oder mich der Realität stellen. Unbewusst hatte mir der Müller auch meine Augen geöffnet. Ich musste mich Tim und unseren Problemen stellen. Ich fühlte ja schon seit einiger Zeit, dass er ein Gespräch mit mir suchte, nein, dass er mich suchte – also würde ich mich ihm stellen.

Meine wirren Gedanken und die Schlussfolgerungen, die ich daraus zog, führten dazu, dass mich der Pausengong sehr überraschte. Zuerst gab es aber etwas anderes, was ich klären musste. Mit vorwurfsvollem Gesicht drehte ich mich zu Svenja um.

»Warum?«, schleuderte ich ihr kühl entgegen. Ihre Miene wurde schlagartig ernst und abweisend.

»Das fragst Du mich?? Ohne meine Hilfe hättest Du in English manchmal sehr schlecht ausgesehen. Da hattest Du übrigens denselben Blick drauf wie Tim eben!«, konterte sie. Da hatte sie mehr als Recht, ich durfte gar nicht an die paar grausamen Minuten denken, die ich ohne ihre Hilfe kaum überstanden hätte.

»Weißt Du, langsam nervt mich das wirklich. Auf der einen Seite geht ihr Euch aus dem Weg, eigentlich gehst Du ihm aus dem Weg, aber in schwierigen Situationen schaut ihr immer erst zu dem anderen und wenn ihr merkt, da geht nach wie vor nichts, dann entgleisen Euch die Gesichtszüge. Ich wollte mich da heraushalten, aber ich kann es mir nicht mehr mit anschauen!«, warf sie mir ziemlich sauer an den Kopf und ließ keinen Zweifel daran, wen sie für den Übeltäter hielt.

»Das ist nicht fair!«, murmelte ich störrisch.

»Ach komm Jean, DU hast den Blick von Corinna vorhin gesehen, als Dein Zwilling in der Klemme saß! Ich habe Dich beobachtet. So gern ich Deine Freundin bin und die kurze Zeit schon mit Dir genossen habe, wenn Du mal nicht depri bist, muss ich Dir leider sagen – Ihr braucht Euch wie die Luft zum Atmen. Er will mit Dir sprechen – also sprich mit ihm!«, forderte sie mich auf. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn ich nicht vorher schon zu denselben Schlussfolgerungen gekommen wäre, denn sie war wieder einmal schonungslos offen mit mir. Ich wollte gerade etwas erwidern, da erklang in meinem Rücken ein

»Hey«, erschrocken fuhr ich herum. Hinter mir stand Tim und hatte die Augen gesenkt. An seinen Gesten sah ich sofort, dass ihm dies hier sehr schwer fiel und er wohl schon eine Weile hinter mir gestanden hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was er alles gehört hatte. Tim wich meinem Blick aus und wandte sich an Svenja.

»Ich wollte mich für Deine Hilfe vorhin bedanken!«, flüsterte er ziemlich heiser.

»Kein Problem Tim, wenn ich Dir wieder helfen kann – sag Bescheid!«, antwortete sie. Tim, der sich schon halb zum Gehen umgewandt hatte, streifte mich kurz mit seinen Augen und man sah ihm an, dass er nach den passenden Worten suchte. Dann hörte ich ihn sehr, sehr leise und verdammt traurig,

»Vielleicht kannst Du ein gutes Wort für mich einlegen und jemandem sagen, dass ich eine riesige Dummheit gemacht habe und nur einmal mit ihm reden will«, kaum hatte er den Satz raus, war er auch schon verschwunden. Ich wollte ihm hinterher rufen, aber mehr als ein Krächzen bekam ich nicht heraus.

So ein Mist, alles was ich mir vorhin so schön überlegt hatte, war in Wahrheit nicht so leicht durchzusetzen. Die zwei Minuten mit Tim eben hatten schon gereicht, um mir meine Sehnsucht nach ihm, und hier meinte ich nicht nur seine Freundschaft, vor Augen zu führen. Mit einem Seufzen schloss ich sie mit einem Anflug von Verzweiflung.

»Du schaffst das! Auch wenn Du Deinen Sonnenschein wohl am Samstag nicht gefunden hast!«

‚Man die Frau hatte es wirklich drauf, den Finger in die Wunde zu legen!‘

»Svenjaaaa!!«

»Ja???«

»Halt einfach die Klappe!«, murmelte ich. Und was für ein Wunder – sie schwieg wirklich. Wobei mein Glücksgefühl nicht lange anhielt, dafür war sie einfach zu neugierig. Nein sie fragte nicht, aber sie hatte es gut drauf mit ein paar Seufzern, einem ständigen Herumkramen in der Schultasche, eine Unruhe zu verbreiten, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als ihr von meinem Ausflug zu berichten. Zielsicher stellte sie auch hier wieder die richtige Frage.

»Und Du bist Dir sicher, dass es Raphael war?«

»Wer sollte es sonst gewesen sein? Das Bild stimmte, er kannte meine Mails, wusste meine Hobbys, all das stimmte, nur …«, antwortete ich ihr.

»Nur wunderst Du Dich, wie ein Mensch zwei so unterschiedliche Seiten haben kann?«, beendete sie meinen Gedanken.

»Und willst Du ihn vergessen?«, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, dann würden mir seine Zeilen fehlen, aber ich werde meine Träume wohl Träume sein lassen und mich der Realität stellen!«

»Gut, vielleicht solltest Du mit Deinem Zwilling anfangen«, gab sie mir einen geistigen Anstoß.

»Das meine liebe Svenja hatte ich schon ohne Dich in der Stunde beschlossen. Ob ich das aber als eine normale Freundschaft behandeln kann, dass weiß ich jetzt noch nicht!«

»Hm, eventuell kann ich Dir einen kleinen Ausgleich dafür geben!«, schmunzelte sie.

»Ähm, Ausgleich – sorry ich verstehe nur Bahnhof.«

»Tim war heute nicht der Einzige, der mich zu seinem Fürsprecher erkoren hatte«, feixte sie weiter.

»Lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen!«, grummelte ich. Ihre Geheimnistuerei ging mir langsam auf den Keks. Ich war gerade dabei mein Leben wieder ein wenig in den Griff zu bekommen und sie machte hier einen auf Geheimnisvolle.

»Okay, ich geb Dir mal einen kleinen Tipp. Müsstest Du nicht mal wieder ein paar Bücher ausleihen??« Es war nicht der Satz, der mir die Erkenntnis brachte. Nein, ihr süffisanter Unterton und den Schmollmund, den sie dabei formte. Versuchte sie mich gerade mit ihrem Bruder z0u verkuppeln??

»Moment mal, was hat Dich denn gebissen? Da hab ich ganz andere Worte im Ohr!«, machte ich meinem Erstaunen Luft.

»Na ja, weißt Du«, druckste sie rum, »Felix war gestern ziemlich fertig und bettelte mich regelrecht an, ob ich bei Dir nicht mal vorfühlen könnte. So habe ich ihn noch nie erlebt und so langsam glaube ich, dass ich meinen Bruder vor Dir beschützen muss und nicht umgekehrt!«

»Ha, ha, sehr witzig, ich und ein männerfressendes Sexmonster!«, murmelte ich.

»Und??!«

»Was möchte er denn?«, fragte ich, neugierig wurde ich nun doch.

»Er lässt fragen, ob Du ihn am Samstag mal in eine Disco begleiten würdest.«

»In eine Gay-disse?«, flüsterte ich. Oh man, was für ein Gedanke!! War ich dafür schon bereit?

Svenja konnte in mir mal wieder wie in einem offenen Buch lesen. »Ich habe Felix das Versprechen abgenommen, dass er auf Dich aufpasst und ihm gesagt, dass es noch keiner weiß!« Entrüstet wollte ich ihr gerade meine Meinung geigen, dass das ja wohl mein Problem sei. Beschwichtigend legte sie ihre Hand auf meinen Arm.

»Jean, Du musst anfangen, auch ein paar Leuten zu vertrauen. Felix würde Dir nie was Schlimmes antun. Ich bereue es schon eine ganze Zeit, dass ich ihn als solchen Hallodri vor Dir hingestellt habe, aber ich war …«

Die Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag.

»… Du warst eifersüchtig!«, gluckste ich, sorry, aber das war doch ziemlich lustig. Mein unterdrücktes Lachen brachte mir einen sehr schmerzhaften Rippenstoß ein.

»Hör auf! Du hast ja keine Ahnung, jedes Wochenende stolperten da ein Schnuckel nach dem anderen über unserem Flur!«, grummelte sie und stieß dann fast entrüstet hervor, »und alle waren sie schwul!«. Obwohl wir noch in der Klasse saßen und einige Schüler im Raum waren, beugte ich mich zu ihr rüber und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Du Arme. Das heißt jedoch nicht, dass wir so was Hübsches wie Dich nicht auch mal küssen dürfen!«, flüsterte ich. Ha – sie war sprachlos, ich hatte es geschafft und der rötliche Teint stand ihr ebenfalls.

»Jean, … was… sollte das?«, stotterte sie, zwar schien sie überrascht, aber unangenehm war es ihr wohl nicht.

»Mein kleiner Dank, dass Du immer zu mir gehalten hast und mir die Wahrheit sagst, auch wenn es unangenehm ist!«, gestand ich ihr aufrichtig.

»Und Deinem Bruder kannst Du sagen, ich würde mich sehr freuen«, sagte ich noch, grinste in mich hinein und schob noch hinterher, »vor allem darüber, Dir morgens auf dem Flur zu begegnen!«.

»Ich hoffe doch nackt!«, kam es postwendend von ihr – nun wurde ich rot, aber lachen mussten wir doch beide.


Man die Woche flog nur so dahin. Freitag enterte ich mit meinem Vater die Küche. Wir waren zusammen einkaufen gewesen. Meine Mutter stand in der Küche.

»Schön, dass Ihr endlich da seid. Jean Du hast Besuch!«, sagte sie zu uns.

»Besuch??«, fragte ich erstaunt. Schnell durchforstete ich mein Hirn, aber ich war mir keiner Verabredung bewusst. Der »große« Tag war doch erst Morgen und der Gedanke daran ließ mich schlucken.

»Ja. Jemanden, von dem ich dachte, dass er gar nicht mehr weiß, wo wir wohnen!«

‚Konnte sie nicht einfach einen Namen sagen, das würde uns allen irgendwie die Sache erleichtern!‘, grummelte ich vor mir hin.

»Man Weib – sag doch einfach, wer auf unseren Großen wartet!«, hörte ich meinen Vater brummen, sein belustigtes Aufblitzen der Augen habe ich sehr wohl gesehen. Anderseits konnte man aus dieser Aussage sehr gut ersehen, wessen Gene in mir schlummerten. Immer frei nach dem Motto ‚Der Apfel fällt nicht weit vom Birnenbaum!‘.

»Tja, da scheinen sich die Männer der Familie Neumann einig zu sein. Nur ich kann Schweigen!« Dabei drückte sie mir eine Flasche Apfelschorle und zwei Gläser in die Hand und schob mich zur Küchentür.

Langsam erklomm ich die Treppen nach oben.

‚Wer sollte denn da oben auf mich warten??‘

Ich hatte keinen Plan. Irgendwie bestand die ganze Woche eh nur aus dem morgigen Samstag. Mit jeder Stunde, die ich diesem Tag näher kam, gestand ich mir ein wenig mehr ein – ich hatte Bammel vor dem morgigen Abend. Wer weiß, was da alles auf mich zukam!!!

Mit Schwung öffnete ich meine Zimmertür. Von meinem Bürostuhl lächelte mir verlegen ein wohlbekanntes Gesicht entgegen…

TIM!

‚Oh man, dafür hatte ich heute bestimmt keinen Sinn!‘

»Hey«, flüsterte er und noch leiser hörte ich dann, »Stör ich Dich?«. Schon mit seinem Lächeln und dem Wörtchen ‚Hey‘ hatte er mich in seinen Bann gezogen. Aber so leicht wollte ich es ihm nicht machen.

»Hallo – alleine??«, mein Tonfall sollte ihm zeigen, dass ich nicht glauben konnte, dass er ohne seine Freundin da war. Tim zuckte zusammen und seine Augen nahmen einen gequälten Ausdruck an.

»Sorry, ich hätte Dich vorher fragen sollen. War keine gute Idee, hier einfach so unangemeldet aufzutauchen!«

Langsam erhob er sich von dem Stuhl und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Dabei vermied er es, mir in die Augen zu schauen. Ich konnte diesen Jungen nicht leiden sehen und er litt, das war so etwas von offensichtlich.

»Nein, bleib bitte«, murmelte ich. Ich wusste zwar noch nicht, wie ich die nächsten Minuten überstehen sollte, aber irgendwie musste es gehen.

»Es hat keinen Sinn, wenn wir weiter voreinander weglaufen!«, schob ich als Erklärung hinterher. Tim war wie erstarrt stehen geblieben und sank kraftlos zurück auf den Stuhl. Ich stellte die Gläser und die Flasche auf den Schreibtisch und nahm ihm gegenüber auf meinem Bett Platz. Ein Schweigen breitete sich über uns aus und es war keins der angenehmen Art.

»Tim …!«

»Jean …?«

Verblüfft sahen wir uns an, ein kleines Lächeln stahl sich in unsere Gesichter. Wir hatten beide gleichzeitig angefangen zu sprechen – Zwillinge sind halt Zwillinge, wenn auch nur im Geiste.

»Jean, ich weiß nicht wie ich anfangen soll«, gestand Tim mir freimütig. Mir brannte nur eine Frage auf der Zunge.

»Warum?«

Ich hatte dieses Wort nur sehr leise ausgesprochen, aber Tim schrak zusammen. Resignierend zuckte er mit den Schultern.

»Keine Ahnung Jean, ich zerbrech mir schon seit Tagen den Kopf, was da passiert ist!«

Wenn er mich weiter so traurig ansah, konnte ich für nichts mehr garantieren. Bevor mich meine Stimme verriet, schwieg ich lieber. Er fasste mein Schweigen jedoch anders auf und seufzte leicht.

»Corinna war auf einmal da …«, begann er stockend.

» … alles war neu und … na ja auch interessant …«

»… ziemlich interessant«, ein spitzbübisches Lächeln flackerte kurz auf.

»Jedoch ist sie ein wenig Besitz ergreifend. Sie ließ mir kaum noch Freiräume und …«, Tim hob seine Augen und sah mich fest an.

»… sie mag Dich nicht!« flüsterte er leise, sehr leise.

Peng, das hatte gesessen. Okay gespürt hatte ich es ja selbst, aber es dann zu hören und auch noch von Tim, erwischte mich nun doch auf dem falschen Bein.

»Scheiße!« Zu mehr war ich nicht fähig, nein, ich zwang mich dazu, nicht mehr zu sagen. Tim nickte mit dem Kopf, schien aber mit seiner Erklärung noch nicht am Ende.

»Am Anfang habe ich das gar nicht so realisiert. Es waren nur Kleinigkeiten. Immer wenn Dein Name fiel, ging sie einfach darüber hinweg, später machte sie dann ein paar abfällige Bemerkungen. Vor ein paar Tagen habe ich sie mal gefragt, was sie gegen Dich hat – da hat sie nur gehässig gelacht«, müde wischte Tim mit seiner Hand über seine Augen.

»… und dann ist bei mir der Groschen gefallen! Sie ist …«

»… eifersüchtig!«, schloss ich seinen Satz ab. Verwundert sah mich Tim an.

»Woher weißt Du das?«, fragte er verblüfft.

»Weil sie nicht die Einzige ist!«, gestand ich ihm nervös. Ein Schimmer des Verstehens huschte über sein Gesicht.

»Geht es Dir mit Svenja genauso?«, hörte ich ihn.

‚Tja, Jean und nun???‘, durchfuhr es mich. Meine Gedanken rasten. Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich ging auf ihn ein und klammerte mich an dieser Notlüge oder …

… oder was?? Wie lange wollte ich mich denn noch verstecken? Wenn jemand mein Vertrauen verdient hatte, dann doch mein Zwilling! Da gab es nur ein Problem – ein klitzekleines Problemchen! Ich liebte ihn nach wie vor, das war mir in den letzten Augenblicken bewusst geworden.

»Wenn das so einfach wäre!«, hörte ich jemand sagen.

Jemand???

Toll, mein Mund hatte die Entscheidung für mich gefällt! An seiner Mimik sah ich, dass das nicht die Antwort war, die er erwartet hatte. Somit ließ er auch nicht locker.

»Na ja, so wie sie Corinna nun schon ein paar Mal abgebügelt hat! Die war danach immer Stunden nicht ansprechbar und hat auf Dir umso mehr herumgehackt«, murmelte er, dann grinste er mich an und fuhr fort.

»Man, alter Junge, da haste Dir wirklich ne Klassebraut geangelt. Meinen Glückwunsch – hätte nie gedachte, dass einer aus unserer Klassenstufe bei ihr eine Chance hätte!« Seine Worte waren aufrichtig gemeint, das spürte ich sofort und es war noch besser. Er hielt mir schon wieder ein Hintertürchen auf – ich bräuchte bloß hindurchzuschlüpfen!

»Nein, sie ist nur eine gute Freundin!«

Klasse – würde mir mal einer bitte die Kontrolle über meinen Mund wiedergeben! Was brabbelte ich denn hier? Das Runzeln seiner Stirn zeigte mir, dass er den Sinn meines Satzes sehr wohl verstanden hatte.

Schön und wie jetzt weiter?

»Tim, ich muss mich bei Dir entschuldigen …«, sagte ich leise.

»… wir hätten schon längst miteinander reden müssen …« Meine Nervosität stieg mit jedem Wort weiter an.

»Aber das tun wir doch jetzt«, unterbrach er mich.

»Mit längst meine ich viel früher …«, kam es nun sehr leise von mir. Meine Hände waren schweißnass. Anschauen konnte ich ihn schon ein paar Minuten nicht mehr und ich sackte immer mehr in mich zusammen.

»… sehr viel früher …«, seufzte ich noch einmal.

»Jean, ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, aber deshalb bin ich heute hier. Was meinst Du mit früher?«

Seine Stimme klang alarmiert. Die Sätze passten auch nicht zusammen. Auf der einen Seite war er bereit sich zu entschuldigen, anderseits scheint er nicht hören zu wollen, was ich ihm zu sagen hatte. Das alles wurde mir erst später bewusst – jetzt war ich viel zu sehr in meinen Gedanken versunken und suchte nach den passenden Worten, als diesen feinen Unterschied zu bemerken.

Da kam mir eine Idee – zwar ziemlich abwegig, aber ein Versuch war es wert. Entschlossen stand ich auf und griff mir ein großes Buch. Zwischen den Seiten befanden sich ein paar lose Blätter. Zögernd sah ich sie an, ließ mein Blick zu Tim wandern. Sein Gesicht spiegelte sein Seelenleben sehr gut wieder – zerrissen war das beste Wort dafür.

‚Ja mein Lieber, mir geht es nicht anders, wenn auch aus anderem Grunde‘, dachte ich. Mit zittriger Hand legte ich ihm die Blätter in den Schoß und stellte das Buch zurück. Tim saß regungslos da, sah mich verwundert an und machte keine Anstalten, die Blätter anzuschauen.

»Bitte lies das!«, forderte ich ihn unsicher auf. Am liebsten hätte ich sie ihm wieder aus den Händen gerissen – es war eine Schnapsidee gewesen. Sein Blick wanderte in seinen Schoß und zögernd nahm er das erste Blatt.

Die nächsten Minuten waren die Hölle. Ich schwitzte, war innerhalb von Minuten klitschnass. Anderseits zitterte ich wieder – mir war so schlecht. Tim las immer schneller, sein Blick huschte nur so über die Zeilen. Ich sah ihn schlucken, manchmal leicht erröten, seine Hände zitterten und er rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Und dann geschah das, wovor ich solche Angst hatte …

… die Farbe wich aus seinem Gesicht, ein Schimmer des Verstehens erleuchtete auf seinem Gesicht …

… erst wurde sein Gesicht weiß, schneeweiß … dann aschfahl, seine Lippen pressten sich zusammen … Er war am Ende – er hatte verstanden …

»Das sind wir?!«, presste er unterdrückt zwischen seinen Lippen hervor. Das Schlimmste war – er sah mich nicht an!

Was er da gelesen hatte?? Es war meine Story von NiSt und die Akteure waren Tim und ich. Zwar mit anderen Namen und was viel entscheidender war, mit einem glücklichen Ende.

»Nein, das sind nur meine Träume«, gestand ich ihm mit erstickter Stimme.

»Das erträumst Du Dir, mit mir zu machen??«, kam es eisig von ihm.

»Scheiße, Jean, Du bist schwul!!«

Mein Traum platzte, nein, er platzte nicht nur, er verabschiedete sich mit einem riesigen Knall, der mein mühsam aufgerichtetes Selbstbewusstsein bis in die Grundmauern erschütterte.

»Verdammter Mist. Ich komm hierher und wollte unsere Freundschaft retten. Wollte die Vergangenheit zurück und was machst Du???«, angewidert warf er bei diesen Worten meine Blätter auf den Schreibtisch.

»Ich will das auch …«, schluchzte ich, ich war fertig – fix und fertig, »… ich brauche Dich!!«.

»Nein, Du willst Sex mit mir!«, seine Stimme war wütend und feindselig. Dieser Ton brachte mich ein wenig zur Besinnung. Er hatte es doch nicht verstanden!

»Geh, Du hast es nicht kapiert – ich würde Dir nie, niemals in meinem Leben etwas tun. Ich sehne mich nach jeder Minute unserer Freundschaft zurück. Sie war mein Lebenselixier!«, bei den letzten Worten sah ich ihn an. Seine Miene hatte sich verändert, aus der Wut war etwas anderes geworden – Traurigkeit??? Ich hatte keine Ahnung.

Mein Magen meldete sich, das geistige Gefühl, dass es mir schlecht ging, wurde innerhalb von Sekunden in ein physisches übergeben. Ich stürzte an einem verstörten Tim vorbei auf das Klo. Dort kotzte ich mir die Seele aus dem Leib – man war mir schlecht.

Es war aus und vorbei. In der Realität hatte ich mich ja noch damit arrangieren können, aber nun hatte man mir auch die Grundlage für meine Träume einfach unter den Füssen weggezogen! Ich weiß nicht, wie lange ich über der Kloschüssel gehockt habe, aber zum Schluss kam nur noch Galle. Mühsam kam ich auf meine Füße, zitterte am ganzen Körper. Langsam schleppte ich mich zurück in mein Zimmer. Tim hatte ich schon vor einer Weile grußlos gehen hören. Ich wollte nur noch alleine sein. In meinem Zimmer erwartete mich schon die nächste Überraschung – wie viele verträgt ein Mensch??

Mein Vater saß an meinem Schreibtisch und sah mich an. Seine Miene nahm einen sorgenvollen Ausdruck an, als ich vollständig in das Zimmer trat.

»Was war denn los?«, fragte er behutsam.

»Timmy machte einen sehr verstörten Eindruck, als er an mir vorbei aus dem Haus stürmte!«, schob er als Erklärung hinterher. Mehr als ein Seufzen meinerseits war nicht drin. Mein Blick wanderte an ihm vorbei auf meinen Schreibtisch und ich blieb wie angewurzelt stehen.

‚Nein, bitte, nicht auch das noch!!!!‘

Ich wollte meine Story verschwinden lassen, aber da war …

… nichts! Die Blätter fehlten – Panik machte sich breit. Wo waren sie? Mein Vater hatte sie jedenfalls nicht in der Hand und unter dem Tisch lagen sie auch nicht! Hatte Tim sie eingesteckt! Oh mein Gott!

Erschöpft warf ich mich auf mein Bett.

Nix hören – nix sehen – nix fühlen, das war alles, was ich mir wünschte.

»Willst Du reden?«, hörte ich meinen Vater sachte fragen. So lieb das Angebot auch gemeint war, aber noch eine Katastrophe konnte ich heute nicht vertragen.

»Nein, der erste Versuch war heute schon ein Fehlschlag. Entschuldige, ich möchte gerne alleine sein«, murmelte ich und drehte mich unhöflich mit dem Rücken zu ihm. Hoffentlich würde er auch gehen, denn lange konnte ich diese »Schutzmauer« nicht mehr aufrechterhalten.

Einen Moment später fühlte ich seine Hand auf dem Rücken und hörte ihn sagen.

»Jean, Du kannst mit uns über alles reden und wenn ich sage Alles, meine ich das auch so!«

Dann schloss die Tür leise im Schloss und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Dieser Nachmittag war zum ultimativen Alptraum geworden! Den restlichen Tag verbrachte ich nur noch im Bett, unterbrochen wurde das Ganze nur durch eine Stunde Mailschreiben. Ich ließ Raphael an meinem Unglück teilhaben. Er war immer noch derjenige, der mich wenigstens im Ansatz verstand. Das Thema Boyfriend hatten wir bisher meistens ausgespart, aber er hatte mal durchschauen lassen, dass es ihm ähnlich erging. Er hatte sich auch in einen Jungen verliebt, dessen Liebe er unmöglich erringen konnte – nach dem Warum hatte ich ihn nie gefragt. Und noch ein Entschluss fasste ich – ich würde mein Date mit Felix morgen absagen. Meine ganze Unsicherheit war zurückgekehrt, ich wollte mich einfach nur verkriechen!

Der Samstag schleppte sich nur so dahin. Raphael hatte mir wieder postwendend geantwortet – der Junge musste wirklich nur vor dem PC sitzen und auf meine Mails warten. Er fand wie immer die richtigen Worte und den passenden Stil, um mich aufzuheitern. Und ich war drauf und dran, diesem Boy zu verfallen – warum musste er soooo aussehen. Verdammt es könnte so einfach sein. Aber er wusch mir auch den Kopf und forderte mich unmissverständlich auf, den Abend heute mit Felix zu verbringen. Er duldete keine Diskussion und wünschte mir viel Spaß. Mein Entschluss kam ins Wanken. Die Argumentation von ihm war so logisch und ein wenig Trotz kam von meiner Seite noch hinzu, so dass am frühen Abend folgendes passierte …

Auf einmal stand ich vor meinem Kleiderschrank und war ratlos.

Meine Eltern hatten am Nachmittag keine Einwände gehabt, als ich ihnen meinen Plan für den Abend beichtete. Irgendwie schienen sie sogar erleichtert zu sein, dass ich aus dem Haus wollte. Somit ergriff ich die Gelegenheit gleich beim Schopfe und deutete an, dass es bis in die frühen Morgenstunden dauern könnte. Dafür erntete ich zwar ein amüsiertes Kopfschütteln, aber eine Ablehnung erhielt ich nicht. So verflüchtigten sich langsam meine düsteren Gedanken und ich stand nach wie vor kopfschüttelnd vor meinem Kleiderschrank!

Man was sollte ich nur anziehen. Mist, das Ding war doch proppevoll, da musste doch etwas Passendes dabei sein. Verdammt, wurde ich als Schwuppe jetzt etwa eitel?? Grinsend suchte ich mir was aus dem Schrank und war mit der Auswahl zufrieden. Schwarz stand mir einfach – kein Wunder bei blonden Haare und blauen Augen! Mein Haar noch ein wenig in Unordnung gebracht und ab gings. Meine Nervosität nahm zu. Das war immerhin mein erstes Date. An der Wohnungstür empfing mich schon Felix. Ein Blick in seine Augen zeigte mir, dass es ihm nicht viel anders ging. So standen wir beide ein wenig unschlüssig in der Tür rum. Ich versuchte die Stimmung ein wenig zu lockern.

»Hey, ich wollte mir noch ein Buch von Dir ausleihen«, grinste ich ihn an. Die Anspannung löste sich und ein spitzbübisches Lächeln stahl sich in sein Gesicht.

»Nur wenn Du die Leihgebühr gleich bezahlst« Bei seinen Worten trat ich näher zu ihm heran.

»Gerne«, hauchte ich ihm entgegen. Kaum war das Wort heraus, da verschlossen seine Lippen schon meinen Mund. Diesmal bahnte sich meine Zunge den Weg zwischen seine Lippen in seinen Mund und unsere Zungenspitzen spielten miteinander. Wie immer wurde mir schummrig, meine Beine gaben leicht nach. Felix hielt mich fest und nach einer Weile lösten wir uns etwas atemlos.

»Na Kleiner, wenn Dich meine Küsse immer so umhauen, sollten wir diese Aktionen doch auf das Bett verlegen«, grinste er mich an. Eins musste ich jetzt erst einmal klarstellen.

»Ich bin nicht KLEIN!!!!!«, warf ich ihm grummelnd an den Kopf, fehlte nur noch, dass ich mit dem Fuß aufstampfte.

»He Jean«, flüsterte Felix verlegen und spielte dabei mit einer Haarsträhne von mir »das war doch nicht bös gemeint!«. Ich blitzte ihn dennoch von unten an, er hatte ja Recht – er war ein wenig größer. Und er war richtig süß, wenn er so nach den richtigen Worten suchte.

»Los komm, mach Dich fertig – ich will mich amüsieren«, dabei gab ich ihn noch einen Kuss auf die Wange und schob ihn in die Wohnung. Etwas komisch war mir schon, als er in sein Zimmer verschwunden war. Bisher kannte ich diese Wohnung nur, wenn Svenja auch hier war und die Hündin um mich herumschwänzelte. Jetzt ohne die Beiden kam ich mir verloren vor und folgte Felix in sein Zimmer. Da stand er genauso unschlüssig vor seinem Schrank wie ich noch vor ca. einer Stunde. Der Anblick verschlug mir fast wieder die Sprache. Seine Hose hing tief über seine Hüften, die Muskeln seines Oberkörpers spielten unter seiner glatten unbehaarten Haut – verträumt musterte ich ihn. Dies blieb natürlich nicht unbemerkt.

»Na, wenn Blicke ausziehen könnten, wärst Du ein Meister darin!«, neckte er mich, dabei drehte er sich langsam zu mir um und schob lässig seine Hände in die hinteren Hosentaschen. Fast aufreizend kam er näher – er war sich seiner Wirkung sehr wohl bewusst. Aus dem Bauchkribbeln, welches ich schon den ganzen Nachmittag verspürte, wurde jetzt eine handfeste Erregung. Ich sehnte mich danach, in seine Arme zu sinken, seinen Körper zu streicheln.

»Müssen wir unbedingt weggehen?«, hörte ich mich mit heiserer Stimme sagen. Ups, was sagte ich denn hier?? Felix schmunzelte und blieb zwei Meter vor mir stehen.

»Tztz, was muss ich denn da hören und noch vielmehr in Deinen Augen lesen? Was soll denn meine Schwester denken, wenn wir schon am ersten Tag in den Federn landen??«, neckte er mich wieder, aber seine Stimme verriet ihn – ihm ging es nicht anders.

»Aber jetzt gehen wir erst mal und genießen den Abend. Ich werd doch so was Süßes nicht in meinem Zimmer verstecken!«

»Hee??«, verwundert schaute ich ihn an.

»Komm stell Dich nicht dümmer als Du bist. Sag mir jetzt bloß nicht, dass Du keine Ahnung hast, wie Du auf andere wirkst??«, murmelte er. Mein erstauntes Gesicht war ihm wohl Antwort genug.

»Oh je Jean, diese unschuldige Miene macht alles nur noch schlimmer! Da werd ich in der Disse mächtig aufpassen müssen, dass Du nicht im falschen Bett landest!«, griente er zum Schluss seiner Erklärung.

‚Moment mal, versuchte Felix mir gerade weiszumachen, dass ich gut aussah und die Jungen reihenweise flachlegen könnte?? Klar und morgen fällt Ostern und Weihnachten auf einen Tag – Blödmann!‘

Ich wollte meine Gedanken gerade in Worte fassen, aber Felix hatte endlich etwas zum Anziehen gefunden – oh man da hätte er auch gleich oben ohne gehen können. Ich würde meinen Sabber kaum zurückhalten können. Dann nahm er mich einfach an die Hand und zog mich aus der Wohnung. Auf dem Weg zu seinem Auto eröffnete er mir.

»Wir müssen nur noch jemanden abholen und dann geht's los, okay?« Er blieb stehen, denn er hatte mein Zögern bemerkt. Erstens hielt er immer noch meine Hand, irgendwie prasselte hier eine Gefühlswelle nach der anderen auf mich ein. Ich stand mit einem wirklich hübschen Kerl und hielt Händchen mit ihm und zweitens wollte er mich ja wohl Freunden von ihm vorstellen. Leider deutete er mein Zögern falsch.

»Sorry, ich hätte Dich vorher fragen sollen«, kam es nervös und verlegen von ihm.

»Nein, nein es ist in Ordnung, ich hab nur noch nicht mit einem Jungen Händchen gehalten«, versuchte ich ihn nun meinerseits etwas verlegen zu beruhigen,

»Na wenn das alles ist«, griente er und drückte mir zur Krönung noch einen Kuss auf meine Lippen. Dann schob er mich auf den Beifahrersitz, um endlich einen Abflug zu machen. Rasch ging es durch Magdeburg. An einem Mehrfamilienhaus hielt er an und stieg aus, um diesen Jemand zu holen. Ich stieg ebenfalls aus, wollte ja keinen unhöflichen Eindruck hinterlassen. Aus dem Dunklen hörte ich ein paar Stimmen näher kommen und dann trat der Erste ins Licht einer Laterne …

… ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken und als diese Person mich sah, ging es ihr genauso. Vor mir stand der Schnuckel von der Käsetheke, der Kleine mit den blonden Strähnchen im Haar und wir amüsierten uns prächtig. Sein Freund stimmte mit einem herzhaften Lachen ein, als er mich erkannte. Der Einzige, der ziemlich verdattert da stand, war mein Felix.

»Willst … Du …, haha, willst Du von …. huhu … der Packung welche … hihi … heute abhaben???«, fragte mich der Kleine unter Tränen, kaum zu Atem kommend. Meine Antwort war fast genauso unverständlich

»Habt ihr … haha denn noch … hihi … welche übrig?!« Man so langsam bekam ich Seitenstechen vom Lachen und Felix Mienenspiel wurde immer verwunderter – er verstand kein Wort.

»Schön, dass ihr Euch alle so herrlich amüsiert! Aber ich würde gerne mitlachen!«, grummelte er etwas ungehalten. Ich ging zu ihm und legte meine Arme um ihn. Dann drückte ich ihm ganz sanft einen Kuss auf die Lippen, so als kleine Wiedergutmachung. Außerdem stellte ich den anderen Beiden gegenüber gleich klar, wie es um uns stand.

»He Blacky, Dein Neuer?!«, kam es ein wenig provozierend von dem Freund des Schnuckels. Da ich meine Arme immer noch um Felix gelegt hatte, merkte ich, wie er sich etwas versteifte und ihm die Situation wohl mehr als unangenehm wurde. Der Schnuckel, der uns etwas näher stand, musterte Felix intensiv und meinte dann.

»Hm Großer, das scheint nicht ganz zu stimmen, da ist ein wenig mehr!« Die Freunde von Felix schienen ihn wohl ein wenig zu kennen. Um ihm aus seiner Verlegenheit zu helfen, mischte ich mich ein.

»Also mein Name ist Jean und wie heißt Ihr?«

»Hey Jean, entschuldige unsere Unhöflichkeit, aber dieser Zufall war einfach zu lustig«, kicherte der Kleinere immer noch.

»Das ist mein Freund Andre, ich heiße Florian, kannst mich auch Flo nennen und der in Deinen Armen hört auf den Namen Felix, auch Blacky genannt«, schloss er feixend. Jetzt schon zum zweiten Mal dieser Spitzname.

»Blacky???«, flüsterte ich Felix zu. Nur Flo schien seine Ohren überall zu haben.

»Ich merke, Du hast ihm Deine wahre Haarfarbe noch nicht gezeigt?«, grinste er sehr zweideutig.

»Blödmann!!«, grummelte dieser, schob aber noch hinterher, »Wollen wir nun los oder weiter blöde Sprüche machen??«.

»Wer macht denn sonst hier die ganzen blöden Sprüche, mein lieber Felix??«, kam es von Andre. Felix löste sich aus meinen Armen, lächelte etwas gequält und schob mich auf den Beifahrersitz.

»Euch überlasse ich die Rückbank, aber wenn Ihr Schweinereien macht – dürft Ihr den Wagen morgen putzen!«, wandte er sich dann doch mit einem spitzbübischen Lachen an seine Freunde.

»Nur neidisch«, antwortete Flo keck. So schüchtern, wie ich ihn Erinnerung hatte, schien er gar nicht zu sein. Dann ging sie los, die Fahrt durch die dunkle Nacht. Ich hatte keine Ahnung, wo es hinging. Damit ich nicht wieder ins Grübeln verfiel, beobachtete ich Felix. Er fuhr umsichtig und achtete auf den Verkehr.

Nach einer Weile hörte ich ihn brummig fragen »Kleiner, könntest Du Dir ein anderes Opfer suchen??!! Du machst mich echt nervös!«. Ich verstand fast gar nicht, was er von sich gab, denn er sprach wirklich verdammt leise. Nur Flo hörte wohl sogar noch die Flöhe husten. Von ihm bekam ich ein überraschtes

»Ups!«.

Das zwang mich regelrecht, zu den Beiden nach hinten zu schauen. Im Dunkeln konnte ich mehr erahnen als sehen, dass Flo erstaunt die Augenbrauen hochgezogen hatte und Andre einen langen viel sagenden Blick zuwarf. Der Sache musste ich auf den Grund gehen, aber jetzt wollte ich nicht näher darauf eingehen. So fing ich ein unverfängliches Gespräch mit den Beiden an. Andre war etwas älter als Flo und Felix. Sie waren seit ca. 2 Jahren zusammen und hatten seit einem halben Jahr eine eigene Wohnung. Trotz des höheren Alters war Andre der Albernere – Flo strahlte eine gewisse Ruhe aus. Um es kurz zu machen, Flo interessierte mich immer mehr. Er sah gut aus, hatte was im Kopf und dann war da noch das gewisse Etwas. Er war mir nicht umsonst schon damals aufgefallen. Tja und Flo und Felix waren gleich alt, kannten sich schon seit dem Sandkasten, sind zusammen zur Schule gegangen und …

… mehr bekam ich nicht raus. Ab einer gewissen Stelle gab er nichts mehr preis und von Felix kam eh kein Kommentar. Ihm schien das auch alles ein wenig peinlich zu sein, vor allem, wenn sie auf seine »Boys« zu sprechen kamen. Dann fand das Ganze ein abruptes Ende, denn wir waren an der Disse angekommen. Oh man, ein Schwulentempel, mein Bauchgrummeln nahm zu. Felix ließ erst gar keine falsche Bescheidenheit aufkommen und nahm mich bei der Hand. Diese Geste war ja fast Besitz ergreifend und ich sah aus meinen Augenwinkeln, dass Andre und Flo still vor sich hinfeixten.

Die nächste Hürde wurde auch im Sturm genommen und dann stand ich mit den Dreien am Rande einer riesigen Tanzfläche. Und welch Überraschung – die Jungs hier sahen normal aus! Na ja, fast alle, ein paar seltene komische Exemplare gab es schon. Felix bahnte sich einen Weg durch die dicht gedrängte Menge und zog mich hinter sich her. Auf der gegenüberliegenden Seite fanden wir ein paar Sitzgelegenheiten und hatten auch noch Glück. Sekunden später saßen wir auf einer Eckcouch. Vorsichtig löste ich meine Hand aus seiner und lächelte verlegen.

»Willst Du tanzen?«, fragte er mich. Verneinend schüttelte ich den Kopf – ich und Tanzen, eher fällt Schnee in der Sahara. Enttäuscht sah er mich an.

»Geh nur, ich schaue gerne zu«, versuchte ich ihn aufzumuntern. Eine Weile hielt er es noch bei mir aus, aber dann kribbelte es ihm doch zu sehr in den Beinen und er sprang zur Tanzfläche. Erleichtert stieß ich die Luft aus, der Kelch war an mir vorüber gegangen. Ich gehe ab und zu gern zur Disko, aber nur um zu schauen und Spaß zu haben, aber die koordinierten Bewegungen zur Musik lagen mir definitiv nicht im Blut. Die meiste Zeit konnte ich Felix beobachten, denn er tanzte am Rand der Fläche mir zugewandt. Ich bewunderte seine Bewegungen – ihm wiederum schien die Musik sehr im Blut zu liegen. Aber ich beobachtete noch etwas anderes. Einige Typen bekamen schon mit, dass er alleine tanzte und versuchten mit ihm anzubandeln. Seine Abwehrreaktionen waren ziemlich eindeutig, die es gar nicht verstanden und nicht aufgaben, stieß er sogar von sich, wenn sie ihm zu nahe kamen. Nur etwas fehlte – ich horchte in mich und versuchte zu ergründen, was es war. Dann hatte ich es. Felix schienen diese Aktionen lästig zu sein und mich hätten sie eifersüchtig machen müssen. Jedoch das war ich nicht. Bei Tim war das was anderes, da war ich rasend vor Eifersucht, wenn sich einer zu sehr um ihn kümmerte, aber bei Felix ließ mich das ziemlich kalt. Liebte ich ihn nicht? War mir das wirklich egal, wenn sich andere Boys an ihn ranwarfen? Verdammt ich mochte ihn doch, warum machte mich das nicht eifersüchtig? Resignierend schüttelte ich den Kopf und wandte mich zu Flo und Andre um. Die Beiden waren intensiv mit sich beschäftigt, hatten keine Augen und Ohren für mich. Eine Weile schaute ich ihrem Treiben zu und eine gewisse Erregung machte sich in mir breit. Bei dieser Sache war ich mir sicher – das wollte ich mit Felix auch machen!

So drehte ich mich wieder der Tanzfläche zu, nur ihn konnte ich nicht erblicken. Ich ließ meinen Blick schweifen, aber aus der sitzenden Position war nicht so viel zu erkennen. So erhob ich mich und schlenderte zum Rand der wogenden Massen. Man war das ein Gedränge und vor allem laut. Die Bässe drangen bis zum Bauch vor – irgendwie riss mich die Musik mit sich. Ich stand nun wirklich nicht auf solche Technomusik, aber die Töne hallten in meinem Körper nach – eine Erregung erfasste mich. Dann stand ich am Rand, vor mir hüpften Menschen auf und nieder, meine Beine zuckten. Na, wurde ich jetzt auch noch zu einem »Tanzschwein«?? Ich war umgeben von der wogenden Masse, roch den Schweiß, aber es war nicht abstoßend, nein, eher sehr erregend. Und dann sah ich ihn …

… wow, mir blieb das Herz fast stehen – Felix bewegte sich so grazil und doch hemmungslos. Sein Oberkörper glänzte schweißüberströmt, sein Shirt hatte er ausgezogen. Seine Muskeln spielten im zuckenden Licht, er sah so sexy aus. Wie konnte man so unverschämt gut aussehen! Ich suchte seinen Blick und er bemerkte mich. Seine Augen bohrten sich förmlich in meine. Tanzend kam er langsam auf mich zu. Obwohl dutzende von Personen um ihn herum waren, sah ich nur ihn. Dann hatte er mich erreicht und zog mich mit auf die Tanzfläche – mein Widerstand war verflogen, ich wollte nur bei ihm sein. Was mich am meisten überraschte war meine Geilheit – ja ich war so was von scharf auf ihn, dass ich am liebsten … .

Schlagartig verstummten die heißen Rhythmen und machten einem langsamen Lied Platz. Viele strömten zu ihren Plätzen, die Menge lichtete sich, aber das bekam ich nur am Rande mit. Ich war in Felix Augen versunken. All die Grübeleien, all die düsteren Gedanken fielen von mir ab – Felix zog mich an sich. Sanft lehnte ich mich an seinen erhitzten Körper, legte meinen Kopf auf seine Schulter – ließ mich einfach treiben. Seine Hände glitten auf meinem Rücken abwärts, verharrten auf meinem Hintern. Dann glitten sie in meine Gesäßtaschen und er zog mich noch enger an sich. Felix rieb sich an mir, seine Erregung war mehr als spürbar – wohl auch, weil sich mein bestes Stück schlagartig verhärtet hatte. Von der Musik bekam ich nicht viel mit, mein Kopf löste sich von seiner Schulter und unsere Lippen trafen sich. Aus dem sanften Kuss wurde schnell ein heißer – ich verspürte keinen Hemmungen mehr.

Nach Minuten trennte ich meinen Mund von seinem. Wow, ich war atemlos und …

… ich war geil, tierisch geil auf diesen Kerl. Aus den Augenwinkeln sah ich ein bekanntes Gesicht, Flo grinste über beide Backen.

»Man Jungs, Ihr seid …«, der Rest ging in lauten Bässen unter, denn die softe Musik hatte ihr Ende erlebt und nun wummerten wieder Technotöne durch den Saal. Flo stand in inniger Umarmung mit Andre neben uns und die Beiden hatten wohl auch die langsame Musik für ein kleines Tänzchen genutzt. Flo nahm seinen Schatz an die Hand und zog ihn mit sich fort. Und ich …

… ich wollte Felix jetzt nicht mehr loslassen und folgte den beiden, meinen Partner hinter mir herziehend. Dort ließ er sich auf den Sessel plumpsen und ich zog einen Flunsch. Die Couch hatten zwar wieder Flo und Andre besetzt, aber irgendwie wäre da auch für uns noch Platz gewesen. Felix griente in sich hinein.

»… man ihr wart der pure Sex auf der Tanzfläche«, vollendete Flo seinen Satz. Stirnrunzelnd sah ich ihn an – wie bitte????

Meine Überraschung schien nun wiederum Flo zu überraschen. Verdutzt sah dieser nun Felix an.

»Sag mal Blacky, ist dem Kleinen hier gar nicht bewusst, wie er auf uns so wirkt??«, hörte ich ihn fragen.

Felix zuckte mit den Schultern »Wohl nicht« – bemerkte ich da ein nervöses Flackern in seinen Augen?? Anderseits beunruhigten mich die Worte von Flo ein wenig.

»Wirken? … Auf Euch?«, stotterte ich, Gott geb mir eine klare Satzstellung, das Gestammel kann sich ja keiner anhören.

»Bengel, Du bist der pure Sex. Den gierigen Blicke und sabbernden Fressen nach, wäre die Hälfte des Saales gerne über Dich hergefallen«, flötete Andre lüstern in meine Richtung, die eindeutig ausdrückte, was ER mit mir angestellt hätte. Dies brachte ihm einen nicht sehr zarten Knuff von Flo ein. Und ich …

… ich hörte die Worte, verstand aber nicht deren Sinn. Redeten DIE von mir? Ich kannte doch Sex nur vom Hörensagen und, ähhmm, hmmm von meiner rechten Hand, zugegebenermaßen.

»Der ist mir!«, hörte ich eine energische Stimme und fühlte mich nach unten gezogen. Schwupps saß ich bei Felix auf dem Schoß und sah in seine strahlenden Augen.

»Leute könntet Ihr mal bitte mit mir reden und nicht über mich!!!«, grummelte ich, aber meine Stimme hatte mehr einen nervösen Klang als einen wütenden.

»He Kleiner, Du brauchst nicht alles zu wissen«, hörte ich Felix in mein Ohr flüstern, dann fing er an, an meinem Ohrläppchen zu knabbern – über meinen Körper lief eine Gänsehaut. Das gefiel mir, ach gefallen war nicht der richtige Ausdruck – das war saugeil. Ergeben ließ ich mich an seinen Körper sinken, seine Hände schlossen sich über meinen Bauch. Dieses Gefühl war einfach himmlisch. Genau das hatte ich vermisst, diese Geborgenheit, diese Wärme … jedoch …

… weiter kam ich mit meinen Gedanken erst einmal nicht, denn ich hörte eine Stimme in unserem Rücken. Etwas schrill, was nicht unbedingt unangenehm war – nein der Tonfall war es, der meine Nackenhaare aufstellte.

»Das war klar, dass der Schnuckel in Deinen Armen landet, Blaaaaackyyy«, bläkte dieses Etwas. Flo und Andre rollten genervt mit den Augen, denn sie hatten Sichtkontakt mit der Stimme. Interessant war mal wieder die Reaktion von Felix. Sein Körper versteifte und seine Hände verkrampften sich – ich konnte sein Unwohlsein regelrecht spüren. Aber er löste sich nicht von mir, nein eher zog er mich noch enger an sich. War das nun Beschützerinstinkt oder brauchte er Halt? Da wohl Felix nicht so reagierte, wie ES sich es vorstellte, nahm ich am Rande meines Gesichtsfeldes eine Bewegung war. Was sich da so langsam vor uns aufbaute, war eine …

… Tucke schlechthin. Ich musste mir mühsam ein Kichern verdrücken, das war einfach nur komisch anzuschauen. Schlanke Figur hatte ES ja, aber da hörten die positiven Argumente für diese Person auf. Was noch am besten passte, war wirklich die Bezeichnung »ES«. Das Gesicht war dermaßen grell geschminkt, das seine Hautfarbe auch schwarz hätte sein können. Die ganze Sache sollte wohl ein feminines Wesen darstellen, unterstützt wurde das von der Kleidung. Okay die Schlaghose gab ja noch was her, aber darüber ein Minirock? Dann schmückte den Oberkörper ein Netztshirt, das an einigen Stellen zerrissen war. Aber wer war ich denn, dass ich über jemanden richten konnte – eins war aber sicher, die Aufmachung passte nicht!

»Tschüss Patrick!«, versuchte Felix die Begegnung sofort zu beenden.

»Das hörte sich aber mal anders an!«, behauptete die Person schrill, von der ich nun wusste, dass es wohl doch ein Boy war.

»Verbreite hier keine Unwahrheiten!«, hörte ich mein Sitzkissen, denn ich saß ja immer noch auf seinem Schoss, scharf antworten. Da wandte sich das Schminkkissen an mich.

»He Kleiner, bevor Du sein bestes Stück anfasst, lass Dir erst einen aktuellen Gesundheitstest zeigen. Der da poppt alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist!« Das sollte wohl ein gut gemeinter Rat sein, denn er versuchte seiner Stimme einen ernsten Klang zu geben. Nur kiekste sie immer mal zwischendurch, so dass es sich mehr als lächerlich anhörte. Allein der Inhalt gefiel mir nicht, aber das war etwas, was ich mit Felix alleine ausmachen sollte. Langsam stand ich auf und machte Patrick gleich mal deutlich, wer hier der Kleine war, denn um einen halben Kopf überragte ich ihn bestimmt.

»Danke für den Hinweis«, sagte ich und auf Schminki's Gesicht breitete sich ein süffisantes Lächeln aus. Dachte er wirklich, das wäre alles?

»Du hast nur einen klitzekleinen Gedankenfehler!«, begann ich lächelnd, man konnte regelrecht sehen, wie die Zähnräder in seinem Kopf anfingen zu drehen, aber sie fassten nicht ineinander – im Klartext, er hatte keinen Blassen.

»Zu einer Bettgeschichte gehören immer zwei Personen, die DAS wollen! Und ICH werde nicht zum willenlosen Schminkkoffer, wenn ich einen fremden, harten Schwanz sehe! Ich kann mir durchaus meine eigene Meinung bilden!«, fuhr ich ziemlich unhöflich fort – seine Gesichtszüge entglitten ihm, denn das hatte er verstanden.

»Du Arsch!«, keifte ES los und weiter gings, »ICH habe sein kleines Prachtstück gesehen und kann Dir flüstern, dass er es nicht bringt!«.

»Patrick, meine letzte Warnung, das reicht!«, hörte ich Felix zornig sagen.

»Wenn der Kleine Dich nicht ranlässt, darfst Du gerne angekrochen kommen, Sweetie«, flötete er in Felix Richtung.

»Verschwinde!«, eine kurze aber sehr ernst gemeinte Antwort. Ich kannte Felix noch nicht so lange, aber man sah ihm an – er kochte. Schminkie hatte noch was auf der Zunge, sah von mir zu Felix und als er mitbekam, dass Flo aufstand, um sich einzumischen, dackelte er von dannen.

»Sorry«, hörte ich Felix flüstern. Aber meine Gedanken waren woanders. Erst die Andeutungen von Svenja, dann die Aussagen von Flo, nun dieses Etwas – war Felix doch ein notgeiler Bock? Okay, sein Sexappeal sprach mich mehr als an, aber für ein Abenteuer war ich mir zu schade.

»Nun mal Klartext! Was sollen die ganzen Aussagen? Poppst Du Dich wirklich durch die Gegend?«, fuhr ich ihn sauer an. Interessante Reaktion – seine Klappe fiel herunter, seine Augen blickten auf einmal unendlich traurig und sein Gesicht nahm einen sehr nervösen Ausdruck an. Nur eine Antwort bekam ich nicht.

»Aha, weißt Du mein Lieber, keine Antwort ist auch eine!«, man war ich in Fahrt und wusste nicht mal richtig warum. Da wiederum nix von ihm kam, drängelte ich mich an ihm vorbei – ich musste an die frische Luft!

Die kühle Nachtluft blies mir den Kopf frei. Man was sollte dieses Rumgezicke eigentlich, ich wusste doch schon vorher, worauf ich mich eingelassen hatte. Das Problem war wohl eher, dass ich nicht wusste, was ich wollte!

Was wollte ich von Felix??

Freundschaft?

Liebe?

Oder doch nur puren Sex? Ich hatte keine Ahnung. So grübelnd lehnte ich an einem Baum unweit des Eingangs. Eine Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.

»Jean?«

Meine Augen suchten den Störer. Ein paar Meter entfernt stand Flo.

‚Hatte ich denn keine Ruhe mehr. Ich musste nachdenken!‘

»Ja!«, meine Stimme klang unwirsch.

»Entschuldige, ich wollte Dich nicht stören«, sprach er leise und drehte sich um. Nur ich hörte noch etwas anderes heraus, ein kleines Zögern.

»Du störst nicht, bleib bitte. War nur gerade etwas heftig für mich!«, antworte ich ihm.

»Komm, lass uns zu der Bank dort gehen. Ich möchte Dir etwas erzählen, aber nur wenn Du das möchtest!«

»Klar!«

Zusammen schlenderten wir zu der Sitzgelegenheit und ließen uns da nieder. Schweigen breitete sich aus, jeder hing wohl in seinen Überlegungen fest.

»Weißt Du Flo, das ist alles so neu für mich! Ich bin immer noch dabei, mein Schwulsein zu verarbeiten und dann muss ich immer wieder hören, das Felix wohl ne Schlampe ist?!«, gestand ich ihm freimütig. Irgendwie hatte ich Vertrauen zu ihm.

»Nein, das ist er nicht!!«, kam es sehr heftig von Flo mit einem komischen Unterton, ein Seufzen folgte dieser Aussage.

»Ach was solls, Du bist kein Dummer und wirst es schnell mitbekommen«, eine Pause schloss sich diesem Satz an, als sie immer länger wurde, wollte ich schon nachhaken.

»Du hast ja vorhin mitbekommen, dass ich Felix seit dem Sandkasten kenne und wir seit der Zeit Freunde sind«, fuhr er fort, stockte kurz und wiederholte dann noch einmal, »Gute Freunde …«.

‚Gute Freunde‘ – mich traf ein riesiger imaginärer Vorschlaghammer!!

»Du liebst ihn!«, platzte es aus mir heraus.

»Scheiße, jaaaa!«, schluchzte er. Ein Zittern ging durch seinen Körper.

»Aber warum …«, versuchte ich fortzufahren.

»Warum ich mit Andre zusammen bin?«, beendete er meine Frage.

»Weil er mich liebt!«, kam es leise von ihm.

»Oh!«

»Verdammt hast Du überhaupt eine Ahnung, wie das ist, in seinen besten Freund verliebt zu sein und …«, hörte ich ihn unter tränenerstickter Stimme flüstern.

» … und der schönste Traum immer ein Traum bleibt??«, unterbrach ich ihn. Sein Kopf fuhr hoch und er sah mir prüfend in meine Augen.

»Oh!«

»Ja Flo, ich hab mehr als eine Ahnung davon!«

Und auf seinen fragenden Blick erzählte ich ihm mit leiser Stimme von Tim, Svenja, Raphael, Felix und mir. Ich redete nicht über meine Gefühle, nur über die Fakten.

»In einem unterscheidet sich jedoch unsere Situation! Felix ist schwul – Tim nicht!«, schloss ich meinen Monolog.

»Fuck!!«, war seine Reaktion.

»Wie Recht Du hast!«, gab ich unfroh zu.

»Hast Du nie versucht mit Felix …?«, musste ich ihn einfach fragen.

»Ins Bett zugehen?« Er konnte meine Gedanken lesen.

»Und ob – da habe ich nun schon mal einen Freund und der ist auch, welch ein Zufall, genauso schwul wie ich. Er ist der Boy in meinen feuchten Träumen, man ich bin manchmal auch nur schwanzgesteuert. Klar hab ich es versucht!«, murmelte er und ein wenig später »Genau einmal!«. In der Stimme war soviel Trauer. Ich ließ ihm Zeit, wollte ihn zu nichts drängen.

»Felix hat mir solch eine Abfuhr erteilt, dass ich wochenlang durch den Wind war. Seine wörtliche Aussage war ‚Ich werde doch unsere Freundschaft nicht mit ein bisschen Sex auf die Probe stellen. Nein dafür ist mir Deine Freundschaft zu wertvoll!‘ Scheiße!«, sein Schluchzen wurde wieder intensiver, irgendwie schien alles hochzukommen.

»Verdammt ich liebe ihn doch!«, versuchte er trotzig zu wirken, aber es hörte sich verdammt hilflos an.

»Hast Du ihm das gesagt?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja!«

»Und?«

»Seine Antwort war ‚Ich liebe Dich auch, aber wie meinen besten Freund!‘ und damit war die Sache für ihn erledigt. Ich war am Boden zerstört. Ich hasste jeden Boy, den er abschleppte – die durften das haben, was ich nie von ihm bekommen würde. Und Felix ist ein absoluter geiler Typ, das weißt Du ja selbst am besten und kann all die haben, die er will!«

»Wenn ich Andre nicht getroffen hätte, hätte die Eifersucht mich aufgefressen! Bevor Du fragst, ich mag ihn, aber so wie Felix werde ich wohl nie jemanden lieben können!«

»Weiß er davon?«

»Klar, wir haben keine Geheimnisse. Zum Glück nimmt er es locker und kommt mit Felix sogar prächtig klar. Er weiß, dass er gegen diese Liebe nicht ankommt, aber er gibt mir Halt und Wärme!«, schloss er das Thema ab.

»Nun muss ich aber noch eine Lanze für meinen Freund brechen«, grinste er mich an. Das Lächeln sah so süß aus, denn die Tränen glitzerten immer noch in seinen Augen.

»Felix ist schon ein Hallodri, aber keine Schlampe! Er hat schon so einige Boys abgeschleppt, alles durchweg echte Schnuckels, aber ihm kam es immer auf ehrlichen Sex an, denn zu einer Beziehung scheint er nicht in der Lage!«, eröffnete er mir.

»Glaub mir, an solche Typen wie Patrick würde er nicht mal einen kleinen Gedanken verschwenden! Vielmehr versuchte dieser wochenlang Felix anzubaggern und handelte sich einen Korb nach dem anderen ein. Und nun zickt er herum!«

»Aha«, mehr fiel mir wirklich nicht dazu ein.

»Nur scheint sich die Sache nun total anders zu entwickeln …«, Flo verfiel ins Grübeln.

»Wie anders …?«, konnte ich meinen Mund nicht halten. Er schwieg.

»Flooo !!!«, drängelte ich.

»Liebst Du ihn?«, kam die überraschende Frage.

»Waas?«, keuchte ich.

»Ob Du Felix liebst, oder nur ein Abenteuer suchst?«, hakte er noch einmal nach.

»Ich weiß es nicht«, gestand ich ihm stockend.

»Mein armer kleiner Felix, jetzt wird Dir wohl mal das Herz gebrochen!«, murmelte Flo sehr leise.

‚Konnte er mal bitte nicht so zweideutig daherquatschen!‘, durchfuhr es mich.

»Komm lass uns wieder reingehen«, kam er meiner Nachfrage zuvor und stand auf. Ich seufzte hörbar.

»Ist das Schwulsein immer so kompliziert?«, fragte ich Flo.

»Jean, Du hast keine Ahnung, wie kompliziert!«, grinste er mich an, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Bei unserer Sitzecke angekommen, bot sich mir ein komisches Bild. Felix saß wie ein Häufchen Unglück in seinem Sessel, er machte einen sehr traurigen Eindruck. Zögernd trat ich zu ihm.

»He Großer«, sprach ich ihn an, seine Augen wanderten an mir hinauf – so nervös und schüchtern sah er noch viel süßer aus als sonst.

»Hey«, hörte ich ihn heiser, vor Selbstbewusstsein strotzte das nicht gerade. Eins wurde mir klar. Ich mochte Felix, ob ich ihn liebte, dass musste die Zeit zeigen. So entschlossen setzte ich mich auf seine Schenkel.

»Was ist los?«

»Bist Du jetzt entsetzt?«, fragte er ziemlich nervös.

»Nein« flüsterte ich ihm zu und ungläubig sah er mich an.

»Deine Schwester hat mir schon so einiges erzählt und Flo hat mir draußen ebenso vieles erklärt. Und grundsätzlich bilde ich mir gern selbst eine Meinung und lass mir die nicht aufdiktieren!«, erklärte ich ihm mit ernster Stimme – die Erleichterung war in seinem Gesicht abzulesen. Ein kleiner Seitenhieb musste aber sein.

»Wenn Du aber mit DAS da im Bett warst, frage ich mich, wie viele kleine bunten Pillen Du so konsumierst hast!«, knurrte ich ihn an.

»Neeeeiiiiiinnnnnn!!«, schrie er fast, im Hintergrund hörte ich Flo und Andre feixen. Felix Augen verengten sich etwas.

»Kleiner Schleicher«, brummte er und schon versenkte er seine Finger zwischen meinen Rippen. Ich juchzte auf, man ich war doch kitzlig.

»Meinen Geschmack habe ich doch wohl damit bewiesen, dass Du hier auf meinen Knien sitzt, oder???« Ich hätte ja gerne geantwortet, wenn seine Finger nicht gewesen wären, somit japste ich nur nach Luft …

»… Fe…li…xx. Hööörr…. a…u..f..«, langsam aber sicher kicherte ich mich in einen Rausch. Ich wand mich unter seinen Händen. Schlagartig hörte er auf und sah mir tief in die Augen – seine große Unsicherheit war immer noch für mich sichtbar. Langsam senkte ich meine Lippen auf seine, dass war meine Antwort auf seine stumme Frage. Seine Lippen öffneten sich zögernd, meine Zunge klopfte an seine Zähne, fast schüchtern berührte seine Zungenspitze meine. Sanft löste ich mich wieder von ihm, seine Augen leuchteten. Mit meinem Mund näherte ich mich seinem Ohr.

»He Du Monster gib mir meinen frechen Felix zurück! Man für mich ist das doch alles neu – Du musst mich schon führen!«, flüsterte ich ihm ganz leise und lüstern ins Ohr. Und was war seine Antwort??

Er verpasste mir einen riesigen Knutschfleck am Hals – schönen Dank auch!

»Danke, ich renn ja auch im Frühsommer gerne mit einem Schal herum«, grummelte ich ihn an, mein bestes Stück sagte ihm aber eindeutig, was ich davon hielt – denn er hatte eine Hand da hinwandern lassen. Er war verrückt, denn er massierte diese Ausbuchtung nun sanft.

»He, nicht hier«, stöhnte ich leise auf.

»Warum nicht, die Hälfte der Kerle machen nichts anderes hier«, hörte ich ihn erregt in mein Ohr hauchen.

»Wenn Du sooooo weiter machst, brauche ich Deine Unterhose«, murmelte ich atemlos, meine Explosion stand wirklich kurz bevor.

»Oh.«

Felix ließ seine Hand wieder nach oben wandern und schob sie unter mein T-Shirt. Dort streichelten sie sanft über meinen Bauch hoch zu meinen Brustwarzen. Man das war nun wirklich nicht abtörnend, die Erregung klang kaum ab und mein Schwanz pochte immer noch hart in meiner Hose. Ich war so was von geil, so was hatte ich noch nicht erlebt. Meine Hände waren aber auch nicht untätig. Sie strichen durch sein schönes volles Haar, über sein Gesicht. Ich saugte jede Einzelheit auf, schloss meine Augen – wollte nur fühlen. Seine schmale Nase, die vollen Lippen, er konnte es nicht lassen und knabberte an meinen Fingern. Ich öffnete meine Augen und schaute in zwei strahlende Sterne. Sein Blick hatte sich an meinem Gesicht festgesaugt, so als wollte er sich keine Regung meinerseits entgehen lassen.

»Großer können wir zu Dir fahren?«, fragte ich ihn leise. Seine Augen leuchteten amüsiert auf.

»Und was sagen wir den anderen Beiden. Wir sind gerade mal zwei Stunden hier!«, entgegnete er.

»Bitte!«, flehte ich heiser – nur noch ein Sinn beherrschte mein Denken. Bei einer Frau könnte man ja sagen, der Trieb nach Fortpflanzung, aber bei diesem schnuckeligen Boy???

»Können wir nach Hause fahren?«, ertönte es wie aus dem Nichts. Verwundert fuhren unsere Köpfe herum, denn die Frage kam nicht von uns – nein, Flo hatte sie gestellt. Mit einem wissenden Lächeln saß er auf dem Schoss von Andre und seine Augen blitzten. Langsam wurde mir der Kleine unheimlich. Konnte er etwa Gedanken lesen?

»Och, das ist gerade sooo schön gemütlich«, hörte ich Andre sagen. Er hatte seine Arme um seinen Schatz gelegt und zog ihn liebevoll an sich. Im Halbdunkeln konnte ich mehr erahnen als sehen, dass er sich dafür von Flo einen Knuff einfing. Jedoch war der allgemeine Aufbruch damit eingeleitet und wir drängelten uns durch die Menge dem Ausgang zu. Felix schmuggelte ein leises »Danke« in Flo's Richtung und dieser lächelte etwas gequält. Hoffentlich traf mich nun nicht auch ein Teil seiner Eifersucht, denn immerhin schleppte ich ja gerade seine Liebe ab. Seine Augen waren prüfend auf mich gerichtet und an meiner Miene waren meine Gefühle wohl abzulesen.

»Nein, es ist in Ordnung«, hörte ich ihn. Dabei hatte er meine Hand genommen und drückte sie leicht. Ich lächelte ihm dankend zu. Ein paar Minuten später saßen wir im Auto und ab ging die Rückfahrt. Ein Positives hatte die längere Fahrt, meine Erregung klang ab. Nun ja ob das sooo positiv war, konnte ich mir nicht eindeutig beantworten, denn mir kamen auch Zweifel.

‚Was würde nachher passieren?‘

‚War ich dafür bereit?‘

‚Wollte ich das überhaupt??‘ Solche und ähnliche Fragen schossen mir durch mein Hirn. Und leider nahmen meine Bedenken nicht mit der Zeit ab sondern eher zu. Ich wurde immer unsicherer und nervöser.

»Hey Kleiner, alles okay?«, fragte mich Felix, seine Hand lag auf meinem Knie und streichelte leicht höher.

»Ja, ich glaub schon!«, antwortete ich und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Nur konnte ich das Zittern in ihr nicht ganz unterdrücken. Diese Hand auf meinem Oberschenkel war nicht dazu angetan, locker und unbeschwert an das Kommende zu denken. Zum Glück musste Felix wieder schalten und so verschwand sie. Es war mir bei weitem nicht unangenehm, so langsam schien mich dann doch alles ein wenig zu überfordern. So schnell, wie ich vorhin mit Felix in seinem Zimmer sein wollte, genauso lange wollte ich nun in diesem Auto sitzen bleiben und nie ankommen oder am besten in meinem Zimmer alleine aus diesem Traum aufwachen.

‚Man Jean, was ist denn mit Dir los. Felix ist doch kein Monster!‘, durchfuhr es mich. Ja klar, war er das nicht, nur meine Unsicherheit verflog bei diesem Gedanken trotzdem nicht. Wie immer in solchen Situationen raste die Zeit nur so dahin. Wir waren ruckzuck bei dem Treffpunkt angekommen und ließen Flo und Andre aus dem Auto. Andre konnte ein »Na dann noch viel Spaß« nicht unterdrücken und Florian's Feixen machte mir ziemlich klar, an was die Beiden dachten. Nur Sekunden später, so erschien es mir, standen wir vor seinem Haus, der Motor war aus. Felix sah mich prüfend an.

»Möchtest Du lieber nach Hause?«, fragte er mich.

»Ja ……… Nein!« Das erste Wort war so schnell raus, dass ich nur sehr knapp die Kurve bekam. Entschlossen öffnete ich die Autotür und schob mich ins Freie. Felix schloss das Auto ab und stand auf einmal vor mir. Seine Hand glitt unter mein Kinn und hob es an, seine Augen bohrten sich in meine.

»Kleiner, es passiert nichts, was Du nicht willst!«, sagte er sehr ernst. Und ich merkte, dass das nicht nur so ein Spruch ‚Erst mal beruhigen und dann vögeln‘ war, nein, Felix meinte es genau so, wie er es gesagt hatte.

»Na weißt …, ähmm, weißt Du das … na ja …«, murmelte ich und zuckte hilflos mit meinen Schultern.

»Dein erstes Mal?!«, kam es von ihm. Das war eigentlich keine Frage sondern eine Feststellung und dann natürlich auch noch eine, die Fakt war. Schüchtern nickte ich. Ich konnte sehen, wie die Mundwinkel von Felix nach oben wanderten bis ein flegelhaftes Grinsen sein Gesicht zierte.

»Na ja, für mich auch«, hörte ich ihn, wenn nur nicht die Augen so belustigt aufgeblitzt hätten.

»Ähmm, wie bitte??«

»Also für mich ist das auch das erste Mal!«, wiederholte er den Satz und nach einer kleinen Pause schob er noch nach »… mit Dir mein Dummerchen«. Mir entgleisten vor soviel Frechheit die Gesichtszüge.

»Blödarsch!«

»Hm, das werd ich mir heute noch anschauen, ob der blöd ist«, bei diesen Worten landete seine Linke auf meinem Hintern und griff in die Vollen. Felix zog mich zu sich und küsste mich stürmisch. Ich weiß nicht, was den Ausschlag gab, die Hand, die meinen Allerwertesten sooo gefühlvoll massierte oder die Zunge, die auf einmal in meinem Mund einen Tanz aufführte – auf jeden Fall gewann der Trieb wieder die Oberhand. Ich habe später immer wieder überlegt, mit einem Grinsen auf meinen Lippen, wie es möglich war, ohne sich voneinander zu lösen, den Parkplatz zu verlassen, die Haustür aufzuschließen, die Treppen zu überwinden und sein Zimmer zu entern?? Ich schwöre, seine, na ja vielleicht auch meine Zunge waren immer in fremden Gefilden, seine Finger stellten sonst was mit mir an, aber zum nächsten klaren Gedanken kam ich erst, als Felix mir langsam mein Shirt hochschob – er kniete auf seiner Couch über mir. Ruckzuck saß ich mit freiem Oberkörper da und seine Finger zeichneten feine Linien auf meiner Brust. Und ich??

Ich war so erregt, dass mir meine Hose mehr als eng war. Felix senkte seine Hüften auf meine Lenden und übte so noch zusätzlichen Druck aus. Ich konnte einfach nicht anders und stöhnte auf. Jetzt fing er auch noch leicht mit seinem Becken an zu kreisen, härter ging es doch gar nicht mehr. Langsam zog er sein Oberteil aus und seine Muskeln spielten im Halblicht. Magisch wurde ich angezogen und berührte mit meinen Händen seinen Oberkörper. Wow fremde nackte Haut, warm und wie samt. Meine Finger streichelten sanft über seine Brust, seinen kleinen Vorhöfen, die Warzen richteten sich sofort hart auf. Meine Blicke wanderten höher, meine Hände blieben dort – Felix hatte sein Kopf leicht nach hinten geworfen und seine Augen halbgeschlossen, seine Lippen jedoch waren leicht geöffnet. Er rieb sich noch intensiver an mir. Meine Finger wanderten höher, griffen in seine Haare und zogen ihn zu mir runter. Unsere Lippen trafen sich, vorsichtig knabberte ich an seinen. Dann legte er sich komplett auf mich und ich konnte zum ersten Mal seine Haut auf meiner fühlen. Es war einfach unbeschreiblich, ein so heiß ersehntes Gefühl, so unbekannt und doch aus meinen Träumen sehr wohl bekannt. Fordernd schob ich meine Zunge in seinen Mund, ich wollte mehr von ihm fühlen. Mit seinem Bein teilte er meine Schenkel und rieb jetzt mit seinem Oberschenkel hart meinen Schwanz. Ich konnte jedoch auch sein bestes Stück auf meiner Hüfte spüren. Seine Finger wanderten auf meinem Bauch abwärts, nestelten ziemlich ungeduldig an meinem Gürtel und den Knöpfen meiner Hose, aber plötzlich war die Enge verschwunden. Ich fühlte, wie seine Fingerkuppen unter meine Shorts glitten und hielt vor Anspannung die Luft an. Dann endlich war es so weit – es waren nicht meine Finger, die meinen harten Schwanz umschlossen, sondern fremde. Ich war sexuell so ausgehungert, dass es einfach passieren musste …

… innerhalb von Sekunden explodierte ich. Felix hatte noch nicht einmal angefangen, er hatte einfach nur meinen Schwanz in die Hand genommen und ich ergoss mich in meiner Shorts. Stöhnend ließ ich die Luft entweichen und ein wolliges Gefühl durchströmte meinen Körper. Leider hielt dieses Gefühl nicht lange an, schlagartig wurde mir das Ereignis mit seinen ganzen Auswirkungen bewusst und der Entspannung folgte die Ernüchterung. Und was noch viel schlimmer war – ich schämte mich. Felix hatte sich etwas von mir gelöst, hatte aber seine Finger an Ort und Stelle gelassen. Im Klartext – er massierte weiter meinen Schwanz.

»Hm Kleiner, Du hast es aber echt nötig gehabt«, hörte ich ihn glucksen.

»Ähm…, hmmm, na ja … weißt …«, nein ich war nicht atemlos, mir fehlten einfach nur die Worte und mir war das so was von peinlich. Jetzt floss das Blut ungehindert aus meinem besten Stück in meinen Kopf – ich wurde verdammt rot.

»He, das brauch Dir doch nicht unangenehm zu sein. Das war doch auch unser Ziel, oder??«, neckte er mich ein wenig, damit vollführten seine Finger der anderen Hand kleine Kreise auf meinen Bauch.

»Außerdem hatte der nix dagegen und möchte wohl noch mehr kennen lernen«, bei diesen Worten hatte er wieder mein halbsteifes Glied ergriffen und massierte es ein bisschen.

»Felix, ich würde mich …«, fing ich an, aber er sprang schon auf.

»Kein Problem, willst Du duschen?«

»Na ja, ich hab kein Handtuch bei oder so!«

»Dummkopf«, sagte er, nahm meine Hand und zog mich von der Couch hinter sich her. Ich konnte nur noch schnell meine Hose festhalten, sonst wäre ich hingeknallt. Und meine Shorts war jetzt endgültig eingesaut, denn der Rest meiner Lust wurde von ihr aufgesogen.

Im Bad legte er mir ein Handtuch hin und verschwand dann mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Mir war das ganz recht, denn so ohne Hemmungen hätte ich mich nun nicht vor ihm ausziehen können.

‚Klar, eben hatte er seine Finger noch an Deinem Schwanz und jetzt machste hier einen auf verklemmt!‘, schüttelte ich verwundert den Kopf. Fakt war jedoch, es war sehr geil gewesen, aber eine gewisse Ernüchterung machte sich jetzt breit und die Spuren wollte ich ganz gern ohne Zeugen beseitigen. Also schnell aus meinen Klamotten, die Shorts betrachtete ich kopfschüttelnd – die war heut nicht mehr zu gebrauchen. Dann verschwand ich in der Dusche und das warme, ne eher heiße Wasser prasselte über meinen Körper. Ich schloss meine Augen und meine Gedanken fingen an zu wandern. Tja da hatte ich nun den ersten Sex gehabt mit einem Fremden und es war …

… geil! Ich versuchte mir das Erlebte ins Gedächtnis zu rufen, das Ergebnis meiner Überlegungen stand Sekunden später aufrecht an meinem Körper.

»Hm Du scheinst ja noch lange nicht genug zu haben!«

Jawohl genau das waren auch meine Gedanken, nur kam das nicht von mir. Überrascht riss ich meine Augen auf und sah in der Kabinentür einen grinsenden Jungen stehen, nicht nur einen grinsenden sondern auch einen splitternackten. Ich musste schlucken, nicht nur vor Überraschung oder Scham, nein – Felix sah einfach super aus, super geil. Mein Blick wanderte wie magisch nach unten und was sich mir da entgegenreckte war nicht von schlechten Eltern. Ohne weitere Worte trat er zu mir unter die Dusche und ich zog ihn einfach in meine Arme…

… eine dreiviertel Stunde später lagen wir beide erschöpft eng umschlungen in seinem Bett. Felix hatte sich schläfrig in meine Arme gekuschelt, er hatte aber auch Sachen mit mir angestellt, hmmm. Ich hatte seinen Körper kennen gelernt, nicht nur mit den Augen sondern mehr mit meinen Fingern und Zunge. Aber es war nicht mehr passiert, als das seine Finger mich wieder zum Höhepunkt getrieben haben und diesmal war ich nicht untätig gewesen. Mehr war gar nicht nötig gewesen, es war schon so megageil.

»Jean?«, hörte ich ihn leise.

»Ja?«

»Und enttäuscht?«, der nervöse Unterton war nicht herauszuhören, auch wenn die Stimme schläfrig erklang.

»Warum?«, fragte ich verwundert.

»Na ja, Dein erstes Mal und dann nur …«, den Rest ließ er einfach im Raum stehen.

»Nein, es war perfekt und mehr hätte ich vielleicht gar nicht gewollt. Obwohl, so geil wie ich vorhin war, da hättest Du alles mit mir machen können.«

»Ich weiß«, ein kleines Lächeln stahl sich in sein Gesicht »aber ich will Dir nicht wehtun und Du sollst es wirklich wollen!«.

»Danke mein Großer«, murmelte ich und meine Lippen suchten seine, dann verschmolzen sie zu einem ultralangen Kuss …

Das fehlen meiner Hand weckte mich am frühen Morgen. Scheiße, wo war meine Hand oder besser mein ganzer linker Arm geblieben?? Außerdem hatte ich neben dem üblichen Druck am Morgen auf meiner Blase auch noch einen warmen nicht unangenehmen Druck auf meiner linken Körperhälfte. Mühsam öffnete ich die Augen und …

… argh alles rot, ein grelles Feuerrot, das tat den Augen weh – hatten mich denn nun alle meine Sinne verlassen??

Moment mal, das Rot sah irgendwie wie Haare aus und dann machte es Klick. Ich lag ja nicht alleine im Bett. Ja, die erste Nacht mit einem Boy in den Federn und es war außer Küssen nix passiert! DAS hatten wir vorher schon unter der Dusche! Jetzt wurde mir auch bewusst, was oder besser wer solch einen angenehmen warmen Druck auf mich ausübte, Felix lag halb auf mir drauf und ich konnte seine weiche samtene Haut auf meiner spüren. Nur mein Arm war immer noch weg!! Ein leichtes Kribbeln kam von links, hui, das kitzelte.

‚Konnte etwas kitzeln, was nicht da war?‘, mein Hirn war noch nicht auf Betriebstemperatur. Ich bewegte meine Schulter und versuchte mich unter Felix hervor zu winden. Halt, wieso wurde das Kribbeln stärker??

Danke, mein Arm war noch da, aber so was von eingeschlafen, dass er keine von mir gedachte Bewegung ausführte. Na toll! Ich zog ihn langsam unter Felix hervor, dem das wohl nicht so gefiel, denn er grunzte unwirsch im Schlaf. Das Blut kehrte langsam in meinem Arm zurück und somit wurde das Kribbeln unangenehm. Endlich hatte ich es geschafft und stand auf. Hm, schnell meine Boxer gegriffen …

… wo war meine Unterhose, verdammt noch einmal. Ich konnte doch nicht nackt durch diese Wohnung laufen – wenn mich Svenja so sieht, kann ich mir ewig was anhören. Der Gedanke daran ließ mich doch über das ganze Gesicht grinsen. Es löste nur nicht mein Problem mit der Shorts. Man ich könnte … Moment mal, die hatte ja gestern leiden müssen und Felix hatte sie in die Wäsche geworfen.

Tja und nu?

Eins war klar – ich musste dringend aufs Klo. So stand ich splitternackt im Zimmer und mir fiel keine Lösung ein, denn meine anderen Klamotten waren ja noch im Bad. Da hörte ich ein Kieksen aus dem Bett und drehte mich leicht um. Felix hatte die Augen etwas geöffnet und grinste sich einen.

»Na mein Kleiner, biste aus dem Bett gefallen?«, hörte ich seine glucksende Stimme.

»Nö, muss nur auf Klo!«, grinste ich zurück.

»Und ich weiß nicht, ob diese Aufmachung dafür das Richtige ist.«

»Wieso, mir gefällt es«, kam seine prompte Antwort und sein Blick glitt lüstern über meinen Körper.

»Feliiiiiiiiiix!!«, entnervt verdrehte ich die Augen.

»Nimm Dir eine aus dem Schrank, müsste Dir passen!« Etwas später ging ich an dem Bett vorbei, um zum Schrank zu gelangen. Kurz vor dem Schrank machte es auf einmal »Klatsch« und ich juchzte auf.

»Blödmann«, entfuhr es mir und ich rieb entrüstet meine rechte Backe.

»Beim dem knackigen Teil konnte ich einfach nicht widerstehen!«, gluckste er vor sich hin.

»Na warte«, antworte ich ihm und warf mich auf ihm.

»Au, au, immer schön vorsichtig, da gibt es sehr empfindliche Sachen«, grummelte er, aber seine Augen blitzten. Zu mehr kam er nicht, denn ich drückte meine Lippen auf seine. Meine Hand glitt unter die Decke und ich hatte eine prächtige Morgenlatte zwischen meinen Fingern.

»Du kleiner, elender Schleicher«, entfuhr es mir, als ich meine Lippen von seinen löste.

»Hey, bei dem Anblick«, seine Hand strich über meinen Hintern

»Hat es wehgetan?«, hörte ich ihn säuseln.

»Nö, aber auf SM stehe ich trotzdem nicht. Stehe eher auf zärtliche Boys«, knabberte noch kurz an seinem Hals, aber dann stand ich auf. Meine Blase machte sich schmerzhaft bemerkbar. Griff mir eine Shorts aus dem Schrank und stolzierte an Felix vorbei. Der musste sich mühsam das Lachen verkneifen, denn die Shorts stand sehr ab. Das kurze Zwischenspiel im Bett hatte auch mir einen Ständer besorgt. Ich warf einen kurzen Blick über den Flur, keiner zu sehen und ein kurzer Sprint zum Klo. Erleichtert wusch ich mir Minuten später die Hände – das war knapp. Wieder einen Blick riskiert und zurück gings …

… Wumm, die Tür von Svenjas Zimmer flog auf und ein Hund stürzte sich schwanzwedelnd auf mich.

‚Nein, bitte nicht!!‘, bettete ich still vor mich hin. Doch da erscholl schon eine bekannte Stimme

»Franka aus!«, und dann …

»Jean???«, hörte ich und dann war da nur noch Lachen. Erst ziemlich leise, aber dann steigerte sie sich in ein lautes Gegackere. Verlegen streichelte ich die Hündin und traute mich gar nicht ihr ins Gesicht zu schauen. Da stand ich nackt, bloss mit einer Shorts bekleidet vor meiner Freundin und die Ursache dafür lag ein paar Meter weiter.

»Oh, hihi …, gleich …, haha … die erste …«

Svenja konnte sich gar nicht beruhigen. Franka schien die ganze Sache doch sehr schleierhaft zu sein und sie verdrückte sich wieder in das Zimmer.

»Ja, ist ja gut. Komm beruhige Dich wieder!«, knurrte ich nervös. Genau das hatte ich vermeiden wollen! Sie schnappte nach Luft, aber unterdrückte wenigstens ihr lautes Lachen.

»Und biste nun zufrieden? Und ja, ich war die ganze Nacht hier!«, ging ich ein wenig auf Konfrontation. Sie hob beschwichtigend die Hände.

»He geh nicht auf mich los. Sag nicht, ich hätte Dich nicht gewarnt«, antwortete sie mit ernsterer Stimme.

»Es ist nix passiert!«, murmelte ich vor mich hin, versuchte mich wenigstens mit einer kleinen Notlüge herauszuwinden.

»Klar!« Dieses einzige Wort zeigte mir sofort, was sie von meiner Lüge hielt.

»Und warum hast Du dann ne Shorts von meinem Bruderherz an??«

»WAS???«

»Tja mein Lieber, diese Snoopi-Shorts hat er mal als Gag von mir geschenkt bekommen und …« eine andächtige Pause »… sie steht Dir fantastisch!«

Verdutzt sah ich an mir hinunter. Na toll, da greife ich blindlings in seinen Schrank und erwische genau dieses Wäschestück! Tatsächlich, vorne an delikater Stelle prangte die Komikfigur in ihrer ganzen Herrlichkeit. Zum Glück hatte sich ein gewisses Körperteil beruhigt – das wäre nun noch die Krönung gewesen. Svenja kicherte wieder vor sich hin.

»Okay, erwischt. Das ist aber noch lange kein Grund, mir aufzulauern«, versuchte ich ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.

»Das habe ich nicht nötig! Dafür habe ich meinen Vierbeiner!«

»Verräterin«, grummelte ich in Richtung der Tür, aber Franka stand schwanzwedelnd dort und schien mich auszulachen.

»Jean, oh mein Jean … aber ich bin ja selbst schuld. Hab Dich ja regelrecht zu dem Schwerenöter hingetrieben«, versuchte sie die Situation ernsthaft zu analysieren, aber ihre Stimme verriet sie.

»He mein Kleiner wirst Du etwa von meiner Schwester belästigt??«, kam es aus meinem Rücken. Erschrocken fuhr ich herum. Da stand ein grinsender Felix, der sich zum Glück eine Trainingshose übergezogen hatte.

»Übrigens geiler Knackarsch!«, waren seine nächsten Worte. Man und das vor Svenja!! Ich wurde leicht rot.

»Jo, das kann man wohl sagen!«, hörte ich sie sagen.

WAAAASSSS!!?? Leicht rote Gesichtsfarbe wechselte schlagartig in scharlachrot. Jetzt war Feierabend.

»Bin ich irgendwie ein Stück Freiwild, das sich hier wie im Zoo begaffen lassen muss?!«, brubbelte ich in ihre Richtung. Felix machte prompt ein betrübtes Gesicht und kam auf mich zu.

»He Kleiner, Du siehst nun mal schnuckelig aus und warum sollte man nicht sagen dürfen, was wahr ist!« Bei diesen Worten kam er immer näher und dann gab er mir einen Versöhnungskuss, der sich gewaschen hatte.

»Wow, aber damit dürfte dann alles klar sein!«, raunte Svenja. Verwundert sah ich sie an.

»Na ja, nun kann ich meine Hoffnungen wohl endgültig begraben«, zuckte sie mit ihren Schultern, aber ihre Augen schauten sehr traurig.

»Ähm, Svenja, aber Du …«, versuchte ich es noch einmal zu erklären.

»Jean, Du brauchst Dich nicht entschuldigen. Es war ja eigentlich klar, aber irgendwie hatte ich doch noch so meine Träume«, murmelte sie. Warum konnte ich mich trotzdem nicht des Eindrucks erwehren, dass sie diese nicht endgültig begrub??

»Und bevor ich hier total depri werde, weil ich sehen muss, WAS ich meinen Bruder in die Arme getrieben habe, lasse ich Euch mal lieber wieder alleine!!«, hörte ich sie noch, aber die letzten Worte kamen fast durch die geschlossene Tür.

‚War das schon wieder ein Kompliment von ihr???‘, grübelte ich.

»Meine arme Schwester, dass sie sich aber auch immer die Falschen aussucht. Hatte ich ihre Blicke früher doch richtig gedeutet!«, sagte Felix mehr zu sich als zu meiner Person.

»Aber sie wusste doch als Erste, dass ich schwul bin!«, antwortete ich zweifelnd.

»Nun ja, wahrscheinlich musste sie es erst mit eigenen Augen sehen und genau das ist vorhin passiert«, mit diesen Worten nahm er mich an die Hand und zog mich hinter sich her in sein Zimmer. Sekunden später fand ich mich in seinem Bett wieder und seine Zunge steckte in meinem Mund. Irgendwie war mir jetzt aber nicht nach Sex, denn seine Hand ging über meinen Körper auf Wanderschaft und streichelte in gefährlich tiefe Regionen. Vorsichtig löste ich mich von ihm und stand wieder auf.

»Was ist los?«, fragte er leise.

»Sorry, aber mir geht so einiges im Kopf herum«, gab ich als Antwort.

»Willst Du drüber reden?«, fragte er vorsichtig und ich hörte eine gewisse Unruhe aus seinen Worten heraus.

»Nein Felix, jetzt noch nicht. Seit gestern Abend, eigentlich schon seit Freitagmittag ist so einiges passiert, das muss ich erst einmal verdauen. Schau nicht so traurig, Du hast mir sehr geholfen, mein Großer«, versuchte ich ihn zu besänftigen.

»Okay, aber irgendwann werden wir darüber reden müssen. Ich wollte Dir nur zeigen, dass Du mit allem zu mir kommen kannst!«

Na ja, zufrieden klang das nicht gerade und ich war mir auch nicht so sicher, ob ich mit Felix über alles reden konnte. So stiefelte ich wieder in das Bad und zog mir meine Klamotten an. Bis nach Hause musste ich nun mal ohne Shorts auskommen. Felix wollte sie mir zwar überlassen, als ich sie ihm später wieder zurückbrachte, aber das wollte ich nicht. Unser Abschiedkuss war dann auch etwas halbherzig – ich war mit meinen Gedanken auch ganz woanders. Dann spazierte ich gemütlich nach Hause und ließ den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Endlich war es passiert und ich hatte meinen ersten Sex gehabt – und ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, es war geil, megageil!!! Auch die Freunde von Felix hatten mir gefallen, vor allem Flo hatte es mir angetan. Je weiter ich aber zurückdachte, desto unruhiger wurde ich. Und meine Unruhe war begründet.

Auf einmal hatte ich das Bild eines ziemlich verstörten Tim vor meinen Augen und der Rest meiner euphorischen Stimmung verflog endgültig. So langsam kam mir richtig in den Sinn, dass ich unsere Freundschaft vor zwei Tagen endgültig zu Grabe getragen habe. Ein Kloß machte sich in meiner Kehle breit und wurde immer größer. Ach wieso musste ich mich mit diesen deprimierenden Gedanken wieder runterziehen??

Ob ich wollte oder nicht – mir fehlte mein Tim!!

Zu Hause angekommen, enterte ich schnell mein Zimmer. Meine Eltern schienen eh beschäftigt und so konnte ich in Ruhe nach meinen Mails schauen. Raphael hatte gestern nicht geschrieben und ich war schon auf seine Sicht der Dinge gespannt. Trotz der Nacht mit Felix machte sich in Erwartung einer Mail von Raphael ein gewisses Bauchkribbeln wieder bemerkbar. Ich konnte dieses Gefühl einfach nicht beschreiben, es war auf einmal da, sobald ich an diesen Boy dachte. Die Spannung stieg immer höher und ich malte mir in meinen schlimmsten Träumen schon aus, was wäre, wenn er noch nicht geschrieben hätte.

Ups, ich hatte drei Mails. Ab und zu trudelte noch ein Feedback von einem Leser ein, was mich doch ein wenig verwunderte, denn meine Story war aus der Eingangspage von NiSt schon seit einer Weile verschwunden. Aber die Feedbacks erfreuten mich immer wieder, denn es schmeichelte doch meinem Ego ein wenig, wenn wildfremde Menschen meine Geschichte lobten. Zum Schluss nahm ich mir seine Mail vor. Die ersten Zeilen waren wie immer in seiner lustigen Art eine Beschreibung seiner letzten beiden Tage. Dann kam er auf meine Mail zu sprechen. Was mich zuerst etwas verwunderte war, dass er auf Tim kaum einging! Vielmehr ließ er immer wieder durchscheinen, ob so ein Hallodri wie Felix der richtige Umgang für mich wäre. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er sich mit mir ein wenig freuen würde, weil ich endlich einen Freund in Aussicht hatte – aber vielmehr las ich etwas ganz anderes aus seinen Zeilen heraus. Er war eifersüchtig – diese Erkenntnis traf mich dann doch sehr unerwartet. Aber warum?? Am Freitag hatte er mir doch noch viel Spaß mit Felix gewünscht. Mir schien es so, als hätte sich seine Meinung nun grundlegend geändert. Die Frage nach dem ‚Warum‘ blieb aber weiter offen!!

Seine paar Worte zu Tim jedoch ließen mich wieder ein wenig hoffen. Er meinte, dass Tim nur sehr überrascht gewesen wäre und ich ihm ein wenig Zeit lassen sollte. Wie würde ich wohl an seiner Stelle reagieren, wenn mir mein bester Freund offenbart, dass er schwul sei und zu allem Überfluss noch mit mir ins Bett steigen wollte? Na okay, von dieser Seite hatte ich die ganze Sache noch nicht so betrachtet, vielleicht war da ja was Wahres dran – ein kleines Fünkchen Hoffnung machte sich wieder bei mir breit. Seine Mail schloss er sehr kühl, sonst war da schon mal »Liebe Grüsse« oder sogar »Küsschen« aber heute stand da nur ein »Cu«.

Wahrscheinlich hatte er mich nur nicht richtig verstanden bei der letzten Mail und so antwortete ich ihm postwendend. Ich schilderte ihm den gestrigen Abend, mit dem lustigen Zusammentreffen des Käsethekenboys bis zum heutigen Morgen. Also die Zeilen hatten sogar einen kleinen pornographischen Anstrich, aber ich wollte ihm halt schildern, wie fantastisch sich das alles angefühlt hat. Zum Schluss drückte ich schnell den Knopf »Email senden« damit ich mir es nicht noch einmal anders überlegen würde.

Dann fand ich mich auf meinem Bett wieder und in Gedanken versunken, lauschte ich ein wenig der Musik. Es lief gerade »Juli« mit »Geile Zeit«, das Lied war einfach nur geil, aber zurzeit übertrieben es die Radiostationen etwas. Ein leichtes Klopfen unterbrach meine wirren Gedanken.

»Jean, kommst Du essen?«, hörte ich meinen Vater.

»Schon unterwegs!«

Das Mittagessen verlief eher ruhig. Ich hatte gehofft, dass mir meine Eltern keine Fragen stellen würden, denn eine Antwort wäre mir sehr schwer gefallen. Anlügen wollte ich sie einfach nicht – nur was hätte ich sagen sollen?? Etwa nach dem Motto:

‚Hm hört mal. Ich hatte gestern Abend den fantastischsten Sex, den man sich vorstellen kann!!! Kein Wunder, es war ja mein Erster … Nur wie es der Zufall so wollte, hatte ich gerade nur einen schnuckeligen Boy zu Hand!‘

Und wie sollte es anders sein, bei dem Gedanken an solch eine Antwort blieb mir natürlich ein Stück Kartoffel im Halse stecken und ich bekam einen Hustenanfall. Meine Mutter schaute mich vorwurfsvoll an, als ich dieses widerspenstige Stück zurück auf den Teller spuckte – mein Vater griente nur. Nicht, dass es meine Eltern nicht interessierte, wo ich gewesen wäre. Die Neugierde war meiner Mutter regelrecht ins Gesicht geschrieben, aber sie wusste auch, wenn ich nicht wollte, dann bekam sie auch nichts aus mir heraus. Kurz bevor ich wieder den Abflug in mein Zimmer machen wollte, hielt mein Vater mich kurz zurück.

»Hier habe ich noch etwas für Dich. Der Umschlag war heute Mittag im Briefkasten. Einfach so, ohne Absender«, sagte er zu mir und drückte mir einen A4 Umschlag in die Hand. Mein Blick fiel auf die Adresse, die in einer unnachahmlichen Handschrift geschrieben war. Ich erkannte sie sofort – es war Tims Handschrift. Merkwürdig war jedoch, dass mein Name mehrmals nachgezogen war. Wie erstarrt stand ich nun in der Küche und schaute fassungslos auf den Umschlag.

»Jean, von wem …«, fing meine Mutter an die Fragestunde einzuleiten, jedoch mein Vater unterbrach sie sofort. Er nahm meinen Arm und schob mich zur Treppe.

»Schau Dir das mal in Ruhe oben an, mein Junge«, hörte ich wie durch eine Nebelwand und bekam noch abschließend einen Klaps auf meinen Allerwertesten. Oben riss ich den Umschlag mit zittrigen Händen auf. Einerseits wollte ich gar nicht wissen, was in ihm war, anderseits …

Mir fielen ein paar lose Blätter entgegen. Diese Handschrift kannte ich noch besser, als die von meinem Zwilling, denn es war meine. Ich hatte meine Story wieder in meinen Händen, also hatte sie Tim doch mitgenommen. Und es waren nur meine Blätter, sonst nichts weiter. Da saß ich nun auf meinem Stuhl und ein Gedanke hämmerte in meinem Schädel

‚Hätte ich doch nur gelogen!!!!‘

Geistesabwesend legte ich die Blätter wieder in das große Buch und nahm den Umschlag, um ihn zu zerreißen. Da flatterte mir noch ein weiteres Blatt entgegen und diesmal war es nicht meine Schrift! Ich plumpste regelrecht auf meinen Stuhl, unfähig die Zeilen zu lesen.

Wollte ich sie überhaupt lesen??

War es das endgültige AUS??

Es half alles nichts. Langsam fing ich an zu lesen.

Hey mein Zwilling!

Zuerst einmal möchte ich mich für den abrupten Abgang am Freitag entschuldigen. Ich war ziemlich durch den Wind, denn man erfährt ja nicht alle Tage, dass sein bester Freund schwul ist.

Aber ich will auch ehrlich zu Dir sein – ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich sitze hier nun seit fast zwei Tagen und wälze dieselben Gedanken immer wieder hin und her. Gerade läuft ein Lied im Hintergrund und da ich weiß, dass Du auf solch eine Musik stehst, gehen mir die Zeilen nicht mehr aus dem Kopf. Sie beschreiben fast alles, was ich denke und fühle

‚hast du geglaubt – hast du gehofft'

dass alles besser wird…

…hast du die Scherben nicht gesehen

auf denen du weiter gehst

wo ist das Licht – wo ist dein Stern

er fehlt – er fehlt hier

du fragst mich wo er geblieben ist

wird alles anders …

ja ich weiß es war `ne geile Zeit

uns war kein weg zu weit – du fehlst hier

die lichter sind aus –

es ist schwer zu verstehen

du siehst hilflos zu wie die zeiger

sich drehen

ja ich weiß es war `ne geile Zeit

hey es tut mir leid – es ist vorbei‘ (* »Geile Zeit« von Juli, auszugsweise)

ES IST VORBEI!!!??

Tim

Meine Finger sanken herab und meine Tränen flossen ungehindert über mein Gesicht. Die ultimative Katastrophe war über mich hereingebrochen …

… Fortsetzung folgt

Nachwort

… ja, ja ich höre Euer Fluchen regelrecht bis in mein kleines Kämmerlein und es gibt Einige, die mich nun vierteilen lassen möchten …

Sorry für die beiden hässlichen Worte »Fortsetzung folgt«, aber seht es doch mal positiv – es gibt immerhin eine ;-). He und der Teil war diesmal länger und der nächste ist auch nicht kürzer.

Bis zum nächsten Teil eine schöne Zeit Euch allen

Liebe Grüsse

jR

Lesemodus deaktivieren (?)