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Liebe! Liebe?

Teil 2

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Informationen

Vorwort der Redaktion

Liebe Leser,

die folgende Geschichte befasst sich unter anderem mit der Thematik Suizid. Dies ist ein sensibles Thema, das Nickstories.de nicht unkommentiert lassen kann und will. Deshalb haben wir uns entschieden diese Geschichten generell mit einem Vorwort zu versehen.

Für uns ist dieses Thema in Stories kein Tabu, aber wir wollen deutlich machen, dass Selbstmord mit Sicherheit kein Weg ist, um ein Problem zu lösen. Jeder, der sich in einer scheinbar aussichtslosen Lage befindet, sollte wissen, dass er Hilfe finden kann.

Wenn du jemanden kennst, der über diesen Schritt nachdenkt oder ihn geäußert hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen und versuchen mit dieser Person zu reden. Erst dann wird deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist.

Wenn du über Selbstmord nachdenkst, bitten wir dich, Kontakt mit einer Hilfseinrichtung aufzunehmen, bevor du etwas tust, das für deine Freunde und deine Familie ein unwiederbringlicher Verlust sein wird.

Informationen und Notrufnummern findest du z.B. unter: www.telefonseelsorge.de

Vorwort

Die Fortsetzung meiner Geschichte spielt zum größten Teil im nordhessischen Kassel. Marcus und ich sind seit nunmehr einem halben Jahr ein sehr glückliches Paar. Ich wohne zwar noch immer bei meinen Eltern, bin aber die meiste Zeit bei meinem Schatz zuhause. Bewusst gehe ich in meinem zweiten Teil bei bestimmten Dingen nicht ins Detail, denn ich möchte niemanden erschrecken oder ängstigen! Trotzdem entspricht weiterhin alles der Wahrheit, denn im Leben passieren nun mal leider nicht nur schöne und gute Dinge! Ebenso bewusst lasse ich auch meine Familie bei meinen Erzählungen absolut außen vor!

 

Es war einer der typischen Abende in der letzten Zeit. Nicht das ich sagen will, dass bereits der Alltag eingekehrt war, aber so einige Abläufe haben schon einen gewissen Automatismus angenommen, das war aber an sich auch soweit okay. Ich war nach der Schule zu Marcus nach Hause gefahren. Da ich meinen Schatz gerne verwöhnte, kaufte ich noch schnell ein paar leckere Sachen für ein romantisches Abendessen zu zweit ein.

Bei ihm angekommen, mein Großer selbst war noch bei der Arbeit, machte ich mich daran schön zu kochen und die Wohnung romantisch herzurichten. Ich stellte unzählige Teelichter und Kerzen auf, legte eine Kuschelrock-CD ein und brutzelte einen leckeren Nudel-Schinken-Gratin.

»Rrrrrring«, hörte ich die Klingel ächzen.

Wer konnte das sein? Marcus hatte schließlich selber einen Schlüssel.

Ich öffnete die Tür und vor mir standen Achim, der beste Freund meines Lieblings und Torsten, ein weiterer Freund aus ihrer Clique. In der Hand hatten beide etwas zu Trinken und Knabberzeugs.

Zugegeben, hoch erfreut war ich über ihr unangemeldetes Aufkreuzen hier nicht gerade, aber wegschicken konnte ich sie ja nun auch nicht mehr. Schon gar nicht, nachdem Achim meinen Auflauf gerochen hatte und dem köstlichen Duft in die Küche folgte.

Mein Handy klingelte, Marcus war dran.

»Hallo mein Schatz, bin jetzt auf dem Weg zu dir! Sind die anderen Zwei schon da?«, fragte er mich und ich antwortete kurz: »Ja.«

Zugegeben, ich kochte innerlich. Marcus hatte also tatsächlich Freunde von sich eingeladen, obwohl er genau wusste, dass ich einen gemütlichen Abend zu zweit mit ihm geplant hatte. Ich mochte seine Freunde, denn sie waren nunmehr auch meine, aber das fand ich einfach nicht in Ordnung und es machte mich traurig, denn allzu viel Zeit hatten wir durch Schule und Marcus Schichten auch nicht. Außerdem musste ich mich hin und wieder ja auch mal daheim blicken lassen. Aber ich nahm mir vor, mir nichts anmerken zu lassen und vorerst meinen Schatz auch nicht darauf anzusprechen.

»Sag mal, stören wir, oder so?«, bemerkte Torsten völlig richtig als er die Herrichtung der Wohnung genauer betrachtete.

»Ach Quatsch, ihr doch nie.«, log ich etwas maulig.

Ich holte uns gerade etwas zu trinken aus dem Keller, als mir Marcus auf der Treppe entgegenkam. Wir begrüßten uns herzlich und mein Schatz ging selber in den Keller um die Getränke zu holen. Ich kehrte zurück in die Küche und richtete das Essen an. Marcus begrüßte unsere beiden Gäste und kam dann zu mir in die Küche.

»Du Schatz...«, wollte ich ihn auf unseren ungeplanten Besuch ansprechen.

»Ja, mein Kleiner? Weißt du eigentlich, wie doll ich dich liebe?«

Da war es wieder, Marcus typischer Hundeblick und seine umwerfende Schwiegermutter-Art.

»Ach nichts, ich liebe dich auch!«, entgegnete ich völlig machtlos. Ich wollte jetzt einfach keinen unnötigen Streit provozieren.

Der Abend verlief im Großen und Ganzen recht harmonisch, wir schauten DVD, unterhielten uns und ich trank mal wieder viel zu viel Rotwein. Aber auch die anderen Jungs, allen voran mein lieber Gatte, waren gut bei der Sache und mir schon um einiges Voraus. Irgendwann gegen 2.00 Uhr morgens verabschiedeten sich unsere Gäste und fuhren, dank meiner Predigt, mit dem Taxi heim. Auch ich wollte ins Bett gehen, aufräumen könnte ich auch morgen noch. Dachte ich zumindest.

Die andere Seite

Marcus war da wohl anderer Meinung. Mit den Händen in den Hüften stand er in der Tür vom Badezimmer. Man merkte ihm nun deutlich an das auch er zuviel hatte, denn er schien gereizt, was ich sonst kaum von ihm kannte, schon gar nicht mir gegenüber.

»Willst du wirklich das Chaos in Küche und Wohnzimmer so lassen?«, raunte er mir in einem mir bis dahin völlig fremden Ton entgegen.

Ich wusste zunächst gar nicht was ich sagen sollte...

»Ach Schatz, das kann ich auch morgen früh aufräumen, möchte jetzt lieber mit dir kuscheln und so...«, mit einer direkten Anspielung auf unser durchaus aktives und interessante Liebesleben versuchte ich die Stimmung doch noch zu retten.

»Ich geh jetzt ins Bett und du räumst auf, kannst ja dann nachkommen.«, sprach er und verschwand im Schlafzimmer.

»So nicht mein Lieber!«, dachte ich mir und folgte ihm.

Als nächstes fand ich mich auf dem Flurboden wieder und meine Nase schmerzte fürchterlich! War das etwa Blut? Mein Blut?

Was war passiert? Gegen die Tür bin ich jedenfalls nicht gelaufen.

Marcus stand über mir, regte sich aber kaum.

Ich rappelte mich auf und schaute meinen Schatz fragend an.

»Sorry.«, maulte der aber bloß und verschwand mit lautem Türknallen im Bett.

Ich holte mir in der Küche ein Stück Zewa und setzte mich auf die Couch. Langsam kam mir auch in den Sinn was passiert war.

Marcus musste sehr gestresst sein, und dann das Chaos hier...

Ich fing bei dem Gedanken, dass mein so sehr geliebter Schatz mich geschlagen hatte, an zu weinen, aber ich wusste es würde nicht wieder vorkommen, das war nicht Marcus, schließlich hatte er getrunken!

Einen Monat später...

Die Jungs kamen immer öfter bei Marcus vorbei, und oft kochte ich für uns. Teilweise stand ich die Hälfte des Abends nur in der Küche, kochte, räumte auf, spülte und verpflegte unsere Gäste. Sicher, es war nicht unbedingt das, was ich mir unter gemütlichen Abenden vorstellte, aber ich wollte Marcus die Freiheiten geben, die er brauchte. Außerdem mochte ich die Jungs und wir unternahmen auch nach wie vor viel miteinander. Wir waren gemeinsam in der Therme, gingen ins Kino oder einfach nett was trinken. Vorgeglüht wurde dabei meist schon bei einem, jedoch meist bei Marcus, daheim.

Ich akzeptierte es, denn ich wollte einfach mit meinem Schatz so viel Zeit wie möglich verbringen und ihn unter keinen Umständen verlieren! Und hin und wieder gab es auch den Luxus der gemeinsamen, zweisamen und romantischen Abende. Meist dann wenn mein Mann sich doch mal wieder daneben benommen hatte und er wie ein Hund kam und um Verzeihung bat. Da konnte ich ihm einfach nicht böse sein, auch wenn es nach damals noch immer öfter zu ähnlichen Ausfällen seinerseits kam, aber ich liebte ihn doch so sehr und wollte ihn unter keinen Umständen verlieren. Ich war davon überzeugt dass sich schnell wieder alles zum Guten wenden würde, wir brauchten einfach etwas mehr Zeit und Ruhe für uns.

Wahre Freunde

Es war morgens, etwa 06.30 Uhr, als die Stationsschwester ohne Anklopfen in mein Zimmer donnerte.

»Guten morgen Herr D., was macht denn ihr Kopf und ihre Kopfschmerzen?«, fragte sie barsch, fast teilnahmslos.

»Geht so.« , entgegnete ich genauso unfreundlich.

Ich hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und mir den Kopf zermartert. Immer wieder stelle ich mir dieselben Fragen:

Wie konnte es nur soweit kommen?

Was machte ich falsch?

Was war nur los mit mir, warum behandelte mich plötzlich die ganze Welt wie Dreck?

Ich war mit meinem Latein am Ende, aber zum Glück wollte ja Miriam heute Mittag vorbeikommen. Marcus war am Morgen zu einer Fortbildung gefahren. Vielleicht war es auch besser, wenn wir uns erstmal eine Weile nicht sehen würden. Trotzdem fehlte er mir schon jetzt unendlich!

Die Visite kam.

»Was hat denn unser junger Mann für Sorgen, Schwester?«, fragte der Arzt und studierte zusammen mit ihr meine mittlerweile gut gefüllte Krankenakte.

»Schädelbasisbruch, Fraktur des Nasenbeins, Gehirnerschütterung, Schleudertrauma der Halswirbelsäule.«

»Möchten sie mir sagen, wie es zu nächtlicher Zeit zu so etwas kommen kann?«

»Das ist nicht...«, fing ich an verlegen zu stottern.

»Er ist die Treppe hinunter gestürzt, steht alles im Unfallbericht.«, erklärte die Schwester freundlicherweise für mich.

Wenn die wüssten...!

Aber die Wahrheit durfte niemand, absolut niemand erfahren!

Miriam kam schon recht früh und begrüßte mich herzlich.

»Was machst du denn nur für blöde Sachen???«, fragte sie zugleich entsetzt und besorgt.

Mir schossen die Tränen in die Augen.

Gerne hätte ich mich jemandem anvertraut, aber das ging nicht. Nicht bei dieser Angelegenheit. Die musste ich ganz alleine zwischen mir und Marcus klären.

»Ein blöder Unfall, kennst mich doch.«, entgegnete ich verlegen.

»Thomas, erzähl mir doch nichts, dir passieren dauernd irgendwelche Unfälle und nie ist jemand dabei, außer Marcus vielleicht...«

»Lass Marcus da raus! Er kann doch nichts dafür!«, ich spürte wie sich meine Anspannung in Aggression auszudrücken drohte.

»Liegt da etwa der wahre Grund?«, Miriam lief nervös in meinem Zimmer auf und ab.

»Hat er dir all diese Dinge angetan???«

»Bitte geh jetzt, ich brauche Ruhe!«, schrie ich ihr schon fast entgegen und klingelte nach der Schwester.

»Du hast doch keine Ahnung Miriam. Er liebt mich doch!«, sagte ich energisch und drehte mich zur Seite. Ich war unendlich verzweifelt!

»Bitte gehen Sie, Sie können gerne morgen wiederkommen.«, sagte die Schwester, die in der Zwischenzeit herbeieilte.

»Herr D., Sie wissen doch, dass Sie sich schonen sollen! Möchten sie etwas zum Schlafen haben?«, kam der Schatten der Stationsschwester, eine junge Schwesternschülerin besorgt an mein Bett.

»Nein, ich möchte einfach bloß meine Ruhe!«, erklärte ich deutlich.

Achim

Eigentlich mochte ich Krankenhäuser noch nie wirklich. Aber diesmal war alles anders. Hier hatte ich meine Ruhe und man kümmerte sich, mal mehr und mal weniger liebevoll um mich.

Ich war mittlerweile eine knappe Woche auf Station, als am späten Nachmittag eine Schwester mit einem Telefon in mein Zimmer kam.

Rief mein Schatz mich an?

»Kennen sie einen Herrn P. Achim P.?«, fragte sie mich etwas entnervt, weil sie extra mit dem eigentlichen Diensttelefon zu mir kommen musste. »Es scheint extrem wichtig zu sein!«

»Thomas hier.«, meldete ich mich kurz.

»Hallo Thomas, wie geht es dir? Habe schon von deinem Unfall gehört, ist alles in Ordnung bei dir?«

»Geht mir den Umständen entsprechend. Dein Anruf überrascht mich, was gibt es? Ist etwas mit Marcus?

»Kann man so oder so sehen. Ich muss jedenfalls dringend mit dir reden. Aber ich möchte nicht zu dir ins Krankenhaus kommen.«

»Dann musst du es mir wohl am Telefon erzählen, ich weiß noch nicht wann ich entlassen werde.«

»So schlimm?«, Achim klang echt besorgt und zugleich nervös und unsicher.

»Marcus ist nicht der, für den du ihn hältst. Er spielt mit dir...«, weiter konnte er wohl nicht reden.

»Wem sagst du das!!!«, dachte ich kurz böswillig.

»Wie meinst du das, was ist verdammt noch mal los???«, ich saß kerzengerade im Bett und zitterte.

»Ich weiß nicht, wie ich...«, stotterte Achim weiter.

»Sag jetzt, schlimmer kann es eh nicht kommen!«, rutschte es mir raus.

»Marcus hat dich mehrfach betrogen. Er v... sich quasi quer durch die Kasseler Betten. Und tut es wahrscheinlich immer noch.«, er klang fast erleichtert das es aus ihm raus war.

Ich schluckte und hatte mühen meine Tränen und meine Wut zu unterdrücken.

Ein Gefühlschaos brach in mir aus.

Ich liebte diesen Mann, obwohl er mich anscheinend so mies behandelte.

»Danke Achim, ich melde mich!«, schluchzte ich und legte auf.

Seit langem weinte ich mich wieder mal in den Schlaf.

Die Versöhnung

Die zehn Tage von Marcus Fortbildung waren um und ich erwartete ihn heute Abend zurück. Tatsächlich rief er mich mittags an und kündigte für den frühen Abend seinen Besuch an. Ich freute mich!

Als er dann in meinem Zimmer, an meinem Bett stand, war ich einfach nur froh in wieder bei mir zu haben.

Er erzählte dass die Fortbildung nicht sonderlich spannend war, die Kneipen in Darmstadt dafür aber um so genialer. »Wahrscheinlich war er jeden Abend zu bis Oberkante Unterlippe!«, dachte ich böse, während wir uns umarmten. Es war ein komisches, anderes Gefühl bei unserer Berührung. Es war nicht mehr so vertraut, trotzdem genoss ich seine Nähe. Wahrscheinlich konnte ich das, weil ich wusste dass er mir hier nichts anhaben konnte.

Wir unterhielten uns sehr lange und intensiv. Seit sehr langer Zeit hatte ich das Gefühl wieder eine Basis mit ihm zu haben. Er beteuerte immer wieder wie Leid ihm all die Geschehnisse tun würden, und dass er alles unternehmen würde, könnte er sie nur rückgängig machen. Wie er da so saß auf meinem Bett, zusammengefallen und mit traurigem und ehrlich um Verzeihung bittendem Blick... Ich nahm in zärtlich in den Arm und flüsterte ihm leise ins Ohr:

»Wir schaffen das mein Schatz! Ich liebe dich!«

Doch die nächsten Wochen waren alles andere als leicht. Marcus Bemühungen etwas an unserer Krise zu ändern, beschränkten sich darauf ständig und immerzu spitz zu sein. Sicher genoss ich das, schließlich war ich ja auch »nur« ein Mann und der Sex mit meinem Schatz war einfach schön. Wir hatten die ganze Bandbreite, von soft bis hart, von knutschen und fummeln bis zu leichten SM-Spielen mit Fesseln an seinem großen Eisenbett. Zwar hatte ich nicht bei allen dieser Spielchen wirklich einen Lustgewinn, aber mein Schatz war nun mal ein äußerst experimentierfreudiger geiler Kerl. Und so ans Bett gefesselt zu werden, sich dem Partner total hinzugeben, von oben bis unten verwöhnt und anschließend richtig schön genommen zu werden, war ja auch eine durchaus geile Sache. Es war nicht ganz einfach für mich, denn schließlich hatte ich Marcus auch schon anders erlebt. Aber ich liebte meinen Schatz, und ich versuchte ihm wieder zu vertrauen. Und gegen eine Versöhnung im ?ett hatte ich noch nie was!

Schule und andere Probleme

Aufgrund meiner vielen Fehlzeiten, meist durch Krankheit, oder weil ich die Zeit lieber mit Marcus verbrachte, kam es, das ich das Schuljahr nicht schaffte. Zwischen Marcus und mir wurde es immer schwieriger, denn schon bald trank er immer mehr. Fast täglich musste zumindest das obligatorische Feierabendbierchen sein, was ich damals jedoch auch nicht für besorgniserregend hielt. Seine Ausfälle und gewalttätigen Übergriffe auf mich wurden immer unerträglicher, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Mehr noch, ich versuchte, ich wollte ihm unbedingt helfen.

Aber immer wieder klangen mir die Worte von dem Telefonat zwischen mir und Achim im Krankenhaus in den Ohren. Oft saß ich mit quälenden Gedanken alleine zuhause bei meinem Schatz und wartete auf ihn. Oft bis tief in die Nacht, und wenn er dann endlich kam, war er meist total betrunken und wollte Sex. Doch ich konnte nicht mehr. Ich konnte nicht alle Signale, alle Geschehnisse, alle Erlebnisse einfach vergessen. Doch das war Marcus dann auch egal, er bekam immer was er wollte, auch wenn er mir dabei, in doppelter Bedeutung, sehr wehtat.

Stopp

So konnte es nicht weitergehen, sah auch ich endlich die Realität und nahm mir, dank dem guten Zureden von meiner inzwischen besten Freundin Miriam, ein Herz ernst mit Marcus zu reden. Na ja, zumindest nahm ich es mir vor...

Mein Liebling und ich hatten uns an diesem Abend in der Stadt verabredet, wir wollten endlich mal wieder schön zu zweit und in aller Ruhe etwas essen gehen und anschließend noch einen tollen Film im Kino sehen. Ich für meinen Teil hatte mir vorgenommen, endlich mal mit meinem Schatz ein ernstes Wort zu reden. Ja, sogar zur Trennung war ich mittlerweile bereit...

»Hallo mein Schatz, wartest du schon lange?«, kam Marcus in das gemütliche kleine Restaurant, wo wir schon öfter schöne Abende verlebt hatten.

»Kein Problem Großer, bin selbst grad erst gekommen«, log ich, denn natürlich war Marcus mal wieder viel zu spät.

Wir bestellten und plötzlich war Funkstille.

»Sag mal Schatz, bist du eigentlich glücklich mit mir und unserer Beziehung?«, fragte ich mein Gegenüber mit traurigem Blick.

»Aber was soll denn die Frage, Tommy, natürlich bin ich glücklich mit dir! Du bist der einzige für mich und ich liebe dich. Das weißt du doch!«

Soviel Dreistigkeit und krasses Lügen hatte ich noch nie erlebt!

Hielt er mich wirklich für so naiv und blöd???

Ich sprang auf... und mein Teller landete mit einem großen Knall auf dem Fliesenboden.

»Du kannst deine miesen Spielchen mit einem deiner anderen Bettgesellen spielen, mit mir nicht mehr!«, schluchzte ich und lief raus auf die Straße.

Marcus versuchte mich einzuholen, doch er hatte keine Chance, längst war ich durch die vielen kleinen Gassen der Innenstadt verschwunden...

Ich lief, und lief, und lief...

Irgendwann blieb ich stehen, da ich keine Luft mehr bekam und schaute mich um. Ich wusste nicht wirklich wo ich war, aber das war mir auch egal, Hauptsache ich war alleine. Ich wollte niemanden sehen, eigentlich konnte ich mich nicht mal mehr selber leiden!

Es begann zu regnen, irgendwie schien es als würde selbst der Himmel um diese gescheiterte Beziehung weinen...!

Ein bisschen Normalität

Marcus versuchte noch eine ganze Weile mich zu erreichen und mich zurück zu bekommen. Aber ich konnte einfach nicht. Zuviel war passiert. Ich hatte das Vertrauen in die Menschen verloren und eine sehr einsame Zeit lag vor mir. Selbst meine alte Clique hatte sich zerstreut, denn ich hatte in der Zwischenzeit die Schule in Kassel abgebrochen und war komplett zu meinen Eltern und an eine Berufsschule in ihrer Nähe zurückgekehrt.

Langsam konnte ich vergessen und mich wieder in das normale Leben eingliedern.

Etwa drei Monate später...

Etwa ein viertel Jahr später fuhr ich mit meinen Eltern zum shoppen nach Kassel. Es war ein schöner Tag, auch wenn es sehr kalt war und es über Nacht viel Schnee gegeben hatte. Ich konnte dem jedoch nur wenig sympathisches abgewinnen, war ich doch schon immer ein Sommerkind.

Im Shopping-Center angekommen, zogen mein Vater und ich uns zunächst mal in ein Café zurück. Denn was jetzt kam, konnte dauern, drei Frauen auf Einkaufstour...

Wir hatten ein recht interessantes Vater-Sohn-Gespräch, und als ob das nicht schon selten genug war, hatte er auch noch bemerkt, dass ich mich verändert hatte. Von Marcus wussten meine Eltern noch immer nichts, und ich wusste, auch wenn es das einzige war, wo ich mir wirklich sicher war, es war das einzig Richtige.

»Sag mal, kennst du den Mann dort drüben, der starrt dich ja regelrecht an...?«, sagte mein Vater beiläufig und deutete auf... ja, er deutete tatsächlich... auf Marcus!

»Sch...!!!«, dachte ich mir und ich spürte Angst, aber auch zugleich große Unsicherheit und es war immer noch ein Stück Faszination da, die Marcus auf mich ausübte.

Er sah schlecht aus, irgendwie ziemlich mitgenommen, aber durchaus immer noch sehr reizvoll.

»Ich lass euch mal alleine, wir treffen uns später wieder hier.«, sagte er mit einem frechen Lächeln und ging.

»Nicht nötig, komm wir gehen Mutter suchen!«, sagte ich und wollte ihm hinterher eilen.

»Thomas, bitte lauf nicht vor mir weg, lass uns doch wie normale Menschen miteinander reden.«

Das musste ausgerechnet ER sagen! Fassungslos und innerlich tobend vor Wut blieb ich stehen.

»Och Thomas...«, fing er noch mal an.

»Lass das bitte Marcus, das zieht nicht mehr. Es ist zu viel passiert!«, herrschte ich ihn an.

»Komm, setzten wir uns doch und reden. Von Mann zu Mann, die ganze Wahrheit.«, flehte er.

Um die Aufmerksamkeit der anderen Leute Drumherum nicht noch weiter zu verschärfen, ließ ich mich auf seine Bitte ein. Außerdem hatten wir seit der Eskalation damals im Restaurant kein Wort mehr miteinander geredet. Ich wollte wenigstens noch eine Erklärung von ihm haben, das war er mir wenigstens noch schuldig!

Es wurde ein sehr langes Gespräch, ich schrieb zwischendurch meinen Eltern eine kurze Nachricht dass ich mit dem Zug nachkommen würde. Ein paar Stunden später wechselten wir die Lokalität. Auf den Wunsch von Marcus hin, gingen wir wieder in den Pflaumenbaum, das Café/Bar, wo wir unser erstes Treffen hatten. Irgendwie war das ja mies von ihm, aber ich fand es auch süß!

Wir diskutierten heißblütig bis in die frühen Morgenstunden, auffällig war, dass Marcus nicht einen Schluck Alkohol anrührte, während ich genüsslich zwei oder drei Gläser Rotwein trank. Aber das schien ihn auch nicht weiter zu stören. Sollte sich Marcus wider erwarten wirklich positiv verändert haben? Nein, an Wunder glauben konnte ich eigentlich nicht mehr!

Aber ich werde nie die Worte von meiner Oma vergessen: »Jeder Mensch verdient eine zweite Chance!« erzählte sie uns Enkeln immer wieder.

Nur, wie viele zweite Chancen sollte ich Marcus, sollte ich uns denn noch geben?

Da es schon weit nach 2.00 Uhr morgens und ich total erledigt war, kam es, dass ich die erste Nacht wieder bei und... mit Marcus verbrachte. Es war wunderschön, vielmehr, es war wie am Anfang unserer großartigen Liebe! Ich, ich meine natürlich wir, waren wieder dort angekommen, wo wir hingehörten, bei uns.

Schicksal

Ich bin mir eigentlich bis heute nicht ganz sicher ob es Schicksal war, aber anders kann ich mir die folgenden Wochen einfach nicht erklären. Böse Zungen behaupten, mein Schatz Marcus hätte lediglich die gerechte Strafe für die Dinge, die er mir in der Vergangenheit angetan hatte, bekommen. Ich mag das nicht beurteilen, denn selbst meinem schlimmsten Feind wünsche ich nicht das was nun geschehen sollte!

Es muss so gegen 19 Uhr gewesen sein, ich war bei meinen Eltern zuhause und gerade im Begriff auf mein Zimmer zu gehen und etwas fern zu schauen, als mein Handy klingelte.

»Unbekannter Teilnehmer

Ruft an«

Stand auf dem Display und ich hatte keine Ahnung wer das sein konnte. Also ging ich dran.

»Berufsfeuerwehr Kassel, Herman Muffel am Apparat. Ich bin damit beauftragt worden, ihnen mitzuteilen, dass ihr Freund nach einem Arbeitsunfall ins Krankenhaus eingeliefert wurde.«, kam es mir völlig monoton entgegen.

»Wie bitte???«, fragte ich völlig verstört.

»Ihr Freund, der Herr Schulze hatte heute Mittag einen schweren Unfall und musste ins Klinikum eingeliefert werden. Näheres kann und darf ich nicht sagen. Tut mir leid für sie. Auf Wiederhören.«, sprach er weiter und legte auf.

Ich ließ mein Handy aufs Bett fallen uns sackte kraftlos auf den Boden hinunter. Das konnte doch echt nicht wahr sein! Wir waren doch gerade erst dabei unser gemeinsames Leben neu aufzubauen...! Heulend saß ich eine halbe Ewigkeit auf dem Boden, meine Mutter rief mich unzählige Male, aber ich reagierte nicht. Also stand sie plötzlich in meinem Zimmer und sagte eine ganze Weile nichts, stand einfach nur da und beobachtete mich.

»Was ist los mein Sohn, wer oder was tut dir weh?«, fragte sie mich schließlich in einem Ton irgendwo zwischen besorgt und wütend, weil ich auf ihr Rufen nicht gehört hatte.

»Nichts! Lass mich in Ruhe!«, antwortete ich spitz.

Aber da hatte ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht, denn jetzt löcherte sie mich erst recht, sie kannte halt ihren Sohn doch besser als ich vermutete. Auch mein Vater stand nun mit um mich herum und mein lieber Hund Pastor, ein total süßer Schäferhundmischling, gesellte sich ganz nah zu mir auf den Boden.

Eltern

Jetzt konnte ich endgültig nicht mehr. Ich erzählte ihnen alles. Von Marcus und mir und von seinem Unfall heute Mittag.

Das Einzige, was meine Mutter sagte war: »Hatte dein Vater mit dem jungen Mann im Shopping-Center also doch recht. Alles wird gut Thomas, du musst nur daran glauben.«

Mein Vater verließ das Zimmer und ich hörte kurze Zeit später nur das Garagentor.

Ich redete noch eine Weile mit meiner Mutter, bis mein Vater von unten die Treppe herauf rief: »Thomas, kommst du jetzt endlich, oder soll ich alleine fahren?«

Wie? Was? Alleine fahren? Wohin? Ich verstand nur noch Bahnhof!

Ich drängte mich an meiner Mutter vorbei und stieg wortlos zu meinem Vater ins Auto.

Was hatte er vor? Wo wollte er mit mir hin?

Er fuhr Richtung Autobahn 7 Kassel. Langsam dämmerte es mir...

»Ich möchte, dass du jetzt das erste Mal so richtig in deinem Leben zu etwas stehst und dich darum auch mit Herz und Verstand kümmerst. Bitte tue uns den Gefallen. Wir werden immer zu dir stehen, ich habe das alles schon mit deiner Mutter ausführlich besprochen. Es wird Zeit, dass du zu dir selber stehst und das machst was du möchtest. Nur die Zukunft solltest du dabei nicht ganz vergessen.« Hörte ich meinen Vater ruhig und fast schon sachlich erzählen.

Ich hingegen versuchte die ganze Zeit verzweifelt Achim, den besten Freund von meinem Schatz zu erreichen. Vielleicht wusste er ja mehr, schließlich waren sie ja auch Kollegen und meist in derselben Schicht. Aber nichts tat sich. Sein Handy war abgeschaltet und eine andere Nummer hatte ich nicht.

Ansonsten war ich nicht grad zu tiefer gehenden Gesprächen bereit, aber das schien meinen Vater auch nicht weiter zu stören.

»Wo liegt dein Herzblatt denn, nur damit ich weiß, wo ich abfahren soll...«, hakte er bloß kurz nach.

»Sein Kollege sagte Klinikum, ich nehme mal an er meint die Städtischen damit.«

Dann war bis Kassel wieder Funkstille.

»Soll ich im Auto warten, oder brauchst du Unterstützung?«, fragte mich mein Vater besorgt und hielt an einem Seiteneingang des Klinikgeländes.

»Gute Frage. Aber ich denke, ich muss da zunächst mal alleine durch. Aber trotzdem danke Papa. Hab dich lieb!«, entgegnete ich ziemlich ratlos und stieg aus.

»Warte nicht auf mich, ich nehme dann morgen früh einen Zug zurück. Mein Handy habe ich dabei.«

»Ruf bitte an, wenn was ist. Deine Mutter und ich machen uns echte Sorgen!«, sprach er und fuhr weg.

Zunächst einmal musste ich mir den Weg durch die vielen Klinikgänge zum Pförtner suchen. Doch den fand ich dann wider erwarten recht schnell.

Der nette Herr am Empfang teilte mir mit, dass Marcus auf der Intensivstation läge und dort niemand, außer Mitglieder der Familie, hinein dürfte.

Sch..., was sollte ich denn jetzt nur machen? Irgendjemand musste mir doch etwas sagen können!

Also suchte ich zunächst die Intensivstation auf. Vor dem Eingang empfing mich schon Achim.

Sofort bombardierte ich ihn mit tausend Fragen.

Aber Achim stand nur ruhig da und nahm mich in den Arm.

Ich brach unter einem Mix aus Weinkrampf und Nervenzusammenbruch zusammen. Sofort kamen ein Pfleger und ein Arzt und kümmerten sich um mich. Sie gaben mir dann noch irgendwas zur Beruhigung.

Als ich mich schließlich wieder etwas gefasst hatte, erzählten mir die Ärzte und Achim was passiert war. Dabei war das Klinikpersonal insgesamt sehr kooperativ.

Der Unfall

Gegen 09.30 Uhr hatte es Alarm gegeben, eine Lagerhalle in einem Stadtteil von Kassel stand in Flammen. Ein kompletter Löschzug rückte aus, mein Schatz als Stabführer allen voran. Etwa um 11 Uhr musste es dann passiert sein. Ein Teil der Deckenkonstruktion brach unter der großen Hitze zusammen und begrub Marcus unter sich. Ein großer schwerer Stahlbalken hatte ihn am Rücken und Kopf getroffen und drückte ihm den Brustkorb ein. Weil er keine Luft mehr bekam, riss er sich die Atemschutzbekleidung vom Gesicht und zog sich zusätzlich noch eine schwere Verätzung der Luftröhre zu. Aber auch innere Verletzungen waren die Folge des Unfalls.

Die Ärzte konnten mir keine große Hoffnung machen, dass er wieder ganz der Alte werden würde, zu schwer waren seine Verletzungen. Um wenigstens seine wichtigsten Körperfunktionen kontrollieren zu können und auch zwecks besserer Behandlungsmöglichkeiten entschieden sie sich dafür, Marcus in ein künstliches Koma zu versetzen.

In den nächsten Wochen gab es leider wenig gute Neuigkeiten, was den Gesundheitszustand von meinem Schatz anging. Zwischenzeitlich war er sogar von dem künstlichen Koma in ein richtiges, medizinisch kaum noch zu kontrollierendes Koma gefallen und er musste in eine Spezialklinik in der Nähe von Frankfurt verlegt werden. Doch die Ärzte dort verstanden echt was von ihrem Job, und so schafften sie es schließlich nach knapp drei Wochen Marcus zu stabilisieren und ihn ins Leben zurück zu führen.

Zurück im Leben

Es war an einem Samstagmorgen, als ich auf dem Bahnhof von Kassel auf meinen ICE Richtung Frankfurt wartete. Ich hatte mir vorgenommen das Wochenende bei meinem Schatz am Krankenbett zu verbringen. Zwar lag er noch immer im Koma, aber ich hatte in den vergangenen Wochen viel über das Thema gelesen und Untersuchungen zeigten, dass auch Koma-Patienten ihre Umwelt wahrnehmen konnten und es sogar die Heilung positiv beeinflussen konnte.

An der Klinik angekommen, begrüßte mich der leitende Professor freundlich und teilte mir mit, dass sein Zustand weiterhin unverändert sei. Das hieß zwar nichts Gutes, aber immerhin auch nichts Schlechtes. Die ganze Klinik hatte von unserer herzzerreißenden Geschichte gehört und verhielt sich sehr hilfsbereit und völlig unbürokratisch.

So kam es, dass ich wieder etliche Stunden bei Marcus am Bett verbrachte, seine Hand zärtlich hielt und ihm über sein Gesicht streichelte. Alles war wie immer. Ich erzählte ihm wie es in der Schule lief, was es neues in der Welt draußen gab, wie das Wetter war und immer wieder streichelte ich ihn vorsichtig und drückte seine Hand. Schließlich war er an vielen Geräten angeschlossen und ich wollte bloß keinen Fehler machen. Hin und wieder kam Pflegepersonal ins Zimmer und versorgten mich liebevoll mit Essen, aber auch teilweise sogar mit Lesestoff und Musik.

Und dann geschah es, an diesem besagten Samstag. Es war Punkt 14.13 Uhr. Ich war kurz eingenickt, als ich plötzlich spürte wie etwas meine Hand drückte. Es war die Hand, die fest die von Marcus umschloss. Und eben diese war es die mich noch mal zart drückte. Nervös schaute ich zu seinem Gesicht auf, und da war es... das so lang ersehnte Zwinkern seiner Augen. Auch versuchte er etwas zu sagen, das merkte ich deutlich, doch sein Körper war zu stark geschwächt. Geräte fingen an Alarm zu geben, und ich zuckte zusammen. Ich versuchte auf Marcus einzureden, aber im selben Moment kamen auch schon einige Schwestern und Ärzte ins Zimmer und baten mich vorübergehend das Zimmer zu verlassen.

Ich verstand das alles nicht! Was war passiert? Sollte das etwa das letzte Lebenszeichen von Marcus sein? Nein, das konnte nicht sein, Marcus war doch ein Kämpfer!

Etwa eine Ewigkeit später kam der Professor aus dem Zimmer, klopfte mir ermutigend auf die Schulter und teilte mir mit, dass Marcus wieder unter den aktiv Lebenden war. Den vorläufigen Untersuchungen zufolge würde er auch keine irreparablen Schäden davon tragen.

Man, ich war ja so froh! Ich war ja so glücklich! Ich taumelte vor Glück den ganzen Gang lang und rief jedem der mir begegnete fröhlich, »Marcus lebt, er wird wieder völlig gesund!!!«, entgegen. Wir würden das schon schaffen, davon war ich überzeugt! Endlich konnte auch ich wieder Mut fassen! Ich war so unendlich glücklich!

Es war wohl das absolut stärkste Gefühlserlebnis meines Lebens, als Marcus neben mir aufwachte!

Etwa drei Wochen später wurde Marcus dann sogar auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin in eine Reha-Klinik nach Kassel verlegt und ich konnte ihn endlich wieder täglich sehen und herzen. Er hatte sich verändert, er war ruhiger, gelassener und nachdenklicher geworden. Aber das störte mich zunächst nicht.

Wir verlebten viele schöne, gemeinsame Stunden, und wir gingen, eigentlich ging ich und schob Marcus, denn seine Wirbelsäulenverletzung und seine geschwächten Muskeln ließen ein Laufen seinerseits zunächst nicht zu, oft durch die schöne Parkanlage der Klinik. Wir sprachen viel miteinander, auch sehr ernsthaft über unsere Probleme.

Bis... Ja, bis Marcus begann irgendeinen Blödsinn zu reden.

Er sprach plötzlich von Trennung. Davon das er mich für einen anderen freigeben würde, damit ich wieder wirklich glücklich werden konnte. Ständig merkte er an, dass er doch bloß ein mieser Krüppel wäre und ich besseres verdient hätte. Und so weiter...

Dabei hatten uns die Fachärzte versichert, dass er wieder völlig gesund werden würde!

Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Musste ich nicht ganz allein entscheiden wie und mit wem ich glücklich war und es auch weiter sein mochte? Wozu war ich mit ihm durch diese Hölle gegangen? Damit ich mir so etwas anhören musste? Sicher nicht!

Trotzdem besuchte ich ihn weiterhin beinahe täglich und versuchte ihm somit zu zeigen wie wichtig er mir noch immer war. Ja, wie viel wichtiger er mir jetzt sogar noch immer wurde und das uns dieser Unfall zusammen geschweißt hatte!

Aber seine Art wurde immer unerträglicher. Mittlerweile warf er mir sogar vor ihm fremdzugehen. Wie lächerlich und zugleich dreist! Ich verstand die Welt nicht mehr. Er wurde zunehmend kalt und abweisend mir gegenüber und so langsam verlor ich die Lust daran ihn weiter zu besuchen. Aber ich tat es natürlich trotzdem weiterhin.

Bis an dem Tag, als er mich schon beim Empfang anschrie und ich tränenüberströmt weglief. Das war einfach endgültig zuviel für mich. Ich konnte wirklich einiges ertragen, und ich hatte auch gerne diese schwere Zeit mit ihm zusammen durchgestanden. Aber was zuviel war, war einfach zuviel!

Wir telefonierten noch einige Male, alleine schon deswegen, weil ich wissen wollte, wie es gesundheitlich bei Marcus aussah. Er rappelte sich schnell auf und er konnte sogar schon recht bald wieder arbeiten, zunächst im organisatorischen Bereich, später auch wieder im aktiven Dienst. Zwar gingen die Anrufe immer von meiner Initiative aus, aber das war okay.

Da Marcus jedoch seine Einstellung, was mich anging, nicht ändern wollte, trennte ich mich endgültig und unwiderruflich von ihm. Sicher tat es mir weh, und wie, aber ich musste es tun. Denn als Einzelkämpfer stand ich auf verlorenem Posten und hatte somit keine Chance. Ein paar Wochen später brach der Kontakt dann komplett ab.

Auf nie mehr Wiedersehen

Hin und wieder hatte ich noch sporadischen Kontakt zu Achim, der nach wie vor mit Marcus befreundet war, und er hielt mich immer so ein Bisschen auf dem laufenden, wie es sich bei Marcus entwickelte.

Doch diesen Anruf hätte ich lieber niemals bekommen...!

»Thomas? Achim hier.«, sagte eine leise und sehr traurig wirkende Stimme zu mir.

»Bitte setz dich hin, ich habe leider schlechte Nachrichten für dich!«, stotterte er mit tränenerstickter Stimme weiter.

»Marcus ist tot. Man hat ihn im Wald, nicht weit von hier in seinem Auto gefunden. Eine Pistole neben ihm auf dem Beifahrersitz.«, ich merkte wie Achim am Ende war.

»Er hat sich das Leben genommen?«, fragte ich völlig entsetzt und außer mir.

»Ja. Tut mir echt leid. Machs gut.«, antworte Achim und legte auf.

Eine Woche später war seine Beerdigung. Doch ich hatte nicht die Kraft hinzugehen. Später, als alle anderen Trauergäste den Friedhof verlassen hatten, ging ich alleine hin und nahm endgültig Abschied von ihm. Das war ich ihm schuldig! Aber ich hatte auch plötzlich eine völlig neue Art der Freiheit bekommen...

Noch heute gehe ich hin und wieder, fast heimlich hin, denn der Friedhof ist nur wenige Meter von meiner jetzigen Wohnung entfernt...

Die Hintergründe seines Suizides??? Die blieben letztendlich selbst mir bis heute verschlossen. Verschlossen in einem letzten Brief von ihm, den ich bis heute nicht geöffnet habe...

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