zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die letzte Rose

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Als ich an diesem Morgen aufwachte, dachte ich nicht im Geringsten daran, dass sich mein ganzes Leben völlig verändern würde. Ich sprang voller Freude aus dem Bett, um gleich zu Luca, meinem Schatz, zu fahren. Er konnte die letzte Nacht nicht bei mir verbringen, da seine Oma Geburtstag hatte.

Siebzig wurde sie, und da war ein rauschendes Fest angesagt... na ja zumindest so rauschend, wie Senioren feiern können. Aber ich wäre da völlig fehl am Platze gewesen. Seine Großeltern waren, wie fast alle älteren Menschen auch, der Überzeugung, dass Schwule nicht normal wären. Tja und da konnte Luca ja schließlich nicht mit mir aufkreuzen. Also blieb ich zu Hause. Obwohl es mich doch ein wenig störte, aber ich konnte es verstehen. Ich war glücklicherweise mit sehr verständnisvollen Großeltern gesegnet.

Ich hatte mich bereits vor gut einem Jahr geoutet und alle hatten es gut aufgenommen. Luca war meinen Eltern seitdem sehr ans Herz gewachsen. Er war eigentlich mehr bei mir, als bei sich zu Hause. Er hatte sich noch nicht geoutet und würde das in naher Zukunft auch sicherlich nicht machen. Seine Eltern waren so konservativ, wie man nur sein konnte. Sobald das Thema »Schwul« nur irgendwie angeschnitten wurde, wechselte entweder seine Mutter oder sein Vater abrupt das Thema. Naja. Solange sie nicht öffentlich Schwule herunter machten, war mir das völlig egal.

Ich lief also ins Bad und begann mich anzuziehen. Während ich mir die Zähne putzte, dachte ich daran zurück, wie wir uns kennengelernt hatten. Er kam vor zwei Jahren aus Italien in unsere Stadt. Allerdings hatte er dort auch nur knapp fünf Jahre gelebt, geboren war er nämlich in Deutschland. Also recht verworren alles. Naja, die Hauptsache war, dass er jetzt hier bei mir war.

Ich begegnete ihm zum ersten Mal in der Schule, denn da er genauso alt war wie ich, kam er in meine Klasse. Und wie es der Zufall wollte, war neben mir der Platz noch frei. In der Pause fragte er mich dann alles Mögliche über die Schule. Er schaute mir dabei so tief in die Augen, wie nie ein Mensch zuvor. Da war es um mich geschehen. Diese Augen... dunkelblau und tief wie der Ozean. Ich wusste noch genau, dass ich damals nicht in der Lage war, irgendetwas zu sagen. Tja, zum Glück ergriff er die Initiative und küsste mich einfach. Der Rest der Klasse applaudierte erfreut, (ich hatte mich damals gerade geoutet) und beide wurden wir knallrot. Seit diesem Tag vor zwei Jahren sind wir unzertrennlich.

Inzwischen waren meine Zähne sauber und ich zog mich vollständig an. Ich lief in die Küche, begrüßte meine Eltern und schnappte mir im Vorbeigehen ein Brötchen. Nach einem prüfenden Blick aus dem Fenster beschloss ich, doch lieber eine Jacke mitzunehmen, denn es sah nach Regen aus. Aber auch dieses Wetter konnte mir meine gute Laune nicht verderben. Ich lief aus dem Haus und setzte mich ins Auto. Auf der Fahrt zu unserem Treffpunkt fiel mein Blick auf den kleinen Delphin-Anhänger am Rückspiegel, den mir Luca zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ich lächelte still vor mich hin. Diesen Geburtstag werde ich auch nie vergessen.

Ich bekam von Luca die Augen verbunden und musste mich im Auto auf den Beifahrersitz setzen. Er fuhr mich bis an den Strand. Dort durfte ich die Augenbinde abnehmen und es verschlug mir zunächst einmal die Sprache. Luca hatte direkt am Wasser einen Tisch für zwei Personen aufgebaut, auf dem ein herrliches Essen dampfte. Um den Tisch herum, erhellten Fackeln im Sand die Abenddämmerung. Das Essen war köstlich, aber eigentlich Nebensache. Wir saßen stundenlang bei Fackelschein am Strand und unterhielten uns. Über uns, unsere Familien, Freunde... eigentlich über Gott und die Welt. Irgendwann am Abend schenkte mir Luca den Anhänger, damit ich (wie er meinte) wenigstens ein materielles Geschenk von ihm haben sollte. Meine Beteuerung, ich würde diesen Abend so oder so nie vergessen, zählten für ihn nicht. Ich habe diesen Abend so genossen, wie schon lange nichts mehr.

Nachdem ich so mit meinen Gedanken beschäftigt war, bemerkte ich gerade noch, wie ich an unserem Treffpunkt vorbeifuhr. Shit! Ich drehte um und kam kurz darauf am Parkplatz an. Luca war noch nicht da. Klar, immerhin war ich gut zehn Minuten zu früh. Ich stieg aus dem Auto und lief ein wenig auf dem Parkplatz herum. Meine Blicke schweiften durch die Gegend und blieben an dem Blumenstand auf der anderen Seite hängen. Da stand doch tatsächlich Luca an dem Stand und kaufte etwas.

In dieser Sekunde drehte er sich um und erblickte mich. Sofort erhellten sich seine Züge und er winkte mir stürmisch zu. Er rief mir etwas zu, was ich aber aufgrund der Entfernung nicht verstand. Er lief los und wollte die Straße überqueren. Urplötzlich kam ein Lkw von rechts. Himmel, sah er den denn nicht?

Mir wurde schlecht.

Ich rannte los und brüllte aus Leibeskräften, er solle stehen bleiben. Er hörte mich nicht. Er lief auf die Straße. Der Lkw fing wild an zu hupen. Erst jetzt wandte er den Kopf. Schrecken malte sich auf sein Gesicht. Der Lkw versuchte zu bremsen, doch es war zu spät. Luca wurde erfasst und einige Meter weit geschleudert. Erst jetzt gelang es dem Lkw-Fahrer, sein Gefährt zum Stillstand zu bringen. Ich rannte auf Luca zu. Er sah fürchterlich aus.

Blutergüsse und Schnittwunden überdeckten seinen ganzen Körper, aus einer Platzwunde am Kopf sickerte Blut. Ein Arm lag in einem ungesunden Winkel zum Körper gedreht. Aber er atmete! Ich fiel neben ihn und nahm ihn in die Arme. Er öffnete stöhnend die Augen.

»Ma ... Matthias«

Ich nickte unter Tränen.

»Ja, ich bin es«

»Ich hab sie für dich gekauft...«

Er wies auf eine Stelle rechts von ihm. Mein Blick folgte seinem Arm und durch den Tränenschleier konnte ich eine Rose erkennen. Ich unterdrückte ein Schluchzen und wandte mich wieder Luca zu.

»Bleib ruhig, ein Krankenwagen ist gleich hier. Der kümmert sich um dich!«

Unter wahnsinnigen Schmerzen brachte Luca den Versuch eines Lächelns zustande.

»Den... brauch ich nicht mehr. Matt... «

Er hustete, und ein Schwall Blut ergoss sich aus seinem Mund.

»Matthias... Ich liebe... dich. Werde immer... immer bei... dir bleiben!«

»Nein, Luca... Du bleibst hier, ich brauche dich, ich liebe dich doch so sehr. Lass mich nicht allein.«

Noch einmal huschte ein Lächeln über sein Gesicht, dann schloss er die Augen. Sein Körper erschlaffte.

Ich schrie auf. Ich wollte explodieren. Jede Faser meines Körpers schrie nach Luca. Er sollte hier bleiben. Ich brauchte ihn. Ich schrie, bis ich keine Luft mehr in der Lunge hatte. Es begann leise zu regnen. Jeder Tropfen brannte auf meinem Gesicht wie Feuer. Aus der Ferne hörte ich die höhnische Sirene des Krankenwagens.

Er regnete stärker und mit dem Regen mischten sich meine Tränen, die ich nun bitterlich vergoss. Luca war in meinen Armen gestorben. Er war fort. Ich würde nie wieder mit ihm reden, lachen oder weinen können. In meinem Kopf hörte ich noch immer seine letzten Worte:

»Ich werde immer bei dir bleiben!«

Lesemodus deaktivieren (?)