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Philipp

Teil 1

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»Verdammt nochmal, was hast Du Dir dabei gedacht?«, brüllte ich.

»Ich...«, ganz leise und ängstlich.

»Schnauze, jetzt rede ich! Was meinst Du, wie es mir jetzt geht? Erst kommst Du abends nicht nach Hause, dann krieg ich um 3 in der Früh nen Anruf, ich soll ins Spital kommen...«

»Sorry...«

»Mit 'Sorry' ist es hier nicht getan, Philipp! Wie soll ich das meiner Schwester erklären? Meiner Versicherung? Deinen Lehrern?”

Er flüsterte: »Es tut mir Leid.«

»Das sollte es besser auch. Was meinst Du, wieviel Ärger wir jetzt kriegen können? Führerschein wirst Du wohl vergessen können und sobald Du hier rauskommst, hast Du Hausarrest!«

»Aber...«, Philipp weinte fast.

»Nichts aber!« Ich war auf 180. »Wenigstens war kein Alkohol im Spiel!«

Ich mußte hier erstmal raus, sonst würde ich mich nie wieder abregen und vielleicht noch was tun, was mir hinterher Leid täte.

»Bleib hier, ich komm gleich wieder.«

»OK, weit weg käme ich sowieso nicht!«, kam es schluchzend aus dem Krankenhausbett.

In Krankenhäusern hatte ich mich nie wohl gefühlt, auch als Besucher nicht, und dieser Raum war ein typisches Krankenhauszimmer. 4 Betten, 4 Nachtschränke, Badezimmer neben dem Eingang und an einer Wand hing ein Gestell mit einem Fernseher. Zusatzversicherung sei Dank war sonst kein anderer Patient hier, sonst wäre ich längst hinausgeflogen, so wie ich mich hier aufgeführt hatte.

Was für ein Glück, dass die Zimmertüren einen Hydraulikschliesser hatten, sonst hätte ich sie zugeschlagen und damit das halbe Spital geweckt. Auf dem Weg nach unten wurde ich wieder etwas ruhiger, war aber immer noch in keiner guten Stimmung. Das besserte sich auch nicht wirklich, als ich feststellte, dass erstens die Getränke im Automaten in der kahlen Eingangshalle € 2,50 pro 0,5l Flasche kosteten und zweitens alle Schächte, ausser Almdudler und Wasser, leer waren. Ich mag keinen Almdudler, ich bin ein Cola-Light Mann. Philipp dagegen, der liebte das Kräuterzeugs. Weiß der Geier, warum. Vielleicht, weil man das nördlich Bayerns kaum bekommt und wir beide ursprünglich aus NRW kamen.

Inzwischen war es Samstag 6:30 Uhr, in Kenia also 7:30 Uhr.

,Sie wird mich hassen, wenn ich sie jetzt wecke,', dachte ich, ,aber sie wird mich noch mehr hassen, wenn ich sie nicht anrufe und sie es später irgendwann erfährt.'

Ich fischte mein Handy aus der Hose, tippte den PIN-Code ein, suchte mir die Nummer aus dem Telefonbuch und hörte bald darauf ein verschlafenes: »What?«

»Hallo Brötz.« Wie meine Schwester zu dem Spitznamen gekommen ist, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall hatte sie den schon, seit ich denken konnte.

»Hallo Dicker, warum weckst Du mich so früh am Wochenende? Ist was passiert?«

»Ja! Philipp hatte nen Unfall!«

»Scheisse. Soll ich kommen?«

Im Hintergrund hörte ich ein Grunzen durchs Telefon: »Katja, what's wrong? Who's that on the phone at this ungodly hour?«

»Nein, mach Dir keine Umstände, ich weiß, wie schwierig es ist, so kurzfristig nen Flug zu bekommen. Ihm geht's relativ gut, linkes Wadenbein angeknackst und ein paar Abschürfungen, aber meine BMW hat er geschrottet.«

»Wie? Deine BMW? Die darf er doch gar nicht, er ist doch erst 16!«

»Das ist es ja, was mich so wütend macht. Das Ding ist ein Oldtimer, und Du weißt, das Teil ist mir heilig...«

»Jetzt reg Dich ab, sei lieber froh, dass dem Kleinen nicht mehr passiert ist. Soll ich wirklich nicht kommen?« Und wieder leise die unfreundliche Stimme meines Schwagers: »What has that faggot son of yours done now?”

»Lass mal, bis Du hier wärst, ist er sicher schon wieder fit. Ich sag Bescheid, wenn es Probleme geben sollte.«

»Na gut. Grüß ihn von mir und sag ihm, ich hab ihn lieb.«

»Mach ich. Ciao.«

Ich seufzte, nuckelte an der Wasserflasche und dachte darüber nach, was ich mir damals angetan hatte, als ich Philipp bei mir aufnahm.

Zu sagen, dass Philipp und sein Stiefvater ein miserables Verhältnis zueinander hatten, wäre geprahlt. Die beiden konnten sich noch nie ausstehen, was vielleicht mit daran lag, dass Philipp seinen echten Vater nie gekannt hatte – niemand wusste, wer das war. Als meine Schwester mit knapp 18 schwanger wurde, hatte sie niemandem erzählt, von wem. Vielleicht lags daran, dass er schon 12 war, als mein Schwesterlein John kennenlernte und kurz drauf heiratete. Nachdem er 12 Jahre lang seine Mutter für sich gehabt hatte, mußte er sie nun mit einem anderen Mann teilen, den er nicht mochte.

Ich mochte ihn übrigens auch nicht, fand, dass er ein arroganter amerikanischer Schleimer sei. Bis heute weiß ich nicht, was Katja an ihm fand, noch nicht einmal gut ausschauen tat er, ausserdem war er wesentlich älter als sie. Besonders intelligent schätzte ich ihn auch nicht ein. Irgendwelche Qualitäten mußte er ja haben und vielleicht lagen die zwei handbreit südlich des Bauchnabels. Was solls, ich brauchte ja nicht mit ihm zusammenleben und konnte ihm gut aus dem Weg gehen, schließlich wohnte ich weit genug weg.

Vor zwei Jahren war es dann zum großen Krach gekommen. John hatte das Angebot bekommen, ein Hotel in Kenia zu leiten und hatte darauf bestanden, dass meine Schwester und Philipp mit ihm gingen. Bald drauf hatte er Philipp in eindeutiger Situation überrascht, was vielleicht noch nicht so schlimm gewesen wäre. Nur war es kein Mädel gewesen, mit dem Philipp herumgeknutscht hatte, sondern ein Junge, und bei John war eine Sicherung rausgeflogen. Philipps Freund war kurzerhand aus der Wohnung geworfen worden und Philipp hatte die Tracht Prügel seines Lebens bekommen, »to beat that faggot nonsense out of him for good« (O-Ton John). Meine Schwester, die kein Problem damit hatte, einen vielleicht schwulen Sohn zu akzeptieren, schließlich besaß sie einen schwulen Bruder, hatte einen Schreikrampf bekommen, Philipps Sachen gepackt und ihn erstmal zu unseren Eltern verfrachtet.

Es dauerte ein paar Wochen, bis sich alle wieder beruhigt hatten, allerdings war Kenia jetzt aus naheliegenden Gründen für Philipp gestorben. Er hatte sich aussuchen dürfen, ob er bei den Großeltern in Deutschland oder beim kleinen Bruder seiner Mutter in Wien leben wollte. Ich denke, ausschlaggebend war nicht nur, dass ich in Wien lebte, statt in einem Dorf in NRW, wie die Großeltern, sondern auch, dass ich nur 11 Jahre älter war als er.

Ich steckte mein Handy wieder ein und ging nochmal an den Automaten. Ein paar Anrufe würde ich zwar noch machen müssen, heute Vormittag, aber zu einer etwas humaneren Zeit. Mit zwei Flaschen Almdudler unterm Arm stieg ich wieder die Treppen hinauf in den zweiten Stock, um nach Philipp zu schauen.

»Hier, ich hab Dir was mitgebracht. Das ist sicher besser als der Tee, den die Schwestern Dir gebracht haben.«

»Danke, Stefan. Bist Du noch böse?« Philipp schaute mich mit seinen großen grünen Augen schüchtern an.

»Jein. Entschuldige, dass ich Dich vorhin angeschrien hab. Ich hab mir halt Sorgen gemacht, als Du abends nicht zu Hause warst. Hab mich gar nicht richtig auf die Story konzentrieren können, die ich korrigieren sollte und bin dann gegen Mitternacht ins Bett. Dann kam um 3 der Anruf vom Spital, dass ich doch bitte herkommen soll...« Ein bisschen ärgerlich klang das immer noch, mußte ich mir selbst eingestehen.

»Sorry, das wollte ich doch nicht.«, meinte Philipp zerknirscht.

»Ist schon gut, Dir ist ja nichts Schlimmes passiert. Ein paar Wochen Gips und die Sache hat sich. Sag mal, was machst Du eigentlich mitten in der Nacht mit meinem Motorrad in Schwechat?«

»Ich hab Dir doch von Hannes erzählt?«

»Hannes? Der Hannes aus der Schule, von dem Du seit Wochen erzählst und immer so ein Strahlen in den Augen hast, wenn Du von ihm redest? Der Hannes, bei dem Du Dich nicht traust, ihn anzusprechen, weil Du nicht weißt, ob er, und falls er, ob er dann nen jüngeren Freund... ? Hast Du Dich endlich getraut?«

Philipp wurde rot.

»Ja, der Hannes, und soviel jünger bin ich ja nicht, maximal zwei Jahre. Deine Männer sind ja auch immer jünger als Du...«

Jetzt war es an mir, rot anzulaufen.

»Naja, er ist, also zumindest bi. Genau geklärt haben wir das noch nicht, ob schwul oder bi, ist ja auch Wurscht, Hauptsache, er mag mich. Mittwoch war doch Chattertreffen von rainbow in der X-Bar, und da war er auch... Rate mal, wer er ist.«

»Ich hab keine Ahnung.«

»Tristan18, mit dem ich schon seit Monaten chatte und über alles reden kann. Ich hab gewußt, dass er 18 ist und heuer maturiert, aber dass er auf meiner Schule maturiert und Hannes heißt, hatte er mir nie gesagt. Gestern nachmittag haben wir dann gechattet und er hat gemeint, ich solle doch rauskommen nach Zwölfaxing. Seine Eltern haben ein Häuschen da draussen und er würde den Grill anschmeissen.«

»Ok, aber warum mit meiner BMW? Darf ich Dich daran erinnern, dass Du ein Moped hast?«

»Naja, öffentlich da raus ist ne Weltreise, und abends fährt kein Bus mehr. Mit meinem Moped bin ich auch mindestens zwei Stunden unterwegs. Ich hab halt gedacht, mit der großen Maschine geht's schneller, ausserdem ist die cooler, als mein Moped. Du warst noch im Büro, die Schlüssel lagen neben dem Telefon und da hab ich halt...«

»Darüber reden wir dann später nochmal, wenn wir zu Hause sind. Wie war das dann mit dem Unfall?«

»Wir haben ein wenig die Zeit vergessen, nach dem Grillen noch lange geredet und so. Ein bissi geknutscht...« Er wurde schon wieder rot.

»Fips ist verlieeeebt, Fips ist verlieeeeebt!«, lachte ich.

»Komm, hör auf! Das ist nicht witzig! Naja, als ich auf die Uhr geschaut hab, war schon fast 2 und ich hab gedacht, ich muß jetzt schnell nach Hause. Hab mich von Hannes verabschiedet und auf die Maschine geschwungen, um heimzufahren. Kurz vor Schwechat ist mir die Maschine dann unterm Hintern weggerutscht. Irgendwer muss das Scheppern gehört und die Gendarmerie gerufen haben. Die haben dann zum Glück nicht nach Papieren gefragt, sondern gleich die Rettung alarmiert.«

»Ist ausser Dir und der BMW noch was kaputt gegangen?«

»Nein, ich glaub nicht. Tut mir leid, Stefan, ich wollt Dir Dein Spielzeug nicht schrotten.« Wieder schaute er mich mit seinen grünen Augen an. Ich konnte ihm einfach nicht mehr böse sein.

»Schon gut, das kriegen wir schon irgendwie wieder hin. Deine Mutter lässt übrigens grüssen.

»Au Mann, musstest Du die anrufen? Die macht sich doch sicher jetzt die Ursorgen!”

»Na, die hab ich so halbwegs beruhigt. Aber sagen musste ichs ihr. Wenn nicht, und sie kommt später mal drauf... Du kennst sie, dann haben wir beide nichts zu lachen. Ich werd Dich dann mal jetzt allein lassen. Die wollen Dich übers Wochenende hier behalten und am Montag bei der Visite entscheiden, wann Du nach Hause darfst. Ich schau nachmittags nochmal rein.«

»Bye, Stefan, bis später.«

Ich ließ ihm die beiden Almdudler da und machte mich auf den Weg nach Hause. So langsam wurde ich auch wieder müde und ich wollte noch ein paar Stunden an der Matratze horchen, bevor die nächsten Anrufe fällig wurden.

So gegen 10 stand ich dann senkrecht im Bett und fluchte: »Wer zum Henker hat schon wieder die Festnetznummer rausgegeben? Hat man hier keine ruhige Minute mehr, oder was?«

Ich bin kein Morgenmensch, wie man im Spital ja schon gemerkt hat, und dass das Festnetz klingelte, war mehr als ungewöhnlich. Weil ich im Büro ständig am Telefon hänge, wollte ich eigentlich kein Telefon zu Hause haben. Philipp hatte mich dann überzeugt. Der Fernsehkabelbetreiber bot da ein Paket an: TV, Internet und Festnetz übers Kabel, und die Mehrkosten für das Telefon waren nur ein paar Cent. Also stand ein Fax im Flur, nur kaum einer wußte, dass da auch ein Hörer dran war. Aus leidvoller Erfahrung wußte ich, wenn ich im Buch stehe, rufen mich auch Kunden zu Hause an, die nicht verstehen wollten, dass jemand nach 50 Wochenstunden im Büro auch mal Freizeit haben möchte. Also war die Nummer weder im Telefonbuch, noch über die Auskunft zu bekommen.

Ich krabbelte aus dem Bett, schnappte mir den Hörer und grunzte: »Wer stört?«

»Hannes hier«, kam es etwas verschreckt aus der Muschel, ,,kann ich den Philipp sprechen? Am Handy komm ich nicht durch.«

Das konnte ich mir vorstellen. Da waren etwa 200 kg Metall drauf gelandet, sprich Philipps Handy war nur noch ein Haufen Plastik- und Elektronikschrott.

»Hallo Hannes, Philipp hat mir von Dir erzählt. Tut mir Leid, sprechen kannst Du ihn nicht. Er hatte in der Nacht einen Unfall und liegt übers Wochenende im Spital. Meidlinger Unfall, wenn Du weißt, wo das ist?«

»WAS?«, dröhnte es aus der Leitung, »was ist ihm denn passiert? Was schlimmes?«

»Nicht viel, ein paar Schürfwunden und sein linkes Wadenbein hat nen Knacks. Hat sich bei Schwechat mit dem Motorrad langgemacht, und die Gendarmerie hat ihn ins Spital bringen lassen.«

Hannes war jetzt ein wenig ruhiger: »Gendarmerie? War der Unfall so arg?«

»Ich hab das Motorrad noch nicht gesehen, aber Philipp sagt, dass ausser ihm und meiner Maschine nichts kaputt ist. Was mir viel mehr Sorgen macht, er hat ja nur den Mopedschein... Wenn die Gendarmerie eingeschaltet ist, wollen die sicher den Unfall aufnehmen, seine Papiere überprüfen und dann gibt's Ärger.«

»Hmm, da kann ich vielleicht was tun. Wo sagen Sie, war das? In Schwechat oder noch ausserhalb?«

»Ich glaub, auf dem Weg von Zwölfaxing nach Schwechat, aber noch vor dem Ort. Und Hannes, ich bin der Stefan. Wenn mich wer siezt, komm ich mir so alt vor, ausserdem, wenn ich den Fips richtig verstanden hab, bist Du bald mein Schwiegerneffe?«

»Dann haben wir vielleicht Glück. Mein Onkel ist Polizeiarzt für die Gegend hier und wenn die Unfalldaten zu dem Gendarmerieposten gehen, wo ich vermute, dass sie hingehen... Sagen wir mal so, der Postenkommandant schuldet meinem Onkel noch was. Ich frag mal nach, was sich da machen lässt. Schwiegerneffe, hab ich noch nie gehört. Was soll das denn sein?«

»Sowas wie ein Schwiegersohn, nur dass ich halt Philipps Onkel bin...«

Ein Schlucken, dann Schweigen aus dem Hörer. Scheisse, mein großes Mundwerk.

»Hannes, bist Du noch da? Philipp hat mir heute früh von Euch beiden erzählt«, versuchte ich zu retten, was noch zu retten war. »Ich bin 27 und Philipp sieht in mir eher den großen Bruder, als nen Onkel. Wir erzählen uns fast alles, zumindest erzähl ich ihm von meinen Männergeschichten, wenn er die Typen nicht sogar beim Frühstück trifft. Bei ihm gabs da bisher noch nicht viel zu erzählen.«

So langsam wurde ich nervös, wahrscheinlich redete ich mich um Kopf und Kragen und machte Philipp alles kaputt, bevor es richtig anfing.

»Sie... Du... bist auch... schwul? Ok, das muss ich erstmal verdauen.«, meinte Hannes, um dann flüsternd fortzufahren: »Bitte kein Wort zu irgendwem, ich bin nicht out und es soll vor der Matura keiner wissen!«

Das versprach ich ihm dann auch und gab ihm noch Philipps Zimmernummer, bevor wir uns verabschiedeten. Da ich nun eh schon neben dem Telefon stand, wählte ich gleich die nächste Nummer. Nein, nicht auswendig. Mein Nummerngedächtnis ist zwar gut, ich erinnerte mich an fast jede Nummer, die ich mal geschoben hatte, aber selten an Telefonnummern. Die Nummer, die ich brauchte, steckte im Bilderrahmen des Dali-Druckes, der über dem Telefon hing. Dort hatten wir uns angewöhnt Visitenkarten hinzustecken von Leuten, die wir öfter mal brauchten.

»BMW-Wien, was kann ich für Sie tun?« Jetzt, mitten in der Saison, arbeiteten die Motorradmechaniker auch am Samstag vormittag und der Serviceleiter war ein alter Bekannter. Ich hatte zwei linke Hände – Tucken und Technik, ihr versteht – und die BMW-Werkstatt hatte mir mit meinem 30 Jahre alten Bike schon öfter geholfen.

»Den Herrn Burgstaller bitte, wenn er im Haus ist?«

Ein wenig Warteschleifengedudel und dann: »Ja, Burgstaller.«

»Hallo Christian, Stefan hier. Hör mal, meine alte Q liegt bei Schwechat im Graben. Kannst Du wen rausschicken und sie bergen? Ich schau dann nächste Woche mal bei Euch vorbei und wir reden über die nötige Reparatur.«

Q oder Kuh ist ein Kosename für alte BMW Motorräder mit 2 Zylinder Boxermotor. Durch den Kardanantrieb und die relativ weiche Federung haben die ein Fahrverhalten, als ob man auf einer Gummikuh reiten würde. Aber ich würde die alte Dame nie gegen einen modernen, hochdrehenden Reiskocher tauschen. Bei allen Macken und kleinen Eigenheiten, die das Bike hatte, ich hatte sie liebgewonnen, liebte das Tickern der Ventile, die warmen Füße, die man unweigerlich bekam, wenn man dieselben unter die Vergaser auf die Fußrasten stellte. Sogar das BMW-typische unrunde Ruckeln, wenn man im 5. Gang bei etwa 2600 Umdrehungen mit 100 km/h durch die Gegend kurvte und dann plötzlich den Gashahn aufriß, um rasselnd und dröhnend zu beschleunigen und aus der Tiefe der knapp 1000 cm³ noch eine Menge Kraft herauskam. Ich wollte keine Rennen fahren, sondern gemütlich durch die Landschaft gondeln, aber so ein wenig zusätzliche Power ist schon was Feines und deshalb hatte ich zugeschlagen, als ich vor ein paar Jahren die BMW recht günstig angeboten bekam. An dieses Fahrgefühl kam keine japanische Maschine heran – vielleicht einmal abgesehen von den großvolumigen Cruisern Meanstreak oder Valkyrie. Nur die konnte sich ein Normalsterblicher nicht leisten.

»Kein Problem, machen wir.«

»Danke, bis nächste Woche dann.«

Ein Anruf noch, dann schnell runter zum Supermarkt, und ich konnte wieder zu Philipp ins Spital.

Diesmal nicht vom Bilderrahmen, sondern aus dem Gedächtnis, dem Handygedächtnis wählte ich die nächste Nummer. Die Handynummer meines Chefs.

»Hallo Stefan, was verschafft mir die Ehre?«, klang es mir entgegen.

»Tag Valentin, 'tschuldige, dass ich Dich an einem Samstag störe. Philipp hatte einen Unfall und ist im Spital. Kann ich Montag frei nehmen?«

»Warum nur Montag? Wenn ich mich recht entsinne, hast Du eh so viele Urlaubstage stehen, nimm die ganze Woche und ich sag den Kollegen Bescheid, dass sie Deine Sachen mit erledigen sollen. Ist er arg verletzt?«

Valentin war nicht nur mein Chef, sondern auch eine Art väterlicher Freund und kannte Gott und die Welt. Unter anderem zählte die halbe Mannschaft der Dykes on Bikes zu seinem Freundeskreis, weshalb mein versehentliches Outing (ich hatte einmal ein XTRA!, das österreichische Szenemagazin, unvorsichtigerweise auf dem Schreibtisch liegen lassen) in der Firma überhaupt kein Problem war, sogar zum Non-Event wurde. Ausserdem hatte er mit seinen Beziehungen damals bei Philipps Einschulung geholfen, nachdem die Wiener Schulbehörden nicht nur ein Problem mit den Unterlagen der deutschen Schule hatten, sondern vor allem herumgezickt hatten, weil Philipp bei mir lebte und seine Eltern nicht erreichbar waren. Sie fanden wohl einen unverheirateten 25 jährigen Mann als ungeeignet, für einen 14 jährigen Teenager die Verantwortung zu übernehmen. Ein paar Telefonate meines Chefs zu Bekannten bei diversen politischen Parteien und plötzlich war der Stadtschulrat stinkfreundlich. Vitamin B am Werk.

»Nein, so schlimm ist es nicht. Die wollen ihn übers Wochenende im Spital behalten, aber Montag sollte er wieder entlassen werden. Dann ein paar Wochen mit Gipsbein und die Sache sollte gegessen sein.«

»Kann ich Euch sonst noch irgendwie helfen?«

»Danke, Valentin, paßt schon.«, beendete ich das Gespräch.

Nachmittags fand ich dann Philipp in den Armen eines jungen Mannes, als ich die Tür zum Krankenzimmer aufstieß. Fips zog sich schnell die Decke über den Kopf und der andere Junge sprang vom Bett, wurde abwechselnd rot und käseweiß.

»Ich...«, murmelte er.

»Wir...«, Philipp lugte unter der Decke hervor. »Stefan, das ist Hannes. Hannes, mein Onkel Stefan.«

»Kein Problem, wir haben schon miteinander telefoniert.« Ich streckte Hannes meine rechte Hand entgegen. »Nett, Dich kennenzulernen. Also, wenn ihr beschäftigt seid, dann verschwinde ich wieder. Ich hab zu Hause noch genug zu tun und Nessi wartet noch auf Antwort wegen Kalanja'neiu Teil 8.«

Hab ich erzählt, dass ich in meiner Freizeit Stories korrigiere und in der Redaktion von Nickstories.de mitarbeite? Nicht? Ok, dann hab ich das hiermit getan.

Die mitgebrachten Leckereien, Schokokekse und Almdudler, wanderten auf das Nachtschränkchen und ich glaube Fips und Hannes waren ganz glücklich, als ich mich vertschüsste. Nach Philipps Entlassung aus dem Spital wurde Hannes übrigens Dauergast bei uns – aber das ist eine andere Story.

Nachwort

Danke an Björn (MasterZcoda) fürs Lektorat.

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