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Ereignishorizont

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Sebastian war sauer, so unglaublich sauer. Nur ein paar Minuten hatte er benötigt, den Druck seiner Blase endlich los zu werden, nur ein paar Minuten, in denen ihn seine Freunde stehen gelassen hatten. Marius hatte er es gesagt. Marius, den er geküsst hatte, vor fünf Minuten, im Keller, ungesehen. Ihre Lippen hatten wie selbst zueinander gefunden, wie gierige Tiere hatten sie sich umklammert, Zungen sich ineinander geschlungen, aneinander gepresst. Doch nur einen Moment, dann waren die Freunde hinter ihnen erschienen. Gezwungen voneinander abzulassen, war Sebastian zur Toilette geeilt, hatte Marius noch gesagt, wohin er ginge.

Nur ein paar Minuten später stand er jetzt einsam auf dem Platz, auf den er durch den Kelleraufgang gelangt war. Sebastian sah sich um. Ein Pärchen saß auf einer Bank, eng umschlungen. Ein typischer Yuppie, den Pullover umgehangen, ein Lacoste T-Shirt, Jeans, das Mädchen, ein Kleid, darüber ein Strickjäckchen, eng an ihren Typen geklammert, der breitbeinig dasaß, als würde ihm die Welt gehören.

»Deine Freunde meinten, sie wären schon mal los!« Der Typ grinste. »Du sollst nachkommen, sind nur ein paar Kilometer!«

Das Mädchen kicherte leise, der Typ grinste. Einen Moment lang wollte Sebastian ihm seine geballte Faust ins Gesicht schlagen. In ihm brodelte blanker Hass, der ein Ventil suchte. Den Typen samt Freundin ignorierend, ging Sebastian zur Straße, zerrte sein Handy aus der Hosentasche. Daniels Nummer sprang ihm als erste entgegen, er wählte.

»Hallo?«

»Hi, ich bin es!«

»Ja, warte - ich muss gerade den Ketchup noch …«

Wutentbrannt presste Sebastian den roten Knopf, beendete das Gespräch. Freunde, seine Freunde! Waren das Freunde? Marius! Sebastian kochte innerlich. Sie hatten das Auto genommen, waren zu einem der Fast-Food Restaurants gefahren, wer weiß wo in dieser verdammten Stadt. Sebastian stopfte sein Handy in die Tasche zurück. Er stapfte los, rechts - es war egal. Die Straße führte an dem gepflasterten Platz entlang, den man zwischen den Hochhäusern angelegt hatte. Sechs Bänke, sieben strategisch verteilte Bäume, kleine Regendächer für die Abgänge zu den Tiefgaragen und Kellern. Alles in grau.

An Hochhäusern entlang, die Straße entlang, weiter. Zehn Minuten vielleicht, dann sah Sebastian vor sich eine riesige U-Bahn Station. Rollentreppen, Treppen, Aufzüge - auf einmal quollen aus allen Öffnungen Menschen. Als hätte man einen Hahn geöffnet. Hervor quollen sie aus dem Untergrund, verteilten sich just in dem Moment, in welchem sie unweigerlich alle ein unlösbares Knäuel geworden wären in alle Richtungen.

Sebastian suchte eine Rolltreppe, die hinab führte. Eine von sechs. Sechs Rolltreppen! Sebastian traute seinen Augen einen Moment lang nicht. Wie viele Menschen hatte dieser Bahnhof zu verkraften? Die Stufen vor ihm sanken tiefer, er hielt sich am Geländer fest. Unter ihm lag der Bahnhof. Er war neu - man hatte sich Mühe gegeben. Die Wände gekachelt in hellem Gelb, die unteren Bereiche in Blau. Es war nicht schön, nur einfach, sauber.

Eine U-Bahn raste mit hoher Geschwindigkeit in den Bahnhof, bremste dabei, hielt. Menschen quollen aus dem Wagen, drängten sich, hasteten aneinander vorbei. Sebastian sah eine Frau mit einem Kinderwagen mühsam ihren Platz behaupten, langsam den Wagen mit der einen, ein Kind mit der anderen Hand schiebend und ziehend. Signalpiepen. Sebastian stieg ein, hinter ihm schlossen sich die Türen. Es war leer. Wie konnten nur so viele Menschen an einem Ort leben? Einem Ort wie diesem? Sebastian warf sich auf einen der Sitzplätze. Er fuhr nach Hause. Er hasste den Tag, seine Freunde! Marius! Er kochte innerlich. Wenn er an Marius dachte, kamen ihm beinah die Tränen vor Wut. Er konnte das Gesicht vor sich sehen, braun, glatt, braune Augen. Braunes, weiches Haar. Kräftiger Körper, Muskeln, hart, drahtig, fest - Sebastian zitterte vor Anspannung. Vor nur ein paar Minuten hatten sie sich geküsst! Jetzt hatte Marius ihn stehen gelassen!

»Nächster Halt, Gartenstrasse!«

Am liebsten hätte Sebastian der säuselnden Frauenstimme seine Meinung gesagt, doch er stieg aus.

Die zehn Minuten Fußweg bis zu seiner Wohnung erschienen ihm endlos. Als er endlich ankam, rammte er den Schlüssel in Schloss der Haustür, stapfte das Treppenhaus empor, die ausgetretenen, breiten Holzstiegen, kam in den vierten Stock, öffnete auch hier die Tür. Mit einem Fußtritt öffnete er, schmiss die Tür hinter sich zu, dass Rahmen und Holz bebten. Am liebsten hätte er geschrieen. Sein Blick fiel in den Spiegel über der kleinen Kommode, die im Flur stand. Mit großer Selbstbeherrschung knallte Sebastian den Schlüssel auf die Kommode, warf ihn nicht in den Spiegel.

Er marschierte in die Küche. Hunger hatte er. Essen gehen wollten sie, gemeinsam! Einfach einen Burger oder dergleichen. Nichts davon!

Der Kühlschrank war gut gefüllt. Sebastian nahm die zwei Schnitzel heraus, Zwiebeln, Sahne, Wein … Wasser war schnell in den Topf für die Nudeln gefüllt, ein wenig Salz dazu. In der großen Pfanne erhitzte Sebastian Olivenöl. Rasch war die Zwiebel klein geschnitten, das Fleisch in Streifen. Sebastian briet es an - dazwischen die Nudeln ins kochende Salzwasser - umrühren, ablöschen mit Wein, dann Sahne. Immer wieder ein wenig würzen. Er deckte die Pfanne mit dem Deckel zu, schaltete die Hitze herunter. Im Esszimmer machte er Licht, deckte den großen dunklen Tisch für sich. Ein Tischset aus weißem Leinen, Unterteller, Teller, Besteck, Wasser- und Weinglas. Sebastian nahm den großen, fünfarmigen Kerzenleuchter vom Sideboard, stellte ihn auf den Tisch. Die hohen Kerzen entzündete er. Zurück in der Küche waren die Nudeln fertig. Rasch nahm Sebastian noch einen kleinen Topf. Der frische Blattspinat - gestern gekauft - war bereits fertig geputzt. In heißem Wasser dünstete er ihn an. Knoblauch dazu.

Das Essen war fertig. In gewärmten Schüsseln trug es Sebastian ins Esszimmer. Leise Musik spielte der CD-Player. Es klingelte. Sebastian wollte es ignorieren. Es klingelte erneut. In seinem Inneren tobte es. Seine Augen brannten. Er schritt zur Tür, öffnete. Mit betretener Miene standen sie vor der Tür. Sebastian sagte kein Wort, lies die Tür offen stehen, wand sich um. Sein Essen wartete.

Im Esszimmer setzte er sich, füllte seinen Teller mit Nudeln, Spinat, Fleisch und Soße - es duftete verführerisch. In seinem Weinglas schimmerte ein gelbweißer Chardonnay, Sebastian schätzte den Neuseeländischen sehr. Er ließ es sich schmecken, ignorierte die Freunde, die den Raum zögernd betraten. Ihre Jacken hatten sie aufgehangen, die Schuhe ausgezogen. Sie wirkten plötzlich verletzlich, gar nicht mehr stark.

Sebastian aß ohne ein Wort, die Freunde standen verloren, sahen ihm zu. Daniel setzte sich an den Tisch, etwas von Sebastian entfernt. Die anderen taten es ihm gleich.

Der Chardonnay war gut.

»Ähm …!«

Sebastian sah auf. Daniel hielt seinem Blick nur einen Moment lang stand.

»Es … es, sollte nur ein Scherz sein …«, stammelte Marius; betreten; kaum das er wagte den Blick zu heben.

Sebastian kaute, trank, schluckte.

Er erhob sich.

An Marius Stuhl blieb er stehen. Er sah sie an. »Raus!«

Daniel blickte verstört, er schluckte hart. Die drei anderen Jungs waren schon auf den Beinen. Philipp der erste, Samir und Jasmo quetschten sich gleichzeitig hindurch nach draußen. Daniel wirkte verlegen, stolperte zur Tür. Mit der Rechten wurde Marius festgehalten. »Du nicht!«

Daniel schloss die Türe.

In Sebastian tobten Wut, Zorn, Hilflosigkeit, rangen mit Gier, dem Wunsch nicht allein zu sein, gehalten zu werden. Tränen presste er gewaltsam nieder. Seine Stimme klang gepresst.

Marius sah ihn nicht an. »Es … es tut mir leid … ich …«

»Was?« explodierte Sebastian. »Du warst zu dumm zu denken?! Machen wir einen Spaß! Verarschen wir Sebastian! Ich küss ihn, dann lassen wir ihn stehen!?!« Sebastian kochte vor Wut. Er rang nach Luft, die Worte waren ihm ausgegangen.

»Nein!« Marius starrte ihn entsetzt an. Den Mund halboffen. Mit einem Ruck stand er auf, dass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, umfiel. Fahrig versuchte Marius ihn aufzustellen, lies ihn liegen, stolperte halb über ihn auf Sebastian zu.

»Sebastian, bitte …« Marius war beinah kreidebleich. Er sah ihn an. Stand vor ihm. Einen Moment lang sahen sich beide an. Dann wallten Tränen in Marius Augen hoch. Mit einem Schluchzen riss er Sebastian in seine Arme, presste ihn an sich. »Es tut mir so leid …« Er weinte, den Kopf an Sebastians Schulter. »… aber das … ich wollte doch nicht!« Er schluchzte, sah Sebastian aus verheulten Augen an. »Marius … ich …«, stammelte er.

»Du bist ein Idiot!« Sebastian sah ihn an. Marius schluckte, nickte.

»Ich habe dir vertraut … und du, lässt mich stehen!« Sebastians Stimme war ein heißeres Krächzen. Marius konnte die Tränen hören.

»Weißt du eigentlich wie …«, Sebastian brach ab. Seine Fassung brach. Er schlug die Hände vors Gesicht. Tränen rannen aus seinen Augen. Er weinte hemmungslos.

Marius rang hilflos die Hände. Trat näher. »Bitte, Sebastian, wein nicht! Bitte!« Sebastian hob den Kopf, Marius die Hand, streckte sie nach ihm aus. »Bitte!«

Weinend hielten sie einander fest. Marius führte sie zu dem kleinen Sofa. Dort sanken sie nieder, einander umklammernd.

Später.

Weder Sebastian noch Marius konnten sagen, wie spät es war. Ihre Freunde hatten das Zimmer nicht wieder betreten.

»Es war das Schlimmste …« Sebastians Stimme war leise, nur ein Flüstern. »Ich war so allein. Wieder allein …« Er verstummte. Marius hatte ihm zugehört. Er hielt Sebastians Hände in seinen.

Sebastian sah auf, sah Marius an. »Ich konnte es euch doch nicht sagen … ich …«, er brach ab.

»Ich habe dich allein gelassen!« Es kostete Marius unglaubliche Kraft die Worte zu flüstern. Sebastian nickte stumm. Marius seufzte tief. Er sah Sebastian an, schüttelte den Kopf.

»Warum hast du mich geküsst?«

Marius Kopf ruckte hoch. Sebastian sah ihn an. Seine grünen Augen eine große Frage. Marius zuckte mit den Schultern. »Du … ich … es war so …« Er schloss die Augen. Was war es nur gewesen? Marius spürte wie Sebastian näher kam. Er schob den Kopf ein wenig vor. Ihre Lippen trafen sich. Es war wie ein bittersüßer Schmerz. Gier flammte in ihm auf. Er riss die Augen auf, versank in unendlichem Grün. Seine Lippen hungerten … Er zerrte Sebastian an sich. Ihre Körper pressten sich aneinander. Es war ein Schmerz - Marius keuchte, atmete heftig. Sebastian rang nach Luft.

Sebastian löste sich einen Moment, starrte ihn an. Dann fiel er mit einer Heftigkeit über Marius her, dass dieser taumelte. Beinah ein Grollen war es, das Marius entfuhr, als er Sebastian umschlang.

Als Daniel die Tür vorsichtig öffnete traute er kaum seinen Augen. »Ähm …«

Sebastian und Marius fuhren hoch. Starrten ihn an.

Daniel stotterte. »Ich … wir …«

»Hau ab!«, knurrte Marius.

»Aber …«

»Verzieh dich!«

Daniel zog den Kopf ein. »Ich wollte nur sagen, wir gehen dann ins Bett … Wir bleiben im Gästezimmer!« beeilte er sich noch zu sagen. Hastig zog er die Tür zu.

Die beiden sahen sich an. Daniel war bereits vergessen. Lust stand Marius ins Gesicht geschrieben. Sebastian Augen verschlangen ihn begierig.

»Gehen wir … rüber!« Sebastians Stimme war schwer, rau. Marius leckte sich unbewusst die Lippen. Schwer atmend löschten sie die Kerzen. An der Tür wurde Sebastian gegen die Wand gedrückt, Marius presste sich an ihn, den Mund auf seine Lippen. Sebastians Zunge leckte über Marius Lippen. Er öffnete die Tür.

Im Schlafzimmer. Marius starrte auf das große Bett. Sebastian schloss die Türe, drehte den Schlüssel herum. Mit einem Schritt stand er vor Marius, presste seine Linke gegen dessen muskulösen Bauch, lies die Hand wandern. Marius keuchte. Verlegenheit und Gier, beides zusammen machte Sebastian rasend.

Er zerrte Marius das T-Shirt vom Leib, lies es achtlos fallen. An seinem Gürtel zog er ihn zu sich heran, presste die Hände auf den nackten Oberkörper. Marius keuchte - unbekannte Gefühle rasten durch seinen Körper. Sebastian spürte Marius Hände, die eine feurige Spur auf seinem Rücken hinterließen, während sie ihn von seinem Hemd befreiten.

Nackt pressten sich ihre Oberkörper aneinander. Ihre Hände überall zugleich. Sebastian keuchte gierig. Seine Lippen fanden Marius Brust. Ein Stöhnen lies ihn seine Attacke nur verstärken. Er wanderte tiefer, riss den Gürtel auf, die Hose auf, zerrte sie hinab. Marius wusste nicht, wie ihm geschah. Sebastian zerrte ihn zum Bett. Marius nestelte an seiner Hose, versuchte mit fahrigen Bewegungen den Knopf zu öffnen - seine Hände zitterten. Hitze stieg empor. Er schwitzte, sein Atem ging schnell. Sebastian half ihm, die Hose sank herab, damit auch die letzte Hülle gleich mit. Marius keuchte als Sebastian ihm die Shorts herabriss. Sie pressten sich aneinander. Sie fielen aufs Bett, hielten einander fest, gierig, umschlungen - nackt. Es gab keine Stimmen, keine Vernunft. Es war keine Liebe, es brannte. Hungrig, verschlingend, wurden sie eins.

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