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Das zweite Geheimnis

Teil 1

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Es ist eine neue und hoffentlich spannende Geschichte mit unseren vier Helden: Nicole, Manuel, Daniel und Bastian - ihr kennt die vier ja vielleicht schon von ihren Erlebnissen aus den » Neuen Elementen«.

Dort konntet ihr miterleben, wie Bastian um seinen Daniel bangen mußte, der in ein Abenteuer verwickelt wurde, das unseren vier Protagonisten fast über den Kopf gewachsen wäre.

Alle sind sie bei der Suche nach dem geheimnisvollen Meteoriten über sich und ihre Fähigkeiten hinausgewachsen. Und nicht selten mußten sie ihre Angst überwinden, damit der Stein nicht in falsche Hände gerät.

Am Ende hatten sie es geschafft. Die Pläne eines skrupellosen Konzerns, den Stein militärisch zu nutzen, hatten sie durchkreuzt. Und auch wenn es mitunter ganz schön schmerzlich war, Daniel und Bastian hatten alle Hindernisse überwunden. Auch Manuel und Nicole waren sich wieder ein wenig näher gekommen. Der Stein versank zum Schluß im Meer und die Gefahr war gebannt.

Eigentlich ist das Abenteuer, das sie erlebten, ja zu Ende. So ganz aber immer noch nicht. Das müssen die vier in dieser neuen Geschichte erfahren.

Euch erwartet keine einfache Fortsetzung der »Neuen Elemente«, wenngleich die Handlung weitergeht. Vielmehr gibt die Geschichte einen Blick frei, auf die noch offenen Fragen. Sie schaut zwischen die Figuren und sie schaut zurück in die Vergangenheit. Ihr findet neben den euch bekannten Helden auch neue, die nicht nur diese kleine Geschichte hier beeinflußten.

Es ist eine Abenteuergeschichte, eine Story, die so fantastisch ist, das sie sich sicher nie zutragen würde. Oder doch? Natürlich ist sie frei erfunden. Aber nicht alles ist bloße Fantasie. Ein Fünkchen Wahrheit steckt auch hier mit drin.

Also dann, viel Spaß beim Lesen. Und laßt mich wissen, wie es euch gefallen hat.

Gruß Andy

 

»Der Himmel wird sich verdunkeln. Aus einem Feuerball entstammt das Wunderbare, das Schreckliche, das einst unsere Welt bestimmen wird. Nur wer nicht nur an sich selber denkt, wird die Kraft besiegen«

Peredus, ca. 1027 u.Z.

Zeit zum Handeln

»Wenn jemand ein Problem erkannt hat und nichts zur Lösung beiträgt, ist er selbst ein Teil des Problems«

(Indianisches Sprichwort)

Es ist früh am Morgen. Mavachee weiß, das er jetzt nicht hier sein dürfte. Die Hüter des Glaubens und sein Vater beratschlagen, wie sie sich den Fremden gegenüber verhalten sollen.

Vielleicht gibt es auch hier Krieg.

Er kennt die Gefahr. Wenn er jetzt hier bei seinem Vorhaben entdeckt wird, bedeutet das seinen sicheren Tod. Und trotzdem. Er muß die Bedrohung von seinem Volk, von der Welt abwenden.

Als kleiner Junge hat er sich oft in den geheimen Gängen zum Heiligtum versteckt und den Messen der Tempelhüter zugeschaut. Er kennt sich daher gut hier aus und kann auch ohne den offiziellen bewachten Weg zu nehmen, in das Innere des Tempels gelangen.

Das letzte Stück muß er auf den Knien überwinden. Zu niedrig ist der Gang jetzt geworden.

Es gehört viel Mut und Entschlossenheit zu seinem Vorhaben.

Trotzdem er der jüngste Sohn des Königs ist, ist er nicht gerade der Tapferste. So scheint es zumindest bei den Wettstreiten und Opfergaben.

Sein Gefühl hat ihm schon oft gesagt, das es nicht richtig ist, einen Disput mit den Fäusten auszutragen und das es nicht richtig sein kann, den Göttern das Leben eines Tieres oder gar eines Menschen zu opfern. Das hat ihm bei seinen Brüdern den Ruf eines Feiglings eingebracht.

Heute ist er aber der Einzige, der die nahende Gefahr wirklich erkannt hat. Und er ist der Einzige der weiß, was er tun muß, um noch Schlimmeres zu verhindern. Ihn hat sein Mut nicht verlassen.

Die Tränen der Sonne, danach sind die Eroberer aus. Das Gold, was für sein Volk ein Besitz des Himmels, der Götter ist, ist für die Fremden der Grund aller Habgier und Grausamkeiten.

Er hat gesehen, wie sie im Dorf an der Küste sein Volk töteten, die Tempel verwüsteten und alle heiligen Gegenstände mitnahmen. Das darf hier in seiner Stadt nicht geschehen. Zu gefährlich ist das, was der Tempel außerdem in sich birgt.

Der schmale staubige Lüftungsschacht mündet in einer riesigen Halle.

Vorsorglich löscht er seine kleine Öllampe, um nicht doch noch entdeckt zu werden.

Aus einigen kleinen Öffnungen an der Decke dringt schwaches Tageslicht in den weitläufigen Raum.

Er bewegt sich behend aus dem Schacht heraus und steht mit den bloßen Füßen auf einem Steinabsatz.

Ein kleiner Stein, kaum größer als ein Samenkorn, löst sich und fällt hinunter. In dem weiten Raum hallt sein Echo, als wäre eine Säule umgestürzt.

Mavachee kauert sich zusammen. Seine Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er mustert den Raum und lauscht auf eventuelle Geräusche, die das Nahen der Wachen anzeigen.

Aber es bleibt still.

Vorsichtig gleitet er von dem Absatz herunter auf den glatten kalten Steinfußboden. Er achtet jetzt sehr darauf, das nicht das kleinste Körnchen mehr hinunter fällt.

Sein athletischer Körper fängt den Sprung anmutig ab. Nicht der geringste Laut verrät jetzt mehr seine Anwesenheit.

Schnell und dennoch sehr vorsichtig bewegt er sich zum Altar.

Auf ihm befindet sich ein kleiner goldener Kasten. Die Außenflächen sind mit Sonnenreliefs verziert.

Mavachee legt seine Hände an die seitlichen Griffe und will den Kasten öffnen.

In dem Moment spürt er, das jemand hinter ihm steht.

Vertrautes und Unbekanntes

»Zusammig, das ist ein schönes Wort ...«

(Ted van Lieshout, »Bruder«)

Lachend wirft Daniel sein Hemd in den See.

Wie ein kleines Segel bläht sich das Knäuel im Wind auf und landet ganz langsam und sacht auf der Wasseroberfläche.

Feine Wellenkreise wandern von dort über das Wasser und brechen sich an den kleinen Kieselsteinen am Ufer vor meinen Füßen.

»Und nun?«

Ich fasse mit meiner rechten Hand ins Wasser.

Es ist eiskalt.

Dort einige Meter vor mir schwimmt das seltsame kleine Stoffboot und beginnt langsam unterzugehen.

Daniel schaut mich mit großen Augen an.

Er bekommt eine Gänsehaut und fängt an zu frieren.

»Ich habe doch gesagt, ich gebe mein letztes Hemd für dich.«

Mein Blick schweift wieder zurück auf das Wasser. Der weiße Fleck ist jetzt verschwunden, das kleine Stoffboot ist versunken.

Wenn ich genau hinschaue, glaube ich einen hellen Fleck auf dem Grund zu sehen. Vielleicht täuscht mich aber auch nur ein Sonnenstrahl.

Daniel grinst.

Ich grinse jetzt zurück und bin mit einem Satz im See.

Es ist wirklich eiskalt.

Mir stockt für einen Augenblick der Atem.

Die Wellen schlagen über mir zusammen.

Wie in einem Tunnel bewege ich mich durch das nasse Element, tauche hinab.

Es wird immer dunkler.

Das Wasser drückt auf mein Trommelfell, die Kälte zwickt mich an allen Stellen.

Der helle Fleck, den ich zu erkennen glaubte, ist jetzt nicht mehr zu sehen.

Vor mir spüre ich den Kiesboden des Sees. Daniels Shirt jedoch bleibt verschwunden.

Meine Lungen sagen mir, daß der Moment gekommen ist, wieder aufzutauchen.

Wie in einem Reflex mache ich das auch.

Ich habe gerade die Wasseroberfläche wieder erreicht, da kommt mir Daniel auch schon entgegen geschwommen.

»Basti, du bist ja verrückt«, ist das Erste, das ich vernehme. Dann bekomme ich nach dem grimmigen Gesicht doch noch ein Lächeln geschenkt.

Wir schwimmen zurück ans Ufer und gehen schnell aus dem Wasser.

Wieder festen Boden unter den Füßen schauen wir uns ersteinmal an und müssen beide laut loslachen.

»Los komm, schnell. Sonst frieren wir hier noch fest.«

Der Sand erscheint jetzt regelrecht warm unter den Füßen, während wir zum Auto laufen.

Die Sonne hat schon fast die Kraft des Sommers. Fast.

Nur der Wind ist noch ziemlich kalt.

Völlig durchnäßt und Daniel zusätzlich mit freiem Oberkörper kommen wir an unserem Fahrzeug an.

Ein paar Meter weiter hat ein älteres Ehepaar sein Auto geparkt und schaut jetzt kopfschüttelnd zu uns rüber.

Als wir jetzt auch noch beginnen, uns gegenseitig die Sachen auszuziehen, steigen sie mit einer unverständlichen Bemerkung in ihr Auto ein und fahren weg.

Zum Glück hat Daniel eine Decke mit.

Unsere Sachen haben wir auf der Motorhaube und dem Autodach ausgebreitet, während wir uns beide in die wärmende Decke auf dem Rücksitz aneinander kuscheln.

So nah beieinander wird uns auch sehr schnell wieder warm.

Als aber doch wieder ein Fahrzeug auf dem Parkplatz ankommt und eine ganze Horde Rentner herausquillt, beschließen wir, doch lieber wieder zurück zu fahren.

Ich springe schnell aus dem Auto und schnappe mir unsere Sachen. Obwohl ich noch auf der abgewandten Seite und somit nicht voll sichtbar für die herbeiströmende Ausflugsgesellschaft bin, ernte ich doch schon von weitem ein paar verwunderte Blicke.

Daniel und ich ziehen uns schnell unsere Shorts an und fahren los.

Die verwunderten Gesichter bringen uns beide wieder zum Lachen.

Es gibt Momente, die sind so intensiv, als würden sie in Zeitlupe ablaufen, so daß ich auch wirklich jedes Detail mitbekomme und genießen kann.

Ich schaue meinen Daniel an.

Die morgendliche Sonne scheint durch das Fenster und bricht sich in seinen Wimpern und Augenbrauen. Ein Glitzern liegt auf seinem Gesicht. Seine Haare sind ganz wuschelig. Seine Gesichtszüge sind weich, ein Lächeln liegt auf seinen feinen Lippen. Ich weiß genau, wie sie sich anfühlen und kann sie in meiner Fantasie spüren.

Vorsichtig streiche ich ihm über seine rechte Schulter.

Er lächelt mich an.

Da er der Fahrer ist, halte ich mich jedoch zurück. Auch wenn ich jetzt gerne seine Lippen an meinen und seinen Körper ganz dicht bei mir spüren würde. Seine Nähe versprüht Erregung und Geborgenheit zugleich. Wenn er mich umarmt, fühle ich, daß es einfach so sein muß, daß wir zusammen gehören.

Seit fast einem Jahr sind wir jetzt ein Paar. Es war eine teilweise ganz schön aufregende Zeit. Das Abenteuer kurz nachdem wir uns kennengelernt haben, war fast zuviel der Aufregung. Es ist aber wirklich wunderbar mit meinem Daniel zusammen zu sein.

Daniel scheint in meinen Gedanken zu lesen. Das kann ich an seinem Lächeln sehen. Er beugt sich zu mir rüber bis sich unsere Lippen berühren. Ein zarter Kuß zeigt mir, daß auch er so fühlt.

Eigentlich sollte es nur ein gemeinsamer Morgenspaziergang werden. Nun ist daraus ein Badeausflug geworden. Wenn wir das Nicole erzählen, hält sie uns für verrückt. Vielleicht sind wir das ja auch. Und wennschon.

Ich habe schon recht zeitig gelernt, daß das, was alle als normal ansehen, oftmals nur Durchschnitt bedeutet und etwas Verrücktheit daher das eigentliche Leben ausmacht.

Zu Hause angekommen, ziehen wir uns ersteinmal um. Wenn es doch jetzt nicht schon kurz nach neun Uhr wäre. So bleibt leider keine Zeit mehr für andere Sachen. Daniel muß in die Firma und ich habe mit Nicole zusammen einen Auftrag für eine Reportage.

Wir trinken jeder noch schnell ein Glas Saft und verlassen die Wohnung. Schnellen Schrittes geht es die Treppe runter. Unten angekommen gibt's als Abschied noch einen zärtlichen Kuß. Dabei geht die Haustür auf und Ronja, unsere Nachbarin kommt rein.

Sie lächelt uns zu und wünscht uns einen guten Morgen.

Das wünschen wir ihr auch und gehen hinaus auf die Straße.

Leider trennen sich jetzt bis heute Nachmittag unsere Wege.

Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, jetzt zu arbeiten. Dadurch das wir beide heute aber erst so spät los mußten, war auch dieser Montagmorgen sehr schön, mit unserem kleinen Ausflug.

Daniel nimmt sein Fahrrad und fährt los. Er lächelt mir noch mal zu und verschwindet hinter der nächsten Ecke.

Die Nacht war recht kühl. Daher hat mein Healey noch ein paar Probleme beim anspringen. Er ist schon ein schönes Auto, aber er hat durch sein Alter auch schon ein paar kleine Macken.

Das ist bei Autos anscheinend wie bei den Menschen.

Nichts desto trotz, der Motor kommt in Gang und die Fahrt geht los. Die Sonne lacht noch immer. Der morgendliche Berufsverkehr ist schon vorbei. So ist die Fahrt richtig angenehm und ich komme zügig und entspannt voran.

Nicole wartet schon vor dem Haus auf mich. Sie ist ziemlich aufgeregt. Das kann ich schon von weitem erkennen, da sie nervös mit ihrer Mappe herumfuchtelt.

»Morgen Bastian. Du kommst recht spät, wir müssen uns beeilen.«

»Hi Nicole. Mach keine Panik, es ist wirklich noch genug Zeit. Du bringst ja den ganzen schönen Morgen durcheinander.«

»Schöner Morgen? Heute ist Montag. Was ist denn daran schön? Ach ja, Daniel mußte ja heute auch später los. Alles klar. Was habt ihr denn so gemacht, heute Morgen?«

Sie setzt ein zweideutiges Grinsen auf.

Ihre Hintergedanken sind daher sehr leicht zu erkennen. Und so antworte ich bewußt ruhig und gelassen.

»Wir waren am See, baden.«

An ihrem Gesichtsausdruck kann ich jetzt erkennen, daß sie rätselt ob ich das ernst meinte. Schließlich grinst sie mich wieder an.

»Da ich euch beide kenne, kann ich mir denken, daß das auch noch war ist. Ich wußte schon immer, daß du einen kleinen Hick hast. Aber das das jetzt auch Daniel angesteckt hat?«

Ich hatte also Recht, das sie uns für verrückt hält, wenn wir ihr von unserem Ausflug berichten.

So erzähle ich ihr also die restliche Fahrt kurz unseren heutigen Morgen. Ihre Reaktion ist ein Lachen und ein Kopfschütteln.

Wir sind inzwischen angekommen und ich habe eine freie Parklücke erspäht.

Nicole wird jetzt wieder etwas nervöser. Das liegt vielleicht auch an dem heutigen Interview und unseren ungewöhnlichen Gesprächspartner. Kaum habe ich eingeparkt, springt Nicole auch schon aus dem Auto.

»Bastian, kommst du? ... Hallo, Herr Bergen.«, ruft sie mir zu.

»Ja sofort. Ich suche nur noch das Weitwinkelobjektiv.« Oh, Nicole drängelt hier was rum.

Ah, da ist es ja. Ich schnappe mir meine Fototasche, noch mal kurz das Hemd entknittert und auf geht's. Wir haben ein Interview mit einem General a.D. Es geht um Friedenspolitik und die Gewaltbereitschaft der NATO.

Der General wohnt in einem luxuriösen Appartementhaus in der Innenstadt.

Unser Termin ist um elf Uhr. Pünktlich fünf Minuten vorher betreten wir die Empfangshalle. Freundlich werden wir vom Portier in die siebente Etage verwiesen und zum Aufzug geleitet.

Nicole hat sich einen recht beachtlichen Fragenkatalog zusammengestellt.

Ich werde versuchen, ein paar möglichst eindrückliche Porträtaufnahmen zu machen.

Unser Lift kommt in der siebenten Etage an.

Nicole rückt noch mal ihren Rock zurecht. Wir lächeln uns kurz an und auf geht's.

Der Portier hatte bereits Bescheid gesagt und so wartet unser Gesprächspartner schon auf dem Flur auf uns.

Der General ist ein ungefähr sechzigjähriger Mann mit kurzen grauen Haaren. Er trägt einen grauen Rollkragenpullover und eine dunkelgraue Hose.

Alles in allem wirkt er schlicht und ergreifend - grau.

Seine Augen blitzen jedoch lebendig und energievoll hervor. Dadurch hat er etwas Geheimnisvolles, Unheimliches an sich.

Er begrüßt uns mit Handschlag und einem freundlichen Lächeln.

»Guten Tag Frau Bergmann. Und sie sind Herr Bergen?«

»Ja, einen schönen guten Tag Herr Lessner. Oder besser Herr General?« antworte ich.

»Nein, nein. Das General können sie sich gerne sparen.«

Er leitet uns in sein recht beachtliches Appartement. In seinem Arbeitszimmer bittet er uns, in einer bequemen Ledergarnitur Platz zu nehmen.

Auf dem Tisch wartet schon eine Kanne mit Tee und eine Schale mit Gebäck.

Die Frage nach einer Tasse Tee bejahen wir und unser Gastgeber schenkt uns allen das wohlduftende Getränk ein.

Nach einem kurzen Vorgeplänkel geht es auch gleich zur Sache. Nicole beginnt mit allgemeinen Fragen und tastet sich immer mehr an unser eigentliches Thema, die Kriegführung der NATO in Afghanistan heran.

General Lessner war Befehlshaber einer der ersten deutschen Kampfverbände. Dies aber nur ganze dreißig Tage, dann verließ er den Kriegsschauplatz und kurz darauf das Militär.

Was im allgemeinen als Kollateralschäden bezeichnet wird, konnte er nicht hinnehmen. Die einkalkulierten Verluste bei der Zivilbevölkerung waren auch für ihn als Berufssoldat nichts weiter als Mord. Er hatte das gesehen und miterlebt, was in den Berichten der Medien vom `sauberen` Krieg nicht gezeigt wurde.

Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, daß unser Gastgeber und wir sehr oft der gleichen Meinung sind. Dementsprechend ist unser Interview sehr angenehm und unser Gesprächspartner sehr kooperativ.

Dank des guten Lichts, das durch die große verglaste Fassade in das Arbeitszimmer fällt, kann ich auch einige sehr interessante Fotos machen. Dabei fällt mir immer wieder dieser verborgene hintergründige Blick des Generals auf.

Nicole stellt nun ihre letzten Fragen und wir bedanken uns für den interessanten Nachmittag.

Unser Gastgeber verabschiedet uns.

An der Tür sagt er zu mir jedoch in einem ganz anderen Ton, fast etwas unsicher: »Herr Bergen bitte bleiben sie doch noch einen Moment. Ich habe noch eine persönliche Sache mit ihnen zu besprechen.«

Verwundert schaue ich ihn und dann Nicole an.

Nicole zuckt kurz mit den Schultern und sagt, sie wartet dann unten in dem Café vor dem mein Healey steht.

Herr Lessner dankt ihr für das Verständnis und bittet mich noch mal in sein Arbeitszimmer.

Ich bin extrem gespannt, was dieser Herr, den ich erst vor zwei Stunden kennengelernt habe, mir noch persönliches zu erzählen hat.

Vielleicht kennt er jemanden aus meiner Familie?

Aber warum dieser unsichere Tonfall vorhin? Irgendwie habe ich ein sehr ungutes Gefühl.

Er sagt, »Bitte setzen sie sich doch noch mal und schauen sie sich das hier an.«

Aus seinem Schreibtisch nimmt er eine graue Mappe und reicht sie mir rüber.

Ich öffne sie.

Es ist eine Art Bericht.

Als ich das Datum und den Ort des Geschehens lese, verkrampft sich in mir alles.

Ich springe aus dem Sessel und lasse die Mappe fallen.

Wie versteinert stehe ich im Raum. Herr Lessner ist inzwischen zu mir rüber gekommen und versucht mich zu beruhigen. Da meine Knien inzwischen viel zu stark zittern, setze ich mich wieder.

Er hat die Mappe wieder aufgehoben und legt sie vor mir auf den Tisch.

»Was soll das? Was ist das?« frage ich ihn.

»Schauen sie sich die Seite fünf an, dann wissen sie es. Das ist die Wahrheit. Eine Wahrheit, die sie sicher interessieren wird.«

Vorsichtig öffne ich wieder die Mappe.

Das, was ich da lese, ruft bei mir sehr schmerzliche Erinnerungen hervor. Es ist ein Bericht über die Ereignisse um Daniels Entführung und die Jagd nach dem Meteoritenbruchstück, wobei ich fast meinen Daniel verloren hätte.

Hoffentlich müssen wir nie wieder so etwas durchmachen.

Auf Seite Fünf ist ein Bild eingehoften. Es ist sehr grobkörnig, das bedeutet es ist sehr stark aus dem Negativ heraus vergrößert worden.

Ich kann Daniel erkennen. Er hat etwas in der Hand oder besser gesagt, er wirft gerade etwas weg. Es sieht aus wie ein Stein.

Jetzt kann ich mir auch denken was das Bild darstellt. Es ist der Moment indem er das Meteoritenbruchstück in das Meer wirft.

Anscheinend wurde er dabei aus großer Entfernung fotografiert.

»Was soll das? Warum zeigen sie mir das?«

Herr Lessner nimmt sich die Mappe und blättert eine Seite weiter. Dort beginnt er vorzulesen.

» ... hat Herr Krüger wahrscheinlich während des Zugriffs das Objekt an sich genommen. Wie das Überwachungsfoto zeigt, hat er es gegen 18 Uhr in das Meer geworfen. Die weitere Überwachung ergab keine Hinweise auf einen anderen Verbleib des Objektes. ... Auch umfangreiche Sucharbeiten in der betroffenen Küstenregion konnten das Objekt auf Grund des vorhandenen Gerölls nicht ausfindig machen. Wir empfehlen daher, die Suche nach Objekt 2 in Ecuador fortzusetzen.«

Die haben Daniel wirklich überwacht. Gut, das er so schnell gehandelt hat, sonst wäre der Meteorit vielleicht doch noch in die falschen Hände gefallen.

Was bedeutet aber Suche nach dem zweiten Objekt in Ecuador?

Genau das frage ich dann auch Herrn Lessner.

Er erklärt mir, das das Militär schon lange nach dem Meteoriten gesucht hat. Um so größer war die Enttäuschung, als der Deal mit Carlson Technologies nicht klappte. Die Forschungen des Militärs verfolgten aber noch eine zweite Spur. Nach den geschichtlichen Überlieferungen soll es im Mittelalter in Südamerika einen ähnlichen wundersamen Stein gegeben haben. Die spanischen Überlieferungen aus der Kolonialisierung Südamerikas zitieren immer die dortigen Einwohner, die vom »Boten der Sonne« sprachen. Wenn das stimmt, dann gab es neben dem Meteoriten in Frankreich auch noch einen zweiten in Südamerika.

Und das heißt, die Gefahr ist vielleicht noch lange nicht gebannt.

Der Weg beginnt

Mavachee spürt den leisen Atem hinter sich, er will sich umdrehen. Es geht aber zu schnell, schon wird er festgehalten und ihm legt jemand die Hand vor den Mund.

Das Herz scheint ihm stillzustehen.

Wild schießen ihm die Gedanken durch den Kopf.

Er will sich wehren und dreht sich geschickt um.

Nun blickt er seinem vermeintlichen Angreifer direkt in die Augen.

Für ihn die schönsten Augen der Welt.

Es ist Akiio.

Sie umarmt still Mavachee und gibt ihm einen Kuß.

Mavachee ist besorgt aber auch glücklich, sie jetzt bei sich zu haben.

Er schenkt ihr einen nachdenklichen Blick und ein Lächeln und wendet sich wieder dem goldenen Kasten zu.

Vorsichtig ergreift er die Seiten und öffnet ihn einen Spalt.

Aus dem Inneren strahlt für einen Augenblick ein gleißendes Licht.

Schnell schließt er den Kasten wieder und nimmt ihn vom Sockel.

Eigentlich hat er ihn sich immer schwerer vorgestellt.

Gemeinsam bewegen sich Mavachee und Akiio zum Lüftungsschacht zurück.

Akiio klettert als erste hinauf und nimmt Mavachee den Kasten ab. Mavachee klettert hinterher.

Im Schacht angekommen entzünden sie die kleine Öllampe und krauchen mit ihrer wertvollen Last hindurch. Weit hinten ist das Tageslicht zu sehen.

Mavachee weiß, daß sie sich beeilen müssen und den Tempelbezirk verlassen haben müssen, bevor die Tempelhüter von ihrer Beratung mit seinem Vater zurückkommen. Wenn sie sehen, daß der ´Bote der Sonne´ aus dem Heiligtum verschwunden ist, wird es hier von Wachen und Kriegern nur so wimmeln.

Sie erreichen die Mündung ins Freie.

Dort nehmen sie sich einen Moment Zeit um die Umgebung zu mustern. Es ist niemand zu sehen. Der Weg ist frei.

Schnell steigen sie vom Tempel hinunter und laufen in den nahen Wald.

Als sie im dicken Buschwerk angekommen sind, hält Mavachee erst einmal an und dreht sich zu seiner Freundin um.

»Du hättest nicht herkommen sollen. Wenn sie mich erwischen, dann ...«

»Was ist dann? Denkst du ich kann dann einfach zusehen, wie sie dich hinrichten. Dann will ich lieber neben dir an deiner Seite stehen. Mava, ich brauche dich, ich liebe dich.«

»Ich liebe dich doch auch. Schön, daß du bei mir bist.«

Sie lächeln sich zu und laufen mit ihrer Fracht weiter durch den Wald.

Abwechselnd tragen sie den Kasten.

Schon mehrere Stunden bewegen sie sich so auf kleinen Pfaden, abseits der Haupthandelsstraße in Richtung Küste. Es sind noch gut zwölf Stunden Fußmarsch. Da sie mittlerweile auch schon genauso lange unterwegs sind, macht sich langsam die Erschöpfung in ihnen breit.

Akiio hat ein wenig Proviant mitgebracht. Eine Stelle mit sauberem Wasser ist schnell gefunden und auch ein geeigneter Rastplatz.

Inzwischen bricht die Dunkelheit heran. Schnell nimmt sie den eben noch golden strahlenden Himmel in Besitz und hüllt den Wald in völlige Finsternis.

Die Beiden trauen sich nicht, ein Feuer zu entfachen. Zu groß währe die Gefahr, von den mittlerweile bestimmt schon mobilisierten Kriegern entdeckt zu werden.

Die nächtlichen Geräusche im dichten Wald sind unheimlich. Dicht aneinander gekuschelt schlafen sie aber dennoch ein.

Gefährliches Wissen

»Die Kenntnis der Dinge ist noch nicht das Verständnis der Dinge«

(Sprichwort)

Ich blättere die Mappe jetzt aufmerksam durch und überfliege jeden der gesammelten Berichte.

Das Militär scheint schon seit über zehn Jahren nach dem Meteoriten zu suchen. Vor gut zwei Jahren haben sie vom Vorhandensein des zweiten Meteoriten erfahren. Die Spur führt tatsächlich nach Ecuador. Den Ergebnissen zufolge, könnte der zweite Stein aber auch nach Italien oder sogar nach Polen gelangt sein. Dort soll ein Teil des Goldschatzes durch einen deutschen Missionar in Sicherheit gebracht worden sein. In einem Brief von 1519 ist von einem Boten die Rede. Es ist aber nicht ersichtlich, ob damit ein wirklicher Bote oder der so bezeichnete Meteorit gemeint wird.

Der Inhalt der Mappe ist wirklich interessant. Er macht mir aber auch Angst.

Zu gefährlich ist unsere erste Suche gewesen. Nur durch viel Glück sind wir da überhaupt wieder rausgekommen.

»Und warum zeigen sie mir das«, frage ich Herrn Lessner.

Er überlegt kurz.

»Sie sind zusammen mit ihren Freunden die Richtigen um etwas dagegen zu unternehmen, daß die Suche nach dem Stein sonst nur von Habgier und Egoismus bestimmt wird. Das denke ich zumindest. Ansonsten hätten sie schon bei dem ersten Stein versucht, nur ihren eigenen Vorteil daraus zu schlagen.«

»Und warum fragen sie mich das alleine und nicht zusammen mit Frau Bergmann. Sie muß da schon mitentscheiden.«

»Bei der Suche kommt es hauptsächlich auf sie und Herrn Krüger an.«

Er weiß über mein Privatleben Bescheid. Ich habe irgendwie das Gefühl, das er noch viel mehr weiß. Kenne ich ihn womöglich doch irgendwoher? Er ist mir jetzt nicht mehr so ganz geheuer. Ich werde skeptisch und entscheide mich, ersteinmal nichts weiter zu sagen und auch nicht nachzufragen.

»Nun gut, ich bespreche das mit meinen Freunden. Die Mappe kann ich doch mitnehmen?«

Ich will mir die Mappe greifen, Herr Lessner ist aber schneller und nimmt sie vom Tisch. Er schaut mich jetzt nachdenklich an. Ich glaube er überlegt auch, ob er mir trauen kann. Schließlich reicht er mir die Mappe rüber.

»Die Unterlagen darf außer ihren Freunden keiner sehen. Das ist sehr wichtig.«

Ich nicke, nehme die Mappe und stehe auf.

Hoffentlich ist es nicht falsch, daß ich mich darauf eingelassen habe. Ich bin gespannt, wie Nicole und vor allem Daniel darauf reagieren werden. Eigentlich habe ich kein sehr gutes Gefühl, aber irgendwie drängt mich mein Innerstes, mich doch damit zu beschäftigen.

Herr Lessner verabschiedet mich. Wir vereinbaren, daß ich mich bis morgen bei ihm melde. Ich bin froh, als ich sein Appartement verlassen habe und im Lift hinunter fahre.

Der Portier sagt freundlich ´Auf Wiedersehen´ und ich gehe hinaus auf die Straße. Nicole steht vor dem Café und unterhält sich mit einer anderen jungen Frau. Sie drehen sich jetzt beide zu mir um. Ich erkenne Ronja, meine Nachbarin. Der Straßenverkehr ist jetzt recht dicht, so habe ich Mühe, die Straße zu überqueren. Als ich bei den beiden angekommen bin, habe ich ein seltsames Gefühl, eine Art Dejavu. Mir kommt die gesamte Situation irgendwie bekannt vor.

»Hi Ronja, was machst du denn hier?«

»Ich war hier einkaufen, da habe ich Nicole und dein Auto hier stehen sehen.«

Nicole schaut mich jetzt erwartungsvoll an.

»Na was wollte er noch?«

Da Ronja mit zuhört, ist es jetzt sicher nicht der richtige Zeitpunkt, Nicole von meinem Gespräch mit Herrn Lessner zu erzählen. Also brauche ich erst einmal eine Notlüge.

»Ach, er kennt meine Eltern und hat sich nur nach ihnen erkundigt.«

»Das hat aber ganz schön lange gedauert.«, meint Nicole. Sie fragt aber zum Glück nicht weiter nach. Wir erzählen noch zu dritt ein wenig miteinander und verabschieden uns dann von Ronja. Meine Frage, ob wir sie vielleicht mitnehmen können, verneint sie. Sie lächelt uns noch mal zu und verschwindet dann in der nahegelegenen Einkaufspassage.

Nicole und ich fahren los.

Es ist inzwischen schon Nachmittag und ich habe heute noch gar nichts gegessen. Das meldet jetzt recht lautstark mein Magen. Nicole geht es ganz ähnlich.

Ich klingle daher Daniel an. Er hat auch noch keine Mittagspause gemacht. Das paßt prima, denn so können wir uns in der kleinen Gaststätte vor seiner Firma zum Mittag verabreden.

»Nicole, das stimmte vorhin nicht. Das mit Herrn Lessner. Ich wollte aber nicht vor Ronja darüber reden.«

»Und um was ging es denn dann?«

»Es ging um den Meteoriten.«

Nicole schaut mich jetzt ebenfalls sehr nachdenklich an.

»Ich erzähle am besten zum Mittag dir und auch gleich Daniel das, was Herr Lessner noch mit mir zu besprechen hatte.

Nicole blickt weiter nachdenklich zu mir rüber. Die Fahrt bis zu Daniel verläuft sehr ruhig. Keiner von uns beiden sagt etwas.

Vor der Gaststätte stehen ein Paar Tische im Freien. Es ist zwar nicht gerade sommerlich warm, zum draußen sitzen ist es aber völlig ausreichend.

Daniel hat es sich schon an einem der Tische bequem gemacht. Als er uns kommen sieht, steht er auf und geht uns entgegen. Er begrüßt uns beide und ich bekomme einen Kuß. Das läßt auch mich wieder lächeln, auch wenn ich die ganze Fahrt über sicher kein so freundliches Gesicht gemacht habe.

Daniel merkt aber, das etwas nicht in Ordnung ist und fragt uns dann auch gleich danach.

»Was ist denn los. Ihr guckt ja beide wie ein begossener Pudel.«

Nicole zuckt mit den Schultern und weist mit dem Kopf zu mir rüber. Ich hohle Luft und will ansetzen alles zu erzählen. Das Einzige, was ich aber herauskriege ist jedoch: »Kommt, laßt uns erst mal setzen.«

Nun kommt jedoch der Kellner und fragt uns nach unseren Getränkewünschen. Wir bestellen jeder schnell etwas, dann schauen mich die beiden wieder erwartungsvoll an. Ich weiß jedoch nicht so recht, wie ich anfangen soll. Also lege ich erstmal die Mappe auf den Tisch und sage bloß: »Die hat mir Herr Lessner gegeben. Schaut euch das mal an.«

Ich halte noch schnell die Hand drauf und will etwas Erklärendes ergänzen. Mir fallen aber wieder nicht die passenden Worte ein. Also schiebe ich die Mappe den beiden einfach rüber.

Nicole öffnet sie und Daniel schaut mit hinein.

Da ihre Miene schon ziemlich finster ist, kann ich jetzt keine Veränderung erkennen. Nur Daniel zieht mal seine Augenbraue etwas nach oben.

»Und was soll das?«, fragt er.

»Das habe ich auch erst gefragt, als Lessner mir die Mappe gegeben hat. Er zeigte mir dann die Seite fünf und sechs.«

Die beiden blättern auf die besagten Seiten und überfliegen den Text.

»Ach du scheiße, es gibt noch so einen Stein.«

Passender hätte es Nicole wieder mal nicht ausdrücken können.

»Warum hat er dir die Mappe gegeben?«

»Ich weiß auch nicht genau, warum gerade mir. Er will aber anscheinend, das wir den Stein suchen und ihn vor dem Militär finden. Dabei traue ich ihm aber nicht so ganz. Er ist mir irgendwie nicht ganz geheuer. Es scheint so, als wüßte er mehr, als er sagt. Wie denkt ihr darüber?«

Daniel hat bis jetzt gar nichts gesagt und sich nur nachdenklich den Text und das Bild von ihm angeschaut.

»Von wo haben die mich denn bloß fotografiert?«, sagt er.

»Das muß aus ziemlicher Entfernung passiert sein. So wie das Bild aussieht wurde es sehr stark aus dem Negativ heraus vergrößert.«

»Ich weiß nicht so recht. Eigentlich hatten wir ja gesagt, daß wir nie wieder so eine Aktion durchziehen.« Nicole schaut erst Daniel und dann mich an.

»Das ist auch mein Gedanke gewesen. Aber was ist, wenn der Stein doch in die Hände des Militärs fällt.«

»Warum sucht denn dieser General nicht danach?«, fragt Daniel in die Runde.

»Das habe ich mich auch schon gefragt.«

Die Antwort kam von hinten. Wir drehen uns erschrocken um.

Der Weg zum Versteck

Es wird ziemlich kalt in den Wäldern. Man sollte glauben, daß man kaum in solch einem Urwald frieren kann. Aber es ist dennoch so.

Mavachee und Akiio liegen aneinander geschmiegt auf einer kleinen wollenen Decke. Langsam bricht das Sonnenlicht durch die Bäume hindurch.

Im Gebüsch gegenüber von ihrem Schlafplatz raschelt es.

Akiio erwacht.

Sie sieht, wie sich die Blätter dort fast unmerklich bewegen.

Ist es ein Mensch? Ein Tier? Droht Gefahr?

Sie haben unweit einer der alten Hochlandstraßen übernachtet. Da kann es durchaus sein, daß ein Botenläufer, ein Chasqui sie entdeckt hat.

Sie greift zu ihren Sachen und nimmt ihr Messer in die Hand.

Jetzt weckt sie ihren Freund.

Mavachee schaut sie kurz verschlafen an und begreift dann sofort an Akiios Blick die mögliche Gefahr.

Auch er sucht sich jetzt sein Messer und nimmt den in Tücher gewickelten Kasten an sich.

Er beobachtet genau den gesamten Wald um sich herum, kann aber keine weiteren Anzeichen für die Anwesenheit möglicher Verfolger finden.

Mit Blicken sprechen sich die beiden ab.

Gleichzeitig rollen sie sich in die rechts und links von ihrem Schlafplatz liegenden Büsche.

Durch das Geräusch aufgeschreckt, fliegt ein großer Vogel aus dem raschelnden Strauch.

Erleichtert kommen sie wieder aus dem Dickicht hervor.

Sie umarmen sich. Mavachee streicht Akiio die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Lange schauen sich beide in die Augen.

»Hoffentlich geht das gut aus. Ich habe Angst, dich zu verlieren, Mava.«, erwidert Akiio ihrem Freund.

Mavachee zieht Akiio sacht an sich heran und küßt sie auf die Lippen.

»Im Herzen werden wir uns nie verlieren.«

Akiio schweigt und hält ihren Freund ganz fest. In ihrem Herzen spürt sie jedoch das unabwendbare Unheil nahen.

Nach einer kurzen Stärkung mit dem restlichen Proviant und dem Wasser aus der nahen Quelle machen sie sich wieder auf den Weg.

Die schmalen Pfade durch des Dickicht des Südamerikanischen Urwaldes sind auch für Mavachee und Akiio, die hier sozusagen aufgewachsen sind, keine ungefährliche Reise. Dazu kommt auch noch die Gefahr, durch die Krieger ihres Volkes, die sicher schon nach dem heiligen Stein und nach ihnen suchen. Und nicht zu vergessen die Fremden, denen sie sich immer weiter nähern.

Ihr Ziel ist die Ostküste des Landes. Da, von wo aus die Fremden begannen, ihr Volk zu unterwerfen.

Die beiden Freunde kennen die Macht des Steines und sie wissen, wenn die Fremden ihn in ihren Besitz bekommen, bringt das nur Unheil und wird ihre Welt gänzlich zerstören. Sie verstehen Mavachees Vater, Kiteh nicht. Er redet nun schon fast ein Jahr mit den Tempelhütern, wie sie sich den Fremden gegenüber verhalten sollen. Dabei ist es doch ganz klar. Die fremden Männer sind mit Waffen in ihr Land eingedrungen.

Mavachee und Akiio haben gemeinsam gesehen, wie sie brutal ihr Volk unterworfen haben und alle töteten, die sich werten. Egal ob Mann, Frau oder Kind. Mavachee wird nie den Anblick vergessen, wie einer der Fremden auf einem der großen Tiere kam und ein zu Mavachee laufendes Kind mit seiner Klinge enthauptete. Er sah, wie der kleine Körper im Lauf einfach zusammen brach. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte das nicht begreifen. Dieses Bild brannte sich in seiner Seele ein. Ein tiefes Entsetzen und ein ungeheurer Haß machten sich in ihm breit.

Wenn Akiio in dem Moment nicht ihren Freund zur Seite gerissen hätte, hätte ihn bestimmt als nächsten die Klinge getroffen.

Die Fremden nennen sich selber Espanios. Für Mavachee sind es Bestien.

Und sein Vater spricht und spricht und spricht. Warum handeln sie nicht. Ist es denn wirklich so aussichtslos gegen diese brutale Macht anzukämpfen.

Nur noch zwei Sonnenzyklen weit von ihrer Stadt waren sie, als Akiio und Mavachee das Heiligtum stahlen um es in Sicherheit zu bringen. Das heißt, bereits in der nächsten Nacht könnte sich das gleiche grausame Schicksal in ihrer Stadt abspielen.

Beide versuchen nicht daran zu denken.

Ihr Plan war es, den ´Boten der Sonne´ hinter den fremden Truppen in Sicherheit zu bringen. Dort, wo schon alles nach dem Gold abgesucht wurde. Dort ist die Wahrscheinlichkeit am größten, das keiner den Stein finden würde.

Die Tempelhüter wollten nur auf die Sicherheit des Tempels vertrauen. Dabei wußte jeder, das keiner der anderen Tempel den Angreifern standgehalten hatte.

Heute werden die beiden Freunde an der Küste ankommen. Sie hoffen, das die Fremden von dort inzwischen weitergezogen sind. Im tiefen Gewölbe des kleinen Tempels in der alten Stadt wollen sie den Stein verstecken. Und da keiner der Tempelhüter den Ort, wo der Stein aufbewahrt wird kennt, kann ihn auch keiner verraten.

Die Sonne wandert über den Himmel. Sie begleitet den Weg der beiden. Sie kommen gut voran und erreichen am späten Nachmittag den Felshang, der zur Küste hinunterführt.

Von weitem können sie schon das Meer rauschen hören. Frische Seeluft weht durch den schwülwarmen Wald.

Von der Felskante aus schauen sie in das Tal zum Dorf.

Das Erste was sie sehen, sind drei mächtige Boote, die kurz vor der Küste im Wasser liegen.

Im Dorf sehen sie viele Leute. Beim genauen hinschauen erkennen sie jedoch, daß es fast nur Fremde sind. Nein nicht nur fast. Sie sehen keinen Einzigen von ihrem eigenen Volk.

Sie kommen zu dem Schluß, daß sie hier den Stein nicht verstecken können. Und das sie in Gefahr sind, von den Fremden entdeckt zu werden. Das wäre mit ihrer wertvollen Fracht das Schlimmste, das passieren könnte.

Blicke genügen. Akiio und Mavachee ziehen sich wieder in den Schutz des Waldes zurück.

Sie überlegen, wie es weitergehen soll. Die Gefahr ist zwar einerseits wirklich zu groß, in das Dorf hinunterzugehen. Sie haben aber andererseits auch gesehen, daß der Tempel noch steht. Auch wenn er später zerstört würde, es würde keiner die Gewölbe finden. Dazu liegen sie viel zu tief

Und sie wissen, daß kaum einer von den unterirdischen Gewölben weiß. Mavachee hat damals von seinem Großvater davon erfahren. Er kennt außer Akiio keinen, dem der geheime Platz noch bekannt ist.

Sie beschließen daher, doch ihren Plan fortzusetzen und wollen den Stein dort unten verstecken. Bei Nacht wollen sie in das Dorf hinunter gehen. Bis dahin wollen sie sich aber noch ausruhen.

Mavachee geht noch mal alleine zur Felskante, um sich noch ein wenig über die Lage zu informieren.

Er hat sich hinter einen Stein gelegt und schaut hinunter.

Kleinere Boote fahren von den großen in Richtung Ufer. Kaum sind sie angekommen, werden verschiedene Sachen auf sie verladen und sie fahren wieder zurück. Jetzt erkennt er jedoch auch Menschen, die gefesselt auf die Boote gestoßen werden. Es sind Gefangene. Wer sich wehrt, wird mit Knüppeln geschlagen.

Jeder Schlag trifft in seinem Inneren auch Mavachee. Er spürt den Schmerz, den sein Volk ertragen muß. Er spürt, wie sich der Haß in ihm wieder breit macht.

Die Hilflosigkeit, das Gefühl, nichts dagegen machen zu können, treibt ihm die Tränen auf die Wangen. Er schließt seine Augen. Für den Moment wünscht er sich, wieder Kind zu sein und friedlich in seiner Welt leben zu können.

Er will jetzt schnell zu Akiio zurück und steht hastig auf.

Kaum hat er sich aufgerichtet, wirft ihn jedoch ein Schlag zu Boden.

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