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Der Weihnachtsmann trägt Regenbogen

Teil 1

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Als Peter aufwachte und von seinem warmen kuscheligen Kissen zu seinem Fenster schaute, sah er nur eine weiße Wand. Nebel. Hin und wieder klatschten Schneeflocken gegen die Scheibe. Winter. Er streckte sich und gähnte ausgiebig. Er war noch so müde. Unten hörte er, wie seine Mutter in der Küche Amok lief. Der Duft von Angebranntem stieg ihm in die Nase. Wahrscheinlich die Weihnachtskekse, dachte Peter belustigt. Weihnachtskekse? WEIHNACHTEN? Ach du scheiße! Heute war aber Gott sei Dank der erste Ferientag, darum drehte er sich noch einmal um. Hoffentlich verschlafe ich die ganzen Ferien, dachte er und fiel nochmal in einen tiefen Schlaf und in einen völlig wirren Traum.


Eine Mischung von allen möglichen Gerüchen schoß ihm in die Nase. Weihnachten. Scheiße. Es roch eindeutig nach Weihnachten. Es bestand absolut kein Zweifel. Große Scheiße! Der Geruch von Bratapfel und Mandeln lag ihm in der Nase und vieles mehr. Der ekelhafte Duft von selbstgebackenen Keksen, Spekulatius und Glühwein stieg ihm in die Nase. Okay, das einzige Gute war der Glühwein, dass musste er zugeben. Er mochte Glühwein. Dieser half ihm auch die Weihnachtstage immer einigermaßen zu überstehen. Ohne Alkohol war seine Familie auch nicht auszuhalten.

Er spürte, wie seine Nase anfing zu jucken. Es war ein unangenehmer Geruch. Auf einmal roch er auch die grünen Tannenzweige die sich mit Christbaumkugeln geschmückt vor ihm ausbreiteten. Dieser Duft sorgte dafür, dass ihm sein Mageninhalt schon die Speiseröhre hoch kroch. Ein riesiger Weihnachtsbaum erstreckte sich vor ihm. Er musste seinen Kopf ganz in den Nacken legen, damit er die Spitze und den gold leuchtenden Weihnachtsstern sehen konnte. Wo war er hier? Allem Anschein nach im Partykeller vom Weihnachtsmann, doch es sollte offensichtlich noch viel schlimmer kommen…

Es sah aus wie das städtische Einkaufszentrum. Überall leuchteten Lichter. Irgendwo dudelte auch ein Song, wie jedes Weihnachten. Last Christmas, von dem schwulen Sänger, dessen Name ihm grad nicht einfallen wollte. Klar was denn auch sonst? Ein Wunsch überkam ihn, das Radio zu suchen, woher dieses jämmerliche Gejaule kam, und es zu vernichten. Auch die Girlanden, die überall hingen, oder die Christbaumkugeln, wollte er alle runter reißen und verbrennen. Es war ein Alptraum, das stand für ihn fest, aber er kam nicht raus. Er wachte nicht auf, so sehr er das auch wollte.

Überall waren auch diese verdammten Weihnachtsmänner zu sehen. Egal wo er hinschaute, sah er diese Fettsäcke. Auf Plakaten, als Figuren in den Schaufenstern und ganz viele Leute trugen, zu allem Überfluss, eine Weihnachtsmütze auf ihrem Kopf. Aber irgend etwas stimmte nicht. Er schaute nochmal genauer.

Alles war in Regenbogen. Die Mäntel der Weihnachtsmänner waren nicht rot, wie es typisch ist. Nein. Sie waren gestreift, in Regenbogenfarben. Er konnte sich nicht erinnern so was je gesehen zu haben. War der Weihnachtsmann etwa schwul? Nein das konnte nicht sein. Es heißt doch immer, dass der Weihnachtsmann eine Frau hat. Frau Weihnachtsmann, oder etwa doch nicht. Gab es vielleicht doch einen Herr Weihnachtsmann? Und war das vielleicht sogar der Osterhase? Igitt! Der Geschmack von Erbrochenem war in seinem Mund.

Peter versuchte diese gruseligen Bilder aus seinem Kopf zu kriegen und schaute sich weiter um. Es gab immer noch eine Menge zu sehen, was nicht viel besser war. Alles war so bunt und überhaupt nicht mehr hetero.

Auf einmal wunderte er sich, warum die Leute alle größer als er waren. Er schaute an sich herunter. Er trug einen dicken Schneeanzug, in dem er aussah wie ein Michelin Männchen, dass durch die Tannenbaum - Einpack - Maschine gestopft wurde. Er war in diesem Traum drei Jahre alt. Maximal 4. Jetzt ist die Kacke am dampfen. Moment mal. Trug er sogar noch Windeln? Er beschloss es lieber nicht herauszufinden.

Auf einmal zeigte sein linker Arm auf. Peter konnte sich nicht erinnern, den Befehl in seinem Gehirn abgeschickt zu haben. Er zeigte einfach nach links. Viel kurioser war, dass er den Arm nicht wieder runter ziehen konnte. Erst dann fiel ihm auf, in welche Richtung seine Hand zeigte. Nämlich in die Richtung des Kaufhaus-Weihnachtsmannes. Er saß auf einem riesigen goldenen Thron. Er konnte es auch nicht glauben. Auch der große, dicke Mann mit dem weißen langen Bart trug einen regenbogenfarbenen Mantel, sowie eine Regenbogen Mütze. Um ihn herum waren überall Elfen und Engel, die die in einer Schlange stehenden Kinder ruhig hielten, in dem sie lauter Faxen machten. Die Engel und vor allen die Elfen sahen alle normal aus. Wie man es in Bilderbüchern oder in Filmen sah. Die sehen sowieso so schon schwul aus, auch ohne Regenbogen, dachte Peter, aber das war gerade seine geringste Sorge.

Peter konnte seinen Arm nicht mehr runter machen. Egal wie doll er es auch wollte. Er merkte auch nicht, dass er seinen Beinen den Befehl gab zu laufen. Er lief einfach.

Er schaute an seinem anderen Arm hoch, der nach oben zeigte. Er hielt die Hand seiner Mutter fest. Er gab auch nicht den Befehl zu sprechen. Es passierte einfach. So wie alles andere.

„Mama?“ Seine Mutter schaute zu ihm herunter und lächelte. Dann sah sie den Arm, den Peter immer noch ausgestreckt hielt.

„Du möchtest zum Weihnachtsmann oder?“

„Jaaaaa“, quiekte Peter vergnügt, obwohl er das ganz und gar nicht war. Sein Körper machte einfach was er wollte. Er hatte keine Kontrolle mehr über seine eigenen, gebliebenen 80 Zentimeter.

Seine Mutter nahm ihn auf den Arm. Verdammt war das lange her, dass ich getragen wurde, dachte Peter, als seine Mutter und er sich anstellten, damit er auf seinen Schoß konnte. Es dauerte auch nicht lange, dann wurde ich, von einem der sowieso schon schwulen Elfen, aus dem Arm meiner Mutter gehoben und auf den Schoß vom Weihnachtsmann gesetzt.

Der Weihnachtsmann war definitiv schwul. Er fing an zu reden. Seine Stimme klang, als hätte er nie einen anständigen Stimmbruch gehabt und sofort fiel mir der Film mit den drei Weltraum - Schwuchteln ein. Die Parodie zu Raumschiff Enterprise. Ein deutscher Film. Was auch sonst?

Als der Weihnachtsmann vom anderen Ufer mit mir sprach, hielt er mich mit einem Arm fest auf seinem Schoß und mit der anderen Hand gestikulierte er wild. Natürlich mit abgespreiztem kleinen Finger.

„Naaaa, mein Kleiner, bist du denn dieses Jahr immer schön artig gewesen?“ Das gleiche wollte mein tatsächliches Ich ihn auch fragen, aber es ging ja nicht. Statt dessen hatte ich wieder Bilderkino. Nämlich wie der Osterhase den Weihnachtsmann auspeitschte und umgekehrt. Der Geschmack von Erbrochenem in meinem Mund wurde stärker.

„Ja, natürlich war ich das Weihnachtsmann? Du brauchst deine große Rute nicht rausholen.“ Nach einigen Augenblicken wurde ihm erst bewusst, was er da gesagt hatte, und sein Würgereiz begann aktiv zu werden. Oh Gott, es konnte nur noch besser werden, dachte Peter sich. Der Weihnachtsmann hingegen lachte.

„Naaaa, mein Süßer! Was wünschst du dir denn nun von mir zu Weihnachten?“ Als er das sagte, zwinkerte er übertrieben oft hinter seinen runden Brillengläsern. Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass auch noch sein Brillengestell Regenbogenmuster trug.

Tausend Gedanken schossen Peter durch den Kopf. Schaffen Sie Weihnachten ab. Ziehen sie sich, wenn das nicht geht, wenigstens wieder ihren roten Mantel an und um Himmels Willen, halten sie endlich ihre gottverdammte Hand ruhig.

Aber das sagte mein, von einer höheren Macht erfasster, Körper natürlich nicht. Sondern genau das Gleiche, was ich damals zu dem Weihnachtsmann gesagt habe, als ich wirklich vier Jahre alt war.

„Die Lego Polizeiwache!“ Peter schrie ganz vergnügt, war es aber logischerweise immer noch nicht. Und wird es mit Sicherheit auch nicht werden.

„Das habe ich mir schon gedacht!“, sagte der Weihnachtsmann, oder was auch immer er jetzt war, denn der Ausdruck Weihnachtsmann, passte Peter’s Meinung nach nicht mehr zu ihm.

„Aber dafür musst du mir etwas versprechen!“ Er hatte jetzt einen ganz normalen Tonfall, die Stimme eines ganz normalen jungen Mannes. Seine Stimme kam Peter bekannt vor. Er wusste sie nur nicht zuzuordnen.

„Was denn Weihnachtsmann?“ Der dicke Mann hatte auch aufgehört, wie eine gewollte Diva zu gestikulieren. Er war ganz… normal, jetzt mal abgesehen von dem dämlichen Regenbogenaufzug.

„Sieh dich und deine Brüder nicht so, wie du mich gerade siehst. Du bist so wie du bist und gut so. Auch wir warmen Brüder können ganz normal sein, oder hättest du je gedacht, dass ich schwul bin?“

„Konnte er etwa meine Gedanken lesen?“ Moment, hat er das gerade laut gesagt oder gedacht.

„Nun ja es ist dein Traum. In deinen Träumen kann ich alles sein! Es ist nur deine Definition von normal und unnormal, die dich verwirrt!“

Ich nickte stumm. Dann schaute ich zu meiner Mutter und es blitzte. Sie hatte ein Foto von mir auf dem Weihnachtsmann geschossen.

Ich drehte mich wieder zum Weihnachtsmann, der auf einmal wieder wie ein Regenbogen leuchtete. Ich war Herr meines Körpers. Allerdings in meinem vier Jahre alten Körper. Auf einmal stellte ich ihm eine Frage, die mich schon Monate beschäftigte.

„Du Weihnachtsmann?“

„Hm?“ Er lächelte freundlich.

„Sind die Weihnachtselfen schwul?“ Der Weihnachtsmann schaute zu ihnen rüber, wie sie für die Kinder die lustigsten Fratzen zogen.

„Einige bestimmt!“ Er schmunzelte.

„Bin ich schwul?“ Er streichelte mir mit seiner Hand, mit der er vorhin noch so wild gestikuliert hatte, sanft über den Kopf.

„Das kannst du nur selber wissen, aber…“


Schweißgebadet wachte Peter auf. Aber, was? Warum ist er jetzt aufgewacht. Jetzt wo es spannend wurde? Oh Gott, was war das eigentlich für ein Traum. Weihnachtsmann. Schwul. Der Weihnachtsmann ist schwul? Er setzte sich in seinem Bett auf und rieb sich die Augen, mit dem Ziel, die grelle Farbe des Regenbogen - Mantels aus seiner Netzhaut zu verbannen. Es funktionierte nicht. Er schaute zu seinem Zimmerfenster, wo inzwischen der morgendliche Nebel verschwunden war, und die mit Schnee zugedeckten Bäume vor seinem Fenster zu sehen waren. Er schaute auf seinen Digitalwecker. Es war erst acht Uhr Morgens. Verdammt.

Peter spürte seine Blase. Er ging raus, auf den Flur, und wollte ins Bad. Doch die Tür war zu.

„Besetzt“, rief es aus dem Bad. Sein drei jähriger Bruder Raik war so stolz, weil er jetzt endlich selber auf Toilette gehen konnte. Darum war, in den letzten Tagen, das Bad eigentlich ständig besetzt.

Peter war kalt, weil er nur in Boxershorts auf dem Flur stand. Er verschränkte die Arme auf der Brust und wippte mit seinem Körper auf und ab.

Auf einmal entdeckte Peter, dass seine Mutter wohl die Bilder an den Wänden ausgetauscht hatte. Neben der Badezimmertür hing ein Bild, das ihn zeigte. Er, wie er auf dem Schoß des Weihnachtsmannes saß. Es war der gleiche Weihnachtsmann, wie in seinem Traum. Dort hatte er wieder den Regenbogenmantel an und seine regenbogenfarbene Bommelmütze. Peter machte die Augen zu und wieder auf. Immer noch Regenbogen. Das kann doch nicht sein. Würde ihn jetzt der Regenbogen den Rest seines Lebens verfolgen? In dem Moment hörte er die Spüle und die Badezimmertür öffnete sich.

„Du kannst da rein großer Bruder!“ Raik quickte und lief wieder nach unten. Wahrscheinlich zu Mutter in die Küche, um ihr mehr eine Last als eine Hilfe in der Küche zu sein. Peter schaute ihm hinterher. Dann ging er ins Badezimmer, nicht ohne nochmal auf das Bild zu gucken. Der Mantel war rot. Ganz normal.

Als Peter in das Badezimmer ging, die Tür hinter sich schloss, traf ihn der Schlag. Er wusste, dass seine Mutter und sein Vater richtige Weihnachtsfans waren, doch das Badezimmer hatten sie bis jetzt noch nie geschmückt. Selbst ein kleiner Tannenbaum stand neben dem Waschbecken. Und wieder überall Weihnachtsmänner. Kleine und Große. An die Fließen geklebt. Wieder mit regenbogenfarbenen Mänteln. Peter rieb sich wieder die Augen, und wieder dauerte es einige Augenblicke, bis die Regenbögen, dem typischen Rot wichen.

Er stellte die Dusche an. Es dauerte immer in diesem alten Haus, bis das Wasser warm wurde, dann begutachtete er sich im Spiegel. Seine großen, blauen Augen leuchteten in seinem blassen Gesicht, welches noch blasser wurde, durch seine Haarfarbe. Er hatte sie sich Feuerlöscher-Rot gefärbt. Passend zu Weihnachten. Er stand einfach auf bunte Haare. Er hatte schon so sämtliche Farben durch. Einige Piercings hatte er auch schon. Ein Ring in der Nase, ein Zungenpiercing und einen Tunnel, so groß, dass er eine Zigarette hineinstecken konnte.

Peter dachte, er hätte das komplette Badezimmer in seiner gruseligen Dekoration begutachtet, doch als er sich zur Toilette wandte, wusste er, dass er sich geirrt hatte. Die Toilette sah nicht mehr aus, wie ein Klo. Nein, das wäre ja auch viel zu langweilig. Das Klo sah aus wie ein verdammter Rentierschlitten. Auf dem Spülkasten waren Geschenke gestapelt. Oh Gott. Peter beschloss, sich erst später darüber aufzuregen. Er zog die Hose runter und setzte sich. In diesem Moment, fing die Toilette an Jingle Bells zu spielen. Peter erschrak sich beinahe zu Tode und fuhr wieder hoch.

„Was ist das für ein Scheiß?“, rief er. Er verrichtete schnell sein Geschäft, unter Glöckchen Geklingel, dann rannte er runter in die Küche. Er nahm gleich mehrere Stufen gleichzeitig.

Als Peter in die Küche eilte, verharrte er sofort, denn er musste an ein Weihnachtslied aus seiner Kindheit denken. In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Leckerei, zwischen Mehl und Milch macht so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei. In der Weihnachtsbäckerei…

Genauso hatte sich Peter die Weihnachtsbäckerei als Kind immer vorgestellt. Das reine Chaos. Nur dass nicht seine Mutter und sein kleiner Bruder aussahen wie gemehlte Schneemänner, sondern die Weihnachtselfen. Wieder fiel ihm sein komischer Traum ein. Er wusste, dass ihn der Traum bis Ende der Feiertage begleiten wird.

„Warum spielt unsere Toilette… Verzeihung… unser neuer Rentierschlitten Jingle Bells, wenn ich morgens in Ruhe kacken möchte.“

„Peter! Nicht solche Ausdrücke vor deinem kleinen Bruder“, zischte Peters Mutter in scharfem Ton.

„Aber warum?“

„Weil dein Bruder erst drei ist!“

„Nein, warum der Schlitten?“, fragte ich gereizt.

„Die Verkleidung stand noch im Keller. Dein Vater und ich, haben sie letztens gefunden. Sieht doch schön aus.“ Seine Mutter wischte sich an einem Handtuch die Hände ab.

„Total“, sagte ich ironisch, „aber warum spielt unser Scheißhaus Jingle Bells?“

„Peter!“, zischte sie. Abwehrend hob ich ich die Hände. „Schon gut!“

„Die Idee kam damals von deinem Großonkel Jerry, kurz bevor er gestorben ist.“ Dabei guckte seine Mutter kurz zu Boden. Peter wusste, dass die Beiden sich sehr nah standen.

„Aber warum baut ihr das ausgerechnet dieses Jahr alles auf?“ Seine Mutter schaute ihn an und musste grinsen.

„Eure Großeltern kommen uns besuchen und bleiben über die Feiertage. Sowie Tante Helen.“ Als sie das sagte, legte sie beruhigend eine Hand auf meine Schulter. Das kann nicht wahr sein. Peter’s homophober Großvater, seine Großmutter und dann auch noch Helen. Die Helen, die ihm und Raik immer in die Wange kniff, wenn sie sie sah.

„Nicht dein Ernst?“ Er setzte sich auf einen Stuhl, nur um gleich wieder hoch zu springen, weil er sich auf eine Ausstechform gesetzt hatte. Er knallte sie auf den Tisch und setzte sich wieder.

Peter musste zugeben, dass er sich immerhin halbwegs auf seine Großmutter freute. Sie war mal Ärztin. Sie hat zwar nie praktiziert sondern nur unterrichtet. Hin und Wieder unterrichtet sie auch manchmal trotz ihrer Rente. Das merkt man auch. Seine Oma hatte nie ein Problem damit, bei Tisch einem erst mal ausführlich das Verdauungssystem zu erklären. Peter fand es immer lustig und interessant, seine Familie weniger. Sie hatte eine Art an sich, dass man ihr stundenlang zuhören konnte. Egal wovon sie sprach, alles war interessant, wenn nicht auch manchmal ekelhaft, wenn man nicht daran gewöhnt war.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“, fragte Peter.

„Weil wir das auch erst seit heute Nacht wissen. Um 3 Uhr nachts haben sie angerufen, dass sie mit ihrem großen Wohnmobil auf dem Weg sind.“ Sie wollen nach Holland zu Freunden, und wollen einen Zwischenstop machen, um mit uns Weihnachten zu feiern. Sie wollen heute Abend da sein.“ Als sie das sagte, drückte sie Peter eine Tasse mit Kaffee in die Hand, welche –wie sollte es denn auch anders sein, auch Weihnachtsmänner mit bunten Mänteln aufgedruckt hatte, welche erst nach ein paar Augenblicken verschwanden. Peter stellte die Tasse auf den Tisch und rieb sich seine Schläfen.

„Und Tante Helen?“

„Die ist ja jedes Jahr bei uns“, sagte seine Mutter während sie für Raik den Plätzchenteig neu knetete und ausrollte, damit er weiter fleißig Kekse ausstechen konnte.

„Was ist mit Elinor?“, fragte Peter nachdem er versucht hatte den letzten Tropfen Kaffee aus seiner Tasse zu saugen.

Elinor war seine Schwester und der ganze Stolz der Familie. Sie war Assistensärztin im städtischen Krankenhaus und rieb das auch jedem unter die Nase, nur um zu zeigen was sie alles schon geleistet hatte. Außerdem bildete sie sich immer ein, dass sie etwas Besseres sei, nur weil sie die Älteste der drei Geschwister war. Peter hasste es, denn er wollte nie im Leben zugeben, dass er neidisch auf sie war, weil sie älter und obendrein noch so schlau war und er nicht.

„Elinor hat sich freigenommen, hat aber trotzdem Bereitschaftsdienst, ihre Anwesenheit wird uns also wahrscheinlich nicht lange gegönnt!“ Der Stolz in der Stimme seiner Mutter, war nicht zu überhören.

„Gott sei Dank“, flüsterte Peter kaum hörbar leise.

„Peter! Es ist deine große Schwester, du solltest stolz auf sie sein und ihr endlich mal ein bisschen Respekt entgegen bringen.“

„Schon gut“, muffelte Peter.

„Sie bringt auch ihren neuen Freund mit…“

„Aha“, schmunzelte Peter, „unsere liebe Krankenschwester hat also endlich jemanden aufgerissen, aber keinen aus der Leichenhalle, oder?“

„Peter!“

„Ich mein ja nur, immerhin ist Opa dieses Weihnachten da, ich weiß nicht wie viele Tote ein Weihnachtsfest verträgt.“ Seine Mutter schüttelte den Kopf und sagte statt dessen:

„Aber sag deinem Vater bitte nichts davon, dass sie einen Freund hat. Er weiß es noch nicht!“ Peter konnte ein kleines Schmunzeln nicht unterdrücken als seine Mutter das sagte.

„Ist wohl auch besser so!“ Mit diesen Worten hielt er seine eiskalten Finger an seine, inzwischen etwas abgekühlte, Tasse. Er saß da immerhin, immer noch, nur in seiner Boxershorts.

Den Kaffee trank Peter in einem Zug aus, obwohl er heiß war. Er merkte wie das warme Gebräu seine Kehle runterlief.

„Darum muss ich auch gleich noch ins Einkaufszentrum, Geschenke kaufen für eure Großeltern!“

„Die holt doch Weihnachtsmann“, meinte Raik verwirrt.

„Aber wir wollen ihnen doch auch noch etwas schenken! Außerdem kannst du dir dann im Einkaufszentrum noch etwas vom Weihnachtsmann wünschen.“

„Au ja“, rief Raik. Er klatschte in die Hände und eine Mehlwolke breitete sich aus, so dass alle husten mussten.

„Kauf ihr doch ein Skelett mit Weihnachtsmütze“, scherzte Peter.

„Hab ich schon“, sagte seine Mutter; „Auch mit Weihnachtsmantel und allem!“ Seine Mutter lachte. „Du hättest damals mal ihr Gesicht sehen müssen, alle haben gelacht.“ Peter war nicht zum Lachen zumute, denn er musste wieder an seinen verrückten Traum denken.

Als Peter an den Weihnachtsmann im Einkaufszentrum dachte, lief ihm ein Schauer über den Rücken.

„Kommst du mit Peter?“, fragte seine Mutter.

Eigentlich wollte Peter verneinen, von seinem Traum musste er sich erst mal ausruhen, was hieß, dass er sich eigentlich lieber vor einer Playstation lümmeln würde, als sich in das Getümmel von den Leuten im Einkaufszentrum zu stürzen, die alle auf den letzten Drücker noch Geschenke für ihre Lieben kaufen wollten. Aber ehe er etwas sagen wollte, kam ihm Raik schon zuvor:

„Großer Bruder kommt mit!“

„Dann ist doch alles Tutti!“ Mit diesen Worten holte sie wieder ein Blech Plätzchen aus dem Ofen, die wieder leicht angebrannt rochen.

„Nur wenn ich vorher noch Duschen darf!“

„Sicher mein Liebling.“ Dann widmete sie sich wieder Raik und half ihm, die ausgestochenen Kekse auf ein neues Blech zu verfrachten. Dabei viel ihr einer auf den Boden.

Als ich schon in der Tür stand, wandte ich mich nochmal um.

„Die Dusche spielt jetzt aber nicht Kling Glöckchen Klingelingelling, wenn ich dort drunter stehe, oder?“ Seine Mutter lachte.

„Probier es doch aus!“

„Moment!“, rief Raik; „Ich muss vorher nochmal Lulu machen!“


Das Einkaufszentrum war, wie zu erwarten, brechend voll. Überall waren gestresste Menschenmengen, voll bepackt mit Einkaufstüten von Media Markt oder Toys R us. 99,9 Prozent der Leute war anzusehen, dass sie lieber woanders sein würden. Nämlich zu Hause im Jogginganzug auf dem Sofa sitzend, den Weihnachtsmann betrachtend, Weihnachtskekse aus dem Discounter in sich rein stopfend.

Die 0,1 Prozent konnten nur total begeistere Weihnachtsfans sein. Und das waren Raik und Peters Mutter. Raik hüpfte aufgeregt zwischen seiner Mutter und ihm hin und her. Er und seine Mutter wussten nicht, was sie zuerst bestaunen sollten.

Gelangweilt und genervt trottete Peter neben ihnen her. Der Krach und die vielen Leute, waren einfach nicht seins. Er konnte die Menschen einfach nicht verstehen, die einen Geburtstag feierten, der über 2000 Jahre zurück lag. Nun gut, es war der Sohn Gottes, aber was hat ihm das genützt? Richtig! Gar nichts. Es hat nicht lange gedauert und die Menschen haben ihm eine Dornenkrone verpasst und ihn an ein Kreuz genagelt.

Peter wurde bewusst, dass hier alles aussah wie in seinem Traum. Der gleiche große Weihnachtsbaum, der goldene Stern. Die vielen Girlanden und Plakate mit den Weihnachtsmännern. Auch hier bildete er sich wieder für einige Augenblicke ein, Regenbögen zu sehen. Doch die verschwanden, wie erwartet, nach kurzer Zeit wieder. Irgendwo konnte Peter auch dieses schwule Weihnachtslied hören, dass in ihm den Wunsch nach Zerstörung auslöste.

Auf einmal schrie Raik jubelnd auf.

„Der Weihnachtsmann, der Weihnachtsmann!“ Mama lächelte auch. Peter fiel sein Traum wieder ein und ihm wurde mulmig zumute. Doch dann sagte seine Mutter etwas, was noch viel schlimmer war.

„Gehst du mit ihm dahin, dann kann ich in Ruhe Geschenke kaufen!“ Zögernd stimmte Peter zu. Eigentlich wollte er selbst noch nach Media Markt. Doch dann fiel ihm ein, wie viele Leute da wohl sein mochten, also ließ er es lieber bleiben. Er nahm Raik an die Hand und bummelte mit ihm zum Weihnachtsmann.

Als sie sich in die Schlange einreihten, die zum Weihnachtsmann führte, bereute Peter schon, dass er zugestimmt hatte. Dutzende Kinder wollten am Weihnachtsmorgen noch einen Wunsch an den Weihnachtsmann äußern. Peter schaute zu ihm herüber. Wieder bildete er sich einen Regenbogen ein, doch dieser schwand schnell, als ihm auffiel, dass es sich wieder um den gleichen Weihnachtsmann handelte, den er im Traum und heute Morgen auf dem Bild mit ihm neben der Badezimmertür gesehen hatte. Das Gesicht hatte er noch genau vor Augen, obwohl das in seinen Träumen nie der Fall war, dass er sich Gesichter merken konnte, doch diesmal wohl schon.

Wie in seinem Traum machten die dämlichen Elfen Faxen, in dem sie komische Grimassen zogen, so dass die Kinder lachen mussten, und die Warterei nicht ganz so anstrengend für mit wartende Eltern ist.

Mann, sehen die schwul aus, dachte Peter. Obwohl, der eine sieht ja ganz süß aus. Was? Hatte er das gerade echt gedacht. Nein, das konnte nicht sein. Doch Peter konnte von einem Elfen einfach nicht den Blick abwenden. Er war komplett in einem grünen, glänzenden Stoff gekleidet. Ein breiter schwarzer Gürtel, mit goldener Schnalle, betonte seinen schmalen Hüften. Die Spitzen seiner Schuhe zeigten nach oben. Unter seiner grünen Mütze guckten vereinzelt braune Strähnen hervor. Das süßeste… Moment Mal! Sein Gesicht hatte glatte und sanfte Gesichtszüge. Unter seinen vollen Lippen glänzte ein kleines Piercing, an welchem Peter gerne rumgespielt hätte. Oh mein Gott, was dachte er da nur? Er versuchte sich diese Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, doch es gelang ihm nicht. Er war doch nicht tatsächlich schwul? Peter schätzte diesen Elfen ungefähr in seinem Alter und er konnte sich an ihm einfach nicht satt sehen.

Peter war kurz davor zu sabbern, als Raik an seinem Mantel zog.

„Ich bin gleich dran großer Bruder!“ Raik zappelte mit seinem ganzen Körper, weil er so aufgeregt war. In dem Moment hob der gutaussehende Elf Peter’s kleinen Bruder auch hoch und setzte ihn in einem Schwung auf den großen Schoß des Weihnachtsmannes. Dann stellte sich der Elf neben Peter. Er schaute schnell weg, denn er spürte jetzt schon, wie er rot anlief. Deshalb schaute er lieber zu Raik und zum Weihnachtsmann. Peter konnte es nicht glauben. Er schaute erst zu ihm, dann zum Elf und schließlich wieder zu ihm. Jetzt zwinkerte er Peter zu. Auf einmal war sein Mantel und seine Bommelmütze wieder regenbogenfarben. Wenn das mal kein Zeichen war. Oder war dies alles nur seine blühende Fantasie?

„Seid ihr grünen Zwerge eigentlich schwul?“ Peter konnte sich nicht erinnern, dass er das sagen wollte und biss sich nervös auf die Lippen. Doch der süße Elf mit dem Piercing unter seiner Unterlippe schaute sich um und schaute dann wieder zu Peter und grinste.

„Ich schon, was mit den anderen ist, keine Ahnung!“

„Bestimmt, sonst würden sie so was doch nicht anziehen, oder etwa doch?“ Der Elf lächelte immer noch.

„Ich bin übrigens der Kai.“ Was für ein schöner Name. Erst jetzt merkte Peter, dass Kai ihm seine mit einem weißen Handschuh bekleidete Hand reichte. Peter schlug ein.

„Peter!“ Kai lächelte noch breiter. Jetzt konnte man auch seine strahlend weißen Zähne sehen.

„Also Peter… bist du es denn auch?“ Peter schaute kurz zu seinem Bruder, welcher aber eindeutig gerade mit dem Weihnachtsmann in Verhandlung ging und schaute dann wieder fragend zu Kai.

„Was bin ich?“

„Na, schwul.“ Peter schaute Kai entgeistert an.

„Seh ich etwa so aus?“ Kai musterte ihn ausführlich von oben bis unten.

„Wer weiß, seh ich denn so aus?“ Peter musste lachen.

„Darauf willst du keine Antwort!“ Jetzt gab auch Kai ein kurzes Lachen von sich.

„Stimmt.“ Peter spürte auf einmal ein kribbeln in seinem Bauch. Irgendwie spürte er auch, dass er am liebsten mehr über Kai erfahren wollte. Jetzt schaute er ihm das erste Mal in seine Augen. Sie waren Blau. Himmelblau. Keine andere Farbe war zu sehen. Es waren die schönsten Augen, die er je gesehen hatte.

„Ich weiß es nicht“, sagte Peter auf einmal, ohne dass er es beeinflussen konnte.

„Ich kann dir helfen, es herauszufinden…“

Auf einmal sprang Raik auf Peter zu.

„Ich war auf dem Weihnachtsmann. Ich war auf dem Weihnachtsmann!“ rief er laut. Peter ging in die Hocke und setzte seinen kleinen Bruder auf seine Schultern und er stand wieder auf.

„Machs gut“, sagte er zum Elf und er spürte, dass er eigentlich noch gar nicht gehen wollte.

„Vielleicht sieht man sich ja nochmal“, sagte der Elf und winkte Raik nochmal zu.

„Frohe Weihnachten!“ Er lächelte den Beiden nochmal zu, dann drehte er sich um und machte wieder Faxen für die anderen Kinder. Wie süß er dabei aussieht, dachte Peter sich, inzwischen gar nicht mehr darauf bedacht, seine Gedanken unter Kontrolle zu halten.

„Das war ein netter Elf!“, meinte Raik auf seinen Schultern.

Oh ja das ist er…

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