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Convention

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

Kalasnjikov

Ein sanftes Trompeten hallte durch die Wohnung. Leise kroch es durch die Dielen zu Kukis Matratze. Behutsam verfestigte es sich im Raum und umstrich sanft seine Wangen. Kühlend blies es durch seine Ohrringe, kroch in seine Ohren und wallte in seine Träume.

»Ahhhmmmm«, schnurrte Kuki genussvoll. Seine Hand folgte der Melodie unter seinen Schlafsack. In seinem Kopf formten sich die Münder von Sven und Tim, sie bliesen nur für ihn.

Im Türrahmen lehnte unbemerkt Martin. Er beobachtete Kuki in seinem Schlafsack. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen und mit jedem Takt wanderte es weiter nach oben, zählten seine Finger den Countdown weiter nach unten.

Die letzten Töne der Trompete klangen aus. Kuki schloss seine Hand in lustvoller Hingabe. Martins letzter Finger fiel.

»Sigorie ... Jurie ...«, verhallte ein einsamer Schrei aus der Anlage, verflochten in zwei Namen die Kukis Lippen entwichen.

»BUM BUM BUM ... WHOLORIDO PUTZ PUTZ - HEYJA!«, donnerte ein volles Blasorchester aus den Boxen und knallharte Polka schlug auf Kukis sensibilisierte Gehörgänge ein. Der Tisch neben ihm wackelte im Takt, die Teetassen klimperten. Kuki saß aufrecht auf seiner Matratze.

»Was?«, schrie er panisch.

»Kalasnjikov! Kalasnjikov!«, knatterte es als Antwort aus den Boxen, im Sturmfeuer von Martins Lachen.

»Was? Was ist das?«, fragte Kuki und starrte mit geweiteten Augen Martin an. Seine Wimpern zuckten unkontrolliert im Takt.

»Einen wunderschönen guten Morgen!«, hieß Martin ihn in einem neuen Tag willkommen.

»Aber!«, antwortete Kuki und fasste seinen derzeitigen Denkzustand in einem Wort zusammen.

»Goran Bregovic. Mein privates Aufweckprogramm. Etwas gewöhnungsbedürftig, aber effektiv«, erklärte Martin. Er ging zur Anlage und stellte sie etwas leiser.

»Tut mir leid. Ich habe wohl vergessen, den Timer auszuschalten. Ich hoffe die kleine Gute Morgen Musik hat dich bei nichts gestört?«

»Häh?«, kollaborierte Kuki. Nur langsam nahm seine Denkfähigkeit mit der Reduktion der Lautstärke zu. Seine romantischen Gedanken waren ihm vergangen und er war auf jeden Fall hellwach. Er schüttelte sich kurz und rappelte sich aus dem Schlafsack.

»Effizient ist es definitiv!«, kommentierte er.

»Ja. Ein sanfter Anfang, fürs entspannte Erwachen, und ein überzeugender Schluss, um nicht wieder einzuschlafen. Ein in sich gelungen gesetzter Kontrapunkt, den jeder moderne Wecker bis dato nur schlecht kopieren konnte«, erklärte Martin fachmännisch.

Kuki war das jedenfalls zu viel Text am frühen Morgen. Er lächelte Martin zu, als ob dieser einen tollen Witz gemacht hätte, und wendete seinen Blick schnell der Wand zu. An dieser hingen mehrere Fotos, die er gestern Abend unerklärterweise nicht bemerkt hatte.

»Deine Fotos?«, fragte er und ging zu den Fotos.

»Yap.«, nickte Martin.

»Die sind gut!«, sagte Kuki nach ein paar Fotos.

»Ich weiß.«

Kuki blieb bei einer Fotoreihe mit sechs Porträtaufnahmen stehen. Eines zeigte einen Jungen, der sich in Dunkelheit verlor. Er sah ganz nett aus, etwas bubihaft, aber mit einer gewissen Aura. Er war sehr liebevoll aufgenommen.

»Dein Ex?«, fragte Kuki.

»Alexander? Nein! Nur ein Freund«, lachte Martin und kam zu Kuki.

»Ist er schwul?«

»Nein - leider nein. Ein Verlust an die heterosexuelle Welt.«

»Dein Typ?«, fragte Kuki und schaute Martin von der Seite an. Dieser blickte forschend aufs Foto, suchte in ihm die Antwort.

»Er sieht gut aus! Er ist klug! Er hat ein großes Herz!«, zählte Martin auf, doch dann schüttelte er mit dem Kopf: »Aber ... Nein. Zu niedlich. Zu berechenbar. Zu sanft.«

Er blickte Kuki scharf in die Augen.

»Nicht männlich genug. Nicht herausfordernd genug. Nicht widerspenstig genug«, sagte er, senkte seinen Blick und ging zur Küche. Über die Schulter fragte er: »Frühstück?«

»Sage nicht nein«, antwortete Kuki und folgte ihm.

»Kaffee oder Tee?«, fragte Martin.

»Kaffee.«

»Stark oder Sanft?«

»Stark!«

»Süß oder Kräftig?«

»Süß.«

»Marmelade oder Nutella?«

»Nutella.«

»Brötchen oder Brot?«

»Brötchen«, pfefferte Kuki zurück.

Martin hielt inne und schaute Kuki an. Er tippte sich fragend auf die Lippen.

»Ich stimme voll mit dir überein!«, gab er zu. »Nur ...«, spannte er den Spannungsbogen und wartete auf ein fragendes Klimpern von Kuki.

»Wir haben keine Brötchen!«, schloss Martin.

»Ahhhh«, zischte Kuki getroffen.

»Dramatisch!«, nickte Martin enttäuscht.

»Exorbitant!!«

»Katastrophal!!!«

»Apokalyptisch!!!!«

»Was machen wir da?«, fragte Kuki nachdem er sich von diesem Schock erholt hatte.

Martin schaute auf die Uhr.

»Den Tisch decken!«, entschied er und fing an, die eingekreisten Lebensmittel zusammen zu suchen.

Kuki konnte nichts anderes tun, als ihm zu helfen. Sie brachten alles ins Wohnzimmer und richteten es am Tisch an. Als sie fertig wahren, schaute Kuki fragend auf den lehren Brotkorb.

»Und nun?«, fragte er.

Martin lächelte ihn nur an, blickte noch einmal auf die Uhr und hob den Zeigefinger ...

»challo? tseit ihr tchon wach?«, hallte es aus dem Treppenhaus. Ein Klopfen mischte sich in ein knirschendes Geräusch, als ein Schuhschrank mürrisch zur Seite geschoben wurde. Dann stand Stefan im Wohnzimmer und grinste über beide Ohren - Kuki zu.

»Guten Morgen, Stefan! Komm doch rein«, begrüßte ihn Martin.

»tie tuer stant offen. ta tacht ich ich jomm einvach rein«, entgegnete Stefan unschuldig und hielt entschuldigend eine Tüte hoch: »ich chab proetchen mitjebracht.«

Martin lächelte selbstzufrieden Kuki an, nahm Stefan die Tüte ab und lehrte sie in den Brotkorb. Dann setzte er sich aufs Sofa und schnitt sich ein Brötchen auf.

»Äußerst verlässlich«, feixte Kuki, grabschte sich auch ein Brötchen und setzte sich.

»invievern?«, fragte Stefan verloren. Als er außer einem Schmatzen jedoch keine Antwort enthielt, stemmte er beleidigt seine Hände in die Hüften und tippte bedeutend mit den Füßen auf den Boden. Als auch das niemanden störte, zog er sich sein rosa Hemd über den Kopf und ließ seine weiße Hose zu Boden rutschen. Er setzte sich im hellblauen Tanga in einen Sessel und nahm sich ein Brötchen.

Kuki und Martin beobachteten mit erstarrten Brötchen, wie er sich Erdbeermarmelade aufs Brötchen schmierte, ganz lässig - mit abgespreiztem Ringfinger. Ohne aufzuschauen kommentierte Stefan: »tschaut euch toch tselpst an. klaupt ihr ich vill aus ter rolle vallen!«

Kuki und Martin blickten sich an. Sie hatten beide auch nur Unterhosen an und keinem war es bis jetzt aufgefallen.

»kann ich mal tie milch chaben?«, fragte Stefan in die Stille hinein. Kuki fing an zu kichern, Martin grinste zurück und meinte: »Irgendwie habe ich das Gefühl, irgendjemand findet es geil, dass wir die ganze Zeit halbnackt rumlaufen.«

Stefan verschluckte sich an seinem Brötchen.

»Ob es hier irgendwelche Webcams gibt? Vielleicht verdient jemand ein heiden Geld mit uns?«, riet Kuki. Er zog versuchshalber ein paar Grimassen im Spiegel. Martin winkte freundlich zum Fenster hinaus und Stefan spuckte lachend Brötchenkrumen über den Tisch.


»Was machen wir heute?«, fragte Kuki nach dem Frühstück.

»touriepojam?«, bot Stefan an.

»So mit Stadtführung, Museumstour und viel 'Ach´s' und 'Oh´s'?«, fragte Kuki.

»jenau.«

»Hm, ich weiß nicht?«

»chay dresten chatt viel tsu pieten!«

»Ein andermal vielleicht«, wiegelte Kuki ab, nicht dass er kein Interesse an Kultur hatte, aber heute, wie meistens, war ihm nicht danach.

»Können wir nicht ...«, wollte er einen eigenen Vorschlag anbringen, doch unterbrach ihn Martin: »Welche Schuhgröße hast du?«

»Ehm ... 43«, antwortete Kuki perplex.

Martin schaute fragend zu Stefan. Es knisterte. Irgendwas heckten die beiden aus und Kuki wusste nicht, ob ihm das gefallen sollte. Doch dann nickte Stefan und Martin meinte: »Dürfte passen!«

»Was dürfte passen?«, fragte Kuki misstrauisch, doch niemand beachtete ihn.

»chast tu alles ta?«, informierte sich Stefan.

»Liegt noch alles im Auto. Die Gurte sind auch drin«, antworte Martin.

»Gurte?«, wiederholte Kuki. Natürlich hat ein Auto Gurte.

»chalso tass vetter tsoll gut pleipen.«

»Gut!«, nickte Martin.

Kuki schüttelte den Kopf, seine Piercings klapperten. Er fand gar nichts gut! Er blickte fragend Martin und Stefan an, doch diese musterten ihn nur fachmännisch, wie einen zur Auktion stehenden Zuchtbullen.

»Schafft er eine 4?«, fragte Martin nachdenklich.

»mit ten aermtschen? chöchstens ne trei.«, entgegnete Stefan.

Kuki schaute auf seine Arme und fand sie eigentlich - Ok.

'Haltmal! Was denkt er überhaupt? Was fällt den Typen überhaupt ein, Ihn zu bewerten? '

»Ich schaff mindestens eine 4!«, schnaufte er und plusterte sich auf. Sein Tattoo blähte sich, wie die Augen einer Kobra, nur seine Arme blieben, wie sie waren.

»Sicher?«, fragte Martin.

»Klar!«, versicherte Kuki, obwohl ihm eigentlich Nichts klar war.

»Gut!«, bestätigte Martin mit einem Grinsen, während Stefan vor sich hin kicherte. Kuki beschlich der Eindruck, dass er heute der Einzige sein würde, der nichts zu lachen hätte.

»Was ist GUT! Wovon redet ihr überhaupt!«, forderte er um Aufklärung.

»Über die Tagesplanung?«, spielte Martin den Unschuldigen.

»Ach! Und was ist jetzt geplant?«, ließ Kuki jedoch nicht locker.

»vier jehen vantern«, mischte sich Stefan ein.

»Wandern?«, fragte Kuki bestürzt.

»Nú«, antwortete Martin.

Kuki runzelte die Stirn. Irgendwie hatte er das nicht richtig verstanden.

»Also doch nicht?«, fragte er.

Martin und Stefan schauten ihn fragend an und antworteten hintereinander: »Doch!« - »Doch!«

»Doch?«, versicherte sich Kuki.

»Nú!«, sagte Martin bejahend nickend und verwirrte Kuki vollends. Der Wortinhalt eines 'Nú' lies sich für ihn nicht eindeutig ableiten. Wenn es nun Stefan gesagt hätte, dann hätte er sich nicht gewundert, sondern währe seiner Intuition gefolgt, aber bei Martin.

»Nu?«, versuchte er den Laut zu wiederholen.

»nú!«, erwiderte Stefan.

Martin schaute Kuki fragend an, der noch dümmer zurückblickte. Da erhellte Erkenntnisgewinn Martins Miene.

»Nú bedeutet Ja.«, sagte Martin und Stefan nickte bestätigend.

»Ah! Nu.«, verstand Kuki.

Dennoch schüttelte Martin den Kopf. Er korrigierte: »Nú, Betonung auf dem 'u', dass sich etwas wie ein 'ü' anhört.«

»Nüü«, versuchte es Kuki erneut.

»Zu viel, nur etwas 'ü' und alles etwas schneller, floppiger.«

»Nú«

»Nú jets hast'es. Auss dier maché wir noch e rischtige Sachse.«, entgegnet Martin und hieb Kuki auf die Schulter. Der verzog schmerzhaft sei Gesicht, es pfiff in seinen Ohren.


Wandertag

»Und wo ist der Weg?«, fragte Kuki zweifelnd. Nachdem es sich nicht als Scherz herausgestellt hatte, dass die beiden vorhatten, mit Kuki wandern zu gehen, hatte Martin mit Stefan nur noch ganz begeistert über irgendwelche Wege diskutiert, natürlich ohne Kuki nach seiner Meinung zu fragen. Sie hatten noch nicht einmal gefragt, ob er nicht doch lieber eine Stadtführung hätte. Stattdessen hatten sie Kuki einfach in Martins Auto geladen und sind mit ihm in die Wildnis gefahren, auch Sächsische Schweiz genannt. Hier hatten sich Martin und Stefan letztendlich für »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« entschieden. Ein Weg, der, wie sie meinten, die 4 gerade noch so verdient hatte, wenn nicht sogar schon eine 5 erhalten müsste. Ja! Bei den beiden hatten Wege nicht nur auserwählte Namen, sondern auch Nummern, die scheinbar die Schwierigkeit angaben. Martin und Stefan waren Wanderfreaks!

Nachdem sie mit dem Auto irgendwo in der Wildnis hängen geblieben waren, haben Martin und Stefan zwei riesige Rucksäcke aus dem Auto geholt und sind losgestampft. Kuki konnte nur hinterdrein traben. Nicht das Kuki etwas gegen »Wandern« hätte, aber er war nun mal in der Stadt aufgewachsen und hatte sich an Stein um sich herum gewöhnt.

Und diesen hatte er leider jetzt viel zu reichlich um sich herum. Die Sächsische Schweiz strotzte nur so vor Stein. Zugegeben, die spitzen Felsnadeln und die steil abfallenden Steinmassen im Elbtal sahen echt toll aus, doch dummerweise haben solch steil abfallende Wände und Felsnadeln einen entscheidenden Nachteil. Die Natur hatte nicht bedacht: einfach zu begehbare Wege über sie hinweg, oder noch besser, um sie herum zu legen.

Entsprechend hatte die natürliche Dummheit solch einen trotzigen Felsen genau auf ihren Weg geschleudert, der zudem auch nur der Hinweg zum auserwählten Weg war. Und jetzt standen sie vor diesem Felsen und Kuki verlor langsam den längst überfälligen Spaß am »Wandern«, vor allem da es keine Wege gab.

»Du stehst direkt vor ihm!«, entgegnete Martin stolz.

»Hier ist kein Weg nur ein Felsen!«, stellte Kuki trotzig fest und trat beweisend gegen den Genannten. Dieser beruhte dickköpfig auf seiner Position und trat kräftig zurück. Kukis Zeh schmerzte.

»verjeude nicht teine kräfte und pass auf teinen tzeh auf, tu prauchst ihn noch ...«, begann Stefan theatralisch, mit dem Mitleid eines amerikanischen Organhändlers, und fuhr mit einer beschwörenden Geste zum Felsen fort. »tieser felsen ist unser veg!«

»Da müssen wir ja klettern!«, stellt Kuki fest.

»Genau!«, stimmte Martin begeistert zu und ließ seinen dicken Rucksack fallen. Unter lautem Klimpern ging dieser auf und erbrach Seile, Karabiner, Haken und Knoten. Aus dem wirren Gewusel grub Martin einen Klettergurt aus und schnallte ihn sich um das Becken und die Oberschenkel.

»Ich klettere vor. Du kletterst hinter mir und am Ende kommt Stefan«, bestimmte Martin.

»Klettern?«, versuchte Kuki jedoch erst einmal die Grundlagen zu klären.

»Nú.«

»Ich?«

»nú.«

»Da hoch?«, fragte Kuki und deutete auf den Felsen.

»Und wieder runter«, feixte Martin und widmete sich mit einem liebevollem Blick dem Felsen.

»Warum?«

»Wie warum?«, stutzte Martin.

»veil es spass macht unt teinen jörper tschult«, sprach Stefan und legte sich einen Gurt an.

»Es ist eine Herausforderung!«, verkündete Martin.

»ten richtijen vech pfinden und mit tso venich kraft vie moechlich ten felsen betzwingen.«, stimmte Stefan zu.

»Warum?«, fragte Kuki unbeeindruckt.

»Warum? Warum? Warum? Red nicht! Wenn du erst mal oben bist, wirst du wissen warum!«, meinte Martin und zog einen weiteren Gurt aus dem Rucksack.

»Mein Alter! Damit habe ich auch angefangen«, stellte er stolz vor. Kuki flößte er damit nicht gerade mehr Vertrauen ein. Vielmehr sah für ihn das abgerissene Ding Leine überhaupt nicht vertrauensvoll aus. Doch bevor er auch nur etwas Abwehrendes sagen konnte, drückte Martin ihm das Ding in die Hand.

»Du kriegst auch ein Paar Kletterschuhe von mir«, redete Martin weiter und buddelte noch ein paar Schuhe aus dem Rucksack.

»Kletterschuhe?«, fragte Kuki mit dem Gurt in der Hand.

»klauptst tu, tu kannst mit ten tretern in tie vand?«, meinte Stefan. Er nahm Kuki den Gurt aus der Hand und begann ihn Kuki umzuschnallen. Dabei vermied er engen Körperkontakt nicht gerade, doch Kuki ließ das kalt. Seine Libido war unter dem bevorstehenden Genickbruch zusammengeschrumpft.

Martin und Stefan störten sich daran nicht. Sie waren geil - auf Klettern. Martin fing an, Kuki den »Weg« zu erklären. Er erzählte lauter Zeugs von Griffen und Tritten - wo, wie und wann Kuki seine Hände und Füße in welche Spalten zu klemmen hatte. Kuki sah nur glatten, scharfen Fels.

Zu allem Überfluss erklärte ihm Stefan, wie er das Seil zu handhaben hatte und wie man welchen Knoten macht. Kuki nickte beiden mechanisch zu und unterdrückte aufkeimende Panik.

Als Martin und Stefan mit ihrer Instruktion fertig waren, war Kuki auch fertig. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er hatte weder das Gefühl, diesem abgerissenen Gurt, noch dem dünnen Seilchen nur minimalst vertrauen zu können. Er wollte unbedingt eine Stadtführung!

»Das soll halten?«, fragte Kuki verzweifelt.

Statt einer Antwort stellte sich Stefan vor Kuki und versetzte diesen schlagartig in seine frühe Schulzeit zurück. Sein gestrenger Lehrer Stefan griff ihm resolut, mit einem dämonischen Grinsen, voll in die Seile. Stefans Oberarme spannten sich, das Seil spannte sich, wie auch Kukis Gurt und seine Beine, bis diese den Bodenkontakt verloren. Kuki schwebte in der Luft, klammerte sich in Stefans Oberarme.

»hält!«, stellte Stefan ohne Anstrengung fest. Kuki starrte auf Stefans angeschwollene Oberarme, die ihn unberührt hielten. So was will er auch!

»Ich bin dabei!«, beschloss er. Doch Martin hing schon in der Wand. Wobei »hing« nicht das richtige Wort sein mag, auch nicht »krallen« oder »stehen«, vielmehr war es »kleben«. Martin klebte schon in der Wand, denn da, wo er sich festhielt und seine Füße standen, war Nichts. Und Martin konnte sich sehr elegant auf diesem Nichts bewegen. Wie eine Katze glitt er über den Felsen, griff sicher nach Rippen, Bändern und anderen Körperteilen des Felsen, wie sie Stefan bezeichnete. Dann hielt er kurz inne und schaute sich ruhig nach dem nächsten Tritt für seien Füße um. Er wechselte elegant seinen Stand, als ob er auf zwei Metern Kante stehen würde. Schon griff er erneut zu, seine Muskeln spannten sich und er wanderte höher. Innerhalb kürzester Zeit war er drei Meter hoch. Er hielt kurz inne und zog irgendein Ding von seinem Gurt und stopfte es in eine Felsspalte. Dann legte er das Seil in die Schlinge, zog noch einmal dran und kletterte weiter.

Stefan hatte ihn gesichert und erklärte Kuki nebenbei, warum Martin gerade wohin griff und was die schwierigen Stellen seien. Kuki hatte nur Augen für Martins betontes Muskelspiel. Wenn bei Martin schon jeder Muskel hervortrat, wie würde das dann erst bei Stefan aussehen? Himmel!


»tu kannst.«, meinte Stefan und schob Kuki zur Wand. Erst jetzt merkte dieser, dass Martin oben auf der Kuppe stand und ihnen zuwinkte.

'Scheiße, war der klein. '

'Scheiße, war das hoch! '

»Was jetzt schon?«

»chlar jetzzt? villst tu noch ene chalbe stunde varten?«

»Halbe Stunde?«, fragte Kuki und schaute auf die Uhr. Oh, war doch schon so viel Zeit vergangen.

Kuki befingerte misstrauisch das Seil und atmete noch einmal tief konzentriert durch, nur um dann kurz zu husten. Ein schwerer tuberkulöser Hustenanfall mit peinvollen Magenkämpfen zwang Kuki sich von der Wand weg zu bewegen.

Stefan hielt ihm am Gurt fest und schob ihn kommentarlos wieder zur Wand zurück.

Nun gut! Stefan würde nicht weichen und der Fels auch nicht. Es führte wohl kein Weg vorbei, nur hoch.

Kuki griff in den Stein und stellte seine Füße auf einen Vorsprung. Er spannte seine Muskeln und versuchte sich hoch zu ziehen. Er rutschte mit den Fingern weg. Unbedarft stolperte er nach hinten und knallte an Stefans harte Brust.

Der grinste Kuki von oben ins Gesicht, griff sich Kukis Hände und führte sie an die richtige Position - im Fels. Er beugte Kukis Finger im korrekten Zuggriff und setzte seine Füße an eine passende Stelle.

»versuchts nochmal. unt tzie tich nich mit ten chaenden, tu musst tich mit ten fuessen truecken.«, riet Stefan.

Kuki versuchte es noch mal und stemmte sich mit seinen Beinen hoch. Es ging ohne Probleme. Stefan zeigte ihm, wo er seine Finger als nächsten hinsetzen sollte, dann die Füße ... und Kuki kam immer höher.

Bald war er an dem Knoten gelangt, den Martin gelegt hatte. Kuki musste sich kurz ausklinken, um sich dahinter wieder in das Seil einzuklinken, was mit einer Hand etwas schwierig, aber möglich war. Und schon kletterte er wieder unter Stefans Führung weiter.

Doch dann war Stefan still. Kuki schaute zu Stefan runter und ihm wurde schwindlig. Er konnte sich gerade noch ängstlich in den Felsen klammern. Verdammt war das hoch!

Tief unter ihm stand Stefan mit einer Tüte Gummibärchen in der Hand und kaute zufrieden vor sich hin. Er zuckte entschuldigend mit der Schulter.

Toll! Jetzt hing Kuki in der Wand und durfte sich selbst überlegen, was er als Nächstes macht. Er hasste solche pädagogischen Manöver, hatte aber kaum eine andere Wahl. Genervt suchte er nach einem Vorsprung oder Spalt für seine Finger und sah keinen.

Kuki atmete durch. Bloß keine Panik!

Was hatte Sven ihm übers Surfen erzählt?

»Du kann nicht gegen den Wind ankämpfen. Du musst mit dem Wind arbeiten!«

Damals folgten noch massenweise Fachausführungen, die Kuki schon seinerzeit nicht verstanden hatte, aber das Konzept war haften geblieben. Und es passte zu dem Fels. Kuki würde es nicht gelingen ihm seinen Willen aufzuzwingen, vielmehr war dem Fels dieses ziemlich egal und ließ ihn sprichwörtlich kalt. Man musste den Willen des Berges akzeptieren. Die Leichtigkeit, mit der Martin die Wand empor gegangen war, zeigte dies nur zu deutlich.

Sven meinte, man könnte den Wind »lesen«. Geht das auch mit so einer Wand? War nicht auch Martin mit dem Felsen verschmolzen?

Er schaute über die raue Oberfläche, spürte den Fels unter seinen Fingern atmen. War es nicht, wie bei einem Liebhaber den man erforscht: desto mehr Seele man ihm hingibt, desto mehr Details offenbaren sich einem. Und wie man durch eine jede Entdeckung überrascht wird, so erkannte Kuki einen kleinen Spalt rechts über ihm und weiter unten einen guten Tritt für seinen Fuß.

Er stieg rüber und festigte seinen Stand. Dann stemmte er sich hoch und griff in den Spalt. Geschafft!

Ein lobendes Grunzen war von Stefan zu vernehmen, doch Kuki setzte schon den nächsten Griff an. Der »Wind« hatte ihn erfasst und der Felsen glitt unter seinen Fingern vorbei. Sein Blick galt der Wand und forschte nach Griffpunkten und Tritten. Trotz seiner harten Oberfläche war es ihm, als ob der Fels sich in seine Berührung schmiegte. Er merkte, wie er das Gefühl für das Verhältnis von Kraft und Gleichgewicht fand, wie er die Kraft seiner Beine viel besser nutzen konnte, als die seiner Arme.

Höher und höher stieg er, ließ den nächsten Knoten hinter sich. Stefan und Martin waren vergessen, Kuki fühlte sich eins mit der Wand. Es war ein Rausch, der ihn ergriffen hatte. Der Triumph und das Adrenalin erfüllten ihn, machten ihn stark, zum Bezwinger der Wand. Und als er gerade seinen Stand in einer heiklen Gretsche wechseln wollte, rutschte er mit dem Standbein weg.

Seine Finger krallten sich in den Stein. Der harte, scharfkantige Fels schnitt unbarmherzig in sein Fleisch.

Sein ganzer Körper hing nur an seinen Fingern. Schmerz überflutete ihn, zwang seine Lider zusammen. Panikartig suchte er im Dunkeln mit den Füßen Halt und rutschte immer wieder weg. Der Felsen war plötzlich so glatt - so kalt.

Kuki atmete durch und zwang sich zur Ruhe.

'Mit dem Wind! ', sagte er sich.

»Mit dem Wind!«, presste er verbissen durch seine Lippen und öffnete seine Augen. Er suchte nach seinem letzten Tritt und setzte seinen Fuß an. Ganz vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf das Bein. Es hielt.

Nun setzte er seinen zweiten Fuß an und fand auch mit ihm Halt.

Kuki atmete auf und musste grinsen.

»Gib dich nie zu sehr hin, oder du wirst verschluckt!«, vervollständigte er Svens Regel.

Langsam streckte er seinen Körper, um die strapazierten Hände zu entlasten. Nur unter Schmerzen konnte er die in den Felsen gekrallten Finger lösen. Sein ganzes Gewicht lag auf den Füßen. Sie rutschten weg.

Kuki merkte, wie sich die Zeit verlangsamte.

Er spürte, wie die Schwerkraft von unten herauf nach seinem Körper griff. Er fühlte, wie der Fels sich gegen seine Finger stemmte, wie der Schmerz unerträglich in sie biss. Er wusste, dass diesmal sein Griff nicht halten würde. Seine Finger waren zu flach angesetzt, nur reine Kraft konnte ihn jetzt oben halten. Und seine Finger fingen an zu zittern, die Muskulatur verkrampfte immer mehr. Einer nach dem Anderen lösten sie sich, als wollen sie sich einzeln verabschieden. Schließlich verließ ihn der Letzte, schliff über den toten Fels.

Kuki merkte, wie er anfing zu fallen und mit dem freien Fall beschleunigte sich die Zeit.

Immer schneller zog die Wand an ihm vorbei. Sie wurde nicht zur weißen Leinwand, passend für den Film seines Lebens, wie in jedem teuren Hollywood Film, sondern blieb grauer, rauer Fels, der allzu real an ihm vorbei schrammte. Ein jeder Riss, ein jeder Vorsprung hieb ihm die Hartherzigkeit dieser Welt ins Fleisch. Und mit einer unbegreiflichen Dickköpfigkeit weigerte sich Kukis Geist, wahrzunehmen, hier und jetzt zu sterben.

Mit einem Mal riss ihn das Seil wieder nach oben. Kuki knallte mit seinem ganzen Körper gegen die Wand, ihre harte Präsenz traf ihn aufs Neue. Sie fühlte sich so viel realer, so viel härter an, als je zuvor.

Blut hämmerte in Kukis Schädel, sein Atem raste, sein ganzer Körper schmerzte. Doch für ihn war das alles nur nebensächlich.

Er bewunderte die wunderschöne Struktur des Felsen; die einzelnen, glasigen Sandkörner im Sandstein; das Farbenspiel der roten und gelben Bänder, die sich verschlungen durch das Gestein zogen - vom Oxid.

Wie kann so viel Schönheit so hart sein?

Wie kann sie in all ihrer Härte, noch Schöneres beherbergen?

Direkt vor ihm hatte sich Erde in einer Ritze gesammelt und in ihr gedieh eine einsame Blume. Keck der unwirklichen Umgebung strotzend, reckte sie sich der Sonne entgegen.

Kuki betrachtete sie fasziniert. Eine neue Regel schoss ihm durch den Geist: »Suche deinen eigenen Weg und finde eine sicher Basis.«

Nur ganz langsam nahm er die normale Umwelt wieder war. Er hörte Stefan von unten aufgeregt kreischen und Martin von oben fluchen.

»chach hielfe. iss vass passiert, jehts tier jut kuki.«, kreischte Stefan.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Martin gefasster.

»chast tu tier nicht jetan. chich hätte tich nie ta rauf lassen tuerven.«

»Kuki?«

»ckuki?«

»Hat mal jemand einen Fotoapparat?«, fragte Kuki in das Stimmengewirr hinein.

»Was?«, fragte Stefan.

»Ich glaub er ist mit dem Kopf ...«, meinte Martin von oben.

»Haben wir einen Fotoapparat dabei?«, fragte Kuki genervter.

»aeh. ich chlaup ja?«

»Wunderbar!«

»Willst du jetzt ein Foto von dir machen wie du in der Luft baumelst?«, fragte Martin.

»Nein, ich hab hier was entdeckt.«

»Und du willst jetzt davon ein Foto machen?«, erkundigte sich Martin zweifelnd.

»Genau!«, schrie Kuki.

»tsach mal. koenntest tu vielleicht tso freuntlich tsein und tich irjentwo festchalten? tu wirst langsam tschwer«, fragte Stefan schüchtern von unten, der immer noch in Kukis Sicherungsseil stand.

»Oh ja.«, sagte Kuki und suchte sich einen Halt in der Wand. Trotz einiger Blessuren fand er schnell einen guten Stand und konnte sich auch ziemlich sicher fest halten. Er würde diesmal nicht den Fehler machen, unvorsichtig zu werden.

Er schaute zu Stefan runter und verlor fast schon wieder den Halt. Verdammt! War er hoch. Wenn er hier runter gefallen währe? Brei!

»viellst tu jetzt ten apparat?«, fragte Stefan.

»Ehem? Na ja wie kommt er hier hoch?«

»Gar nicht.«, rief Martin von oben.

»ich joennte ihn mit choch pringen, venn ich kletter, tann jannst tu beim abseilen tein foto machen«, schlug Stefan von unten vor.

Kuki überlegte. Es gab ja nicht gerade Alternativen, solange noch keine fliegende Fotoapparate entwickelt waren.

»Ok!«, rief er runter.

»Können wir weiter machen?«, fragte Martin von oben.

»JaJa!«, brüllte Kuki zurück und suchte nach dem nächsten Griff.

»Gut! Ach, und wenn du dich das nächste Mal wieder fallen lässt - weil du was Tolles entdeckt hast - dann sag vorher bescheid!«, fügte Martin an.

Kuki ignorierte ihn einfach und konzentrierte sich wieder auf die Wand. Er war vorsichtiger als vorher und verließ sich nicht nur auf sein Gefühl. Er kam ohne Probleme an seiner Fallstelle vorbei und war nach kurzer Zeit an der Felskuppe. Als er seinen Kopf über diese hob, war ihm fast, als wenn die Welt Kopf stände und er wieder fallen würde.

Doch war es Martin der Kopf stand und zwar keinen Meter von ihm entfernt machte dieser einen Kopfstand und grinste ihm schelmisch ins Gesicht. Als Kuki sich vor Schreck nicht rührte, ließ sich Martin auf die Beine runter und zog Kuki an den Armen hoch.

»Jetzt muss ich dir auch noch helfen!«, feixte Martin. Er klopfte Kuki den Dreck von den Klamotten und drehte ihn dann rum, um ihm die sie umgebene Landschaft zu zeigen.

»Toll nicht!«

Doch Kuki konnte sich für das Panorama nicht erwärmen. Frostig starrte er auf die beträchtlich nahe Felskante. Jetzt, wo er hier oben stand, fiel ihm ein, dass er eigentlich Höhenangst hatte.

Martin scherte das nicht weiter. Mit einem aufmunternden: »Berg auf!«, schlug er Kuki kräftig zwischen die Schultern. Dieser konnte sich gerade noch davon abhalten wieder über die Kante zu purzeln und gewann einen für seinen Geschmack viel zu deutlichen Überblick über das Panorama, insbesondere die Höhe.

Mit einem gepressten »Berg auf.«, rette sich Kuki ins Gipfelinnere.

Dort angekommen fühlte sich Kuki nicht wirklich viel sicherer. Das lag daran, dass er immer noch nicht wirklich weit von der Felskante entfernt war, von keiner in jeder Richtung. Dieser Gipfel war in seiner Fläche sehr bescheiden.

Kuki schluckte und setzte sich. Wenn er sitzend in Ohnmacht fällt, kann er jedenfalls nicht gleich über die Böschung stürzen.

Martin grinste ihn nur an. »Willst du nicht auch einen Kopfstand machen?«

Kuki schüttelte mit dem Kopf.

»Ich mache jedenfalls immer einen, das gibt einen solch ein Gefühl der Leichtigkeit, des Trumpfes.«, fuhr Martin fort. Er band Kuki vom Seil und legte es in seinen eigenen Gurt, um Stefan hoch zu sichern.

Dabei stellte er sich ganz lässig an der Klippe und erzählte Kuki diverse Horror-Geschichten aus seiner Kletterzeit. Kuki wurde schwarz vor Augen. Ok, Martin hatte sich selbst in einen in den Fels eingelassenen Ring rückgesichert, aber Kuki hätte ihm auch zugetraut Stefan einfach so stehend zu »sichern«. Und wenn dann Stefan wirklich fallen würde, dann würde er Martin einfach über die Klippe ziehen. Und das Schlimmste: Kuki würde alleine hier oben sitzen, nicht wissen, wie er wieder runterkommt und schmachvoll verhungern dürfen.

Mit solchen oder ähnlichen Gedanken - sie endeten alle mit dem Tod - beschäftigte sich Kuki während Martin redete. Er wusste nicht, warum, aber er fühlte sich auf einmal so schrecklich alleine auf diesem Felsen. Auch Martin konnte das nicht ändern, er war nicht wirklich hilfreich mit seinen Horror-Geschichten.

Kuki war allein auf diesen Berg, um ihn herum nur Luft und Freiheit. Bedrückend!

Wenn doch Sven und Tim, oder zumindest einer von beiden da wäre. Nur einer der ihn mag. Einer der ihm mit seiner Berührung, mit seiner sanften Stimme zeigt, dass er lebt, was das Leben wert ist. Der diesen Moment, diese Gipfelbestürmung zu was Besonderem machen würde. Wo er doch so schnell vorbei sein könnte, der Moment, das Leben.

Kuki fror, es zog hier oben auf dem Gipfel. Er zog seine Knie enger zu sich heran, legte seinen Kopf in die Mulde. Dann musste er lächeln, ihm war eine neue Regel eingefallen: »Auf dem Gipfel ist man allein und es zieht.«

Er schaute zu Martin hoch, er hatte aufgehört zu reden und lächelte ihm aufmunternd zu. Vielleicht war die Regel auch zu pessimistisch gedacht. Man ist nicht immer alleine und es gibt viele Dinge, die einen wärmen können.


Nach einiger Zeit war auch Stefan oben und die drei trugen sich ins Gipfelbuch ein.

Martin und Stefan feixten etwas herum, versuchten Kuki aufzumuntern, aber es gelang ihnen nicht.

Deshalb beschlossen sie, sich abzuseilen. Wieder war es Martin, der vorging. Dann sollte Kuki folgen. Doch es ging nicht.

Kuki stand an der Kuppe und konnte keinen Schritt mehr machen. Er konnte dem Abgrund nicht seinen Rücken zudrehen, um sich abzulassen.

Stefan redete sanft auf ihn ein. Ließ sogar seinen nasalen Ton fort und sprach ihm Mut zu. Geduldig erklärte er ihm noch einmal, wie er das Seil zu handhaben hatte. Doch Kuki wollte sich nicht an dem Seil hinablassen. Er wollte nicht wieder über dem Abgrund schweben.

Es war nicht so, dass er sich hysterisch weigerte, sondern es ging einfach nicht.

Da fing Stefan an zu grinsen und band von seinem Gurt den Fotoapparat los.

»Du hattest noch was vor?«, sagte er.

Kuki schaute auf den Fotoapparat und ihm fiel die Blume wieder ein. Er brauchte unbedingt ein Foto von ihr. Nur er könnte sie noch einmal in der Wand finden, wenn überhaupt.

Er dachte nicht weiter nach, nahm sich den Apparat, griff sich das Seil und übertrat die Kuppe. Er lief die Wand hinab, bis er den Punkt erreicht hatte, wo er gegen den Felsen geprallt war. Er kannte ihn noch gut, er kannte das Muster und er fand die Blume.


Der Knoten

Schweigen hatte sie alle umfangen, als sie zurück nach Dresden fuhren. Eine komische Stimmung aus Erschöpfung, Trauer und der Zufriedenheit, am Leben zu sein. Ein jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken. Kuki musste nach Berlin zurück.

Sie sind zu Martins Wohnung gefahren, wo sich der Schuhschrank geräuschlos von der Tür zurückschieben ließ. Kommentarlos packte Kuki seine Sachen und sprachlos brachten sie ihn zum Bahnhof.

Als sie dann auf dem lärmenden Bahnsteig standen und sich alle zum letzten Mal ansahen, holte Stefan einen faustgroßen Knoten aus seiner Tasche. Er bestand aus Kletterseil, das fachmännisch ineinander verschlungen war und eine Schlinge an seinem Ende hatte.

»Dein Lebensretter!«, sagte Stefan. »Damit du was hast, das dich an uns bindet, dass du uns nicht vergisst.«

Kuki wusste nicht, was er sagen sollte. Er starrte auf den Knoten, konnte nicht fassen, dass solch ein Stück Seil, in einen Felsen geklemmt, ihn hat halten können.

»Dein Foto«, sagte Martin und reichte Kuki einen Film. »Damit du dir ein Bild von uns machen kannst, in guten wie in schlechten Zeiten.«

Kuki nahm auch diesen sprachlos an. Er umarmte Martin und Stefan. Es war das Einzige, was er ihnen lassen konnte. Dann drehte er sich um und sprang in den Zug.

Der Schaffner pfiff, die Türen schlugen zu.

»Ach, und vielleicht gefallen dir ein paar von den Fotos«, schrie ihm Martin hinterher.

»Welcher Film ist das?«, fragte Stefan stutzig.

»Der Film!«, beschwor Martin.

Es dauerte etwas bis Stefan reagierte. In der gleichen Geschwindigkeit wie sich Stefans Gesicht nach unten bewegte, sein ganzes Blut in die Füße sackte, setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Und mit der zunehmenden Geschwindigkeit, mit der der Zug aus Dresden rausrollte, schlug Stefan immer schneller gegen die Fensterscheibe.

»Der Film! Gib mir den Film!«

Nachwort

Der dritte Teil, ein zeitweiliges Ende, oder ein neuer Anfang?
Eine Wendung auf jeden Fall!

Nachdem wir, Nero und ich, die ersten beiden Teile in gemeinsamer Kreuzkorrektur erstellt haben und modernste LaTeX-Verarbeitung-Software an die Grenzen paralleler Dateiverwaltung geführt haben, nun ein Eigenbeitrag von mir.

>Eine Herausforderung!
Wer kennt sie nicht, die leidige Kettenrechnung aus der Schule, nun hier die erste Kettenstory bei Nickstories. Ob Addition, Multi- oder Division, ein jeder Teil verspricht eine neue Wendung, Kopfzerbrechen und überraschende Ergebnisse.

Die Regeln sind einfach:
Abwechselnd schreibt je ein Autor die Geschichte weiter.
Wir dürfen uns bei der Entwicklung der Story nicht reinreden.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, sofern alles im Rahmen der letzten Teile bleibt.
Einspruchrecht gibt's nur bei den eigenen Charakteren.

Nero hat den Teil schon seit einigen Tagen und sitzt in den Startlöchern. Nun ist es seine Aufgabe, die Geschichte fortzuspinnen, mich zu erschlagen mit seiner rein quantitativen Macht. Im nächsten Teil ist er ganz auf sich allein gestellt.

Wird er es schaffen?
Was ist auf dem Film?
Wird der Knoten halten?
Und vor allem, was macht Willi Fliege?

Stay tuned, and don't watch to much stupid game shows!

Jean-Pierre Glenis

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