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Das Konzert

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Informationen

 

Es war Freitag und die Woche neigte sich zu Ende. Es war eine sehr stressreiche Woche für Johannes. Er war quasi von einem zum anderen Kunden quer durch Deutschland geflogen und musste dort die Kohlen aus dem Ofen holen, weil seine Kollegen mal wieder nicht das umgesetzt hatten, was der Kunde verlangte. Mit viel Redekunst und selbst Hand angelegen konnte er aber die Kunden wieder beruhigen. Aber so was ist einfach sehr anstrengend und deswegen freute sich Johannes auch schon auf den Abend. Er hatte vor langem schon eine Karte für ein Konzert mit dem Bayerischen Rundfunk Orchester ergattert. Da es sich um eines der besten Orchester der Stadt München handelt, ist hier die Nachfrage immer sehr rege und man musste sich quasi schon am ersten Tag des Vorverkaufes darum bemühen, eine Karte zu bestellen. Dieses Mal hatte Johannes Glück und die Karte war auch noch ein sehr guter Platz. Aber er hatte es sich auch verdient. Um sich genau diese Art von Vergnügen zu gönnen, dafür arbeitete Johannes auch hart.

Ein Lächeln zog auf seine Lippen, als er sich im Spiegel betrachtete und dabei seine Krawatte band. Er freute sich sehr auf diesen Abend. Er hatte schon lange nicht mehr die Gelegenheit gehabt das Orchester zu hören. Seit seiner letzten Beziehung hatte er die klassische Musik lieben und schätzen gelernt. Diese Art der Musik gab ihm sehr oft die Kraft zurück, die er durch sein hektisches Berufsleben verlor und er konnte dabei einfach entspannen. Diese Liebe zur Musik ist ihm auch als einziges geblieben seit seiner Trennung. Leider hatte er sich danach einfach zu stark auf seine beruflichen Ziele konzentriert und sein Privatleben vollkommen außer Acht gelassen. Aber er wollte auch nicht wieder schnell einen neuen Partner in seinem Leben haben, denn dazu musste er erstmal Abstand gewinnen und die Beziehung auch für sich innerlich beenden.

Vielleicht traf er ihn ja heute Abend im Konzert, denn das Programm war genau eines, das seinem Exfreund gefiel. Es gab als erstes Stück das Cellokonzert von Dvorak mit einem jungen bisher noch nicht groß in Erscheinung getretenen Solisten und nach der Pause noch eine Symphonie von Beethoven. Beides Stücke die Johannes sehr liebte und auch sein Exfreund.

Die Krawatte saß perfekt, das Sakko noch schnell angezogen und dann machte sich Johannes auf den Weg in den Gasteig. Er hatte noch eine Stunde Zeit bis das Konzert losging, aber er mochte sich erstens nicht hetzen und zweitens genoss er es einen solchen Abend mit einem Glas Prosecco zu beginnen und dabei das Publikum zu beobachten. Man weiß ja nie genau, wer so alles in ein Konzert geht und dabei sind die unterschiedlichsten Leute zu sehen. Johannes hatte nur zwei Stationen mit der U-Bahn zu fahren, dann musste er noch in die S-Bahn umsteigen und bis zum Rosenheimer Platz fahren. Dafür brauchte er in der Regel nicht länger als zwanzig Minuten und auch heute schaffte er die Strecke in dieser Zeit. Der Gasteig, das Münchner Kulturzentrum war wie immer in ein warmes gelbliches Licht getaucht und die untergehende Sonne rundete das Bild mit einem Abendrot wie auf einer kitschigen Postkarte ab. Auf dem Weg von der S-Bahn Haltestelle zum Konzerthaus merke Johannes wie sich sein Inneres öffnete und diese traumhafte Abendstimmung genoss. Da noch genügend Zeit vorhanden war, ließ er sich auf dem Weg einfach Zeit, sog die noch warme Frühsommerluft tief in seine Lungen ein und ließ dabei seinen Blick auf dem Abendrot liegen. Es war einfach bisher ein perfekter Abend und da konnte das Konzert doch nur noch der Höhepunkt werden.

Johannes ging durch den Eingang und lenkte seine Schritte zum Käferstand, der gleich hinter der Abendkasse ist. Es herrschte schon reges Treiben, denn ein Konzertabend wird von sehr vielen auch als gesellschaftliches Ereignis betrachtet, auf dem man sich zeigt und sich mit dem einen oder anderen trifft.

Johannes nahm sein Glas Prosecco und stellte sich an einen der Bistrotische, die dort immer aufgebaut wurden. Er nippte an dem prickelnden Getränk und spürte wie es seine schon gute Stimmung noch sensibler machte. Seine Augen wanderten durch die Halle und er sah sich das Publikum an, das den heutigen Abend mit ihm teilen würde. Links neben ihm in einiger Entfernung, standen einige ältere Herren in ihren Anzügen gepaart mit ihren Begleiterinnen, in modische Abendkleidung gehüllt, unterhaltend zusammen. Johannes hatte schon oft festgestellt, dass sich manche Damen nicht unbedingt zeitgemäß oder ihrem Alter entsprechend kleiden, doch in dieser kleinen Gruppe musste er feststellen, dass diese Damen den Geschmack der Zeit getroffen hatten und es ihnen auch sehr gut stand.

Sein Blick glitt weiter durch den Vorraum und da streiften seine Augen einen jungen Mann, der gerade von der Abendkasse kam und freudestrahlend eine Karte in der Hand hielt. Johannes dachte bei sich, dass dieser Mann sehr adrett aussah und eine Ausstrahlung hatte, die ihm auf Anhieb sehr sympathisch war. Er schätze auf die Entfernung, dass der Beobachtete ungefähr Ende zwanzig, Anfang dreißig war. Auch seine Kleidung war gut gewählt. Er trug ein weinrotes Sakko, dazu ein schlichtes weißes Hemd und eine schwarze Hose. Die Krawatte hatte den gleichen Farbton wie das Sakko, doch war sie mit kleinen Streifen unterbrochen, die das ganze etwas auflockerte. Der junge Mann steckte die Karte in die Innentasche seines Sakkos und sah sich nun selbst um. Anscheinend war er hier fremd oder er hielt Ausschau nach jemand, so interpretierte Johannes den suchenden Blick des Fremden. Plötzlich trafen sich die Blicke der beiden und die Lippen des Unbekannten formten sich zu einen Lächeln. Verlegen ob dieser Begegnung, griff Johannes nach seinem Proseccoglas und nippte daran. Seine Augen jedoch versuchten weiterhin den jungen Mann zu beobachten, der ihn immer noch freundlich, ja fast schon ein wenig aufreizend anlächelte. Johannes nickte ihm freundlich zu und stellte dabei sein Glas auf dem Tisch ab. Da erklang der erste Gong, der die Konzertbesucher hinwies, sich aufzumachen und ihre Plätze im Konzertsaal aufzusuchen.

Der Fremde erwiderte das Kopfnicken von Johannes, aber er ging nicht auf ihn zu, sondern bewegte sich in Richtung der Eingänge zum Konzertsaal. Johannes Augen beleiteten ihn und dabei fiel ihm auf, wie elegant, aber nicht überheblich er sich bewegte und die Treppen zum Aufgang hinaufging. Kurz bevor er aus seinem Blickfeld entweichen würde, drehte sich der Unbekannte noch mal um und blickte ihn mit seinen braunen Knopfaugen an und schenkte ihm noch mal ein sehr charmantes Lächeln. Dann war er auch schon verschwunden.

„Nun dieser Abend fängt ja schon sehr viel versprechend an“, dachte sich Johannes. Er trank sein Glas aus und begab sich nun selbst auf den Weg zu seinem Platz. Als er am Eingang zum Konzertsaal ankam, erklang auch schon der zweite Gong. Das Konzert würde also bald beginnen. Die Kartenkontrolleurin blickte auf die Karte von Johannes und ließ ihn dann anstandslos hinein. Es herrschte schon reges Treiben im Saal und Johannes begab sich auf seinen Platz. Sein Sitzplatz war einfach fantastisch. Er saß in der 10. Reihe genau in der Mitte des Saales und hatte somit einen der besten Plätze überhaupt, die es im Konzertsaal gab. Er setzte sich hin und ließ wiederum seinen Blick durch die Weite des Saales schweifen. Vielleicht sehe ich ihn ja irgendwo sitzen, dachte er so bei sich, doch das war auch wiederum fast unmöglich, denn der Saal ist ja riesig und es wäre schon ein Zufall, wenn ich ihn sehen würde. Im Hintergrund hörte er das dritte Klingeln. Das bedeutete, das Konzert würde gleich beginnen.

„Entschuldigung, dürfte ich bitte vorbei“, sagte plötzlich eine Stimme zu Johannes.

„Aber gerne“, sagte Johannes und stand auf um dem unbekannten Menschen den Weg auf seinen Platz frei zu machen. Und als Johannes sah, wer es war, formten sich seine Lippen zu einem Lächeln und er spürte wie sein Kopf rot anlief. Es war der junge Mann, den er zuvor schon unten gesehen hatte und der mit ihm einen kurzen aber intensiven Flirt gehabt hatte.

„Guten Abend“, sagte Johannes verlegen als der nette junge Mann neben ihm Platz nahm.

„Guten Abend“, antwortete der Andere. „Sie müssen nicht gleich verlegen werden. Ich fand unseren kleinen Flirt von vorhin sehr nett. Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Jürgen.“ Dabei reichte er Johannes die Hand hin, der diese ergriff und sie intensiv drückte.

„Ich heiße Johannes. Und was ist das für ein Zufall. Unter all den 1600 Plätzen hier sitzen wir nun hier gemeinsam nebeneinander.“

„Ja das ist sehr interessant, aber anscheinend meint es das Schicksal gut mit uns beiden“, seine Augen blickten tief in die von Johannes und ein bezauberndes Lächeln spiegelte sich auf seinem Gesicht. Der Duft eines guten Herrenparfüms kam in die Nase von Johannes und er musste feststellen, dass auch er diesen Duft des Öfteren selbst benutzte.

Wirklich ein sehr sympathischer Mann, dachte sich Johannes und auch seine Stimme klang sehr ausdrucksstark und hatte sehr viel Wärme in sich.

„So sieht es aus.“, antwortete Johannes und lächelte zurück.

In der Zwischenzeit hatten schon die Musiker des Orchesters ihren Platz auf der Bühne eingenommen und ihre Instrumente gestimmt. Im Saal herrschte die übliche Unruhe so kurz vor dem Beginn eines Konzertes. Das Licht wurde abgedunkelt, das Publikum verstummte und die Musiker warteten auf ihren Maestro und den Solisten des Abends.

Jürgen beute sich leicht zu Johannes herüber und flüsterte ihm ins Ohr. „Ich wünsche dir ein schönes Konzert, Johannes.“

„Ich dir auch Jürgen. Bis jetzt ist es ja schon ein sehr schöner Abend.“

Auf der linken Seite der Bühne wurde die Türe geöffnet und unter dem Beifall des Publikums betraten der Dirigent und der Solist die Bühne. Die beiden Künstler bedankten sich für den Beifall und nahmen ihren Platz ein. Chi Chang, so der Name des Solisten stimmte sein Instrument mit dem Konzertmeister ab, gab dem Dirigenten sein Zeichen, dass er bereit wäre.

Der Maestro erhob den Taktstock und das Orchester machte sich bereit. Nun also wurde das Cellokonzert von Dvorak gespielt und Johannes war freudigster Erwartung darauf. Er liebte den Anfang dieses Stückes besonders. Das Spiel zwischen den Bläsern und dem Orchester war seiner persönlichen Auffassung nach eine gelungene Harmonie.

Dann fing das Orchester an zu spielen, sie hatten ein Tempi gewählt, dass Johannes nicht erwartet hatte; der Maestro dirigierte es schneller als er es von seiner Aufnahme her kannte, doch es war exzellent gewählt. Und das Orchester war an diesem Tag in einer besonderen Spiellaune wie es schien, denn die Musik erklang sehr emotional und ausschweifend. Sie versetze die Zuhörer in ein schwärmerisches Träumen. Johannes schloss die Augen und ließ sich in die Musik hineinfallen. Eine wohlige Entspannung breitete sich, in der Mitte seines Körpers beginnend in ihm aus und er entrückte der Welt. Das Orchester spornte sich selbst an und im Vorspiel des Stückes klangen selbst die kurzen Blassoli schon wie ein eigenes Meisterwerk und die Spannung stieg bis zum Einsatz des Solisten in unerwartete Höhen an.

Der Dirigent nahm das Orchester an Lautstärke jedoch nicht an Intensität zurück und dann erklang der unnachahmliche Ton des Cellisten. Er schloss den Spannungsbogen, den das Orchester bis dato für ihn aufgebaut hatte und ließ sein Instrument mit einem sehr warmen Ton erklingen. Ein Feuerwerk an wohligen Gefühlen durchfuhr Johannes dabei und er dachte, er würde auf einer Wolke schweben. Chi Chang spielte wie aus einer anderen Welt. Nicht nur die technisch schwierigen Passagen des Stückes gelangen ihm wie aus einem Guss, auch der sehr gefühlvolle Mittelteil wurde durch ihn ein Stück Wirklichkeit. Das Instrument sang in einer Weise, dass einem jeder Ton tief ans Herz rührte. Noch nie war es Johannes so ergangen, dass er sich in einem Konzert so tief in die Musik hineinfiel und in seinem Kopf Bilder aus glücklichen Kindertagen heraufbeschworen wurden. Die Nackenhaare stellten sich auf und jede wohlige Klangpassage ließ ihm einen leichten Schauer über den Rücken laufen. Entrückt aus der Welt, ließ sich Johannes durch die Musik tragen und er ließ seine Augen die ganze Zeit des Stückes geschlossen. Als der Höhepunkt des dritten Satzes anstand, war Johannes schon tief in seiner Kindheit zurück und selbst als das Publikum schon mit Standing Ovations den Künstler feierte, brauchte Johannes noch lange Sekunden um wieder in die Wirklichkeit zurück zu kehren. Nein so etwas hatte er noch nie erlebt. Er hatte das Stück schon oft in Konzerten vorher gehört und er kannte es auswendig, doch so bewegt, so ergriffen war er noch nie. Eine Träne verließ seine Augen und rollte seine Wange hinab, ohne dass er es überhaupt realisierte. Erst nach einer Ewigkeit hatte er sich gefangen und schloss sich dem rauschenden Beifalls des Publikums an.

Verstohlen blickte er zu Jürgen, der neben ihm stand und ebenso dem Applaussturm beipflichtete.

„Was für wunderschöner Abend.“, dachte sich Johannes. „Ein einmaliges Konzert bisher und dann noch diese wunderschöne Mann neben mir. So was hätte ich mir nicht träumen lassen.“

Nach minutenlangem Beifall kam der Künstler nun nicht mehr aus seiner Kabine zurück und auch die Orchestermusiker verließen ihre Plätze um in die Pause zu gehen.

„Wollen wir etwas an der Bar draußen gemeinsam trinken?“, fragte Johannes und Jürgen bejahte diese Frage.

Beide gingen sie stumm dem Ausgang entgegen und erreichten die Bar im Vorraum. Die Schlange war noch nicht allzu lang und so mussten sie beide nicht lange warten, bis sie ihre Getränke hatten und sich an einen der Tische im hinteren Teil des Vorraumes stellten.

„War das nicht wunderschön wie Chi Chang das Konzert gespielt hat?“, fragte Jürgen.

„Ich kenne dieses Stück wirklich sehr gut. Ich habe es schon oft in Konzerten gehört, aber diese Interpretation, ja die war einmalig.“ Johannes verlor sich nochmals kurz in den Gedanken an das Konzert zurück und ein Schauer des Wohlfühlens ging ihm den Rücken herunter. „Da ist ein Stern am Himmel der Cellisten aufgegangen.“

„Ich glaube, da hast du Recht Johannes. Er hat phantastisch gespielt und sein Instrument ist eine Sensation. Es hat einen so warmen Klang, der einem bis ins tiefste Innere erreicht. Ich kenne kein und habe noch nie ein vergleichbares Instrument gehört.“

Sie unterhielten sich die ganze Pause über das vergangene Stück. Dabei blickten sie sich immer wieder tief in die Augen und lächelten sich an. Das Pausenzeichen erinnerte sie, sich wieder auf ihre Plätze zu begeben, denn sie hatten die Zeit vergessen und mussten sich schon beeilen um ihre Plätze noch rechtzeitig zu erreichen. Das Orchester hatte schon seinen Platz eingenommen und in dem Moment als sie sich setzen wurde auch der Zuschauerraum wieder abgedunkelt. Wieder kann der Maestro unter dem Beifall des Publikums auf die Bühne, machte eine Verbeugung und nahm sofort den Taktstock auf. Die Musiker nahmen das Tempo auf und die Symphonie von Beethoven erfüllte den Raum. Auch diese Interpretation war fantastisch und es schien fast so, dass das Orchester durch die Solodarbietung von Chi Chang zu einer Höchstleistung angespornt wurde und sie versuchten einen noch glanzvolleren Höhepunkt zu setzen, was aber schier unmöglich war. Johannes war auch sogleich wieder entrückt und merkte gar nicht wie Jürgen zärtlich seine Hand auf seine legte und sie hielt. Erst als auch die Symphonie zu Ende war, bemerkte er es und freute sich sehr darüber. Noch bevor sie beide dem Applaus beipflichteten, sahen sie sich einander tief in die Augen und es war so als würden sie sich schon ewig kennen und einander sehr lieb haben.

Auch dies war für beide der Anfang eines neuen Lebensabschnittes, der beiden die Sehnsucht nach Liebe, Zuneigung und Vertrauen gab.

Was für ein Abend für Johannes, Jürgen und Chi Chang. Keiner hätte es sich in seinen kühnsten Träumen auch nur ausmalen können, dass dieser Abend so entscheiden in ihr aller Leben eingreift. Aber das Leben birgt oft solche Zufälle und das ist das Wunderbare daran und deswegen leben wir ja auch und hoffen auch, dass uns das Schicksal eines Tages unsere Träume erfüllt.

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