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Joshua und Marco

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„Dad, wir müssen reden.“

Diplomatisch wie immer, denke ich mir. So ist mein Sohn.

„Was gibt’s denn?“, frage ich erwartungsvoll nach und blicke von meiner Tasse Kaffee und meinem Tablet, mit dem ich gerade die aktuellsten Meldungen verfolgt habe, auf.

„Ich weiß auch nicht so recht…irgendwie…“, setzte er an und lies sich ziemlich resigniert auf den Platz mir gegenüber fallen. „Ach, vergiss es…“, sagt er und ist schon wieder auf dem Weg aufzustehen.

„Äh, okay und was?“, kommt nun leicht irritiert von mir. So sprachlos kenne ich ihn ja gar nicht. Schwerfällig setzt er sich wieder hin und schaut mir unsicher in die Auge. Offenbar scheint ihn das Gespräch ziemliche Überwindung zu kosten.

„Also, jetzt mal von Anfang und keine Bange, was es auch ist, so schlimm kann es doch nicht sein, oder?“

Wieder dieser Blick, nur mit gerunzelter Stirn. Irgendwie ist es nicht einfach Vater eines pubertierenden Jungen zu sein, sofern man das von einem 16-jährigen noch behaupten kann.

Da noch immer keine Antwort kommt, versuche ich es auch mal mit einer Frage: „Geht es um ein Mädchen?“

„Nee, bestimmt nicht, da brauch ich mit dir doch eh nicht drüber reden“, kommt prompt als Antwort. Na danke auch, denke ich mir. „Da sind deine Erfahrungen ja nicht so weit her“, setzt er sogar noch eins oben drauf.

Kopfschüttelnd sitze ich meinem Kleinen gegenüber und traue mal wieder meinen Ohren nicht. Gut, wir sind diese Art der Kommunikation miteinander gewohnt, aber ich bin doch immer wieder erstaunt. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass wir einen solchen Umgang miteinander gefunden haben. So als Wochenendpapa ist es teils schwierig, aber wir haben uns eine gute Basis geschaffen, so wie es aussieht.

„Gut, wenn es nicht um Mädchen geht, dann Schule? Mama? Oder Jungs?“ Nun bin ich derjenige der grinst, denn damit schock ich ihn immer wieder.

„Nee, nicht Schule und auch nicht Mama“, kommt auch umgehend zurück.

„Gut, dann bleiben noch die Jungs. Wer hat denn was angestellt?“ elterntypische Frage. Wie ich die früher gehasst habe, schießt mir durch den Kopf. Offenbar wiederholen sich einige Dinge wohl immer wieder. Ob sich meine Eltern damals auch so gefühlt haben?

„Keiner hat was angestellt, alles gut“, werde ich nun aus meinen Gedanken gerissen.

„Aber…?“ ,setze ich mit dem berühmten Elternunterton nach. Der Blick von Joshua, so heißt mein Sohn, senkt sich langsam gegen Boden, offenbar scheint es da urplötzlich was ganz Interessantes zu geben. Lustiger Weise verfärben sich seine Ohren langsam rot und er bekommt diese roten Flecken auf die Wange, wie immer, wenn er aufgeregt ist. „Oha, jetzt wird es spannend“, denke ich mir. Josh rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und kann seinen Blick noch immer nicht heben. Ich kann beobachten, wie er überlegt und sich seine kommenden Worte gut zurecht legt. Nach einiger Zeit hebt er seinen Blick und schaut mir fest in die Augen.

„Ich glaub Marco ist eifersüchtig auf mich.“ Presst er nun zwischen den Zähnen hindurch.

Nun bin ich es, der ihn fragend anschaut. Marco ist Joshuas bester Freund und sie kennen sich schon seit Anfang der Grundschule.

„Warum sollte er eifersüchtig sein? Was ist denn passiert?“

„Ach, er ist in der letzten Zeit so abweisend zu mir und pisst mich wegen jeder Kleinigkeit an. Als ich ihn drauf angesprochen habe, druckste er nur rum und meinte irgendwas von ich nehme ihm die Mädels weg.“

„Ah, daher weht der Wind“, denke ich mir. Um mehr über die Zusammenhänge zu erfahren, bin ich erst mal still.

„Dabei mach ich doch gar nichts“, fährt Josh weiter fort. „Ich meine, klar, wir haben hin und wieder nen ähnlichen Geschmack, aber die Mädels doch nicht. Marco und ich verstehen uns super, aber sind doch so unterschiedlich wie Tag und Nacht.“

„Oh ja“, denke ich wieder bei mir. Yin und Yang könnten vor Neid erblassen. Josh ist eher der ruhige und besonnene, denkt über viele Dinge nach, interessiert sich für Musik, malt gern und hat ein riesiges Herz für alle, denen es nicht so gut geht wie ihm selbst. Schon mehrfach hat mich seine Lehrerin darauf angesprochen, wie gut er doch anderen helfen würde und sie in ihrer Arbeit unterstützt ohne sich dabei aufzudrängen, aber dennoch mit einem sensiblen Gespür für den passenden Moment. Marco hingegen ist der absolute Wirbelwind. ADS, also Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, wie Josh mir gleich zu Beginn mitgeteilt hatte. Konzentration gleich null und immer in Bewegung. Keinen Moment still sitzen und verweilen, immer muss irgendwas getan, in den Händen gehalten oder geredet werden. Das unterscheidet sie beide sehr, verbindet sie aber offenbar auch auf ihre ganz eigene Weise.

„Da stimme ich dir zu, unterscheiden tut ihr euch im Charakter, aber auch im Aussehen. Ich denke mal, dass das bei den Mädels nicht das Problem sein sollte, oder?“

Auch noch ein Unterschied zwischen den beiden. Marco ist mit seiner hellen Haut, strohblonden Haaren, eher kräftigen Statur, breiten Schultern und leichtem Bauchansatz das krasse Gegenteil zu Joshua. Dieser ist gertenschlank, kein Gramm Fett am Körper, dunkelbraune Haare und sonnengebräunte Haut. Marco und Josh sind auch in dieser Linie wirklich nicht miteinander zu vergleichen.

„Nee, das sagte ich ihm ja auch. Aber dennoch ist er total zickig, wenn ich mich mit den Mädels in den Pausen unterhalte oder auch mal nach der Schule mit ihnen weggehe.“

So langsam schleicht sich mir ein Gedanke in den Kopf, den ich aber lieber noch zurückhalte. Ich weiß, dass dieses Thema für Josh immer sehr schwierig ist, erst recht in dieser Phase des Erwachsenwerdens.

„Ich gehe mal davon aus, dass du ihm auch angeboten hast mitzukommen, wenn ihr unterwegs seid, oder?“

„Ja, klar. Aber dann macht er auch nur dumme Witze und versucht die ganze Zeit im Mittelpunkt zu stehen. Das ist echt anstrengend, Papa.“

„Glaub ich gern, was sagt er denn dazu?“

„Nix, das ist es ja, oder er schiebt es auf sein ADS.“ Resigniert sinkt Josh weiter auf seinem Stuhl zusammen. Das Verhalten von Marco macht ihm sichtlich zu schaffen.

„Ist das auch der Grund, warum er dieses Wochenende nicht mit von der Partie ist?“ frage ich nun nach, denn es ist mir bereits in der Vorbereitung auf unser Treffen aufgefallen, dass er Marco mit keinem Wort erwähnte und selbst auf mein Nachfragen nur meinte, dass er dieses Mal alleine zu mir kommen würde. Da ich weiß, dass er die Zeit hin und wieder auch gern alleine mit mir verbringt, habe ich auch nicht weiter nachgefragt.

Geknickt nickt Josh mit dem Kopf und brummt ein leises „Ja“.

„Sag mal, hatte Marco nicht eine Freundin?“, versuche ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

„Nee, nicht mehr. Hat letzte Woche mit ihr Schluss gemacht.“

„Hast Du eine?“, hake ich vorsichtig bei meinem Sohn nach. Entsprechend überrascht hebt er den Kopf und schaut mich mit großen Augen an.

„Nee, aktuell nicht“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Ich muss lächeln. Diese direkte und trockene Art, die liebe ich an ihm.

„Hm, aktuell nicht, aber geplant?“, bohre ich weiter nach.

„Weiß nicht, noch nicht klar“, bekomme ich nun etwas unschlüssig zur Antwort.

„Hast du Marco drauf angesprochen, ob er sich die Gleiche ausgesucht hat und daher sein Unmut kommen könnte?“

„Er meinte nee, er will mal eine Weile Pause machen und bissel für sich sein.“

Überrascht sehe ich Josh an. „Hat er das so gesagt?“

„Ja.“

„Hm…“ ,lasse ich kurzzeitig im Raum stehen. Ich hadere mit mir, ob ich Joshua die Frage, die sich in meinem Kopf gerade dreht, stellen soll oder nicht. Wie wird er drauf reagieren? Josh sucht meinen Blick und erkennt nun seinerseits, dass ich mir Gedanken mache.

„Los, spuck es aus, was geht dir durch den Kopf“, wirft er mir nun entgegen. Ich muss lächeln. So ist das immer bei uns. Jeder sieht, wenn den anderen etwas beschäftigt und wir fordern uns immer auf, die Gedanken offen auszusprechen, wie hart oder abstrakt diese teilweise auch sind. Langsam setze ich an zu sprechen.

„Sage mal, hast du schon mal drüber nachgedacht, ob Marco schwul sein könnte?“, frage ich nun vorsichtig meinen Sohn.

„Nee“, bricht es auch direkt aus ihm aus und seine Augen haben die Größe von Mühlrädern. „Marco ist doch der Weiberheld schlecht hin, der kann doch nie und nimmer auf Jungs stehen.“

„Naja, soll vorkommen, habe ich mal irgendwo gehört“, grinse ich ihn an. Nun kann sich auch Josh nicht mehr halten und im nächsten Moment blitzen seine Augen wieder.

„Nur weil du dich irgendwann umentschieden hast und jetzt auf Kerle stehst, heißt das noch lange nicht, dass es alle anderen auch so machen müssen“, gibt er lachend von sich. Ja, ja, mein Sohn, immer frei von der Lunge.

„Ich mein ja nur, war nur so ein Gedanke“, setze ich in sein Lachen mit ein.

„Manchmal bist du echt verrückt, weißt was du das?“, grinst er mich an und schüttelt nur den Kopf.

„Klar, deshalb magst du mich auch so und kommst immer wieder zu mir zurück. Ich bin halt nicht wie die anderen Väter der anderen Jungs“, grinse ich ihn an.

„Aber mal ernsthaft“, nimmt Josh meinen Gedanken wieder auf, „denkst du das wirklich?“

„Ich kann es dir nicht sagen, so gut kenne ich Marco ja nicht. Immerhin ist er nur alle vier Wochen gemeinsam mit dir hier. Aber wenn ich ehrlich sein soll, ich kann mich auch bei euch beiden an so manche Situation erinnern, die schon etwas auffällig war. Gut ihr seid Teenager…ich meine…Jungs unter sich...das ist doch auch normal“, füge ich etwas stockend hinzu.

Josh schießt bei meinen Worten die Röte ins Gesicht. Ertappt, denke ich und grinse innerlich.

„Hey, ist doch nichts dabei. Nicht umsonst habe ich irgendwann mal das Gespräch mit dir geführt, dass du für dich selbst entscheiden sollst was dir gefällt und du keine Scheu vorm ausprobieren haben solltest. Ich vermute einfach mal, dass es zwischenzeitlich wohl so oder so ähnlich war, wie ich dir damals geschildert habe. Du bist immer sehr offen damit umgegangen, dass dein Vater schwul ist. Als Rat habe ich dir mit auf den Weg gegeben, dass es wahrscheinlich sein kann, dass Jungs mal das eine oder andere bei dir versuchen werden. Für die liegt der Gedanke ziemlich nahe, da ja dein Vater schwul ist, warum auch nicht du? Dass dem nicht so ist, können die ja nicht zwangsläufig wissen, oder?“

Ja, dieses Gespräch hatten wir einst geführt. Ich weiß ja, wie seine Mutter über das Thema Homosexualität denkt. Und mehr als einmal hat er unter Tränen geschildert, wie sehr sie über mich hergezogen ist. Für Josh war dies immer sehr schmerzhaft, da er mich von klein auf liebte und weiß, dass sich durch meine sexuelle Orientierung an den Gefühlen für ihn und dem Verhältnis zwischen uns nichts geändert hat. Letztlich war er auch zu klein, um wirklich ein Problem damit zu haben, er wuchs mit dem Wissen, dass ich auf Männer stehe, auf.

Irgendwann kam mir der Gedanke, als er mir davon berichtet hatte, dass er offen zu mir steht, dass es sinnvoll sein könnte ihn auf das ein oder andere vorzubereiten. Ich merkte, wohl auch durch die Beschimpfungen seiner Mutter ausgelöst, dass er sich immer sehr verkrampfte, wenn ihm ein anderer Junge einen Arm um die Schulter legte oder mal einen Witz in die Richtung, er könne ja auch auf Männer stehen, machte.

Einmal eskalierte die Situation in meinem Beisein mit einem Freund und dies gab mir lange Zeit sehr zu denken. Joshua wurde wegen einer Kleinigkeit wütend und schimpfte auf seinen schwulen Vater. Sein Freund sah ihn nur irritiert an und meinte, dass er gern mit ihm tauschen würde. Josh dürfe gern seinen Vater haben, der bei weitem nicht so verständnisvoll und umgänglich sei. Wenn Josh mich nicht mehr haben wolle, so würde er mich jederzeit nehmen. Klar, das war ein Frontalangriff und Joshua realisierte in diesem Moment, dass sein schwuler Vater, mit seiner Art und seinem Umgang, offenbar auch für andere interessant sein könnte. Die einzig logische Konsequenz für ihn war, dass dies das letzte Mal für den Jungen war, dass er uns gemeinsam besuchte.

Mit Marco war es von Anfang an anders. Das übliche Herumtollen und Kräftemessen, welches Josh und ich zur Begrüßung immer veranstalteten, machte er ohne Scheu mit. Er stand mitten drin und warf sich ohne Vorwarnung auf mich. Ich war im ersten Moment derart überrascht, dass ich einfach zu Boden ging. Josh fand dies toll und warf sich direkt mit auf uns. Somit war das Eis gebrochen und ich hatte plötzlich zwei Gegner. Beide sind extrem kitzlig, so dass ich mit einigen unfairen Manövern, immer wieder schnell die Oberhand hatte und die beiden Jungen kurze Zeit später immer lachend auf dem Boden lagen.

So kam es auch, dass ich bereits sehr früh an einem unserer Wochenenden merkte, wie sich die Spannung zwischen den beiden Jungs über den Tage hinweg immer weiter auflud. Mitunter liegt es auch daran, dass ich selbst für das Thema „Jungs unter sich“ und meinen Erfahrungen damit sehr sensibel bin. Jedenfalls überließ ich nach dem Abendessen die beiden sich selbst und verabschiedete mich mit meinem Buch frühzeitig ins Bett. Letzte Anweisung war noch zu duschen, da sie über den Tag sehr verschwitzt waren. Aus meinem Bett heraus hörte ich Marco Josh fragen, ob sie nicht mal wieder gemeinsam duschen gehen sollten, so wie sie das früher immer gemacht hatten. An Joshs Stimme hörte ich direkt, dass er von dieser Idee nicht sehr begeistert war.

Josh war im Bad verschwunden und ich hörte das Rauschen der Dusche. Kurze Zeit später hörte ich ein leises Kichern und das Klappern der Badezimmertür. Marco, dachte ich bei mir und musste lächeln. Joshua, der wohl freudig unter der Dusche stand und an nichts Böses dachte, schrie irgendwann überrascht auf und schon hörte ich beide lachen. Okay, alles so weit in Ordnung, dachte ich und sah davon ab, die beiden Jungs zur Ordnung zu rufen. Wenig später kam Josh aus dem Bad und Marco war unter die Dusche gehüpft. Joshua steckte den Kopf in mein Zimmer und wünschte mir eine gute Nacht.

Irgendwann war ich eingeschlafen und die Jungs saßen im Wohnzimmer und schauten fern. Als sie müde wurden gingen sie rüber ins Bett. Im Gästezimmer, welches Joshua immer bezieht, wenn er bei mir ist, steht ein Doppelbett, so dass die beiden immer zusammen übernachten können. Das Ritual sich im Bett noch eine Weile zu unterhalten hatte Josh wohl adaptiert und folgte der Gewohnheit auch mit Marco. Offenbar waren sie lauter als ihnen bewusst war, denn plötzlich war ich wieder wach und hörte die beiden im Nebenzimmer lachen. Sie waren mit ihren Nintendos beschäftigt und amüsierten sich über das gemeinsame Spiel. „Kann man mit den Dingern auch gegeneinander spielen?“ schoss er mir kurz durch den Kopf. Aber egal, ich drehte mich um und versuchte wieder zu schlafen. Was mir allerdings bei dem Gekicher nicht gelang.

Kurze Zeit später kam es zu einer Situation nach dem Motto „Was man als Elternteil nicht wirklich über sein Kinder wissen möchte.“ Ich war gerade auf dem Weg Richtung Badezimmer um meine Blase zu entleeren, schlich leise am Gästezimmer vorbei und hörte nur mit einem halben Ohr Marcos Stimme. „Fass mal an, der ist total hart.“ Abrupt blieb ich stehen und fragte mich, ob ich mich gerade verhört hatte. Josh wehrte sich erst ein wenig, gab dann aber offenbar nach. Ein leises Stöhnen war zu vernehmen. „Den jetzt irgendwo reinstecken“, war Marcos Stimme wieder zu hören. Oookaaay, dachte ich bei mir, verschwand fluchtartig und so leise wir nur möglich im Bad. Dort angekommen sortierte ich für einen kurzen Moment meine Gedanken und fragte mich, wie ich auf die Situation am besten reagieren solle. Ignorieren, war mein Entschluss. Wenn die beiden diese Dinge ausprobieren möchten, dann sollen sie den Raum und die Möglichkeit dazu haben. Wer weiß, wo sie sonst mal die Gelegenheit dazu bekämen. Ich wäre damals froh gewesen, hätte ich diese Möglichkeit gehabt. Mitunter wäre in meinem Leben einiges anders gelaufen.

Am nächsten Morgen saßen wir alle am Frühstückstisch und die vergangene Nacht wurde von keinem erwähnt. Zumindest nicht offiziell, aber der verstohlene und wissende Blick zwischen Josh und Marco war nicht zu übersehen.

Diese Information, die mir nun durch den Kopf schoss, konnte ich Josh in unserem Gespräch nicht so einfach vor den Latz knallen. Ich vermute, dass es ihm mal wieder die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, wenn er wüsste, dass ich, zumindest einen Teil, dieser nächtlichen Aktion mitbekommen habe. Dennoch war dies der Punkt, der mich zu meiner Vermutung bzgl. Marco bewogen hat. Also, wie komme ich denn nun am besten zu einer möglichen Erklärung, ohne dass es für Joshua zu peinlich mit mir wird, schließlich bin ich ja doch irgendwo der Papa.

Bekanntlich ist Offenheit die beste Angriffsstrategie und das Spiegeln beherrsche ich auch ganz gut, also springe ich mal wieder ins kalte Wasser und offenbare meinem Sohn eine dieser wunderbaren Geschichten, die man über Eltern nie wissen möchte und deren Bilder man auch nie mehr vergisst.

„Du, ich hatte auch mal einen Freund, ähnlich wie Marco. Damals wusste ich über mich noch nicht so Bescheid wie ich das heute weiß und konnte viele seiner Reaktionen nicht einordnen. Wir verstanden uns super, machten eine Unmenge Schabernack und waren unzertrennlich. Irgendwann wurde das Verhältnis zwischen uns immer angespannter, ich konnte es überhaupt nicht verstehen, da ich mich verhielt wie immer. Er zog sich immer weiter zurück und legte jedes Wort von mir auf die Goldwaage. Das war total anstrengend. Naja, trotzdem verbrachten wir unsere Zeit gemeinsam, denn missen wollte er sie auch nicht. An einem Wochenende blieb er mal wieder über Nacht und da ist es dann passiert. Ich war total überrascht, ich hätte das nie von ihm erwartet, immerhin kannten wir uns schon ewig. Aber wir waren mal wieder total angespannt. Das Eine ergab das Andere und plötzlich lagen wir raufend auf dem Boden. Ehe ich mich versah, hatte ich eine blutende Nase und lag unter ihm. Er saß auf meinem Bauch und hielt meine Handgelenke neben meinem Kopf am Boden fest. Ich war total verwirrt und wusste gar nicht, wie es soweit kommen konnte. Ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, dass ich mich wohl auch anständig gewehrt hatte, denn sein linkes Auge wurde von einem ordentlichen Veilchen verziert. Plötzlich senkte er langsam seinen Kopf und ehe ich mich versah berührten seine Lippen meine. Er küsste mich. Ich war derart überrascht, dass ich einfach liegen blieb und ihn instinktiv zurück küsste.“

Joshua sah mich mit großen Augen an. Diese Geschichte hatte ich ihm bisher noch nicht erzählt. Es ist interessant, wie sich doch manche Dinge offenbar immer wiederholen.

„Und wie ging es weiter?“, fragte er mich als ich nicht weitersprach.

„Er gestand mir an dem Abend, dass er sich in mich verliebt hätte, dies schon die ganze letzte Zeit bemerkt hätte und nie wusste, wie er es mir sagen sollte. Auch hatte er fruchtbare Angst vor meiner Reaktion, da ihm unsere Freundschaft sehr wichtig war.“

„Und“, fragte mich Joshua mit einem schiefen lächeln, „wart ihr danach zusammen?“

„Nein, das waren wir nicht. Wie schon gesagt, ich war mir meiner zur damaligen Zeit noch nicht so bewusst wie heute. Ich war noch immer der Überzeugung auf Mädchen zu stehen und musste ihm leider einen Korb geben. Einfach ist mir das natürlich nicht gefallen, schließlich war er mein Freund. Aber ich hätte ihm damals nicht das geben können, was er von mir gewollte hätte.“

Josh und ich saßen danach einige Zeit schweigend am Tisch und jeder hing seinen Gedanken nach.

„Marco hat mich noch nie geküsst“, sagte Josh plötzlich. Ich sah ihn fragend an. „Gut, mal bissel gegenseitig gefummelt“, steckte mir dann mein Sohn mit glühend roten Ohren und einem verschmitzten Grinsen im Gesicht. „Aber auch nicht mehr“, fügte er noch schnell hinzu.

„Jungs unter sich eben“, sagte ich und zuckte dabei mit den Schulten. „Ist halt normal in eurem Alter.“

„Und wie soll ich jetzt mit ihm weitermachen?“, sah mich Joshua nun fragend an.

„Am besten du gehst weiter auf ihn zu und lässt ihn nicht fallen. Sollte irgendwas in der Richtung dran sein wird er irgendwann auf dich zukommen und es dir sagen. Versuche es einfach wie immer zu handhaben, sei offen und schau was passiert. Wenn sich sein Verhalten weiter ins Negative entwickeln sollte, kannst du noch immer auf Abstand gehen.“

„Und was mache ich, wenn er mir tatsächlich irgendwann sagen sollte, dass er schwul ist? Oder noch schlimmer, dass er sich in mich verschossen hat?“

„Was hast du denn bei mir gemacht, als ich dir sagte, dass ich schwul bin?“

„Das ist doch was völlig anderes, Papa.“ Entgegnet Josh gereizt und zieht genervt die Luft ein.

„Nein ist es nicht“, setze ich dagegen. „Was sollte daran anders sein? Sollte Marco tatsächlich, und das ist ja nur eine Vermutung von mir, schwul sein, was sollte sich da für dich ändern? Marco bleibt Marco, nicht mehr und nicht weniger. Du musst in diesem Moment nur für dich selbst wissen was du willst. Kannst oder willst du seine Gefühle erwidern oder nicht. Eine andere Frage stellt sich da nicht.“

„Aber wenn er sich in mich verliebt hat, das…das kann er doch nicht machen. Ich steh doch nicht auf Jungs.“ Josh schaut mich verzweifelt an und ringt unruhig mit seinen Händen. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass er den Tränen nahe ist. „Ohje, was habe ich da bloß wieder angestellt. Ich mit meiner Fantasie und meinen schnellen Vermutungen“, schießt es mir durch den Kopf. Schnell stehe ich auf und nehme Josh in den Arm. Eng drückt er sich an mich und die ein oder andere Träne kullert tatsächlich über seine Wange. Langsam streiche ich über den Kopf und halte ihn still fest. Als er sich wieder beruhigt hat schaue ich ihm in die Augen.

„Solltest du Marco nicht die gleichen Gefühle entgegen bringen, wie er sie für dich hat, dann ist das auch okay. Man kann nicht immer die Gefühle des anderen erwidern. Das tut weh, klar, aber ich denke, du weißt selbst wie das ist und hast es bestimmt auch schon erlebt. Schlimmer ist es natürlich noch, wenn man genau weiß, dass man diesem Menschen damit sehr weh tut, gerade weil man ihn sehr mag, aber die Gefühl eben nicht erwidern kann. In diesem Moment ist es wichtig aufrichtig und offen zu sein und den anderen nicht komplett zu verstoßen. Es wird sicherlich eine Weile dauern bis ihr euch wieder eingependelt habt, aber wenn eure Freundschaft so stark ist wie ich es vermute, dann bekommt ihr das hin. Glaub mir, auch wenn es gerade schwer fällt“, gebe ich ihm zur Antwort und lächle ihn dabei an. „Dominik und ich haben das auch geschafft. Mittlerweile sind wir beide froh, dass wir diese Zeit gemeinsam überstanden haben und noch so viele schöne Stunden miteinander verbringen konnten, auch wenn wir beide nie ein Paar geworden sind, obwohl ich irgendwann erkannte, dass ich auch auf Männer steh.“

„Ich werde das bestimmt nicht erkennen“, gibt Josh halb unter mir hervor und knufft mich leicht in die Seite. Langsam lasse ich ihn los und knuffe ihn zurück. Wir fangen an zu lachen und die ernste Stimmung löst sich langsam wieder.

Tja, was soll ich sagen. Seit unserem Gespräch sind nun einige Wochen vergangen. Bislang wurde ich über Marco und sein Verhalten nicht weiter aufgeklärt, aber sollte sich da was tun, werde ich dies sicherlich irgendwann hören. Manchmal frage ich mich, ob es für Joshua wirklich so gut ist einen schwulen Vater zu haben, bisweilen hat er es damit schon schwer. Nicht nur die Hänseleien und Gemeinheiten in der Schule, sondern auch Vorurteile, die ihm begegnen und gegen die er sich immer wieder wehren muss. Wird sich das irgendwann legen?

Auf der anderen Seite habe ich aber auch das Gefühl, dass er dankbar ist für die Eindrücke in eine Welt, die er sonst nicht erhalten würde. Zudem pflegen wir beide unsere Offenheit und die Möglichkeit uns unbeschwert auszutauschen, auch wenn es teilweise viel Überwindung kostet. Wie sagte Josh es mal so schön: „In erster Linie bist du ein guter Freund, in zweiter auch mein Vater.“ Und fest steht, egal wie er sich weiter entwickeln sollte, ich steh zu ihm und hab ihn lieb. Dass ist schließlich das Mindeste was ich für ihn tun kann. Und wer weiß wie sich alles weiter entwickelt, vielleicht gibt es irgendwann eine Fortsetzung dieser Geschichte. Ich bin gespannt.

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