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Let there be Rock

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»Wir haben gehalten…«

Der VW-Bus kam nach wenigen Metern zum Stehen und Dirk zog den Zündschlüssel. Nachdem das Geräusch des Motors verklungen war, breitete sich eine unglaubliche Ruhe über der Szene aus, ließ alles im Stillstand erscheinen und füllte die Herzen der drei Jungs. Nichts schien sich mehr zu regen.

Jan, der sich eben eine Zigarette hatte anstecken wollen, hielt mitten in der Bewegung inne und schaute nun durch eines der Fenster in den Abendhimmel, über den tiefrote, purpurne, orange und goldene Streifen dahinzogen. Wie ein gewaltiger Feuerball versank die Sonne am Horizont, bereit, am nächsten Morgen wiederzukommen und die Welt mit ihrem Angesicht zu erfreuen.

»Wahnsinn!«, entkam es Arne womit er das Schweigen unterbrach. »Ja, unglaublich!«, stimmte Jan zu, der inzwischen aus seiner Trance erwacht war und nun sein Feuerzeug betätigte. »Hey!« Dirk hatte ihn durch den Innenrückspiegel beobachtet. »Hier drinnen wird nicht geraucht! Der Wagen ist nur geliehen, das weißt du doch.« »Spießer!«, erwiderte Jan und stieg aus dem Auto. Dirk und Arne folgten ihm grinsend.

Sie setzten sich zu dritt ins grüne Gras und genossen gemeinsam die letzten hellen Stunden des Tages. Eine Schachtel Marlboro machte gelegentlich die Runde, ebenso wie Jans orange Feuerzeug, mit dem der Tabak entflammt und die Beck's Flaschen, die ihren Weg aus den Kästen in die Hände der Jungs fanden, geöffnet wurden.

Ein leichter Wind verwehte den Rauch in die Luft und ließ die Asche zwischen den Grashalmen verschwinden.

Im Schoß der zahlreichen Hügel, die die Landschaft prägten in der sie gehalten hatten, fühlten sich die Freunde, als wären sie die einzigen Menschen auf der Welt. Hier, an diesem einsamen Ort gab es keine Kriege, keine Gewalt, keine Machtkämpfe. Es existierte nichts Böses und Grausames – außer vielleicht einer leichten Übelkeit, die nach einer gewissen Menge Alkohol aufkommen würde – nur ihre Verbundenheit war zu spüren. Ein warmes Gefühl der Vertrautheit und des Verständnisses, das gemeinsame Wissen vergangener Ereignisse, zukünftiger Pläne und gegenwärtigen Seins – ein wunderbares Glück, das sich Freundschaft nannte und welches sie seit Jahren pflegten, schloss sie in seine Arme und trug sie geradewegs in die Dunkelheit der Nacht.

Arne hatte inzwischen aus trockenen Ästen und Zeitungspapier ein Lagerfeuer geschaffen, das zu ihren Füßen fröhlich loderte und knisterte. Jan ließ sich gähnend nach hinten gegen einen Bierkasten sinken, richtete sich jedoch gleich wieder auf und rieb sich seinen Nacken. Dirk grinste. »Wohl nicht sehr bequem, was?« »Du sollst jetzt sowieso nicht schlafen.«, mahnte Arne und stand auf. »Was haltet ihr von der Bühne?« Er deutete auf einen nahe gelegenen Hügel. »Ist doch perfekt, oder?« Die anderen beiden nickten. »Na dann wollen wir mal. Das Konzert fängt gleich an.«, lächelte Dirk und zog Jan auf die Füße. Sie holten die Gitarre und den Bass aus dem Bus und halfen Arne dann, sein Schlagzeug aus dem Kofferraum zu schaffen. Alles wurde mit vereinten Kräften auf die Bühne getragen, die gesamten Instrumente, die Verstärker und das Mikrophon. Da keiner der drei Jungs von ernster Natur war, dauerte das Aufbauen länger als geplant. Dirk und Jan lieferten sich mit Gitarre und Bass einen Leuchtschwertkampf á la »Star Wars« und gingen wenig später auf Arne los, der mit seinen Sticks eingreifen wollte und jetzt Schutz suchend sich hinter seine Drums verzog.

»Komm raus, du Feigling!«, lachte Jan und schwang kampfeslustig sein Schwert. »Nee, nee. Ich bleib hier!«, entgegnete Arne und duckte sich noch ein bisschen tiefer. »Zwei gegen einen ist unfair!«, versuchte er zu argumentieren, doch Dirk und Jan ließen das nicht durchgehen. Mit

Siegesgeheul stürmten sie auf das Schlagzeug zu und Arne hatte gerade noch Zeit die weiße Fahne zu schwenken, bevor Dirk ihm sein Laserschwert in den Bauch gestoßen hätte. »Schluss! Aus! Ich ergebe mich!«, schrie Arne und wedelte wie wild mit einem seiner Sticks, an den er ein Taschentuch gebunden hatte, herum. »Friede!«, keuchte er, vom Lachen kaum noch Luft bekommend.

Auch seine Kumpels brauchten anscheinend eine Pause, denn sie gaben ihm feierlich die Hand und halfen ihm hoch. »Ok, Friede.«, sagte Jan. »Aber wir hätten gewonnen.«, fügte er grinsend hinzu. »Logisch. Ihr wart mir ja auch zahlenmäßig überlegen. Schon mal was von ‚Fairness' gehört?« »Nö.«, lachte Dirk und begann, seine Gitarre und das Mikrophon anzuschließen. Jan und Arne taten es ihm gleich und wenig später war alles fertig aufgebaut. Die Instrumente glänzten im Licht der Scheinwerfer und Dirks Augen leuchteten geheimnisvoll als er sich ans Mikro stellte, sich räusperte und »Test, Test. Eins, zwo, eins, zwo« hineinsprach. »Funktioniert.«, meinte er und streckte seinen Bandmitgliedern den Daumen entgegen. Seine Gitarre war gestimmt, der Bass von Jan glühte praktisch schon vor Erregung und Arnes Sticks zitterten in seinen Händen. »Showtime!«, dachte dieser und zählte den Takt an.

Fünf Sekunden später ertönte laute Musik über ihren Köpfen, schwebte von ihnen weg und breitete sich über die weite Masse vor der Bühne aus. Dirk holte tief Luft und begann, während er seine Finger über die Saiten seiner Gitarre gleiten ließ, ins Mikro zu singen:

»Wir haben gehalten

In der langweiligsten Landschaft der Welt

Wir haben uns unterhalten

Und festgestellt

Dass es uns hier gefällt…«

Seine Stimme erhob sich wie ein großer, anmutiger Vogel in den Himmel, begleitet von den Klängen der Instrumente und dem Jubel der Fans, den die Jungs in den Ohren hatten. Dass sie in Wirklichkeit vor einer endlosen Aneinanderreihung von Hügeln und Tälern spielten, war ihnen egal. Keine Menschenseele außer ihnen war zu sehen. Keiner beobachtete sie, niemand schaute zu wie Dirk, einen Tennisschläger in der Hand, in einen Besenstiel sang, der zwischen zwei Beck's Kästen eingeklemmt war oder wie Jan, ebenfalls mit einem Tennisschläger bewaffnet, wie wild auf dem Hügel rumhüpfte. Nicht eine einzige Person nahm Notiz davon, dass Arne mit zwei Kochlöffeln auf umgedrehte Eimer, leere Bierfässer und Kochtöpfe einhämmerte und keinen interessierte es, dass die Verstärker in Wirklichkeit Bananenkartons waren. Es war ja auch niemand da, wer sollte ihnen also zuschauen? Nur die Gräser wiegten sich sanft im Takt zu Dirks Gesang und die Sterne belächelten von oben die lebensfrohe Szene unten auf der Erde.

Irgendwann würden sie auf einer richtigen Bühne vor richtigen Fans spielen, da waren sich die drei Freunde sicher, aber bis dahin hieß es eben vor der langweiligsten Landschaft der Welt: »Let there be Rock!«

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