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Wolke 247

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort:

Dies ist eine wahre Geschichte. Genauso habe ich sie erlebt und empfunden.

Kapitel 1

„Kennst du die Wolke 247?“ Fragend schaut er mich an.

„Nein“, gluckse ich, „kenne ich nicht. Sollte ich?“

„Allerdings!“ Ganz ernst nickt er, während ich immer mehr grinse. Dieser Typ ist einfach unmöglich. Ich kenne ihn nun schon eine Ewigkeit, ganz genau 3 Wochen, aber mir erscheint es wie drei Jahre. Immer hat er neue Einfälle, total verrückt.

Er meint zu mir, ich solle die Augen schließen und mich zurücklehnen. Wohlig lasse ich mich in die Kissen sinken, während er mich mit Worten auf seine Wolke 247 entführt.

„Meine Wolke sieht immer anders aus. Heute ist sie rosarot….grins nicht so, du Frechdachs…..und sie bietet immer etwas Besonderes. Wir werden jetzt einmal schnell durch laufen, dann kannst du dich für einen Raum entscheiden. Also, schau, hier links ist das erste Zimmer, dort siehst du Mozart und Beethoven gemeinsam, jaja, guck nicht so ungläubig. Weißt du, hier auf meiner Wolke ist alles möglich. Also, die beiden arbeiten hier zusammen, du glaubst ja gar nicht, was die hier schon gemeinsam komponiert haben, dazu kommen wir später. Ich habe noch viele Musikzimmer, da können wir die tollsten Musiker zusammen auftreten lassen. Aber nun erst mal weiter…hier im nächsten Zimmer lasse ich die großen Politiker dieser Welt gegeneinander antreten, manchmal auch einfach nur im Zweiergespräch mit ihren Gegnern….was hältst du von einer Diskussion …sagen wir mal…..Bush und Michael Moore? Hier werden sehr interessante Gespräche geführt.

Und hier in diesem Zimmer…..oh Verzeihung, Jungs, weitermachen…..die beiden wollen wir mal lieber in Ruhe lassen…da dürfen sich alle lieben, die in der Realität keine Chance haben.“

Ich schaue ihn von der Seite an. Warum liebe ich diesen Typen? Sind es diese Verrücktheiten, über die er immer ganz ernst spricht, als würde es nichts Wichtigeres geben? Ich liebe Typen mit dunklen Wuschelhaaren…er hat eine Glatze. Als junger Mann war er einmal sehr krank, bekam eine Strahlentherapie, seitdem sind seine Haare futsch. Ich schwärme für diese athletischen Typen, hoch gewachsen, schlank, drahtig …er ist dick, so richtig rund. Und klein, man gerade so groß wie ich. Also so was von überhaupt nicht mein Typ. Warum also? Er hat eine ungeheure Ausstrahlung, ich habe selten so ein Selbstbewusstsein erlebt. Er geht nicht in ein Geschäft, er erscheint! Und alles dreht sich nur noch um ihn. Sein Witz, sein Humor, seine Sensibilität. Offensichtlich ist er ein knallharter Geschäftsmann, ein Mensch, vor dem man sich fürchten sollte, aber mich liebt er, mich trägt er auf Händen…nein, auf einer ganzen Wolke.

Am meisten liebe ich sein Lachen. Wenn sich die Lachfältchen um seine Augen herum vertiefen, sich sein Mund verzieht und er in dieses tiefe, dröhnende Lachen ausbricht….er kann so herzhaft lachen. Sein ganzer Körper lacht mit.

Er nennt mich Amigo. Ich grübele lange nach, welchen Namen er für mich haben soll, dann weiß ich es: er ist mein kleiner dicker Buddha. Ich weiß nicht warum, ich weiß nur, dass es so richtig ist.

Wir erleben viel auf unserer Wolke. Wir lassen Beethoven und Mozart zusammen etwas komponieren, sind begeistert über das Ergebnis. Wir geraten in ernsthafte Diskussionen mit den Politikern dieser Welt. Die müssen sich ganz schön was anhören von uns. Wir lauschen, wenn sich Könige und das normale Fußvolk mal an einen Tisch setzen und sich unterhalten. Den Papst schubsen wir wieder runter, mit dem kann man ja nicht reden.

Ein großer Atlas muss her, damit gehen wir auf Weltreise. Die tollsten Abenteuer bestehen wir. Eines Tages werde ich von einer Sultanine entführt und in ihren Harem gestopft. Donnerwetter, alles junge Burschen, echt lecker…aber mein kleiner dicker Buddha befreit mich sofort! Solche Abenteuer werden in Zukunft nicht mehr stattfinden. Schade.

Er ist beruflich viel unterwegs, aber Dank Internet und unserer Wolke sind wir immer zusammen. Wir beschreiben uns in vielen Mails was wir grad an dem Tag wieder alles auf der Wolke erlebt haben. Und wenn er wieder da ist, dann verziehen wir uns ganz schnell in dieses besagte Zimmer, in dem die Wolke allen rosarot erscheint.

Er dichtet in seiner Freizeit, wie er mir leicht beschämt gesteht. Ich muss ein bisschen grinsen. Er und dichten? Oha. Als er wieder einmal unterwegs ist, schickt er mich auf die Wolke in das Zimmer der Dichter und Denken. Dort muss ich erst mal Goethe und Schiller beschwichtigen, die mal wieder mächtig Zoff haben. Und dann sehe ich das Gedicht. Sein Gedicht an mich:

Die Insel

Wenn ich die Insel bin

Hab’ ich geträumt,

dass Du der Fluss bist,

dessen Flut mich säumt.

Dass jede Welle meine Ufer küsst,

dass Du in mir innig geborgen bist,

denn Deine Stimme ist es,

die ich höre,

die mich erweckt,

bis ich Dich ganz begehre,

bis alles einfach ist

und wahr und gut,

weil ich die Insel bin

und Du die Flut.

Von dem Moment an beginnen wir, Zukunftspläne zu schmieden. Zaghaft zuerst und immer auf der Wolke, dort kann man nichts falsch machen. Dann klettern wir von der Wolke runter und fahren für ein paar Tage in Urlaub. Ohne Wolke. Alles läuft wunderbar.

Unser gemeinsames Leben wird immer intensiver, unsere Liebe auch.

Immer wieder verbringen wir Stunden auf unserer Wolke, hören Musik, erleben die tollsten Dinge, träumen, erfinden die Welt neu. Die beiden Zankhähne Goethe und Schiller haben wir mal entsorgt, das war ja nicht mehr zu ertragen, es gibt auch so noch genug interessante Dichter und Denker; für mich erschließt sich eine ganz neue Welt.

Und dann ist es soweit: Wir wollen einen richtig langen Urlaub zusammen verbringen. Wie so ein altes Ehepaar mit einer Reisegesellschaft ab nach Cornwall. Zunächst bin ich nicht einverstanden, finde es total blöde, mit einer Gruppe zu verreisen. Was sollen die denn denken? Ich meine, so ganz können wir ja nun nicht verheimlichen, dass wir ein Paar sind. Er zerstreut meine Zweifel und meint, es solle uns doch egal sein, was die anderen denken. Nun ja, ihm ist es vielleicht egal, mir nicht so ganz. Aber da sich ohnehin schon so vieles in meinem Leben geändert hat, seitdem ich ihn kenne, will ich diese Erfahrung wagen. Vielleicht ist es auch gar nicht schlecht, mal mit anderen Menschen zusammen auf eine Reise zu gehen, man kommt leichter auf andere Gedanken.

Denn manches Mal erscheint mir unsere Wolke nicht mehr ganz so rosarot. Sie bekommt schon mal einen Stich ins Graue. Ins Alltagsgraue. Geht es nicht alles viel zu schnell? So lange sind wir noch gar nicht zusammen, und nun soll ich schon bald zu ihm ziehen?

Weg mit allen Zweifeln, jetzt geht es erst mal in den Urlaub! Er muss nur noch kurz nach Berlin zu so einer Gesundheitsuntersuchung, dann geht es los. Ich bin aufgeregt wie schon lange nicht mehr.

Er kommt abends zurück, ich sitze schon auf der Wolke und werde ihm gleich erzählen, was für verrückte Sachen ich schon eingepackt habe. Wenn wir die Leute schon schocken wollen, dann aber auch richtig. Ich lache leise, als er kommt und male mir im Geiste sein Gesicht aus.

Übersprudelnd lege ich los, aber er unterbricht mich. Wir können nicht fahren, jedenfalls jetzt nicht. Man hat da irgendwas an seiner Schilddrüse festgestellt, einen Knoten oder was, jedenfalls muss das Ding raus und zwar bald. Er hat schon einen Termin. Auf der Wolke wird es dunkel, daher zünde ich schnell eine Kerze an. Ich bin enttäuscht, aber auch besorgt. Er lacht meine Sorgen fort, indem er mir erzählt, dass er drei Tage nach der Operation nicht reden darf, das solle ich dann mal ausnützen.

Und den Urlaub holen wir einfach nach.

Ich packe also die Sachen wieder aus, er fliegt nach Berlin. Besuchen soll ich ihn nicht, er meint, das lohne sich nicht, er sei ja in einer Woche wieder da.

Mit ihm telefonieren kann ich nicht, da er nicht reden darf, Internet gibt es im Krankenhaus nicht….ich fühle mich verlassen. Und grüble wieder. Noch nie war ich in einer solchen Situation. Noch nie fühlte ich mich vorher so eingebunden in eine Partnerschaft, es ist ja schon so, als sei ich abhängig von ihm!

Die Wolke erscheint mir düster und leer, nichts macht mir Spaß.

Endlich kommt er wieder. Ich nehme mir vor, ein sehr geduldiger Krankenpfleger zu sein. Seine Stimme ist fast wieder normal, ein bisschen krächzend noch. Ich mache meine Witze drüber, aber er lacht nicht.

Er hat mir viel zu sagen.

Immer wieder will ich auf die Wolke flüchten, aber immer wieder holt er mich geduldig runter. Nein, ich schüttle den Kopf, Blödsinn, nein, ich will nichts hören, nein, es ist doch alles nur ein Irrtum, das kann uns doch nicht passieren.

Die Schilddrüse war nur die Spitze des Eisberges. Und der Eisberg, das ist der Krebs in der Bauchspeicheldrüse. Und wenn man ihn erkennt, ist es zu spät. Und dann geht es schnell.

Die Wolke ist düster. Ich kann Kerzen anzünden, wie ich will, sie wird nicht heller.

Ich muss ihm dort oben versprechen, nach der Trauer wieder zu leben, zu lachen…und zu lieben.

„Mein geliebter Amigo, ich würde dich so gerne lieben. Ich möchte leben und zwar mit dir. Ich möchte lachen mit dir….das alles kann ich nun nicht. Nun musst du es für uns beide tun. Versprich es mir!“

Natürlich verspreche ich es ihm, aber das ist nicht das Ende, er ist einfach nur krank und durcheinander. Es wird eine Rettung geben, ich weiß es.

Die nächsten Wochen sind fürchterlich. Wir flüchten auf die Wolke, wann immer es geht. Mit der Verzweiflung eines Menschen, der um die Wahrheit weiß, stürzt er sich in alle möglichen Abenteuer, um im nächsten Moment abzubrechen und sich weinend in meine Arme zu stürzen.

Immer wieder zieht er sich für ein paar Tage zurück, in denen er ganz alleine sein will. Er muss seine Firma auflösen, für alles und alle sorgen, er muss mit seinen Eltern reden.

Die Medikamente helfen nicht mehr richtig, er muss in die Klinik. Diesmal komme ich mit.

Noch so manches Mal sind wir auf unserer Wolke, lassen sie rosarot erscheinen. Nur für uns, denn uns gehört die ganze Welt. Nur uns.

Kapitel 2

Vor 2 Tagen war die Beerdigung. Langsam löst sich meine Starre. Ich brause auf die Wolke, will ihn suchen….ihn finden. Die Wolke ist dunkelviolett. Ich rase durch und rufe ihn, aber es kommt keine Antwort. Ein Sturm kommt, ein mächtiger Sturm, der mich am ganzen Körper erbeben lässt. Überall lodern Flammen empor und ich stürze mich rein. Es tut so verdammt weh. Ich brenne, aber ich lebe. Warum? Warum muss ich das ertragen? Mich ergreift eine grausame Wut. Eine Wut auf ihn…warum hat er mich verlassen? Wie konnte er mir das nur antun?

Nein, nein, denk nach, er ist doch gar nicht schuld. Erschöpft halte ich inne, versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, aber dieser Feuersturm packt mich wieder und wieder und wie im Fieberwahn drehe ich mich um mich selbst, sehe nur zuckende Blitze und diese Flammen, die mich zu vernichten drohen.

Schlafe ich? Esse ich? Trinke ich? Vielleicht tue ich es, vielleicht auch nicht; ich lebe nicht mehr. Am Tage gehe ich zur Arbeit, wie mein Chef es mir befohlen hat. Dann käme ich schneller auf andere Gedanken, jawoll! Er meint es gut, also tue ich ihm den Gefallen und funktioniere planmäßig. Ich bin wie immer gewissenhaft, fröhlich, manchmal leicht geknickt; ja, schade aber auch, ja, es ist schlimm, ach ja, danke für dein Mitgefühl, lieber Kollege, ja, es wird schon wieder, natürlich, es geht von Tag zu Tag besser, mach dir keine Gedanken, nein, Chef, kein Problem, ich komme klar…Dank Euch allen, die Ihr nicht wisst, wie Ihr mit mir umzugehen habt, woher sollt Ihr es auch wissen. Ich will es Euch leicht machen, Ihr könnt ja nichts dafür.

Jeden Abend renne ich wieder auf die Wolke, die immer noch violett vor sich hin blitzt, und wüte. Wüte gegen das Schicksal, das mir meinen Liebsten genommen hat. Ich schreie mir meine Verzweiflung aus dem Leibe, aber die Schmerzen bleiben. Es tut unendlich weh.

Ich kann nicht mehr, ich kann es nicht mehr ertragen. Ich will zu meinem kleinen dicken Buddha, jetzt, auf der Stelle. Ich habe keine Kraft mehr, ich will einfach nicht mehr.

Die Wolke wird schwarz, pechschwarz, während ich mir einen Weg überlege, der mich zu ihm führt. Aus dieser Schwärze erscheint ein Gesicht. Sein Gesicht. Undeutlich, aber ich kann erkennen, dass er mich traurig anschaut. Geduld, Liebster, bald bin ich bei dir. Aber sein Gesicht erhellt sich nicht…nein, das ist es nicht, was er hören möchte, er schaut immer noch sehr traurig. Ich versuche, zu mir zu kommen, mich in dieser Dunkelheit, die mich gefangen hält, zu orientieren. Immer deutlicher sehe ich ihn jetzt vor mir, sehe sein Gesicht, höre seine Worte……ich springe entsetzt auf. Oh nein, was habe ich da eben gedacht? Was habe ich gewollt? Wie sehr hat er geweint, weil er leben wollte, aber nicht durfte und ich? Ich will mein Leben wegwerfen? Ich versuche verzweifelt, das Schwarze von mir abzuschütteln, stoße meinen Kopf gegen die Wand. Das tut weh, aber ich sehe wieder klarer. Erschöpft setze ich mich, entsetzt über das, was ich eben erlebte.

Das darf nie wieder passieren, ich darf dieser Dunkelheit keine Chance geben, mich noch einmal dermaßen zu umfangen. Ich muss stark sein, ich habe es ihm versprochen.

Ich gehe wieder auf die Wolke, kämpfe mich durch das Dunkel, biete ihm meine Stirn. Ich öffne Türen, sehe nichts. Gut, ich sehe ein, dass ich etwas falsch mache. Ich will „unsere“ Wolke wiederbeleben, das geht nicht. Die gibt es nicht mehr. Ich muss die Wolke jetzt ganz alleine für mich entdecken.

Ich gehe wieder hoch und versuche es erneut. Versuche, alles mit anderen Augen zu sehen. Nicht mehr das „Wir“, sondern das „Ich“. Das Schwarze wird heller, ich bin auf dem richtigen Weg.

Ich höre Geräusche, kann sie nicht einordnen. Ich lausche. Es sind Klänge, es ist….Musik. Erstaunt nehme ich es wahr. Welche Musik? Da singt jemand. Es ist ein Stück….ja, ich erinnere mich…ein Stück aus einem Musical, das wir zusammen sahen, er hat so sehr dafür geschwärmt, dass wir uns anschließend sofort die CD gekauft haben.

Es ist ein Stück aus „Tabaluga und Lilly“ von Peter Maffay. Ich schleiche leise näher und höre es jetzt ganz deutlich:

Wenn eine Hoffnung stirbt

Die Sonne steht so tief,

und sie wärmt nicht mehr.

Den Namen, den ich rief, hörst Du längst nicht mehr.

Mich binden die Gedanken an.

Es hörte auf, eh’ es begann.

Was mir den Atem nimmt, ist ein Schuldgefühl.

Ich weiß, dass das nicht stimmt, doch das hilft nicht viel.

Und alles ringsumher bleibt stumm.

Es bleibt zum Schluss nur noch „Warum“.

Wenn eine Hoffnung stirbt und alles in dir kälter wird,

dann bleibt dir nicht einmal die Traurigkeit.

Wenn alles sinnlos scheint, das Leben ist dein größter Feind,

dann hilft dir auch nicht mal mehr die Zeit.

Nun kann ich weinen.

Endlich. Nun kann die Trauer beginnen.

Die Wolke wird immer heller, bis sie wie ein Nebel erscheint.

Bisher war mir nicht klar, wie viel Tränenflüssigkeit ein Mensch produzieren kann.

Kann man an Tränen ertrinken?

Schritt für Schritt kämpfe ich mich an die Oberfläche des Lebens zurück. Mein Tag verändert sich, ich bin nicht mehr ganz so starr. Die Abende bleiben noch gleich, ich höre ständig Musik auf der Wolke, höre die Töne und schaue in ihre Farben.

Die Zeilen in dem Lied von Peter Maffay sind nicht ganz richtig, zumindest nicht die letzte: doch, die Zeit hilft. Sie vergeht einfach. Und sie nimmt mich mit.

Der Sommer ist da.

Ich habe da jemanden im Internet kennen gelernt. Ein Freund ist er mir geworden. Eines Tages erzähle ich ihm ein wenig. Er versteht.

Und schickt mir ein Gedicht. Nein, ich lese es nicht auf der Wolke, dort gehe ich nur noch manchmal hin; ich kann sie einfach nicht alleine bewohnen. Sie ist immer so leer, und ich kann sie nicht beleben.

Das Gedicht ist inzwischen zu meinem Lieblingsgedicht geworden.

Hermann Hesse

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Kapitel 3

Ich bin verliebt! Kann das sein? Darf das sein? Geht das überhaupt? Und wenn ja, wie lange? Ich bin dermaßen durcheinander. Weiß nicht, was ich tun soll.

Ich sitze auf dem Balkon, betrachte den Himmel und grüble. Ich betrachte die Wolken und denke: „Nein! Es geht nicht“

„Was geht nicht?“

Verwirrt blicke ich mich um. Ich bin ja auf der Wolke! Sie schimmert in einem zarten Blau und da steht er: mein Liebster! Mit gerunzelter Stirn blickt er mich an.

„Da bist du ja, Liebster, da bist du ja endlich wieder. Warum konnte ich dich so lange nicht sehen?“

Mit einem seligen Schluchzen eile ich ihm entgegen.

„Wir brauchten beide Zeit. Du und ich mussten uns in neuen Welten zurecht finden.“

Was erzählt er denn da? Ich laufe immer weiter auf ihn zu, aber ich kann ihm nicht näher kommen, der Abstand bleibt immer gleich. Ich bleibe stehen und schaue ihn einfach nur an.

Seine Gesichtszüge glätten sich, langsam erscheint ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht.

„Warum bist du hergekommen? Möchtest du mir etwas sagen?“

„Ich….ich weiß nicht…ja, vielleicht, also, ich denke…oder nein, besser, ich glaube oder zumindest habe ich manchmal das Gefühl….es kam so plötzlich, weißt du…das heißt, so plötzlich war es gar nicht…“

Ich sehe, während ich herumstammle, dass sein Gesicht sich verzieht und da ist es wieder: dieses breite, herrlich dröhnende Lachen. Mein Herz schreit auf!

„Diese Phase kenne ich doch bei dir! Um dein wirres Denken zu übersetzen: Du bist verliebt?“

Er wird ernst.

„Du bist verliebt, aber du traust dich nicht. Du hast Angst vor deinen Gefühlen. Und du lässt dieses zarte, erste Gefühl zurückdrängen von deiner Liebe zu mir. Warum tust du das? Amigo, was ist mit deinem Versprechen, das du mir gabst? Zählt das nicht mehr?“

Traurig sieht er mich an.

„Es ist irgendwie einfach noch zu früh. Versteh mich doch, es ist doch noch gar nicht so lange her, seit du mich verlassen hast. Das geht doch alles noch gar nicht!“

„Warum nicht? Wie lange willst du denn noch warten? Hast du dir irgendwo im Kalender einen Strich gemacht und da drunter steht: Nun darf ich mich wieder verlieben?“

Was soll ich darauf antworten? Mir fällt nichts ein.

Aufmunternd schaut er mich an: „Erzähle mir von ihm.“

„Nun, er ist ganz anders als du es warst.“

„Klar, ich war ja auch einzigartig!“ Und wieder schaut er mich mit seinem schelmischen Grinsen an, den Kopf leicht auf die Seite gelegt. Geliebter, dicker Buddha!

Ich zwinge mich dazu, an Pieter zu denken und beginne, ihn zu beschreiben. Und während ich das tue, werde ich immer leichter. Die Wolke schwankt sacht hin und her, während ich immer weiter rede. Merkwürdig, wie viel es doch an Pieter zu beschreiben gibt.

Er hört still zu und nickt mit einem sehr verständnisvollen Lächeln.

Als ich endlich ende, sieht er mich ruhig an. Wieder erscheinen die kleinen Lachfältchen um seine Augen herum.

„Und da fragst du dich noch, was du tun sollst? Ich fürchte, kleiner Amigo, es ist schon längst nicht mehr deine Entscheidung. Du bist verliebt. Also lass dieses Gefühl einfach zu und genieße es. Du hast es mir versprochen!“

Pieter und ich werden ein Paar. Es ist nicht immer leicht, besonders für ihn nicht. Immer wieder habe ich Rückschläge, bin verzweifelt, trauere und weine. Aber dann ist er da. Nimmt mich in die Arme und lässt mich heulen, lässt mich erzählen. Ich muss das nicht mehr alleine durchstehen. Mein Pieter.

Eines Tages haben wir Streit. Aber so richtig! Ich bin fuchsteufelswild und wütend. Abends will ich ihn nicht sehen, vergrabe mich in meiner Wohnung, flüchte auf die Wolke, will mich trösten lassen.

Die Wolke ist dunkel, ich finde mich kaum zurecht.

„Liebster, wo bist du? Ich brauche dich!“

„Was willst du?“ Mit bösem Gesicht steht er vor mir. Ich bin erschrocken. Aber dann erzähle ich ihm von meinem Kummer. Ich weiß, er wird mich verstehen, er hat mich immer verstanden.

„Liebster, es ist einfach aus, ich kann das nicht mehr. Er versteht mich nicht so wie du, manchmal streiten wir uns und stell dir vor, was er mir jetzt wieder zumutet……“

Je mehr ich rede, desto heller wird die Wolke. Seine Gesichtszüge entspannen sich wieder, aber er bleibt ernst. Als ich mit einem Seufzen ende, verschränkt er seine Hände auf dem Rücken und geht um mich herum…wie gut ich das noch kenne.

„Schade, Amigo, ich dachte, du hättest etwas gelernt.“

Ups, das klingt nicht so sehr nach Trost.

„Meinst du nicht, dass du unfair bist? Eure erste Verliebtheitsphase hast du sehr gut überstanden, da war alles in Ordnung, alles bestens. Nun seid ihr im Alltag angelangt….in dem Alltag, mein Amigo, den wir beide nie hatten. Du bist jetzt böse auf ihn und siehst in die Vergangenheit zurück. In eine Vergangenheit, die nur aus schönen Dingen besteht. Du erinnerst dich nur noch an alles, was gut war. Du erinnerst dich daran, wie gut ich dich verstanden habe. Aber erinnerst du dich auch daran, dass du mitten in der Nacht auf und davon bist, weil du dich falsch verstanden fühltest?

Du erinnerst dich an all die schönen Stunden, die wir hatten….vergessen hast du unsere Streitigkeiten, vergessen hast du die Unsicherheit, die du manches Mal empfunden hast.

Wie soll er dagegen ankämpfen? Er ist dein Alltag, ich bin deine Illusion, da hat er keine Chance!“

Ich muss schlucken.

Die Wolke wirbelt jetzt in grellen Farben durcheinander, viele Erinnerungen stürmen auf mich ein: unser erster fürchterlicher Streit, meine Unsicherheit über all die Kleinigkeiten, die mich mehr und mehr mit der Zeit an ihm störten, die sogar manchmal die Frage in mir aufkommen ließen, ob ich den Rest meines Lebens wirklich an seiner Seite verbringen könnte…..

„Siehst du? Genau das meine ich! Vielleicht wären wir heute nicht mal mehr zusammen. Vielleicht hätten wir uns schon längst getrennt….zumindest wäre auch bei uns ganz schnell der Alltag gekommen und niemand vermag zu sagen, wie der bei uns beiden heute aussehen würde.

Und jetzt verschwinde von meiner Wolke. Ab mit dir ins reale Leben. Denk nach, kleiner Amigo, denk nach!“

Ich denke nach. Und beginne zu erkennen. Dankbarkeit erfüllt mich, wenn ich daran denke, was ich meinem Schatz alles zugemutet habe in den letzten Wochen.

Und wieder ist ein großer Schritt des Abschieds geschafft. Ich sehe meinen dicken Buddha oben von der Wolke schauen und breit grinsen. Ich strecke ihm die Zunge raus und lache.

Pieter und ich versöhnen uns wieder. Wir beginnen zaghaft und mit vielen Fragezeichen über eine gemeinsame Zukunft zu reden.

Er muss beruflich fort für 2 Wochen. Solange waren wir noch nie getrennt. Ich bin nun alleine und denke an meinen Buddha. Aber irgendwie schiebt sich immer Pieters Gesicht dazwischen. Ich habe Sehnsucht….nach Pieter!

Nach seiner Rückkehr beschließen wir, zusammen zu ziehen. Es ist eine aufregende Zeit, voller Liebe, Pläne schmieden, zanken, weil er den Tisch dort haben will, wo aber doch mein Schrank hin soll, Hektik und Stress, voller Lachen und erregenden Momenten.

Ich liebe ihn.

Heute gehe ich auf die Wolke, einfach so. Spaziere hin und her und schaue mir alles an. Still ist es geworden, ich kann kaum etwas erkennen. Alles liegt in einem diffusen weißlichen Licht. Doch, da….in dem einen Zimmer…da sehe ich Mozart und Beethoven und bei ihnen ist mein Buddha. Aber ich kann sein Gesicht kaum noch sehen. Ich muss mich sehr konzentrieren, um mich zu erinnern, wie er ausschaut. Flüchtig schaut er hoch und lächelt, beugt sich dann aber wieder über den Tisch….während mir in den Sinn kommt, dass wir heute Abend Besuch erwarten.

„Was ist das denn? Bei diesem herrlichen Wetter sitzt du hier drin und träumst vor dich hin? Das gibt es ja wohl nicht!“

Lachend kommt mein Schatz auf mich zu und zieht mich mit nach draußen:

„Mensch, heute scheint die Sonne endlich mal wieder richtig warm und guck mal in den Himmel: nicht eine Wolke ist zu sehen!“

Ich nehme seine Hand und schaue in den Himmel.

Ja, er hat Recht.

ENDE

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