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Innocent

Teil 4

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort:

“Who cares where we go on this rugged old road In a world that may say that we’re wrong” (Emmylou Harris) Viel Spaß beim Lesen des vierten Teils! Wie es mit dem Fünften aussieht, wissen wir noch nicht, aber wir werden uns Mühe geben! Feedback ist wie immer erwünscht. F. & T.

Kapitel 25 – David

Es war nicht möglich, was hier gerade passierte! Alles war so schnell geschehen, sodass ich erst jetzt die Möglichkeit hatte, es annähernd zu begreifen. Und nicht einmal jetzt verstand ich richtig.

Meine Augen brannten, mein Mund war trocken und meine Stirn glühte. Aber ich war mit einem Male entspannter, mein Körper schien mir langsam wieder zu gehorchen und zitterte nicht mehr unkontrolliert. Langsam, ganz langsam kamen die Informationen bei mir an, was ich hier gerade tat. Ich lag schluchzend in den Armen von Mr. Courten, meinem Klassenlehrer. Er hatte mich an sich gedrückt und streichelte mir sanft über den Rücken und den Nacken. Wir standen hier vor seinem Apartment, er würde mich zu sich nehmen.

Das alles war so verrückt, wie einer meiner schönen Träume, in denen er mich immer wieder vor meinen Ängsten beschützt hatte. Könnte ein solcher Traum jetzt tatsächlich in Erfüllung gegangen sein? War das möglich?

Wortlos drückte er mich nach einer Weile von sich und lächelte mich an. Seine Wangen waren in ein leichtes Rot getaucht, als er meine Hand nahm und sie sanft streichelte.

„Und jetzt komm, David“, flüsterte er mit seiner beruhigenden Stimme. „Du musst dich dringend ausruhen, wenn du keine Lungenentzündung haben willst.“

Er zog mich zaghaft mit sich in das Treppenhaus. Spätestens jetzt wusste ich, dass er es tatsächlich ernst meinte. Er wollte mich wirklich nicht mehr zu meinem Vater bringen! Ein leichtes Gefühl von innerer Ruhe kehrte in mir zurück, und nun spürte ich auch endlich neben all der Aufregung die Müdigkeit und Erschöpfung, die meine Grippe mit sich brachte.

Der Wunsch nach Schlaf und die Erkenntnis, diesen ohne jegliche Ängste zu bekommen, waren unvorstellbar schön.

Mr. Courtens Apartment befand sich im vierten Stockwerk dieses Hochhauses, das wir mit einem Aufzug erreichten. Seine Wohnung selbst war klein und beschaulich, soweit ich das mit meinen fiebrig flackernden Augen erkennen konnte.

„Setz dich kurz hierhin“, meinte er, während er einen Stuhl für mich zurecht ruckte. „Ich werde schnell Bettzeug holen, und dann kannst du dich auf meine Couch legen.“

Ich nickte mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Tatsache, dass er so viel für mich tat, war unglaublich. Es fühlte sich so gut an.

Mit zittrigen Beinen ließ ich mich also auf den Stuhl sinken und stützte meinen Kopf auf meine Handfläche auf. Immer wieder fielen mir die Augen zu und ich bekam nur teilweise mit, wie Mr. Courten seine kleine Couch geschickt in eine gemütliche Schlafmöglichkeit umfunktionierte und mit Decken und Kissen hantierte.

Fast war ich in einen leichten Schlaf gefallen, als ich dann plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

„Aufwachen“, hörte ich eine zärtliche Stimme. „Du kannst auf der Couch weiterschlafen, ja?“

Wieder nickte ich, ließ mir von ihm aufhelfen und schwankte mit halb geschlossenen Augen zu Mr. Courtens Couch, die mit einem Male hergerichtet war, wie ein richtiges Bett. Der kleine Tisch, der vor der Couch gestanden hatte, war zur Seite gerutscht und somit hatte man genug Platz, um eine Matratze auszufahren, die nun frisch bezogen und mit einer Bettdecke, einer zusätzlichen Wolldecke und zwei Kissen ausgeschmückt war. Verlockend, um sich darauf zu legen.

„Mach’s dir gemütlich“, meinte Mr. Courten und schlug die Decke zurück, damit ich mich hinlegen konnte.

Ich befolgte seine Aufforderung natürlich gerne und ließ mich in die weichen Kissen zurücksinken. Eine Wohltat!

Ich schloss meine Augen, und wenige Sekunden später befand ich mich schon wieder in einer Art Halbschlaf. Ganz vage bekam ich mit, wie Mr. Courten mir die Schuhe auszog, die ich ja noch immer anhatte. Wie unhöflich. Ich wollte mich schon entschuldigen, aber dazu war ich nun nicht mehr in der Lage.

Eine warme Decke spürte ich sogleich auf meinem bibbernden Körper, und dann Mr. Courtens schlanke Finger, die sanft über meine heißen Wangen strichen.

„Schlaf dich jetzt aus, David“, murmelte er leise.

Ein zufriedenes Lächeln zierte meine Lippen.

„Danke“, hauchte ich halb dösend.


Ich erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als ich leises Papiergeraschel hörte. Benommen öffnete ich die Augen einen Spalt und musste mich erst einmal besinnen, wo ich mich hier überhaupt befand. Erst langsam kamen mir die Erinnerungen zurück, doch als ich Mr. Courten sah, war sofort wieder alles da.

Er saß an dem kleinen Tisch der neben der Couch stand und hatte seinen Blick in einige Hefte vertieft. Anscheinend korrigierte er gerade.

Die Situation war seltsam, und noch immer war es wie ein Traum für mich. Ich befand mich gerade allen Ernstes bei Mr. Courten? In seiner Wohnung?

Langsam richtete ich mich etwas auf, was er sogleich bemerkte. Er sah von seinen Heften zu mir und lächelte. „Wie geht es dir, David?“

Bei diesem Lächeln verschlug es mir fast die Sprache. Ein erneutes Kribbeln erfüllte meinen Körper. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich seltsam gut fühlte. Meine Kopfschmerzen waren sehr viel weniger intensiv und auch mein Zittern hatte nachgelassen.

„M…mir geht es besser“, antwortete ich fast schon schüchtern. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“

Mr. Courten sah auf die Uhr, und dann wieder zu mir. „Knapp fünf Stunden.“

Ich bekam große Augen. Knapp fünf Stunden? Wieder spürte ich das Gefühl in mir aufkommen, unhöflich gewesen zu sein. Ich konnte doch nicht bei jemand Fremdem fünf Stunden schlafen!

Anscheinend bemerkte Mr. Courten meine Unsicherheit, denn er stand auf und setzte sich zu mir auf die Couch.

Wieder spürte ich dieses starke Bauchkribbeln, als er mir so nahe war.

Ein wenig beschämt senkte ich den Blick und starrte auf meine Hände.

„Es ist okay, dass du so lange geschlafen hast“, meinte er dann plötzlich. „Dir muss das nicht unangenehm sein.“

Langsam sah ich wieder auf in seine schönen, braunen Augen. Ich glaubte fast in ihnen zu versinken.

„Darf ich…?“, fragte er nach einer ganzen Weile des Schweigens.

Ich schreckte ein wenig hoch und bemerkte, dass Mr. Courten mir seine Hand auf die Stirn legen wollte, um mein Fieber nachzuprüfen.

Sofort nickte ich und als seine Hand dann tatsächlich meine Haut berührte, glaubte ich, meine Körpertemperatur stieg in sekundenschnelle auf über 80 Grad an.

Mein Herz klopfte schnell und ohne es kontrollieren zu können, fiel mein Blick plötzlich auf seine Lippen. Auf seine schön geschwungenen Lippen. Ein unglaublicher Drang, sie zu berühren, machte sich plötzlich in mir breit.

David, jetzt hör doch auf mit dem Scheiß!, versuchte ich mich selbst zurecht zu weisen, was kaum möglich war.

Viel zu spät schaffte ich es schließlich, mich wieder von diesem Anblick zu lösen, und als sich unsere Blicke wieder trafen, musste ich unbehagt feststellen, dass Mr. Courten wohl sehr genau wusste, was ich da gerade so intensiv betrachtet hatte. Augenblicklich merkte ich, wie mir die Schamesröte ins Gesicht schoss. Hoffentlich sah man es durch das Fieber nicht so sehr.

„D…dein Fieber ist zurückgegangen“, nuschelte er ein wenig hektisch.

Täuschte ich mich, oder war er mit einem Male auch verunsichert wegen dieser Nähe zwischen uns?

Kapitel 26 – Andy

Vorsichtig fuhr ich ihm mit den Fingern über die Wangen. David hatte sich völlig erschöpft auf die Couch fallen lassen, konnte er sich doch eh kaum mehr auf den Beinen halten. Zaghaft zog ich die Decke, die ich über seinen noch immer leicht zitternden Körper gelegt hatte, ein wenig weiter nach oben. Eine meiner Hände strich noch immer sanft über sein glühendes Gesicht, ich ließ meine Finger vorsichtig die Konturen seines Gesichts nachfahren – er schlief zu fest, um es zu bemerken.

Ich war in diesem Moment einfach nur sehr, sehr froh, dass er hier war. Das erste Mal seit Tagen fühlte ich mich vollkommen ruhig, weil ich wusste, dass David hier sicher war, dass ihm niemand etwas tun würde. Ein klein wenig ängstigte es mich, dass diese Unruhe anscheinend tatsächlich ganz allein daher gerührt hatte. Aber was sollte es schon? Ich hatte mir Sorgen gemacht, jetzt hatte ich keinen Grund mehr dazu, er war nämlich hier und es würde ihm nichts mehr geschehen.

„Schön, dass du da bist“, flüsterte ich gedankenversunken, strich ihm noch einmal mit dem Daumen über die Wange und erhob mich wieder. David sollte in Ruhe schlafen und ich hatte genug zu tun, wobei ich ihn nicht wecken würde, wenn ich in seiner Nähe blieb. Ich wollte ihn ungern alleine lassen, wer wusste schon, ob es ihm nicht noch schlechter gehen würde oder er irgendetwas brauchen würde? Ich wollte einfach da sein, wenn er wach werden würde.

Leise seufzend – aber lächelnd – ging ich schnell meine Tasche aus dem Wagen holen, die ich natürlich völlig vergessen hatte. Ich beeilte mich wieder nach oben zu kommen, schloss leise die Wohnungstür und warf – schon wieder lächelnd – einen Blick auf David. Er lag noch immer seelenruhig auf der Couch, zitterte nicht mehr und nur sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, ansonsten lag er einfach still da. Ich stellte meine Tasche neben den Sessel, holte mir ein Glas und eine Flasche Wasser aus der Küche und setzte mich an den kleinen Tisch.

Mein Blick schweifte schon wieder zu David, fuhr über seinen Körper und während ich ihn ansah, verzog er plötzlich im Schlaf sein Gesicht. Für einen Moment sah er aus, als ob er Schmerzen hatte, doch dann drehte er sich träge auf die Seite, öffnete seinen Mund ein klein wenig und schien ihn im Schlaf zu einem leichten Lächeln zu verziehen. Ich konnte es ihm nur gleich tun, trank einen Schluck Wasser und machte mich dann daran, die ersten Aufsätze meiner Siebt- und Zehntklässler zu korrigieren.


Es dauerte lange, bis David wieder erwachte. Ich hatte zwischenzeitlich immer wieder versunken in meinem Sessel gesessen und ihn angesehen. Anscheinend schlief er nicht unbedingt ruhig, er hatte sich während der mittlerweile fast fünf Stunden mehrmals vom Rücken auf die Seite oder auf den Bauch gedreht und wieder zurück. Es sah unbestreitbar süß aus, wie er auf dem Bauch lag, die Decke umklammerte und sein Gesicht unbewusst in das Kissen schmiegte.

Dieser Gedanke behagte mir gar nicht, aber immerhin war es nicht verboten so etwas mal zu denken, ich hätte dieses Bild doch wahrscheinlich bei jedem Menschen süß gefunden, oder? Jedenfalls wachte David gegen acht Uhr abends langsam auf und blickte zu mir. Ich hatte vorsorglich wieder auf das Heft vor mir gesehen, als er begonnen hatte sich zu bewegen. Als er vollends erwacht war sah ich wieder zu ihm und lächelte ihn an.

„Wie geht es dir, David?“, fragte ich leise, schloss meinen Stift und legte ihn beiseite. Er sah lebendiger aus, hatte sogar wieder ein bisschen mehr Farbe im Gesicht, als noch vor einigen Stunden.

„M... mir geht es besser“, erwiderte er leise. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“

Ich sah unnötiger Weise auf die Uhr bevor ich antwortete, eigentlich wusste ich, dass er fast genau fünf Stunden geschlafen hatte, aber ich wollte ihm nicht den Eindruck vermitteln, dass ich darauf gewartet hätte, dass er aufwachte. Allerdings schien David sich trotzdem sehr unwohl zu fühlen, ich jedoch fühlte mich gerade ziemlich gut, also setzte ich mich zu ihm auf die Couch und meinte leise, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste. Mir fiel erst während ich redete auf, dass ich mich anscheinend übermütig ein wenig sehr nah neben ihn gesetzt hatte.

Ich legte ihm nach kurzem Nachfragen eine Hand auf die Stirn, wollte damit vielleicht ein bisschen erklären, was diese Nähe sollte. David wirkte ein wenig nervös und mir wurde ganz anders, als ich merkte, dass er mich die ganze Zeit ansah, während meine Hand – schon viel zu lange – auf seiner Stirn lag. Und um Himmels Willen, David sah mir nicht in die Augen, sein Blick ruhte tiefer, auf meinen Lippen! War das Einbildung? Warum sollte er das tun?

„D...dein Fieber ist zurückgegangen“, meinte ich gedankenlos und sah, wie er anscheinend noch ein wenig mehr rot im Wangenbereich wurde und seinen Blick senkte. Ihm war es unangenehm, dass ich seine Blicke bemerkt hatte, aber was auch immer das sollte, ich fühlte mich nicht unwohl dabei. David sah starr auf den Boden, sah dabei wirklich todunglücklich aus.

„Ich... Es tut mir leid, dass... dass ich hier bin und Ihnen so viel Arbeit mache“, sprach er leise und dabei fühlte ich mich nun doch definitiv unwohl. Er sollte nicht so denken, immerhin tat ich das hier aus freiem Willen.

„Ach David, das muss dir doch nicht leid tun! Sieh mal, ich mache das gerne“, erklärte ich ebenso leise und legte ihm, obwohl ich merkte, dass mir bei dieser Nähe ein seltsames Gefühl durch alle Glieder fuhr, einen Arm um die Schultern. Zögernd blickte David auf, sah mich prüfend, fragend und sehr unsicher an. Ich lächelte und strich ihm mit den Fingern über seine Schulter.

„Ich finde es schön, dass du hier bist“, meinte ich, nachdem ich kurz mit mir hatte ringen müssen, ob ich ihm so was sagen durfte, oder nicht. Aber immerhin war es so und David schien gerade dringend wissen zu müssen, dass er mich weder störte, noch dass ich ihn los werden wollte.

Noch immer etwas unsicher sah er mich an, schluckte sichtbar und richtete sich ein klein wenig auf. Ich lächelte weiterhin, wollte ihm damit seine Unsicherheit nehmen. David näherte sich mir plötzlich und ich glaubte, dass er mich umarmen wollte, eine Geste, die ich ihm immerhin schon mehrfach bedenkenlos gewährt hatte. Doch sein Blick ruhte wieder auf meinen Lippen und die Zeit schien mit einem Mal plötzlich aufzuhören, voranzuschreiten, als er seine Augen schloss und vorsichtig seine Lippen auf meine drückte.

Oh mein Gott! Ich saß einfach nur starr dort, spürte diesen Hauch auf meinen Lippen und merkte, wie mir diese zaghafte Berührung alle Kraft raubte. Mein Arm rutschte einfach so von seinen Schultern, und noch bevor ich in irgendeiner anderen Weise reagieren konnte, hatte er sich auch schon wieder zurückgelehnt. Erschrocken und mit großen Augen blickte er mich an, während ich ein Gefühl hatte, als brannten meine Lippen plötzlich wie Feuer, nachdem seine verschwunden waren.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals und schien mit diesem ungesunden Rhythmus siedend heißes Blut in meinen gesamten Körper zu pumpen, der in jeder Faser kribbelte. Oh mein Gott! David schluckte wieder merklich und sah mich an, als konnte er selbst kaum glauben, was er getan hatte. Er hatte mich gerade geküsst. Auf den Mund. Einfach so seine Lippen auf meine gelegt. Ich war völlig überfordert, überfordert von diesen Gefühlen in meinem Körper, seiner Reaktion und dieser ganzen Situation. David hatte mich tatsächlich geküsst! Er – mich!

„Ich... Das...“, stotterte er nur, sah mich weiterhin völlig perplex an und rutschte etwas von mir weg. Ich schluckte. Okay, irgendetwas musste ich tun.

„Willst...“, begann ich, räusperte mich. „Willst du vielleicht etwas trinken? Ich kann dir Tee machen.“ So tun als ob nichts passiert wäre, keine umwerfende Lösung.

„J...Ja, gerne“, entgegnete er und wandte sein Gesicht ab, welches dunkelrot angelaufen war. Meine Lösung war vielleicht nicht umwerfend, aber sie holte uns beide aus dieser Situation heraus. Ich stand mit einem Anflug von plötzlicher Panik auf und ging zur Küche. David hatte mich geküsst! Geküsst!

Kapitel 27 – David

OH MEIN GOTT! Das konnte doch nicht passiert sein, oder? Ich hatte nicht gerade meinen Lehrer… geküsst?! Das war nur ein Traum! Ein Traum unter so vielen!

Ich saß hilflos auf der Couch und starrte mit noch immer klopfendem Herzen auf meine Finger, mit denen ich nervös spielte. Am liebsten wäre ich jetzt im Erdboden versunken und nach Möglichkeit nie wieder aufgetaucht. Was musste Mr. Courten nun von mir denken? Was bloß?

Ich hätte mich so viel besser gefühlt, wenn ich das nur gewusst hätte.

Er brauchte bedenklich lange, um mir einen Tee zu kochen. Mindestens eine halbe Stunde war ich schon hier und wartete darauf, dass er wieder zu mir zurückkommen würde. Aber was hatte ich eigentlich zu erwarten? Schließlich war ich derjenige, der so eine Dummheit getan hatte. Es ist dein LEHRER, David! Ein verdammter Lehrer!

Völlig fertig versteckte ich mein Gesicht in meine Hände und schüttelte langsam den Kopf, fast so, als könnte ich dadurch alles wieder ungeschehen machen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Wieso war ich mir nicht in diesem Moment der Konsequenzen bewusst gewesen?

Ich konnte froh sein, wenn mich Mr. Courten nach dieser Aktion nicht aus seiner Wohnung schmeißen würde! Natürlich wäre das so ziemlich das Schlimmste, was er als Reaktion tun könnte, aber mal ganz ehrlich, verübeln könnte ich es ihm nicht. Ich wurde noch verrückt!

Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir, und sofort zuckte ich zusammen.

Mein Herzklopfen hatte sich verdreifacht, als ich langsam aufblickte und in Mr. Courtens Augen sah. Er schaute zu mir hinunter, als er mir eine Tasse Tee hinstreckte, doch als er merkte, dass ich ihn ebenfalls anstarrte, wandte er sich schnell ab und biss sich auf die Unterlippe.

Seine abweisende Gestik tat ein bisschen weh, aber wie gesagt, verdenken konnte ich es ihm nicht. Ich war schließlich schuld daran, dass er sich nun so verhielt und dass er sich gerade sonst etwas von mir denken musste.

Zögernd nahm ich die Tasse in die Hand und nippte leicht daran. Der Tee war schon abgekühlt, was kein Wunder war, denn Mr. Courten war ja lange genug weg gewesen. Die Vorstellung, wie er vollkommen verwirrt neben dem längst fertigen Tee gestanden und Löcher in die Luft geguckt haben musste, war eine weitere Sache, die mich noch unwohler fühlen ließ.

So gerne hätte ich ein schlichtes „Entschuldigung“ über meine Lippen gebracht, aber das war nicht so einfach. Dazu fehlte mir der Mut.

Ganz toll, David, dachte ich mir selbst. Du bringst den Mut auf, Mr. Courten – deinen Lehrer – zu küssen, schaffst es aber nicht, dich bei ihm dafür zu entschuldigen? Wie erbärmlich war das denn?

Mr. Courten hatte sich in einiger Entfernung ebenfalls auf der Couch niedergelassen und starrte nun zu Boden, als gäbe es da irgendetwas Interessantes zu sehen.

Dass dem jedoch nicht so war, verriet mir sein abwesender Blick. Ich wusste genau, wo er in Gedanken war und welche Szene sich immer wieder in seinem Kopf abspielte. Mir ging es schließlich kein bisschen anders. Ständig musste ich daran denken, was ich getan hatte. Aber es war nicht die Schuld alleine, die ich verspürte. Nein, tief in mir hatte ich auch dieses Bauchkribbeln, wenn ich daran dachte, wie weich seine Lippen gewesen waren.

Das war einfach nur göttlich gewesen.

In diesem Moment fiel mir noch etwas auf. Es war mein erster Kuss gewesen!

Ich schluckte schwer.

Mein erster Kuss. Mit einem Lehrer. Mit Mr. Courten! Mit einem viel älteren Mann, den ich kaum kannte. Mit jemanden, von dem ich Tag und Nacht träumte. Mit jemanden, bei dem ich ständig Herzklopfen und wahnsinnige Gefühle verspürte.

Genau mit diesem Menschen hatte ich für einen kurzen Moment noch inniger werden dürfen.

Wäre es nur nicht so furchtbar falsch gewesen, hätte ich diese Tatsache mit Sicherheit wunderschön gefunden.

Aber im Moment war da eher so etwas wie Unruhe in mir. Mr. Courtens Verschwiegenheit war nicht unbedingt ein Indiz dafür, dass er all das auf die leichte Schulter nahm. Im Gegenteil. Es schien ihn eher sehr zu beschäftigen.

Wahrscheinlich stellte er gerade alles in Frage, was er getan hatte. Er hatte sich so sehr um mich gekümmert in der Schule, hatte sich Zeit genommen um mir zuzuhören, hatte sogar für mich gelogen und mir Sachen bezahlt, hatte mich ins Krankenzimmer getragen und mich schließlich bei sich zu Hause aufgenommen. Niemand konnte mir weismachen, dass das normal für ein Schüler/Lehrer-Verhältnis war. Das war es mit Sicherheit nicht.

Ich wusste nicht, was es stattdessen war, aber der Gedanke, dass da mehr sein konnte, als es sittlich wäre, machte mich total nervös und verwirrte mich.

Im Moment traute ich mich nicht, diese Tatsache weiter zu vertiefen, um die ungeklärten Gegebenheiten aufzudecken. Gerade eben war alles einfach nur unangenehm.

Dieses Schweigen, dieses Nicht-Wissen, was der andere gerade dachte oder fühlte. All das trieb mich fast in den Wahnsinn.

Mr. Courten hatte zu Anfang gut reagiert. Er hatte schnell abgelenkt, anstatt mich anzuschreien, was mir denn nur einfiele. Aber war mir seine Ignoranz wirklich lieber? Oder hoffte ich nicht doch tief in mir auf eine Reaktion von ihm?

Nach schier endlosen Minuten wandte er sich dann schließlich zu mir um.

Sein Blick war nicht zu deuten, egal wie sehr ich mich auch anstrengte. Er räusperte sich und atmete dann tief durch. „Ich…ich denke, wir sollten nun beide zu Bett gehen, oder?“

Ein bisschen enttäuscht wegen dieser versteckten Aufforderung, nickte ich nur und stellte die mittlerweile leere Tasse vor mir auf den Tisch.

Mr. Courten stand auf und sah mich noch einmal an. Anscheinend merkte er, dass mir noch etwas auf der Seele lastete, das ich unbedingt sagen wollte.

„Es tut mir leid“, murmelte ich so schnell es ging und senkte meinen Kopf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er es verstanden hatte.

Ich hörte ihn ein weiteres Mal tief durchatmen. „Es muss dir nicht leidtun“, erwiderte er schließlich leise. „Lass es uns einfach vergessen.“

Seine Worte überraschten mich und ich sah ihn zögerlich wieder an. Er kratzte sich unsicher am Kopf und lächelte dann. „Wenn heute Nacht etwas ist, kannst du mich ruhig aufwecken. Das ist kein Problem. Und nun schlaf schön.“

Eine unglaubliche Last fiel in diesem Moment von mir ab, und ich schaffte es sogar, sein Lächeln zu erwidern.

Nachdem auch ich ein rasches „Gute Nacht“ hervorgebracht hatte, verschwand Mr. Courten in seinem Schlafzimmer, und ich ließ mich zurück in die Kissen sinken. Ich wusste nicht, ob ich es nun gut finden sollte, dass er diese Kuss-Angelegenheit tot schwieg. Vielleicht war es der einfachste Weg. Vielleicht aber auch nur ein Anzeichen für seine und auch meine Feigheit.

Kapitel 28 – Andy

Ich drückte die Tür meines Schlafzimmers leise mit einer Hand auf der Türklinke und der anderen auf dem Holz zu. Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen den Rahmen und schloss meine Augen. Mein Herz schien sich nicht mehr beruhigen zu wollen, und mir wurde für einen kleinen Moment schwindlig, weswegen ich meine Augen wieder öffnete, die wenigen Schritte bis zu meinem Bett ging und mich fallen ließ. Diese Spannung zwischen David und mir, während wir beide auf der Couch saßen und einander anscheinend beide nicht ansehen konnten, steckte mir noch immer in den Knochen. Es hatte sich so seltsam angefühlt, so schrecklich unangenehm.

Ich war nervös geworden, hatte ich doch schon viel zu viel Überwindung gebraucht überhaupt wieder zurück zu gehen. Natürlich war es lächerlich gewesen und ich war mir ziemlich sicher, dass ich David damit total verunsichert hatte, dass ich so ewig in der Küche geblieben war, aber ich konnte nicht einfach sofort zurückgehen. Dieser Kuss von ihm hatte mich viel zu sehr verwirrt und vor allem hatte es mich verwirrt, dass ich nicht empört oder verärgert war, weil er das einfach so getan hatte. Einerseits, weil er anscheinend selbst nicht wusste, warum und was er da eigentlich getan hatte und andererseits, weil es mir gefallen hatte. Weil es sich schön angefühlt hatte.

Angst. Ich hatte Angst, weil er mich mit dieser kurzen Berührung so sehr verwirrt hatte, weil ich vollkommen durch den Wind war, seitdem er mich so berührt hatte. Oh Gott, ganz egal, was mein Verstand mir sagte, dieses Gefühl war wundervoll gewesen und ich konnte das einfach nicht verdrängen!

„Was tust du da nur?“, flüsterte ich leise zu mir selbst und fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht. Ich gähnte ungehalten und setzte mich mit einem Seufzen auf. Es war zwar gerade mal neun Uhr, aber ich war schrecklich müde nach zwei mehr oder weniger schlaflosen Nächten. Ein wenig bitter musste ich lächeln, jetzt, wo ich mir keine Sorgen mehr machen musste, dass ihm irgendetwas passierte, machte ich mir Gedanken darüber, dass da zwischen uns irgendetwas passiert war. Ich öffnete meine Jeans, stand auf und begann mich auszuziehen. Wenig später legte ich mich nur noch in Boxershorts ins Bett, stellte meinen Wecker und machte das Licht aus.

Meine Gedanken wollten nicht verschwinden, dabei war ich doch wahnsinnig müde. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Seine Entschuldigung löste ein seltsames Gefühl in mir aus und auch, dass ich ihm gesagt hatte, dass er das vergessen sollte, fühlte sich wirklich ziemlich mies an. Denn im Grunde genommen wollte ich das nicht vergessen. Ich hatte nicht genau gewusst, was ich da eigentlich gesagt hatte, als ich meinte, dass ihm das nicht Leid tun musste. Aber das musste es doch auch gar nicht! Immerhin hatte es mir gefallen, egal wie große Angst mir das machte.

Über all diesen Gedanken war ich irgendwann doch noch in einen relativ unruhigen Schlaf gefallen, auch wenn es so viel gab, dass mich wach halten wollte, mein biologisches Bedürfnis nach Schlaf siegte letztendlich doch. Ich merkte im ersten Moment nicht so recht, weshalb ich wieder wach geworden war, brauchte einige Augenblicke um überhaupt zu realisieren, dass ich eingeschlafen war. Ein leises, unruhiges Atmen ließ mich einige Male blinzeln.

„Mr... Mr. Courten...“, hörte ich leise und brüchig eine Stimme neben mir und setzte mich erschrocken auf, als mir trotz schläfriger Trägheit in den Kopf kam, was passiert war und wer als einziger gerade meinen Namen sagen konnte.

„David?“, flüsterte ich und versuchte ihn trotz der Dunkelheit zu erkennen. Meine Augen gewöhnten sich recht schnell an die schlechten Lichtverhältnisse, und so sah ich David vor meinem Bett stehen, nervös, leicht zitternd, sein Brustkorb senkte sich unter seinem T-Shirt unnormal schnell und stark.

„Es... es tut mir leid, dass ich Sie... auf- aufgeweckt habe“, flüsterte er. „Aber ich... ich habe von ihm geträumt und er hat mich wieder geschlagen, so oft und...“

David beugte sich ein wenig hinab, stützte seine Hände auf die Oberschenkel und atmete tief durch, als fiel es ihm schwer, gerade stehen zu bleiben.

„Ich hab Angst“, flüsterte er.

Ich sah ihn einige weitere Momente an, sah, wie er mit sich rang, sah, wie ehrlich er es meinte, dass ihm leid tat, dass er mich geweckt hatte. Ich wusste nicht, was ich denken sollte, ich spürte eine seltsame Mischung von Gefühlen. Einerseits jagte es mir einen gehörigen Schrecken ein, wie große Angst er hatte, andererseits war ich plötzlich glücklich, dass er mir so viel Vertrauen schenkte und dass er gerade zu mir kam um vermeintlich Schutz vor seinem Vater zu suchen.

„Hey, ganz ruhig“, flüsterte ich also. „Komm, leg dich hin, David.“

Wie als würde er zusammenbrechen, ließ er sich auf die Matratze sinken, während ich die Bettdecke ein wenig anhob und er zögernd ein wenig darunter rutschte. Ich versuchte den Gedanken, wie obskur diese Situation war, zu verdrängen, aber es war zu seltsam, als dass das hätte funktionieren können. Ich lag gerade schon wieder mit einem Schüler im Bett, aber hey, er hatte Angst, ich tat doch wohl nichts anderes als ihm wenigstens ein bisschen Schutz zu gewähren!

„D...Danke“, meinte David leise und ohne mich anzusehen, anscheinend war es ihm doch recht unangenehm, dass er solche Angst hatte. Aber wer konnte ihm das in seiner Situation schon verdenken?

„Kein Problem, David“, entgegnete ich ebenso leise und lächelte etwas. Einige Zeit lagen wir einfach stumm nebeneinander, David auf dem Rücken, ich auf der Seite. Er sah ziemlich unentspannt aus, wusste wohl nicht recht, was er tun sollte, hatte wahrscheinlich Angst, durch irgendeine Bewegung den Abstand zwischen uns zu verringern und mich damit zu verschrecken.

„Du solltest schlafen. Du brauchst keine Angst zu haben, dir wird niemand etwas tun, entspann dich“, flüsterte ich und David drehte seinen Kopf kurz zu mir und sah mich an. Er nickte zögernd und schloss seine Augen. Ich legte mich ebenfalls wieder richtig hin, legte meinen Kopf auf meinen Oberarm und wartete, dass David sich entspannte und einschlief. Allerdings schien ihm das ziemlich schwer zu fallen, und das wollte ich nicht. Außerdem tat es mir leid, dass er solche Angst hatte, und ich wollte ihn trösten, wollte ihn zur Ruhe kommen lassen.

Ich atmete noch einmal tief durch und rutschte dann zu ihm herüber. Vorsichtig legte ich einen Arm um seinen Körper, merkte, wie er dabei erschrak und für einen Moment den Atem anhielt. Meinen zweiten Arm streckte ich nach oben, lehnte meinen Kopf auf ihn und somit auch ein klein wenig gegen Davids Kopf. Der begann sich nach einiger Zeit doch tatsächlich endlich zu entspannen und atmete ruhiger. Zaghaft begann ich über seine Seite zu streicheln, bewegte meine Finger ganz unbewusst über seine Haut, die ich warm durch den Stoff seines T-Shirts spürte.

Wenig später rückte David noch etwas näher zu mir und kuschelte sich an meine Brust, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich hatte kein T-Shirt angezogen und fühlte seinen Atmen sanft über meine Haut streichen. Er merkte anscheinend auch, dass ich kein Oberteil anhatte, schreckte deshalb allerdings nicht zurück, sondern drückte sich nur noch fester an mich, während sein Atem dabei begann, immer flacher zu werden. Es fühlte und hörte sich fast an, als gefiel es ihm.

„Gute Nacht, David“, flüsterte ich leise und streichelte weiterhin sanft über seine Seite, ließ meine Finger hin und wieder ein wenig über seinen Bauch streichen.

„Gute Nacht“, hörte ich ihm fast schon hauchen und spürte, dass er seinen Arm anhob und zaghaft seine Hand auf meinen Arm legte, den ich um seinen Körper geschlungen hatte. Zärtlich strichen seine Finger über meine Haut, während er noch ein wenig näher an meine Brust rutschte.

Kapitel 29 – David

Ich verstand erst, was ich getan hatte, als es bereits zu spät war, einen Rückzieher zu machen. Nervös biss ich auf meiner Unterlippe herum, während ich starr auf meine Hände sah. Ich spürte Mr. Courtens Blicke, als ich an seinem Bett stand und ihm von diesem fürchterlichen Traum mit meinem Vater erzählte, der mich aus meinen Schlaf gerissen hatte. Es war so kindisch, was ich hier tat. Gerade fühlte ich mich mehr so, als wäre ich fünf und nicht fünfzehn Jahre alt. Und selbst damals war ich nicht wegen einem dummen Alptraum zu jemanden ans Bett gekommen und hätte denjenigen aufgeweckt. Wieso tat ich das also jetzt?

Mr. Courten war mein Lehrer! Es war schon viel zu viel gewesen, dass er mich überhaupt bei sich aufgenommen hatte. Das hätte er nicht tun müssen, schließlich war er nicht für meine privaten Angelegenheiten zuständig, die außerhalb der Schule vor sich gingen. Er war da, um mir etwas beizubringen, um seinen Job zu machen. Immer wieder spielte sich dieser vernünftig klingende Gedanke in meinem Kopf ab, aber jedes Mal kam ein anderes Gefühl hinzu, das diesen Gedanken einfach ausschalten konnte. Ich begann mich langsam diesem Gefühl zu beugen, da ich wusste, dass ich es sowieso nicht kontrollieren, geschweige denn ausstellen konnte.

Nur jetzt hier zu stehen, in dem Schlafzimmer meines Lehrers und ihm zu erzählen, dass ich einen Alptraum gehabt hatte, dass ich wusste, wie er aussah, wenn er schlief, dass ich freien Blick auf seine nackten Schultern hatte… all das hatte so etwas Intimes an sich, dass mir richtig heiß wurde, je länger ich über diese Situation nachdachte.

Ich war ihm eine Erklärung schuldig, das wusste ich. Ich musste ihm sagen, wieso ich hier stand und ihn aufgeweckt hatte.

Langsam blickte ich also in sein Gesicht, das ich im Dunkeln nur schemenhaft erkennen konnte. „Ich habe Angst“, flüsterte ich wahrheitsgemäß.

Es stimmte, denn müsste ich zurück in sein Wohnzimmer auf die Couch, würde ich vermutlich die restliche Nacht kein Auge mehr zutun können, aus Angst, der Alptraum würde noch einmal zurückkommen.

Ich wollte Mr. Courten noch so viel erklären, nämlich, dass es mir leid tat, wie kindisch ich mich benahm und dass ich doch versuchen würde, wieder einzuschlafen, doch noch bevor ich irgendeinen meiner Gedanken aussprechen hätte können, kam er mir zuvor.

„Hey, ganz ruhig“, meinte er leise. Seine Stimme klang beruhigend und ich spürte eine innere Wärme in mir aufkommen, die mich wunderbar einlullte.

„Komm, leg dich hin, David“, redete er weiter, und ich konnte ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen.

Mit einem Male hatte sich die angenehme Wärme verflüchtigt und stattdessen klopfte mir mein Herz nun bis zum Halse. Ich glaubte erst, mich verhört zu haben, doch als Mr. Courten dann seine Bettdecke ein wenig zurückschlug und mich vollkommen ernst ansah, wusste ich, dass ich mir seine Worte nicht nur eingebildet hatte.

Ich wurde noch nervöser, als ich es ohnehin schon war, als ich mich langsam auf seine Matratze setzte und heftig diesen dicken Kloß in meinem Hals hinunter schlucken wollte. Ich wusste nicht, ob das hier richtig war. Ich wusste es wirklich nicht. Mir war nur eines klar, schlafen könnte ich bestimmt nicht mehr. Alles in meinem Körper war angespannt, als ich mich vorsichtig neben Mr. Courten legte.

Ich versuchte, so gut es ging, meine Nervosität zu verstecken, doch das war kaum möglich, und so lag ich wie ein Brett auf dem Rücken und starrte an die Decke. Alles war so unwirklich, ich konnte dieses Gefühl überhaupt nicht beschreiben, wie es war, neben ihm zu liegen und zu wissen, dass er vermutlich nicht mehr trug, als eine Boxershorts, und dass sein Körper meinem so verboten nahe war.

Um die Situation nicht noch peinlicher werden zu lassen, indem ich jetzt in unsichere Schweigsamkeit versinken würde, stammelte ich ein leises „Danke“ hervor, das sich so anhörte, als käme es von überall her, aber nicht aus meinem Munde.

„Kein Problem“, erwiderte er sogleich. An seiner Stimme konnte ich erkennen, dass es ihm tatsächlich nichts ausmachte, was ich hier abzog. In gewisser Weise machte mich das stutzig. Welcher Lehrer wollte schon mit einem Schüler sein Bett teilen, nur, weil diesen ein Alptraum plagte? Vielleicht war es aber auch nur Mr. Courtens Hilfsbereitschaft, die all das ermöglichte. Nicht mehr und nicht weniger.

Nachdem er mir versichert hatte, dass ich keinerlei Angst mehr zu haben brauchte und dass ich mich entspannen sollte, nahm ich meinen Mut zusammen und blickte zu ihm. Er lächelte noch immer.

Ich war komplett sprachlos, als ich ihn da so liegen sah. Er sah so…so gut aus. Unglaublich, unbeschreiblich. Mir verschlug es einfach die Sprache, als ich ihn ansah. Am liebsten hätte ich ihn die ganze Nacht angeschaut, aber schon nach wenigen Sekunden schloss ich die Augen und tat so, als würde ich schlafen wollen. Nur war es verdammt schwer, das glaubhaft zu machen, denn egal, wie sehr ich mich auch bemühte, ich schaffte es einfach nicht, meinen Körper zu entspannen. Die ganze Zeit dachte ich an Mr. Courten, der da neben mir war, ich, der in seinem Bett lag und mich in seinem Kissen zur Ruhe zwang. Wieder stieg mir sein guter Geruch in die Nase, der mir ein leichtes Schwindelgefühl verursachte.

Und als ich dann plötzlich einen Arm um meinen Körper spürte, schien ich nicht mehr fähig zu sein, irgendeinen klaren Gedanken fassen zu können. Was tat er da? Was machte er nur mit mir? Hatte er auch nur die leiseste Ahnung, was er mit dieser stummen Geste in mir auslöste? Noch einmal spürte ich, wie sich alles in mir zusammenkrampfte und wie ich den Atem anhielt, aus Angst, ich könnte aufkeuchen. Doch als wir eine Weile so dalagen, ich Mr. Courtens Kopf sanft gegen meinen gedrückt spürte und sein leichter Atem mein Gesicht streichelte, fühlte ich mit einem Male eine wunderbare Geborgenheit in mir aufkommen, die nach und nach all meine Anspannungen nahm.

Der Gedanke an die Absurdität dieser Situation verabschiedete sich und nur noch ihn in meinem Kopf zu haben, machte mich fähig, den Abstand zwischen unseren Körpern noch weiter zu verringern und mich an seinen Oberkörper anzuschmiegen. Ein heißer Schauer durchfuhr mich, als ich seine weiche Haut spüren konnte. Alles war so unglaublich und fühlte sich an, als würde es ein weiterer Traum sein, der mich für den Nachtmahr mit meinem Vater entschädigen wollte. Wenn es nur ein Traum war, so wollte ich keinesfalls mehr aufwachen. Dieser Moment war einfach zu schön.

Ich zitterte ein wenig, als ich Mr. Courtens Fingerspitzen fühlte, die sanft über meinen Körper strichen. Ein weiteres Mal biss ich mir auf die Lippen, diesmal jedoch nicht, weil ich mich schämte, sondern weil das alles so wunderschön und kaum auszuhalten war.

Ich zog die Luft scharf ein, jedes Mal, wenn er Stellen an meinem Körper erwischte, an denen ich seine Zärtlichkeiten besonders gern spürte. Ich war durch und durch erfüllt von einem Glücksgefühl. Seit Tagen, seit Wochen waren endlich einmal all meine finsteren Gedanken aus meinem Kopf verschwunden und ich konnte etwas genießen, das ich noch nie zuvor empfunden hatte. Noch niemand hatte so etwas getan, was Mr. Courten da gerade tat. Es war eine Tätigkeit, die heftige Schauer in mir auslöste und meinen Atem beschleunigen ließ.

Ich fühlte ein angenehmes Pochen zwischen meinen Beinen, das ich nicht wirklich zuordnen konnte. All das waren Dinge, die ich nie zuvor gespürt hatte, und dennoch jagten sie mir in diesem Moment keine Angst ein, sondern gaben mir eher ein Gefühl nach absoluter Vollkommenheit.

„Gute Nacht, David“, flüsterte er nach einer Weile. Seine Finger ließen von meinem Rücken ab und wanderten zu meinem Bauch. Ganz vorsichtig fuhr er unter das T-Shirt, das ich trug und berührte meine heiße, nackte Haut. Ich presste meine Lippen aufeinander, damit mir kein Keuchen entfliehen konnte und versuchte es weiterhin stumm zu genießen.

Doch das bloße Daliegen und auf seine Berührungen reagieren war mir nicht genug, auch ich verspürte nun dieses Verlangen, ihn anzufassen. Seine weiche, wohl duftende Haut machte mich schier willenlos.

Und so hob ich zaghaft meinen Arm und berührte Mr. Courtens Rücken, fuhr langsam seine Wirbelsäule entlang und bemerkte zu meinem Entzücken, dass er auf diese Berührung reagierte, indem sich sein Körper leicht anspannte.

Kapitel 30 – Andy

Blinzelnd wachte ich am nächsten Morgen auf und sah dabei, dass es noch fast eine halbe Stunde zu früh war um aufzustehen. Leise grummelnd schloss ich meine Augen wieder und schmiegte mein Gesicht an Davids Kopf. Und während ich tief durchatmete und ihn ein wenig mehr an meinen Körper drückte, wurde mir plötzlich bewusst, was ich da tat. Erschrocken riss ich meine Augen auf, hob meinen Kopf und blickte ihn an. David lag friedlich schlafend in meinen Armen, hatte eine seiner Hände auf seiner Brust liegen, die ich mit meiner umschlungen hatte. Sein Kopf lag an meiner Brust und ich spürte seinen Atmen leicht über meine Haut streichen.

„Oh mein Gott“, flüsterte ich tonlos, ließ meinen Kopf wieder sinken. Gedankenlos streichelte ich mit der Hand über seine und merkte, dass mein zweiter Arm unter seinem Hals lag, meine Hand auf seinem Oberarm ruhte. Mit geschlossenen Augen ließ ich meine Gedanken zurück zur letzten Nacht wandern. Wieder sah ich vor mir, wie David vor meinem Bett gestanden hatte und wieder hörte ich seine leise, brüchige Stimme, als er sagte, dass er Angst hatte. Es war in dem Moment schrecklich richtig gewesen, ihn sich zu mir legen lassen und auch wenn meine Vernunft protestierte, war es ein wunderschönes Gefühl, dass er neben mir lag und ich ihn festhalten durfte.

Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich daran zurückdachte, wie er vorsichtig begonnen hatte über meinen Rücken zu streicheln. Es hatte sich atemberaubend schön angefühlt, wie er mich berührt hatte und es hatte sich wahnsinnig toll angefühlt, dass ich ihn ebenfalls berühren durfte. Vorsichtig ließ ich seine Hand aus meiner gleiten und fuhr etwas tiefer. Davids Shirt war ein bisschen hinaufgerutscht und hatte somit einen schmalen Streifen Haut entblößt, über den ich nun behutsam meine Fingerspitzen streicheln ließ. Er hatte so wundervoll weiche Haut... Sanft legte ich meine gesamte Handfläche auf seinen Bauch und fuhr ein klein wenig unter sein T-Shirt.

Leise seufzte David auf und ich erstarrte für einen Moment. Er bewegte sich ein bisschen, schmiegte sich noch ein wenig mehr an meinen Oberkörper, seufzte ein weiteres Mal auf und lag wieder still da. Langsam streichelte ich nur noch mit dem Daumen über seinen Bauch und vergrub mein Gesicht sachte in seinen Haaren. Einige Zeit genoss ich es noch ihn zu berühren und einfach nur neben ihm zu liegen, seufzte dann leise auf, nachdem ich auf dem Wecker gesehen hatte, dass er mich in wenigen Minuten wecken wollte. Vorsichtig nahm ich meine Hand von seinem Bauch – nicht ohne noch einmal sanft über seine Haut gestreichelt zu haben – und zog meinen Arm unter seinem Hals hervor. David seufzte nur leise im Schlaf und ich lächelte.

Ich kletterte aus dem Bett und schaltete meinen Wecker ab, bevor er klingeln konnte. David sollte noch mindestens einen Tag zu Hause bleiben, bevor er wieder in die Schule kam, also musste er nicht so früh aufstehen. Zu Hause bleiben? Er sollte bei mir bleiben und nicht zu Hause! Langsam trottete ich zur Tür und schloss sie leise hinter mir, als ich im Flur stand. Gähnend trat ich ins Bad, streifte meine Boxershorts ab und stieg erst einmal unter die Dusche. Mit geschlossenen Augen ließ ich das Wasser auf mein Gesicht prasseln und legte meine Hände in meinen Nacken. Wieder schweiften meine Gedanken zur letzten Nacht, wieder spielte sich vor meinen Augen ab, wie meine Finger das erste Mal vorsichtig unter den Stoff seines T-Shirts gefahren waren.

Es war einfach umwerfend gewesen, dass wir diese Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten, uns gegenseitig berührt hatten. Es hatte sich so vertraut angefühlt, ich hatte mich wahnsinnig wohl gefühlt und zum allerersten Mal fühlte ich mich in dieser Stadt, in dieser Wohnung wirklich zuhause und – auch wenn mir das ein klein wenig Angst machte – David war der Grund dafür. Ganz einfach nur, weil er in meinem Bett lag und ich wusste, dass ich nicht alleine hier war.

Ein weiteres Mal leise seufzend trat ich wenig später wieder aus dem Bad. Noch mit feuchten Haaren und nur einem Handtuch um die Hüften trottete ich in die Küche und machte Frühstück. Lächelnd stellte ich Geschirr für zwei auf den Couchtisch und merkte dabei, dass ich dringend endlich einen richtigen Tisch besorgen sollte, mit ein wenig gutem Willen ließ sich im Wohnzimmer sicher noch ein bisschen Platz schaffen. Es war ein tolles Gefühl, für zwei Leute zu decken, und ich gestand mir langsam aber sicher ein, dass ich es vermisst hatte, mal nicht alleine zu sein.

Während die Kaffeemaschine für meinen wirklich nötigen morgendlichen Kaffee sorgte, ging ich leise zurück ins Schlafzimmer. David lag noch immer friedlich schlummernd in meinem Bett, hatte die Hände neben seinen Kopf gelegt und sein T-Shirt-Ärmel war dabei etwas hochgerutscht und legte seine Schulter frei. Fasziniert kniete ich mich vor das Bett und ließ zaghaft meine Fingerspitzen seine warme Haut berühren. Lächelnd strich ich über seinen Oberarm und seine Schulter, genoss das Gefühl diese Haut berühren zu können. Wie von Sinnen beugte ich mich vorsichtig etwas nach vorne und ließ meine Lippen leicht seine Schulter berühren.

David seufzte leise – natürlich immer noch schlafend – und seine Lippen verzogen sich plötzlich zu einem leichten Lächeln. Ich erwiderte dieses Lächeln unkontrolliert, erhob mich wieder und zwang mich, den Blick von ihm abzuwenden. Langsam schritt ich zu meinem Schrank und suchte nach frischen Klamotten. Fündig geworden, löste ich das Handtuch von meiner Hüfte und ließ es auf den Boden gleiten. David schlief ja schließlich selenruhig. Ich schlüpfte in Boxershorts, Jeans und ein schwarzes Polohemd – Kragen war ja immerhin mehr oder weniger Pflicht als Lehrer – und suchte wenigstens noch ein frisches T-Shirt für David heraus.

Ich überlegte einen Moment, ob ich nicht noch andere Klamotten hatte, die mir zu klein waren und fand tatsächlich noch sogar ungetragene Boxershorts, die ich mal von einem Freund zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, die definitiv viel zu klein für mich waren. Ich lächelte und legte die Sachen auf den Hocker gegenüber des Bettes. Noch einmal blickte ich auf den schlafenden David herab.

„Machs gut“, flüsterte ich leise, fuhr kurz mit der Hand durch seine Haare und verließ das Schlafzimmer wieder. Mit einem Blick auf die Uhr, die mir sagte, dass ich noch eine viertel Stunde Zeit hatte, bis ich mich auf den Weg machen musste, ging ich die Küche und schenkte mir Kaffee in eine Tasse. Wieder im Wohnzimmer ließ ich mich aufs Sofa fallen, das noch immer ausgezogen war und begann zu frühstücken. Nebenbei packte ich meine restlichen Sachen vom Vorabend zurück in meine Tasche, zog als letztes einen Notizblock aus der Tasche und suchte einen Kugelschreiber.

„Guten Morgen! Ich hoffe, du hast gut geschlafen, geweckt habe ich dich vorsichtshalber nicht, du solltest heute noch nicht wieder in die Schule. Im Schlafzimmer liegen ein paar Klamotten für dich – keine Sorge, sie sind ungetragen! –, Essen steht hier und Kaffee in der Küche. Du kannst im Bad benutzen, was du willst, Handtücher sind im Schrank. Ich werde spätestens gegen drei wieder hier sein. Ruh dich noch ein wenig aus, David! Bis heute Nachmittag, A. Courten.“

Ich sprach den Text leise mit und fand, dass sich das gut anhörte, nicht zu trocken, aber auch nicht zu vertraut. Den Zettel legte ich auf den Tisch, direkt neben den zweiten Teller und packte meine Sachen zurück in meine Tasche. Auch wenn ich es eigentlich eben nicht tun wollte, ging ich doch noch einmal kurz zurück ins Schlafzimmer, nachdem ich mir Schuhe angezogen hatte. Er lag noch immer da und schlief und natürlich musste ich lächeln, als ich das sah. Es war schön, dass David endlich mal genug Ruhe bekam und es war noch viel schöner zu sehen, dass er gerade in diesem Moment nicht traurig war, dass er sich sicher wohl fühlte. Sicher würde sich all das wieder einrenken, jetzt wo ich selbst wusste, dass es ihm gut ging, dass ihm nichts passieren konnte, fühlte auch ich mich wieder sehr viel besser als in den letzten Tagen.

Kapitel 31 – David

Wärmende Sonnenstrahlen fielen auf mein Gesicht und holten mich langsam aus einem angenehmen Schlaf in die Realität zurück. Ich hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig ein und aus. Ich genoss diese Stille, die mich umgab.

Ich hatte Angst, mich umzuschauen, denn vielleicht war all das, was gestern Nacht passiert war, wirklich nur eine Wunschvorstellung gewesen, die ich in einer Art Fiebertraum gehabt hatte. In gewisser Weise kam es mir noch immer so vor wie ein Traum.

Meine Finger strichen über die Bettdecke und strichen sie ein wenig glatt. Erst nach einigen Anläufen traute ich mich dann endlich die Augen zu öffnen. Und tatsächlich, ich lag noch immer in diesem Zimmer und in diesem Bett. Auf meine Lippen zauberte sich sofort ein zufriedenes Lächeln und ich wandte den Kopf zur Seite.

Fast hatte ich es erwartet. Mr. Courten lag nicht mehr neben mir. Aber ein Blick auf seinen Wecker verriet mir sogleich den Grund für seine Abwesenheit. Es war halb zehn. Er war in der Schule und unterrichtete im Moment meine Klasse.

‚Er hat mich nicht geweckt’, dachte ich im nächsten Moment. Wollte er mich weiter schlafen lassen oder wäre es ihm unangenehm gewesen, mich aufzuwecken? Auch wenn es eine recht scheußliche Vorstellung war, konnte ich mir gut vorstellen, dass er heute Morgen die ganzen Ereignisse des gestrigen Tages mit anderen Augen gesehen hatte.

Ich hatte ihn geküsst.

Bei dem Gedanken biss ich mir auf die Unterlippe. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit. Es war nicht richtig, was ich da getan hatte. Überhaupt nicht richtig!

Mr. Courten war mein Lehrer; ich durfte ihn nicht einfach küssen und schon gar nicht begehren. Ich durfte es einfach nicht.

Aber ebenso war es ihm doch auch verboten. Zählte das, was er mit mir gemacht hatte, unter ein Verbot? Wir hatten in einem Bett geschlafen und er hatte mich berührt. Ich hatte seine wunderschönen Hände auf meiner heißen Haut gespürt. Wieso hatte er das getan? Um mich zu beruhigen, weil ich Angst gehabt hatte? Weil ich krank war? Oder weil er vielleicht auch etwas für mich…

Ich hielt in meinem Gedankenfluss inne und atmete tief durch. Verrenne dich nicht in etwas, David! Das Vernünftigste wäre, einfach nicht mehr über diese ganzen Sachen nachzudenken. Aber es war so verdammt schwer, all das einfach zu verdrängen. Seit Monaten passierte in meinem Leben wieder etwas Schönes, vielleicht sogar das Schönste, was ich jemals erlebt hatte. Und ich durfte es noch nicht einmal richtig genießen. War das fair?

Nein, natürlich war es das nicht.

Aber ich wollte es doch! Ich wollte all das erleben, was ich gerade empfand und was ich mir wünschte. Ich wollte ihn zurück bei mir haben. Seine Arme sollten wieder meinen Körper an seinen drücken und seine Finger sollten erneut unter mein T-Shirt wandern. Ich wollte noch einmal diese Gänsehaut und diese heißen Wellen spüren, die meinen Körper leicht zittern ließen. Und wenn ich all das nicht noch einmal spüren durfte, so wollte ich wenigstens, dass er hier war. Seine Augen, sein Lächeln, ich vermisste ihn schon jetzt.

Ich schloss erneut die Augen und vergrub mein Gesicht in Mr. Courtens Kopfkissen. Seinen Geruch nahm ich so fest in mir auf, wie es mir möglich war und es benebelte mich richtiggehend. Ich liebte seinen Geruch. Alles an ihm war wundervoll. Einfach alles.

Mit einem leichten Lächeln erinnerte ich mich plötzlich an unsere erste Begegnung zurück und an die darauffolgenden Tage, in denen ich ihn so schrecklich gefunden und fast schon verachtet hatte. Ich war froh, dass ich zur Vernunft gekommen war und nun die Gelegenheit hatte, ihn besser kennen zu lernen, als es all meinen Mitschülern jemals möglich sein würde.

Das war ein tolles Gefühl.

Nach einer Weile beschloss ich dann schließlich aufzustehen. Erst als ich aus dem Bett stieg, fiel mir auf, dass es mir sonderbar gut ging. Ich befühlte meine Stirn und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass mein Fieber anscheinend weiter gesunken war. Vielleicht war es auch vollkommen verschwunden.

Das lag mit Sicherheit hauptsächlich an der guten Pflege, die ich von Mr. Courten bekommen hatte. Ich verspürte ein Gefühl höchster Dankbarkeit für ihn. Er hätte all das nicht tun müssen. All das war nicht die Aufgabe eines Lehrers und trotzdem war er für mich da.

Mein Herz klopfte schneller bei diesem Gedanken und ich lächelte schon das dritte Mal an diesem Morgen.

Ich richtete das Bett ein wenig zurecht und lief dann ins Wohnzimmer. Ein leichter Kaffeegeruch stieg mir in die Nase und ich sah auf dem Tisch ein kleines Frühstück.

Ich war wirklich baff, dass er sogar das für mich getan hatte. Doch auf dem Tisch befand sich noch mehr als nur das Frühstück. Neben dem unbenutzten Teller lag ein Zettel.

Ich schritt näher an den Tisch und bemerkte schließlich, dass es eine Nachricht für mich war.

„Guten Morgen! Ich hoffe, du hast gut geschlafen, geweckt habe ich dich vorsichtshalber nicht, du solltest heute noch nicht wieder in die Schule. Im Schlafzimmer liegen ein paar Klamotten für dich – keine Sorge, sie sind ungetragen! –, Essen steht hier und Kaffee in der Küche. Du kannst im Bad benutzen, was du willst, Handtücher sind im Schrank. Ich werde spätestens gegen drei wieder hier sein. Ruh dich noch ein wenig aus, David! Bis heute Nachmittag, A. Courten.“

Ich spürte eine angenehme Wärme in mir aufkommen und ich las die Zeilen wieder und wieder. Erst langsam konnte ich all das realisieren. Diese Fürsorge und diese zärtlich formulierten Sätze!

Ich hätte in diesem Moment schreien können vor Glück.

„Andrew“, flüsterte ich liebevoll, während ich seine Unterschrift vorsichtig mit dem Finger nachfuhr. Ein schöner Name.

Ich setzte mich an den Tisch und aß erst einmal ein Brötchen und träumte bereits davon, wie es wäre, wenn er wieder zu Hause sein würde.

Diese Tatsache bescherte mir ein Bauchkribbeln nach dem anderen. Wie beschwingt räumte ich schließlich den Tisch ab und lief zurück ins Schlafzimmer, um die Sachen anzuziehen, die mir Mr. Courten herausgelegt hatte.

Eine frische Boxershorts lag da und ein T-Shirt. Ich nahm die Sachen und lief damit ins Bad. Mr. Courten hatte ja gemeint, ich dürfte benutzen, was ich wollte. Natürlich wollte ich nicht unhöflich sein, aber eine Dusche wäre mit Sicherheit nicht verkehrt.

Ich entledigte mich also meiner Klamotten und hüpfte unter die Dusche. Warmes Wasser prasselte auf mich nieder und ich schloss genießerisch die Augen, als ich mich einseifte.

Es war unglaublich, wie gut ich mich fühlte. Ich war wie ein neuer Mensch.

Nach der Dusche trocknete ich mich ab und zog die frischen Sachen an, die mir Mr. Courten bereit gelegt hatte.

Meine Haare rubbelte ich weitgehend trocken und lächelte meinem Spiegelbild zu. Dann fiel mein Blick auf die kleine Uhr, die über der Türe im Bad hing und mein Herzklopfen beschleunigte sich weiter. Es war schon nach ein Uhr.

In zwei Stunden wäre er zurück. Zwei Stunden. Eigentlich war das viel zu lange.

Ich wollte so gerne, dass er jetzt schon zurück wäre. Ich wollte ihn bei mir haben. Mit einem seltsamen Gefühl der Sehnsucht ging ich zurück ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch nieder. Meine Haut duftete nach Duschgel. Ich bildete mir ein, dass es ein bisschen nach Mr. Courten roch, aber vermutlich würde kein Shampoo der Welt an seinen guten Geruch rankommen. Das war nun einmal er. Dieser leicht männliche, leicht süßliche Duft.

Ich spürte einen angenehmen Schauer über meinen Rücken fahren, als ich daran dachte. Und es war ein unglaubliches Gefühl.

Kapitel 32 – Andy

Wenn es eins gab, was ich an meinem Beruf sofort, ohne nachzudenken, geändert hätte, wären es diese schrecklichen, zeitfressenden Beaufsichtigungen während Arbeiten. Die Klasse eines Kollegen schrieb einen zweistündigen Test – und ich musste sie beaufsichtigen. Es war mittlerweile kurz vor ein Uhr, meinen Unterricht hatte ich hinter mich gebracht und da die Klasse, die ich während der beiden Stunden hatte, auf Exkursion war, musste ich als Aufsicht einspringen.

Das Schlimmste war, dass ich es bisher geschafft hatte, genug Stress zu haben, dass ich kaum hatte nachdenken müssen. Ich wollte momentan nicht mehr nachdenken und nach der Schule einfach nach Hause fahren und ihm ohne nachgedacht zu haben gegenüber treten. Allerdings hatte ich nun zwei Stunden lang nichts zu tun, durfte nicht korrigieren oder lesen und so begannen meine Gedanken mich zu quälen. Es war tatsächlich ziemlich quälend, an David zu denken.

Einerseits machte es mir dieses wunderschöne Gefühl und die Erinnerung an die letzte Nacht kaputt, in mir schaltete sich nämlich augenblicklich meine Vernunft wieder ein, die es mir verlässlich verbot, all das nur schön zu finden. Ich durfte nicht mit ihm in einem Bett schlafen, durfte ihn nicht derart berühren, durfte nicht zärtlich zu ihm sein, was ich in der vergangenen Nacht definitiv gewesen war.

Andererseits begann dieses Nachdenken ein sehr unangenehmes Gefühl in mir auferstehen zu lassen, nämlich Unsicherheit. Natürlich, David hatte mich am Vorabend sogar geküsst und er hatte meine Berührungen ja auch erwidert, aber ich hatte plötzlich Angst davor, dass er sich dazu verpflichtet gefühlt hatte, diese Zärtlichkeiten zu erwidern. Was war, wenn dieser Kuss nichts anderes gewesen war, als Unwissen von ihm, wie er sich für meine Fürsorge bedanken sollte? Was, wenn er mich nur ebenfalls berührt hatte, weil er gedacht hatte, er müsste es tun, damit ich ihn nicht zurückschickte?

Selbstverständlich hatte ich das nicht getan, nur damit er es mir gleichtat! Ich hatte, wenn ich ehrlich war, nicht einmal erwartet, dass er mich tatsächlich ebenfalls berühren würde und es hatte sich einfach nur traumhaft angefühlt, dass er es getan hatte. Letzte Nacht war dieses Erwidern meiner Zärtlichkeiten in meinen Augen nicht mehr, als ein Beweis gewesen, dass er es genoss, dass ich ihm so nahe war und auch ein normales Maß an Dankbarkeit – als wäre er eben glücklich darüber gewesen, dass ich da war. Es war so einfach und selbstverständlich gewesen letzte Nacht, doch nun plagten mich diese Gedanken und Zweifel, die ich wirklich verfluchte.

Was zur Hölle war das nur zwischen David und mir? Ich hatte keine Ahnung mehr, was da vor sich ging. Bis gestern hatte ich diese Gefühle, diesen Zwang zu wissen, dass es ihm gut ging, darauf geschoben, dass ich wusste, was er für Probleme hatte und nicht mit ansehen wollte, wie sein Vater ihn kaputt machte. Ich war eben einfach nur besorgt um das Wohl eines Schülers gewesen – etwas, das ich sein musste und durfte. Nur gestern Nacht hatte ich gewusst, dass ihm nichts passieren würde, wenn er auf meinem Sofa schlief und trotzdem hatte ich mit ihm in einem Bett geschlafen und hatte angefangen ihn zu berühren, zu streicheln.

Und wie sah es mit ihm aus? Wenn ich ganz objektiv war, dann musste ich zugeben, dass David meine Nähe suchte. Schon als er in der Schule zusammengebrochen war, hatte er sich in seinem Dämmerzustand an mir festgehalten, hatte sich fest an meinen Körper gedrückt. Und gestern? Er hatte neben meinem Auto gesessen, er hatte auf mich gewartet und er hatte sich weinend in meine Arme geworfen, als ich da gewesen war. David hatte in diesem Moment gerade meine Nähe gesucht, mental und auch körperlich. Er hatte Schutz in meinen Armen gesucht.

Noch dazu kam diese Sache mit dem Kuss, den ich mir einfach nicht erklären konnte. War das Dankbarkeit gewesen? Hatte er damit einfach meine Nähe gesucht, weil er sich anscheinend sicher bei mir fühlte? Hatte es vielleicht einen ganz anderen Grund, dass David gerade zu mir kam, wenn etwas nicht in Ordnung war, und hatte er mich vielleicht deshalb geküsst? Normal küsste man doch Menschen, wenn man sie... liebt? Waren Davids Ambitionen dieser Natur?

Und wieder – wie sah es da bei mir aus? Natürlich, ich mochte David sehr. Aber ich kam langsam nicht mehr damit zurecht. Wie sehr mochte ich ihn? Ich wusste, dass ich nicht zu weit gehen durfte, aber wenn ich ehrlich zu mir war, ich war schon viel zu weit gegangen, sowohl mit meinem Handeln, als auch mit meinen Gefühlen. Ich belog mich selbst dabei, wenn ich weiterhin all das auf meine Sorge um seine physische und psychische Gesundheit schob – ich war nicht nur besorgt.

Ich seufzte tonlos und fühlte mich denkbar hilflos. Diese ganze Sache begann mich zu überfordern und ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte, weil all das Dinge in mir auslöste, die ich eigentlich nicht hätte fühlen dürfen. Davids Nähe und seinen Körper so direkt an meinem zu spüren war atemberaubend gewesen und Himmel – ich konnte nichts dagegen tun! Zwar wusste ich ganz genau, dass ich das nicht durfte, aber es würde nichts an meinen Gefühlen ändern, wenn ich das länger gedanklich totschwieg. Ich mochte David definitiv mehr, als ich das sollte, und zwar schon die ganze Zeit. Hätte ich sonst eine halbe Stunde lang auf eine Teetasse gestarrt, nachdem er mich geküsst hatte?


Ich zögerte, als ich mit dem Schlüssel in der Hand aus dem Aufzug trat. Es war kurz nach drei Uhr, ich hatte ihm geschrieben, dass ich gegen drei Uhr zurück sein würde und es hatte geklappt, auch wenn die spontane Bitte noch in einer anderen Klasse die zweite Hälfte eines Tests Aufsicht zu führen, das fast ins Wanken gebracht hätte. Aber nun war ich hier, musste ihm gegenüber treten, ohne zu wissen, wie ich das machen sollte. Dieses Unwissen über das, was auch immer zwischen uns war, fühlte sich scheußlich an, aber wie sollte ich das denn ändern?

Mit einem tiefen Durchatmen schritt ich zu meiner Wohnungstür und schloss sie auf. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich David sah. Er saß auf dem Sofa, blätterte in einem Buch, was ich neben dem Tisch hatte liegen lassen und trug tatsächlich das etwas große T-Shirt, das ich ihm herausgelegt hatte. Er blickte auf, als ich die Tür weiter öffnete, und sein Gesicht hellte sich ebenfalls auf.

„Hallo David!“, rief ich noch immer lächelnd und drückte die Tür mit dem Fuß hinter mir zu.

„Hallo“, erwiderte er, klappte etwas nervös das Buch vor ihm zu. „Wie... wie war Ihr Tag?“

„Ach, ganz in Ordnung. Und du? Wie geht’s dir?“, fragte ich zurück und setzte mich – noch immer lächelnd – neben ihn aufs Sofa.

„Besser! Sehr viel besser, ich denke, ich habe kein Fieber mehr“, meinte er fast schon enthusiastisch und ich musste das einfach als Aufforderung sehen, das zu überprüfen. Vorsichtig legte ich meine Fingerrücken auf seine Stirn und tatsächlich, seine Haut war nur noch ein klein wenig erhitzt.

„Das freut mich, David“, lächelte ich und zog meine Hand zurück, strich dabei wie zufällig ein wenig über seine Haut.

„Was hast du denn den ganzen Tag über gemacht?“, fragte ich dann und lehnte mich etwas zurück, ich war zugegeben ein wenig kaputt von diesem Tag.

„Ach, ich habe lange geschlafen, bestimmt geht es mir deshalb wieder besser. Und ich hab das Buch gefunden, ich glaube, ich werde bei Ihnen keine guten Noten schreiben“, entgegnete er und lächelte bei seinem letzten Satz ein bisschen verlegen, wurde sogar unmerklich rot im Wangenbereich. Erst jetzt sah ich, dass das das Englischbuch der zehnten war, was ich momentan für den Unterricht kaum benötigte und deshalb zu Hause gelassen hatte.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich David und sah ihn ein wenig zweifelnd an.

„Ich kann das alles gar nicht, was da drin steht, und wir schreiben doch bald den Aufsatz, ich habe keine Ahnung, wie das alles geht, obwohl ich das Buch ja gelesen habe“, erklärte er und wurde noch ein wenig röter. Ich fand, dass er so wahnsinnig süß aussah und freute ich mich außerdem sehr darüber, dass er das Buch gelesen hatte. Noch dazu zeigte er plötzlich wieder Interesse daran, gute Noten zu schreiben, und vor allem zeigte er Interesse an meinem Unterricht, an meinem!

„Na, vielleicht kann ich dir ja ein klein wenig helfen!“, lächelte ich ihn an und griff dann nach dem Buch.

Kapitel 33 – David

Mr. Courten wollte mir helfen? Unweigerlich musste ich über diese Tatsache lächeln. Das war so wahnsinnig nett von ihm. Was wollte er denn noch alles für mich tun?

Ich konnte ihm gar nicht zeigen, wie dankbar ich ihm für alles war, geschweige denn konnte ich ihm auch nur annähernd etwas zurückgeben. Eigentlich konnte ich gar nichts tun, außer ihn anstrahlen und hoffen, dass er verstand, was er da Wichtiges für mich tat.

„Was ist denn, David?“, fragte er mich plötzlich und erwiderte mein Lächeln ein wenig unsicher. Das Buch hielt er noch immer in den Händen und schien mir wohl gerade etwas erklärt zu haben, was ich in meiner Euphorie natürlich nicht mitbekommen hatte.

„Entschuldigung!“, erwiderte ich rasch und spürte schon wieder, wie ich ein wenig rot wurde. Eine schreckliche Angewohnheit. „Ich…ich freue mich nur so, dass Sie…nun ja, dass Sie das alles für mich tun. Ich meine, Sie müssten das ja nicht machen.“

Meine Worte klangen so idiotisch. Natürlich müsste er es nicht tun, aber musste ich ihm das dann auch noch unter die Nase halten? Ich war doch wirklich dämlich.

Mr. Courten senkte kurz den Blick, so als würde er sich einen kurzen Moment selbst fragen, wieso er das alles für mich machte. Aber dann nickte er und sah mich wieder an.

„Du hast in letzter Zeit einiges durchstehen müssen“, sprach er. „Da ist es doch nur verständlich, wenn ich…dir helfe.“

Seine Stimme war mit den letzten Worten ein wenig ins Wanken geraten, was auch mich ein wenig nervös stimmte. Auch wenn ich es mir verbot daran zu denken, ich konnte dieses Gefühl, dass da irgendetwas zwischen uns war, nicht ablegen. Es ging einfach nicht. Ständig raste mein Herz, wenn er mich nur ansah, ständig glaubte ich zu schmelzen, wenn er mich berührte, und wenn ich nur an letzte Nacht dachte, spürte ich noch immer diese unglaubliche Hitze in mir. Ich hätte ihm so gerne von meinen Empfindungen erzählt, aber die Vernunft und vor allem die Einsicht, dass ich das alles eigentlich gar nicht fühlen dürfte, hinderten mich daran, die nächste Dummheit zu begehen. Ich wollte den Bogen nicht überspannen und noch einmal so etwas Unüberlegtes tun, wie ich gestern mit diesem Kuss getan hatte. Wer weiß, vielleicht wäre es Mr. Courten doch irgendwann genug mit mir und er würde mich zu meinem Vater zurückbringen.

Bei dem Gedanken wurde mir ganz anders und ich zwang mich förmlich dazu, wieder ein normaler, zurechnungsfähiger Mensch zu werden. Im Moment kam mir dieses Ziel jedoch unerreichbar vor. Ich konnte einfach nicht so sein wie sonst, wenn er bei mir war. Irgendeine Blockade schien da in mir zu sein, die ich nicht überwinden konnte.

„Soll ich uns vielleicht erst etwas zu essen machen, bevor ich dir ein wenig Nachhilfe gebe?“, holte er mich ein weiteres Mal aus meinen Gedanken zurück.

Ich nickte leicht und wandte den Blick wieder peinlich berührt ab.

Jetzt reiß dich endlich zusammen, David!, ermahnte ich mich stumm. Benimm dich gefälligst wie ein normaler Mensch und nicht wie ein verklemmtes, zwölfjähriges Mädchen!

Dieser Vergleich schien zu helfen, denn ich schaffte es tatsächlich, meine Schüchternheit mit einem weiteren Lächeln zu überspielen. „Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände macht“, fügte ich rasch hinzu.

Mr. Courten schüttelte den Kopf. „Ach was, ich muss doch selbst etwas essen, ob ich jetzt eine Portion mehr mache oder nicht ist doch egal.“ Er stand auf und kratzte sich am Kopf. „Hast du auf irgendetwas Bestimmtes Lust?“

„Ich…nein, also…ich meine, Sie können machen, was Sie wollen. Ich esse so gut wie alles“, murmelte ich, wieder deutlich unsicher geworden.

„Kein Lieblingsessen?“, fragte er ein wenig amüsiert. „Meine Kochkünste sind zwar beschränkt, aber vielleicht kriege ich es ja hin.“

Mein Herz klopfte wieder schneller bei seinen Worten. Er würde also ein Essen kochen, das ich mir wünschte? Mr. Courten sollte aufhören, dermaßen nett zu mir zu sein, oder ich würde das bald nicht mehr aushalten und ihn ein weiteres Mal küssen. Das durfte einfach nicht mehr passieren! Nie, nie wieder!

Doch egal wie oft ich mir das einzureden versuchte, ich musste ständig an seine wunderbar weichen Lippen denken und daran, wie gerne ich sie noch einmal berühren würde, diesmal länger als das letzte Mal.

Ich verzweifelte fast, aber andererseits wollte ich diese Gefühle keinesfalls ignorieren. Sie waren eigentlich das Einzige seit langem, das mich glücklich machte. Schon seltsam.

„Was hältst du von Spagetti mit Tomatensoße?“, fragte Mr. Courten dann nach einer kurzen Weile unangenehmer Stille.

Ich nickte, dankbar für seine Entscheidung. „Ja, klingt gut. Kann…ich Ihnen helfen?“

„Willst du dich nicht lieber noch ein wenig ausruhen?“

„Nein, ich kann nicht mehr liegen“, erwiderte ich und stand ebenfalls auf. „Ich würde Ihnen sehr gerne helfen, wenn ich darf.“

Mr. Courten sah mich an. „Okay, dann lass uns mal den Kochlöffel schwingen!“

Ich lächelte ein wenig über seine Bemerkung und lief dann mit ihm in die Küche, stellte Nudelwasser auf und rührte die Soße an.

„Alle Achtung“, meinte Mr. Courten nach einer Weile, als die kleine Küche bereits mit dem leckeren Duft frischer Tomatensoße gefüllt war. „Du kannst ja wunderbar kochen.“

Ich freute mich über dieses Kompliment. „Ich habe früher sehr oft für meinen Dad gekocht. Er meinte, ich würde später sicherlich einmal ein Fünf-Sterne-Koch werden.“

Ein ungutes Gefühl kam in mir auf, als ich mich an seine einstigen Worte erinnerte, die ich wohl nie wieder zu hören bekommen würde.

Mr. Courten bemerkte meine Verbitterung wohl, denn er legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. „Es wird alles gut werden, David!“

Ich nickte, jedoch war ich mir nicht so sicher, ob er mit seiner Behauptung Recht hatte. Momentan sah es nicht so aus, als würde es jemals wieder so werden wie früher zwischen Dad und mir. Er war alles für mich, meine ganze Familie. Zu wissen, dass ich ihn und somit alles verloren hatte, was mir in meinem Leben Halt geben würde, war schmerzlich.

„Ich vermisse ihn“, flüsterte ich und senkte traurig den Blick auf die halbfertigen Nudeln. „Nicht den Dad, der er jetzt für mich ist. Aber ich vermisse ihn, als er noch für mich da war. Es tut weh, dass ich…dass ich ihm scheinbar…egal geworden…bin.“

Meine Stimme versagte und ungewollt kullerten dicke Tränen über meine Wangen. Verdammt! Ich wollte doch nicht weinen. Nicht schon wieder und vor allem nicht vor Mr. Courten! Ich hatte es in letzter Zeit schon viel zu oft getan.

„David…“, flüsterte er. „Ich verstehe dich. Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst.“

„Ich…ich habe niemanden mehr“, schluchzte ich. „Er ist der Einzige, er war meine Familie. Was soll ich denn ohne ihn machen?“

Mr. Courten umschloss meine Hände sanft mit seinen eigenen. „Bitte schau mich an“, bat er mit leiser Stimme.

Zögerlich befolgte ich seine Aufforderung, schämte mich jedoch gleichzeitig, dass er nun mein verheultes Gesicht betrachten konnte.

„Ich verspreche dir etwas, David“, meinte er und drückte meine Hände ein wenig fester. „Ich werde für dich da sein, immer wenn du mich brauchst. Ich habe viel zu lange gewartet, etwas zu unternehmen, aber jetzt kannst du dich auf mich verlassen. Du wirst deinem Vater nie wieder unter diesen Umständen gegenüber stehen müssen. Er wird die Hilfe bekommen, die er braucht, und solange passe ich auf dich auf.“

Das Blut rauschte in meinen Ohren. Was hatte er da gesagt? Hatte ich mir das nur eingebildet? Hatte ich das geträumt? Ich konnte all das nicht realisieren.

„W…wieso?“, war alles, was ich hervorbrachte.

Seine Augen drückten Unsicherheit aus, jedoch auch feste Entschlossenheit. „Weil ich es nicht mehr ertragen kann, dich weinen zu sehen.“

Ich schluckte heftig, als er meine Hände wieder losließ und stattdessen zaghaft mein Gesicht berührte. Er strich vorsichtig über meine feuchten Wangen, was ein solch schönes Gefühl in mir auslöste, dass ich keine Worte dafür fand.

„Mr. Courten…ich…“

„Shhh“, flüsterte er nur. „Es ist okay!“

Mein Herz sprengte fast meine Brust, als sein Gesicht meinem näher kam. Es schien so, als zögerte er noch einen Moment, doch dann spürte ich plötzlich seine Lippen auf meinen.

Für den Bruchteil einer Sekunde war ich unfähig, auch nur irgendetwas zu tun. Ich stand einfach nur stocksteif da und ließ es geschehen, ohne jegliche Emotionen wahrzunehmen.

Doch mit einem Schlag war ich wieder vollkommen in der Realität gelandet und alle Gefühle brachen wie eine Welle über mich herein.

Glück, Freude, Bauchkribbeln und Herzklopfen waren nur einige der Empfindungen, die ich spürte.

Mein Körper entspannte sich langsam, und ich ließ mich ein wenig gegen Mr. Courten sinken, der seine Lippen noch immer auf meine gelegt hatte.

Ich legte meine Hände in seinen Nacken und begann den Kuss zu erwidern.

Und erst da wurde mir bewusst, dass ich womöglich der glücklichste Mensch auf Erden war.

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