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Can you forgive her?

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„Another night with open eyes

too late to sleep, too soon to rise

You’re short of breath, is it a heart attack?

Hot and feverish you face the fact

you’re in love and it feels like shame

because she’s gone and made a fool of you in public again

You’re in love and it feels like pain

because you know there’s too much truth in everything she claims

So ask yourself now

Can you forgive her

if she wants you to?

Ask yourself

Can you even deliver

what she demands of you?

You drift into the strangest dreams

of youthful follies and changing teams

Admit you’re wrong, oh, no, not yet

Then you wake up and remember that you can’t forget

she’s made you some kind of laughing stock

because you dance to disco and you don’t like rock

She made fun of you and even in bed

said she was gonna go and get herself a real man instead

So ask yourself now

Can you forgive her

if she begs you to?

Ask yourself

Can you even deliver

what she demands of you?

Or do you want revenge?

But that’s childish, so childish

Remember when you were more easily led

behind the cricket pavilion and the bicycle shed

Trembling as your dreams came true

you looked right into those blue eyes and knew

it was love and now you can’t pretend

you’ve forgotten all the promises of that first friend

It’s bad enough she knows how you feel

but she’s not prepared to share you with a memory

So ask yourself now

Can you forgive her

if she begs you to?

Ask yourself

Can you even deliver

what she demands of you?

Ask yourself now

Can you forgive her

if she begs you to?

And ask yourself

Can you even deliver

what she demands of you?

Or do you want revenge?

But that’s childish, so childish”

(Pet Shop Boys – Can you forgive her?*)

Das Schlafzimmer war dunkel, nur durch die Schlitze in der Jalousie drang etwas Licht von den Straßenlaternen ein, das sich in kleinen Streifen an der Wand verteilte. Der Radiowecker, der neben dem Bett auf dem Nachtkästchen stand, zeigte in grellgrüner Schrift die Uhrzeit an. Drei Uhr zwölf. Alex seufzte, als er die Anzeige las und drehte sich auf den Rücken. Seit vier Stunden lag er jetzt schon wach auf seinem Bett, seit vier Stunden versuchte er einzuschlafen, doch die Gedanken, die ihm durch den Kopf schwirrten, hielten ihn davon ab.

Alex, eigentlich Alexander, war vor wenigen Wochen 19 geworden. Er studierte seit kurzem Architektur in München und war dafür bei seinen Eltern ausgezogen, die in einem kleinen Dorf im Allgäu wohnten. Natürlich konnte er sich keine eigene Wohnung leisten, weswegen er in einer WG mit drei weiteren Mitbewohnern untergekommen war. Mit ihnen verstand er sich von Anfang an sehr gut, einer der Gründe, warum er sein neues Leben hier eigentlich sehr genoss.

Und trotzdem lag Alex nun hier im Dunkeln und konnte beim besten Willen nicht einschlafen. Er war verzweifelt. Nicht weil er morgen früh eine Vorlesung hatte, die konnte man ja auch ausfallen lassen, sondern wegen der Sache mit Lisa. Dabei hatte alles so gut angefangen…

Alex hatte Lisa an der Uni kennengelernt. Zwischen den beiden war von Anfang an etwas gewesen, es lag eine gewisse Spannung in der Luft. Er mochte Lisa und er fand, dass sie durchaus ganz gut aussah. Und ihr schien es ähnlich zu gehen, zumindest meinte das sein Mitbewohner Leon.

„Junge, die steht doch auf dich.“ machte er Alex irgendwann klar, als die ganze Clique einschließlich Lisa eines Freitagabends in einem der Clubs der Stadt unterwegs war und Leon sich den ganzen Abend hatte ansehen müssen, wie Alex und Lisa sich vorsichtig umkreisten, sich aber beide nicht trauten, einen Schritt weiterzugehen.

Nach dieser Ansage und einem weiteren Drink wurde Alex mutiger. Tja, am Ende des Abends waren die beiden für die anderen nicht mehr ansprechbar und mehr mit sich selber beschäftigt, zur Freude und gleichzeitigem Missfallen von Leon, den es sehr zu wurmen schien, dass sein Kumpel im Gegensatz zu ihm nun eine Freundin gefunden hatte.

Lisa war Alex erste Freundin. In seiner Schulzeit hatte er sich einerseits nie so sehr für Mädchen interessiert, andererseits war er auch noch ziemlich schüchtern. Beide Eigenschaften kombiniert führten dazu, dass er irgendwann zusehen musste, wie fast alle Jungs in seinem Freundeskreis eine Freundin nach der anderen hatten, während er jedes Mal aufs Neue alleine blieb. Zuerst hatte ihn das nicht mal gestört – was sollte er schon mit einer Freundin, das war doch nur Arbeit und überhaupt. Als er 16 war hatte dann aber Christian, einer seiner damaligen Mitschüler und Frauenheld schlechthin, vor versammelter Klasse behauptet, Alex müsste doch bestimmt schwul sein, anders wäre sein Desinteresse an Mädchen ja gar nicht zu erklären.

In gewisser Weise hatte dieser Tag Alex Leben verändert. Vorher war es ihm egal gewesen, was andere von ihm dachten, doch Christians Behauptung konnte er so nicht stehen lassen. Er und schwul? Lächerlich. Schwul waren immer die anderen, doch mit solchen Leuten hatte er ganz sicher nichts zu tun. Er spielte gerne Fußball, hasste Shoppen sowie die Farbe Rosa und hatte überwiegend Jungs, und nicht Mädchen, in seinem Freundeskreis.

Gut, ein bisschen ertappt fühlte er sich doch, schließlich interessierten ihn Mädchen bis dahin tatsächlich nicht so wirklich und wenn, dann schaute er, ohne es zu merken, eher Jungs nach. Aber das tat er nur, weil er diese bewunderte, weil sie für ihn Vorbilder waren, weil er so werden wollte wie sie. Und was die Mädchen betraf: Da war er wohl einfach ein Spätzünder, das würde schon noch kommen, ganz bestimmt.

Eigentlich war es Alex bis dahin immer egal gewesen, wie andere Leute ihr Leben lebten. Er hatte nichts gegen Schwule, sollten sie doch das machen, was sie eben miteinander machten, das konnte ihm doch egal sein. Seit Christian ihn vor versammelter Mannschaft lächerlich gemacht hatte, musste er allerdings seinen Ruf zurückgewinnen. Oder neu aufbauen, denn als begnadeter Hetero hatte er schließlich noch nie gegolten. Deswegen achtete er darauf, wann immer irgendwo von Homosexualität die Rede war, klarzustellen, dass er persönlich so etwas auf keinen Fall machen wollen würde. Und er achtete darauf, bewusst den Mädchen hinterherzuschauen, was dann auch ganz gut funktionierte. Ging doch.

Eine Freundin hatte er in seiner verbleibenden Schulzeit zwar trotzdem nie gefunden, aber das brauchte er gar nicht mal. Seine gelegentlichen kritischen Äußerungen über Schwule, seine Fantasien, was er alles gerne mit verschiedenen Mädchen machen würde, über die er mit seinen Freunden sprach – all das führte dazu, dass Christians Behauptungen bald wieder vergessen waren.

Nur Alex selbst hatte sie nie verdrängen können.

Umso zufriedener war er, als er Lisa gefunden hatte. Er mochte sie, sie war witzig, nett, sah gut aus. Und wer eine Freundin hatte, konnte unmöglich schwul sein. Natürlich führte Alex die Beziehung nicht nur aus diesem Grund, schließlich verbrachte er gerne Zeit mit Lisa. Aber es war definitiv ein Pluspunkt.

Tja, und nun lag er hier schlaflos im Bett, Lisa war weg und alles steuerte auf eine Katastrophe zu. Es hatte sich angebahnt, schon in den ersten Tagen ihrer Beziehung, doch Alex war blind dafür gewesen. Jetzt wusste er es besser.

Seufzend stand er auf – es hatte keinen Zweck mehr, er würde ja doch nicht einschlafen. Er zog sich seinen Schlafanzug an und schlurfte in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Da es mitten in der Nacht war, rechnete Alex nicht damit, auf einen seiner Mitbewohner zu stoßen und umso größer war der Schreck, als er in der Küche plötzlich Emma traf.

Emma war eines der beiden Mädchen, die hier zusammen mit Alex und Leon wohnten und mit ihr verstand er sich echt sehr gut. Er mochte Leon und natürlich hielten die beiden als Fraktion der Jungs auch zusammen, aber mit Emma verstand Alex sich insgeheim nochmal besser. Beide hatten ähnliche Ansichten, einen ähnlichen Humor und mit Emma konnte man einfach über alles reden. Egal um was es ging, sie war bisher immer einfühlsam und verständnisvoll gewesen und Alex hatte sich während seiner Beziehung mit Lisa schon den ein oder anderen Ratschlag bei ihr einholen müssen.

„Was machst du denn hier?“ flüsterte sie ihm überrascht zu, als er zerknautscht und übernächtigt den Raum betrat. „Du siehst echt scheiße aus!“ fügte sie noch hinzu. Manchmal war sie vielleicht ein bisschen zu ehrlich und direkt.

„Danke, du mich auch.“ murrte Alex. Er ließ sich auf einem der Stühle nieder, die um den kleinen Küchentisch herumstanden. „Ich kann nicht schlafen, da konnte ich auch gleich aufstehen.“ versuchte er, seine Situation zu erklären.

„Na dass du mal nicht schlafen kannst ist ja was ganz Neues.“ zwinkerte sie ihm zu. Warum musste Emma um diese Uhrzeit eigentlich schon zu Scherzen aufgelegt sein? Er war ja noch nicht mal genug bei Verstand, um diese zu kapieren.

„Was machst eigentlich du hier?“ wollte Alex jetzt wissen, denn so langsam realisierte auch er, dass es sicher nicht normal war, um halb vier in der Nacht in der Küche zu stehen.

„Das willst du am besten gar nicht wissen!“ meinte Emma nur und machte dann keine Anstalten, irgendetwas zu erklären. Hm, schon seltsam. Wenn er wegen seiner eigenen Situation nicht so verzweifelt gewesen wäre, hätte er sich nun extra viel Mühe gegeben, um aufzudecken was auch immer sie vor ihm verbergen wollte.

„Ist es wegen Lisa?“ fragte Emma nun und traf Alex damit härter, als er bereit war, zuzugeben. Gestern Abend war ihre Beziehung in ungefähr genauso viele Scherben zersplittert wie ein Spiegel, der in Zeitlupe und für alle gut sichtbar begonnen hatte, sich auf seine letzte Reise in Richtung Boden zu machen und den doch keiner mehr auffangen und retten konnte. Alex wäre das inzwischen vielleicht sogar gleichgültig gewesen, wenn nicht so viel auf dem Spiel gestanden hätte. Den wahren Grund, warum Lisa mit ihm schließlich Schluss gemacht hatte, durfte nie jemand erfahren, sonst wäre er für den Rest seines Lebens eine Art Lachnummer. Und Alex hatte nicht jahrelang für seinen Ruf gearbeitet, um sich diesen jetzt bei der ersten Gelegenheit entreißen zu lassen.

Natürlich wusste Emma schon seit einiger Zeit, dass zwischen ihm und Lisa etwas war, aber sie kannte keine Details und gottseidank hatte Lisa diese auch noch nicht ausgeplaudert. Alex war sich aber sicher, dass das in Zukunft durchaus noch passieren könnte, denn seine Ex-Freundin war offensichtlich stark angefressen und unglücklicherweise ziemlich unvorhersehbar. Am besten nutze er seine Chance also jetzt, solange er sie noch hatte und er noch in der Lage war, um seine Ehre zu kämpfen.

„Ja, es ist wegen Lisa.“ antwortete er schließlich und zögerte, bevor er das sagte, was er jetzt nun einmal sagen musste.

„Ich hab mit ihr Schluss gemacht gestern. Ich konnte das nicht mehr, wir haben nicht zusammengepasst.“ Nun ja, zumindest der zweite Teil war technisch gesehen nicht gelogen. „Sie hat es nicht verstanden und war extrem wütend, klang fast so, als würde sie Rache wollen. Wenn sie also demnächst mal hier aufkreuzen sollte um irgendwelche Geschichten zu erzählen, nimm sie am besten einfach nicht zu ernst. Also wie immer eigentlich.“

Er versuchte, es wie einen Witz klingen zu lassen und lachte kurz, hörte aber wieder auf damit, als er merkte, dass Emma ihn fragend ansah. Offensichtlich fand sie die Geschichte genauso wenig lustig wie er selbst, vermutlich aber aus einem anderen Grund. Obwohl er sich ein bisschen mies fühlte, eine gute Freundin eiskalt angelogen zu haben, wusste er, dass ihm gar nichts anderes übriggeblieben war. Er musste Lisa zuvorkommen, bevor sie die anderen unvorbereitet mit der Wahrheit traf.

„Alex…“, Emma schien ihre Worte sehr sorgfältig zu überdenken, bevor sie schließlich sprach. Sie wirkte besorgt, offensichtlich nahm sie ihm die Geschichte nicht ganz ab. „Erstmal tut es mir leid. Ich hab auch schon gemerkt, dass es zwischen euch kriselt. Aber ist das gerade nicht ein bisschen hart gegenüber Lisa?“

Natürlich, sie ahnte etwas. Warum musste Emma auch immer so verdammt gerecht sein? Normalerweise war das ja eine der Eigenschaften, die er besonders an ihr mochte, denn sie schien sich für so gut wie jeden einzusetzen, der unfair behandelt wurde. Aber musste sie ihm wirklich jetzt auf diese Art in den Rücken fallen. Er konnte ihr nicht in die Augen schauen, sonst hätte sie ihn vermutlich sofort überführt.

„Hm ja, vielleicht hast du recht. Tut mir leid. Es ist immerhin mitten in der Nacht…“, versuchte er, die Dinge wieder halbwegs gerade zubiegen. Sehr gerne entschuldigte er sich für seine Wortwahl, er sah ja selbst ein, dass es fies war, schon wenige Stunden nach der Trennung auf diese Weise über seine Ex-Freundin zu reden. Und solange er mit ihr über die Ausdrucksweise diskutierte, kam sie hoffentlich zumindest nicht auf die Idee, den Inhalt seiner Worte zu hinterfragen. Solange Emma sich im Zweifelsfall daran zurück erinnerte, dass Lisa angeblich nur auf Rache aus war und sie ihr nicht alles glauben sollte, war er zufrieden.

„Schon gut, Alex, ich weiß auch nicht, ob ich in deiner Situation fair geblieben wäre.“ Wenn sie nur wüsste, in welcher Situation er denn wirklich war. „Wie gesagt, es tut mir sehr leid, dass eure Beziehung in die Brüche gegangen ist, aber dann war sie wahrscheinlich einfach nicht die Richtige für dich. So wie ich dich kennengelernt habe, bist du ein sehr einfühlsamer, sensibler und liebenswürdiger Mensch und du verdienst definitiv jemanden, der dich so liebt, wie du bist. Ich wünsche dir wirklich, dass du diese Person eines Tages finden kannst, nachdem Lisa es offensichtlich nicht war.“

Warum sagte sie das so komisch? Und warum verwendete sie konsequent die geschlechtsneutrale Formulierung? Alex hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, als hätten sich jetzt alle gegen ihn verschworen. Nein, dachte er, das ist nichts weiter als ein Zufall.

„Wenn du darüber reden magst…“, hakte Emma jetzt noch nach. Für einen kurzen Augenblick überkam Alex der Wunsch, ihr die Wahrheit zu sagen – die ganze Wahrheit. Sein Lügen- und Halbwahrheitengebilde würde in sich zusammenfallen und er könnte sich wieder frei fühlen. Es wäre einfach und es wäre eine Erleichterung, aber noch war er nicht so weit. Er konnte sich zwar so langsam fast selbst eingestehen, dass er sich all die Jahre selbst angelogen hatte, aber gerade vor anderen wollte er sich noch eine Weile an seine letzten Hoffnungen klammern.

Das heißt, wenn er jetzt mit Emma reden würde, müsste er lügen, und das wollte er nicht schon wieder. Am besten war es also, zurück ins Bett zu gehen, dort in Selbstmitleid zu versinken und einfach gar nichts mehr zu sagen.

„Danke, aber jetzt noch nicht, glaube ich… Viel Spaß noch bei dem, was auch immer du hier gemacht hast und das ich auf keinen Fall wissen wollte, ich geh mal wieder ins Bett.“ sprach er, nickte Emma noch kurz zu, die ihn dabei stirnrunzelnd ansah, drehte sich um und machte sich auf den Rückweg in sein Zimmer.

Das Drama nahm seinen Lauf, als er Lisa gestern Abend besucht hatte. Exposition und erregender Moment (aber eben nicht wortwörtlich) waren laut Dramentheorie bereits vergangen, die Handlung steuerte zielstrebig auf den Höhepunkt zu und die finale Katastrophe war nur noch eine Frage der Zeit. Wäre sein Privatleben eine Theatervorstellung und Alex nur Zuschauer, er wäre ziemlich sicher begeistert gewesen.

Die beiden waren seit zwei Monaten zusammen, doch außer ein bisschen küssen und fummeln war zwischen ihnen noch nicht viel passiert. Lisa wollte zwar, doch Alex hatte sie bisher immer gebremst. Er fühlte sich einfach noch nicht bereit dazu, zumindest redete er sich das so ein.

Doch es war klar, dass Lisa ihren Willen irgendwann bekommen musste, denn schon zuvor hatte sie Alex immer wieder damit aufgezogen, dass er bestimmt der totale Schlappschwanz sein müsse, wenn er mal wieder abgelehnt hatte. Wenn das so weiterginge, müsste sie sich irgendwann doch noch einen richtigen Mann suchen, witzelte sie dann herum.

Alex fand das nicht lustig und er hatte auch nicht gelacht, doch Lisa meinte dann nur, dass er offensichtlich keinen Sinn für Humor hatte – kein Wunder, wenn er nie über die Till-Schweiger-Filme lachen konnte, die er sich mit Lisa manchmal gezwungenermaßen ansehen musste.

Der gestrige Abend jedenfalls war anders, das merkte Alex schon, als er im Flur von Lisas Wohnung angekommen war. Lisa wohnte alleine in der nicht gerade winzigen Wohnung, was für eine Studentin im ersten Semester und ohne Nebenjob verständlicherweise eher ungewöhnlich war. Betuchte Eltern lautete das Schlüsselwort.

Sie hatten lecker zu Abend gegessen (Lisa war eine hervorragende Köchin, definitiv einer der größten Vorteile an ihrer Beziehung fand Alex) und auch das ein oder andere getrunken – an sich nichts Neues. Doch den ganzen Abend über hatte Lisa schon eindeutig zweideutige Bemerkungen gemacht, die Alex zunehmend verunsicherten.

Als die Teller schließlich leer waren, kam Lisa zu ihm herüber, umarmte ihn und setze sich auf Alex Schoß. Nach ein paar leidenschaftlichen Küssen ihrerseits, die Alex leicht geschockt erwiderte, flüsterte sie ihm anzüglich ins Ohr „Ich will mit dir schlafen. Jetzt!“

Alex war nervös und er hatte etwas Angst. Und er war beim besten Willen nicht erregt – all das kam einfach viel zu schnell für ihn. Lisa schien es anders zu gehen, sie schien richtig wild auf ihn zu sein und konnte nicht mehr länger warten. Alex ließ sich von ihr über Zwischenstationen ins Schlafzimmer führen und gab dabei sein Bestes. Bis dahin hatte er noch Hoffnung, dass er den unvermeidlichen Ausgang der Geschichte noch verändern könnte.

Auch Stunden später noch sah Alex die nun folgende Szene wieder und wieder vor seinem inneren Auge ablaufen. Sein Oberteil war im Eifer des Gefechts abhandengekommen, er fand es später im Flur wieder, als er gerade auf der Flucht vor Lisas Zorn die Wohnung verließ. Auch Lisa selbst stand oben ohne vor ihm, was für fast jeden anderen Jungen in seinem Alter der vielleicht schönste Moment des Jahres geworden wäre. Mit Brüsten konnte Alex noch nie etwas anfangen, das hatte er sich immerhin schon eingestehen können – er verstand nicht, warum seine alten Klassenkameraden immer so einen großen Hype darum veranstaltet hatten. Trotzdem hatte er sich immer größte Mühe gegeben, sich dies nicht anmerken zu lassen.

Verraten wurde Alex schließlich von seinem eigenen besten Freund, als Lisa sich daranmachte, ihn seiner Hose zu entledigen, um an ihr Objekt der Begierde zu gelangen. Das Ergebnis war ernüchternd und änderte sich auch nicht, als Lisa ihm schließlich ungläubig die Unterhose runterzog. Sein Penis war ungefähr so schlaff, wie wenn er gerade kalt duschen würde oder mit dem Senioren-Yoga-Kurs in der Umkleide wäre. Er rechnete es Lisa im Nachhinein immerhin hoch an, dass sie kein Wort sagte und ihn nur anstarrte – in ihrem Blick konnte er eine Mischung aus Wut und „Wusste ich es doch“ erkennen.

Was dann folgte war allerdings nicht mehr so schön. Die Enttäuschung wich langsam aus Lisas Gesicht und wandelte sich in ein fast schon diabolisches Grinsen.

„Ich glaube, du gehst dann jetzt besser wieder, kleiner Schwuli.“ sagte sie noch, bevor er es endlich geschafft hatte, seine verstreuten Kleider zu finden und die Wohnung mit einer möglichst großen Restwürde zu verlassen.

Dunkelheit. Und Licht. Bizarre Gegenstände fliegen durch den Raum, sie sind orange, blau, schwarz oder weiß, haben manchmal die Form von Bällen, manchmal von Kegeln. Ein großer brauner Vogel rennt auf Alex zu, erst im letzten Moment dreht er ab. Stacheln wachsen neben ihm aus dem Boden, nicht weniger künstlich als der Rest dieses mysteriösen Ortes. Alex sah Männer, in Orange gekleidet und mit seltsamen Spitzhüten auf dem Kopf. Sie standen um ihn herum, saßen auf Leitern, blickten mit Fernrohren… ja, in die Ferne eben, oder schoben sich gegenseitig entgegen jeglicher Gesetze der Schwerkraft einige der seltsamen bunten Kugeln durch die Luft zu.

Dann veränderte sich die Szene um ihn herum und Alex stand in seiner eigenen Vergangenheit, genauer gesagt in der Umkleide des schuleigenen Schwimmbads, zusammen mit den anderen Jungs aus seiner Klasse. Alles wirkte zwar etwas verschwommen, trotzdem konnte sich Alex genau an die Gesichter seiner ehemaligen Mitschüler erinnern. Und an ihre nackten Körper, die nach dem Duschen noch leicht glänzten.

Plötzlich wurde es dunkel, die Feuchtigkeit und die Wasserdämpfe um ihn herum verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren und Alex fühlte plötzlich eine gewisse Furcht. Dann tauchte Lisas Gesicht vor ihm, neben ihm, hinter ihm und unter ihm auf, sie war überall und lachte ihn aus, ihre Stimme klang hämisch. „Ich glaube, du gehst dann jetzt mal wieder, du kleiner Schwuli.“

„Kleiner Schwuli!“

Entsetzt und nassgeschwitzt schreckte Alex hoch. Er atmete schneller und brauchte einen Augenblick, um sich in der Dunkelheit seines Zimmers zu orientieren. Ganz ruhig, es war nur ein Traum, redete er sich ein, doch in diesem steckte ihm eindeutig zu viel Wahrheit. Lisas Worte hallten noch immer in seinem Kopf nach und brachten ihn schier zur Verzweiflung.

Nachdem er es geschafft hatte, sich zu beruhigen, wurde er sich seiner Situation langsam wieder bewusst. Er hatte es offensichtlich doch noch geschafft einzuschlafen, nachdem er seine seltsame Unterredung mit Emma in der nächtlichen WG-Küche hatte. Doch das war kein erholsamer Schlaf gewesen, im Gegenteil, Alex fühlte sich wie gerädert.

Müde blickte er auf die Uhr. Kurz vor sechs. In weniger als einer halben Stunde würde sein Wecker klingeln. Resigniert ließ er sich zurück in sein Kissen fallen. „Was für eine Scheißnacht.“ murmelte er, ohne Aussicht darauf, dass der folgende Tag besser werden würde.

Der Tag wurde nicht besser. Aber erst mal auch nicht schlechter. Immerhin. Emma hatte ihn beim Frühstück zum Glück in Ruhe gelassen, wofür er ihr eigentlich irgendwann mal Blumen oder eine Packung Merci-Schokolade mitbringen müsste, wenn sie ihn dann nicht definitiv doch auf das Thema ansprechen würde.

Während der Vorlesung etwas später blickte er immer wieder angsterfüllt auf sein Handy, da er erwartete, dass ihn jeden Moment jemand kontaktieren könnte, der gerade in Lisas Fänge geraten war und nun die Wahrheit kannte. Als er schließlich auf dem Heimweg in der U-Bahn saß und immer noch nichts dergleichen passiert war, entspannte Alex sich ein wenig und hätte eigentlich erleichtert sein sollen, aber irgendwie war er auch ein bisschen enttäuscht. Er konnte allerdings nicht so wirklich einordnen, woher letzteres Gefühl kam.

Die U-Bahn erreichte die Station, an der er umsteigen musste. Er stand auf, stieg aus und wollte gerade auf die Rolltreppe zusteuern, als er von der Seite angesprochen wurde.

„Alex? Na so ein Zufall!“ hörte er zuerst nur, dann drehte er sich um und erblickte Julian, mit dem er bis vor kurzem noch gemeinsam zur Schule gegangen war. Dieser grinste ihn genauso frech und gleichzeitig auch liebenswürdig an wie all die Jahre zuvor auch schon, in denen sie sich fast jeden Tag gesehen hatten. Julian schien sich in den letzten Monaten nicht wirklich verändert zu haben.

„Oh, hi Julian.“ meinte Alex und zwang sich, möglichst locker zu wirken. Nicht ausgerechnet Julian, bitte nicht. Es war nicht so, dass er ihn nicht mochte – die beiden hatten sich eigentlich immer gut verstanden und waren auch so etwas wie Freunde gewesen, hatten sich jedoch nach dem Abi aus den Augen verloren. Es gab einen anderen Grund, aus dem Alex sich in Julians Gegenwart unwohl fühlte und warum er ihn gerade jetzt auf keinen Fall sehen wollte.

Es begann mit seinem bereits beschriebenen Lächeln und endete mit seinem Körper und auch sein Verhalten Alex gegenüber spielte mit rein: Julian übte quasi schon immer eine unheimliche Anziehung auf ihn aus, so stark, wie er es bisher noch bei keiner anderen Person erlebt hatte. Alex wollte ihm nahe sein, Zeit mit ihm verbringen, ihn berühren und noch viel mehr – Dinge, die er sich selbst aber verboten hatte, überhaupt nur vorzustellen. Und jedes Mal aufs Neue bekam Alex ein schlechtes Gewissen, weil er das nicht wollte, weil er doch hetero war und weil er genau wusste, dass sich so Liebe anfühlen musste. Und jetzt, wo sein Selbstvertrauen unter Lisa in dieser Hinsicht so stark gelitten hatte, konnte er Julians Ausstrahlung einfach nicht ertragen, geschweige denn standhalten.

Der Freund schien von Alex Gefühlen und seiner momentanen Abneigung allerdings keine Ahnung zu haben, denn Julian war genauso nett und gesprächig wie immer.

„Na, wie geht’s dir so? Lange nichts mehr gehört!“ begann er das Gespräch und grinste Alex dabei breit an. Dieser wollte in diesem Moment einfach nur weg von hier, denn er merkte schon wieder, wie er bei Julians Anblick ganz schwach wurde. Da es aber doch ziemlich unhöflich gewesen wäre, sich einfach umzudrehen und abzuhauen, versuchte Alex, sich so gut es ging zusammenzureißen.

„Mir geht’s gut, und dir so? Ich studiere jetzt Architektur hier in München.“

„Echt? Cool! Ich bin jetzt auch in München. Biologie.“ Das passt zu Julian, dachte sich Alex. Tiere, Pflanzen und Natur fand er schon immer spannend.

„Hört sich gut an. Du, ich hab leider nicht so viel Zeit, habs gerade ein bisschen eilig, aber vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ versuchte Alex sich möglichst geschickt aus der Affäre zu ziehen. Er war gerade wirklich nicht in der Lage, dieses Gespräch zu führen, ohne in Tränen auszubrechen.

„Klar, kein Problem. Hast du morgen Lust, mal zusammen was Trinken zu gehen? Ist ja Freitag…“ meinte Julian und schien regelrecht begeistert von dieser Idee. Alex war es nicht, denn sein Verlangen nach dem Freund war schon wieder deutlich zu groß. Aber gut, ein paar Stunden würden schon gehen…

„Gerne, warum nicht? Ich schreib dir später mal, wann es gehen würde, okay?“ antwortete Alex und versuchte, zum Abschied nochmal zu lächeln, dann trennten sich die beiden wieder.

Den Abend verbrachte Alex größtenteils in seinem Zimmer. Emma, Leon und Vanessa, seine drei Mitbewohner, wollten ihn noch ins Kino mitnehmen, doch Alex konnte sich unter dem Vorwand, ihm ginge es nicht wirklich gut, herausreden. Das war eigentlich noch nicht einmal gelogen, denn bei dem Gedanken an Lisa oder an Julian bekam Alex inzwischen sogar Bauchschmerzen. Während die drei anderen also irgendwann ohne ihn aufbrachen, ging Alex ziemlich früh ins Bett, in der Hoffnung, dass er diese Nacht besser schlafen könnte, als in der letzten. Zu seiner eigenen Überraschung gelang ihm dies sogar, und so driftete er relativ schnell ab in eine kalte und farblose Dunkelheit.

Am nächsten Tag waren die Bauchschmerzen verschwunden und auch Albträume hatte Alex keine mehr gehabt, weswegen er sich sogar relativ erholt fühlte. Als er beim Frühstück daher gar nicht mal so schlecht gelaunt war wie die Tage zuvor, hob Emma nur fragend eine Augenbraue, sagte aber sonst nichts.

Der restliche Tag verlief erst mal ereignislos, erst am späten Nachmittag wurde Alex wieder etwas nervöser, als sein Treffen mit Julian näher rückte.

„Na, du wirkst ja ganz schön nervös.“ bemerkte auch Vanessa, als Alex ihr in der WG-Küche begegnete, wo er gedankenverloren in die Luft gestarrt hatte, während sein Bein unruhig zitterte.

„Haha jaa, kann sein…“ versuchte Alex, der sich ertappt fühlte, sich herauszureden. „Und, was hast du so geplant am Wochenende?“ Ablenkung ist immer gut, dachte er sich.

„Hm, eigentlich nicht so viel. Am Sonntag wollte ich vielleicht zu meinen Eltern fahren. Morgen muss ich lernen. Und du so?“

„Hab auch nichts vor soweit. Wobei, doch, heute Abend treffe ich mich mit einem Schulfreund von mir. Wir gehen in diese Bar, wo wir letztens mal zusammen waren.“

Das schien Vanessa zu freuen, denn auch ihr war Alex schlechte Laune die letzten Tage nicht entgangen. „Klingt doch cool! Viel Spaß wünsche ich dir.“

Es war 18:30. Noch eineinhalb Stunden, bis Alex mit Julian verabredet war. Lächelnd verabschiedete er sich von Vanessa, dann ging er ins Bad, um sich zu duschen und für den Abend fertigzumachen.

München, Glockenbachviertel, acht Uhr Abends. Es war ein Freitag Ende Oktober, doch die Stadt schien sich immer noch verzweifelt an den Spätspätspätsommer zu klammern. Überall waren Menschen unterwegs, die angesichts der immer niedrigeren Temperaturen erstaunlich optimistisch gekleidet waren. Sie lachten, waren fröhlich und zogen von einer Lokalität zur nächsten.

Alex hatte jedoch keine Aufmerksamkeit für sie übrig, Lisas Worte gingen ihm gerade einfach nicht aus dem Kopf. Außerdem machte ihn der Gedanke daran, gleich Julian zu treffen, ziemlich nervös. „Ich bin nicht schwul.“ sagte er immer wieder zu sich selbst, doch wirklich überzeugend fand er das nicht.

Julian war noch nicht da, als Alex die Bar betrat, in der die beiden sich verabredet hatten. Er ging trotzdem schon mal nach drinnen, setzte sich an einen freien Tisch und bestellte ohne darüber nachzudenken einen Shot. Vielleicht löst Alkohol ja doch Probleme, dachte Alex sich nebenbei, während er nach seinem Kumpel Ausschau hielt und das Schnapsglas in einem Zug leerte.

Als Julian dann endlich kam – etwa zehn Minuten zu spät, der Pünktlichste war er noch nie gewesen – hatte Alex schon zwei weitere Gläser geleert und die Bedienung begann bereits, ihm seltsam besorgte Blicke zuzuwerfen.

„Hey, sorry, die U-Bahn mal wieder. Musstest du lange warten?“, begann Julian das Gespräch, als er leicht außer Atem den Tisch erreicht und seine Jacke ausgezogen hatte.

„Nee du, nur zehn Minuten oder so, kein Problem.“ erwiderte Alex schon mal deutlich lockerer als noch am Tag zuvor. Der Alkohol schien nicht so schlecht zu sein in diesem Moment. „Willst du auch was mittrinken? Ich hab mir schon mal ein bisschen was bestellt gehabt…“

„Na du hast es ja mal wieder eilig. Klar, bin dabei.“ grinste Julian ihn an.

Der Abend gestaltete sich deutlich positiver und fröhlicher, als Alex das befürchtet hatte. Die beiden redeten über alles Mögliche – Erinnerungen aus der Schulzeit, wie sehr sich ihre beiden Leben innerhalb dieser kurzen Zeit an der Uni in der neuen Stadt bereits verändert hatten und über viele andere Belanglosigkeiten. Eher unbewusst behielt Alex seine Geschwindigkeit beim Trinken mehr oder weniger bei, so dass er sich nach einiger Zeit bereits etwas schwummerig fühlte und merkte, wie er langsam aber sicher die Kontrolle über sich verlor.

„Ich sollte damit aufhören, ich muss mich beherrschen können“ war das letzte, was Alex klar dachte, bevor der Alkohol sein Übriges tat.

Die Zeit verging schnell und unbemerkt, aus acht wurde neun, aus neun wurde zehn und spätestens um halb elf bekam Alex aufgrund des Alkohols von der Uhrzeit und anderen Dingen nicht mehr so sehr viel mit. Daher entging es ihm auch, als ein Mädchen, das ungefähr in seinem und Julians Alter war, die Bar betrat, sich kurz zwischen den fröhlich feiernden Gästen umsah und dann zielstrebig auf den Tisch der beiden Jungs zuhielt. Lisa.

Ihre Miene lag irgendwo zwischen unterschwelliger Wut, Triumph und dem Willen nach totaler Zerstörung des Gegners. Nicht, dass Alex das hätte erkennen können, doch auch in seinem Zustand bemerkte er, dass die Stimmung in seinem Umfeld plötzlich kippte – von gefühlter sommerlich-warmer Strandparty zu Kühlschranklagerhaus in der Antarktis, mit vielen kleinen Pinguinen, die unschuldig um ihn herumstanden, um das nun folgende Spektakel bei einer Tüte Popcorn zu genießen. Metaphorisch gesprochen.

Julian konnte natürlich nicht wissen, was hier vor sich ging, doch da er deutlich nüchterner war als Alex, entging ihm Lisas Gesichtsausdruck nicht. „Hi, suchst du irgendwas…?“ setzte er an, doch Lisa ignorierte ihn gekonnt und wandte sich sofort an Alex.

„Soso, hier steckst du also, hatten die anderen also doch recht.“ fuhr sie ihn an – laut genug, dass man es noch drei Tische weiter verstehen konnte. „Wer ist das, ‚Schatzi‘? Dein neuer Freund? Er scheint ja hervorragend zu dir zu passen, wirkt fast so tuntig wie du! Ich hab’s ja schon immer geahnt…“

Im darauffolgenden Moment passierten gleichzeitig ziemlich viele Dinge. Julian saß mit offenem Mund und erstaunt-schockiertem Gesichtsausdruck auf seinem Stuhl, starrte Lisa an und schien hochgradig verwirrt zu sein. Lisa machte ihm Angst, andererseits war er sehr erzürnt über das, was sich diese Furie hier eigentlich erlaubte.

Nach Lisas Auftritt verfiel außerdem fast das ganze Lokal in ein gespanntes Schweigen – die wenigen Leute, die nichts mitbekommen hatten und sich zunächst noch weiterunterhielten, als wäre nichts passiert, nahmen sich ziemlich schnell ein Beispiel an den anderen, verstummten und warteten mit neugierigen Blicken auf die Fortsetzung des Dramas ein paar Tische weiter.

Und dann war da noch Alex selbst, zu dem Lisas Worte langsam durchsickerten und der sich absolut nicht in der Lage fühlte, dieses Gespräch – wenn man es denn so nennen wollte – zu führen. Innerlich verfluchte er sich noch dafür, dass er ausgerechnet heute die Kontrolle über sich verloren hatte, während er versuchte, die richtigen Worte für einen gelungenen Konter zu finden.

„Ähhh“ kam es schließlich wenig geistreich von ihm. „Lisa, isch… ich bin nich’ schwul, das hier ist lächerlich. Und jetzt hau ab, okay!“ Immerhin hatte Alex nach ein paar Worten seine Stimme wieder halbwegs unter Kontrolle.

„Hah, deine Ausflüchte sind lächerlich. Wirklich jeder hat doch gemerkt, dass dein Interesse bei anderen Jungs liegt. Und überhaupt, bist du betrunken?“ Lisas Stimme hatte diesen Ton, mit dem sie Alex schon früher regelmäßig zur Weißglut gebracht hatte, und damals ging es noch um harmlosere Dinge. In diesem Fall ging es für Alex um seinen Ruf, außerdem war er ziemlich betrunken.

„Ich geb dir gleich schwul!“ brüllte Alex, er war so ruckartig aufgesprungen, dass sein Stuhl dabei umfiel, und nun baute er sich vor Lisa auf und war drauf und dran, sie nach hinten zu schubsen.

Das war der Moment, in dem Julian seine Fassung wiedererlangte, er sprang ebenfalls auf und zog Alex von dessen Ex-Freundin weg. „Hey, beruhig dich und mach keinen Scheiß.“ raunte er ihm zu, dann wandte er sich an Lisa: „Keine Ahnung, was dein Problem oder deine Mission ist, aber ich glaube, du gehst jetzt.“

„Hm, und wenn nicht?“

„Das war keine Frage! Wenn du ein Problem mit Alex hast, dann klär es privat mit ihm. Wenn er wieder nüchtern ist. Und jetzt raus!“

Lisa wirkte einen Moment so, als würde sie sich nicht so einfach geschlagen geben, doch dann grinste sie nur, wünschte den beiden noch viel Spaß, drehte sich um und stolzierte davon.

Die Menge um Alex und Julian herum blickte Lisa hinterher, dann warf sie noch einen letzten prüfenden Blick auf Alex, bevor die Gespräche an den verschiedenen Tischen fortgesetzt wurden. Die Show schien für heute beendet zu sein.

Auch wenn Alex nicht mehr ganz klar im Kopf war, so realisierte er doch, was gerade passiert war. Völlig ermattet ließ er sich auf seinen Stuhl zurücksinken und starrte gedankenverloren auf die Tischplatte, bewunderte das Muster im Holz und versuchte ansonsten, so gut es ging mit der Wand hinter ihm zu verschmelzen.

Julian schien einen Moment zu brauchen, um seine Wut auf Lisa herunterzuschlucken und um sich zu beruhigen, dann seufzte er und setzte sich ebenfalls wieder hin. Alex spürte, wie der Blick des Freundes auf ihm ruhte, doch er wagte es nicht, aufzuschauen.

„Okay, magst du mir erzählen, was das hier gerade war, oder soll ich mir einfach meinen Teil dazu denken?“ fragte Julian schließlich, als das Schweigen ungefähr eine Minute angehalten hatte.

Alex zögerte. Es wäre so einfach, Julian hier und jetzt alles zu erzählen; das Schauspiel, das er sich und allen anderen täglich vorspielte, zu beenden. Aber er konnte nicht, noch nicht. Nicht jetzt und nicht hier.

„Nicht hier, okay?“ sagte er dann schließlich auch. Dabei hob Alex den Kopf ein wenig an und begegnete endlich Julians Blick. Dieser war zu seiner Überraschung eher neugierig und doch verständnisvoll – Alex hatte eher mit Wut oder Ablehnung gerechnet.

„Klar, wir können zu mir fahren, das ist nicht so weit. Ist glaube ich sowieso besser, wenn wir von hier verschwinden…“

Ohne einen weiteren Kommentar zahlte Julian die Rechnung für beide, während Alex versuchte, seine Jacke mit möglichst viel Würde anzuziehen. Es gelang ihm in seinem Zustand nicht mehr wirklich. Dann verließen die beiden die Bar und tauchten im Münchner Nachtleben unter.

Draußen, an der kalten Nachtluft, auf dem Weg zur U-Bahnstation, gelang es Alex endlich wieder, klare Gedanken zu fassen. Und diese waren nicht positiv:

„Himmelhergottzefixnochamal, ich bin so ein Idiot, fuck fuck fuck, warum kann ich nicht einmal die Kontrolle über mich behalten, wenn es wichtig ist, wie konnte Lisa mir das nur antun, das war doch genau ihre Absicht, mich vor allen bloßzustellen, na warte, die kann was erleben diese falsche Schlange, reg dich ab Alex, sich aufzuregen bringt nichts, ich muss mich konzentrieren, was soll Julian nur von mir denken, wenn ich nicht überzeugend rüber komme hält er mich am Ende auch noch für schwul. Dann wars das mit unserer Freundschaft und überhaupt werden es alle erfahren und dann bin ich ruiniert, warum ich, ich kann das nicht mehr, kann ich nicht einfach wie jeder andere auch Frauen toll finden, ich will nicht schwul sein. Die anderen sollen das auf keinen Fall merken, ich muss Lisa aufhalten, wer weiß, was sie schon alles rumerzählt hat und vor allem wem, Leon wird sich unglaublich lustig über mich machen, er wird sagen ich bin ein Schlappschwanz, ruhig Alex, ruhig, beruhige dich, atme… ein… aus, noch ist es bestimmt nicht zu spät, ein… aus…, was soll ich Julian nur sagen jetzt, ich hab Angst…“

Julian ging währenddessen neben Alex her, ohne ein Wort zu sagen. Er schaute den Freund nur gelegentlich nervös von der Seite an, wenn er glaubte, Alex würde es gerade nicht bemerken. Auch er war in Gedanken versunken, denn Julian wüsste langsam wirklich gerne, was da gerade eigentlich passiert war. Ihm war aber klar, dass Alex ihm jetzt nicht antworten würde, also schwieg er weiterhin geduldig.

Die Nacht zog vor Alex Augen vorbei, als die beiden durch die inzwischen deutlich ruhigeren Straßen zogen. Für ihn fühlte sich die Außenwelt gerade sehr unreal an, er konnte sie zwar sehen, doch er fühlte sich nicht als Teil von ihr, viel mehr war er in der Blase seiner eigenen Gedanken gefangen. In der Zwischenzeit hatte es begonnen zu nieseln und die wenigen Menschen, die bei diesem Wetter draußen herumlaufen mussten, hatten ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und huschten zielstrebig und nahezu unbemerkt an den beiden vorbei. Nach wenigen Minuten, die sich jedoch wie eine halbe Ewigkeit angefühlt hatten, konnten Alex und Julian die Lichter der U-Bahnstation erkennen, die sich auf dem nassen Asphalt spiegelten. Für Julian war es die Rettung vor der Kälte und der Nässe, für Alex hingegen fühlte es sich wie die letzten Meter in Freiheit an.

Auch die Fahrt verlief fast durchgehend schweigend und nach circa zwanzig weiteren Minuten erreichten die beiden Julians Wohnung. Erst jetzt traute sich Julian, die Stille zu durchbrechen.

„Na, hast du dich wieder ein bisschen beruhigt?“

Die korrekte Antwort auf diese Frage wäre wohl Nein gewesen, aber da es sowohl für ihn als auch für Julian unkomplizierter war, antwortete Alex schließlich mit einem etwas zögerlichen Ja.

„Magst du mir dann erzählen, was das vorhin zu bedeuten hatte? Wer zur Hölle war das?“

Wirklich wohl fühlte Alex sich nicht, aber er wusste, dass er die Fragen besser beantworten sollte. Um Julian als Freund zu behalten, aber auch, um zu verhindern, dass Julian am Ende von selbst auf die Wahrheit kam, die Alex nicht wahrhaben wollte.

„Das war meine Ex-Freundin. Wir haben uns gestritten und sie hat die Trennung wohl nicht so gut verkraftet.“ Das war streng genommen noch nicht mal gelogen.

„Oh, okay. Das tut mir leid für dich. Also, dass ihr euch trennen musstet meine ich natürlich…“ Julian wirkte sehr unsicher, doch am Ende siegte die Neugier. „Aber was meinte sie damit, ob ich dein neuer Freund sei und dass du schwul wärest?“

In diesem Moment fühlte es sich so an, als würde irgendwo in Alex Kopf ein Schalter umgelegt werden – er konnte und wollte das nicht mehr ertragen, und als er sah, wie Julian ihn absolut verständnisvoll, nett und irgendwie auch ein bisschen süß anblickte, brach er auf dem Sofa zusammen und tat etwas, was er sich seit Jahren verkniffen hatte und was er eigentlich auch nicht tun wollte. Alex weinte.

Es begann leise und zaghaft, doch als Julian ihn tröstend in den Arm nahm und an seine warme Brust presste, wurde Alex Schluchzen immer lauter und lauter. So saßen die beiden mehrere Minuten aneinander gekuschelt auf dem Sofa in Julians Zimmer, Alex weinte und Julian strich ihm tröstend über den Arm und murmelte dabei beruhigende Worte.

Alex mochte diese schwache Seite an sich nicht, sie machte ihn verletzlich, und in diesem Fall offenbarte sie die Wahrheit, doch nach einiger Zeit, als er sich langsam wieder beruhigt hatte, musste er zugeben, dass er sich selten so gut gefühlt hatte in den letzten Wochen. All der Druck und Stress war von ihm abgefallen, was blieb war Julian. Julian und seine warme weiche Hand, die ihm schon seit Minuten über den Arm streichelte. Für Alex fühlte es sich in diesem Moment so an, als könnte er sich hier fallen lassen, als könnte er hier endlich einmal er selbst sein. Und so war das, was er als nächstes Tat, auch eher eine Kurzschlussreaktion.

Langsam tastete Alex mit seiner Hand nach oben, bis er die von Julian fand. Als sich die Finger der beiden Jungs berührten, blickte Alex aus verweinten, aber nun beinahe glücklich strahlenden Augen zu Julian herauf, der zuerst etwas überrascht, aber dann ebenfalls sehr erfreut dreinblickte. Dieser Augenblick war für Alex der Schönste, den er je erlebt hatte, da war er sich sofort sicher, und von den Stellen aus, an denen sich ihre Körper berührten strömte eine angenehme Wärme durch ihn hindurch. Von diesen positiven Gefühlen ermutigt, hob Alex langsam seinen Kopf, blickte dem glücklich lächelnden Julian in die Augen und küsste ihn dann - zuerst etwas zögerlich, doch Alex merkte schnell, dass der Freund seinen Kuss erwiderte, und von diesem Moment an gab es für beide kein Halten mehr.

Die nächste halbe Stunde übertraf das tolle Gefühl, das Alex bei der ersten Berührung ihrer Hände gehabt hatte, nochmal deutlich. Er handelte größtenteils aus Reflex und fühlte sich immer noch wie in Trance, doch irgendwann spürte Alex Julians Hand an Stellen, an denen er sich sonst nur selbst berührte. Auch Alex selbst tastete sich immer weiter vor und schließlich lagen die beiden ohne Klamotten und höchst erregt auf der Couch und berührten sich gegenseitig am ganzen Körper.

Dunkelheit. Licht. Der nächste Albtraum. Dann verändert sich die Szenarie. Wärme. Sonne. Eine Hand, die Alex Hand hielt. Dieser hebt den Kopf und erblickt das Gesicht der Person, die er liebt, denn es muss Liebe sein, da ist Alex sich in diesem Moment sicher. Es ist Julian. Julian. Ein Junge. Nein, das kann nicht sein. Das darf nicht sein.

Heftig atmend schreckte Alex hoch. „Wo bin ich?“, fragte er sich. Dann dämmerte es ihm. Er lag immer noch auf Julians Sofa, nackt bis auf die Unterhose. In seinen Armen lag schlafend Julian und auch er sah ungefähr genauso mitgenommen aus, wie Alex sich fühlte. Erschrocken sprang Alex auf, um seine Klamotten zu suchen. Davon wurde Julian wach, er räkelte sich auf dem Sofa und hatte ein glückliches Grinsen im Gesicht. Dieses verging ihm aber relativ schnell, als er sah, wie hektisch Alex versuchte, sich wieder anzuziehen.

„Hey, guten Morgen. Alles okay bei dir?“ Damit traf Julian einen wunden Punkt bei Alex.

„Nein, nichts ist okay. Das gestern war nicht ich, ich war betrunken. Es war ein einmaliges Experiment, verstehst du?“

„Nein, ehrlich gesagt verstehe ich es nicht. Es war doch offensichtlich, dass es dir gefallen hat, also was soll das jetzt?“

„Ich bin nicht schwul, hörst du? Ich! Bin! Nicht! Schwul! Und komm bloß nicht auf die Idee, mich nochmal anzufassen!“ Alex war jetzt richtig in Rage. Wie konnte Julian ihm nur so etwas unterstellen?

Doch auch Julian wurde so langsam wütend. Mit offenem Mund starrte er Alex an, der inzwischen seine Jeans gefunden hatte und versuchte, diese anzuziehen, ohne dabei die Augen von Julian zu lassen oder umzufallen.

„Du hast doch nur Angst! Du bist unglaublich feige, Alex! Dann geh doch und verleugne dich für den Rest deines Lebens selbst, wenn du Spaß daran hast. Ganz ehrlich, du tust mir leid!“ Schon als er diese Worte aussprach, bereute Julian sie, doch die Art, wie Alex mit sich und anderen umging, machte ihn sehr ungehalten.

Alex antwortete gar nicht mehr. Er starrte Julian noch ein letztes Mal böse an, seine blauen Augen waren kalt wie Eis. Danach verließ er fertig angezogen ohne ein weiteres Wort die Wohnung. Als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, sank Julian auf sein Sofa zurück und weinte.

Alex lag in seinem Bett und weinte. Nach seinem dramatischen Abgang bei Julian war er mit versteinerter Miene in die U-Bahn gestiegen, nach Hause gefahren, hatte sich vor seinen Mitbewohnern nichts anmerken lassen, ihnen nur kurz erzählt, dass er bei einem Freund geschlafen hatte, hatte sich dann in sein Zimmer verkrochen und lag nun seit drei Stunden dort, die Tränen liefen seitdem ununterbrochen.

Was sollte er nur tun? Noch nie hatte sich etwas für Alex so richtig angefühlt wie am Abend zuvor mit Julian. Und Julian wollte es offensichtlich auch. Doch Alex konnte das nicht. Er war nicht schwul, zumindest wollte er das selber noch immer glauben. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Tränen hier in seinem Zimmer freien Lauf zu lassen, um dann später vor allen anderen wieder so tun zu können, als sei nichts geschehen. Am besten würde er sich wieder eine Freundin suchen…

Ein Klopfen an seiner Zimmertür unterbrach Alex Gedanken. „Kann ich reinkommen?“ war Emmas Stimme vor der Tür zu hören.

„Nein.“ antwortete Alex schroff. Er wusste, dass er Emma damit wahrscheinlich genauso vergraulen würde, wie er es mit Julian gemacht hatte, doch er konnte nicht mit ihr reden. Er würde sie vermutlich nicht mal anschauen können.

„Alex, mach keinen Scheiß. Ich sehe und hör doch, dass es dir nicht gut geht, und ich werde dich nicht in Ruhe lassen, bevor du mir nicht erklärt hast, was das Problem ist.“

„Emma bitte, geh weg.“ Alex fühlte sich schlecht, als er seine Freundin das bat, aber was blieb ihm schon übrig?

„Lisa war hier.“ kam es nun plötzlich von Emma. Es klang völlig neutral, völlig wertfrei, doch Alex spürte, dass das ein weiterer Grund sein musste, warum sie jetzt mit ihm reden wollte. Da es ihm nach dieser Ansage sowieso die Sprache verschlagen hatte, antwortete Alex einfach gar nicht. Nach zwanzig Sekunden Stille öffnete sich schließlich die Zimmertür und Emma stand im Zimmer. Sie blickte Alex, der nach wie vor komplett verheult auf dem Bett lag, kurz ausdruckslos an, dann ging sie wortlos zu ihm, setzte sich neben Alex und umarmte ihn.

Nachdem die beiden ein paar Minuten so dagesessen hatten, brach Emma schließlich das Schweigen.

„Magst du mir jetzt erzählen, was los ist?“

„Was hat Lisa denn gesagt?“ fragte Alex etwas verunsichert.

„Lisa hat eine ganze Menge gesagt, aber ich möchte deine Version der Geschichte hören.“ antwortete Emma.

Alex überlegte. Er könnte Emma anlügen, wie er es bis jetzt immer getan hatte, doch je weiter er sich in dieses Lügengebilde verstrickte, desto schwieriger würde es für ihn werden, es aufrecht zu erhalten. Außerdem kannte Emma Lisas Version der Geschichte, und da Alex gerade drei Stunden lang in seinem Zimmer geweint hatte, war Alex Version im Vergleich dazu am Ende wohl kaum noch glaubwürdig.

„Najaaa…“

„Ja?“ Dabei lächelte Emma ihn auffordernd an. „Du musst es nicht tun, aber du kannst mir wirklich alles erzählen, das weißt du doch.“

„Ich kann das noch nicht. Es tut mir leid, aber ich bringe es nicht über die Lippen. Vielleicht magst du mir erstmal erzählen, was Lisa so gesagt hat?“ Alex fühlte zwar, dass er sich langsam öffnete, ja öffnen musste, da er sonst daran kaputtgehen würde, doch er konnte es sich noch nicht von selbst eingestehen.

„Also gut, wenn du es wissen willst. Sie hat mir sehr ausführlich von eurem Versuch erzählt, Sex zu haben. Viel zu ausführlich, all diese Details wollte ich ehrlich gesagt gar nicht über dich wissen. Aber jedenfalls kenne ich nun den Grund, aus dem ihr Schluss gemacht habt. Und ich habe gemerkt, dass du mich deswegen angelogen hast Alex.“

„Ja, das stimmt wohl.“ seufzte Alex. Es war vorbei, Emma kannte die Wahrheit, wozu also sollte er sich weiterhin vor ihr verstecken? „Bist du mir böse?“

„Zuerst war ich es, aber dann habe ich eins und eins zusammengezählt und gemerkt, dass du vermutlich einen guten Grund dafür hattest. Was uns zum nächsten Punkt bringt: Lisa meinte ja, dass du bestimmt schwul sein musst.“

„Und was denkst du?“ Alex zitterte zwar ganz leicht, aber im Großen und Ganzen hatte er sich erstaunlich gut unter Kontrolle. Er spürte, dass sich etwas verändern würde und dass es längst zu spät geworden war, um sich dagegen zu wehren. Und das füllte ihn mit Erleichterung.

„Ich denke“ setzte Lisa an und blickte Alex dabei tief in die Augen, „dass das vieles erklären würde. Und was denkst du? Denn das ist die viel entscheidendere Frage.“

„Tja, ich glaube ihr habt recht.“ Alex hatte den Satz ausgesprochen, bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte, und es fühlte sich einfach unglaublich befreiend an. Vorsichtig hob er den Blick und schaute Emma in die Augen, um ihre Reaktion zu beobachten.

Emma lächelte. Sie wirkte fast erleichtert.

„Ich bin froh, dass du mir das anvertraut hast. Weißt du, ich habe schon länger gemerkt, dass du uns etwas verheimlichst, du hast ja schon fast krampfhaft versucht, es zu verbergen. Und als jetzt die Geschichte mit Lisa kam, wurde mir auch schnell klar, um was es wirklich geht. Und dass du es nicht nur vor uns, sondern auch vor dir selbst versteckt hast. Was absolut unnötig war, und deswegen freue ich mich wirklich sehr, dass sich das nun hoffentlich ändert. Die anderen hatten ja schon Wetten laufen, wie lange es noch dauert, bis du die Wahrheit akzeptierst.“

„Wie jetzt, die anderen wussten davon? Warum? Wie denn?“ Alex war fast schon etwas überfordert mit dieser Antwort, denn bis eben hatte er geglaubt, dass er sein Geheimnis perfekt gehütet hatte.

„Weißt du, je krampfhafter du versuchst, etwas vor anderen zu verstecken, desto offensichtlicher wird es für die Leute, die dich wirklich kennen. Und das tun wir inzwischen. Leon wollte schon mit dir darüber reden, aber Vanessa und ich haben ihn davon abgehalten. Wir dachten, dass du dich dadurch nur weiter verleugnet hättest und uns gegenüber wahrscheinlich aggressiv geworden wärest.“

„Und ihr hattet recht. Ich hatte so eine Angst, dass ich gefühlt alles getan hätte, um mir weiter einreden zu können, ich sei hetero. Ich frage mich gerade vor allem, warum ich jetzt so plötzlich aufgegeben habe. Keine Ahnung, was die ganze Zeit mit mir los war, ich habe mich ein bisschen wie fremdgesteuert gefühlt.“

„Tja, was auch immer es war, sei froh darum. Wir haben ja gemerkt, wie du immer weiter daran kaputtgegangen bist. Das hättest du nicht mehr lange durchgehalten, da bin ich mir sicher. Eigentlich solltest du Lisa danken, dass sie so… ähm sagen wir mal unkonventionell… an die Sache herangegangen ist.“ Emma lachte bei diesen Worten.

„Hm, so habe ich das noch nie gesehen, bis eben wollte ich sie noch auf den Mond schießen. Ich habe mich richtig gedemütigt gefühlt. Hat sie dir erzählt, was sie gestern Abend abgezogen hat?“

Emma schüttelte den Kopf und sah Alex fragend an. Als dieser ihr daraufhin von den Vorfällen in der Bar mit Julian erzählte, schien sie doch etwas erstaunt.

„Wow, okay, das hätte ich Lisa jetzt nicht zugetraut. Sie scheint dich auf ihre Art wirklich geliebt zu haben, sonst wäre sie nicht so sehr darauf aus gewesen, es dir um jeden Preis heimzuzahlen.“

„Meinst du? Ich hatte immer eher den Eindruck, sie findet mich langweilig und spießig?“ fragte Alex etwas verunsichert.

„Nein, das glaube ich nicht. Wir haben uns ja auch das ein oder andere Mal über dich unterhalten, dabei hat sie mir immer viel von dir vorgeschwärmt. Wahrscheinlich hat einfach jeder eine andere Art, seine Liebe zu zeigen.“ Bei Emmas letzter Bemerkung brachen beide in lautes Gelächter aus. Daraufhin standen dann plötzlich auch Leon und Vanessa in der Tür.

„Haben wir was verpasst?“ fragte Leon, während Vanessa die erleichterte Grundstimmung der beiden nicht entgangen war. Sie runzelte die Stirn und sah Emma fragend an, die ihr leicht zunickte.

„Was heckt ihr beide hier schon wieder aus?“ fragte daraufhin Leon, dem der Blickkontakt zwischen den beiden Mädels nicht entgangen war. Diese ignorierten ihn jedoch wie so oft – die Fraktion der Jungs und die der Mädchen in der WG waren offiziell eigentlich Rivalen – und stattdessen begann nun Vanessa, zu sprechen.

„Sag, Alex, hast du eigentlich mitbekommen, dass Lisa gerade nochmal hier war?“ fragte sie vorsichtig. Es war wohl ihre Art, sich langsam vorzutasten.

„Emma hat es mir gerade erzählt, ja.“ Alex wusste natürlich sofort, worauf sie hinauswollte, doch irgendwie war ihm gerade danach, die Freundin noch ein wenig zappeln zu lassen. In diesem Moment bemerkte er, dass es seit Tagen das erste Mal war, dass er Freude und Spaß daran hatte, mit seinen Freunden zu reden. Alex fühlte sich so gut wie lange nicht mehr, da war er sich gerade sicher.

„Soso, und was genau hat sie dir davon erzählt?“ hakte Leon nach, dessen Neugierde offensichtlich groß war.

„Nur das, was Lisa mir gesagt hat.“ Auch Emma schien nun Spaß daran gefunden zu haben, die beiden Mitbewohner hinzuhalten. Heimlich zwinkerte sie Alex zu, der frech zurück grinste.

„Ihr seid fies! Hast du ihm auch von Lisas, nun ja, Vermutung berichtet?“ Vanessa verdrehte dabei gespielt die Augen.

„Jaha. Klar doch.“ Emma blieb weiter standhaft.

„Jetzt macht es doch nicht so spannend. Alex, was hast du dazu gesagt?“ Leon schien nun endlich die Wahrheit wissen zu wollen.

Alex horchte kurz in sich hinein. Als er Emma und damit auch sich selbst vor wenigen Minuten schließlich bestätigt hatte, dass er tatsächlich schwul war, war das auf gewisse Weise eine Art Kurzschlussreaktion seines Unterbewusstseins gewesen. Hätte er kurz darüber nachgedacht, hätte Alex sich wahrscheinlich weiterhin selbst verleugnet, doch irgendwas in ihm wollte dieses ewige Verdrängen von Tatsachen wohl endlich beenden. Und Alex fühlte sich nun besser als je zuvor, als diese Last nach all den Wochen, Monaten und Jahren endlich von seinen Schultern gefallen war.

Diesmal war seine Antwort auf Leons Frage daher bewusst gewählt, und es fühlte sich gut an, sie auszusprechen.

„Ich habe gesagt, dass es wohl stimmt.“ Alex sprach mit fester Stimme und senkte bei diesen Worten auch nicht den Blick. Als es raus war, lächelte er zufrieden.

„Wie, echt jetzt? Weißt du wirklich, was Lisa über dich gesagt hat?“ Leon schien es nicht glauben zu können, dass Alex plötzlich so verändert war.

„Dass ich schwul bin, ja.“

„Dass ich das noch erleben darf! Komm, lass dich drücken.“ Auch Vanessa schien sehr erleichtert, als sie Alex in den Arm nahm und ihn fast zu Tode drückte. Leon stand hinter ihr und lächelte zufrieden. Da coole Jungs sich natürlich nicht umarmten, nickte er Alex nur anerkennend zu, während dieser in Vanessas etwas zu starker Umarmung langsam leichte Panikattacken bekam.

„Ich finde, das sollten wir heute Abend feiern. Endlich haben wir den fröhlichen Alex wieder und endlich kann er sich selbst akzeptieren! Wie wäre es mit Pizza für später?“ Dieser Vorschlag kam von Emma und fand auch bei Leon und Vanessa starken Anklang. Die beiden erklärten sich auch sofort bereit, alles dafür vorzubereiten und machten sich auf den Weg in die Küche.

Emma blieb bei Alex. Erst als wieder Ruhe eingekehrt war, sprach sie weiter.

„Ich freue mich wirklich, dass es heute so gekommen ist, wie es gekommen ist, Alex! Ich hoffe, du weißt, dass du mir immer alles erzählen kannst.“ Etwas in ihrem Unterton verriet Alex, dass sie das nicht einfach nur so sagte.

„Ja, ich weiß. Es war dumm von mir.“

„Naja, jeder hat am Anfang wahrscheinlich Probleme, sich zu akzeptieren, wenn er merkt, dass er schwul ist. Bei dir hat es nur eben etwas länger gedauert.“ Das „etwas“ untermalte sie dabei mit Anführungszeichen. „Aber das kann nicht der einzige Grund gewesen sein, warum du vorhin drei Stunden lang am Stück in deinem Bett lagst und geweint hast. Irgendwas Anderes ist doch auch noch, oder?“

Als Emma das sagte, war Alex mit seinen Gedanken augenblicklich wieder bei Julian. Schon merkte er, wie ihm von neuem die Tränen kamen.

„Ich habe etwas Dummes getan. Etwas sehr Dummes.“ murmelte Alex geknickt.

„Magst du mir davon erzählen oder soll ich dich lieber in Ruhe lassen?“ fragte Emma vorsichtig.

„Nein, passt schon, bleib bitte bei mir. Ich merke gerade, dass es mir guttut, mit jemandem über meine Probleme zu reden. Das hätte ich schon viel früher machen sollen.“ Alex seufzte, bevor er weitersprach.

„Ich habe mich gestern mit einem Schulfreund getroffen. Julian. Ich habe dir ja vorhin schon davon erzählt gehabt, wegen der Sache mit Lisa.“

„Ja, stimmt. Erzähl weiter.“

„Jedenfalls ist Julian nicht irgendein Schulfreund. Ich wollte mich erst eigentlich nicht mit ihm treffen, weil ich schon immer etwas mehr als nur Freundschaft für ihn empfunden habe. Ich war verliebt in ihn, auch wenn ich es mir nie eingestehen wollte. Als ich ihn letztens wieder getroffen habe, hat er mich sofort daran erinnert, dass ich auf Jungs stehe, etwas, das ich eigentlich um jeden Preis verdrängen wollte.

Ich habe mich trotzdem mit ihm getroffen, und um meine Probleme zu verdrängen, habe ich mich währenddessen betrunken. Nach der Sache mit Lisa war er dann ziemlich geschockt, aber er wollte wissen, was das eben zu bedeuten hatte. Er hat mich dann zu sich mitgenommen, wo ich es ihm eigentlich erklären wollte, doch es ist anders gekommen. Ich konnte es nicht und habe stattdessen angefangen zu weinen, er hat mich in den Arm genommen und getröstet. Ich war wie gesagt betrunken und es hat sich so toll angefühlt, wie er mich in den Armen gehalten hat. Da hat eine Sache dann zur anderen geführt, und ich habe versucht, mich an ihn ran zu machen. Und er hat sofort mitgemacht. Ich glaube, es war während unserer Schulzeit schon relativ offensichtlich, dass er mich genauso sehr mochte wie ich ihn, auch wenn wir uns natürlich nie getraut hatten, den anderen darauf anzusprechen.

Naja, jedenfalls haben wir gestern immer weitergemacht, bis wir irgendwann nackt auf seinem Sofa eingeschlafen sind. Ich glaube, es war bis dahin das Schönste, was ich je gefühlt hatte, aber als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, konnte ich mir das nicht eingestehen. Ich habe ihn angeschrien, dass das ein Versehen war und dass er mich in Ruhe lassen soll, und er meinte dann, ich solle doch gehen und mich weiterhin selbst verleugnen.

Ich glaube, ich habe ihn verletzt. Verstehst du? Er ist der tollste Junge den ich kenne, ich liebe ihn ganz offensichtlich immer noch, auch wenn ich es nicht glauben wollte, und ihm geht es genauso. Und dann komme ich daher und trete mein Glück mit Füßen. Ich war so ein Idiot! Was soll ich nur tun?“

Gegen Ende seiner Erzählung brach Alex erneut in Tränen aus, so dass er zwischen jedem Satz eine längere Pause einlegen musste. Emma hatte ihren Arm erneut um Alex gelegt und hörte aufmerksam zu. Als Alex geendet hatte, saßen die beiden erst mal eine Weile schweigend da.

„Glaubst du, er wird mich jemals wieder sehen wollen?“ traute Alex sich schließlich zu fragen, als er sich etwas beruhigt hatte.

„Hmm, schwierig. Ich glaube, deine Aktion hat ihn noch viel mehr verletzt, als wenn du ihn einfach von vorne herein abgeblockt hättest. So sind erst alle seine Träume wahr geworden, er war wahrscheinlich ziemlich glücklich damit, und von einem Moment auf den anderen wird er auf den eiskalten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, wie ihm geschieht. Wenn ich er wäre, wäre ich schon ziemlich sauer auf dich. Für ihn muss es sich so anfühlen, als hättest du mit seinen Gefühlen gespielt.“ Emma machte eine kurze Pause, während Alex niedergeschlagen auf den Fußboden starrte.

„Aber wenn er dich wirklich liebt, dann könnte es schon sein, dass er dir eine letzte Chance gibt, wenn du es versuchst. Auch wenn für ihn dabei die Gefahr besteht, dass du ihm nochmal das Herz brichst. Ich kann dir also nicht versprechen, dass er dir die Gelegenheit gibt, dich zu erklären, aber ich denke, du solltest es versuchen.“

Darüber dachte Alex eine Weile nach.

„Danke Emma, ich glaube, du hast recht. Ich muss sofort zu ihm!“ Alex war bei diesen Worten bereits von seinem Bett aufgesprungen.

„Warte doch, vielleicht ist er gar nicht zuhause.“

„Es ist Samstag, und wenn er sich nur halb so beschissen fühlt wie ich vorhin, dann wird er die Wohnung heute wohl kaum noch verlassen.“

„Hm, klingt logisch. Und die Pizza?“

„Oh. Vielleicht sollten wir lieber erst morgen feiern…“

„Schon gut, mach dir kein schlechtes Gewissen. Komm, geh schon und rede mit ihm. Ich drücke dir die Daumen. Den Rest erkläre ich Leon und Vanessa schon.“ Bei diesen Worten zwinkerte Emma ihm zu.

„Danke, Emma. Bis später.“ Alex umarmte die Freundin noch einmal, dann war er schon auf dem Weg zur Wohnungstür.

Alex glaubte nicht an Schicksal. Wer tut das schon? Doch als er in der U-Bahn auf dem Weg zu Julian saß, fühlte er, dass dieser Moment von einer höheren Macht so vorherbestimmt sein musste. Er hatte gerade seine Kopfhörer in die Ohren gesteckt und Musik angemacht, als Lisa bei der nächsten Station einstieg und nur eine Tür von ihm entfernt zu Stehen kam. Sie erblickte Alex sofort und sah ihn provokant an. Alex senkte den Blick nicht. Sein Handy spielte „Can you forgive her?“ von den Pet Shop Boys. Die Worte drangen in Alex Ohr.

„She’s made you some kind of laughing stock

Because you dance to disco and you don’t like rock

She made fun of you and even in bed

Said she was gonna go and get herself a real man instead”

(Pet Shop Boys – Can you forgive her?*)

Die beiden sahen sich immer noch direkt in die Augen. Lisas Gesichtsausdruck wirkte triumphierend und etwas überheblich.

„So ask yourself now

Can you forgive her

If she begs you to?

Ask yourself

Can you even deliver

What she demands of you?

Or do you want revenge?

But that’s childish, so childish”

(Pet Shop Boys – Can you forgive her?*)

Alex starrte ausdruckslos zurück. Die U-Bahn erreichte die nächste Haltestelle. Alex stand auf, drehte sich um und stieg aus, ohne nochmal zurückzublicken. Er wusste nicht, ob er Lisa vergeben könnte. Vielleicht irgendwann? Sie hatte versucht, ihn zu demütigen, und es war ihr zeitweise gelungen. Aber sie hatte ihm durch ihr Verhalten auch geholfen, sein wahres Ich zu finden. Alex schüttelte kaum merklich den Kopf und machte sich auf dem Weg zum Ausgang. Der Zug fuhr an und verließ den Bahnhof. Lisa war weg. Der Spuk hatte ein Ende. Ein für alle Mal.

Ein paar Minuten später stand Alex vor Julians Wohnungstür. Ihm gingen allerlei Gedanken durch den Kopf, und plötzlich hatte er Angst, dass Julian ihm vielleicht nie vergeben könnte. Dass er ihn ablehnen könnte und Alex sich mit seiner eigenen Dummheit den Jungen genommen hatte, den er doch eigentlich so sehr wollte. Es dauerte daher eine Weile, bis er sich traute, die Klingel zu drücken.

Es erklangen leise Schritte im Flur, die lauter wurden, je mehr sie sich näherten. Die Tür ging auf und dahinter stand Julian. Er sah zutiefst niedergeschlagen aus, doch als er Alex erblickte, ging ein Ruck durch seinen Körper.

„Was machst du hier?“ fragte Julian bemüht distanziert.

„Julian, bitte hör mir zu, das mit heute Morgen tut mir so unglaublich leid.“ Die Worte sprudelten nur so aus Alex heraus. „Ich war so ein Idiot. Du bist der, den ich immer wollte und das, was wir gestern miteinander hatten war das vielleicht schönste Gefühl, das ich je erlebt habe. Und dann komme ich und mache alles kaputt, weil ich zu viel Angst hatte, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Ich hatte so eine Angst davor, schwul zu sein, dass ich dadurch das vielleicht größte Glück meines Lebens zerstört habe. Ich weiß, du wirst es wahrscheinlich nicht hören wollen, aber bitte Julian, bitte gib mir noch eine Chance. Ich habe eingesehen, dass ich mich nicht für den Rest meines Lebens selbst verleugnen kann, und ich habe erkannt, dass ich nie etwas so sehr wollte wie mit dir zusammen zu sein. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen!“

Je mehr Alex sagte, desto schwerer fiel es Julian, seinen ausdruckslosen Gesichtsausdruck aufrecht zu erhalten. Er wollte es Alex nicht so einfach machen, doch gleichzeitig konnte er sich nach heute Morgen nichts Schöneres vorstellen als diesen Moment. Julian hatte sich bereits damit abgefunden gehabt, dass er Alex nie wiedersehen würde, und nun stand der Junge, für den er schon seit gemeinsamen Schulzeiten schwärmte, doch noch vor seiner Tür und wollte um seine Liebe kämpfen.

Julian war daher sprachlos, und so entstand erst mal Stille, als Alex geendet hatte.

„Bitte Julian, sag doch etwas.“ flehte Alex, der Julians Schweigen falsch interpretiert hatte. „Ich verstehe, wenn du mich nie wiedersehen willst, aber du musst wissen, dass ich es bereue, wie ich mit dir umgegangen bin.“

„Alex… Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen gehabt, dir nicht so schnell zu verzeihen, einfach weil es mich wirklich sehr verletzt hat… Aber das, was du hier gerade gesagt hast, war insgeheim das, was ich mir seit heute Morgen am meisten gewünscht habe. Ich…“ Mehr konnte Julian nicht mehr sagen, denn er brach vor Glück in Tränen aus. Alex wiederum hatte begriffen, was Julian ihm da gerade gesagt hatte und spürte daher selbst ein unglaubliches Glücksgefühl in sich.

„Danke, Julian! Ich war so dumm, aber ich bin bereit, meine Fehler wieder gut zu machen.“

Bei diesen Worten kam Julian auf Alex zu und umarmte ihn. Alex legte seine Hände um Julians Kopf und sah ihm tief in die Augen. Dann küssten sie sich vorsichtig, und in diesem Moment spürten beide, dass sie eine wunderbare gemeinsame Zukunft haben würden.

Vorsichtig löste Julian sich aus der Umarmung, trat einen Schritt zurück und lächelte Alex glücklich an.

„Komm doch rein.“ sagte er mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen.

Alex seufzte vor Erleichterung und vor Glück, dann betrat er ein zweites Mal Julians Wohnung. Diesmal würde die Geschichte einen anderen Ausgang nehmen, da war er sich sicher. Dann schloss sich die Tür hinter den beiden.

*

Pet Shop Boys – Can you forgive her?

Komponist: Chris Lowe, Neil Tennant

Textdichter: Chris Lowe, Neil Tennant

Verleger: Parlophone Records Ltd

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