zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Regisseur

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Der Regisseur

Ein kleiner Wind kommt auf. Er kühlt mir den Nacken und lindert das Brennen der Sonne. Verspielt wirbelt er etwas Staub auf und lässt ihn in kleinen Wogen über den Platz tanzen. Es ist ein fröhlicher Tanz, stolz und frei. Ein Tanz für die Unbezwingbarkeit der Natur. Das einzige Zeichen von Leben auf diesem totem Grund aus gepresstem Rotbraun, einem Kraterfeld aus Schlaglöchern und verspritztem Öl — ein Parkplatz.

Ich hebe meinen Blick aus der Trostlosigkeit und schaue auf die weiße Wand, die sich hinter dem Platz erhebt. Hoch und rein zieht sie eine deutliche Grenze zu dem drögen Braun der Welt. Hinter der Wand leuchten goldene Dächer. Sie spiegeln das Licht der Sonne, erstrahlen in der Erhabenheit der Religion. Ein weites Tor — groß, rot und hoch — lädt weit geöffnet zum Eintritt ein, zum Schritt in die selige Freiheit. Ich möchte mich erheben und darauf zuschreiten.

Doch ich blinzle.

Der Wind hat ein Sandkorn in meine Augen geweht. Es beißt und sticht, bringt meine Sicht zum Verschwimmen. Ich reibe es mir schnell aus dem Auge, doch bleibt mein Blick verklärt. Nun hat der Tempel all seinen Glanz verloren. Auf einmal nehme ich die Löcher in der Mauer wahr, ihr verblasstes Weiß. Ich erkenne, statt goldener Dächer, gelbe, zerbrochene Ziegel. Das Tor zur Freiheit hängt zerbrochen in den Angeln. Sein Wächter — alt und grau — sitzt auf einem Schemel einsam und gebeugt davor. Er lehnt sich an die bröckelnde Wand und starrt in die staubige Trostlosigkeit des Parkplatzes.

Ich fühle das harte Holz auf dem ich sitze und spüre die Realität, mit der es mich erfüllt. Es sind die Stufen zu dem einzigen Restaurant hier, dem Ende des Universums? Dem Ende der Welt auf jeden Fall.

Ich blicke mich um und sehe die hohen, dichten, ausgeblichenen Lattenzäune des anliegenden Dorfes. Mir ist, als ob sie neugierige Blicke abschirmen sollen, von Besuchern wie mir oder auch von den Nachbarn. Doch scheinen sie mir viel mehr die Anwohner selbst einzugrenzen, sie in ihren grauen Holzhäusern gefangen zu halten. Sie bilden ein totes, verlorenes Bild und fügen sich in die uns umgebende Landschaft ein. Es ist ein flaches Land aus bleichem Gelb und hellen Braun. Weit reicht mein Blick durch die Steppe und erkennt erst in der Ferne Punkte grünen Lebens. Vielleicht ist es ein Wald.

Dunkel erheben sich dahinter die Schatten hoher Berge. Sie bilden eine natürliche Mauer um dieses weite Tal. Grenzen ein — halten fern.

Stimmen lenken meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sehe rüber zu Maik und Katja, die sich mit diesem Fremden unterhalten, diesem Regisseur? Er hat uns hier, in diesem letzten Restaurant angesprochen und uns zu dieser Diskussion verleitet; hat bei Monika und mir diese ewige Frage aufgeworfen: nach dem Sinn, Gerechtigkeit und Religion.

Und jetzt sitzen wir beide hier und schweigen uns an. Ein jeder ist in seine eigenen Gedanken versunken, auf der Suche nach Argumenten, um den anderen zu überzeugen. Doch finden wir keine, kennen wir doch selbst die Wahrheit nicht.

Noch einmal schaue ich auf den buddhistischen Tempel. Diese Manifestation menschlichen Glaubens, mit all seinem künstlichen Glanz, seinen erdachten Ritualen. Geschaffen um uns Glauben greifbar zu machen, auf dass wir uns daran festhalten und nicht weiter suchen.

Dann erhebe ich mich und geselle mich zu Maik und Katja. Ohne Pause frage ich sie: »Wann kommt der Bus?«

Jean-Pierre, 27. September 2000; 14:33

Lesemodus deaktivieren (?)