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Wenn ich dich gefunden habe, werde ich mit dir gehen

Teil 1 - Ziellos

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Ich schließe die Augen und kralle meine Finger ins Sofa, als seine Lippen mich in sich aufnehmen. Ich presse meinen Unterleib gegen seinen Kopf, er antwortet mit einem Keuchen. Ich merke, dass er jetzt auch an sich selbst Hand anlegt. Dies beschleunigt die Sache natürlich, denke ich, und grinse leicht. Seine Technik ist etwas eingerostet, seine Zähne könnten etwas mehr Zurückhaltung vertragen und so öffne ich die Augen und lasse meinen Blick abwesend durchs Zimmer schweifen. An der Wand steht ein Regal mit Hunderten von DVD’s. Ob er die wohl alle gesehen hat? Ich sollte ihn mal fragen... andererseits – wen interessiert das eigentlich? Ich liege also grade hier, inmitten eines unbedeutenden Blow-Jobs und mache mir Gedanken über Gefühle. Gefühle haben mit der Art Sex, die ich hier praktiziere, nichts gemein. Es geht um Lust, nicht um Gefühle. Oder ist Lust ein Gefühl? Ich sollte mehr lesen. Ob er mich mal ins Kino einladen würde? Würde er, ich wüsste nur nicht, ob ich mitgehen würde. Wie hieß er noch gleich? Ich muss gestehen, dass ich es gar nicht weiß. Mit den Namen ist das schwierig bei mir. Man lernt sich kennen, meistens ist für die Person gegenüber noch gar kein wirkliches Interesse vorhanden und man ist so voller Gedanken an den anderen, dass man über eine Oberflächlichkeit wie den Namen schon einmal hinwegsieht. Bahnt sich dann – von anderer Seite – echtes Interesse an, kann man auch nicht mehr fragen ohne den anderen zu verletzen. Wobei mich der Name dieses Mannes eigentlich gar nicht interessiert. Er bearbeitet meinen Schwanz, als wäre der eine Delikatesse, die es bis zum letzten Tropfen zu genießen gilt. Ich bin mir sicher, dass er lange nicht mehr gefickt wurde. So etwas spürt man einfach. Manche Männer sind wahre Gentlemen. Sie laden dich zum Essen ein oder machen dir Geschenke. Die haben Sex. Dann gibt es die, die einfach nur nett sind, dich vielleicht auf ein Eis einladen. Die Sorte, die schon zwei verdammt lange Beziehungen hinter sich hat und jetzt seit fünf Jahrhunderten Single ist. Diese Männer glauben an Gefühle und sind aufrichtig, das macht sie sympathisch. Aber auch langweilig. Am schlimmsten sind die, die seit Jahren keinen Sex mehr hatten. Mit denen kann man nicht einmal reden, meistens sind es irgendwelche Freaks oder Bären mit Artikulationsproblemen. Mit dem Mann, der grade versucht, mich zu verschlucken, konnte ich reden, auch wenn ich nicht weiß, wie er heißt. Er ist Anwalt, hat sogar eine Freundin. Die ist gerade bei Ihren Eltern, sagte er mir. Als ob er sich rechtfertigen müsste. Jeder ist sich selbst der Nächste, mein Interesse begrenzt. Im Fernseher läuft ein Porno. Hetero natürlich. Ich schließe erneut die Augen und dämmere langsam weg. Die monotonen Bewegungen meines Freiers und die blendende Sonne tun ihr Übriges – meine Gedanken suchen sich ihren langen Weg zurück zu den DVD’s. Ob er Shortbus kennt? Ganz alternativer Film, würde ihm gefallen. Es geht um Befriedigung, Orgasmen und Liebe. Eigentlich wahnsinnig universelle Beschreibung – genau genommen sind diese drei Dinge doch irgendwie der Ursprung, der Mittelpunkt und das Ende von allem: Liebe, Befriedigung und Orgasmen. Ist man streng, belässt man es beim Orgasmus – es läuft aufs selbe hinaus.


Einige Ewigkeiten später stehe ich vor der Tür, murmele ein „Mir auch“ und stecke den Schein in meine Hosentasche. Ich drehe mich um und betrete eine andere Welt. An den Rückweg kann ich mich selten erinnern, zu stark die Gefühle. Ein Meer aus Glück, Erleichterung und Erregung durchflutet mich jedes Mal und lässt mich aufleben. Ich fühle mich selten so lebendig wie in diesen Momenten. Merkwürdigerweise tu ich es nicht des Geldes wegen – die Sache an sich reizt mich. Kann man so etwas Fetisch nennen? Ich sollte es vielleicht mal googlen, mache mir aber keine großen Hoffnungen, zu diesem Thema brauchbare Ergebnisse zu finden.

Zu Hause gehe ich immer zuerst duschen, wasche mir den Typ vom Körper. Sein Geruch hängt meistens noch an mir, wie ein blinder Passagier ist er mir gefolgt. Ich mag es nicht, danach noch an den Mann erinnert zu werden, der mich eben noch so begehrt hat, und deshalb stehe ich meist eine halbe Stunde unter der Dusche, manchmal sogar noch länger. Das Wasser tropft noch an meinen Haaren hinab, als ich mich aufs Bett fallen lasse. Ich versuche die in mich kriechende Leere zu verdrängen, schaffe es aber irgendwie nicht. Versuche zu lesen, starre aus dem Fenster, werfe mich vor den Fernseher und beschließe dann, raus zu gehen. Mein Hinterkopf erinnert mich an ein Date, das ich irgendwann für heute verabredet hatte.

In der Straßenbahn treffe ich Tobi, einen Freund. Es nervt mich, Menschen, mit denen man nicht unbedingt reden will, an einem Ort wie einer Straßenbahn zu treffen, denn hier wird einem das Gespräch quasi aufgedrängt, man kann ja nicht weg. Notgedrungen rede ich mit ihm. „Wie geht’s dir denn, hab ja schon ewig nichts mehr von dir gehört“, quasselt er direkt los. „Viel zu tun, bin irgendwie auch die ganze Zeit unterwegs. Hättest dich ja auch mal melden können“, versuche ich auszuweichen. „Alter, hab ich ja gemacht aber wer geht denn bitte nie an sein Handy? Ich ja wohl nicht...“ Er scheint empört zu sein. Ich bin allenfalls genervt. All die Menschen, die immer wollen, dass man sich meldet, ohne jemals etwas dafür zu tun als dauernd zu nerven. Manchmal möchte ich einfach nur schreien. Einfach laut schreien und diese ganze beschissene Welt um mich herum vergessen. Weit wegschieben unter die letzte Ecke meines Bettes. Wieso nerven mich manche Arschlöcher einfach ständig?

Mike, mein WG Partner, gehört zu diesen Individuen. Entweder bekifft oder depressiv – oder beides. Ich weiß nicht was ich noch bei ihm will, andererseits ist er vielleicht meine einzige Wahl. Manchmal müssen wir eben erkennen, dass es keine Alternative gibt und uns mit dem Weg abfinden, der für uns bestimmt ist. Ich hasse diese Leute, die ständig ihr Umfeld für ihre Probleme verantwortlich machen müssen. Ständig dieses Jammern – oder noch viel kreativer: Drohen. „Wenn du nicht bei mir bleibst, hab ich keinen Grund mehr, zu leben.“ Zum Kotzen. Ich will für niemanden verantwortlich sein und noch weniger Schuld am Leid von irgendwem. Ich werde mir eine neue Wohnung suchen.

„Nächste Haltestelle: Domstraße“ – die monotone Ansage in der Bahn zieht mich ins Jetzt zurück, wo mich Tobi noch immer mit großen Augen anstarrt. „Alter, wasn los mit dir? Ich mein, sonst biste ja schon irgendwie komisch – aber heute machst du mir irgendwie Angst. Ich erwarte jetzt einfach mal keine Antwort und verpiss mich – schönen Tag noch.“ Mit diesen Worten steht er auf und verlässt die Bahn. Glück für mich – ich habe meine Ruhe. In einem Anfall von Melancholie springe auch ich auf und lasse mich von der hinausströmenden Menge ins Freie saugen. Sonnenlicht überflutet mich und sticht in meine Augen. Die warme Luft legt sich sachte auf meinen Körper – ich genieße es.

Als ich vor der Kirche stehe spüre ich den kleinen Jungen, der ich vor drei Jahren war. Mein erstes Date, mein erster Freund, der erste Sex. Hier hat alles angefangen, und Monate später haben wir uns hier getrennt. Auf dem Kopfsteinpflaster unter der sengenden Sonne vor dieser alten Kirche. Vor drei Jahren.

Ich beschließe, die Erinnerungen in eine der hinteren, ungenutzten Ecken meines Gehirns zu verdrängen und drehe mich um. Bis zum Kaufhaus ist es noch eine gute Strecke und ich bin schon zu spät dran. Egal – er wird warten. Das tun sie immer.

So auch diesmal – aber – irgendwas ist anders. Er sieht gut aus! Markantes Gesicht, braune Haare, die in der Sonne glänzen und etwas länger sind. Leicht mopsig – aber süß. Schlagartig bin ich verliebt. Diese Aussage hat in Bezug auf mein Seelenleben keine wirkliche Kraft, denn seit Jamie, dem Date vor drei Jahren, hat es kein Typ geschafft, sich mein Herz für mehr als maximal eine Nacht für sich zu gewinnen. Verliebt sein ist für mich wie durstig sein – auf der Suche sein nach Nähe und Bestätigung – mehr nicht.

Wir umarmen uns. „Und du bist jetzt also der Leo, ja?“ Ein bisschen schlagfertiger hätte das jetzt kommen können, aber okay – er ist höchstwahrscheinlich aufgeregt – und er ist süß, da darf er Fehler machen. „Meine Eltern wollten es so, leider. Und du warst...?“ Scheiße, Name vergessen. Ich hätte besser aufpassen sollen. „Holger.“ Autsch, das tut weh. Aber egal, ein Name sagt gar nichts. „Dachte ja schon, du kommst nicht mehr...“ Eine Zicke. Na Prima, auch das noch. „Sorry, hab mich da heute echt in der Zeit vertan. Darf ichs mit nem Eis wieder gut machen?“ Ooops, was war das denn grade? Seit wann lade ich ein? Normalerweise lasse ich einladen. Nun ja, der heutige Tag ist eh komisch.

Die nächsten Stunden verlaufen recht ereignislos – ich erfahre, dass er leidenschaftlich gerne schwimmt, wöchentlich ins Kino geht und Hanna, Beatrice, Katharina und Mareike seine besten Freundinnen sind. Nun ja – ich kommentiere das besser nicht. Viel interessanter jedoch ist die Tatsache, dass er mich nach drei Stunden einfach abserviert! Kurzes Bussi, kurzes „Ich ruf dich an“, kurzes tief-in-die-Augen-schauen und weg ist er. Dieser Typ überrascht mich und verschafft mir zugleich das erste Date, das nicht in irgendeinem Bett endet.

Die Angst, nicht zu genügen. Das Gefühl, einfach nicht auszureichen. Ständig ist es ein Teil von mir. Drückt gegen meine Brust wie eine kalte, trockene Hand, die einfach nicht nachgeben möchte. So sehr ich auch versuche, dieses Gefühl endlich zu überwältigen, ich schaffe es nicht. Es ist zu stark, zu allgegenwärtig. Und so fand ich mich irgendwann damit ab. Glücklich zu sein, das ist eben etwas für die anderen, mir musste ein bescheidenerer Lebensstil reichen.

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