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Drachenring

Teil 1

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Inhaltsverzeichnis

1. Montag

Eigentlich fing es wie an jedem anderen Tag an. Ich meine, morgens früh aufstehen, wie ich mich halt immer mit so viel Elan aus dem Bett schwang, um unbedingt keine einzige Französischstunde zu verpassen, wobei mir Französisch sowieso schon sonst wo raushing. Aber in der Schule war es diesmal irgendwie anders. Cathy, meine heimliche Liebe, kam zu mir und fragte mich mal wieder nach den Mathehausaufgaben. Als ob ich die gemacht hätte! Habe ja auch nichts Besseres zu tun. Eigentlich war sie ne arme Sau, sie konnte ja auch nichts für ihre Fehler in Mathe, irgendwie konnte sie das alles überhaupt nicht. Aber obwohl ich als der Streber galt, weil ich einfach nichts mit diesen Vollidioten von Jungs zu tun haben wollte, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatten, als ihre nächste Party zu planen und das nächst beste Weib anzubaggern, war ich in Mathe nun auch wieder nicht die Leuchte. Irgendwie gingen mir diese völlig unsozialen Jungs auf die Nerven. Ich glaube, die haben außer ein, zwei Sachen keine Hobbys und müssen ihre aufgestauten Energien, die sich wegen ihren unsozialen Eltern und Geschwistern (falls sie welche hatten) aufstauten, nun an anderen Menschen (wie an mir) auslassen. Klarer Fall dass ich da geeignet war, so wie ich aussehe: Ich entspreche halt nicht dem passenden Äußeren: Längere blonde Haare, ungefähr bis zu den Schultern, blaue Augen mit grüner Jacke und schwarzer oder weißer Cordhose; Buttons von Totenköpfen und Vans.

„Hallo Cillian, bist du noch da?“ fragte mich Cathy.

„Oh, äh ja... nein... klar...“

„Mathe???“

„Ach so, nein selber nicht. Tut mir Leid“, stammelte ich aus meinen Gedanken gerissen.

„Ok, ich mach mal meine morgendliche Runde. Mal schauen, wer sie hat.“

Ich zwinkerte ihr kurz zu und konzentrierte mich auf das, was ich grade gedacht hatte. Irgendwas mit unsozialen Menschen, aber da kam unsere Lehrerin auch schon rein. Tja, jetzt stand Bio an – und auch noch gleich ne Doppelstunde.

Als ich in der großen Pause auf einer Bank saß, tippte mich jemand von hinten an. Überrascht drehte ich mich um und wollte schon anfangen, Cathy zu begrüßen, weil sie wahrscheinlich Bio nicht verstanden hatte. Wir hatten irgendeinen Modellbau von einem DNA-Molekül durchgenommen. Aber sie war’s dann doch nicht. Überrascht schaute ich auf einen Jungen, ziemlich mager und schüchtern, ich würde ihn auf 15 bis 16 schätzen, also ein Jahr jünger als ich. Er hatte so blonde Haare, dass sie schon fast wieder weiß wirkten, ein eher kantiges Gesicht mit krassen Konturen, wie die eines Falken. Er sah echt super hübsch aus, schon beneidete ich ihn.

„Hi.“

„Ähm, hi. Setz’ dich.“

Er setzte sich neben mich.

„Was ist dein Anliegen?“ fragte ich. Man muss ja nicht gleich höflich wirken.

„Och, nichts. Ich wollt nur Konversation führen.“ Na toll, wo ich doch grade mein Pausenbrot essen wollte. Wahrscheinlich so ne Intelligenz-Bestie, die Geld haben wollte. Ich blieb besser auf der Hut, vielleicht war er einer dieser Drogendealer. Die Kleinen fangen ja in der 7. Klasse schon an, dieses Zeug zu schlucken und damit zu dealen. Na gut, wollen wir mal schauen.

„Ok, fang an.“

„Was für Musik hörst du?“

„Alles mögliche, am ehesten Rock.“

„Kennst du Tocotronic?“ fragte er.

„Schon mal was von gehört. Findest du die gut?“ Wer solche Musik hört, dealt normalerweise nicht. Ich begann etwas freundlicher zu werden.

„Ich liebe diese Band. Es gibt da so ein Lied. Es heißt ’Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit’ und es geht darum, dass man Leute auf der Straße ansprechen soll und sie einladen soll. Vielleicht haben sie ein Problem und wollen darüber sprechen.“

„Verstehe. Ich gehe davon aus, dass du ein Problem hast?“ fragte ich.

„Wie kommst du darauf?“

„Ach nur so. Das ist bei vielen so, ich kann mich halt gut in Menschen hineinversetzen.“ Das stimmte wirklich!

„Ja also na ja... es stimmt schon, ich hab ein Problem.“

Es klingelte. Die Pause war vorbei.

„Ruf mich an Kleiner, hier ist meine Nummer und komm einfach irgendwann vorbei, ich bin immer da. Ich wohne in der Dorothea-Erxleben-Straße 34. Bye, bye“, sagte ich etwas gequält. Bin ich die Seelsorge oder wie? Er stand auf und ging ohne ein Wort.

Und tatsächlich: Schon am selben Nachmittag um drei Uhr stand er bei mir zuhause auf der Matte. Er hatte sich komischerweise die Augen geschminkt – schwarz. Stand ihm recht gut, ich fragte ihn auch gleich, warum er das nicht in der Schule machte.

„Ach, die anderen würden mich doch eh nur noch mehr wegstoßen“, antwortete er traurig.

„Daher weht der Wind. Du willst befreundet sein und hast dir ausgerechnet mich ausgepickt?“

„Du kannst dich echt in Menschen hineinversetzen. Ich hab dich oft beobachtet. Du stehst allein herum und liest ein Buch. Du hast ebenso wenig Freunde wie ich“, sagte er.

Ich war überrascht, dass er das erwähnte. Normalerweise sprach mich keiner darauf an. Normalerweise sprach mich niemand ohne einen bestimmten Grund an, der entweder etwas mit Hausaufgaben oder mit Schule zu tun hatte. Mir sollte es recht sein. Egal.

„Wie heißt du überhaupt? Und wie alt bist du? Ich finde, das solltest du mir sagen.“

„Ich heiße...“ Bevor er den Namen ausreden konnte, hatte ich schon versucht, ihn zu erraten. Ich tippte darauf, dass er Jannik hieß.

„Chris...und bin...“, versuchte er fortzufahren. Na ja okay, ich konnte mich auch mal in meiner Menschenkenntnis irren.

„16 Jahre alt. Und du?“

„Ich bin Cillian und bin 17 Jahre alt. Willkommen in meinem Zimmer.“

Irgendwie war er niedlich, ziemlich schüchtern, aber stille Wasser sind tief. Das wusste ich nur zu gut.

2. Dienstag

Am nächsten Tag ging mir Chris ziemlich aus’m Weg. Anscheinend war es ihm etwas peinlich, er wusste selber nicht, was ihn dazu gebracht hatte, mich einfach anzusprechen. Der Tag gestern war eigentlich ganz lustig, wir hatten uns über so ziemlich alles unterhalten und viel gelacht, bis er dann gegen 21:00 Uhr gehen musste. Ich hatte schließlich auch noch was zu tun, aber er wurde mit der Zeit immer lockerer und lachte immer mehr. Ansonsten war der Tag normal verlaufen, bald würden Ferien sein. Endlich. Schon viel zu lange hatte ich gewartet, aber es dauerte so lange. Zum Glück waren nächste Woche Ferien. Ich zählte ja auch schon die Tage, heute war Dienstag. Trotzdem nervte es mich irgendwie an, dass er so oft zu mir schaute, als er wie ein begossener Pudel einfach auf dem Schulhof stand und nichts zu tun hatte. Er schaute mich immer wieder an, seine Augen verschlungen mich schon fast. Klar, dass ich angekotzt war, beim Lesen brauche ich zumindest Ruhe. Ich ging also zu ihm und begrüßte ihn.

„Hey.“

„Hi.“

„Na wie geht’s? Mir ganz gut. Du warst doch gestern auch nicht so schüchtern, oder? Ich meine, heute schaust du mich die ganze Zeit an und denkst, ich merk’s nicht!“

„Es...es tut mir leid.“ Beschämt schaute er zu Boden. Mein Gott, hat der Angst vor mir oder was?

Auf einmal kamen zwei Halbstarke Prolls an, nicht älter als er, wahrscheinlich ein bisschen jünger, und schlugen ihm auf die Schulter. Er krümmte etwas zusammen, weil er erschrocken war, aber es tat ihm zum Glück nicht weh. Dann schaute er zu Boden.

„Na, Kleiner? Schon wieder ’nen neuen?“ Sie gingen lachend weg und ich stand total Baff daneben, peinlich berührt, nicht eingegriffen zu haben. Fast fing er an zu weinen. Man sah ihm, an wie sehr er die Tränen zurückhielt.

„Was war das denn jetzt? Soll ich mir die mal vornehmen?“

„Ach nein, lass mal. Die machen das ständig. Wenn man einfach nichts tut, dann lassen sie mich in Ruhe“, sagte er wütend.

„Und was wollten die von dir?“

„HAST DU’S NICHT GEHÖRT?“ schrie er mich auf einmal an und rannte Richtung Toilette weg. Zuerst wollte ich ihm nachlaufen, aber dann lies ich es doch sein. Ich kannte so eine Situation von mir auch nur zu gut, wenn man mich mit was auch immer beleidigte. Ich wollte dann auch alleine sein. Außerdem klingelte die Glocke, ich musste rein, ich hatte nämlich noch einen Mathetest vor mir.

Unsere Mathestunde ging relativ schnell um. Unser Lehrer, Herr Schöll, gab uns einen Test und sagte dann, schlecht drauf wie immer, „Keine Fragen“, in seinem ach-so-perfekten Hochdeutsch, von dem er immer schwärmte. Und Würmer. Jede Stunde verglich er die Zahlen mit Würmern. Natürlich war der Test in die Hose gegangen, aber das störte mich nicht. Ich konnte nur noch an Chris denken. Was hatten diese Halbstarken noch mal gesagt? Ist ja auch egal, jetzt hatte ich Musik und dann war die Schule aus. Ich wartete also auf den erlösenden Dong, hatte 10 Minuten davor meine Sachen aber schon gepackt, denn ich wollte Chris unbedingt abfangen. Er hatte mir erzählt, wo er wohnte, daher ging ich davon aus, dass er am Haupteingang herausgehen würde, weil der einfach näher an seiner Straße war. Das brachte Ärger, denn ich musste meine Sachen auspacken, worauf ich sie gleich wieder einpackte. Unser angepisster Musik-Lehrer musste dann auch noch sagen:

„Cillian, kannst du bitte nach der Stunde hier bleiben?“

Als ob ich eine Wahl hätte. Trotzdem versuchte ich’s.

„Ich muss mich aber beeilen, Herr Wagner.“

„Was ist denn so wichtig?“

Schnell suchte ich nach einer Antwort. Schweiß perlte mir auf der Stirn.

„Ähm... Ich... also.“ Doch weiter kam ich nicht.

„Sie bleiben bitte hier nach der Stunde.“

Hat mir grade noch gefehlt. Natürlich das übliche Gelaber wie „Ich bin enttäuscht von ihnen“ und „Strengen sie sich mehr an!“ Das Ganze dauerte eine geschlagene Viertelstunde. Ich ging resigniert aus dem Haupteingang heraus und hatte keine Hoffnung mehr, dass er dort noch zufällig stünde. Doch tatsächlich, dort an der Bushaltestelle: Ich tippte ihm auf die Schulter, weil er mit dem Rücken zu mir stand. Schon fing ich an zu reden, als er sich noch umdrehte.

„Hey was war heute eigentlich...“

Scheiße! Ich hasse es, die Leute zu verwechseln. Es gibt nichts Peinlicheres.

„Wie bitte?“ Vor mir stand kein Chris.

„Entschuldige, hab dich verwechselt“, murmelte ich und ging weiter.

Als ich grade meinen Schlüssel in die Tür stecken wollte, wurden mir schwarz vor Augen und ich spürte die Nähe von Händen. Irgendjemand machte sich einen Scherz und hielt seine Hände vor meine Augen.

„Na?“

„Hi Chris.“ Puh, ich war froh, dass er von selber auf mich zuging. Ich nahm seine Hände vorsichtig in meine und drehte mich um. Dass ich dabei seine Hände immer noch hielt, fiel mir gar nicht auf.

„Pass auf, das mit heute Mittag. Ich meine du weißt schon...“

„Ist schon gut. Ich werd keine Fragen stellen. Ich kenn das ja“, zwinkerte ich ihm zu. Ihm fiel sichtlich ein Stein von Herzen. Er küsste mich schnell auf die Wange und merkte erst dann, was passiert war. Sofort lief er weg. Ich stand resigniert und noch sehr lange einfach so da und schaute ihm nach.

3. Mittwoch

Chris war nicht in der Schule. Ich musste trotzdem die ganze Zeit an ihn denken. Was hatte das gestern zu bedeuten? Ok, ich bin nicht grade der Typ, der mit Freunden total zärtlich umgeht und sie auch auf die Wange küsst, aber wenn es manche aus Freundschaft machen, meinetwegen! Komisch war nur, dass er dann weglief. Wahrscheinlich war das alles ein bisschen zu viel für ihn. Ich ging dann am Nachmittag zu ihm und klingelte an der Tür.

Eine nette junge Frau machte mir die Tür auf.

„Hallo. Ich bin Chris’ Freund und bin hier, um ihm die Hausaufgaben zu geben.“

„Chris erwähnte so etwas, aber er hat mir nicht erzählt, dass er von dir Hausaufgaben wollte. Sag mal, bist du neu in Chris’ Klasse? Ich bin übrigens Alex, komm doch rein. Chris ist oben in seinem Zimmer. Gleich rechts und dann grade aus.“

Ich war froh, dass sie die Frage mit der Klasse vergaß, denn eigentlich wollte ich nicht lügen. Nur wie sollte ich sonst reinkommen? Mit nem Käsehäppchentablett und sagen: ‚Zimmerservice, ihr Bruder hat mich geküsst?’

„Dankeschön.“

„Ach, und sag Chris nicht das ich dich reingelassen habe, er will nicht mit dir sprechen.“

„Sie haben was gut bei mir.“

„Sag Du zu mir. So alt bin ich nicht.“

„Danke, Alex.“

Ich klopfte an dem Zimmer mit der grellorange Tür. Jemand rief „herein“ und ich öffnete langsam die Tür. Schlagartig änderte sich seine Stimme, wurde brüchig, und er fing an, ganz sachte und leicht zu zittern. Trotzdem wollte er versuchen, kalt zu bleiben, was ihm nicht gelang.

„Was willst du?“

„Mit dir reden“, sagte ich.

„Da gibt’s nichts zu reden.“

„Doch und das weißt du wahrscheinlich besser als ich.“ Ich setzte mich neben ihn aufs Bett und schaute mich erstmal richtig um. An den Zimmerwänden, die grasgrün gestrichen waren, waren Drachen aufgemalt. Es sah wunderschön aus, insgesamt waren es drei an jeweils einer Wand, riesig und schön, fast perfekt. Ein einfaches, etwas breites Bett stand an einer Wand. Erst jetzt fiel mir auf, dass auf der Decke ein Engel war. Einer dieser Sorte mit Schwert und Schild in der Hand, grade zum Kämpfen bereit, in knackiger Rüstung. Es war das schönste Bild, das ich je gesehen hatte. Sonst standen ein Schreibtisch unter einem Fenster und ein paar Schränke im Zimmer. Mehr gab es eigentlich nicht zu sehen. Ziemlich spärlich, aber die Zeichnungen machten es grade deswegen so schön. Ihm fiel auf, dass ich sehr erstaunt war.

„Hab ich gemalt.“

„Das ist... wunderschön“

„Dankeschön.“

Ich vergaß schon fast, was ich mit ihm bereden wollte. Doch dann fiel es mir wieder ein.

„Also was ich sagen wollte...“

„Ich weiß schon. Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben. Es passiert mir mit vielen. Auf einmal überkommt mich Glück und schon ist’s zu spät. Tja, ich werde halt nach neuen Freunden suchen.“

„Also erstmal bin ich richtig beleidigt.“

„Ach?“ Plötzlich wurde er wirklich kalt. Doch das war nur seine Maske nach außen, um zu verstecken, was in ihm vorging.

„Ich bin beleidigt, weil ich anscheinend einfach so mit irgendwelchen anderen Hirnis als Freund zu ersetzen bin. Und zweitens, deine früheren Freunde müssen ja toll gewesen sein, wenn sie direkt bei so etwas ausflippen.“

Er schaute mich mit großen Augen an. Süß, dieser Dackelblick. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also fing er einfach an zu weinen. Die Tränen rannen ihm einfach so, ohne einen Laut runter. Ich nahm ihn in den Arm. Der muss ja schlimme Freunde gehabt haben, wenn er deswegen weinte!

„Dankeschön“, flüsterte er zittrig. Ich genoss es einfach, seine Wärme zu spüren. Ich hatte einen Freund. Und jetzt musste ich auch weinen. Endlich jemand, dem ich alles anvertrauen konnte.

„Ich möchte, dass wir Freunde bleiben.“

„Ja, ich auch“, antwortete er, „Weißt du was?“

„Nein, wie auch?“ lachte ich.

Er beugte sich über mich zum Nachttisch und wühlte in irgendeiner Schublade herum. Irgendwie war das Gefühl, das er so fast auf mir lag, schön und auch gleichzeitig beklemmend. Dann zog er eine gebundene Mappe heraus und reichte sie mir. Als ich sie aufschlug, war ich begeistert. Er merkte es und seine Augen funkelten.

„Du bist der Erste, dem ich sie zeige.“

Ich war geehrt. In der Mappe waren so schöne Bilder. Ganze Schlachten von Kreaturen, Riesenechsen, Orks, Menschen, Drachen, Engel. Es sah atemberaubend aus. Auch die kleinste Person in der hintersten Ecke der Schlacht war mit so viel Liebe zum Detail gemalt, dass ich fast bezaubert umkippte. Und das schon beim ersten Bild. Genauso gut war das zweite Bild: Ein riesiges Schloss aus Diamanten, alles in schwarz-weiß, aber man konnte das Glitzern trotzdem so gut sehen, als wäre es echt.

„Das ist... wunderschön“, sagte ich wie schon bei den Wandbildern. Erst jetzt fragte ich mich, wie er diesen Engel an die Decke malen konnte! Musste schon so schwer genug sein, aber dann so perfekt!

„Du solltest mal einige von diesen Bildern an Firmen schicken, die etwas mit Magie und so zu tun haben. Du kämst ganz groß aufs Titelblatt!“

„Dankeschön.“ Er lief etwas rot an, weil er so was nicht gewohnt war.

„Du kannst sie behalten. Ich hab mehrere davon. Mein einziges Hobby.“

Ich war richtig baff. Ich durfte sie behalten!

„Das kann ich nicht annehmen!“

„Dann zwinge ich dich“, lachte er laut auf. Auf einmal fiel er über mich her und kitzelte mich durch. Dann lachten wir so stark, dass wir uns sogar über eine Zahnbürste totgelacht hätten. Nach einer Viertelstunde krümmten wir uns auf dem Boden und schauten uns gegenseitig an. Hätten wir dann nicht sofort wieder losgeprustet und uns wieder kaputtgelacht, hätte ich gesagt, der Moment hatte etwas Romantisches an sich. Irgendwie mochte ich Chris immer mehr. Mit jeder Sekunde wuchs er mir mehr ans Herz.

„Ok, jetzt ist aber...hihi... mal gut... Puh, das war anstrengend.“

„Lachen macht Bauchmuskeln...“, kicherte ich ein wenig.

„Na super, dann solltest du jeden Tag kommen“, sagte er, zog sein T-Shirt hoch und zeigte seinen Bauch. Ein leichtes (leichtes!!!) Six-Pack hatte er ja schon. Und einen wunderschönen, braun gebrannten Bauch. Mir fielen fast die Augen aus. Ich hatte natürlich mal in der Umkleide bei den anderen Jungen gespickt und sie hatten einen viel größeren Six-Pack und auch braunere Haut, aber sein Bauch wirkte so schön und zierlich. Er merkte, dass ich mir die Augen ausguckte, und zog sein T-Shirt wieder herunter.

„Oh... Ähm... na ja also“, begann ich zu stammeln, doch er schüttelte den Kopf und sagte nur:

„Ach egal. Wir sind quitt.“ Dabei zwinkerte er mir zu. Ich lächelte ein bisschen gequält.

„Komm ist doch egal. Und wenn schon, dann findest du’s halt schön oder wer weiß was immer.“ Er lächelte, was mich auch zum Lächeln brachte. Um schnell das Thema zu wechseln, kam ich wieder auf seine Mappe zurück. Noch einmal schaute ich mir sie an, und er bemerkte wieder das Glitzern in meinen Augen.

„Hör mal, ich kann das echt nicht annehmen.“

„Labere nicht so nen Scheiß. Ich hab sie dir nun mal geschenkt, und geschenkt ist...“

„...geschenkt. Ich weiß“, beendete ich den Satz. Ich war echt froh, dass er mir sie schenkte, denn ohne sie konnte ich glaube ich gar nicht mehr.

„Ist echt süß von dir, Dankeschön.“ Hatte ich grade ‚süß’ gesagt?

Plötzliche stürmte Alex ins Zimmer, genau als es romantisch wurde.

„Komm schnell Chris, unser Onkel ist da!“

„Sofort. Und das nächste Mal klopf an!“

Sie guckte erst verstört, doch dann lächelte sie, als ob sie irgendwas ahnen würde. Zum Glück ging sie wieder raus.

„Was hat sie denn so komisch geguckt?“

„Ach keine Ahnung. Das macht sie eben manchmal.“ Dabei lächelte er ein wenig.

„Wieso seid ihr so gespannt auf euren Onkel?“ Bei uns kam mein Onkel ganz oft.

„Er wohnt in Afrika und kommt deswegen sehr wenig zu uns. Aber immer, wenn er kommt, macht er sich den Spaß und kommt völlig überraschend und unerwartet.“

„Ist ja lustig. Was macht er denn so in Afrika?“

„Sein größter Wunsch war immer, ein Arzt ohne Grenzen zu sein. Den hat er sich erfüllt.“

„Wow, ein richtiges Vorbild für seinen kleinen Neffen“, lachte ich.

„Ich zeig dir mal, was klein ist“, sagte er mit gespielter Wut und stürzte sich mit dem Kissen auf mich.

„Ich hab kein Kissen!“ fing ich an. Aber schon war das Kissen in meinem Gesicht. Wie unfair! Ich griff mir schnell ein kleineres Kissen vom Bett und schmiss es nach ihm wie einen Bumerang. Er wich ihm spielerisch aus und schlug noch mal zu, dass ich stolperte und lachend auf den Boden fiel. Er stürzte sich auf mich und drückte mir das Kissen aufs Gesicht.

„Na genug?“

„Ja“, kam es gedämpft von mir aus dem Kissen.

Er nahm es lachend zur Seite und kniete so immer noch über mir, als schon wieder die Tür aufging, und ein Mann herein kam, der Chris sehr ähnelte. Nur die Brille passte nicht zu ihm. Wie wir da so auf dem Boden lagen, schaute er schon ganz überrascht.

„Störe ich bei etwas?“ fragte er amüsiert. Chris erschrak, nachdem er begriffen hatte. Er ging schnell mit hochrotem Kopf von mir runter und versuchte seinem Onkel – ich ging davon aus, dass er es war –, die Situation zu erklären. Ich lachte dagegen nur und stand langsam auf.

„Cillian Lert“, sagte ich und streckte meine Hand aus.

„Ich bin Christian Albert“, antwortete er. Ich war verwundert. Noch ein Christian?!

„Ja, du hast richtig gehört. Er heißt auch Christian. Meine Eltern fanden den Namen von meinem Onkel so schön“, lächelte Chris etwas verlegen. (Ich nenne ihn einfach Chris und den Onkel Christian).

„Ich hab dir was mitgebracht, Chris.“

„Ja? Was denn?“

Er zog zwei Stöße Papier von der teuersten, aber schönsten Sorte aus seinem Rucksack.

„Ich weiß ja, wie viel zu zerknüllst und wegwirfst“, sagte er.

„Wow, Dankeschön. Wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Ach du kannst sie dir, wie ich dich kenne, nicht leisten. Und nun zu dir, junger Mann.“ Er schaute mich tadelnd an. Was kommt denn jetzt?

„Eigentlich dachte ich, ich würds auch Chris schenken, aber der kriegt jetzt einfach mal was anderes.“ Er holte einen wunderschönen Ring mit einem Drachen raus. Eigentlich kann ich solche Ringe nicht ausstehen, diese komischen Gothic-Teile, aber dieser war echt schön.

„Das kann ich doch nicht annehmen, Herr Albert.“

„Ich heiße Christian, nicht Albert.“

„Christian“, wiederholte ich.

„Klar kannst du das. Und wie ich’s sehe, seid ihr nun Freunde?“

„Ja“, antwortete ich etwas verlegen.

„Dann braucht mein kleiner Neffe auch so einen Ring als Freundschaftsring.“

Er zog einen weiteren Ring, der genauso aussah wie der andere, aus seiner Tasche.

„Eigentlich wollte ich ihn mit ihm teilen, aber da ich ihn bei der Arbeit nicht tragen kann, wäre er mir nur ein Klotz am Bein.“ Er reichte Chris’ den Ring mit dem wundervollen Drachen. Der riss die Augen auf und freute sich. Man konnte sehen, wie er sich beherrschte, nicht auszuflippen, weil er Drachen doch so gerne mochte.

„Dankeschön“, sagten wir beide wie aus einem Munde.

„Dann will ich euch mal nicht länger stören“, zwinkerte er und verließ den Raum.

„Ich werde ihn so schnell nicht abnehmen“, sagte ich und steckte den Ring an meinen Daumen. Chris lächelte total süß, richtig zum Anbeißen.

„Meinst du’s ernst?“ fragte er.

„Nein, weißt du? Wieso sollte ich dich anlügen? Ich meine es todernst“, lachte ich und schmiss wieder ein Kissen nach ihm. So ging es da weiter, wo wir aufgehört hatten. Wir lachten noch bis spät in den Abend, bis ich gehen musste. Vorher fragte ich aber noch nach den Ferien.

„Ich bin nur zuhause. Hab nichts vor“, antwortete er.

„Cool, ich auch nicht. Kannst ja dann mal zum Übernachten kommen“, sagte ich und verabschiedete mich.

4. Donnerstag

In der Schule lief es ganz normal ab. In der Pause habe ich mich mit Chris getroffen, natürlich hatte er den Ring an. Wir unterhielten uns in der 1. Pause und wollten uns am Nachmittag wieder treffen. Jetzt nahmen wir es nicht mehr so genau mit Hausaufgaben, weil es schließlich schon Donnerstag war. Leider war er in der zweiten Pause nicht da, zumindest habe ich ihn nicht gefunden. Ich konnte mich aber daran erinnern, dass er in der Pause irgendwas von Arzt erzählt hatte. Irgendwas mit Impfung. Am Nachmittag, so gegen 4 Uhr, kam er dann an und setzte sich erstmal aufs Bett. Mein Zimmer kannte er ja schon.

„Oh, du hast schon einiges aufgehängt?“ fragte er und deutete auf seine Zeichnungen an der Wand. Einige waren eingerahmt.

„Einiges? Ich hab alle aufgehängt“, lächelte ich.

„Ich konnte nicht anders. Es war alles so schön“, fügte ich noch hinzu.

„Hab dir was mitgebracht“, meinte Chris mit gespielter Heimlichkeit.

„Was denn?!“ fragte ich, stand auf und ging zu ihm.

Chris zog ein Blatt Papier heraus, hielt es aber noch mit der unbemalten Seite zu mir. Dann drehte er es auf einmal um und zeigte mir ein Bild von einem Menschen. Nicht nur irgendeiner, ich war es fast originalgetreu gezeichnet. Mir klappte der Unterkiefer runter.

„Es war das erste Blatt der teuren Blätter“, flüsterte er.

„Wow!“ Das Bild war super. Chris guckte mich mit seinem Dackelblick an und presste die Lippen aufeinander.

„Na ja ich find den Strich zu schwach.“

„Find ich nicht.“

„Ich aber.“

„Willst du sagen, ich versteh nichts vom Zeichnen?“

„Genau das“, lachte er mich an. Er roch leicht nach Kokosnuss.

„Na warte!“ sagte ich und nahm mir ein Blatt von meinem Schreibtisch. Schnell zeichnete ich ein chinesisches Zeichen.

„Jetzt bin ich dran“, lachte er schon wieder. Eine richtige Lachbacke!

Er stand auf und drehte mir den Rücken zu. Dann zog er sein schwarzes T-Shirt aus. Ich dachte, ich seh’ nicht richtig! Was sollte das denn jetzt werden? Aber dann verstand ich auch schon. Vom Nacken aus die Wirbelsäule runter bis zu den Hüften reihten sich 5 Tätowierungen, alles Chinesische Zeichen. War richtig schön.

„Wer hat die gemacht?!“ fragte ich erstaunt.

„Ach so ein Tätowierer. Ich hab’s mal zum Geburtstag geschenkt bekommen. Schön, dass es dir gefällt.“

Nicht nur das gefiel mir. Bei der Gelegenheit fielen mir seine Oberarme auf. Gar nicht schlecht! Man könnte neidisch werden. Seinen Bauch kannte ich ja schon. Er zog sich sein T-Shirt wieder an, und wir unterhielten uns über sein Tattoo. Ich fands toll und er mochte es auch gerne. Dann fragte ich ihn, ob er mir nicht mit spezieller Farbe einen Gecko aufs Schulterblatt malen könnte.

„Klar“, antwortete er.

„Okay also... Hier ist die Farbe, hier mein Schulterblatt.“ Ich zog mein T-Shirt aus und legte mich auf den Bauch in mein Bett. Er kniete sich über mich und kurz danach spürte ich den nassen Pinsel auf meiner Haut.

„Du kannst so schön zeichnen, von dir würde ich mir sogar ein Arschgeweih machen lassen“, lachte ich.

„Hey, nicht so wackeln. Na gut, mach ich dir gleich. Pass auf, dein Arschgeweih wird das schönste überhaupt.“ Auch er lachte wieder.

„Du kannst sooo schön zeichnen, ich beneide dich richtig um alles“, schwärmte ich.

„Ach so toll ist mein Leben nicht. Durch dich ist’s doppelt so schön“, sagte er.

„Danke für dein Kompliment“, sagte ich. Ich spürte wieder den nassen Pinsel auf der Haut, der weiterzeichnete. Doch irgendein anderes Gefühl schlich sich ein. Ich sah zwar nicht, was es war, aber ich konnte es mir denken. Chris berührte meinen Rücken ganz sachte mit seinen Lippen.

„Was machst’n da?“ fragte ich etwas unsicher.

„Nichts, wieso?“

„Ach hat sich grade nur so komisch angefühlt. Ein kleiner Druck war da.“

„Das ist, weil ich den Rest der Farbe aus dem Pinsel auszudrücken versuche“, lächelte er. Ich glaube, er wusste, was ich dachte. Konnte ich mir das denn eingebildet haben? Schwierige Frage, vielleicht ein Wunschtraum?

„So ich bin jetzt beim Wasser, ok?“ Wir hatten uns vorgenommen einen Gecko, der ins Wasser blickt, zu nehmen.

„Schon so schnell fertig?“

„Ne, muss ja noch das Wasser zeichnen mit der Spiegelung.“

„Und? Wie geht’s deinem Onkel?“ Irgendwie wusste ich, dass er etwas verlegen wurde.

„Ach, dem geht’s gut. Kennst ja das übliche, was dann noch kommt: Wie geht’s dir? Und was hast du so gemacht? Was macht dies und das und blabla.“

„Kenn ich.“

„Siehste... So fertig!“

„Wow, so schnell!“ Er wurde etwas rot.

„Bin halt sehr geübt.“ Und ob er das war. Ich schaute mir mit zwei Spiegeln meinen Gecko an.

„Chris?“

„Ja?“

„Du bist der Beste“, lachte ich und drückte ihm das Kissen ins Gesicht.

„Da hast du’s! Meine Rache! Willst du mehr?“ fragte ich, als ich ihn überwältigt hatte.

„Nein“, lachte er unter dem Kissen.

Ich zog es weg und wir schauten uns tief in die Augen. Fast hätte ich ihn geküsst mit seinem tollen Kokosnussduft und seinem unverschämt schönen Gesicht. Aber so lag ich nur über ihm und wir verstummten beide. Doch dann übernahm er die Initiative. Er beugte den Kopf nach oben und presste seine Lippen fast schon sanft auf meine. Ich sträubte mich nicht und so küssten wir uns. Leidenschaftlich und sehr sehr lange. So kam es, dass wir uns drehten und auf einmal er über mir lag. Doch nach einer halben Ewigkeit kriegte er eine Zitterattacke und stieß mich unsanft weg.

„Oh mein Gott“, flüsterte er und lief aus meinem Zimmer.

„Halt! Es war...“, doch weiter kam ich nicht. Er war schon aus der Tür und lief in die untere Etage, um aus dem Haus zu stürmen.

Langsam merkte auch ich was geschehen war. Ich tastete über mein Schulterblatt und dann sah ich den Ring an meinem Daumen. Ich fiel erschöpft aufs Bett und legte mich schlafen.

5. Freitag

Der letzte Tag vor den Ferien. Wie ich auf diesen Tag gewartet habe! Eigentlich wollte ich natürlich im Unterricht gut aufpassen, damit ich die Zeit nicht bemerkte und alles etwas schneller ginge. Doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu Chris, und so kam es, wie es kommen musste: bis zur 1. Pause dauerte es eine halbe Ewigkeit. Ich stellte mich also in den ersten beiden Stunden lauter Fragen: Ich war doch nicht schwul, oder? Immerhin war ich in Cathy verliebt. Trotzdem fand ich den Kuss mit Chris wunderschön. Aber was war mit ihm? War er schwul? Er hatte mich ja geküsst, jedenfalls hatte er angefangen. Doch danach war er weggestürmt, obwohl ich ihn zurückhalten wollte. In der ersten Pause suchte ich ihn überall, und doch war er nicht zu finden. Trotzdem wusste ich, dass er da war, ich hatte ihn am Morgen noch gesehen. Da wollte ich ihn schon fragen, nur dass er weglief, als ob ich der Leibhaftige wäre. Also bitte, man kann sich auch anstellen! War doch nur ein Kuss. Na ja okay, es war schon ungewöhnlich, aber so schlimm war’s nun auch wieder nicht. In der zweiten Pause hatte ich mehr Glück. Ich fand ihn dort, wo er mich zum ersten Mal angesprochen hatte: auf unserer Bank. Von hinten tippte ich ihn an, die Situation kam mir bekannt vor.

„Hey“, sagte er, ohne sich umzudrehen.

„Hi“, antwortete ich langsam. Mein Hals war auf einmal ganz trocken, er wurde auch immer enger. Man sah, dass es ihm nicht anders erging.

„Ich wollte dich bitten, heute zu mir zu kommen. Hab ne Überraschung zu Hause“, sagte ich.

„Hab ich die verdient?“

„Du hast mir die schönsten Bilder auf der Welt geschenkt und mir einen Gecko gemalt. Übrigens war das der absolute Knaller in der Umkleide. Am Anfang etwas peinlich, aber alle fanden’s toll.“

„Echt?“ fragte er entzückt.

„Na aber Hallo!“ Das war noch nicht einmal gelogen. Alle fanden meinen Gecko super. Das schien ihn aufzumuntern, denn er lächelte etwas.

„Freut mich. Okay ich komme, weil ich so neugierig bin. Aber wir müssen uns auch noch unterhalten“, sagte er und stand auf. Ich musste jetzt auch gehen, es klingelte zur letzten Stunde, die wie immer eine Ewigkeit dauerte.

Am Nachmittag klingelte es so gegen drei Uhr. Er kam in mein Zimmer und schaute mich mit etwas Scheu an.

„Hallo“, begann er.

„Hi. Hier bitte sehr“, sagte ich freundlich und überreichte ihm ein eingepacktes Geschenk.

„Ist echt nicht nötig von dir...Dankeschön.“ Er öffnete das Geschenk und zog ein weiteres eingepacktes Geschenk heraus. Das legte er erstmal neben sich auf den Boden und zog einen dünnen Pullover heraus. Er war schlicht schwarz und vorne drauf war ein Engel abgebildet. Seine Augen glitzerten und er zog ihn sofort über.

„Na bitte, passt wie angegossen!“ lachte ich.

„Ja!“ Antwortete er. Er holte das zweite, etwas kleinere Päckchen und packte es aus. Eine Kette kam zum Vorschein, an deren Ende ein Frosch hing. Er war naturgetreu angemalt, mit orangen Flecken. Auch diese legte er sofort an.

„Wow! Super! Dankeschön“, sagte er etwas verlegen.

„Aber jetzt mal Spaß beiseite. Was ist denn los? Du wolltest mir was sagen“, lächelte ich. Ich hatte extra nichts von gestern angesprochen.

„Ja also... das mit gestern...“, stammelte er los.

„Mach dir nichts draus. Ich nehms dir nicht übel. Das hat doch jeder Junge schon mal gemacht mit nem anderen Jungen. Sei’s aus Freundschaft, oder weil sie betrunken waren, oder weil sie halt anstrengende Tage hatten, oder zum Üben, oder sonst wie – ist ja auch egal. Jedenfalls kommt es nicht wieder vor und wir bleiben Freunde, okay?“

„Okay“, sagte er.

„So und jetzt erzähl mal!“

„Was denn?“ fragte er verdutzt.

„Na wie findest du’s?“

„Wunderschön. Es ist beides so toll. Woher hast du die nur? Ich finds einfach super.“ Es donnerte.

„Der Herbst macht sich bemerkbar“, sagte ich nebenbei. Schon fing es an, ans Fenster zu prasseln.

„Ja. Aber ich finds nicht schlimm, solange ich ein Dach über dem Kopf habe. Weißt du, ich höre oft von meinem Bruder, wie es denen in Afrika geht. Ist schon schlimm“, sagte er.

„Ja. Da hast du Recht. Ist dein Onkel noch zu Hause?“

„Ja.“

„Wie geht’s ihm?“ fragte ich. Sein Gesicht verfinsterte sich.

„Ach der. Ich hab Streit mit ihm, er regt mich total auf. Deswegen bin ich auch so früh hier.“

„Oh, das tut mir leid. Willst du heute hier schlafen? Wir könnten das Bett, das unter meinem Bett liegt, aufstellen.“ Ich kannte es ja von mir, wenn ich heftigen Streit hatte. Dann wollte ich auch nicht hier bleiben.

„Das wäre echt zu viel verlangt. Außerdem bräuchte ich einen Grund, um hier zu bleiben.“

„Ach, das lass mal meine Sorge sein“, antwortete ich mit einem kleinen Lächeln.

„So ich hab’s ihnen jetzt gesagt“, sagte er mir nach dem Telefonat. „Ich gehe heute Abend auf eine Party bei irgendeiner imaginären Jessica. Ok so?“

„Perfekt“, sagte ich, während ich mir ein Bild an der Wand anschaute. Ein Bild von Chris versteht sich.

„Dankeschön“, sagte er schon wieder so verlegen. Man er kann’s echt übertreiben mit seiner Verlegenheit.

„So und jetzt schau mir mal in die Augen und sag Dankeschön, ohne einmal verlegen zu werden. Ist doch selbstverständlich!“ Er wurde gekünstelt wütend und schmiss mir ein Kissen von seinem frisch aufgebautem Bett entgegen.

„Na warte!“ rief ich. Jetzt schmiss ich meine Decke über ihn und stürzte mich auf ihn. Wie zwei kleine Kinder tobten wir dann noch etwas weiter, bis wir erschöpft auf beiden Betten lagen.

„Hui, ich kann nicht mehr, bin völlig erschöpft“, fing er das Gespräch an.

„Ich auch“, sagte ich und legte mich auf die Seite, um ihn anzusehen. Meinen Kopf stützte ich auf die Hand. Er tat das gleiche.

„Na ja...“, sagte er. Der Unterhaltungsstoff endete langsam. Wir unterhielten uns auch schon etwas länger als zwei Stunden.

„Ich bin ziemlich Müde, habe gestern nicht viel geschlafen“, fing er an.

„Du kannst dich gerne hinlegen. Ich bin auch müde“, sagte ich. Wir zogen unsere Hemden aus. Ich sah wieder seine chinesischen Zeichen und er meinen Gecko. Langsam fing der Gecko an, abzublättern und zu verblassen.

„Ach, das hatte ich fast vergessen“, sagte er, „Ich hab dir auch noch Henna mitgebracht. Das hält länger als die Farben. Zusätzlich noch Lebensmittelfarbe, um die verschiedenen Farben zu mischen. Soll ich’s eben anrühren und dir auftragen?“

„Ja cool, dann lass uns mal noch nicht schlafen“, antwortete ich.

Er fing an, das Henna anzurühren. Sein Hemd hatte er nicht an, entweder er hatte darauf vergessen oder er hatte Angst, dass etwas Henna auf seinen neuen Pulli kommen könnte. Wahrscheinlich beides. Als er fertig war, was dieses mal etwas länger dauerte, da er immer wieder neue Farben mischen musste, sagte er, ich müsse jetzt vielleicht eine halbe stunde warten. In der Zeit unterhielten wir uns wieder.

„Ich denke, ich kann’s jetzt abmachen.“

Er setzte sich über mich und schabte die Kruste ab. Was übrig blieb war wieder der Gecko in all seiner Pracht. Er beugte sich zu mir runter und küsste mich auf den Nacken. Ich drehte mich um und sah ihm in die Augen. Er wollte etwas sagen, doch ich legte meine Hände in seinen Nacken und zog ihn zu mir runter. Wir küssten uns zum zweiten Male, noch intensiver und schöner. Als wir uns nach einer kleinen Ewigkeit lösten, schauten wir uns tief in die Augen. Er begann zu zittern.

„Hey, hey ist ja alles gut. Wird alles wieder gut“, flüsterte ich. Wir lagen mittlerweile nebeneinander.

„Es ist alles gut“, antwortete er und küsste mich noch mal. Ich streichelte ihm über den Rücken, küsste ihn leidenschaftlich auf die Schulter, auf den Hals und wieder hoch zu seinen Lippen. Ich strich von seinen Schulterblättern seinen Rücken runter und landete bei seinem Po. Er nahm meine Hände weg und ging von mir runter. Dann legte er sich neben mich und flüsterte: „Noch nicht. Ich bin noch nicht so weit.“ Er legte meine Hände um sich und kuschelte sich an mich. Ich küsste ihn auf sein Schulterblatt und wünschte ihm süße Träume. Das war also unsere erste Nacht. Mein Kopf brummte, seiner wahrscheinlich auch.

Zwei sanfte Lippen versuchten mich wach zu küssen.

„Aufstehen“, flüsterte es an meinem Ohr.

„Noch nen kleinen Moment“, murmelte ich und war schon fast wieder eingeschlafen.

„3...2...1... Jetzt bist du fällig!“ schrie er und kitzelte mich durch. Sofort sprang ich auf und sah ihn erschrocken an. Er war schneller als ich und küsste mich sofort. Ich kriegte schon fast keine Luft mehr.

„Momentchen, nicht so hastig, Kleiner.“ Er zog sofort einen Schmollmund.

„Ich bin nicht klein.“

„Doch bist du“, sagte ich und legte mich langsam über ihn. Schon wieder versiegelten wir unsere Lippen mit leidenschaftlichen Küssen.

„Ich hab dir Frühstück gemacht. Wo sind eigentlich deine Eltern?“

„Gestern Nacht weggefahren. Wir haben das Haus für uns“, sagte ich.

„Soso...“, er tat, als ob er überlegte.

„Du Schwein!“ sagte ich.

„Na gut. Aber du kennst ja die Geschichte: Küss mich und ich werde dein Traumprinz.“

„Och ich find Schwein schon ganz in Ordnung“, lachte ich.

Doch er küsste mich und tat so, als ob er sich verwandelte.

„Na?“

„Wunderhübsch, schön und nett.“

„Übertreib mal nicht“, lachte er.

„Na gut. Du bist abscheulich.“

„Du bist auch nicht grade affenhässlich, Dankeschön“, konterte er.

„Dreh dich mal um“, sagte ich geheimnisvoll.

„Was wird das denn? Irgend so ein... perverses Idiotenspiel?“ fragte er während er sich umdrehte.

Langsam küsste ich seinen Nacken und ging seine Wirbelsäule herunter, jedes einzelne Zeichen nacheinander, bis ich bei den Hüften angelangt war. Ich legte meine Arme um seinen Bauch und streichelte etwas weiter nach unten. Er nahm meine Hände und legte sie zwischen seine Schenkel. Langsam fing ich an, ihn zu massieren, bis ich etwas weiter nach oben ging. Sein Schwanz war steif. Ich knöpfte seine Hose auf, immer noch von hinten. Langsam drehte er sich um und ich zog ihm seine Hose bis zu den Knien. Dann zog ich seine Boxershorts (ein süßes Ding mit Kuhflecken) nach unten. Als ich fertig war, sagte er leise: „Jetzt du“, und zog mich langsam aus. Als ich dann so nackt vor ihm lag, küsste er mich vom Mund aus weiter nach unten, meinen Bauch bis er noch weiter nach unten kam. Langsam fing er an zu blasen. Fast wäre ich schon jetzt gekommen, aber als es dann richtig losging, war es auch schon viel zu schnell vorbei.

„Das war das Schönste in meinem Leben“, sagte ich.

„Bei mir auch“, flüsterte er und legte sich neben mich. So hatte ich meine ersten Erlebnisse mit einem Jungen.

„Sollen wir Duschen?“ schlug ich vor.

„Mit dir mach ich alles“, säuselte er und stand auf. So gingen wir nackt durchs Haus, uns sah ja niemand, und gingen zusammen unter die Dusche, wo wir sofort wieder loslegten.

Dann gingen wir in unser Bett, wo ich ihn fragte, ob er noch eine Nacht hier bleiben wolle. Er bejahte und blieb die nächsten Tage auch noch hier. Wir hatten eine Menge Spaß, haben viel gelacht und täglich mehrmals miteinander geschlafen. Einmal fragte er mich, ob er Sex mit mir haben könne. Es war wunderschön. Doch dann musste er wieder nach Hause. Ich fragte also warum.

„Meine Eltern: Sie verreisen und wollen mich nicht alleine lassen.“

„Für wie lang denn?“ fragte ich geschockt

„Zwei Wochen“, sagte er niedergeschlagen.

„Oh nein. Ich möchte aber, dass du hier bleibst, meine Eltern bleiben noch länger weg.“

„Ich möchte es doch auch, aber meine Eltern wollens nun mal nicht. Tut mir so leid“, sagte er, und wir küssten uns noch einmal lange, aber mir schien es zu wenig. Langsam schloss er die Tür hinter sich und wir schauten uns noch ein letztes Mal in die Augen.

Die Zeit ohne Chris war schrecklich zu überbrücken. Alles schien auf einmal so uninteressant, so langweilig. Einfach schrecklich ohne meinen kleinen Schatzi. Ich wunderte mich wieder, wie schnell wir uns gefunden hatten. Liebten wir uns wirklich nach so einer kurzen Zeit? Also als ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte, von der ich gar nichts wollte, dachte ich auch danach, ich würde sie lieben. War es hier genauso? Nein, auf keinen Fall, denn wenn ich unsere Liebe jetzt schon anzweifelte, dann konnte das ja gar nichts werden. Das war schließlich der erste Schritt bevor man sich trennte, oder? Jedenfalls war das immer in den Serien so, die Frau dachte immer, ob das sich noch alles lohnte oder so und schwups hatte sie ’nen Neuen. Ich durfte nichts anzweifeln. Es war so schrecklich! Blöde Eltern, was mussten die auch meinen Schatz einfach mitnehmen? Bei mir wäre er viel besser aufgehoben gewesen. Ist ja auch egal. Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist. Nur dass ich in diesem Augenblick nicht glücklich war, denn mein Kleiner war grade 1000 Kilometer entfernt in Italien. Also machte ich „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ von Tocotronic an. Das Lied, das uns zusammenbrachte. Plötzlich musste ich fast anfangen zu heulen. Was für eine Scheiße, dachte ich. Jetzt sitze ich hier und heule, nur weil mein Freund verreist ist. Wie lächerlich. Ich riss mich also zusammen und wandelte etwas in meinem Zimmer herum. Ohne zu wissen, was ich machte oder was ich machen sollte, besprühte ich meinen Zimmerbonsai und schnitt etwas die Blätter ab. Na toll.

Also strich ich die Tage am Kalender ab, und irgendwann musste es kommen, wie es kommen musste: Der Tag X war gekommen und ich freute mich riesig auf meinen Schatzi. Er kam mir entgegen und stürmte mir in die Arme. Weinte er etwa?

„Hey ist doch alles gut!“

„Ich freu mich so.“

Wir küssten uns unendlich lange. So standen wir also im Türrahmen und ich küsste einen Jungen, den ich seit ein paar Wochen kannte und von dem ich nie gedacht hatte, mit ihm zusammen zu kommen.

„Hab was für dich“, sagte er.

Ich schaute wieder auf ein paar wundervolle Bilder. Er wusste ja noch nichts von meiner Überraschung.

„Die sind wundervoll, aber ich hab noch was Besseres. Komm mal mit in den Park.“

Ich schleppte ihn regelrecht in den Park zu einem Comic-Geschäft, und er wurde neugierig. Das war er ja auch schon vorher, denn er ließ nicht locker zu fragen, was das denn für eine Überraschung war. Jetzt traten wir ein und gingen an einer Wand vorbei, an der die Regale vor lauter Heften nur so aus den Nähten platzten. Warhammer Regelbücher, Comics bis zum abwinken und eine kleine Zeitschrift, die die Leute über alle brandneuen Hefte informierte. Ich nahm mir das Heft und klappte es ziemlich mittig auf. In großen schwarzen Lettern stand dort „Schaukasten“, und Chris’ fielen fast die Augen heraus: „Das... das ist ja.... Oh mein Gott!“

„Genau! Deine Schlachtfelder mit den Engeln. Ich hab mir erlaubt, alles zu kopieren und abzuschicken. Sie haben’s gleich auf die erste Seite des Schaukastens gedruckt und einen Brief geschickt. Hier schau.“

Ich reichte ihm den Brief, den er schnell überflog. Ich hatte ihn schon durchgelesen. Dort stand irgendwas von einem Job bei ihnen, den er annehmen konnte. Außerdem wie toll seine Zeichnungen geworden sind usw. usw.

„Das ist ja wundervoll!!! Leider kann ich den Job nicht annehmen, bin ja zu jung“, zwinkerte er mir zu.

„Du bist erwachsener als manche anderen Leute, die ich kenne“, lachte ich darauf. Ein tolles Gefühl, wie er alle anstrahlte und vor allem mich. Ich fühlte mich gar nicht mehr überflüssig, wie es häufig in der Schule war. Nein, hier liebt mich der tollste Junge auf Erden. Und ich liebte ihn auch.

„Ich kaufe das Heft sofort!“

„Nicht nötig, ich hab eine Ausgabe zuhause. Sie haben es dir mitgeschickt“, antwortete ich lächelnd.

„Na gut, lass uns wieder zurückgehen. Ich will dir da noch einen süßen kleinen Jungen vorstellen. Er ist echt einen Blick wert“, sagte ich. Er schaute mich mit überdimensional großen Augen an.

„Das meinst du nicht ernst!“ sagte er erschrocken.

„Nein, ich liebe nur dich“, lallte ich gekünstelt, so als ob ich betrunken wäre und nicht wüsste, was ich redete.

„HA! Du kannst mich verarschen wie du willst, ich stehe ja doch über dir!“

„Und warum?“ fragte ich.

„Weil ich nicht so kindisch bin wie du und Leute überhaupt verarsche!“ konterte er.

„Nicht schlecht, ich gebe mich geschlagen! In diesem Spiel gewinnen nicht viele gegen mich.“ Das Spiel bestand darin, sich gegenseitig mit Worten fertig zu machen.

„Welch ein Sarkasmus“, verdrehte er die Augen, „Aber du musst mir nicht sagen, dass ich über dir stehe, um mich verhöhnen zu können. Das geht auch anders.“

Ach Mist, dachte ich.

Als wir zuhause waren, und ich Chris schon wieder ins Bett ziehen wollte, blockte er komischerweise ab.

„Was ist denn?“ fragte ich mit großen Augen.

„Ach nichts. Ich habe nur grade keine Lust.“ Er setzte sich auf den Schreibtischstuhl, und dann fiel mir auf, dass der Schreibtisch mal wieder hoffnungslos überfüllt war. Neben einer großen Schere, Kleber und Glanzpapier zum Basteln befanden sich alle Schulsachen, die ich besaß (was nicht grade wenig war) und viele Notizblätter, die sowieso schon zu zwei Dritteln abgelaufen waren, darauf. Na ja egal.

„Ach komm schon von diesem öden Schreibtisch weg und setz dich neben mich.“

„Wie schon gesagt, ich habe grade keine Lust!“ sagte er eine Spur aggressiver.

„Man mach dich mal nicht an“, sagte ich überrascht.

„Ich pisse mich an wann ich will und im Moment habe ich keine Lust.“ Jetzt schrie er fast.

„Ey hab ich gemotzt als du nach Italien fuhrst?“

„Was hat das denn jetzt damit zu tun? Ich habe grade keine Lust und dabei bleibt es. Du musst mich nicht anmachen!“ schrie er mich an und stand auf.

„Bitte? Ich mache dich an? Das ist ja so was von kindisch!“ schrie ich zurück.

„Ach halt deine verfuhackte... verfickte Schnauze!“ verhaspelte er sich beim Schreien, was ich so was von komisch fand, obwohl die Situation genau das Gegenteil war. Ich konnte einfach nicht anders und musste losprusten.

„Fang nicht an zu lachen, du Arschloch!!!“ Ich lachte weiter.

„Hör sofort auf oder ich...“ Er nahm beim Sprechen meine Schere vom Schreibtisch und fuchtelte damit herum. Als er bemerkte, dass er mir damit drohte, ließ er sie fallen wie ein heißes Eisen, das ein Schmied zwar kunstvoll, aber gefährlich geschaffen hatte.

„Scheiße“, flüsterte er und rannte aus meinem Zimmer.

„Chris!“ rief ich ihm hinterher, doch es war zu spät. Ich setzte mich erstmal benommen hin und verdaute das grade Geschehene. Jeder kann mal ausflippen, aber gleich mit einer Schere auf einen losgehen wollen? Gewalt ist doch keine Lösung!

Nur ein Lösungsweg, schlich es sich in meine Gedanken. Ich hatte mal diesen Satz von jemand gehört, der das als schlechten Scherz gesagt hatte. Irgendwie musste ich ein bisschen darüber grinsen, sofort beschlich mich aber Reue, in so einer Situation an Witze zu denken. Ich war ja auch so ein Arsch, Chris zu drängen! Der Arme war in die Ecke gedrängt und versuchte sich zu retten, was alles aber irgendwie eskalierte. Ich wollte die Sache erstmal ruhen lassen, bevor ich noch mehr Staub aufwirbelte. Ich konnte mich morgen immer noch entschuldigen.

Aber was anfangen mit dem tag? Gab’s da nicht so ein Café von dem Chris mal erzählt hat? Irgendwo in Düsseldorf. Na schön, geh ich da mal hin und mache mir Gedanken über Chris.

Als ich ins Café ging, wusste ich schon von vorher, was für ein Café das war – ein Café für Homosexuelle. Ich setzte mich also dahin und bestellte einen ganz normalen Capuccino. Natürlich war die Bedienung ein Mann, obwohl es auch Frauen gab. Na ja egal. Süß war er ja schon.

„Hey.“

Ich drehte mich total erschrocken um, dass ich dabei eine Schere in Gedanken hatte, war wohl nicht schlimm, oder? Musste ja jeder erstmal verdauen.

„Hey.“

„Ich heiß Tom. Is der Platz noch frei?“ fragte er.

Verdutzt schaute ich ihn an. Nach einer Ewigkeit (10 Sekunden) realisierte ich, dass der Typ was von mir wollte. Nach den nächsten 5 Sekunden wusste ich sogar, was. Dann dauerte es 3 Sekunden, bis ich antwortete:

„Ja... Ja klar!“ Macht im Schnitt 18 Sekunden. Schlecht.

Gesagt, getan und Tom setzte sich neben mich.

„Du hast mir deinen Namen noch nicht verraten.“

„Ich heiße Cillian.“

„Witzig, mein Bruder heißt genauso.“

„Schon klar, ne bessere Anmache fällt dem nicht ein?!“ dachte ich.

„Cool. Wie geht’s dir denn? Mir übrigens ganz gut“, log ich.

„Ach ich kann nicht klagen“, sagte Tom, den ich jetzt etwas genauer musterte. Er hatte mittelblondes Haar und eine kleine, schwarze und viereckige Brille. Er war etwas größer als ich und ziemlich hübsch.

„Na ja eigentlich geht’s mir nicht gut“, sagte ich ehrlich.

„Hey, was denn los, Kleiner?“ fragte er.

„Ach mein Freund und ich hatten Streit“, antwortete ich etwas verkürzt. Was geht’s denn den auch an?

„Oh, das tut mir leid. Seit wann denn?“

Okay, er wollte ja nur helfen, aber das nervte jetzt echt.

„Seit grade eben.“

„Wenn es nicht so schlimm ist, dann geh zu ihm und entschuldige dich. Wenn’s schlimm ist, dann lass erstmal Gras wachsen und entschuldige dich morgen. Du wirst sehen, wenn ihr euch liebt, dann wird’s wieder gut.“

Danke für die Floskel, aber das hätte ich auch so schon gewusst.

„Ich merk’s mir. Echt nett von dir, aber ich muss jetzt auch gehen. Also bis dann“, sagte ich etwas traurig und ging. Auf dem Weg wurde es kälter, also steckte ich meine Hände in die Jackentaschen und bemerkte einen Zettel.

Wird bestimmt alles wieder gut!

0155/553764

Tom

Der Abend war die Hölle. Ich vermisste meinen Schatz so krass, das ich schon Bauchschmerzen bekam. Da hatte ich an dem Tag, als er wieder kam, alles versaut! Toll gemacht, Cillian!

Ich stand auf und machte mir eine heiße Wärmflasche, die die Bauchschmerzen lindern sollte, aber es half nicht wirklich. Dann aß ich etwas, was ich aber fast nicht im Magen behielt. Streit war also schlimmer als Vermissen, soviel stand fest. Nun ja, immerhin hatte ich meinen ersten Streit. Nicht das ich das so beibehalten wollte.

Am nächsten Morgen klingelte es. Ich machte die Tür auf und erschrak, als jemand die Tür so krass aufschlug, dass ich mir fast meine Nase brach. Ich musste mich erstmal gegen die nächstbeste Tür lehnen, was die Küchentür war. Diese wiederum war nicht ganz geschlossen, so dass ich hineintaumelte und bekam den Schock meines Lebens: Jemand hatte ein Messer mit dem Griff auf die Anrichte gelegt, die Schneide ragte in die Luft. Ich wäre fast dort reingestolpert! Oh Mann! Aber die Person, die dort in der Küchentür stand, gab mir den Rest.

„Hallo Cillian“, sagte eine sehr vertraute Stimme – fast weich klang sie.

„Weißt du eigentlich, Chris, wie du mich erschrocken hast? Ich wäre fast wegen diesem fucking Messer umgekommen!“ schrie ich ihn mit großen Augen an. Okay, war gelogen, aber ich hätte mir wehtun können!

„Es tut mir leid. Aber ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“ Seine Stimme war brüchig. Entweder war es gespielt, echt oder er wollte einfach etwas damit überspielen, das er sonst nicht verkraftet hätte. Egal was es war, es lies mich frösteln.

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