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Spread your wings

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»Spread your wings and fly away,
fly away, far away,
spread you little wings and fly away.
Pull yourself together,
'cause you know you should do better,
that's because you're a free man.«
Queen / Blind Guardian - Spread your wings

»He, kommst du nun endlich« ertönte der Ruf ueber den Hof. Lollin schreckte wie aus Trance hoch, warf noch einen letzten Blick auf den Schwarm Vögel, den er gerade beobachtet hatte und nahm den Eimer Kohlen, den er über das Starren abgestellt hatte wieder auf und ging in Richtung der Werkstatt. Bevor er den Raum betrat, warf er noch einen letzten, wehmutsvollen Blick über seine Schultern in Richtung des blauen Himmels. Sein Blick streifte dabei die eigenen, nutzlosen Schwingen und er stieß einen leisen Seufzer aus. Der Gedanke an die Luft, wie sie ihn umströmte, würde wohl für immer eine schmerzvolle Erinnerung bleiben.

Ein scharfer Schmerz holte ihn abermals in die Realität zurueck. Unbemerkt war sein Meister an ihn herangetreten, die noch vibrierende Weidengerte in der Hand. »Du sollst arbeiten und nicht in der Luft herumstarren«, herrschte er ihn an. »Ja, Meister« kam die gemurmelte Antwort zurück. Ein wenig eifriger als vorher schüttete Lollin die Kohlen in die Esse, die schon fast ganz heruntergebrannt war und nahm den Blasebalg wieder in die Hand. Sein Meister hatte die Gerte wieder an die Seite gelegt und einen der schweren Schmiedehaemmer in die Hand genommen, mit dem er auch sofort wieder anfing, den Eisenring auf dem Amboss zu bearbeiten.

Einige Stunden später, die Sonne war schon längst hinter dem Horizont versunken, legte der Meister den Hammer endgültig aus der Hand. Er drehte sich mit schnellen Schritten zur Tür hin, rief Lollin aber noch zu: »Wenn du hier aufgeräumt hast, kannst du auch dich auch zur Ruhe legen!« Seufzend nahm Lollin den in der Ecke stehenden Besen zur Hand und fing an, den Abfall der heutigen Arbeit zusammenzukehren.

Als er dann endlich fertig war, legte er sich zusammengerollt vor der noch warmen Esse auf den Boden und versucht einzuschlafen. Eigentlich hätte ihm das nach der schweren Arbeit des Tages nicht schwerfallen dürfen, aber wie schon so oft in der letzten Zeit konnte er seine rasenden Gedanken einfach nicht zur Ruhe bringen. Sie kreisten um den Vogelschwarm, den er heute beobachtet hatte, einen der wenigen der letzten Zeit und darum, wie sehr er sich danach sehnte, mit ihnen in die Lüfte zu steigen, die vorbeiströmende Luft zu geniessen und in den Sonnenuntergang zu fliegen. Aber unweigerlich wurden seine Gedanken auch auf den Moment gelenkt, an dem er zuletzt geflogen war. In seiner Erinnerung konnte er die Sonnenstrahlen auf seinen Schwingen noch spüren, wie er zurück auf ihr Dorf zugeflogen kam, zusammen mit ein paar von seinen Freunden, von einem Nachmittag voller Spass und Spiele zurückkehrend.

Schon aus etwas größrer Entfernung hatte er sich darüber gewundert, wie wenig auf den Strassen und Hängebruecken los war, aber da er hungrig war und sich schon auf das Abendessen freute, hatte er dem nicht weiter Beachtung geschenkt. Er landete vor der Tür, schüttelte seine Schwingen aus und trat durch die Tür ein. Ein Schrei entfuhr noch seiner Kehle, als er seine Eltern mit abgeschlagenen Schwingen und durchgeschnittenen Kehlen auf dem Fussboden liegen sah. Dann durchfuhr in ein dumpfer Schmerz vom Hinterkopf aus und er fiel in Ohnmacht. Das nächste, an das er sich erinnern konnte, war wohl einige Zeit später, als ihn ein grober Fusstritt in die Seite traf. Sich langsam aufrappelnd bemerkte er den dicken Eisenring, der um seinen Hals gelegt war und von dem nach rechts und links eine Kette wegführte. Seinen Kopf nach rechts drehend sah er seinen Bruder Pallin, ein paar Jahre jünger als er. Sie mussten ihn wohl direkt im Haus mit seinen Eltern ueberwältigt haben. Er sah schrecklich zugerichtet aus, er musste sich wohl gewehrt haben und lag noch ohnmächtig am Boden.

Als er den Kopf ein wenig weiter hob, sah er eine lange Reihe von Kindern und Jugendlichen, die alle aneinander gekettet waren. Er konnte auch seine Freunde dort entdecken. Sie hatten wohl alle jüngeren Bewohner des Dorfes erwischt.

Kurze Zeit später wurde zum Aufbruch geblasen und ein brutaler Ruck an der Kette signalisierte zum Aufstehen. Die nächsten Tage vergingen wie in Trance. Vom morgendlichen Wecken ueber das stupide Laufen in der Kette bis zum kargen Mahl am Abend gab es nichts, was die Jungen und Mädchen aus ihrem Schock und ihrer Apathie reissen konnte. Wer nicht mitkam, wurde aus der Reihe an die Seite gezerrt, brutal niedergestreckt und einfach liegengelassen. Reden war verboten, er konnte von seinem kleinen Bruder nur erfahren, dass sie während des Anrichtens für das Abendessen von einem Trupp brutaler Untens (wie man die Menschen ohne Flügel meistens leichthin bezeichnete) überrascht und überwaltigt wurden. Ihre Eltern hätten sie ohne viel Federlesen mit dem Schwert niedergestreckt, nur Pallin hatten sie lediglich einen Schlag mit dem Schwertknauf verpasst.

Es hatte schon seit einigen Wochen Berichte von brutalen Plünderungen der Siedlungen von Flügels gegeben, aber die Dorfältesten hatten diese Berichte als Übertreibungen abgetan und nur als Versuch der Untens gedeutet, sie von ihrem schönen Fleckchen Erde zu vertreiben.

Nach einigen Tagen des Marschierens (Lollin konnte sich nicht mehr daran entsinnen, wieviele genau es waren) wurde ihr Trupp geteilt, immer rund fünf Mädchen und Jungen wurden von ein paar Untens in Richtung der grossen Städte geleitet. Lollin wurde dabei von seinem Bruder getrennt, der in Richtung einer anderen Stand geführt wurde.

Die Erinnerung an die nächsten Tage drängte Lollin sofort zurück, konnte aber ein Aufschluchzen nicht verhindern, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, wie ihm seine Schwingen gestutzt wurden. Er wusste in dem Moment, das es mit dem fröhlichen Dahingleiten auf den Luftschichten jetzt für immer vorbei sein würde.

Letztendlich war er dann an den Schmied in diesem kleinen Dorf verkauft worden. Ihm ging es nicht schlecht, er hatte von Flügels gehoert, die in den ersten Wochen ihrer Arbeit zu Tode geschunden wurden, aber je länger er hier war, desto überwältigender wurde der Wunsch wieder zu fliegen. Obwohl er genau wusste, das es nie wieder geschehen würde, starrte er doch jedem Vogel hinterher und hatte deswegen auch schon in der letzten Zeit häufiger Prügel von seinem Meister bezogen.

Plötzlich wurde Lollin von lauten Stimmen aus dem Hauptraum des Gebäudes aufgeschreckt. Da soetwas ungewöhlich war, beschloss er, sich das einmal etwas genauer anzuhören. Er richtete sich leise auf und schlich sich zur dicken Holztür, die zum Wohnraum führte. Er konnte nur noch die Stimme der Frau des Meisters hören: »....kannst du doch nicht machen! Der Arme!« Und dann die Stimme des Meisters: »Und ob ich das kann. Es starrt die letzte Zeit nur noch in die Luft, ist zum richtigen Arbeiten kaum noch zu gebrauchen. Und wenn es erst dahinter kommt.....« Da beruhigte sich der Meister wieder und seine Stimme wurde wieder leiser, was von der dicken Tür noch weiter gedaempft wurde, so dass Lollin nichts mehr verstehen konnte. Er rollte sich wieder vor der Esse zusammen und endlich kam der ersehnte Schlaf.


Der nächste Tag verging ohne besondere Zwischenfälle, nur gegen Abend, Lollin hatte wieder einmal einem besonders großen Vogel hinterhergestarrt durch das kleine Fenster der Schmiede und darüber das Bedienen des Blaseblags vergessen, als seinem Meister der Geduldsfaden riss. Er packte ihn sich und drückte Lollin grob auf den Amboss, griff sich dann die grosse Reitpeitsche vom Regal und fing an, wie der Teufel persönlich auf Lollin einzuschlagen. Dabei stieß er immer wieder die Worte aus: »Das wird dich lehren, nicht aufmerksam zu sein, die Arbeit die ich dir gebe, nicht zu schätzen!« Lollin wandte sich hin und her unter den Schlägen, konnte ihnen aber nicht entgehen. Er fing aber an, unkontrolliert zu weinen. Als der Meister seine Wut abreagiert hatte, packte er Lollin am Kragen, holte den Eisenring, mit dem er angekommen war aus einer Ecke und legte ihn Lollin um den Hals. Dann schleifte er ihn an der daran befestigten Kette zur Vordertür und hinaus und machte die Kette an einem in der Hauswand befestigten Ring, der eigentlich dazu da war, Pferde anzubinden, mit einem Schloss fest. Dabei rief er die Worte: »Du wirst heute nacht hier schlafen. Und wenn du morgen nicht erfroren bist oder die wilden Tiere dich geholt haben, vielleicht bist du dann bereit, der Arbeit die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu schenken!«

Lollin wollte sich mit seinen Schwingen zur Wand auf den Boden setzen, zuckte aber zurueck, als sein Hinterteil den Boden beruehrte, so hatte ihn der Meister zugerichtet. Er rollte sich dann auf der Seite zusammen und versuchte, sich in den Schlaf zu weinen.

Einige Zeit später, die Lichter im Haus waren schon gelöscht worden, hörte er das Knarren der Vordertür, wagte es aber nicht, sich dorthin umzudrehen aus Angst, der Meister wuerde ihn noch weiter verprügeln.

Er spürte dann, wie eine Hand sein Hemd hochschob und seine Hose ein Stück weit herunterzog und eine kuehlende Salbe auf die Wunden auftrug. Dabei hörte er eine leise Stimme sagen: »Das wird dir gut tun.« Er erkannte dabei die Stimme von Ratleff, dem Sohn des Meisters, der ihn immer freundlich behandelt hatte. Aber da Lollin immer in die Arbeit eingespannt war und der Meister nicht wollte, das sein Sohn mit einem Flügler Kontakt hat, war es nie zu etwas mehr als ein paar kurzen Worten zwischen den beiden gekommen.

Lollin lächelte aus verquollenen Augen dankbar zu, als Ratleff auf einmal einen Schlüssel aus seiner Tasche zog: »Den habe ich heute meinem Vater geklaut, ich kann es nicht mehr sehen wie er dich so schlecht behandelt.« Er nahm den Schlüssel und schloss damit den Halsring um Lollins Hals auf, zu dessen großer Verwunderung. Ratleff fragte ihn dann: »Kannst du noch fliegen?« Lollin schüttelte nur den Kopf, als der Schmerz in ihm wieder aufbrandete, aber Ratleff fragte weiter: »Hast du es einmal versucht, seitdem bei uns bist?« Lollin rang sich dann die Worte ab: »Nein, wie sollte ich! Mir sind meine Schwingen ja gestutzt worden. Ich kann nicht mehr fliegen!« »Das ist das grosse Geheimnis, was euch gegenüber verheimlicht wird. Eure Federn wachsen wieder nach, nach einer gewissen Zeit koönnt ihr wieder fliegen! Es wird nur geheimgehalten, damit ihr nicht auf den Gedanken kommt zu fliehen! Versuch es!«

Neue Hoffnung stieg in Lollin auf, wieder zu fliegen und dieser Hölle zu entkommen! Er rappelte sich auf, von seinem Eisenring befreit und machte ein paar probeweise Schläge mit seinen schwingen. Und siehe da: Er erhob sich ein paar Zentimeter vom Boden! Von diesem ersten Erfolg ermutigt, schlug er sie kräftiger, und kaum hatte er damit begonnen, als sein verlorengeglaubtes Wissen ueber das Fliegen zurückkehrte und er sich in die Luft erhob, mehrere Meter hoch und in Richtung der nahen Baumreihe flog.

Lollin drehte sich noch einmal um und sah dort Ratleff im Mondlicht stehen, da kam ihm noch ein Gedanke. Er drehte schwungvoll einen Halbkreis und landete vor Ratleff. Er schaute ihm direkt in die Augen und sagte: »Du hast das größte Geschenk gemacht, was ich mir vorstellen könnte. Du bist dir meiner ewigen Freundschaft sicher und ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder. Aber ich hoffe, du wirst verstehen, das ich hier nicht bleiben kann.« Als er diese Worte gesprochen hatte, nahm er Ratleff in den Arm, drückte ihn fest an sich, legte seine Schwingen um sie beide und umarmte ihn für ein paar Sekunden. Dann griff er in seine rechte Schwinge und zog sich dort eine seiner langen Aussenfedern heraus, reichte sie Ratleff und sprach: »Nimm diese Feder von mir, dass du immer an mich erinnert wirst. Ich werde dich nie vergessen.«

Er sprach dies, streckte seine Schwingen aus und flog, von einem überschäumenden Gefühl der Freude geleitet, in Richtung des tiefstehenden Mondes........

© 2000 Jens »Joho« Hoffrichter

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