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Anders als geplant

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Lucas

Ich hatte lange mit mir gerungen. Richie war echt zum anknabbern – ich traute mich kaum, den Rest der Umgebung auch mal mit Blicken zu bedenken. Er zog sich zwar leider nicht das Shirt aus, wie Hannah versprochen hatte, aber auch so war es ein Segen ihm nur zuzuschauen, wie er fast über die Bühne schwebte und irgendwie losgelöst seine Stimmen sang. Und die Musik war auch gar nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte. Aber es half alles nichts: Ich musste aufs Klo.

Dank des kleinen Publikums waren die Klos noch recht sauber – und allein war ich auch, denn alle anderen hatten entweder mehr Selbstbeherrschung als ich oder vorher dran gedacht, zu gehen.

Ich hatte mich gerade vor eins der Pinkelbecken gestellt als doch die Tür hinter mir wieder aufging. Anscheinend hatte ich einem der Heterojungs ein Beispiel gegeben, dem Grauen, das dies für ihn sein musste, zu entkommen.

Wer auch immer gerade 'rein gekommen war hielt offenbar inne – zumindest bewegte er sich nicht. Ich guckte mich aber nicht um – wollte ja nicht unbedingt die sauberen Toiletten hier doch noch versiffen.

Der Zweitpinkler entschloss sich nun doch, sich weiter zu bewegen, und trat an das Pissoir zwei Plätze neben mir. Nun riskierte ich doch einen Blick rüber –

und wäre fast ins Becken gefallen! Knapp einen Meter neben mir stand niemand anderes als – Richie. Aber der war doch auf der Bühne.

Also offensichtlich war er das nicht, weil er konnte ja nicht gleichzeitig auf der Bühne sein und hier, aber... wieso ging ein Sänger mitten im Konzert aufs Klo??? Ja ich weiß, wenn die Natur ruft, aber das ging doch nicht. Und außerdem hatten die doch sicher ihre eigenen Toiletten.

Während ich in meinem Kopf diese Gedanken hin und her warf hörte ich dann auch, nunja, Pinkelgeräusche.

Oh Gott. das durfte doch nicht wahr sein. Jetzt stand ich hier mit meinem absoluten Traumjungen nebeneinander beim Pinkeln. Ein Teil von mir wollte nur noch weg. Ein anderer Teil wiederum konnte sich nicht losreißen. Ich meine – ich war immerhin mit ihm alleine. Das hätte ich ja schon nie zu hoffen gewagt. Aber ganz sicher hätte ich nicht gedacht, dass wir zusammen hier stehen würden und urinieren.

Wobei das so auch nicht ganz stimmte. Ich stand zwar hier. Und hatte auch noch nie Probleme damit gehabt in „Gesellschaft“, die man so in öffentlichen Anstalten hat, meine Angelegenheit da zu verrichten. Aber in dem Moment – stand ich einfach nur da und konzentrierte mich auf die kleinen Muster in der Wand vor mir und begann zu verstehen wie die alten Herren sich fühlen wenn es eben nicht mehr so... läuft.

Ich konnte doch jetzt auch nicht einfach das Pinkeln anfangen. Was soll der denn von mir denken?

Wahrscheinlich, dass ich ein ganz normal funktionierender Mensch sei, und nicht das verklemmte Etwas, als das ich gerade neben ihm stand.

Ich schaute mal wieder verlegen zu Richie rüber und bemühte mich arg, nicht in Ohnmacht zu fallen. Wie kindisch von mir, aber ich glaube alle meine Denkfunktionen hatten eh ausgesetzt.

Aus meinem unauffälligen 'rübersehen war wohl wieder ein mittleres Starren geworden. Richie war offenbar fertig und am „einpacken“. Dann drehte er sich kurz in meine Richtung, lächelte und sprach in seinem unglaublichen Deutsch Englisch Mix:

„Hey... versteckst du disch? Ist das Concert zu boring?“

Ich stand immer noch am Pinkelbecken. Hose offen. Mit scheuer Blase. Und guckte meinen Traumtypen an. Und sollte jetzt noch in der Lage sein, ihm zu antworten Oh Schicksal hilf mir. Ich verspreche auch nur noch im Sitzen zu pinkeln.

Ich fand einen Rest Sprachvermögen.

„No... Nein... das Konzert ist nett... also gut. Ich muss nur... gerade mal... aufs Klo.“

Eine Meisterleistung.

Er lächelte noch mehr.

„Well, hurry schnell up. Gleich ist finale.“ Dann drehte er sich ab und ging. Ich hörte noch den Wasserhahn, dann die Tür.

Vollkommen perplex drehte ich mich wieder zur Wand. Die Anspannung ließ langsam nach, und endlich konnte ich das erledigen, wozu ich gekommen war. Anschließend stattete auch ich dem Waschbecken noch einen Besuch ab und ging wieder zurück zu den anderen.

Frieda stand allerdings nicht mehr in der Menge: sie saß auf der Bühne auf einem Stuhl. Anscheinend brauchten die Jungs ein weibliches Wesen zum ansingen. Ich ging wieder zu Hannah und David. Letzterer schien nicht ganz anwesend, also wand ich mich an Hannah.

„Was macht denn Frieda da oben?“

„Oh hey da bist du ja wieder wo warst du denn du verpasst ja alles oh die Jungs haben alle solo gesungen oooh es war so süss und jetzt hat Chris Frieda nach oben geholt boah die hat auch immer so ein Glück findest du das nicht auch total ungerecht naja aber wie ich sagte als die alleine gesungen haben ach das war so ich weiss auch nicht besonders Richie auch wenn er sich leider nicht ausgezogen hat aber findest du nicht auch dass er total niedlich ist?“

Ich brauchte einen kurzen Moment um das alles zu verarbeiten.

„Ja, der is schon ganz nett... und wegen dem Ausziehen mach dir keinen Kopp... die Farbe seiner Shorts kenn ich trotzdem.“

Ich hatte das nicht sagen wollen, aber wie bei einem kleinen Kind konnte ich einfach nicht damit zurückhalten. Hannah guckte mich mit großen Augen an und setzte gerade zum Sprechen an, als der einsetzende Applaus mich vor der Nachfrage bewahrte – nur vorerst wie ich wusste.


Das Konzert war um, aber niemand ging. Das ganze Publikum wartete noch in stiller (oder nicht so stiller) Hoffnung darauf, dass die Jungs noch mal für Autogramme rauskommen würden. Wenn sie das vorhatten ließen sie sich zumindest Zeit, vielleicht hatte sie aber auch der Club drum gebeten, auf jeden Fall machte die Getränkebar nun doch noch mal Umsatz.

Auf einmal setzte dann aber bei den ersten Fans doch das bekannte hohe Kreischen an. die fünf stürzten sich in die Menge und waren auch sofort von Karten und Cds haltenden Mädchen umringt, die Signaturen erbettelten.

Eigentlich hielt ich gar nichts von Autogrammen. Was nützte einem die Unterschrift von irgendjemandem auf einem Stück Pappe? Aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen noch mal Richie von ganz nah zu sehen. Außerdem standen die anderen drei auch schon im Pulk, und sogar die Heterojungs waren dabei, wenn auch mit wenig begeistertem Gesicht.

Irgendwann stand ich dann auch wirklich vor ihm. Als er bemerkte, dass ich nichts zum signieren dabei hatte (Was auch? 'Ne Rolle Klopapier vielleicht als Andenken?) zog er routiniert eine Autogrammkarte aus seiner Hosentasche, und schaute mir dann erst ins Gesicht, vermutlich um zu fragen welchen Namen er schreiben sollte.

„Oh du bist hier, too. Wie nice. Wie heißt du?“

„Äh. Äh. Lucas. Mit c.“ Wow. Und ich hatte nicht mal auf meinem Ausweis nachsehen müssen.

Richie fing an zu schreiben, aber brach dann ab.

„Oh, entschuldige mich, ich habe das verschrieben.“

Er zog aus der anderen Hosentasche eine neue Karte, unterschrieb und gab sie mir. Ich stammelte noch irgendein Dankeswort, dann guckte er mir noch einmal in die Augen und wandte sich der nächsten Person zu.

David, Frieda und Hannah kamen zu mir – sie hatten auch jeder etwas „erbeutet“ und verglichen nun ihre Schätze. Ich sah meine Autogrammkarte an. Auch hier drauf sah Richie natürlich umwerfend aus. Ich drehte sie um, um zu gucken ob noch irgendwas über ihn auf der Rückseite stand – mir war aufgefallen dass ich außer seinem Namen eigentlich gar nichts wusste.

Um mich herum wurde die Welt kurz schwarz. Am Rand, neben Richies Kurzbiografie, stand noch etwas mit Kugelschreiber geschrieben.

„Wait outside with your friends! Love, Richie“

Frieda

Alles, woran ich mich erinnern kann, ist, dass es plötzlich hell wurde und vier Männerhände nach mir griffen. David hat hinterher erzählt, dass Chris mich auf die Bühne gerufen hätte, um mit mir ein Stück zu singen, dass sie vorher noch nie gesungen hatten. Hab ich nicht mitbekommen. War wohl zu sehr mit Chris und Izzy beschäftigt. Eigentlich will ich ja Izzy, aber David hat Vorrang. Darum hab ich Chris gebrüllt. Aber hat anscheinend nichts genützt.

Oben auf der Bühne fühlte ich mich total unwohl: 49 Augenpaare starrten mich an. Davon einige mit deutlicher Mordlust im Blick. Und ich? Ich muss richtig scheiße ausgehen haben. Verschwitzt und nicht gut geschminkt im Scheinwerferlicht. Wie sollte ich da einen guten Eindruck auf die Jungs machen?

Jay lächelte mich beruhigend an, legte mir die Hand auf den Arm und beugte sich kurz zu mir:

„Keine Sorge. Geht schnell und tut nicht weh!“ Dann begannen sie ein Lied zu singen, das ich nicht kannte. Ein Liebeslied. Jeder hatte seinen Part und jeder tat irgendetwas mit mir. Während Mikel mich anschmachtete, Chris meine Hand hielt und Richie mir durchs Haar strich gab mir Izzy zum Abschied einen sanften Schmatzer auf die Wange. Für Sekunden war mir schwindelig. Das durfte alles nicht wahr sein! Oder, anders: Das durfte alles noch nicht vorbei sein!

War es aber. Chris griff nach meiner Hand, lächelte mich an und fragte ganz leise:

„Wo genau standest du noch mal?“ Ich zeigte Richtung David und Hannah, die selbst von der

Bühne aus recht gut zu sehen waren.

„Ach genau, ja“, sagte er und lächelte, “ich bring dich runter!“ Er nahm mich am Arm und bugsierte mich in die angegebene Richtung. Mit einem Lächeln verabschiedete er mich, als ich mich anschickte, mich zu meinen Freunden zurückzudrängen.

David

Ich musste schon wieder grinsen, als ich mich umschaute. Hannahs Zähneknirschen war sogar durch das Gebrüll der Fans zu hören und neben mir gab es ebenfalls wenig Großmut zu hören: „Warum haben sie die hässliche Schlampe genommen und nicht mich?“, fragte ein dickes Mädchen aus der Reihe hinter mir so laut, dass ich es hören musste. Ich drehte mich um, sah sie nur an und sparte mir die Antwort. Sie sah ein bisschen aus, wie ein Elefant, der sich in ein Ballkleid gezwängt hatte und danach in ein Wasserloch gefallen war. Mein Blick sagte dann auch nur „Darum!“. Immerhin war sie hinterher still.

Auf Frieda lasse ich nichts kommen.

Plötzlich stand Lucas wieder da, irgendwie maliziös lächelnd und gut drauf. Hannah redete wie wild auf ihn ein. Ich grinste ihn an. Er wirkte zufrieden und lächelte, als wisse er etwas, was wir nicht wüssten.

Frieda hatte mittlerweile Platz genommen und erduldete die reichlich einstudiert wirkenden Liebesschwüre der Jungs. Boygroup bleibt Boygroup, stellte ich resigniert fest, während sich rings um mich die Mädels in ihre Taschentücher schnäuzten. Sie spielten ihre Rollen wirklich ganz überzeugend und waren wirklich unverschämt süß, wie sie so schmachtend um das arme Mädchen umherwuselten. Allen voran Chris. Ich beneidete Frieda um ihren Ehrenplatz – genau wie die Tussen rings um mich – und war doch froh, nicht dort oben zu sitzen, als Chris nach Friedas Hand griff. Ich wäre vermutlich seitlich vom Stuhl gekippt. Oder so.

Dann war das Lied vorbei. Die Jungs scherzten noch ein wenig mit Frieda. Na ja, sie versuchten es. Denn meine sonst so schlagfertige beste Freundin wirkte irgendwie verstört. Nach ein paar Minuten brachte dann Chris sie in unsere Richtung und schob sie mit sanftem Druck in die Reihe zurück. Dabei ließ er seinen Blick über Hannah, Lucas und mich gleiten und blieb bei mir hängen. Er lächelte. Wirklich. Chris stand da und lächelte mich an. Dann hob er die Hand und grüßte eine der Tussen, die mir das Konzert mit ihren „Chriiiiiiis“-Rufen fast verdorben hätten mit einer freundlichen Handbewegung. Und lächelte….mich an?

Kurze Zeit später war das Konzert vorbei. Die Jungs hatten zum Abschied noch ihre erste Single gespielt und zwei Zugaben gegeben. Dann fiel der Vorhang und mit einem Mal war alles – ruhig.

So ruhig wie kreischende Teenies eben sein können.

Ich hatte die größte Lust zu gehen, aber irgendetwas hielt mich zurück. Aber schon an den Gesichtern meiner Begleiter konnte ich ablesen, dass es denen genauso ging. Irgendwie warteten sie auf etwas: Welche Band gibt schon so ein intimes Konzert, um dann kommentarlos wieder weg zu fahren?

Keine. Auch US 5 nicht. Die kamen nämlich kurze Zeit nach dem Konzert aus ihrer Garderobe heraus, um „mit den Fans zusammen zu sein“, wie sich ein Musikmanager hinterher in einem Artikel geäußert hatte. Im Klartext hieß das: Alle anwesenden Fans stürzen so schnell sie können, auf die Band zu, die dann geduldig Autogramme gibt und ein paar warme Worte für die jammernden Teenies findet.

Und ich war mittendrin. Mir blieb quasi nix anderes übrig, als mich auch in die Schlange zu stellen. Und, „Wenn schon, denn schon“, stellte ich mich bei Chris an. Es dauerte nicht halb so lange, wie ich befürchtet hatte, bis ich dran kam. Chris hatte gerade einer hysterisch heulenden Vierzehnjährigen ein Taschentuch geschenkt, als ich an seinen Tisch trat. Ich sagte zunächst nix, weil ich weder was zum signieren dabei hatte, noch ernsthaft daran dachte, Chris zu sagen, wie gut aussehend ich ihn fand.

Chris schien das zu bemerken, jedenfalls wurde sein Lächeln zu einem Strahlen und er nahm eine Autogrammkarte hervor.

„Hey, du bist doch der Freund von dem Mädchen“, sagte er und musste wohl über seine Wortwahl grinsen.

„Ja. Und der Sohn meiner Mutter bin ich auch.“ Hilfe, mein Mundwerk. Nicht, dass er sich jetzt beleidigt fühlte. Künstler sollen ja sehr sensibel sein.

Chris hingegen zwinkerte mir zu und lachte.

„Das will ich doch mal hoffen. Nicht, dass du in Wirklichkeit der Bruder deiner Oma bist.“ Der Mann hatte meinen Humor. Wie doof. Jetzt war ich erst recht angeschossen: Mir hatte es die Sprache verschlagen.

„Wie heißt du?“, Chris machte Anstalten, meine Autogrammkarte mit einer Widmung verzieren zu wollen.

„David“, sagte ich. Und lobte mich innerlich selbst: immerhin hatte ich einen Satz ohne Stottern oder blöden Spruch von mir gegeben.

„Hi David“, sagte er und lächelte mir zu. „Wie hat’s dir denn gefallen? Ich meine, so als Mann bei nem Boygroupkonzert. Biste hier um Frauen abzuschleppen?“

Menno, der Typ wollte ja richtig auf Konversation machen. „Frieda, also das „Mädchen“ hat mich gezwungen, mitzukommen. Sie ist ständig auf Männerfang und hat gedacht, sie könnte dieses Mal euch fangen.“ Ich beugte mich etwas über den Tisch, was mir einen bösen Blick des Securitymanns einbrachte „Und was die Frauen betrifft: Siehst du hier welche?“

Chris lachte laut auf. „Soso, uns wollte sie fangen. Dabei hatte sie doch nur Augen für Izzy, als sie auf der Bühne saß. Und: du hast Recht. Aber ich übersehe sie eh meistens.“ Mit diesem vieldeutigen Satz gab er mir die Autogrammkarte und da die Menge hinter mir das anscheinend als Startzeichen zum Drängeln betrachtete, wurde ich weiter geschoben, ohne, dass ich mich hätte verabschieden können.

Irgendwann stieß ich irgendwo mit Lucas, Hannah und Frieda zusammen, die ich im Gewühl leider aus den Augen verloren hatte. Lucas starrte angestrengt auf seine Autogrammkarte, so als könnte er nicht glauben, was er da las. Frieda schnatterte unentwegt von dem „schönsten Moment ihres Lebens“, als Izzy ihr den Kuss auf die Wange gegeben habe. Und er habe sich sogar noch an sie erinnern können. Das müsse wahre Liebe sein. Hannah hörte angestrengt zu und sah aus, als bräuchte sie dringendst eine Tischkante zum hinein beißen. Ihre freudige Anteilnahme war jedenfalls eher schlecht gespielt. Ich beschloss, nichts von meiner kleinen Unterredung mit Chris zu erzählen.

“Hey Luc“, sprach ich meinen besten Freund an, der immer noch etwas perplex auf seine Karte starrte, „was ist los? Hat er dir einen Heiratsantrag gemacht? Wessen Karte is das eigentlich?“

Lucas starrte mich an wie jemand, der gerade aus dem Koma erwacht ist. „Er….er….er hat“, stammelte er immer noch leicht perplex.

„Was denn?“, fragte ich und war froh, dass die beiden Damen vollauf mit ihrem Erfahrungsaustausch beschäftigt waren.

„Hier“, sagte Lucas und zeigte mir die Karte. Richie hatte ihm darauf tatsächlich eine Nachricht hinterlassen.

„Wie kommt denn das?“, fragte ich verblüfft – und war zu meinem eigenen Erstaunen nicht einmal neidisch. Das muss wahre Freundschaft sein.

„Ich hab ihn vorhin auf'm Klo getroffen und wir haben geredet. Und na ja, dann hat er eben bei der Autogrammstunde das auf die Karte geschrieben“, sagte Lucas mit unschuldigem Blick.

„Auf dem Klo getroffen, soso“, zwickte ich ihn auf. Lucas überhörte das.

„Und was machen wir jetzt?“ fragte er ängstlich.

„Also ich weiß nicht, was du jetzt machst, aber ich gehe jetzt vor die Tür und warte, was passiert, “ sagte ich und ging vor. Lucas folgte mir, mit Gedanken umwölbten Gesicht und auch Hannah schien froh zu sein, endlich aus Friedas Klauen entrinnen zu können, denn sie sprintete quasi, bis sie zu mir aufgeschlossen hatte.


„Boah Jungs“, Hannah klang wütend, „was machen wir denn hier?“ Wir standen jetzt schon geschlagene zehn Minuten in der kühlen Kölner Nacht und warteten. Worauf wir eigentlich warteten, das wusste niemand. Und die Mädels wussten nicht einmal, dass wir überhaupt warteten. Wir hatten stillschweigend beschlossen, ihnen nicht zu sagen, sondern sie einfach mit zu schleifen. Damit sie mal mitbekamen, wie sich so was anfühlt.

Irgendwann waren dann alle außer uns weg. Das Konzert löste sich so schnell auf, wie es gekommen war. Selbst die Sicherheitsabsperrungen waren schon weg geräumt. Es wirkte weiß Gott nicht so, als würde heut Abend noch etwas Aufregendes passieren.

Lucas und ich wechselten besorgte Blicke.

Was, wenn nix geschah? Ich wollte gerade etwas sagen, als die Tür des Roseclubs aufging und ein grimmig guckender Glatzkopf heraustrat.

„Ihr wisst Bescheid?“, bellte er.

„Ja?“, sagte Lucas.

„Dann kommt!“, sagte er ungleich freundlicher und schob uns wieder hinein in den Roseclub.

Lucas

Als wir wieder in den Club geführt wurden saßen US 5 gerade um einen Tisch und hatten anscheinend gerade auf die Show angestoßen. Als sie uns sahen stand Izzy auf und kam zu uns rüber.

„Hi! Cool dass ihr noch geblieben seid.“ Dann ging er zu Frieda. „Wir haben uns überlegt, wo wir dich vielleicht etwas geschockt haben vorhin, können wir dich und deine Freunde doch zur Entschädigung noch zu 'nem Drink einladen. Dabei hast du dich echt super gehalten!“

Davon war aber nichts mehr zu spüren. Frieda stand vor Izzy wie gelähmt. Es tropfte zwar kein Speichel aus ihren Lippen, aber sie sah trotzdem aus wie eine sabbernde Idiotin.

Wir bekamen Getränke und wurden an den Tisch geführt. Ich schaute rüber zu Richie, aber schnell wieder weg als ich merkte, dass er mich ebenso ansah.

„Wie hat's euch denn gefallen?“ fragte Izzy dann, als wir alle Platz genommen hatten. Hannah fand als erste genug Selbstbeherrschung, um zu antworten (oder vielleicht hatte sie auch nur zu wenig davon, um sich zurückzuhalten).

„Also ich fand es ganz toll echt super riesen mega Klasse. Konnte mich gar nicht losreißen.“

„Aber dein Freund konnte sich wegreißen. Ist lieber zum Klo gegangen,“ warf Richie ein. „Aber vielleicht ist auch nicht so interessant für ein Junge wenn er seine Girlfriend begleiten muss.“

Ich sah Hannahs Gesicht. Es hatte dieses Leuchten bekommen. Sie stieg in eine höhere Sphäre des Bewusstseins auf. Welch eine Vorlage. Sie konnte nicht nur verbreiten, dass ich schwul, sondern auch, dass ich noch zu haben war. Was die Jungs vermutlich beides nicht interessierte, sondern vielleicht eher verschrecken würde. Ich musste die Katastrophe stoppen.

„Was, der Lucas? Ach der ist doch nicht mein Freund. Der ist...“

„...der hat nur manchmal 'ne schwache Blase“, unterbrach ich sie. Nichts, was man außerhalb von Windelwerbung einfach so in eine Konversation einstreut, aber mir war nix besseres eingefallen. Aber immerhin war die Klippe umschifft.

„Und ihr?“ fragte Chris nun Frieda und deutete dabei auf David. „Seid ihr zusammen oder hat er auch 'ne schwache Blase?“

Frieda hatte ihr Bewusstsein wiedererlangt. Vielleicht konnte sie mit Chris aber auch einfacher reden, weil sie ihn nicht selber sondern nur für David anhimmelte.

„Nein, nein, wir sind auch nicht zusammen. Wie denn auch, David is genauso schwul wie Lucas. Und Single.“ Sie strahlte.

Bumms. Das saß. Bei mir zumindest. Während sie ja nichts dafür gekonnt hatte, Hannahs Zorn auf sich zu ziehen, hatte sie sich in mir heute schon den zweiten Feind geschaffen.

Es folgte eine kurze aber doch unangenehme Stille. Dann fragte Hannah, um die Situation etwas zu entspannen:

„Ähm... sagt mal, wie ist das denn so da auf der Bühne zu stehen?“

Izzys Gesicht leuchtete auf. „Oh, das ist schon toll. Kommt doch eben mit vor, es ist zwar kein Publikum mehr da, aber wir können sicher die Lichter noch mal anschalten lassen.“

Er stand auf und blickte erwartungsvoll in die Runde. Jay und Mikel grinsten sich kurz an und standen auch auf. Chris und Richie hingegen zogen wenig begeisterte Gesichter.

„Wir haben uns doch gerade erst hingesetzt.“ „Yea, und meinen Füße sind auch noch ganz autsch.“

Hannah und Frieda hatten sich in der Zwischenzeit auch erhoben.

„Na gut,“ meinte Izzy, „gehen wir ohne euch. Was ist mit euch, Jungs, kommt ihr mit oder leistet ihr den Langweilern Gesellschaft?“

Nichts in der Welt hätte mich jetzt hier weg bewegt. David schien es ähnlich zu gehen, er murmelte was von „lange genug gestanden“, also zogen die drei mit den Mädels ab.

Nun saßen wir hier im Quartett. Die beiden Schwuppen mit ihren Angebeteten. David rettete uns davor, wieder in peinliches Schweigen zu verfallen.

„Sag mal Richie, hab ich das richtig gehört, dass du Lucas auf dem Klo getroffen hast? Was macht denn einer der Stars mitten in der Show auf der Toilette, noch dazu auf der fürs Publikum?“

Richie lachte, und ich hielt mich ganz doll an meinem Glas fest um nicht umzukippen.

„Ich musste halt very much, und ich kennte nur diese Klo, weil ich es bei der Probe schon gesehen habe. Ich wusste nicht, dass schon Lucas da war.“

Chris ergriff das Wort: „Der Junge hat echt Nerven. Singt eben seine Solonummer ab und geht dann seelenruhig von der Bühne. Er war gerade rechtzeitig zum Ende wieder da. Weiß Gott was ihr da so lange gemacht habt“. Und grinste mich breit an, während ich mich langsam in eine überreife Tomate verwandelte. Und natürlich nichts raus brachte.

David war offensichtlich viel weniger verlegen als ich.

„Ja, die Solonummern waren auch toll übrigens. Wo hast du denn überhaupt das so gut gelernt, so singen, tanzen und all das?“

Oh weia, der war ja schon total dabei, Chris anzubaggern. und ich traute mich noch nicht mal, Richie in die Augen zu gucken.

Der saß dafür plötzlich neben mir, wo eben noch Hannah gesessen hatte.

„Hey. Brauchst du noch eine Trinken?“

Dringend!

Ich nickte nur. Richie sprang auf und kam kurz danach mit zwei neuen Gläsern an. Er drückte mir eins in die Hand und hielt mir das andere hin. Nun musste ich ihm wohl auch mal in die Augen sehen – wir wissen ja was sonst passiert. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schaute in sein unheimlich süßes Gesicht, stieß an und trank. So wie er. Nur schaute er dabei nicht weg, und ich war so gefesselt davon, dass ich meine Augen ebenso wenig abwenden konnte. So tranken wir Blick in Blick – was nebenbei bemerkt gar nicht so einfach ist.

Nur unterbewusst nahm ich war, wie sich David und Chris angeregt unterhielten. Richie und ich hatten hingegen immer noch kein Wort gewechselt. Ich setzte mein Glas ab, und versuchte es, ohne mich von Richies Augen zu trennen, auf den Tisch zu stellen.

Plötzlich stand ein Mann neben uns, der nicht aussah wie einer der Security Leuten.

„So Jungs“, sagte er, „dann verabschiedet euch mal von eurem Besuch, ihr wisst, es geht früh raus morgen zum Interview. Ich hol euch dann gleich.“ Und ging wieder.

KLIRR machte es als mein Glas auf dem Boden zerbrach. Vor Schreck hatte ich den Tisch verfehlt. Nun riss ich meinen Blick doch weg und hockte mich auf den Boden, um die Scherben einzusammeln. Wieso musste es jetzt schon vorbei sein, wo es nicht mal richtig angefangen hatte.

Dann aber spürte ich Richie neben mir knien. Er legte einen Arm um mich, während er mir mit der anderen beim Sammeln half.

„Keinen Angst“, flüsterte er mir ins Ohr, „wir überreden ihn schon. Hey, wir sind die Stars.“ Dann, urplötzlich gab er mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hole schnell einen Lappen.“ Und sprang auf.

Ich schaute ihm nach. Wo war ich hier gelandet?

Auf dem Tisch stand sein halbvolles Glas. Ich griff danach und trank es aus. Auf Ex.

David

Hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich Frieda hasse? Ich war ja schon immer nachsichtig, freundlich und zurückhaltend gewesen, wenn es darum ging, Frieda ihre kleinen aber zahlreichen Macken und blöden Kommentare nachzutragen. Aber sie würde lange brauchen, um diesen Fehler wieder gut zu machen. Ich hab kein Problem damit, mich zu outen. Aber ich habe ein Problem damit, geoutet zu werden. Und vor allem dann, wenn mir mein absolut heterosexueller Traumtyp gegenübersitzt und mich anlächelt.

Jetzt hatte ich ein doppeltes Problem. Während Hannah die Krise managte, stand ich da, und wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Also starrte ich übergangsweise die gegenüberliegende Wand an und spürte die Blicke der Bandmitglieder auf meinem Körper.

„Nur nicht rot werden“, beschwor ich mich selbst. Ich hatte keine Ahnung, ob es mir gelang. Dann geschah etwas, von dem ich im Nachhinein glaube, dass es abgesprochen war. Die Mädchen wurden von Izzy und Co abgelenkt, während wir mit Chris bzw. Richie alleine gelassen wurden. Also, eigentlich wurden wir gefragt, ob wir mit wollten, aber irgendwie schien nicht einmal Izzy davon auszugehen, dass wir ja sagen würden. Wieso?

Der Rest war Schweigen. Wie peinlich.

Und wenn niemand etwas sagt, dann sage ich irgendwann etwas. So auch in diesem Fall. Zum ersten Mal in meinem Leben sprach ich Richie an. Der war ja durchaus auch ganz süß, wie mir nach einem Seitenblick auf Lucas aufgefallen war.

„Sag mal Richie, hab ich das richtig gehört, dass du Lucas auf dem Klo getroffen hast? Was macht denn einer der Stars mitten in der Show auf der Toilette, noch dazu auf der fürs Publikum?“

Richies Antwort kam prompt: „Ich musste halt very much, und ich kennte nur diese Klo, weil ich es bei der Probe schon gesehen habe. Ich wusste nicht, dass schon Lucas da war.“

Dann, ja dann, sprach Chris. Was er sagte, hab ich nicht verstanden, weil der Klang seiner Stimme mich mehr faszinierte, als das, was er sagte. Mir doch egal, wie er das Techtelmechtel der Beiden auf dem Klo kommentierte. Überhaupt war mir diese ganze Klogeschichte eher ein Dorn im Auge. Und weil David mal wieder damit beschäftigt war, das Blut aus dem Gesicht wieder in andere Körperregionen zu bugsieren, musste wohl ich für die Ablenkung sorgen. Und weil mir halt nix besseres einfiel, stellte ich eine dieser leicht schmachtenden Fanfragen, die Chris bestimmt schon tausende Male gehört hatte.

„Ja, die Solonummern waren auch toll übrigens. Wo hast du denn überhaupt das so gut gelernt, so singen, tanzen und all das?“

Aber Chris war kein Stück genervt, sondern schien eher dankbar dafür, sich mir widmen zu können.

„Ach na ja, ich hab mal in nem Chor gesungen und viel Sport gemacht. Der Rest ist nicht mehr als viel Training. Vor allem das Tanzen kann man echt lernen. Machen wir auch jeden Tag. Zwei Stunden lang.“

Ich bedauerte ihn aufrichtig. „Klingt wirklich stressig. Du kommst sogar hier aus Köln, oder?“

Er lächelte. „Jaaaaaa, tue ich. Und, bevor du fragst, meine Eltern unterstützen mich in allem, was ich tue. In allem.“ Er zwinkerte mir zu und lehnte sich über den Tisch zu mir herüber. „Das fragt mich quasi jeder!“

Ich musste schmunzeln. „Tut mir leid, aber ich war nicht drauf vorbereitet, einen Superstar zu treffen. Können uns ja mal auf nen Kaffee treffen, dann stelle ich dir ein paar klügere Fragen. Solange hab ich nur noch die auf Lager:“, ich räusperte mich und tat geheimnisvoll, „Wo geht man denn in Köln so weg? Wir sind nämlich immer wieder am Überlegen, mal in Köln weg zu gehen, aber weil wir nicht wissen, wohin, lassen wir es meistens. Und wo ich schon nen Insider hier habe...“

Chris wirkte mit einem Mal leicht verunsichert. „Äh....na ja. Kommt auf die Zielgruppe an. Ich bin nicht soooo der Discotyp, sondern gehe höchstens mal auf ne Party. Das Tatys eignet sich dafür ganz gut. Oder halt in eine Bar oder so. Das Dimenti mag ich wirklich gerne.“ Er machte eine Pause, wirkte mit einem Mal etwas sicherer und sagte: „Auf den Kaffee komm ich gerne zurück!“ Und grinste schelmisch.

Irgendwoher kamen mir die Namen bekannt vor. Ganz dumpf. Aber ich konnte in der kurzen Zeit nicht ergründen, woher. Ich würde zu Hause in meinem Köln-Reiseführer nochmals gucken müssen. Erstmal wollte ich nett sein und sagte: „Danke für die Tipps. Werd ich mal ausprobieren.“

Bevor Chris etwas sagen konnte, sprach eine unbekannte Stimme in gebrochenem Deutsch zu uns:

„So Jungs, “ sagte die Stimme „dann verabschiedet euch mal von eurem Besuch, ihr wisst, es geht früh raus morgen zum Interview. Ich hol euch dann gleich.“

Wieder wollte Chris etwas sagen, aber dieses Mal klirrte es neben uns. Lucas hatte es tatsächlich geschafft, sein Glas auf den Boden zu werfen. Richie schien ihn ganz schön zu verwirren. In jedem Fall machte der blonde Amerikaner sich sofort daran, die Scherben aufzulesen.

Chris beachtete die Beiden nicht weiter. Er sah mir in die Augen und lächelte leicht. „Das war Marc, unser Manager. Er will immer, dass wir früh ins Bett gehen. Okay, wir haben auch viel vor morgen. Ich gehe gleich mal raus und rede mit ihm.“

Ich nickte und hielt seinem Blick stand. „Das kann ich mir vorstellen. Was liegt denn an?“, fragte ich.

„Oh, ein Radiointerview, Training im Hotel und dann noch ein Promoauftritt in den VIVA Studios“, sagte Chris lächelnd.

Ich konnte mir nur mühsam die Frage verkneifen, in welchem Hotel die Jungs abgestiegen waren. Aber das zu fragen wäre dann doch zu aufdringlich gewesen. Chris stand auf, lächelte mir aufmunternd zu und meinte: „Ich gehe eben mal kurz und rede mit Marc.“ Dann war er weg. Richie war ja schon weg und Lucas war nicht ansprechbar. Er saß immer noch da und starrte auf die Tür, durch die eben Richie und Chris verschwunden war.

„Alles klar?“, wisperte ich. Er reagierte nicht. Ein schwerer Fall, dachte ich und schmunzelte. Dann war Chris wieder da. Mit zwei Gläsern O-Saft in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen. „Wenn wir uns langsam fertig machen, dann haben wir noch eine Stunde“, sagte er fröhlich.

„Hmmmm“, sagte ich abwesend und schaute ihn verwirrt an. Wir uns langsam fertig machen. Was auch immer. Ich muss ziemlich fragend geschaut haben, denn Chris lachte laut und sagte dann: „Ganz einfach. Wir gehen jetzt in meine Umkleide und reden dort weiter. Ich mache mich derweil fertig.“

Wir gehen in seine Umkleide. BITTE?

Kurze Zeit später war ich dann in seiner Umkleide, einem kleinen Raum mit nur einem Fenster. Nicht, dass sie sehenswert gewesen wäre. Ein Tisch, drei Stühle, eine Tür in Richtung Dusche und eine Kleiderstange. Ich nahm auf zwei Stühlen Platz und trank meinen O-Saft, während Chris im Bad stand und sich duschte. Die Tür war zu. Ab und an warfen wir uns ein paar Witzchen durch die geschlossene Tür zu und lachten dann darüber.

Irgendwann, ich hatte mich ans Fenster gestellt, als plötzlich Chris Stimme hinter mir erklang. „Hey, was gibt’s zu sehen?“, fragte er.

Ich fuhr herum. Da stand Chris, mit freiem Oberkörper und nur mit einer Boxershorts bekleidet und grinste. Ich war sprachlos.

„Was ist? Noch nie nen halbnackten Mann gesehen?“, fragte er und lächelte so unverschämt süß, dass ich mich an der Fensterbank festhalten musste, um dem Drang, ihn zu küssen, nicht nach zu geben.

„Äh...bisher nur im Spiegel!“, frotzelte ich nach einer Weile zurück. Chris sah mich überrascht an. „Ernsthaft. Ich meine, so wie du aussiehst...“, er stockte, so als sei er sich nicht sicher, ob es richtig sei, mit mir über solche Dinge zu reden.

„Du, ich kann über mein Schwulsein reden“, sagte ich plötzlich, weil sein rumlavieren für mich unerträglich wurde. „Du hast mit deiner Freundin für US 5 Schluss gemacht?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Hey, ich dachte, die intimen Fragen wolltest du mir bei nem Kaffee stellen“, flachste Chris, während er sich die Hose anzog und offensichtlich froh war, nicht mit mir übers Schwulsein reden zu müssen.

„Du ahnst ja gar nicht, zu was für Fragen ich fähig bin“, drohte ich und zwinkerte ihm zu.

„Ohje ...jetzt machst mir Angst. Ob ich das riskieren kann?“, er schmunzelte. Und zog sich seinen Pullover über. Leider.

„Aber ich finde, ich riskiere es. Wann haste denn Zeit?“, fragte er und sah mir direkt in die Augen.

„Öhm, äh, ja ....morgen?“, fragte ich und kam mir so was von doof vor.

Chris lachte und wurde plötzlich ernst: „Wäre auch gut, denn in zwei Tagen sind wir wieder in Berlin. Also morgen? Gegen Abend? Gib mir mal deine Handynummer, ich ruf dich an, wenn ich weiß, wann ich wo sein kann!“

Ich gab ihm meine Nummer und grinste: „Kannst auch zu mir kommen. Nicht, dass in der Bar plötzlich ein Tonband mitläuft.“

Er lachte laut. „Du bist einer. Mal schauen, okay? Lass uns einfach morgen mal telefonieren. Und jetzt müssen wir wohl los.“

Fünfzehn Minuten später saßen vier ungläubige Teenager im Auto und wussten nicht, was sie sagen sollten.


Der nächste Morgen war Sonntag und ich konnte ausschlafen. Dooferweise hatte ich vergessen, meinen Radiowecker auszustellen und wurde pünktlich um 9 geweckt. Irgendwie kam mir die Erinnerung an gestern Abend ziemlich unwirklich vor.

Ich stand auf und trank einen Schluck Tee. Dabei fiel mir auf, dass Chris zwar meine Nummer hatte, ich aber seine nicht. Ein Kontrollblick auf mein Handy sagte mir, dass er noch nicht geschrieben hatte.

Ein paar Minuten später wusste ich auch, weswegen. Aus dem Radio klang seine Stimme, denn die Moderatorin hatte gerade „US 5“ angekündigt. Das Radiointerview. Ich musste unwillkürlich Lächeln.

Lucas

Ich weiß nicht mehr genau, wie wir heile aus der Stadt gekommen sind. Zwei anderen Auto hatte ich die Vorfahrt genommen, eine rote Ampel überfahren und dann musste ich auch noch 'ne Vollbremsung hinlegen um an dem Zebrastreifen nicht dieses Pärchen zu überfahren. Und wie ich meinen Eltern erklären würde, dass ich in Köln geblitzt wurde, während ich eigentlich in Bonn auf 'ner Party sein sollte würde ich später überlegen.

Irgendwie war der Abend nicht so verlaufen wie ich mir das vorgestellt hatte. Also nicht, dass ich eine Vorstellung gehabt hatte. Aber wenn ich eine gehabt hätte... hätte es in meiner Phantasie sicher nicht so geendet.

Kurz nachdem ich meinen Drink auf der Erde verteilt hatte, waren Richie und Chris plötzlich verschwunden. Wohin Chris verschwunden war, wusste ich nicht. Bei Richie auch nicht. Er hatte was gesagt von „Lappen holen“. Doch stattdessen war eine Mitarbeiterin des Roseclub gekommen und hatte aufgewischt. Wahrscheinlich war es für einen Star nicht angemessen auf dem Boden herum zu kriechen. Und nachdem jetzt auch David irgendwie verschwunden war saß ich ganz alleine hier am Tisch und dachte nach.

Die ganz leichte Feuchtigkeit, die Richies Lippen auf meinem Gesicht hinterlassen hatten, war lange getrocknet. Trotzdem kribbelte die Stelle noch etwas, und ganz verarbeitet hatte ich es wohl auch nicht.

Was war da überhaupt passiert? Und wieso vor allem war er jetzt nicht mehr da? Ich meine, man küsst doch nicht einfach fremde Jungs und verdrückt sich dann, oder? Eigentlich küsst man als Hetero überhaupt keine Jungs, und in einer der Bravos, die unsere zwei Mädels angeschleppt hatten, hatte er von seiner Exfreundin geredet. Und dass er mit dem Sex „auf die richtige“ warten würde. Am besten wohl noch bis zur Ehe, was? Definitiv keine Einstellung für 'nen Schwulen.

Wahrscheinlich war es ihm also nur super peinlich. Wäre es mir wahrscheinlich auch. Aber gerecht fand ich das trotzdem nicht, so mit mir umzugehen. Aber wenn man sich einmal angewöhnt hat, alles was sich ehrfürchtig nähert abzuknutschen, kann man wahrscheinlich nicht mehr damit aufhören. Scheiße halt wenn dann plötzlich mal ein Junge ankommt. Ach der kann mich doch mal. In zwei Jahren kennt ihn eh niemand mehr, genau wie den Rest seiner Kack Band.

Frieda und Hannah kamen wieder an den Tisch.

„Hey Luzie. Wo is'n David? Die Jungs haben gesagt sie müssen jetzt gehen. Sie ziehen sich eben um, kommen aber gleich noch mal um Tschö zu sagen“, erklärte Hannah. Friederike hingegen schwebte noch: „Ach, ist doch sauschade dass es schon vorbei ist, oder? Das war ganz sicher der tollste Abend meines Lebens. Und Izzy ist echt toll. Du hättest sehen sollen wie er... ey, geht’s dir nich gut?“

Doch. Mir ging's klasse. Und ich heulte vor Freude über mein beschissenes Leben. Doch ich fing mich schnell wieder, als ein Haufen Stimmen die Rückkehr der fünf Jungs ankündigte. David kam mit ihnen und sah deutlich besser aus als ich es vermutlich tat.

Richie sah viel unscheinbarer aus als im Konzert Outfit. Hose und Shirt waren deutlich weiter und machten nicht mehr den Eindruck, möglichst viel von ihrem Träger preisgeben zu wollen. Außerdem trug er nun ein weit ins Gesicht gezogenes Baseballcap.

Und dann folgte der Abschied. Die Mädels wurden noch einmal umarmt – Küsschen links, Küsschen rechts – und wir Jungs bekamen die Hand geschüttelt. Als Richie bei mir ankam wich er meinem Blick aus, murmelte kurz ein „See ya'“ und ließ auch meine Hand schnell wieder los. Dann brachte uns der Managertyp selber zum Ausgang und erzählte noch, wie sehr er sich freue, dass es uns gefallen habe, und vielleicht sehe man sich ja mal wieder, erzählt euren Freunden von diesem Ort und das ganze Blabla. Dann standen wir wieder draußen in der kalten Kölner Nacht.

Auf dem Weg zum Auto redete Frieda dann immer weiter darüber, wie toll doch alles gewesen wäre. Und die Jungs alle so süß. Und so nett. Und Izzy überhaupt der allerschönste auf der Welt, und der stärkste, und der klügste und was weiß ich – ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.

„Kannst du jetzt vielleicht einfach still sein, sonst läufst du nämlich nach Hause.“

Dann stiefelte ich mit erhöhtem Tempo voran und ließ die drei anderen verdutzt hinter mir her laufen. Kurz bevor wir das Auto erreichten nahm David mich kurz am Arm und flüsterte:

„Ich weiß ja nicht, was mit dir los ist, aber was immer es ist, lass es nicht an uns aus, okay?“

Ich ließ es dann ja auch am Auto aus, und so war es auch sehr verwunderlich dass ich kurz danach in meinem Bett lag, wo ich recht schnell gefrustet einschlief.

David

Wenn das nächste Mal eine Popsängerin von der „Unerträglichkeit der Wartenden“ faselt, dann weiß keiner so gut wie ich, was sie meint. Ich wartete. Weil ich mir für den Sonntag nix besseres vorgenommen hatte, saß ich zu Hause und wartete. Vorm Telefon. Was selbst meine reichlich verständnisvollen Eltern zunehmend ärgerte. Oder, wie meinen Vater, zu dümmlich - treffenden Kommentaren verleitete:

„Oh, hast du einen Verehrer?“, grinste er und verschwand aus der Diele, in der das Telefon stand, bevor ich einen Gegenstand nach ihm werfen konnte. Ich hatte gerade beschlossen, dort zu frühstücken.

Und wie das so ist, wenn man etwas unbedingt erwartet: es kommt nicht. Zwar klingelte im Laufe des Vormittages zweimal das Telefon, aber nie war der dran, mit dem ich eigentlich reden wollte. Einmal war es eine Freundin meiner Mutter. Die Leitung war fast eine Stunde lang dicht, weil sie über die Kinder sprechen wollten und es auch ausführlich taten. Und danach war es Frieda. Meine Wut über ihre Bemerkung von gestern Abend war wegen des Anblicks von Chris´ nacktem Oberkörper so ziemlich wie weggeblasen, aber auf doofe Fragen hatte ich dennoch keinen Bock. Was denn mit Lucas los gewesen sei? Und wo ich abgeblieben wäre, gestern? Immerhin sei ich ja mit den Jungs von US 5 zurückgekommen, also müsse da ja was gewesen sein? Allein die Frage „Na, wie war dein erstes Mal?“ fehlte, um das Verhör komplett zu machen. Ich wiegelte ab und katapultierte sie schließlich ziemlich unsanft aus der Leitung.

Mein Handy hatte nämlich vibriert, was ein untrügliches Zeichen für eine SMS war. Im selben Moment fiel mir ein, wie idiotisch es war, vor dem Festnetztelefon auf eine Kurznachricht zu warten, wenn der Sender nur die Handynummer hat. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, zog mein Handy aus der Hosentasche und begann mit klopfendem Herzen zu lesen:

Hey Du! Gut geschlafen? Wir sind jetzt so gut wie fertig mit allem. Nur zu VIVA müssen wir noch. Danach hätte ich Zeit. Soll ich nach Bonn kommen? ;-) Chris

Und oben drüber stand seine Nummer. Ich musste mich erstmal setzen. Weil ich mich noch in der Diele befand, blieb dazu nur die Treppe. Chris würde nach Bonn kommen. Wir würden uns sehen, ganz alleine. Hilfe! Irgendwie hatte ich jetzt plötzlich Angst, keinen Ton mehr herauszubringen. Aber nun erstmal ruhig Blut bewahrt und zurück geschrieben, dachte ich bei mir.

Moin! Ja, hab euch heut morgen zufällig gehört. Beim Aufwachen ;) Wann wäre das denn etwa? Soll ich dich vom Bahnhof abholen oder dich direkt zu mir lotsen? *g * lg, David

Über den letzten Satz dachte ich lange nach. Ich wollte mich irgendwie nicht mit ihm in irgendeinem Café treffen. Nicht, weil ich nicht gerne mit ihm einen Kaffee trinken würde, sondern einfach, weil ich keine Lust auf kreischende Teenies um uns herum hatte. Ich wollte meine Ruhe mit ihm. Irgendetwas sagte mir, dass er das genauso sah. Daher ließ ich die Formulierung so und schickte sie ab.

Dann lief ich die Treppe hinauf und begann, mein Zimmer aufzuräumen. Denn, selbst wenn ich meine Eltern heut Abend nicht aus dem Haus bekam, was sehr wahrscheinlich war, dann sollte zumindest mein Zimmer ordentlich aussehen. Irgendwann surrte wieder mein Handy.

Du hast dich in den paar Stunden überhaupt nicht verändert, oder? *g * Hol mich doch einfach vom Bahnhof ab, kenne mich in Bonn nicht aus. Ich schreib dir, wenn ich hier losfahre, ja? Lg, chris

Okay. Dann wusste ich Bescheid. Ich wuselte durch mein Zimmer, machte aus dem Chaos ein Jugendzimmer und überlegte mir, was ich wohl anziehen könnte. Als ich fertig war, legte ich mich aufs Bett und dachte nach. Über den gestrigen Abend. Dieses Mal allerdings nicht über Chris (von dem ich mich ja ablenken wollte), sondern über Lucas und Richie. Letzterer hatte die ganze Geschichte mit seinem Gekrakel auf der Autogrammkarte schließlich ausgelöst. Ich beschloss, ihn anzurufen, auch wenn die Chance, dass seine Eltern mithörten und er deswegen nicht alles erzählen konnte, riesig war.

Entschlossen tippte ich die Nummer in den Hörer und wartete, bis sich jemand meldete.

Lucas

Der neue Tag begann so mies wie der letzte aufgehört hatte. Als ich irgendwann am späten Vormittag aufgestanden war und mir nach einer langen Dusche was zu Frühstücken gesucht hatte war das Haus zwar erfreulich leer gewesen, aber schon auf dem Weg zurück in mein Zimmer begegnete mir der erste Geist in Form von Nina.

Die war wohl gerade auf dem Weg vom Bad in ihr Zimmer.

„Guten Morgen“, begrüßte ich sie so fröhlich ich konnte. Sie guckte mich nur verbissen an, ging in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Waren jetzt alle bekloppt geworden?

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und erledigte die liegen gebliebenen Hausaufgaben. Jede Form der Ablenkung war willkommen, sogar die Aufgaben für den ollen Franzosen.

Irgendwann klingelte im Flur das Telefon. In der richtigen Annahme, Nina würde sicher schnell hinrennen, bemühte ich mich gar nicht erst es zu beantworten.

Nina nahm tatsächlich ab, sprach kurz, aber zu leise als dass ich es hätte verstehen können. Dann klopfte sie an meine Tür – bollerte wäre der bessere Ausdruck – und verschwand wieder in ihrem eigenen Zimmer bevor ich auf den Flur gekommen war.

Es waren alle verrückt geworden. Meine Schwester zumindest.

Ich schritt zum Telefon. „Ja?“

„Hi Lucas, ich bin's“, hörte ich Davids Stimme. „Äh. Wie geht’s dir?“

„Interessante Frage. Hab ich heute noch nicht drüber nachgedacht.“ gegen meinen Willen wurde mein Ton wieder etwas feindselig.

David am anderen Ende seufzte. „Hör mal... Ich weiß ja nicht was gestern passiert ist. Und wenn du's nicht erzählen magst isses deine Sache. Aber kannst du vielleicht deine Laune lassen, und wenn's dir wirklich mies geht dir helfen lassen?“

Ich setzte mich neben das Telefon.

„Ach ich weiß doch auch nicht so recht was passiert ist. Oder zumindest nicht, wie ich das erklären soll.“

„Versuch's halt.“

Und dann erzählte ich. Vom Anstoßen ohne wegzusehen. Vom runter geworfenen Glas und dem Kuss kurz vor der Flucht. Eigentlich nicht viel, aber ich schaffte es doch irgendwie es auf zwanzig Minuten auszudehnen.

„Tja und jetzt... sitz ich hier und fühl mich scheiße nur weil so ne blöde Hete nicht an sich halten kann.“

„Oh weia. Na fühl dich mal durch die Leitung gedrückt. Und denk nicht zuviel drüber nach.“

„Dann lenk mich mal ab und erzähl mir was Positives. Hast du schon ein Date mit Chris?“ versuchte ich zu scherzen.

„Ähm,“ kam nur aus der Leitung.

„Na ja wäre ja auch zu schön, oder?“

David druckste etwas rum. „Na ja... ich weiß nicht ob ich es Date nennen würde... aber... wir treffen uns heut Nachmittag.“

Falls er Ohrenschmerzen davon bekommen hat, dass ich das Telefon auf den Boden geworfen hab, tut mir das leid. Ehrlich. Aber ich konnte nicht anders.

Ich hob es wieder auf.

„Was hast du gesagt?“

„Ja. Wir haben uns gestern etwas unterhalten und uns für heute verabredet.“

Ich war – überrascht. Aber sehr positiv.

„Na das is doch super! Boah und du sagst 'Kein Date'. Na was das sonst ist will ich wissen.“

„Also isses okay für dich?“ fragte er mich.

„Okay für mich? Bist du Irre?“ Er hatte von den gleichen Drogen gefrühstückt wie meine Schwester. „Ich find's... superkrass. Wann trefft ihr euch denn?“

„Er ruft mich an wenn er hier am Bahnhof ist.“

„Boah cool. Ich freu mich. Echt. Auch wenn ihr euch erstmal nur so trefft. Also los, mach was draus, ich komm schon wieder auf die Beine.“

David

Na, wenigstens hatte sich Lucas wieder berappelt. Auch wenn mir die Geschichte mit dem Kuss etwas spanisch vorkam. Ich meine, welche Hete zwingt einem Typen, den er auf dem Klo getroffen hat, quasi ein Date auf und küsst ihn? Keine, ganz genau. Und weil ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, dass das schon alles zwischen den Beiden gewesen sein könnte, hatte ich Lucas noch ein herzliches: „Mensch, dann fahr doch zu dieser Viva - Geschichte. Wenn du nicht rein kommst, dann warte am Bühneneingang, aber rede noch mal mit ihm. So kannst du den doch nicht davon kommen lassen!“ mit auf den Weg gegeben. Er wirkte nicht so richtig überzeugt, aber vielleicht änderte sich das ja noch. Ich hoffte es.

Dann legte ich auf und hatte nur noch einen Gedanken. „Ich wollte `was draus machen´“, so wie Lucas es mir gewünscht hatte. Denn er hatte ja Recht. Das hier war meine Chance. Ich durfte sie nur nicht vermasseln.

Lucas

Puh. Der hatte ja echt Vorstellungen. Wie sollte das denn laufen, ich da zwischen den ganzen Fangirls. Ich käme doch eh nie an ihn ran.

Ich beschloss, zuhause zu bleiben.


Dann sah ich an mir runter. Ich hatte mir doch tatsächlich die Schuhe angezogen. Ach was soll’s, schließlich hatte ich nichts besseres zu tun.

Ich holte die Autoschlüssel.

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