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Life is a dream

Teil 1

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Diese Story entsprang meiner Phantasie. Die Handlung ist frei erfunden und ich kenne keine der auftretenden Personen. Außer Regensburg und Landshut ist mir keine der vorkommenden Ortschaften bekannt. Sollten sie dennoch existieren, so hoffe ich, dass mir die Bewohner nicht allzu böse sind.

Markennamen dienen nur dazu, um die Story realer zu machen.

Die Geschichte ist ausschließlich für eine Veröffentlichung in »Nickstories« gedacht und darf ohne meine Erlaubnis nirgendwo sonst publiziert werden.

Freue mich riesig über jede E-Mail, die Du mir schickst. Sei es Kritik, Anregung oder einfach nur so. Sie wird garantiert von mir beantwortet. (Sofern keine Computerfehler vorliegen und ich die Mail nicht erhalte.)

Vielen Dank an alle, die mir einen Kommentar zu meiner Erstlingsstory gemailt haben. Besonderen Dank an Nev, Martina, Ingo und Wolfi, mit denen sich ne tolle E-Mail-Brieffreundschaft entwickelt hat.


Bevor es losgeht, möchte ich noch an einen großartigen Songschreiber und Musiker erinnern.

»You don't realize how much I need you
Love you all the time and never leave you
Please come on back to me
I'm lonely as can be
I need you
....
Please remember how I feel about you
I could never really live without you
So come on back and see just what you mean to me
I need you I need you I need you«

Auszüge aus dem Song »I need you« vom Beatles Album »Help!« (1965).
George Harrison (*1943, †2001)

Dieser Text passt meiner Meinung nach gut zu der folgenden Geschichte.

Kapitel 1 - Daniel

1

Der Bewegungsmelder hatte Lukas erfasst. Surrend öffnete sich die große, gläserne Schiebetüre und Lukas trat nach draußen. Erleichtert atmete er auf.

»Endlich geschafft. Endlich Urlaub.«

Ohne sich noch einmal umzudrehen, entfernte er sich von dem Baumarkt, in dem er seit einem Jahr eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolvierte. Drei Wochen würde er die Leute, die ihm das Leben schwer machten, nicht mehr sehen.

Als ob er mit seinen Kollegen nicht schon genug Stress hätte, bekam er heute auch noch von seinem Abteilungsleiter eine auf den Deckel.

Während er zur Bushaltestelle ging, zwang er sich, nicht mehr daran zu denken. Er hatte jetzt Urlaub und den wollte er genießen. Als er am Ende der Häuserschluchten angelangt war, schien ihm die Sonne ins Gesicht. Unwillkürlich musste Lukas lächeln. An der Haltestelle setzte er sich auf die Bank und ließ seine Gedanken, den Blick auf den gegenüberliegenden Park gerichtet, umherschweifen. Es dauerte nicht lange, bis der Bus kam.

Felder, Wiesen und Wälder zogen am Fenster vorbei. Beim Anblick dieser Naturlandschaft dachte er wehmütig an die Zeit, als er mit seiner Familie noch in einer richtigen Stadt wohnte. Leider musste Lukas Vater vor knapp drei Jahren die Arztpraxis von dessen Vater übernehmen. Und diese befand sich eben nicht in Regensburg, sondern in einem 300 Einwohner Kaff namens Wildberg. Lukas fand, dass dieser Name nur zu gut passte. Ein Weiler fernab der Zivilisation, dort wo die Wilden hausten.

Katzenbach, Stubenhausen, Egelding. Winzige Orte in denen eine katholische Kirche und die obligatorische Gaststätte nicht fehlen durften. Lukas war der Meinung, dass die dort wohnenden Menschen gedanken- und gefühlsmäßig noch im Mittelalter lebten. In dieser Gegend wurde man bereits schief angesehen, wenn man nicht jeden Sonntag in die Kirche und nicht wenigstens einmal im Monat zum Beichten ging. Missmutig lehnte sich Lukas zurück. Noch zwei Ortschaften und sie wären in Wildberg. Schließlich war es so weit. Lukas stieg bei dem mit Graffiti besprühten Bushäuschen aus. Er richtete seinen Blick auf die Villa seiner Großeltern, die knapp 150 Meter rechts von ihm auf einer kleinen Anhöhe thronte und ging darauf zu. Am Haus angekommen, kramte er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel.

Mist. Vergessen.

Nach mehrmaligem Läuten öffnete ihm seine Mutter die Tür.

»Lukas. Du hast doch einen Schlüssel.«

»Vergessen.«

»Dass du aber auch immer alles vergisst.«

Lukas zuckte mit den Schultern und sah seine Mutter schuldbewusst an.

»Ich muss wieder zurück in die Praxis. Claudia ist immer noch krank. Da bleibt die ganze Arbeit an mir hängen.«

»Aha«, kam es tonlos von Lukas. Er stellte seine Tasche ab und ging in die Küche, wo er sich eine Schüssel mit Müsli zubereitete. Während er es aß, platzte seine Schwester ins Zimmer.

»Hey kleiner Bruder. Auch schon da?«

»Nenn mich gefälligst nicht immer kleiner Bruder. Ich bin gerade mal 13 Monate jünger als du. Und obendrein größer und schlanker.«

»Pah. Dafür hab ich mehr Hirn als du.«

»Blöde Kuh. Nur weil du aufs Gymnasium gehst, brauchst du noch lange nicht so angeben.« Wütend starrte Lukas sie an. Doch Anja hatte recht. Denn während sie vor zwei Tagen als Klassenbeste die 11. Klasse des Gymnasiums abgeschlossen hatte, schaffte er letztes Jahr nicht einmal den qualifizierenden Hauptschulabschluss. Lukas hatte es den guten Beziehungen seines Vaters zu verdanken, dass er überhaupt eine Ausbildungsstelle gefunden hatte.

»Dummerchen«, neckte sie ihn.

Lukas wäre am liebsten von seinem Stuhl aufgesprungen und hätte ihr einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Doch er konnte seine Emotionen in Zaum halten. Er streckte ihr die Zunge heraus und widmete sich wieder seinem Müsli.

Er tat gerade die Schüssel in den Geschirrspüler, als es an der Tür läutete.

Sicher irgendeine Freundin von Anja. Soll sie doch aufmachen.

Es läutete noch einmal.

»Ja macht denn hier niemand auf«, sagte er zu sich selbst, ging genervt zur Haustüre, riss sie auf und ...

»Daniel.« Lukas strahlte sein Gegenüber an.

»Hi Lukas«, entgegnete ihm dieser mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

»Hab gar nicht damit gerechnet, dass du heute kommst.«

»Die Fahrstunde ist ausgefallen und das Training beginnt erst um sieben. Also hab ich mir gedacht, ich besuch meinen besten Freund.« Daniels hellblaue Augen strahlten. »Darf ich reinkommen?«

»Äh. Ja, na klar.« Ein wohliger Schauer lief Lukas den Rücken hinab, als sich ihre nackten Unterarme kurz streiften. »Ich hol uns schnell was zu trinken.« Lukas verschwand in der Küche.

Drrr Drrr Drrr

»Anja!«, rief Lukas. »Gehst du bitte hin?«

Drrr Drrr Drrr

»Anja! ... Ausgerechnet jetzt muss das Haustelefon läuten. Das artet wieder in Arbeit aus.« Ärgerlich stapfte er zum Apparat.

»Ja?«

»Du, hier ist Mama. Bist du so lieb und holst Brot, etwas Wurst und Käse vom Laden?«

»Wenns denn sein muss«, stöhnte Lukas.

»Wir haben nichts mehr. Und wenn Papa um halb sieben die Praxis zusperrt, ist beim Schmidt auch schon geschlossen.«

»Ja, ja. Ich fahr schon.« Lukas legte den Hörer auf und schlurfte die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.

»He. Machst du aber ein trauriges Gesicht. Stimmt was nicht?« Daniel saß auf Lukas Bett und sah seinen am Türstock lehnenden Freund mit besorgter Miene an.

»Ach. Wollte mir's gerade gemütlich machen und statt dessen darf ich zum Einkaufen fahren.« Lukas verzog das Gesicht.

»Und?« Daniel legte seinen Kopf leicht schief.

»Entweder du wartest eine halbe Stunde oder ...«

»Ich begleite dich. Das heißt, ich könnte dich fahren. Mit meiner 80er schaffen wir es in der Hälfte der Zeit.« Daniel grinste breit.

»Das dachte ich mir schon, dass du keinen Bock hast, hinter meinem Mofa herzu zuckeln.« Lukas lächelte Daniel an.

»So gefällst du mir schon wieder viel besser.«

Daniel startete das Moped und Lukas setzte sich hinter ihn. Er umklammerte Daniels Bauch und presste seinen Körper an ihn. Lukas genoss dieses Gefühl. Er konnte Daniel ganz nahe sein, ohne dass es auffällig gewesen wäre. Noch war Lukas darauf bedacht, seine wahren Gefühle für Daniel zu verbergen.

Schon vor drei Jahren, als sie sich das erste Mal begegneten, spürte Lukas diese magische Anziehungskraft, die Daniel auf ihn ausübte. Damals konnte er noch nicht deuten, weshalb er sich in Daniels Nähe so geborgen fühlte, weshalb jedes Lächeln von ihm die Eingeweide in seinem Bauch Purzelbäume schlagen ließ, weshalb er einfach nur glücklich war, wenn Daniel in seiner Nähe war. Doch nach und nach gestand er sich ein, dass er sich in seinen besten Freund verliebt hatte. Bislang hatte Lukas die Vorstellung eventuell schwul zu sein, akzeptiert. Denn wenn Schwulsein auch nur im Entferntesten das war, was er sich in seinen Träumen vorstellte, dann war es das absolut tollste, was es auf dieser Welt gab.

Wie sehr wünschte er sich, Daniel würde diese Gefühle auch für ihn empfinden. Lukas fragte sich, wann er endlich den Mut aufbringen würde, ihm zu sagen, dass er sich in ihn verliebt hatte. Er hoffte, dass Daniel nicht ganz so negativ darauf reagieren würde. Denn als sie vor einigen Monaten bei einem Gespräch über Minderheiten das Thema Schwulsein anschnitten, war Lukas überrascht von Daniels fortschrittlichen Argumenten.

Bald sag ich es ihm.

Daniel bremste so stark, dass Lukas noch fester an ihn gepresst wurde.

»Also denn. Da wären wir«, sagte Daniel.

Lukas stieg ab, nahm den Helm von seinem Kopf und gab ihn Daniel, der diesen und seinen eigenen mit einer Kette am Moped fest sperrte. Beide grinsten sich kurz an und betraten den kleinen EDEKA-Laden, wo Lukas erst mal einen Warenkorb besorgte, da es etwas mehr werden würde. Während sich Lukas an der Wursttheke anstellte, schickte er Daniel los um Brot zu holen.

»Da bin ich wieder.« Daniel hatte einen in eine Papiertüte eingewickelten Laib Brot in der Hand.

»Dauert noch ein bisschen bei mir«, gab Lukas von sich, während er seine Hand zum Gähnen vor den Mund hielt. Vor ihm an der Käsetheke standen zwei ältere Damen. Die eine war scheinbar in ein tieferes Gespräch mit der Verkäuferin verwickelt.

Endlich kam Lukas an die Reihe.

Am Zeitschriftenstand legte Lukas, einer alten Gewohnheit folgend, die aktuelle BRAVO in den Korb. Während Lukas bezahlte, stopfte Daniel die Sachen in die eben gekaufte Baumwolltasche.

»Ging ja doch ganz schnell«, meinte Daniel.

»Mhm. Waren nicht so viele Leute. Die haben scheins schon alle eingekauft.«

Während der Heimfahrt stellte sich Lukas vor, wie es wäre, wenn sie jetzt nackt hintereinander sitzen würden. Er träumte davon, ganz sanft über Daniels Bauch zu streicheln. Bei diesen Gedanken hob sich auch Klein-Lukas und drückte kräftig an Daniels Hintern. Sicherheitshalber dachte Lukas an seine Ausbildung, wodurch sein Schwanz wieder schlaff wurde.

»Erst sechs«, verkündete Daniel, als sie bei Lukas zu Hause ankamen. »Dann haben wir ja noch fast eine halbe Stunde, ehe ich zum Training muss.«

»Du und dein Fußball«, zog ihn Lukas auf.

»Kann ich dich denn gar nicht dafür begeistern?« Daniel guckte Lukas mit einem treuen Hundeblick an.

»Ne, ne.« Lukas entkam ein Grinsen. »Das schaffst nicht mal du.«

»Tja.« Daniel zuckte mit den Schultern. »Da kann man wohl nichts machen.«

Sie verstauten die gekauften Nahrungsmittel in der Küche und gingen, jeder mit einem Glas Cola in der Hand, in Lukas Zimmer.

Daniel setzte sich in Lukas Bett und stellte die Cola auf dem Nachttisch ab.

»Mal gucken, was in der neuen BRAVO so drinnen steht«, sagte er und schlug die erste Seite auf. Er sah hoch zu Lukas, der immer noch unschlüssig an seinem Schreibtisch stand. »Setzt dich doch zu mir. Dann können wir sie uns gemeinsam ansehen.« Daniel warf Lukas ein aufmunterndes Lächeln zu. Gesagt - getan. Schon saßen sie beide in Lukas Bett und blätterten die neueste Ausgabe des Teeny-Magazins durch.

»Mal gucken, was es Interessantes gibt.«

»Ich vermut das Übliche, wie immer.«

»Stimmt. Stars und Sternchen. Und ein paar hübsche Mädchen«, meinte Daniel.

Und ein paar hübsche Jungs, fügte Lukas in Gedanken hinzu.

»Wie findest du die da?« Daniel deutete auf eine leicht bekleidete Blondine.

»Hmm?« Lukas tat so als müsse er angestrengt nachdenken. »Also die ist jetzt nicht ganz mein Typ.«

»Dann wohl eher die Kleine, die sich letzten Samstag im Proxy an dich rangeschmissen hat.« Daniel grinste Lukas schelmisch an.

»Ach hör mir mit der auf. Bin ich froh, dass es schon so spät war und wir bald gefahren sind. Die hät mich sonst noch totgeredet. Und gestunken hat die. Ächz. Wie ein Parfümladen.« Lukas rümpfte die Nase, was Daniel zum Lachen brachte.

»Ja. Die war wohl doch nichts für dich. Komisch, dass wir uns noch nie so richtig darüber unterhalten haben. Aber auf welchen Typ Frau fährst du eigentlich ab?«

Der kann vielleicht dumme Fragen stellen.

Daniel sah Lukas mit einem durchdringenden Blick an.

»Weiß nicht so recht.« Mit Daumen und Zeigefinger umfasste Lukas sein Kinn. »Hauptsache, sie ist nett und ich kann mich gut mit ihr unterhalten.«

»Und? Sonst willst du nichts von ihr?«

»Neugierig bist du überhaupt nicht.«

»Iiich doch nicht.«

Jetzt war es Lukas, der grinsen musste.

Im nächsten Moment klopfte es kurz an die Tür und Anja stapfte ins Zimmer.

»Musst du einfach so hereinplatzen?«, fauchte sie Lukas an.

»Ich hab doch eh geklopft«, verteidigte sie sich.

»Ja. Und nebenbei die Türklinke gedrückt.«

»Sperr halt ab, wenn du ungestört sein willst.«

»Das bräucht ich nicht, wenn sich alle hier an die Höflichkeitsregeln halten würden. Was willst du?«

»Dich fragen, ob du mir 20 Mark borgen kannst.«

»Die ich dann nie mehr zurückkriege.«

»Klar geb ich sie dir zurück. Nächste Woche wenn ich mein Taschengeld bekomm.«

»Sorry, wenn ich euch störe«, meldete sich Daniel zu Wort. »Aber ich muss jetzt los.«

»Jetzt schon?«, fragte Lukas enttäuscht.

»Leider. Unser Trainer wartet nicht gerne.« Daniel stand auf und ging an Anja vorbei zur Tür. Er drehte sich noch einmal zu Lukas um. »Kommst du heute Abend mit ins Proxy?«

»Gerne. Holst du mich ab?«

»Klaro. Um zehn?«

»OK. Bis um zehn.«

»Bis dann. Ciao ihr zwei.«

»Tschüss«, kam es von Lukas. Anja winkte nur und grinste Daniel dabei frech an. Kaum hatte dieser das Zimmer verlassen, wandte sie sich wieder an Lukas. »Und? Gibst du mir das Geld?«

»Nur wenn du mir es bis nächsten Freitag zurückgibst. Sonst verlange ich pro Tag eine Mark Zinsen.«

»Keine Sorge. Du bekommst es bald wieder. Versprochen.« Sie lächelte ihren Bruder an. Lukas zückte seine Geldbörse und gab ihr das Geld.

»Vielen Dank kleiner Bruder.« Sie drehte sich um und ging zur Tür.

»Nenn mich nicht immer ...« Doch sie konnte ihn nicht mehr hören, da sie bereits aus dem Zimmer verschwunden war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Lukas blieb noch einen Moment auf seinem Bett sitzen und schloss die Augen.

In etwas mehr als drei Stunden würde ihn Daniel abholen. Bis zum Aufstylen für den Abend war also noch etwas Zeit. Lukas hielt einen Moment inne und öffnete die Augen wieder.

Er ging zu einem der beiden Schränke, öffnete die Tür, räumte seine alten Stofftiere beiseite, nahm einen großen Stapel Micky-Maus-Hefte und BRAVOs heraus und legte ihn auf den Boden. Da lag es - sein Tagebuch. Versteckt vor den Augen seiner neugierigen Verwandten. Lukas nahm es heraus und setzte sich an den Schreibtisch. Er schlug das rote Büchlein auf und schrieb:

Freitag, 27.07.2001

In der Arbeit wars wieder echt scheiße. Heute haben mich nicht nur meine doofen Kollegen, sondern auch noch der Müller fertiggemacht. Und das nur, weil ich von diesen abertausend Artikeln von einigen die Preise noch nicht im Kopf habe. Wenigstens war heute der letzte Arbeitstag. Drei Wochen Urlaub. Juhu!

Zu Hause hat mich lovely Daniel besucht. Es ist schon komisch. Aber immer wenn ich ihn sehe, rast mein Herz wie verrückt. Oje. Ich bin echt verliebt in ihn. Daniel ist megasüß. Und ich glaub, er mag mich auch. Aber ob er für mich genau so empfindet wie ich für ihn? Ich glaubs nicht. Aber andererseits guckt er mich immer so lieb aus seinen megasüßen Augen an. Vielleicht hat er sich ja auch in mich verguckt und hat genau so Schiss davor es zuzugeben wie ich.

Lukas schloss die Augen und träumte, dass ihm Daniel einen ganz zarten Kuss auf seine Lippen gab. Er spürte, wie er ihm sanft durch die Haare streichelte. Lukas umarmte ihn und drückte ihn ganz fest an sich. Ganz zärtlich und liebevoll küsste er Daniels Hals und sog den Duft seines Freundes tief in sich ein.

Lukas öffnete die Augen.

Schade, dass es nur ein Traum war. Ich wünsche mir so sehr, er würde Wirklichkeit.

2

Er legte das Tagebuch in sein Versteck zurück und ging nach unten in die Küche, wo seine Mutter gerade dabei war, einen Salat vorzubereiten.

»Du kannst das Brot und die Wurst schon mal ins Esszimmer tragen«, sagte sie ihm.

»Mach ich.«

Ess- und Wohnzimmer waren zusammen in einem großen Raum untergebracht. Links hinter der Tür, durch die Lukas gerade ging, befanden sich der Esstisch mit fünf Stühlen und einer Bank an der Mauer. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein Geschirrschrank. Wenn man den Raum von der anderen Türe aus betrat, stand man direkt im Wohnzimmer. Lukas Vater saß gerade auf der Couch und sah sich irgendwelche Nachrichten an. Dabei durfte man ihn keinesfalls stören. Als kleines Kind hatte es Lukas mehrmals gewagt, laut herumzutollen während sein Vater was Wichtiges fernsehen wollte. Jedes Mal machte sein Hintern dann unliebsame Bekanntschaft mit den Hausschuhen seines Vaters. Sport und Nachrichten - da musste es mucksmäuschenstill sein im Ess- und Wohnzimmer der Binders. Leise deckte Lukas den Tisch und verschwand wieder in der Küche.

»Holst du bitte Anja. In fünf Minuten essen wir«, sagte seine Mutter, während sie etwas Essig in den Salat schüttete.

»Mach ich«, sagte Lukas. Kurz darauf stand er vor Anjas Zimmertüre.

»Ja?«, rief sie.

Lukas öffnete die Tür. Anja saß an ihrem Computer und tippte irgendwas ein. Wenn er sich endlich genügend Geld gespart hätte, würde er sich auch so ein Ding kaufen. Anja brauchte sich darüber keine Gedanken zu machen. Wie so vieles bekam sie auch den Computer geschenkt. Angeblich weil sie ihn für die Schule brauchte.

»Wir essen dann.«

»OK. Ich komme gleich.«

Lukas schloss die Tür und ging wieder nach unten. Bald darauf saßen Lukas, seine Mutter und sein Vater am Tisch. Es dauerte ein wenig, ehe Anja ins Zimmer kam.

»Wenn wir alle pünktlich da wären, könnten wir auch pünktlich anfangen«, murmelte Lukas Vater.

»Entschuldigung. Aber ich wollte unbedingt noch diese eine E-Mail fertig schreiben.« Anja setzte sich auf ihren Platz.

»Als ob du das nicht nach dem Abendessen auch noch machen könntest.« Böse schaute er seine Tochter durch die Brille an.

»Müsst ihr euch jetzt streiten«, mischte sich ihre Mutter ein. »Wir essen jetzt.«

»Genau«, mampfte Lukas.

Die nächsten paar Minuten aßen die Vier schweigend ihr Abendbrot.

»Eine Sauerei ist das«, verkündete Lukas Vater, als sie mit dem Essen fertig waren.

»Was denn?«, fragte ihn Lukas Mutter.

»Dass diese Homos jetzt auch noch heiraten dürfen. Ich würd sie lieber in ein Arbeitslager stecken. Dort würden ihnen ihre widernatürlichen Triebe schon vergehen.«

Lukas sagte nichts. In seiner Magengegend machte sich ein flaues Gefühl breit.

Einmal mehr hatte sein Vater zu verstehen gegeben, dass er Schwule, also indirekt auch ihn, hasste.

»Also ich find das in Ordnung«, meldete sich Anja zu Wort.

»Hört euch sie an«, warf ihr Vater in die Runde ohne sie dabei anzusehen. »Jetzt verteidigt sie diese Perversen auch noch.«

»Papa hat recht. Gut, dass unsere Dorfgemeinschaft von diesen Schweinereien verschont ist. In den großen Städten herrschen sowieso Sodom und Gomorra«, meinte Lukas Mutter.

»Ihr seid echt intolerant.« Wütend stand Anja vom Tisch auf und stapfte nach draußen.

»Freches Kind. Wenn ich früher so gewesen wäre, dann ...«

»Lass sie Horst. Sie wird uns schon noch verstehen, wenn sie ein wenig älter ist.«

Lukas saß immer noch schweigsam an seinem Platz und wagte nicht, sich zu rühren. Erst nachdem sich sein Vater ins Wohnzimmer zurückgezogen hatte und seine Mutter die Teller und Essensreste wegräumte, wagte er es aufzustehen. Er schlich in sein Zimmer und setzte sich an den Schreibtisch. Dass sein Vater nicht sonderlich tolerant war, wusste er ja. Aber dass seine Mutter auch in den Tenor mit einfiel, war neu. Lukas versuchte seine Gedanken zu ordnen. Mama und Papa waren also beide gegen ihn, gegen seine Gefühle. Anja dagegen unterstützte Schwule und Lesben offenbar. Das hätte er ihr gar nicht zugetraut. Aber er fürchtete, dass sie nur vorgab, tolerant zu sein. Wenn sie wüsste, dass ihr Bruder auch schwul war, vergäße sie ihre vorurteilsfreie Einstellung vielleicht wieder. Einmal mehr kamen ihm Zweifel, ob es denn klug wäre, Daniel zu sagen, was er fühlte. Was wenn sich auch er angewidert von ihm abwenden würde?

Lukas stand auf und legte sich »The Immaculate Collection« von »Madonna« in den CD-Player. Die ersten Takte von »Holiday« erklangen. Genau Urlaub. Den wollte er genießen und nicht immer an was Negatives denken müssen. Es zwang ihn ja niemand dazu, es Daniel zu sagen. Lukas legte sich auf sein Bett und las ein »Lustiges Taschenbuch«. Um kurz vor neun stand er auf und ging ins Bad.

Nach einer für ihn ungewöhnlich kurzen Dusche trocknete er sich ab, zog sich an und stellte sich vor den mannshohen Spiegel. Ob er Daniel in dieser weißen Hose und dem schwarzen T-Shirt gefiel?

Lukas war gerade dabei, seine kurzen dunkelblonden Haare mit Gel zu stylen, als es an der Haustür klingelte. Schnell zupfte er sich noch ein paar Strähnen zurecht und ging runter.

»Lukas«, rief seine Mutter. »Daniel ist da um dich abzuholen. Er wartet draußen.«

»Hab ich mir schon gedacht.« Lukas öffnete die Wohnzimmertüre, um sich von seinem Vater zu verabschieden.

»Wo gehst du hin?«

»In die Disco.«

»Bleib nicht zu lange weg. Du bist du erst 16 und wir tragen die Verantwortung.«

»Mhm. Tschüss.« Lukas schloss die Tür.

»Tschüss Mama.«

»Tschüss. Viel Spaß.«

»Danke.«

3

Daniel lehnte lässig an seiner 80er. Er sah einfach umwerfend aus. Das weiße, enganliegende Feinripp-T-Shirt bot einen tollen Kontrast zu seinen schwarzen, stiftelig kurz geschnitten Haaren. Außerdem trug er eine dunkle enganliegende Jeans und dazu passende schwarze Schuhe.

»Ready?«

»Gleich.« Lukas zog seine Jacke an, setzte den Helm auf und nahm am Sozius von Daniels Moped Platz. »Jetzt.«

Daniel schloss den Reisverschluss an seiner Jacke, setzte den Helm auf und startete den Motor. Die Fahrt nach Neuburg dauerte zwar fast eine halbe Stunde, aber Lukas fand, dass es durchaus noch viel länger hätte dauern können.

Vor dem Eingang des Proxy, der größten Diskothek im Umkreis von 50 Kilometern, standen sie bereits Schlange. Es dauerte einige Minuten, ehe Lukas und Daniel den Eintritt von 5 Mark zahlen und ihre Helme und Jacken abgeben konnten.

Das Dröhnen der Musik war bereits zu hören. Nachdem sie ein paar Meter den Flur entlanggegangen waren, standen sie im schwach beleuchteten Tanztempel, der von Stroboskop und Laserlicht immer wieder kurzzeitig erhellt wurde. Die Techno-Musik war so laut, dass jede Unterhaltung nur noch mit Zeichensprache stattfinden konnte.

Lukas mochte diesen Teil des Proxy nicht besonders. Die Musik gefiel ihm nicht und zum Tanzen war er zu feige. Er stand unschlüssig da und blickte von einem hübschen Jungen zum nächsten. Daniel hatte scheinbar einen Bekannten getroffen, mit dem er sich zu unterhalten versuchte. Als der sich wieder davonmachte, stupste ihn Lukas an die Schulter und deutete in Richtung einer großen, schwarzen Schiebetür. Daniel nickte und sie gingen in einen vergleichsweise hellen Saal, in dem die Musik auf ein erträgliches Maß herunter reduziert war. Sie gefiel Lukas auch besser als drüben im Disco-Bereich. Eben spielten sie einen von Lukas Lieblingshits: »La Passion« von Gigi D´Agostino.

»Endlich kann man sich unterhalten.«

»Ich weiß, dir gefällt es da drinnen nicht.« Daniel grinste breit. »Aber wenn du tanzen würdest, dann ...«

»Ja ja. Ich mag halt nicht. Und die Musik in der Disco ist auch nicht nach meinem Geschmack.«

»Sag lieber du traust dich nicht. Aber nur auf der Tanzfläche lernst du ein Girl kennen.«

Als ob ich das möchte.

»Du hast ja auch noch keine«, entgegnete ihm Lukas. Glücklicherweise.

»Vielleicht klappts ja heute«, meinte Daniel. »Da vorne ist ein freier Tisch. Komm.«

Sie saßen noch nicht lange, als eine Kellnerin auf sie zukam und fragte, ob sie was trinken wollten. Daniel bejahte und jeder bestellte sich eine Cola.

Sie unterhielten sich gerade über ihre Pläne für die nächste Woche, als zwei Mädchen fragten, ob an ihrem Tisch noch Platz wäre.

»Klar«, meinte Daniel.

»Mhm.« Lukas nickte missmutig.

Oje. Das Mädchen von letzter Woche. Das kann ja heiter werden.

»Jetzt erkenn ich dich erst. Du bist doch der, der ...«

»Lukas«, vervollständigte dieser.

»Ach Gott. Wie kann ich nur einen sooo süßen Namen vergessen«, schrillte es aus dem blondhaarigen Mädchen heraus, während sie Lukas unablässig angrinste.

Na hoffentlich geht die bald.

»Ich heiße übrigens Katja«, hauchte sie ihm entgegen.

»Aha. Freut mich.«

Puh. Gleich werde ich mir ihr Geschwätz anhören müssen.

Während das andere Mädchen Daniel in Beschlag nahm und ihm was scheinbar furchtbar Wichtiges erzählte, rückte Katja immer näher an Lukas heran. Dem schwanden die Sinne, so stark roch sie nach Parfüm. Sie hatte ununterbrochen ihren Mund offen und wollte scheinbar gar nicht mehr aufhören ihm Dinge zu erzählen, die ihn absolut nicht interessierten.

»Wollen wir rausgehen und tanzen?«, fragte das dunkelhaarigen Mädchen, das neben Daniel saß.

»Oh jaahh«, rief Katja.

»Von mir aus«, sagte Lukas.

Immerhin muss ich mir dann ihr Gegacker nicht mehr anhören.

Lukas erschrak, als das andere Mädchen Daniel an der Hand nahm und ihn führte. Er hatte den Eindruck, als ob es sich Daniel nur zu gern gefallen ließ. War er am Ende doch hetero? Der Abend wurde immer beschissener.

Katja lächelte ihn an und umfasste seine Hände mit ihren nassen, warmen Patschhändchen. Auch als sie längst in der großen Disco waren, machte sie keine Anstalten, ihre Griffe von Lukas wegzunehmen. Der fand es einfach nur eklig, wehrte sich aber nicht. Katja zog ihn geradewegs hinter sich her zur Tanzfläche.

Sie ließ ihn los und bewegte sich wild im Takt der Musik. Dabei starrte sie Lukas unentwegt an. Dem war äußerst unwohl in seiner Haut. Er stand inmitten zuckender Leiber. Sicher waren alle Augen auf ihn gerichtet. Ängstlich suchte er nach Daniel, damit er sich in Gedanken an ihm festhalten konnte. Doch er konnte ihn nicht finden. Statt dessen versuchte Katja mit extensiven Bewegungen die Aufmerksamkeit von Lukas auf sich zu ziehen, was den aber überhaupt nicht interessierte. Er wollte nur eins - weg von der Tanzfläche und irgendwo untertauchen. Dazu hätte er sich aber erst an einer tanzenden Menschenmasse vorbeidrücken müssen. Endlich entdeckte er Daniel. Der jedoch war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er ihn sah. Der Anblick seines Freundes ermutigte Lukas, noch ein wenig länger auf der Tanzfläche zu bleiben. Er fand es umwerfend, wie grazil sich Daniel im Takt der Musik bewegte. Wie gebannt starrte Lukas seinen Freund an. Aber schon versperrte ihm Katja wieder den Blick. Aufdringlich tanzte sie sich bis auf wenige Zentimeter Abstand an Lukas heran. Dem wurde es zu blöd. Er drückte sich an ihr vorbei und drängelte sich an den Rand der Tanzfläche. Zum Ausruhen hatte er jedoch keine Zeit, denn schon nahm ihn Katja wieder an der Hand.

Lässt die denn nie locker?

»Gehen wir in das Disco-Cafe?«, schrie er ihr ins Ohr.

»Wie?« Katja rückte ihr Ohr näher an Lukas Mund.

»Ich will raus!«, schrie er und drängelte sich, Katja im Schlepptau, an der Masse vorbei.

»Gefällt dir die Musik nicht? Oder warum hattest du es so eilig wieder in den Chill Out Bereich zu kommen?«

»Ich bin müde und hab Durst.«

»Ich auch. Du, da hinten scheint ein Tisch frei zu sein.«

»Dann lass uns hingehen, bevor uns jemand anders den Platz wegschnappt.«

Während sie dort saßen, spürte er auf einmal ihre Hand auf seinem Oberschenkel. Sie streichelte bis hinunter zu seinen Knien.

»Lass das!«

»Wie?« Katja wirkte erschrocken. »Ich dachte dir gefällt das.«

»Nein. Es gefällt mir ganz und gar nicht.«

»Aber, aber. Du findest mich doch nett.«

»Ja. Nett schon. Aber versteh doch. Ich will nichts von dir. ... Hey. Da brauchst du doch nicht weinen deswegen.«

»Ich ? ich wein doch nicht«, gab sie schniefend von sich.

»Tut mir leid, Katja. Aber ich bin nicht der Richtige für dich.«

»Woher willst du das wissen? Wir sind doch noch gar nicht zusammen.«

»Ich ...«

»Hallo ihr zwei. Ist bei euch noch was frei?« Daniel grinste Lukas breit an.

»Wenn wir eng zusammen rücken.«

»Und? Wie fandest du's?«, fragte Daniel seinen Freund.

»Was denn?«

»Tanzen.«

»Ging schon. Aber bis ich so gut werde wie du, dauert's noch Jahre.«

»Danny, ich hab Durst«, meldete sich die Schwarzhaarige zu Wort.

Danny nennt sie ihn. Diese dahergelaufene Tussi.

»Klar Sandy. Was möchtest du?«

Klar Schatzi. Ich tu auch alles, was du willst. *(zensiert)*

Katja lächelte Lukas an und versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Der gab ein paar »ja's« und »mhm's« zur Antwort, während er argwöhnisch zu Daniel und dieser Sandy hinüberblickte. Beide sahen sich verliebt in die Augen und flüsterten sich irgendwas zu.

Lukas fand es einfach nur ätzend, wie diese Sandy seinen Daniel umgarnte. Daniel konnte sich unmöglich im Klaren darüber sein, was er da tat. Sicher war er nicht Herr seiner Sinne. Er konnte sich doch nicht einfach in ein Mädchen verlieben.

Langsam bewegten sich ihre Köpfe aufeinander zu und ihre Münder verschmolzen zu einem leidenschaftlichen Zungenkuss.

Das war zu viel für Lukas. Er sprang auf und lief davon. Erst als er draußen an der frischen Luft war, beruhigte er sich wieder. Nach ein paar tiefen Atemzügen ging er auf eines der Taxis zu und ließ sich nach Hause fahren. Als er den Taxifahrer bezahlt hatte, bemerkte er, dass er seinen Helm und seine Jacke vergessen hatte. Dummerweise war in dieser sein Haustürschlüssel. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu läuten und den Zorn seiner Mutter oder seines Vaters über sich ergehen zu lassen. Anja würde sowieso nicht aufmachen.

Es dauerte eine Weile, ehe ihm seine Mutter die Tür öffnete.

»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?« Ihre Stimme klang gereizt.

»Hab meine Jacke in der Disco vergessen. Und da war mein Schlüssel drin«, erklärte Lukas.

»Typisch. Das nächste Mal vergisst du deinen Kopf.«

»Sorry, aber ...«

»Ja, ja. Schon gut.« Seine Mutter drehte sich um und ging weg.

Lukas tapste in sein Zimmer. Er überlegte, ob er noch einen Tagebucheintrag schreiben sollte. Doch er entschied sich dafür, erst einmal über die schlechten Ereignisse dieses Tages zu schlafen.

Was war passiert? Sicher nichts Außergewöhnliches. Es war ja vorherzusehen, dass sich Daniel irgendwann ein Mädchen anlachen würde. Lukas fragte sich, wie er nur so dumm sein konnte zu hoffen, Daniel wäre auch schwul. Daniel - was der jetzt wohl von ihm dachte. War er doch aus der Disco gestürmt, als ob ihn eine wilde Bestie verfolgt hätte. Was sollte er ihm sagen, wenn er ihn darauf ansprechen würde? Dass er sich in seinen besten Freund verliebt hatte und tierisch eifersüchtig auf ihn war?

Lukas fragte sich, was Daniel und diese Sandy gerade taten. Hatten sie schon Sex miteinander? Sex in dem Bett, in dem er und Lukas schon so oft zusammengesessen waren. In dem Bett, das so häufig in seinen Träumen vorkam ...

4

Es war schon fast elf, als Lukas aufwachte. Verschlafen rieb er sich die Augen und döste noch ein paar Minuten vor sich hin, ehe er sich dazu aufraffte, das kuschelige Bett zu verlassen. Nach Duschen und Anziehen ging er hinunter in die Küche.

Auf dem Tisch fand er einen Zettel vor:

Hallo Lukas!

Sind nach Landshut zum Einkaufen gefahren.
Wir kommen erst am späten Nachmittag wieder zurück.
Mach Dir was aus der Tiefkühltruhe zum Mittagessen.
Mama

»Aha.«

Nachdem er gefrühstückt hatte, ging er hoch in sein Zimmer, um einen Eintrag in sein Tagebuch zu schreiben.

Samstag, 28.07.2001

War gestern mit Daniel im Proxy. Hät ich das bloß nicht getan. Es war beschissen. Daniel hat mit irgendeiner Tussi rumgemacht. Und ich hab immer geglaubt, er könnte auch schwul sein. Falsch - Daniel ist hetero.

Wieso muss ausgerechnet m e i nDaniel hetero sein?

Konnte mir das Geschmuse von den beiden nicht mehr länger anschaun und bin geflüchtet. Wie ein kleines Kind. Idiotisch. Meine Jacke und den Helm hab ich auch vergessen.

Lukas klappte das Büchlein zu und versteckte es wieder. Er ging zu einem der beiden CD-Ständer und überlegte, was er nun gerne hören wollte. Er entschied sich für »The Bridge« von »Ace of Base«. Genau in dem Moment, als er sie in den CD-Player einlegte, klingelte es an der Haustüre.

Daniel. war sein erster Gedanke.

Er hatte recht. Es war tatsächlich Daniel.

»Hallo.«

»Hallo.«

»Du hast gestern was vergessen.« Der Anflug eines Grinsens lag Daniel auf dem Gesicht. »Hier.« Er reichte ihm die schwarz-weiße Nike Jacke und den roten Motorrad Helm.

»Danke.« Lukas nahm ihm die Sachen ab. »Willst du reinkommen?«

»Lukas, was ist los mit dir?«

»Was soll los sein?«

»Komm schon. Du weißt genau, was ich meine.«

»Wegen gestern? Mir war irgendwie nicht gut und ...«

»Da bist du einfach davongelaufen ohne was zu sagen. Mensch Lukas. Was ist gestern bloß in dich gefahren?«

Lukas zuckte mit den Schultern und sah an Daniel vorbei in die Ferne.

»Du warst doch nicht etwa neidisch auf mich wegen Sandy?«

»Ne, ne.« Ich war eifersüchtig auf dich. fügte er in Gedanken hinzu.

»Hattest aber gar keinen Grund dazu. Diese Katja ist doch auch ein süßes Mädchen.« Daniel grinste Lukas breit an.

»Na ja. Geht so.«

»Du willst mir nicht sagen, warum du weggelaufen bist?« Daniel blickte Lukas tief in die Augen. Es hätte nicht viel gefehlt und Lukas wäre in Tränen ausgebrochen, Daniel um den Hals gefallen und hätte ihm seine Liebe gebeichtet. Doch er konnte sich beherrschen. »Noch, noch nicht«, flüsterte er.

»Wie du meinst.«

»Willst du nicht doch lieber reinkommen, bevor wir uns hier zwischen Tür und Angel die Beine in den Bauch stehen?«, fragte Lukas mit fester Stimme.

»Hab leider keine Zeit mehr. Ich muss noch bei Johannes vorbeisehen und ihm helfen was an seiner 80er zu reparieren.«

»Wenn du das anpackst, dann muss es ja funktionieren. Wenn mein Mofa kaputt ist, brauchst du es nur anzusehen und schon schnurrt es wieder.« Lukas grinst über beide Ohren.

»Da fehlt ja nie was Größeres.« Daniel lächelte seinen Freund an. Dieses sanfte, liebevolle Lächeln brachte das Eis, welches sich gestern Abend um Lukas gelegt hatte, endgültig zum Schmelzen. Lukas war glücklich. Er strahlte übers ganze Gesicht.

»Hast du heute Lust mit zum Baden zu gehen. Soll ja fast dreißig Grad geben.«

»Und ob ich Lust habe. Fahren wir zum Laberweiher?«

»Wie bist du da bloß drauf gekommen?« Daniel sah Lukas tief in die Augen, was auch Klein-Lukas dazu verleitete, sich neugierig zu strecken. Welche ein Glück, dass Lukas eine Jeans anhatte, so dass man seine Erregung von außen nicht sehen konnte.

»Kunststück. Ist ja unser Hausweiher.«

»Um drei dann dort?«

»In Ordnung.«

»Also bis dann. Tschüss.«

»Tschüss.«

Als Daniel wegfuhr, blickte ihm Lukas noch so lange hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Er fragte sich, wieso er gestern so wütend auf Daniel gewesen war. Vielleicht wollte der nur mal sehen, wie das mit einem Mädchen so ist, um sich dann endgültig für die Liebe zu einem Jungen zu entscheiden.

In seinem Zimmer drückte er am CD-Spieler auf »Play« und »Beautiful Life« erklang. Er drehte die Lautstärke zurück, legte sich ins Bett, schloss die Augen und döste vor sich hin ...

Es war halb drei, als er das nächste Mal auf die Uhr sah. Die CD war bereits zu Ende.

Bin ich doch glatt eingeschlafen.

Lukas streckte seine Glieder, gähnte herzhaft und stand auf. Er verstaute ein Handtuch, zwei Badehosen und eine Sonnencreme im Rucksack. Im Bad erledigte er ein kleines Geschäft, frisierte seine wild durcheinander stehenden Haare und ging hinunter in die Küche. Dort bereitet er sich ein paar Wurst- und Käsebrote als Badeproviant und steckte diese sowie eine Flasche Adelholzener Mineralwasser in den Rucksack. Er verließ das Haus, sperrte es ab, ging zur Garage und schob sein Mofa auf die Hofeinfahrt. Ein Knopfdruck genügte, das vollautomatische Tor wieder zu schließen. Lukas setzte den Helm auf, startete seine Ratterkiste und fuhr davon. Zunächst musste er quer durch Wildberg fahren, ehe er am Ende der Ortschaft nach links in eine Landstraße einbog. Wenige Kilometer weiter musste er abermals abbiegen - nach rechts in einen Feldweg. Es dauerte nicht mehr lange und er stellte sein Mofa an einer kleinen Anhöhe ab. Nur eine etwa 50 Meter breite Wiese trennte ihn jetzt noch vom Laberweiher. Sie verlief um den ganzen See. Rechts von ihm standen ein paar urige Bäume und Büsche. Diese Stelle war bis letztes Jahr Daniels und Lukas Geheimversteck. Lukas hatte sich schon oft vorgestellt, dort mit Daniel zu schmusen oder was noch Heißeres zu machen. Hinter dem gegenüberliegenden Ufer erstreckte sich ein langgezogener Mischwald. An den drei anderen Seiten war der See in zurzeit brachliegende Felder eingebettet. Ein idyllisches Fleckchen Erde. Trotzdem kamen immer nur wenige Leute her um sich zu erfrischen. Vielleicht war der See zu unbekannt, da er weit abseits von den Ortschaften lag oder die Menschen hier in der Gegend hatten anderes zu tun, als sich zu vergnügen. An manchen Tagen waren Lukas und Daniel alleine am Weiher. So schien es auch an diesem Tag zu sein.

Lukas breitete seine Decke aus, entkleidete sich und zog seine Badehose an. Anschließend cremte er sich mit der Sonnenmilch ein. Schmunzelnd erinnerte er sich an das letzte Mal hier am Laberweiher, als ihm Daniel mit ganz warmen, superzärtlichen Händen den Rücken eincremte. Lukas fragte sich, ob Daniel gemerkt hatte, dass es ihm während dieser Massage sehr eng in der Badehose geworden war. Lukas fand es sehr schade, dass er Daniel noch nie eincremen durfte. Manchmal kam es ihm vor, als ob sich Daniel gar nicht schnell genug den Rücken selber eincremen konnte. Ob es ihm unangenehm war, auf seiner nackten Haut von Lukas berührt zu werden? Vielleicht wollte er es, hatte aber Angst vor den Gefühlen, die in ihm dann ausgelöst werden könnten. In Lukas keimte Hoffnung auf, dass Daniel doch in ihn verliebt sein könnte.

Lukas hörte, dass sich ein Moped näherte. Bald darauf war es wieder still und nur noch das Zwitschern der Vögel war zu hören. Im nächsten Moment sah er Daniel am Hang stehen und lächelte ihn an. Daniel hob die Hand zum Gruß. »Sorry, dass es etwas später geworden ist,«, rief er ihm zu. »Aber ich hab noch Sandy abgeholt.«

In dem Moment trat sie hinter Daniel hervor. »Hallo Lukas.«

Was will die denn hier?

»Hallo«, grüßte er zurück. Nach Lächeln war ihm nicht mehr zumute. »Ich geh schon mal rein zum Schwimmen.«

»Wir kommen gleich nach«, hörte er Daniel sagen.

Lukas lief bis Bauchhöhe ins kalte Wasser, sprang Kopf voran hinein und tauchte unter. So schnell wie möglich wollte er weg von dem Liebespaar hinter ihm. Lukas hatte keine Lust, seinen Freund mit dieser Tussi rumturteln zu sehen. Erst als er schon ein großes Stück, etwa bis zur Mitte des Sees geschwommen war, wagte er es einen kurzen Blick hinter sich zu werfen. Sandy war gerade dabei Daniel einzucremen. Warum durfte die das und er nicht?

Um seinen Ärger zu vergessen, legte er einen Zahn zu und kraulte bis zum anderen Ufer, wo er völlig erschöpft ankam. Schwer atmend stieg er aus dem Wasser und setzte sich ins Gras. Daniel und Sandy waren immer noch nicht im See. Über was mochten sich die beiden gerade unterhalten? Lukas glaubte zu erkennen, dass sie sich küssten. Seine Hoffnungen, dass Daniel auch schwul sein könnte, lösten sich mehr und mehr in Luft auf. Lukas nahm seine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Ein Tränenschleier hatte sich vor sein Sehfeld gelegt. Mit den Fäusten rieb er sich die Augen. Niedergeschlagen watete er zurück ins Wasser. Durch Schwimmen hoffte er auf andere Gedanken zu kommen. Lukas hatte den See schon fast durchquert, als ihm Daniel und Sandy begegneten. Sie grüßten ihn und schwammen an ihm vorbei. Lukas verließ das kühle Nass und trocknete sich ab. Argwöhnisch beobachtete er die beiden, wie sie sich gegenseitig neckten. Wie gerne wäre Lukas jetzt an der Stelle dieser Sandy gewesen. Um sich abzulenken, packte er seine Brote aus und aß eines davon. Lukas starrte das Gras und das Ufer des Sees an. Nachdem er beinahe die halbe Flasche Mineralwasser leer getrunken hatte, drehte er sich zum Hang hin um und legte sich auf den Bauch. Nach einer Weile vernahm er hinter sich Geplätscher und die Stimmen von Daniel und Sandy.

»Das tat gut«, hörte er Daniel.

»So ein erfrischendes Bad ist schon was tolles.«

Lukas drehte sich auf die Seite. »Ist echt schön hier.« Zaghaft lächelte er Daniel an.

»Ja. Und mit dir ist es gleich noch mal so schön.« Daniel umschlang Sandys Hüfte und grinste sie dabei an. Kein Wunder, dass Sandy dabei strahlte wie eine Packung Kernbrennstäbe.

Sandy hier. Sandy da.

»Du ich kenn da eine ganz tolle Stelle.«

»Ja?«

»Da ist es voll romantisch. Komm.« Daniel nahm Sandy an der Hand und ging mit ihr in Richtung der alten Bäume.

Lukas verdrehte die Augen. Er verstand nicht, wieso sich Daniel so affig benahm. Nicht mal ihr ehemaliges Geheimversteck war ihm heilig. Er war drauf und dran es zu entweihen. Lukas hatte gedacht, der gestrige Abend sei schlimm gewesen. Was er aber momentan durchmachen musste, übertrumpfte alles. Wenn er diesen Tag ohne seelischen Schaden überstehen würde, konnte er sich glücklich schätzen.

Er saß auf seiner Decke und starrte in das Wasser. Kraftlos und leer, einsam und verlassen kam er sich vor.

Er schreckte hoch, als er ein lautes Kichern vernahm. Es war Sandy, die fröhlich und guter Dinge war. Neben ihr stolzierte Daniel. Wieder gingen sie Hand in Hand. Daniel guckte kurz zu Lukas und setzte sich neben Sandy auf sein Badehandtuch. Den linken Arm hatte er um ihre Hüften gelegt. Ganz langsam näherten sich ihre Lippen, berührten sich und verschmolzen zu einem leidenschaftlichen Zungenkuss.

Das war zu viel für Lukas. Er sprang auf, stopfte seine Decke in den Rucksack, zog sich hastig Hose und T-Shirt an und stampfte wütend davon.

»Was hast du?«, hörte er Daniel rufen.

»Nichts.« Lukas fand es nicht für nötig, sich zu Daniel umzudrehen und ging weiter auf sein Mofa zu. Er war schon fast dort angekommen, als ihn eine kräftige Hand an seiner Schulter packte.

»Lukas. Bitte bleib stehen und sag mir was los ist.«

Lukas drehte sich um. »Nichts.« Er war kurz davor loszuheulen. Doch diese Blöße wollte er sich vor Daniel nicht geben.

»Hat es was mit mir zu tun oder mit Sandy?«

Ohne darauf zu antworten, ging Lukas weiter. Beide standen jetzt an Lukas Mofa. Der spielte den Unbeteiligten und befestigte seinen Rucksack auf dem Gepäckträger.

»Hattest du Sex mit ihr?«, fragte er beiläufig, ohne hochzusehen.

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

»Und warum soll ich dir dann sagen, was mit mir los ist? Du verschweigst mir doch auch alles.«

»Das ist was ganz anderes. Mensch ich mach mir Sorgen um dich. Erst diese Szene gestern und dann das hier.«

»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.« Lukas setzte sich auf sein Mofa und startete es.

»OK. Wenn du damit zufrieden bist. Wir hatten keinen Sex, wir haben nur geschmust.«

Lukas stellte das Mofa wieder ab. Er spürte, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.

»Hey Lukas. Das wird schon. Du bekommst eine Freundin die zu dir passt.« Daniel lächelte Lukas an. »Wenn wir das nächste mal im Proxy sind, dann ...«

»Ich will aber keine Freundin«, schrie Lukas aus Leibeskräften.

»He. Ich bin nicht schwerhörig. Was soll das heißen, du willst keine Freundin?«

»Ich. Ich will dich.« Lukas vermied es, Daniel anzusehen.

»Mich? Was meinst du damit?«

»Ich ? ich bin ...« Links und rechts liefen ihm Tränen die Backen hinab. »Ich bin in dich verliebt.« Er schluchzte.

»Du ? bist ? in mich ? verliebt?«

»Mhm.« Wie in Trance nahm Lukas wahr, dass Daniel den Kopf schüttelte, sich umdrehte und wegging.

»Daniel, Daniel«, flüsterte Lukas. Bewegungslos saß er auf seinem Mofa und starrte Daniel nach.

5

Er saß in seinem Bett. Lukas hatte keine Ahnung, wie er hier hergekommen war.

Langsam kehrten die Gedanken und Gefühle in seinen Körper zurück.

»Daniel«, flüsterte er. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Scheiße«, stieß er hervor. Lukas vergrub sein Gesicht im Kopfkissen und heulte.

Jemand berührte ihn an seiner Schulter. »Wir essen dann.« Die Stimme seiner Mutter.

»Ich will nichts«, hörte er sich von weit weg her sagen.

Vor Erschöpfung war er scheinbar eingeschlafen. Denn als er die Augen öffnete, zeigte sein Radiowecker drei Uhr morgens an.

Wieder sah er Daniel vor sich, wie er seinen Kopf schüttelte und wegging.

Lukas hatte den größten Fehler seines Lebens begangen. Er hatte Daniel gestanden, dass er in ihn verliebt war. Damit hatte er seinen besten Freund verloren - für immer.

Lukas setzte sich aufrecht in sein Bett und starrte in die Dunkelheit. Nach einer Weile stand er auf und schaltete den Deckenstrahler ein und ging ins Bad. Traurig blickte er in den Spiegel. Sein Gesicht war kreidebleich. Unter seinen rotgeweinten Augen waren blaugrüne Ringe zu sehen. Lukas kam sich um 30 Jahre gealtert vor. Seine Beine waren wie Gummi und drohten unter ihm wegzuknicken. Lukas setzte sich auf die Kloschüssel, nahm seine Hände vors Gesicht und schluchzte leise in sie hinein. Als er sich wieder gefasst hatte, stand er auf und wusch sich die Tränen aus dem Gesicht. Er trottete nach unten und verließ das Haus. Ziellos stapfte er hinaus in die Dunkelheit. Er blickte nach oben zu den Sternen.

Nein - noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben. Sicher war es gestern nur etwas zu viel gewesen für Daniel. Bald schon würde Lukas Traum, dass er und Daniel ein Liebespaar wären, in Erfüllung gehen.

Lukas war so in seine Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wohin ihn seine Füße getragen hatten. Er stand in der Hofeinfahrt von Daniels Elternhaus. Lukas blickte hoch in Richtung Daniels Zimmer. Er spielte mit dem Gedanken, ein paar Kieselsteine vom Boden aufzuheben und gegen sein Fenster zu werfen. Doch gleich darauf verwarf er die Idee wieder. In der Dunkelheit war es sehr schwer zu zielen und er wollte ja nicht die ganze Familie mit aufwecken.

Lukas starrte weiterhin auf die Umrisse von Daniels Zimmerfenster. Er hoffte, dass Daniel seine Anwesenheit spüren, die Jalousie öffnen und zu ihm heruntersehen würde.

Hallo Lukas. Tut mir leid wegen heut Nachmittag. Aber es war alles ein wenig zu viel für mich. Ich - ich liebe dich auch.

hörte Lukas Daniels Stimme in seinem Kopf. Er spürte, wie Daniel ihn umarmte.

Wieder blickte er hoch. Das Fenster war immer noch geschlossen.

Lukas drehte sich um und ging weg. Langsam setzte die Dämmerung ein und der Tag erwachte. Lukas trottete zurück zum Haus seiner Eltern. In der Ferne begrüßte ein Hahn den neuen Tag.

Lukas ging ins Haus, zog sich Jacke und Schuhe aus und tapste nach oben in sein taghelles Zimmer. Er zog sein Tagebuch hervor, legte sich ins Bett und schrieb:

War gestern Nachmittag mit Daniel am Laberweiher. Leider nicht alleine. Was musste auch diese doofe Sandy dabei sein. Dauernd haben die beiden aneinander rumgefummelt. Daniel hat sich überhaupt nicht mit mir abgegeben. Es kam mir echt so vor, als würde für ihn nur noch diese Sandy existieren. Kein Wunder, dass ich da ausgerastet und weggelaufen bin. Als mich Daniel zur Rede stellte, konnte ich nicht anders - ich habe ihm gestanden, dass ich in ihn verliebt bin.

Einige Wörter verschwammen, als Tränen auf das Tagebuch fielen. Lukas rieb sich die Augen mit einem Taschentuch, schnäuzte sich und schrieb weiter.

Er ist einfach weggegangen.

Aus und vorbei.

»Ich hab dich doch so lieb. Du kannst mich doch nicht einfach wegschmeißen.« Lukas schluchzte. Mit einem Mal waren alle seine negativen Gedanken und Gefühle wieder da. Er vergrub seinen Kopf im Kissen und heulte.

6

Stimmengewirr vor seiner Zimmertüre durchbrach die Stille.

War er eingeschlafen? Eben hatte er doch noch Tagebuch geschrieben.

Er öffnete die Augen. Aufgeschlagen lag das Büchlein neben ihm. Er zog es zu sich heran und betrachtete die letzten Sätze.

Daniel war weg - für immer.

Vereinzelte Tränen bahnten sich ihren Weg nach draußen. Trotzig wischte er sie sich aus seinem Gesicht. Er klappte das Buch zu und stupste es über die Bettkante.

Lukas stand auf und zog die Jalousie hoch. Die Morgensonne strahlte ihm ins Gesicht. Er öffnete das Fenster und sog die frische Luft in sich auf. Nach einer Weile hob er sein Tagebuch vom Boden auf, legte es in das Versteck und ging aus dem Zimmer.

»Auch schon munter?«, begrüßte ihn Anja, die gerade aus dem Bad kam.

»Es geht.«

»Schlecht drauf heute?«

Ohne ihr zu antworten, drückte er sich an seiner Schwester vorbei ins Badezimmer und sperrte die Türe ab. Nach dem Verrichten der Morgentoilette ging er unter die Dusche. Er stellte sich vor, dass all seine negativen Gedanken und all seine Traurigkeit durch das Wasser weggespült würden. Er lächelte.

Doch kaum war er fertig, drängte erneut dieses Bild in seinen Kopf, wie sich Daniel angewidert von ihm umdrehte und wegging. Niedergeschlagen trocknete er sich ab, zog sich an und tapste runter in die Küche.

»Aha. Der Herr Sohn steht am Sonntag schon mal vor dem Mittagessen auf«, meinte sein am Küchentisch sitzender Vater.

»Morgen.«

»Morgen Lukas. Willst du auch einen Kaffee?«, fragte seine Mutter.

»Mhm.« Lukas setzte sich.

»Gehst du heute mal wieder mit zum Gottesdienst?«

»Kein Bedarf, Mama.«

»Es würde dir sicher nicht schaden, ab und zu mal in die Kirche zu gehen«, sagte sein Vater.

»Ich bin eben nicht so katholisch wie du.«

»Werd nicht frech junger Mann.«

»Kein Streit am Morgen«, meldete sich Anja zu Wort, während sie sich eine Scheibe Brot mit Butter bestrich.

»Genau«, fügte Lukas hinzu.

Nach dem Frühstück verzog sich Lukas in sein Zimmer, wo er Trübsal blasend auf seinem Bett saß. Es klopfte.

»Ja?«

Die Tür ging auf und seine Mutter spähte herein.

»Willst du nicht doch mitkommen? Was meinst du, wie sich Gott darüber freuen würde.«

»Sorry Mama. Aber ich hab echt keine Lust.«

»Schade. Aber denk dran, dass du in unserer Gemeinde jederzeit herzlich willkommen bist.«

»Ja Mama.«

Lukas blieb noch eine Weile auf seinem Bett sitzen und fragte sich, was er tun konnte, um Daniels Freundschaft zurückzugewinnen. Er meinte, dass es das Beste wäre, mit Daniel zu reden. Lukas ging nach unten und holte sich das tragbare Telefon. Doch als er wieder in seinem Bett saß, kamen ihm Zweifel. War es überhaupt richtig, Daniel anzurufen? Was, wenn Daniel nicht mit ihm reden wollte? Und wenn doch - würde Lukas überhaupt die richtigen Worte finden? Nach endlos langem Zögern drückte er die »Ein-Taste« am Telefon und wählte die 8-8-7-0.

»Huber.«

»Äh. Grüß Gott Frau Huber. Hier ist Lukas.«

»Grüß dich Lukas. Du willst sicher mit Daniel sprechen.«

»Mm. Genau.« Lukas zitterte. Gut, dass er saß, sonst wären seine Beine unter ihm weggeklappt.

»Du der ist grad nicht da. Er wollte zu einem Freund fahren.«

»Wissen Sie, wann er wieder kommt?«

»Zum Mittagessen in etwa zwei Stunden sollte er wieder zu Hause sein.«

»OK. Ich versuchs später noch mal. Wiederhören.«

»Wiederhören Lukas.«

Lukas legte das Telefon beiseite. In seinem ganzen Körper kribbelte es. Irgendwie musste er sich ablenken. Er tat die »Abba-Gold« in den CD-Player, kramte ein »Lustiges Taschenbuch« hervor und las darin. Doch seine Gedanken drehten sich fast ausschließlich um Daniel.

Beim Mittagessen stocherte er lustlos an seinem Schnitzel herum, was seine Mutter zu der Annahme verleitete, er sei krank.

Lukas saß auf seinem Bett. Krampfhaft und mit stark schwitzenden Händen umklammerte er den Telefonhörer. Sollte er oder sollte er nicht? Sein Herz raste. Lukas atmete ein paar Mal kräftig ein und aus. Mit zitternden Fingern wählte er Daniels Nummer.

Mit jedem Freizeichen steigerte sich Lukas Aufregung.

»Daniel Huber.«

»Hallo Daniel. Hier ist Lukas. Ich ...«

-klack-

»Scheiße. Wieso legt er jetzt auf?«

Lukas konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. In dünnen Strömen bahnten sie sich einen Weg an seinen Nasenflügeln und Backen nach unten. Lukas hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte hinein. Daniel, sein Daniel wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

»Hey Lukas.« Anja klopfte ihm leicht auf die Schulter.

»Was willst du?«, schnauzte er sie an.

»Das Telefon. Sag mal weinst du?«

»Geht dich nichts an.« Lukas vermied es, sie mit seinen verheulten Augen anzusehen.

»Hey kleiner Bruder.« Sanft streichelte sie über seine Schultern.

»Lass ? mich«, schluchzte er.

»Es gibt nichts, was man nicht lösen könnte.«

»Mir kann niemand helfen.«

»Sag mir doch was los ist. Vielleicht ...«

»Ich will aber nicht. Geh jetzt bitte.«

»OK. Aber wenn du jemanden zum Reden brauchst - ich bin für dich da.«

Kurz darauf hörte er, wie sie die Türe von außen schloss. Ein Gutes hatte es ja, dass Anja in sein Zimmer geplatzt war - er hatte aufgehört zu weinen und die ersten klaren Gedanken konnten den Nebel der Trauer durchdringen. Lukas verspürte das Bedürfnis, seine Gefühle und Gedanken seinem Tagebuch anzuvertrauen. Vielleicht würde ihm das ein wenig helfen, Daniels Reaktion zu akzeptieren. Er saß auf dem Bett und schrieb.

Wollte Daniel anrufen und mit ihm reden. Doch er gab mir nicht mal die Gelegenheit dazu. Er hat einfach aufgelegt, dieser Arsch. Nein. Ist er nicht. Verdammt ich mag ihn doch so gerne. Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich schwul bin und mich in meinen besten Freund verliebt habe.

Lukas musste all seine Kräfte mobilisieren, um nicht wieder loszuheulen.

Nach einer kurzen Pause schrieb er weiter.

Ich frage mich, ob er nicht auch für mich mehr als nur normale Freundschaft empfindet. Manchmal kam es mir echt so vor. War es nur Einbildung? Ich könnte mir vorstellen, dass er einfach Angst hat. Angst schwul zu sein.

Ob ich je mit ihm darüber reden kann?

Ich weiß echt nicht mehr, was ich noch machen soll? Bin total unglücklich.

7

Lukas legte das Buch aus der Hand und knabberte nervös am Kugelschreiber.

Schreib ihm einen Brief. schoss es ihm durch den Kopf.

»Hey. Gute Idee.« Lukas Miene hellte sich auf. Er ging zu seinem Schreibtisch und kramte in den Schubladen nach Papier.

»Mist. Mal Anja fragen, ob sie mir eins leihen kann.«

»Du Anja?«

»Ja?« Sie lag auf ihrem Bett und las ein Buch.

»Kann ich ein paar von deinen weißen Blättern haben?«

»Klar.« Sie stand auf, ging zu ihrem Drucker und zog einige leere Seiten heraus. »Hier.«

»Danke.«

»Geht's dir wieder besser?«

»Geht schon wieder so einigermaßen.«

»Für was brauchst du das Papier eigentlich?«

»Ach. Ich will ein bisschen zeichnen.«

»Aha.« Sie gab ihm die Blätter. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie ihm nicht glaubte. Doch sie hakte nicht nach. Vielleicht würde er es ihr irgendwann sagen. Doch momentan war ihm nicht nach Outing zu Mute. Das bei Lukas war schon doof genug verlaufen.

Lukas saß vor dem leeren Blatt Papier und dachte darüber nach, was er Daniel schreiben könnte. Ihm wollte einfach nichts Tolles einfallen, womit er Daniels Freundschaft zurückgewinnen konnte. Einen Satz nach dem anderen sog er sich mühsam aus den Fingern. Immer wieder musste er neu anfangen und das alte Blatt landete zerknüllt im Papierkorb. Endlich war er fertig und schrieb seinen Namen unter den Brief. Er las ihn sich noch einmal durch.

Hallo Daniel,

Ich weiß, dass ich Dich mit meinem Geständnis geschockt habe. Irgendwie kann ich ja nachfühlen, dass Du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Aber vielleicht verstehst Du mich ein bisschen. Du warst immer der beste Freund, den ich je hatte. Wenn andere mich fertiggemacht haben, warst Du da und hast mich beschützt. Wenn es mir schlecht ging, warst Du es, der mich getröstet und mir Mut gemacht hat. Du hast zu mir gehalten, egal was war. Weißt Du noch, wie man mich vor ungefähr 2 Jahren verdächtigt hat, die Geldbörse von Frau Meier gestohlen zu haben? Du warst der Einzige, der mir geglaubt hat.

Bis sie am nächsten Tag merkte, dass sie die Geldbörse nur verlegt hatte, war ich allen möglichen Anfeindungen ausgesetzt. Du hast Dich vor mich hingestellt und mich verteidigt. Als ich von meinem Vater grün und blau geschlagen wurde wegen meines Zeugnisses hast Du mich zwei Tage lang bei Dir versteckt.

Danke für alles, was Du mir Gutes getan hast.

Es tut mir leid, dass ich Dich jetzt so enttäuscht habe. Aber ich kann nichts dafür, dass ich schwul bin. Und dass ich mich in den süßesten, liebevollsten und allerbesten Menschen verliebt habe, den es auf der Welt gibt, ist doch kein Wunder, oder?

Kannst Du unserer Freundschaft noch eine Chance geben?

Bitte glaube mir - wenn Du nicht mehr willst als normale Freundschaft, dann akzeptiere ich das. Meine Freundschaft zu Dir ist mir zu wichtig, als dass ich sie durch meine Gefühle zerstören möchte. Bitte sei wieder mein bester Freund.

Liebe Grüße

Lukas

Zufrieden faltete er das Blatt zusammen und steckte es in den Briefumschlag, den er vorhin bei seiner Suche nach Papier gefunden hatte. Er schrieb nur »Für Daniel« darauf und klebte ihn zu.

Lukas war schon auf dem Weg zu Daniel, als Zweifel in ihm aufkamen. Sollte er ihm diesen Brief wirklich geben? Oder würde dadurch nur alles noch schlimmer werden? Vielleicht wollte Daniel, nachdem er das gelesen hatte, überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ohne was zu unternehmen, ging er am Haus von Daniels Eltern vorbei. Er traute sich nicht den Brief abzugeben. Erst während eines ausgedehnten Spaziergangs im nahegelegenen Wald, gelang es ihm die Zweifel beiseitezuschieben. Lukas fand zwei gute Gründe, Daniel diesen Brief doch zu geben. Erstens hatte er sich echt viel Mühe damit gemacht und zweitens war dies in Lukas Augen die einzige Chance, die Freundschaft zu Daniel doch noch zu kitten. Zufrieden mit sich selbst ging er zurück ins Dorf. Als er vor dem Haus von Daniels Eltern stand, zögerte er einen Moment. Schließlich überwand er sich und steckte das Kuvert in den Briefkasten. Damit hatte er seinen Teil getan. Jetzt lag es an Daniel darauf zu reagieren.

Erleichtert atmete Lukas durch und schlenderte davon. In der Ferne hörte man die Kirchturmuhr des Nachbarortes sieben mal schlagen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht betrat er das Haus seiner Großeltern.

8

Seine Mutter stand im Flur. »Lukas. Wir müssen mir dir reden.«

Oha. Das hörte sich aber nicht sehr freundlich an. Angestrengt überlegte er, was es Großes zu bereden gab. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er was verbrochen hatte. Und mit der Arbeit hatte es wohl auch nichts zu tun, da er ja Urlaub hatte. Ob irgendwer gestorben war? Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte Lukas seiner Mutter ins Esszimmer, wo sein Vater am Tisch saß. »Setzen«, befahl dieser.

Was sollte das jetzt werden? Lukas schluckte und setzte sich gegenüber von seinen Eltern hin.

»Hab ich was angestellt?«, fragte er kleinlaut.

»Kennst du das da?« Lukas Vater knallte ein rotes Buch auf den Tisch.

»Scheiße«, entkam es Lukas. Wegen des Briefes hatte er offenbar komplett vergessen, sein Tagebuch wieder zu verstecken.

»Ich habs auf deinem Bett gefunden, als ich dir die gebügelte Wäsche ins Zimmer getragen habe«, sagte seine Mutter.

»Hast du was dazu zu sagen«, kam es barsch von seinem Vater.

»Ich ? ich ? Es ist mein Tagebuch.« Lukas war den Tränen nahe.

»Du ? du bist eine Drecksau«, hörte er die Stimme seines Vaters. »Eine kleine schwule Drecksau.«

»Horst.« Lukas Mutter klopfte ihrem Mann auf die Schulter.

»Lass mich«, fauchte er sie an. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück.

Lukas Vater beugte sich über den Tisch und zerrte seinen Sohn am T-Shirt zu sich heran. Lukas wollte sich wehren, doch es gelang ihm nicht. Sein Blick verschwamm hinter einem Schleier voll Tränen. Er roch den nach Alkohol stinkenden Atem seines Vaters. »Und so was Perverses wie dich haben wir großgezogen.«

Lukas schniefte und sah ihn mit angsterfüllten Augen an. Würde er ihn schlagen, so wie er es schon so häufig getan hatte, als er noch jünger war?

»Heul nur du Memme. Was anderes kannst ja eh nicht.«

»Lass mich in Ruhe.«

»Ich soll dich in Ruhe lassen? Das würde dir so passen. Ab jetzt werden andere Seiten aufgezogen.« Er ließ Lukas los, woraufhin der in den Stuhl zurücksackte.

»Was Papa damit meint ist, dass wir dir helfen wollen diese, ähäm Neigungen zu beseitigen.«

Neigungen? Beseitigen?

»So lange du hier wohnst, wirst du dich nicht mehr mit diesem kleinen Huber Miststück treffen. Der hat dir wohl diese Flausen in den Kopf gesetzt und dich zu diesen Abscheulichkeiten getrieben.«

»Aber ich hab doch gar nicht ...«

»Halt den Mund, sonst lernst du mich erst richtig kennen.«

Lukas schluckte. Er zitterte am ganzen Körper.

Ob er das Ganze nur träumte?

Bitte, bitte lieber Gott. Lass mich aufwachen aus diesem Alptraum.

»Lukas. Wir haben dir für morgen einen Termin beim Pfarrer ausgemacht. Er will sich eingehend mit dir unterhalten«, hörte er seine Mutter mit säuselnder Stimme sagen. »So wie ich ihn verstanden habe, gibt es in Neuburg eine christliche Gruppe, wo du durch Gebet und andere Maßnahmen auf den rechten Weg zurückgebracht werden kannst.«

»Wenn es nach mir ginge, würde ich dir diese Flausen herausprügeln. Ich kann nur hoffen, dass die in Neuburg nicht so zimperlich mit dir umgehen.«

»Ich will nicht«, schrie Lukas. Er sprang auf und hetzte zur Tür.

»Hiergeblieben«, brüllte sein Vater. Doch Lukas dachte nicht daran. Er riss die Tür auf, lief nach oben in sein Zimmer und drehte blitzschnell den Schlüssel um.

Lukas fiel ins Bett, vergrub seinen Kopf im Kissen und heulte.

Jemand klopfte heftig an die Türe.

»Mach sofort die Tür auf«, brüllte sein Vater.

Lukas schluchzte noch heftiger.

Eine Ewigkeit später war es wieder ruhig.

Lukas weinte nicht mehr. Doch er zitterte am ganzen Körper. Er hatte sich in die Decke eingewickelt. Seine Beine waren so weit angezogen, dass seine Schenkel den Bauch berührten. Er merkte, dass er an seinen Fingernägel kaute.

Erst Daniel und dann seine Eltern - Lukas war am Ende seiner Kräfte.

Ob er Schluss machen sollte? Es wollte ihn doch eh niemand haben. Im Betrieb wurde er nicht ernst genommen. Er war nur ein Idiot, an dem die anderen ihren Frust ablassen konnten. Freunde hatte er auch fast keine. Der einzig wahre Freund war Daniel. Doch dieses Thema war nach dem gestrigen Tag wohl auch vorbei. Hätte er diesen blöden Brief nur nicht eingeworfen. Vielleicht wäre in ein paar Tagen Gras über die Sache gewachsen. Aber so hatte es Daniel schwarz auf weiß, dass sich sein bester Freund in ihn verliebt hatte. Wahrscheinlich machte dieser Brief gerade die Runde bei seinen Fußballfreunden. Sie würden lachen und grölen. Ängstlich klammerte sich Lukas an sein Kopfkissen, als ihm klar wurde, was das bedeutete. In ihm hatten sie einen, bei dem sie ihren ganzen Hass gegen Schwule auslassen konnten. Und Daniel würde mitmachen ihn zu schlagen.

Lukas schluchzte.

Nein - es war aus und vorbei. Er konnte und wollte nicht mehr leben.

Er saß im Gras und starrte auf den See.

Bald würde das hier vorbei sein.

Mit zitternden Händen riss Lukas die Schachtel auf, die er von zu Hause mitgenommen hatte.

Bald würde er seinen Frieden finden.

Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er sich die Tabletten in den Mund steckte und sie hinunterschluckte.

Hatte es so enden müssen?

»Neeeiiin!«, schrie jemand in der Ferne.

Daniel?

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