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Dark Past

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»Herr Beckmann.«, weckte Dirk neben mir zornig auf. »Wohl ein Nickerchen gehalten oder wie?«, überraschte ihn die barsche Stimme von unserem Physiklehrer. In seiner mächtigen Statur mit seinem dicken Bauch plusterte er sich vor Dirk auf, der ihn durch schmale Augenritze schlaftrunken anschaute.

Die gesamte Klasse um uns herum lag lachend auf den Bänken, denn bis jetzt ist es noch nie vorgekommen, dass jemand bei unserm mächtigen Manitu Herrn Winkler schon aus Angst eingeschlafen ist. Na ja einmal ist immer das erste Mal.

Wie auch immer, trotz der barschen Art hatte er nichts von ihm zu befürchten, denn unter der trotzigen Schale des Lehrers verbarg sich eine weicher Kern.

Da wir sowieso kurz vor den Ferien standen, nahm er ihm das sowieso nicht krumm, da wir sowieso bloß ein Video geschaut hatten.

Auf jeden Fall gab es was zu lachen und das war ja wohl das wichtigste.

Wie schon erwähnt war es kurz vor den Weihnachtsferien, um genau zu sein noch zwei Wochen und wir hätten dieses Jahr unser Soll in der Schule abgeleistet.

Genau aus diesem Grund hatte auch keiner mehr groß Lust irgendwelche Bäume auszureißen und schon gar nicht bei diesen eisigen Minusgraden diesen Winter.

So brachten wir Physik mit einem »höchst interessanten« Video hinter uns.

Noch zwei Stunden bis zum Ende der Schule. Wer soll das noch durchhalten? Keine Ahnung wo wir die Reserven hernahmen aber wir schafften es doch irgendwie jede Woche, jeden einzelnen Tag, jede einzelne Minute im Unterricht hinter uns zu bringen. Schon allein dafür hätten alle Schüler einen Orden verdient.

An diesem Zustand konnten wir die nächsten zwei Jahre nichts dran ändern. Erst einmal mussten wir jetzt noch Deutsch und »gähn« Musik hinter uns bringen, aber was soll's. Erzähl ich euch halt mal so wer hier eigentlich spricht oder besser gesagt wer hier schreibt.

Falls ihrs noch nicht mitbekommen habt, wie solltet ihr, also ich bin Stef, um genau zu sein heiße ich eigentlich Steffen, bloß ich hasse diesen Namen wie die Pest, so kam es mir nur recht als alle aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, begannen mich Stef zu rufen.

Also weiter im Text. Ich bin wie schon gemerkt Schüler, um genau zu sein in der 11. Klasse in irgendeinem kleinen Kaff in Mecklenburg-Vorpommern und muss mich noch min 2 Jahre hier abquälen. Ich bin 17 und mit meinen 1,89 Metern nicht besonders klein wie ihr euch denken könnt und falle so auch etwas aus der Reihe. Aber dies nicht nur wegen meiner Größe, nein ich bin noch dünn, nicht zu dünn auch wenn meine Mutter das immer wieder behauptet, ich bin, so finde ich, genau richtig im Moment. Dies sah mal anders aus aber lassen wir das Thema.

Was hab ich nun alles schon erzählt? Ach Ja. Ich bin 17; 1,89 m klein und heiße Stef. Was gibt es noch zu sagen. Wenn es jemanden interessieren sollte, ich hab schwarzes, kurzes, strubbliges Haar und blaugraue Augen. Na ja ich bin ganz zu Frieden mit mir. Hab ich schon erwähnt, dass ich schwul bin? Wenn nicht dann sei dies hiermit geschehen.

Aber wie soll‘s auch auf dem Lande, oder wie ich's nenne »in der Pampa«, anders sein, bin ich leider immer noch solo. Hoffe aber inständig, dass dieser Fakt bald behoben ist. Aber große Hoffnung hab ich nicht.

Gerade wo es jetzt in schnellen Schritten auf Weihnachten zugeht, fehlt einem doch die Wärme und Geborgenheit eines Boyfreinds (sorry schon mal für die englischen Begriffe, aber wie ihr schnell mitbekommen werdet, bin ich doch stark Anglizismen verseucht und so soll es euch nicht wundern, wenn noch häufiger solche Worte auftauchen). Na ja genug gejammert, was soll's kann ich nichts dran ändern.

Also weiter im Text. Jetzt gibt's erst mal Mittagpause, ein Lichtblick. Eine Stunde bloß zum Rumblödeln. Also setzten wir uns, das sind wie schon bekannt Dirk und ich und zusätzlich noch Sven und Andie, an irgendeinen Tisch im Schulgebäude und beginnen mal wieder Karten zu spielen. Und verdrückten unser Mittag nebenbei. Was soll man auch sonst machen? Draußen ist immer noch dieses Scheiß nasse Novemberwetter und der Regen prasselt gegen die Fenster.

Auf jeden Fall erzählt Dirk plötzlich.

»Habt ihr schon gehört, heut kommt ein neuer in die Schule!«

»Ja und wen interessiert es? Ist wahrscheinlich bloß ein neuer für die kleinen, du weißt die 5. und 6. Klassen!«

»Quatsch! Der kommt bei uns in die Stufe, bloß keine Ahnung in welche Klasse genau. Auf jeden Fall ist der ziemlich süß. Für 'nen Jungen.«

Fürs Verständnis. Dirk ist nicht schwul. Er ist voll hetero. Naja was seine Anspielung zu bedeuten hat? Er versucht mich schon 'ne ganze Zeit von meiner kleinen Depriphase zu befreien. Schon ein netter Kerl.

Aber so schlimm wie es sich anhört ist es gar nicht, mir gefällt einfach die Kombination Winter und Solo überhaupt nicht, na ja und das schlägt sich auch auf die Stimmung nieder, aber nicht besonders stark.

Wie euch schon aufgefallen sein müsste, bin ich geoutet. Um genau zu sein nicht bei jedem. Ich renne nicht mit einem Schild um den Hals durch die Gegend, auf dem steht »Ich bin schwul.«, aber wenn mich einer direkt fragt, was ich nun bin, sag ich natürlich die Wahrheit. Bisher wissen es eigentlich bloß die Erwähnten Dirk, Andie und Sven und meine Eltern, na ja reicht auch für den Anfang.

»Ja ja, du und deine Kenntnis über Jungs.«

»Ne ehrlich, Kristin hat schon versucht sich an den ranzuschmeißen und du weißt was das bedeutet.«

Kristin ist das »schönste« (behaupten die anderen) Mädchen der Stufe, an der sich schon alle die Zähne ausgebissen haben und da kommt so ein neuer an und verdreht ihr den Kopf! Wow jetzt interessiert er mich dann doch. Aber um mal realistisch zu sein, wie groß wäre denn dann immer noch die Chance, dass er sich für mich interessieren könnte? Gedanken über Bord geworfen und weiter im Kartenspiel. Um es kurz zu machen bis auf ein paar Laute wie 18, 20, 22 oder 24 hört man nichts von uns. Wir sind mal wieder voll in unserem Element.

Plötzlich, wie soll's auch anders sein, klingelt es und wir müssen uns zu zwei Stunden weiterer Höllenqualen aufmachen. Erst mal Englisch und danach Deutsch. Zwei Stunden zum Einschlafen, was eigentlich auch mein Plan ist. Sonst würde ich wohl vor Langeweile eingehen.

Und schon quetschen wir uns durch die enge Tür ins Zimmer und ich pflanze mich in die letzte Reihe an die Wand, um möglichst nicht bemerkt zu werden.

Schon beginnt auch schon die nervige Stimme von unserer Lehrerin.

»Nu macht mal hin mit auspacken in 20 Sekunden klingelt es zu Stunde.«

Blablabla, die immer mit ihrer Hektik. Brrr. Wie ich diese Frau leiden kann.

Nichts gegen Frauen, aber mit der werde ich wohl nie Brüderschaft trinken.

Das liegt vor allem an ihrem Unterrichtsstil, aber egal, kurz gesagt, ich hasse es wie sie Englisch spricht. Die versteht nicht mal jemand, der Englisch als Muttersprache hat, und so was unterrichtet auch noch die Sprache. Grrr.

Was soll's dran ändern kann ich nichts. Ich kann mich höchstens drüber aufregen.

»Good Afternoon, open your books please...« Bla bla bla, der ernüchternde Schulalltag setzt sich fort und ich beschließe mein kleines Nickerchen zu beginnen.

Doch kurz bevor mir die Augen zufallen, klopft es plötzlich an der Tür.

Unser stellvertretender Schulleiter streckt seinen Kopf rein.

»Entschuldigung für dir Unterbrechung, aber ich hab hier wen, der ab heute gern am Unterricht teilnehmen will.« Klar und ich heiß Helmut Kohl und hab 'ne weiße Weste. Typische Floskeln.

Hatte Dirk also doch recht, wir bekommen einen Neuen. Herr Schmidt, unser Stellvertretender, tritt zur Seite und ein Traum von Mann betritt den Raum.

Schwarzes kurzgeschnittenes zerzaustes Harr, schlanke, wohlproportionierte Figur, stahlblaue Augen und ein umwerfendes Lächeln mit kleinen weißen blitzenden Zähnen.

In einem Wort: ein TRAUM.

»Das ist Mark Kerr. Und ich lass euch jetzt mal allein und ihr macht jetzt mal schön weiter!« Wieder setzte Schmidt sein schleimiges Lächeln auf und schließt die Tür.

Und jetzt steht er da, mitten im Raum. Er wirkt ein bisschen verschüchtert und man sieht er fühlt sich ein bisschen unwohl.

Zum Glück greift unsere Lehrerin ein.

»Setz dich erst mal neben Dirk, dahinten in der dritten Reihe.«

Was neben Dirk, also nur einen Platz zwischen mir und diesem Traum.

Ich glaub in diesem Moment beginnt mein Herz doppelt so schnell zu schlagen wie sonst. Ich glaub in dem Moment war ich kurz davor meine Sinne zu verlieren.

Jetzt macht sich Mark, der Name klingt wie der eines Engels, auf den Weg und setzt sich neben Dirk.

Plötzlich werde ich unsanft in die Seite gestoßen.

»Eh hör auf zu starren sonst bekommt er noch mit, wie du ihn fast bei hellem Tage mit den Augen vernascht.« Grinst mich Dirk an und lacht leise.

Erst jetzt bemerk ich, dass nicht nur ich sondern nahezu alle anderen Mädchen auf Mark starren und ihn fast mit ihren Augen verschlingen. Da kann selbst ich mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

»Could you introduce yourself, please?«

Ich glaube diese Frage hätte sich unsere Lehrerin verkniffen, wenn sie gewusst hätte, was jetzt kommt. In einem unglaublich perfekten Englisch beginnt dieser jetzt zu erzählen. (ich werde jetzt einen Teufel tun euch den Originalwortlaut widerzugeben)

Mark erzählt auf jeden Fall, dass er aus San Diego aus den USA stammt, 18 Jahre alt ist und die nächsten Jahre mit seinen Eltern in Deutschland verbringen wird.

Naja halt nur ein bisschen Smalltalk, aber die Reaktion bei unserer Lehrerin war heftig. Die Farbe flieht aus ihrem Gesicht und hinterlässt nur ein blasses weiß.

Zum ersten Mal bekommt unsere Lehrerin also Konkurrenz vor allem beim Sprechen und ich glaub sie weiß, dass sie ein gewisses Manko hat. Sie beginnt sich trotzdem schnell zu fangen und lenkt schnell auf ein anderes Thema und zieht den Stoff, der eigentlich dran war, durch.

Doch nicht nur mir ist ihre Reaktion aufgefallen. Auch dem Rest, der anfängt leise zu kichern.

Mein geplantes Nickerchen fällt verständlicherweise ins Wasser.

Stattdessen gehen immer wieder ein paar verstohlene Blicke neben mich. Nicht auf Dirk, einen Platz weiter auf Mark. Von dichtem macht er noch einen größeren Eindruck. Kaum beharrte, zart gebräunte Haut. Kleine Grübchen in der Wange, wenn er lächelt und kein sichtbarer Wartwuchs. So viel lässt sich sehn, der Rest bleibt ja leider durch die Kleidung verdeckt.

Immer wieder werde ich von Dirk angestoßen ich soll nicht so starren, aber trotz allen Ermahnungen kann ich meine Augen nicht von ihm lassen.

Mark selber scheint etwas unsicher, ich glaub er hat bemerkt, dass er von vielen, besonders von den Mädchen und von mir, beobachtet wird. Seine Augen zucken leicht und er versucht dem Unterricht zu folgen.

Ein Klingeln beendet diese Stunde und erlöst Mark aus seiner Situation.

Auch wenn ich gewollt hätte, und das habe ich, konnte ich Mark nicht ansprechen. Naja zum Glück saß Dirk neben mir und der konnte seinen Mund mal wieder nicht halten und plapperte wie immer drauf los.

»Hi Mark, deinen Namen kennen wir ja nu. Also ich bin Dirk und hier neben mir, ist noch eine Trantüte. Die kannst du mit Stef rufen.«

»Dirk halt deine Klappe!« Trantüte, was 'ne Frechheit. Naja so geht's zwischen Dirk und mir ab und trotzdem lieben wir uns.

»Und hast du dich schon eingelebt in good old Germany?«

»Naja das Wetter ist gewöhnungsbedürftig. Aber sonst ganz nett. Ich werde es schon übersteh'n.«

Was eine wunderschöne Stimme. Seufz. Wobei? Wieso kann ein US-Amerikaner so gut Deutsch. Naja ich und Dirk schalten mal wieder parallel und er fragte mal wieder das, was mir durch den Kopf ging.

»Ach ganz einfach. Meine Eltern sind in den 50er Jahren in die USA ausgewandert und jetzt sind wir halt wieder da. Und zu Hause wurde halt viel Deutsch gesprochen, da lernt man das schnell. Man ist sogar gezwungen, um alles mitzubekommen.«

»Wo du von wir sprichst. Wer ist damit gemeint, deine Eltern sicherlich noch und sonst noch Geschwister?« Dirk mal wieder auf neugierig geschaltet. Mir kommt es nur recht sein.

»Ja, noch einen älteren Bruder, eine jüngere Schwester und einen kleinen Bruder von 5 Jahren!«

»Produktive Eltern kann man da nur sagen, nicht so wie bei Stef, das verwöhnte Einzelkind!«

»Sei froh, dass ich verwöhnt bin, sonst hättest du keinen Platz bei mir zum Pennen, wenn es bei euch zu laut wird! Du musst verstehen, Dirks Eltern waren noch produktiver, er hat noch 4 Geschwister und es ist immer ziemlich laut, so braucht er manchmal meine Unterkunft, um etwas Ruhe zu finden!«

Wow ich hab einen geraden Satz rausbekommen. Das scheint selbst Dirk zu überraschen, wie ich seinem Gesicht entnehme.

Und genau in dem Moment wurde unser kleiner Smalltalk durch das schrille Klingeln unterbrochen und unser Deutschlehrer kam wie immer zu spät rein gestürzt.

»Oh wie ich seh' ist das neue Gesicht schon eingetroffen. Hoffe mal du lebst dich schnell ein. Kommst du nach der Stunde mal nach vorn. Ach Steffen, du auch!«

Was soll das jetzt? Hab ich mich schon wieder mit irgendeinem Lehrer angelegt, wie ich es des Öfteren mache? Ich kann mich an nichts erinnern.

Falls ich es noch nicht erwähnt habe, ich bin in der Klasse derjenige, der sich mit jedem Lehrer anlegt und meistens die Meinung der Klasse vertritt sobald uns irgendetwas nicht passt. Das kommt leider zu oft vor, sodass ich es eigentlich gewohnt bin, öfter nach der Stunde bei Herrn Kleinert, oder von uns Mister Super-Cool genannt, zu erscheinen. Doch diesmal bin ich mir eigentlich keiner Schuld bewusst. Ich werd es schon überleben.

Und schon geht's weiter im täglichen Stoff und somit mit dem alten Schinken »Faust«. Viel mehr gibt's über diese Stunde nicht mehr zu berichten. Natürlich klebten meine Augen und meine Gedanken wieder an Mark.

Nach der Stunde, wie verordnet, erschien ich bei Herrn Kleinert auf der Matte und natürlich war auch Mark da. Das übliche Begrüßungsgeplänkel fing zwischen ihnen an.

Wie geht's? Woher kommst du? Schon eingelebt? Naja die üblichen Fragen die mir doch ziemlich bekannt vorkommen, schließlich hat Dirk sie vor kurzem noch selber gefragt.

»Und hast du schon im Stoff ein bisschen Einsicht? Oder gibt es noch große Schwierigkeiten?«

»Ich versuch ein bisschen einzutauchen in die Materie, aber es ist doch 'ne große Umstellung. Ich werd wohl 'ne ganze Zeit brauchen, bis ich den Stoff aufgeholt hab.«

»Gut das du da bist Steffen, du bist doch gar nicht so schlecht und ich hab vorhin gesehen, dass du und Mark euch schon ein bisschen beschnuppert habt. Da wollte ich dich bitten ob du Mark nicht unter die Arme greifen kannst, wenn er Probleme hat. Du kannst ihm ja deine Aufzeichnungen zur Verfügung stellen.«

Was ich soll diesem Traumtyp beim Stoff helfen? Wirklich ich? Ich hätte Herrn Kleinert um den Hals fallen können. Aber um nicht allzu euphorisch zu klingen sagte ich einfach nur:

»Na klar, wir können uns ja nachher noch treffen und über ein paar Sachen reden. Kein Problem.«

»Natürlich nur wenn dir das recht ist, Mark?«

»Danke das wär 'ne riesen Hilfe. Es gibt so einiges, was ich noch nachholen muss.«

»Na umso besser. Dann macht mal den Rest unter euch ab. So das war's, mehr wollte ich nicht. Ihr könnt abzieh'n.«

Was kein Anschnauzer? Nicht mal 'ne Rüge? Wie komm ich denn dazu?

Mir soll's Recht sein!

Wieder an Mark gewannt:

»Und hast du heut Zeit? Oder sollen wir uns ein anderes Mal treffen?«

»Mir würd's passen, wenn es dir keine Umstände macht?«

Oh war er nicht niedlich. Ganz verschüchtert sah er auf seine Schuhe hinab.

Am liebsten hätte ich ihn gleich in den Arm genommen. Ich konnte mich aber noch zurückhalten.

»Ich muss jetzt aber schnell los, meine Ma wartet, um uns abzuholen. Wann passt es dir? Heute um 18:00 Uhr?«

Klar passt das mir und wenn nicht hätt ich's mir eingerichtet. Aber man soll's ja nicht gleich hinausschreien. Also versuchte ich ein bisschen mein Glücksgefühl zu überspielen.

»Klar passt das. Komm einfach vorbei!«

Ich gab ihm also meine Adresse und kurz darauf war er auch schon weg, ohne noch viel zu sagen. So stand ich allein da. Ich brauchte erst mal ein paar Momente, um das Geschehene zu verdauen. Es fiel mir doch schwer einen Fuß vor den anderen zu setzten, so benommen war ich; es war als müsste ich noch mal neu das Laufen lernen. Irgendwann setzte ich mich doch in Bewegung und ich weiß nicht wie es passiert ist, aber irgendwann ging Dirk neben mir her.

»Na was wollte er diesmal von dir? Schon wieder Stunk mit irgendwelchen Lehrern?«

Noch benommen, mit einem fetten Lächeln auf den Lippen, aber kontrolliert konnte ich ihm doch noch antworten.

»Nein gar nicht. Er wollte bloß, dass ich Mark beim Schulstoff helfe, den aufzuholen.«

»Ach deswegen bist du so komisch. Damit hat er wohl deinen Herzenswunsch erfüllt. Pass bloß auf mit deinen Augen, die verschlingen ihn noch.«

»Ist das so offensichtlich?«

»Wenn er es noch nicht bemerkt haben sollte, ist er entweder stockdumm, blind oder er will....«

»Was will er?«

»Wer sagt das er was will? Er kann ja auch bloß blind sein!«

»Nun sag schon, was kann es noch sein? Stockdumm, blind oder?«

»Naja schon mal dran gedacht, dass er vielleicht auch, ich meine wie du! Na ja du weißt schon. Dass er nicht ganz von dir abgeneigt ist. Scheiße! Lass mich nicht so zappeln. Du weißt ich kann so was schlecht ausdrücken«

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. So niedlich sah Dirk aus, als er mir versuchte zu erklären, dass vielleicht auch Mark etwas für mich empfinden könnte. Was ich aber stark bezweifel. Man merkt Dirk hatte schon seine Probleme über Gefühle zu reden. Das macht ihn aber auch zu einer liebenswerten (was ein Scheiß Wort, mir fällt bloß kein besseres ein) Person.

»Das glaubst du doch nicht selber, dass er auch was für mich empfinden könnte? Wie groß ist denn die Chance, dass er auch schwul ist und zudem, dass er auch was für mich empfinden kann? Ich glaub die Chance ist kleiner als Null.«

»Nu geb' doch nicht immer gleich die Hoffnung auf. Wer weiß. Vielleicht ist er es ja doch. Und du wärst doch endlich mal an der Reihe ein bisschen Glück zu erleben.«

»Komm, lass uns das Thema beenden. Es ist einfach Schwachsinn über fiktive Sachen zu reden. Da ist bei ihm nichts und ich glaub da wird auch nie was sein. Leider.«

»Meinetwegen. Mal 'ne andere Frage: Könnte ich eigentlich heute noch vorbeikommen, Mathe machen? Bei mir ist mal wieder volles Haus und keine Ruhe. Das ist grausam. Am besten ich zieh bei dir ein, dann hab ich meine Ruhe.«

»Sorry heute nicht. Mark kommt nachher noch vorbei und wir wollen ein bisschen durch den Stoff!«

»Ach jetzt versteh ich deine Stimmung.«

Dies sagte er und setzte dabei mal wieder sein dreckiges Grinsen auf.

»Komm hör auf. Da läuft nichts, keine Angst. Wäre ja auch zu schön. Er kommt bloß vorbei um zu lernen. Wirklich.«

»Aber lass noch ein bisschen von ihm übrig. Die Mädels in der Klasse würden es dir danken.«

Schon wieder dieses dreckige Grinsen. Ich könnt ihn schon wieder. Aber ich musste schließlich selber grinsen. Mark ist ja auch ein süßer. Kein Zweifel.

»Wir sehn uns dann morgen in der Schule.«, hör ich Dirk plötzlich nur noch über die Straße rufen. Unsere Wege trennten uns mal wieder und ich stapfte gedankenverloren allein durch den kalten Dezember.

Hab ich schon erwähnt, wie ich diese Jahreszeit hasse? Besonders wenn es so ist wie jetzt. Nass kalt, tägliche Schauer, kein einziger Sonnenstrahl und ein grauer, wolkenbehangener Himmel. Wie schon die letzten Jahre nasskalt und kein Flöckchen Schnee, was wenigstens ein bisschen schön ausgesehen hätte. Nein immer dieser Scheiß Regen. Wie auch jetzt.

Völlig durchnässt und von oben bis unten mit Moder bespritzt (durch vorbeifahrende Autos, nicht durch das was ihr denkt) kam ich zu Hause an. Zum Glück waren meine Eltern verreist und konnten mich so nicht nerven. So hatte ich das Haus für mich allein.

Ich schlüpfte erst mal aus meinen Klamotten und sprang unter die Dusche.

Bei so einem Mistwetter ist Duschen einfach göttlich. Das warme Wasser auf der Haut spüren, wie es an einem hinunter perlt. Einfach himmlisch.

Ich könnte den ganzen Tag so verbringen, einfach die Wärme von oben, die an einem hinab gleitet.

Aus diesem Grund passiert es auch immer wieder, dass ich die Zeit vergesse.

So musste es kommen wie es kommen musste.

Plötzlich klingelte es an der Tür und als ich auf die Uhr schaute bekam ich einen Schock. Schon 18:00 Uhr. Ich war somit eine ganze Stunde unter der Dusche. Scheiße. In aller Hektik schwang ich mir bloß ein Badetuch um die Hüften und rannte zur Tür. Draußen stand wie erwartet Mark, der mich mit großen Augen ansah.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich Mark halb nackt die Tür öffnete. Normalerweise wäre das egal gewesen, zum Beispiel bei Dirk. Aber gleich einen schlechten Eindruck bei Mark zu machen muss doch nicht sein.

»Sorry, komm rein. Ich hatte bloß die Zeit beim Duschen vergessen. Ich empfange normalerweise Gäste nicht mit nur einem Badetuch bekleidet.«

»Oh. Gut. Ich dachte schon ich bin zu früh dran oder ich würde dich bei was stören.«

»Nein, gar nicht, war ja meine eigene Schuld. Komm jetzt erst mal rein.«

Wie befohlen betrat er unser Haus und erledigte sich erst mal seiner Schuhe und Jacke.

Ich führte ihn dann in mein Zimmer.

»Machs dir erst mal gemütlich. Ich bin gleich wieder da, dann aber bekleidet.«

Ich lächelte ihn kurz an und verschwand dann im Bad. Scheiße, erst jetzt ging es mir durch den Kopf, wie peinlich das war. Da erwartet man jemanden zum Lernen und dieser jemand ist so ein richtiger Traum. Man vergisst beim Duschen die Zeit und öffnet nur mit einem Badetuch um die Hüften die Tür. Was macht das für einen Eindruck. Ich kann mir gut vorstellen was Dirk dazu sagen würde, wenn er davon Wind bekommt.

»Aha, dass hätt ich jetzt ja nicht von dir gedacht, dass du dich ihm gleich so an den Hals wirfst. Aber wo die Hormone walten, da setzt der Verstand aus!«

Scheiße, ist das peinlich. Ich versuchte dann aber trotzdem wieder zur Vernunft zu kommen und zog mich so schnell wie möglich an.

Ich ging dann zurück ins Zimmer und fragte erst mal:

»Willst du was trinken?«

»Gerne«

»Tee, Kaffe, Kakao oder was anderes?«

»Eine Tasse Tee, wenn's keine Umstände macht.«

»Macht es überhaupt nicht. Ich hätte mir selber einen gemacht. Bin dann gleich wieder mit dem Tee da.«

Ich verschwand dann noch einmal in die Küche. Ich kochte natürlich nicht irgendeinen Tee. Ne ne, es gab den besten Weihnachtstee, den wir hatten. Es war ja schließlich nur noch ein paar Wochen bis dahin, da durfte man so was schon mal machen. Ich stellte dann eine Kanne mit heißem Tee, zwei Tassen und Zucker auf ein Tablett und schlich dann auf Zehenspitzen nach oben in mein Zimmer.

Ich wollte mich erst mal nicht bemerkbar machen, sondern heimlich spionieren, was Mark so in meinem Reich tat.

Mir fielen fast die Augen aus. Er hatte sich auf meine Couch gesetzt und ist darin einfach eingeschlafen. Sanft hob und senkte sich seine Brust beim Atmen.

Er hatte sich wie ein kleines Kind zusammengekauert.

Das sah so niedlich aus. Ich sah ihm noch eine ganze Weile zu und hätte das auch ewig weitermachen können, doch er war ja da, um ein bisschen was für die Schule zu tun. So setzte ich mich zu ihm auf die Couch und strich ihm ganz sanft durchs Haar.

»Hey, aufwachen. Der Tee ist fertig!«

Er öffnete ganz langsam seine Augen und mich schauten durch zwei kleine Schlitze zwei kleine, blaue, verschlafene Äuglein an.

»Was ist los?«, fragte er verschlafen.

»Du bist bloß eingenickt.«, sagte ich und lächelte ihn an.

Plötzlich schreckte er hoch, anscheinend hatte er gemerkt, dass er nicht zu Hause im heimischen Bett lag, sondern bei einem Fremden auf der Couch.

»Shit, so was kann auch wirklich nur mir passieren. Das ist jetzt echt peinlich, sorry echt. War nicht mit Absicht. Ich bin bloß einfach etwas überstresst vom Umzug und von meinen neuen Eindrücken.«

»Sind wir so langweilig, dass du schon einschläfst?«, fragte ich scherzhaft.

»Nein gar nicht, ihr seid super nett.«, sagte er etwas verschämt, aber als er mein Grinsen sah, fing er auch an zu kichern.

»Hier nimm erst mal deinen Tee.«

»Sorry noch mal, soll nicht mehr vorkommen, dass ich hier einfach einschlafe.«

»Ach, wir sind jetzt Quitt, ich hab vergessen mir was anzuziehen und hab dich im Badetuch begrüßt und du bist eingeschlafen. Also Schwamm drüber!«

Er nahm dann seinen Tee. Roch erst mal dran und nahm einen kleinen Schluck.

»Hm. Schmeckt echt lecker! Weihnachtstee oder?«

»Natürlich für meine Gäste nur das Beste. Wie war denn dein Umzug bisher?«

»So ziemlich alles was schief gehen konnte, ist schiefgegangen, deswegen bin ich ja ein bisschen überstresst. Als wir hier ankamen, war kein Taxi zu finden und das was man uns schicken wollte, war nicht da. So mussten wir 2 geschlagene Stunden zusätzlich auf dem Flughafen zubringen und auf ein anderes Taxi warten. Doch dann kam das nächste Problem: Der Taxifahrer wusste nicht, wo unsere Adresse liegt. So mussten wir in einer Irrfahrt von zwei Stunden unser Haus suchen. Doch schließlich kamen wir auch dort an.«

Er machte eine kurze Pause und trank wieder einen Schluck Tee und fuhr dann fort.

»Dann waren wir endlich da, aber dann bemerkten wir, dass die Sachen, die wir schon vorgeschickt hatten, noch nicht da waren und als wir bei der Fluggesellschaft anriefen, wurde uns mitgeteilt, dass unsere Gepäckstücke verloren gegangen sind. Tolle Aussicht was?«

»Ist ja kein besonders guter Einstand.«

»Wirklich nicht!«, sagte er etwas genervt, »und heute sind dann unsere Gepäckstücke wieder aufgetaucht. Als ich heute von der Schule kam, sah es bei uns aus wie auf einem Schlachtfeld. Zum Glück hatte ich kaum Zeit und bin dann gleich wieder zu dir abgedampft. Heute noch einräumen hätte mir den Rest gegeben.«

»Ach du armer. Ist wirklich nicht gut gelaufen. Da kann es nur besser werden. Dafür werden ich, Dirk und die anderen sorgen.«

»Danke, bisher sind du und Dirk auch der einzige Lichtblick hier in Deutschland.«

Ich wurde bei dem Satz etwas rot und schaute schnell auf meine Füße bevor es arg zu peinlich wird.

»Nicht doch, wenn du die anderen kennen lernst, wirst du schnell merken, dass wir nur Durchschnitt sind und jeder, na gut vielleicht nicht jeder, aber die Mehrheit, dich mit offenen Armen empfängt und dich gut behandelt.«

»Stell doch dein eigenes Licht nicht so unter den Scheffel, was du bisher gemacht hast ist nicht selbstverständlich. Du bist echt supernett und ich hätte dich gern als einen Freund.«

Einen Freund, was ein Wort! Was kann man auch anderes erwarten. Immerhin Freund. Besser als gar nichts.

»Vermisst du denn schon San Diego?«

»Ja natürlich. Das Wetter, die Stadt, einfach alles!«

»Kann ich gut verstehen, bei euch ist die ganze Zeit schönes Wetter, 'ne schöne, große Stadt mit vielen Clubs und anderen Möglichkeiten die Zeit zu vertreiben und dann kommst du in so einen Ort. Das muss dir ja vorkommen wie die Hölle.

Nasskaltes Regenwetter, ein Dorf mit einer dummen Dorfdisse, wo sich die dümmsten Proleten rumtreiben und Weiber aufreißen und sonst ist tote Hose.»

»Bisher hab ich noch gar nicht viel von der Stadt gesehen, also kann ich mir noch kein Urteil erlauben, aber sicherlich wird nicht so viel geboten wie ins San Diego und das Wetter ist auch grausam. Aber die Leute hier sind bisher super.

Trotzdem vermisse ich tierisch meine Freundin. Das war schon ein harter Abschied von ihr. Wir haben am Flughafen schon richtig geheult.»

Au. Das war ein tiefer Stich. Das tat weh. Urplötzlich war meine Stimmung dahin. Ne Freundin, also doch hetero und damit unerreichbar für mich. Meine Stimmung war kurz davor auf den Nullpunkt zu sinken.

»Du musst sie einfach mal kennen lernen, sie ist der beste Mensch auf Erden. Sie hört mir zu wenn ich Kummer habe, tröstet mich. Ich kann mit ihr über jeden Scheiß lachen und mit ihr rumalbern. Sie hält grundsätzlich immer zu mir. Man kann mit ihr Pferde stehlen. Einfach ein Traum.«

Jetzt war er erreicht. Er Nullpunkt. Kann ich noch tiefer sinken?

»Sie ist das, was ich am meisten vermisse. Ich glaub, sie kann mir niemand ersetzten.«

Scheiße ich kann noch tiefer sinken.

»Sie ist halt mein bester Freund, auf den ich nur sehr schlecht verzichten kann.«

Was hab ich da gehört. Bester Freund. Bester Freund. Gibt es doch noch Hoffnung.

»Wie jetzt ist sie deine beste Freund oder ist sie deine Freundin? Ich mein jetzt dein Girlfriend?«

»Nein, meine beste Freundin. Mit ihr hatte und werde ich nie etwas haben. Sie ist mir als Freundin am liebsten. Ich will die Beziehung, die ich zu ihr habe, nicht durch Liebe kaputt machen. Ich hoffe du verstehst das.«

»Natürlich versteh ich das.«

In diesem Moment fiel mir ein riesen Felsbrocken vom Herzen. Wäre der auf dem Fußboden gelandet, hätte das ein Erdbeben von der Stärke 10 auf der Richterskala ausgelöst. Es bestand also noch Hoffnung und meine Stimmung stieg rasant.

»Wo sind eigentlich deine Eltern oder wieso bist du eigentlich allein hier?«, fragte er mich dann.

»Die wollen sich bloß vom Stress kurz vor den Feiertagen noch ein bisschen erholen. Die sind nach Spanien geflogen und machen dort ein paar Wochen Urlaub und da hab ich das Haus für mich. Und bin auch ganz froh darüber.«

Plötzlich hör ich ein komisches Geräusch, was sich als ein riesiges Magenknurren herausstellte.

Ihm war das sichtlich peinlich und er lief rot an und schaute verschämt zu Boden.

»Hast du Hunger? Sollen wir runter in die Küche und uns was zu futtern suchen?«

»Gerne, sorry für mein Knurren, aber ich hab den ganzen Tag noch nichts gegessen.«

»Was den ganzen Tag noch nicht, na dann schnell mal runter in die Küche bevor du mir noch zusammenklappst.«

»Sorry, ist mir echt peinlich.«

»Ach mach dir nichts draus, ich hab auch Hunger bekommen.«

Wir marschieren also abwärts in die Küche und plündern den Kühlschrank.

Beim Essen geht das Geplauder weiter.

»Wieso ist deine Familie eigentlich nach Deutschland gekommen? Und wenn Deutschland, wieso direkt in die Pampa?«

»Mein Vater ist Manager im Hotelwesen und wie du sicherlich weißt, wurde hier in der Nähe der neue Robinson Club eröffnet und in einem der Restaurants ist mein Vater als Manager angeheuert worden. Und wenn der Vater geht müssen alle ihm nach.«

»Stimmt, der wurde hier gebaut und die verdienen damit ein Schweinegeld.

Wieso sind du und dein Bruder dann nicht in den USA geblieben, um dort die Schule zu beenden? Ist doch sicherlich einfacher, als kurz vor dem Abschluss noch mal die Schule zu wechseln?»

»Davon hält mein Vater nichts. Absolut konservativ, solange wir noch minderjährig sind, will mein Vater seine ganze Kraft spielen lassen und da müssen wir dann hinterher.«

Plötzlich beginnt draußen ein Platzregen, so dass es nur so gegen die Fensterscheiben platzt. Der Tag ist schon in Nacht übergegangen, so dass man nur noch den Regen auf den Fensterscheiben sieht.

Mark schaut auf seine Uhr und zuckt plötzlich zusammen.

»Scheiße, schon 22:00 Uhr. Ich muss nach Hause, so schnell wie möglich.«

»Tatsächlich, schon 22:00 Uhr. Aber vergiss mal schnell, dass ich dich bei dem Wetter noch raus lasse. Du rufst jetzt zu Hause an und sagst, dass du heute bei einem Freund übernachtest. Kein Einspruch. Bei dem Sauwetter kommst du komplett durchnässt und mit Lungenentzündung zu Hause an und das will keiner verantworten. Also bleibst du hier.«

Mark will was sagen, ich unterbreche ihn aber.

»Kein Widerspruch, du bleibst.«

Mark sagt keinen Mucks mehr und bleibt stumm sitzen.

»Ok jetzt hier ist das Telefon und du rufst jetzt deine Eltern an.«

Ich höre ihm neben bei zu und als er aufgelegt hat, beschließen wir abzuräumen und das Geschirr in die Spülmaschine zu stellen.

Das dauert natürlich keine Ewigkeit und so gehen wir gleich danach nach oben, wieder in mein Reich.

»Geh schon mal rein, ich geh nur noch mal schnell ins Bad.«

Kurz gesagt schnell getan. Ich geh für kleine Königstiger und Mark geht in mein Zimmer. Kurz nachdem ich fertig bin kehre ich zurück, aber was muss ich da sehn. Mark ist schon wieder eingeschlafen. Ich kann mir in dem Moment ein Lächeln nicht unterdrücken. Er sieht so hilflos und schön aus. Diesmal liegt er auf meinem Bett, ein geigelt und atmet ruhig und rhythmisch ein und aus. Ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Lippen. So friedlich wie ein Engel.

Richtig zum anbeißen. Am liebsten hätte ich mich neben ihn gelegt und mich an ihn gekuschelt. Doch ich kann es mir dann doch verkneifen.

Diesmal wecke ich ihn aber nicht. Er hat mir ja vorhin erzählt, was er zurzeit durchmacht und das er voll im Stress steht, da kann ich seine Erschöpfung voll und ganz verstehen. Ich nehme stattdessen eine Decke und leg ihm die über seinen süßen Körper.

Trotzdem lege ich mich nicht neben ihn, sondern nehme mir noch eine Decke und lege mich auf die Couch. Draußen peitscht der Wind den Regen gegen die Fenster und die Straßenlaternen flackern. Sie sind das einzige, was noch Licht im Zimmer spendet. Eine unheimliche und doch ein schöne Atmosphäre.

Mir geht der Tag und seine Ereignisse durch den Kopf. Erst mal natürlich die erste Begegnung mit Mark, dann das erste Gespräch, wo er und ich doch noch ziemlich schüchtern waren und nur Dirk das Gespräch dirigierte. Dann natürlich noch der Moment in dem mich Herr Kleinert fragte, ob ich nicht Mark helfen könnte, den ich natürlich liebend gern erfüllte und letztendlich der Abend bei mir.

Natürlich von der Peinlichkeit, dass ich mit Badetuch um die Hüften öffnen musste. Dann als er eingeschlafen ist und ich ihn wecken musste. Sein Magenknurren, das Essen und natürlich das Erzählte.

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich eigentlich ihn den ganzen Abend nur ausgequetscht hatte und er kaum Gelegenheit hatte mich etwas zu fragen.

Wobei eigentlich keins von beidem der Grund unseres Treffens war, wir sollten ja eigentlich was für die Schule tun, aber das ist ja schließlich ins Abseits gerutscht, was ich auch nicht unbedingt bedauere.

Zum ersten Mal hat mir ein Mensch so sehr den Kopf verdreht, dass ich die ganze Zeit nur an ihn denken muss. Er will mir nicht aus dem Kopf.

Aber was sollen die Gedanken. Ich weiß noch nicht mal, ob er überhaupt etwas wie ich für einen Mann empfinden kann. Die Chance ist nahezu Null. Aber er will einfach nicht aus dem Kopf.

So verwirrt wie ich bin schlaf ich auch ein.

Selbst in den Träumen will er nicht geh'n. Ich sehe uns arm in arm am Strand liegen. Die Sonne geht unter. Seine warme Haut ruht auf meinem Körper. Kleine Blitze durchzucken unsere Körper. Ich fühle seinen Mund auf meinem, langsam öffnen sich unsere Lippen und unsere Zungen dringen in den anderen Mund vor. Sie spielen miteinander ganz sanft und doch fordernd. Seine Lippen wandern abwärts, erst meine Brust, die er mit sanften Küssen bedenkt, dann weiter hinab zu meinem Bauchnabel, den er mit seiner Zunge zum vibrieren bringt und schließlich noch tiefer bis zu ...

»NEIN, NEIN hör auf hör bitte, bitte auf, ich werd es auch nie wieder tun. Bitte hör auf. Nein. Bitte es tut weh, bitte hör auf...«

Ruckartig werde ich aus meinen süßen Träumen gerissen.

Ich höre ein lautes Geschrei. Es kommt aus Marks Richtung. Ich springe auf. Laufe zu seinem Bett und sehe wie er sich im Bett hin und her wälzt und schreit.

Er macht mir Sorgen, riesige Sorgen. Ich versuche ihn aufzuwecken, doch es funktioniert nicht.

Er schlägt bei jedem Versuch ihn zu wecken um sich und ich bekomme auch einen Schlag voll aufs Auge. Doch das ist mir im Moment so was von egal.

»NEIN, NEIN, hör auf, hör doch bitte auf, das tut weh. Nein ich will nicht, das tut weh, das tut weh.«

Mir wird ganz mulmig und ich fühl mich hilflos wie ein Kind und weiß nicht was ich machen soll.

»Hör auf, hör auf, es tut so weh, nein, ich will das nicht, nein. Hör doch bitte auf. Hör auf! Nein! Es tut so weh!«

Erst als ich ihn unsanft wachrüttle und ihm ein Ohrfeige geben (die mir wohl am meisten selber wehtat, ich verabscheue Gewalt, doch in dem Moment wusste ich nicht was ich sonst noch machen sollte), wacht Mark schweißgebadet und schwer atmend auf.

»NEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIINN«, schreit er als er hochschreckt.

Mark starrt mich entsetzt an und rührt sich nicht. Er sitzt da wie festgefroren.

»Mark, ruhig es ist nur ein Traum, nur ein Traum.«

Mark klammert sich an mich, die Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen, blass mit leeren, starren Augen schaut er mich an.

Auf seiner Stirn stehen große Schweißtropfen und seine Haut fühlt sich eisigkalt an, so als wenn er gerade die Gesamte Kälte des Nordpols in sich vereinigt.

In seinen Augen beginnen sich Tränen zu sammeln und plötzlich kullern ihm dicke Tränen über die Wangen. Er drückt seinen Kopf an meine Schulter und sagt nur:

»Halt mich bitte, halt mich bloß fest, bitte.«

Mark zittert am ganzen Körper und seine Fingernägel krallen sich in meinen Rücken. Er weint und weint und fällt schließlich wieder in den Schlaf, immer noch an mich geklammert.

Ich lasse ihn nicht los, wie mir befohlen, ich bleibe die ganze Zeit sitzen und halte ihn fest.

Ich würde ihn lieber unter anderen Umständen und aus einem anderen Grund festhalten, aber ich bin für ihn da und halte ihn einfach nur. Er beginnt langsam und rhythmisch zu atmen. Mark hört auf zu zittern und seine Haut nimmt wieder Wärme und Farbe an.

Aber ich lasse ihn nicht los, wie mir befohlen.

Was hatte er nur geträumt, was ihn so sehr in Erregung versetzte?

Was hat ihn so geängstigt? Habe ich irgendetwas gemacht, was ihm Angst gemacht hat? Oder ist irgendetwas anderes passiert?

Was hat ihn so verletzt? Oder war alles nur ein Traum?

War es nur Einbildung oder war es doch real?

Ich mach mir noch die ganze folgende Zeit Sorgen und schließe kein Auge.

Ich halte Mark in meinen Armen, der wieder ruhig schläft. Der Regen hat draußen aufgehört und die Uhr zeigt 2:00 Uhr. Doch ich rühr mich keinen Zentimeter weit und halte ihn nur fest. Die Uhr schreitet voran erst 3:00 Uhr, dann 3:30 Uhr 4:00 Uhr und schließlich bin auch ich eingeschlafen.

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