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Wyoming - Another time, another place

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ganz offensichtlich hat mich die Geschichte von Annie Proulx, Brokeback Mountain, zu diesem Ausflug in den Mittleren Westen der USA inspiriert. Ich habe mir die Charaktere zu Eigen gemacht und sie ins 21. Jahrhundert katapultiert. Viel Spaß!

 

Emma war gerade mit dem Streichen des Türrahmens in der Küche fertig, der beim Einzug vor einer Woche etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sie trat einige Schritte zurück, um ihr Werk zu bewundern. Perfekt. Eierschalenfarben. Wie neu. Sie lächelte zufrieden. Sie hatte sich zu dieser doch eher ungeliebten Arbeit entschlossen, da sie diesmal ein nahezu perfektes Zuhause haben wollte. Sie wollte sich nicht in ein paar Jahren immer noch über die Macke im Rahmen ärgern. Neue Stadt, neues Haus. Neues Leben? Ja, vielleicht auch das.

Vor einer Woche waren Emmas und Steves Pläne Wirklichkeit geworden. Sie waren von Modesto nach Wyoming gezogen. Nach Riverton. Im Vergleich zu Modesto war es ein Nest. 10 000 Einwohner. Zwanzigmal weniger.

Zugegeben, es war ein Schock gewesen, als sie vor einigen Monaten das erste Mal hierher gekommen war. Es gab eine Hauptstraße mit allen möglichen Geschäften und Arztpraxen. Eigentlich alles, was man zum täglichen Leben brauchte. Ansonsten schien es ein verschlafenes Städtchen, in der es mehr Kneipen gab als Shops. Und noch nie hatte Emma so viele Männer mit Cowboyhüten gesehen. Es gab insgesamt drei Läden, die sich auf diese Art Ausstattung spezialisiert hatten. Es gab Stetsons in allen Variationen, Jeans, Westen, Stiefel, alles fürs Pferd... Die Zeit schien stehen geblieben zu sein.

Mit einer gewissen Portion Humor hatte es Emma zur Kenntnis genommen. Steve war das alles weniger fremd. Er kam aus Wyoming. Zwar war er in der Gegend um Cheyenne aufgewachsen, aber die Menschen und die Umgebung unterschied sich nicht so sehr von Riverton. Bis auf die Weite. Ließ man die Tore der Stadt hinter sich, so bekam man einen manchmal etwas bedrückenden Eindruck von Freiheit. Soweit das Auge reichte kein Anzeichen von Zivilisation. Hin und wieder eine große Ranch, das war alles.

Emma hatte sich mehr und mehr mit dem Gedanken angefreundet, sich hier niederzulassen. Das Haus, das sie sich angeschaut hatten, war wunderschön. Etwas renovierungsbedürftig zwar, aber es waren nur Kleinigkeiten. Eine alte Dame hatte hier bis zu ihrem Tod gelebt. Ihre Verwandten wollten das Haus verkaufen, da sie im ganzen Land verstreut lebten und niemand die Absicht hatte, nach Wyoming zu ziehen. Es war sehr gut in Schuss gehalten worden, denn die Kinder und Enkel der Dame hatten immer Wert darauf gelegt, dass das Elternhaus nicht verkam. So kam es, dass Steve und Emma nach einer Nacht im Motel am nächsten Tag den Kaufvertrag unterschrieben hatten.

Seit zwei Wochen lebten sie nun hier. Die Kartons waren weitgehend ausgepackt. Es war wohnlich geworden. Doch Emma fühlte sich nun etwas einsam. Ihr Mann hatte die neue Arbeit in Casper aufgenommen. Er war Augenarzt. Ein ehemaliger Studienkollege hatte ihm das Angebot gemacht in seine Praxis einzusteigen, da er expandieren wollte. Die Praxis lief gut und ein weiterer Arzt war mehr als genug ausgelastet. Das Problem war, dass Casper über 100 Meilen von Riverton entfernt lag. Sie hatten lange überlegt, ob sie nicht näher an die Stadt ziehen sollten, doch dann hätte auch Emma einen weiten Weg zu ihrer Arbeit gehabt. Nun wohnte Steve die Woche über in einem kleinen Apartment in Casper. Er kam freitagnachmittags nach Hause und fuhr am Montag in aller Frühe wieder. So war der Plan.

Heute war Donnerstag. Die erste Arbeitswoche von Steve. Der Abschied am Sonntagabend war schwer gefallen, doch sie waren zuversichtlich, dass es sich einspielen würde, wenn Emma erst einmal mit ihrer Arbeit beginnen würde.

Emma wollte sich gerade eine Dusche gönnen, als es an der Tür ihres neuen Hauses klingelte. Sie zuckte zusammen wegen des noch fremden Gongs. Sie lächelte ob ihrer Schreckhaftigkeit und ging zur Haustür.

„Meine Güte, McBride! Reiß dich zusammen!“ murmelte sie und öffnete.

Sie war beeindruckt, so dass sie wieder einen Schritt zurück trat. Vor ihr stand ein Hüne von Mann: Jeans, kariertes Hemd. Und ein Stetson, den er jedoch abnahm, als er offenbar die Dame des Hauses vermutete.

„Wow! Gehört das zum Begrüßungskomitee der Stadt?!“ lachte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Dieser Cowboy sah wirklich umwerfend aus. Groß, blond. Und auf eine angenehme Art und Weise schüchtern, wie sich zeigen sollte.

„Ma’am, Harry Connelly von Connelly & Sons sagte mir, dass sie Hilfe brauchen...“

Der Unbekannte wich ihrem Blick aus.

„Oh, mein Gott! Das ist... ich hätte nicht gedacht, dass es wirklich funktioniert! Ich habe am Dienstag eine Nachbarin beim Einkaufen getroffen und sie gefragt, ob sie jemanden kennt, der sich mit Dächern auskennt.“

„Nun, ich helfe öfter aus bei Zimmermannarbeiten. Ich habe drüben bei den Dermotts das Garagendach neu gedeckt.“

Emma reckte den Hals und blickte hinüber zu ihren Nachbarn, den Dermotts, die sie schon letzte Woche kennen gelernt hatte.

„Hmm, scheint mir ein perfektes Dach zu sein.“ Sie lächelte.

Ihr Gegenüber schien sich unwohl zu fühlen.

„Nun, wenn sie mir ihren Namen verraten, können wir gerne über Details reden!“

„Oh, Verzeihung, Ma’am! Ennis. Ennis del Mar.“

„Schön, sie kennen zu lernen, Ennis del Mar!“ Sie reichte ihm die Hand.

„Emma McBride!“

Er nickte verlegen.

„Ähm, ja, dann kommen sie doch herein! Sorry, ich sehe schrecklich aus! Ich habe gerade den Türrahmen gestrichen. Vorsicht!“

Sie führte ihn in die große Küche.

„Unglaublich, wie das klappt mit der Mundpropaganda! Ich kenne diesen Connelly gar nicht. Was hat er für einen Laden?“ fragte Emma und nahm zwei Tassen aus dem Vitrinenschrank.

„Landwirtschaftsbedarf. Oberes Ende der Hauptstraße, Ecke Livingston Road.“ antwortete Ennis knapp.

„Oh... okay... nehmen sie doch Platz! Kaffee?“

„Oh, ich möchte keine Umstände machen, Ma’am!“ Er setzte sich an den Tisch. Den Hut legte er neben sich auf einen freien Stuhl.

„Der ist gerade durchgelaufen!“ meinte Emma und schenkte zwei Tassen Kaffee ein. Nachdem sie die und noch eine Zuckerdose und ein Milchkännchen auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich zu ihm.

Emma band sich ihr Haar neu zusammen.

„Also, Ennis, was tun sie so? Sie sehen eher nach Rancher aus als nach Zimmermann.“ begann sie und schenkte sich etwas Milch in ihren Kaffee.

„Uhm, ich mach so dies und das. Was gerade anfällt. Letzten Sommer habe ich oben in den Bergen Schafe gehütet. War leider nichts mehr zu kriegen dieses Jahr.“

„Aha... dachte ich mir doch... eher der Farmertyp... okay... das Haus ist eigentlich in einem guten Zustand. Es geht um den Anbau. Das Dach ist an und für sich auch okay. Nur die Dachziegel passen nicht zum Rest des Hauses. Ich möchte, dass es nicht so nach Anbau aussieht.“

Ennis nickte.

„Ich kenne mich nicht aus. Kriegen sie das hin? Brauchen sie noch Helfer?“

„Wenn es nicht innerhalb von drei Tagen fertig sein muss, kann ich das auch allein machen.“

„Ach, ich hab keine Eile. Ich hatte vor, nächsten Monat meine Praxis zu eröffnen. Sind ja noch vier Wochen.“

Wieder ein Nicken.

„Nun, ich wäre ihnen sehr dankbar. Mein Mann ist eine Niete, was solche Sachen angeht. Außerdem ist er die Woche über in Casper. Er möchte sich nicht am Wochenende damit beschäftigen. Wann können sie anfangen?“

Ennis schien überrumpelt.

„Mein Gott! Sorry, wenn ich sie so überfalle! Aber sie machen einen guten Eindruck! Und die Garage der Dermotts sieht gut aus!“ versuchte Emma die Situation aufzulockern.

Ennis lächelte ein wenig. Es sah zumindest so aus.

„Sind 500 $ die Woche angebracht? Ich weiß wirklich nicht, was es für ein Aufwand ist.“

Ennis hob die Augenbrauen.

„Sind sie sicher? Ich meine, 500 $ sind eine Menge Geld!“

„Ich schätze, es ist harte Arbeit.“

Emma fühlte auf einmal sehr viel Sympathie für diesen zurückhaltenden Mann. Er löste auf eine unwirkliche Art und Weise das Bedürfnis in ihr aus, ihn zu umarmen. Sie hatte sich jedoch unter Kontrolle.

„Was sagen sie?“ fragte sie.

„Nun... ja!“ Er war kein Mann der großen Worte.

Emma strahlte.

„Wow! Danke! Das ist großartig!“

Ennis unterdrückte ein Schmunzeln. Er kratzte sich verlegen am Kopf.

„Wie gehen wir vor? Was brauchen sie? Ich muss gestehen, ich habe nichts da an Werkzeug. Höchstens einen Hammer, aber sie brauchen sicherlich professionelle Sachen.“

„Ich habe das Equipment da. Kein Problem. Brauche nur die Ziegel und vielleicht noch Dämmmaterial, falls das alte nicht mehr dicht ist.“

„Okay... sie wissen sicherlich auch, wo der beste Laden für so was ist...“

„Ja. Trents in der Monroe Avenue. Machen gute Preise.“

„Hmm... dann würde ich sagen, sehen sie sich das Dach am besten einmal an. Ich würde dann dort anrufen und das mit der Rechnung klarmachen. Haben sie einen Pick Up?“

„Ja, Ma’am.“


Emma wachte am nächsten Morgen durch lautes Krachen auf. Ihr Blick fiel auf den Wecker. Es war nach acht. Noch völlig verschlafen stand sie auf, zog sich ihren Morgenmantel über den kurzen Pyjama und zog die Vorhänge zurück. Die helle Morgensonne blendete sie. Als sie eine Hand schützend vor ihre Augen hielt, sah sie Ennis, der begonnen hatte, die alten Ziegel vom Dach des Anbaus zu lösen und auf die Ladefläche eines alten Trucks zu werfen.

„Meine Güte!“ murmelte Emma und schlurfte ins Bad.

Sie war kein Morgenmensch.

Doch nach einer ausgiebigen Dusche fühlte sie sich schon besser. Sie schlüpfte in ein Paar Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift ihrer Universität.

Dann ging sie in die Küche. Sie brauchte noch Koffein, um endgültig in der Welt anzukommen. Während sie wartete, dass der Kaffee fertig wurde, schaute sie aus dem Küchenfenster. Ennis trug heute ein ärmelloses Hemd und wieder diesen unglaublichen Hut. Er sah sehr sexy aus mit seinen ledernen Handschuhen und den engen Jeans. In diesem Augenblick beschloss sie, ihrem Mann auch einen Stetson zu besorgen. Und ein kariertes Hemd. Vielleicht sogar Stiefel. Sie musste bei dem Gedanken grinsen. Als die Kaffeemaschine gurgelnde Geräusche machte, war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Wasser durch den Filter gelaufen war. Sie schenkte sich einen Tasse ein, überlegte einen Moment und nahm noch eine zweite Tasse.

Mit beiden Tassen ging sie durch die Hintertür nach draußen. Ennis wischte sich gerade mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, als er sie entdeckte.

„Morgen, Ma’am!“ begrüßte er sie kurz.

„Guten Morgen, Ennis! So früh hab’ ich sie gar nicht erwartet.“

„Habe ich sie etwa geweckt?“

„Oh, nein! Ich habe ohnehin noch Sachen zu erledigen! Was sagen sie? Kaffee?“ Sie streckte die Hand mit der Tasse aus.

„Sehr aufmerksam von ihnen!“ Er stieg die Leiter hinab.

Ein Hauch von herbem Duft und Seife umhüllte ihn. Emma mochte es. Sie reichte ihm die Tasse mit dem dampfenden Getränk.

„Danke!“ meinte Ennis und zog sich die Handschuhe aus.

„Und, wie sieht es aus?“ fragte Emma und nippte am Kaffee.

„Auf den ersten Blick sehr gut. Ich denke nicht, dass man noch mal dämmen muss. Hier und da ein paar Ausbesserungen. Nicht der Rede wert.“

„Ich habe gestern noch bei Trents angerufen. Sie haben die Ziegel vorrätig. Sie können sie jederzeit abholen und auch alles andere das sie brauchen. Sie setzen alles auf die Rechnung.“

Er nickte.

„Wohin kommen die alten Ziegel?“

„Ich bringe sie zur Deponie. Ich denke, heute Nachmittag werde ich alles runter haben.“

„Wow, sie sind schnell! Mein Mann wird Augen machen, wenn er heute Abend nach Hause kommt!“


Emma verbrachte den Morgen mit Besorgungen in der Stadt. Unterwegs traf sie auf eine ihrer neuen Nachbarinnen, Kate. Sie waren im gleichen Alter. Kate und ihr Mann David, die Dermotts, hatten zwei Kinder. Seit sie beide in der Schule waren, arbeitete Kate wieder halbtags in der Apotheke.

„Hallo, Kate!“ begrüßte Emma sie, als sie in die Apotheke kam.

„Emma! Schön, dich zu sehen! Wie geht es dir in der zweiten Woche im neuen Heim?“ Kate kam hinter dem Tresen hervor. Sie trug einen weißen Kittel.

„Oh, ich lebe mich ein! Ich muss mich noch ein wenig an die Ruhe gewöhnen. In Modesto herrschte immer ein permanenter Geräuschpegel. Hier hört man nur die Grillen!“

Sie lachten.

„Naja, und übereifrige gut aussehende Männer, die das Dach abdecken!“ fügte Emma hinzu.

„Oh, ja! Ich habe Ennis heute Morgen gesehen, als ich zur Arbeit fuhr. Er ist sehr geschickt!“

Emma grinste. „Was das Dachdecken angeht, bin ich mir da ziemlich sicher!“ Sie zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

„Mein Gott! Ja, er sieht toll aus, was?“

Emma verdrehte die Augen.

„Als er gestern Mittag vor meiner Tür stand, dachte ich schon, meine Freunde aus Kalifornien wollten mir einen Streich spielen und hätten mir einen Stripper bestellt. Aber der ist ECHT!“

„Oh, Ennis ist wirklich sehr nett und zuvorkommend! Ein Traummann eigentlich...“

„Er macht einen sehr melancholischen Eindruck... ist das eine Masche? Hat er ein Mädchen?“

Kate schüttelte den Kopf und machte ein betroffenes Gesicht.

„Seine Frau und er haben sich letztes Jahr scheiden lassen. Die Kinder sind bei ihr geblieben. Seitdem ist er noch verschlossener.“

„Oh... er hat Kinder... das wusste ich nicht.“

„Zwei Mädchen, ganz bezaubernd. Aber Alma ist mit ihnen und ihrem neuen Mann nach Buffalo gezogen. Man sieht sie nur noch selten hier.“

„Oh... das tut mir leid.“

Kate hob die Augenbrauen.

„Er hält sich mit Jobs über Wasser. Ich nehme an, er muss Unterhalt zahlen für die Mädchen. Dieses Jahr gab es nicht viele freie Stellen oben in den Bergen.“

„Hmm, wo wohnt er denn?“

„In dem Trailerpark im Norden der Stadt.“

Emma fühlte sich auf einmal ganz schlecht.

„Er ist ein netter Kerl. Er hatte einfach Pech.“

„Hmm.“

„Was kann ich denn sonst für dich tun, Emma?“

„Oh, ähm, ja, genau... beim Umzug ist meine Hausapotheke verloren gegangen. Kannst du mir wohl eine neue zusammenstellen? Das übliche, Paracetamol, Aspirin, solche Sachen. Und ich brauche noch einen Verbandskasten. Irgendwie ist der komplette Karton verschwunden.“

„Natürlich.“


Mit ihren Einkäufen kam Emma gegen ein Uhr mittags zurück. Ennis war noch immer zugange. Die Sonne stand nun hoch am Himmel und brannte gnadenlos auf ihn herab.

„Hey, Ennis! Mittagspause!“ rief Emma und schloss ihren SUV ab. Ennis sah auf sie hinab.

„Ich habe uns was von Chevy’s mitgebracht. Ich hoffe, sie mögen mexikanisch.“

Sie schloss die Haustür auf. Ennis stieg die Leiter hinab. Er eilte Emma zur Hilfe und nahm ihr zwei Tüten ab.

„Danke! Sie sind ja schon gut vorangekommen.“

Sie gingen ins Haus. Die Klimaanlage arbeitete effektiv. Eine kühle Brise kam ihnen entgegen.

„Ja, es geht schneller als ich dachte.“

„Prima! Wenn sie sich frisch machen möchten. Das Gästebad ist die Treppe rauf, die erste Tür rechts. Handtücher liegen bereit.“

Ennis legte den Hut ab. Er war schweißgebadet. Kein Wunder bei den Temperaturen. Es sollte ein heißer Sommer werden. Es war erst Mai, und die Temperaturen bewegten sich schon um 30° Celsius.

Während Ennis nach oben verschwand, räumte Emma die Einkäufe weg und bereitete das mitgebrachte Essen vor.

Als Ennis wieder in die Küche kam, sah er wieder erfrischt aus. Emma lächelte ihn an.

„Dann lassen sie es sich schmecken!“ meinte sie.

Bevor sie sich zu ihm setzte, nahm sie noch zwei Flaschen Budweiser aus dem Kühlschrank.

„Das ist aber nicht nötig, Ma’am!“ murmelte er nur und nahm Platz.

„Natürlich ist es das! Wollen sie etwa vor Hunger vom Dach fallen?“

Sie öffnete die Flaschen mit einem Feuerzeug, das auf dem Tisch lag. Ennis hob beeindruckt eine Augenbraue.

„Auf das Dach!“ meinte Emma und reichte ihm eine Flasche.

Sie stießen an. Ennis genoss das kühle Getränk, wie es durch seine heiße Kehle floss.

Gegen vier Uhr war Ennis fertig mit dem Abdecken des Daches. Er klopfte an die Hintertür, denn er hatte gesehen, dass Emma im Wohnzimmer an ihrem Computer saß.

„Oh, kommen sie nur herein!“ rief sie.

Er trat ein und blieb in der Küche stehen, die an das Wohnzimmer angrenzte.

„Ich bin fertig für heute. Ich werde jetzt die alten Ziegel zur Deponie bringen. Ähm, ich würde dann am Montagmorgen die neuen Ziegel abholen und anfangen.“

„Ja! Toll!“ Emma stand auf. Sie nahm ihre Brille, die sie zum Arbeiten trug, ab und ging zu ihm.

„Ich habe ihnen einen Scheck für heute und für die kommende Woche ausgestellt. 600 $. Wenn sie nächste Woche noch länger arbeiten, werde ich ihnen das natürlich auch nachzahlen.“

Damit hatte Ennis nicht gerechnet. Er blickte auf den Scheck in seiner Hand.

„Ma’am, ich...“

„Das hatten wir doch ausgemacht, oder!?“

„Ja, aber das ist viel zu viel... außerdem habe ich doch noch gar nicht...“

„Keine Widerrede! Sie machen gute Arbeit. Das ist ihr Lohn.“ Ennis sagte darauf nichts.

„Ich wünsche ihnen ein schönes Wochenende, Ennis. Genießen sie es!“

Er nickte. „Ma’am.“

„Und bitte, hören sie auf, mich Ma’am zu nennen! Das klingt so schrecklich alt!“ schmunzelte sie.

„Ich bin Emma!“

„Okay. Ähm... vielen Dank. Und ihnen auch ein schönes Wochenende.“


Emma wurde am nächsten Morgen auf viel angenehmere Art geweckt. Es war Steve, der sie zärtlich wach küsste. In den Händen hielt er ein Tablett mit allerlei leckeren Sachen zum Frühstück.

„Hmmm, wer sind sie denn?“ murmelte sie müde, lächelte dabei.

„Ihr persönlicher Wecker, Ma’am!“

Emma stieß einen Schrei aus. Steve schaute sie irritiert an.

„Bitte! Ich bin keine Ma’am!“

Er grinste und stellte das Tablett aufs Bett.

„Nun, hier in Wyoming bist du Ma’am und ich Sir.“

„Das habe ich auch schon festgestellt!“ Sie küssten sich.

„Ich war spät gestern. Ted hatte noch etwas mit mir zu besprechen. Aber es war eine Ausnahme. Normalerweise nehme ich den Flieger um vier. Wir hatten noch Papierkram zu erledigen wegen Versicherungen und so.“

„Klar, verstehe. Wie war denn deine erste Woche?“

„Oh, sehr abwechslungsreich! Grauer und grüner Star, Splitter, Schielbehandlung. In Casper gibt es alles!“ Er strich ihr Haar aus dem Gesicht.

„Und wie war es hier? Ich habe gesehen, du hast schon das Dach abgedeckt!“

Emma streichelte seine unrasierte Wange.

„Stell’ dir vor, ich habe schon meinen persönlichen Cowboy!“

„Aha!“

„Ja, er stand am Donnerstag vor der Tür und sagte, er wolle das Dach neu decken!“

„Was?!“

„Irgendwie ist es zu ihm durchgedrungen, dass wir jemanden fürs Dach suchen, da ist er einfach vorbeigekommen und hat gefragt, ob er anfangen kann.“

„Cool!“

„Naja, und gestern Morgen stand er schon in aller Herrgottsfrüh auf dem Dach!“

„Das nenne ich Einsatz! Die Leute hier sind tüchtig! Was bekommt er?“

„Ich fragte, ob 500 $ die Woche in Ordnung seien. Ich glaube, ihm wäre fast das Herz stehen geblieben.“

„500 $? Das ist doch schwere Arbeit. Sollten wir nicht noch etwas drauflegen?“

„Ich weiß nicht. Ich würde erstmal nichts weiter machen. Ich möchte nicht, dass er sich mies fühlt, weil wir aus der Stadt so großzügig sind oder so... Ich glaube, das ist mehr, als er sonst in der Woche verdient. Er hangelt sich von Job zu Job. Und er hat zwei Mädchen. Kate hat erzählt, dass er sich letztes Jahr von seiner Frau getrennt hat. Er wohnt in einem der Trailer am Stadtrand.“

Steve hörte ihr aufmerksam zu.

„Er ist sehr verschwiegen. Er hat letztes Jahr Schafe gehütet in den Bergen.“

„Aha... ein echter Cowboy also.“

„Ja. Und er sieht gut aus!“

„Soso...“

„Ja... mit Cowboyhut und sexy Jeans!“ neckte sie ihn.

„Was willst du mir damit sagen, Emma McBride?!“

Am Nachmittag fuhren Steve und Emma gemeinsam hinaus zu einem Gestüt, auf dem Emma ihre beiden Pferde untergebracht hatte. Außerdem hatte sie mit den Eigentümern letzten Monat einen Vertrag abgeschlossen. Emma war Psychologin und Therapeutin. Unter anderem arbeitete sie mit autistischen Kindern, die durch den Umgang mit Pferden ein wenig aus ihrer eigenen kleinen Welt ausbrachen. In Modesto hatte ihre Methode großen Anklang gefunden. Hier in Riverton wollte sie nun ein Feriencamp für diese Kinder aufbauen. Entsprechende Verträge mit einer Unterkunft hatte sie auch schon unterzeichnet.

„Schau’ dir diese Kerle an! Wenn das nicht authentisch ist!“ meinte Steve, als er den Wagen abstellte.

Auf dem Gestüt liefen beinahe alle in Westernmanier herum. Emma grinste.

„Ich werde mich hier sehr wohl fühlen!“ bemerkte sie und stieg aus.

Steve und Emma verbrachten den Nachmittag mit den Pferden. Sie ritten hinaus in die nahe gelegenen Wälder. Es war ein wunderschöner Frühsommertag. Erst gegen sechs Uhr kehrten sie zurück zum Gestüt.

„Hey, das ist ja Ennis!“ rief Emma plötzlich, als sie in Sichtweite der Ställe kamen.

„Ennis?“

„Der Mann, der unser Dach neu deckt! Hey, Ennis!“

Sie galoppierte hinüber zu ihm. Ennis sah auf. Er striegelte gerade ein prächtiges Pferd. Steve folgte ihr.

„Ennis! Was machen sie denn hier?!“ fragte sie und stieg ab.

„Oh, ich habe hier noch einen Job. Ein paar Stunden am Wochenende. Nichts Besonderes. Bob überlässt mir im Gegenzug schon mal eins seiner Pferde.“

„Schön! Ennis, darf ich dir meinen Mann vorstellen! Das ist Steve. Steve, Ennis Del Mar.“

Die Männer gaben sich die Hand.

„Gute Arbeit!“ meinte Steve.

„Steve, stell’ dir vor, Ennis arbeitet hier am Wochenende.“

„Oh, dann werdet ihr euch ja noch öfter sehen in Zukunft!“ bemerkte Steve und klopfte seinem Pferd auf die Flanke. Ennis verstand nicht.

„Ich werde ab nächsten Monat hier arbeiten. Therapeutisches Reiten mit autistischen Kindern. Ich habe das schon in Modesto gemacht.“

Ennis nickte.

„Ich bin Therapeutin.“ erklärte Emma. Sie kam sich auf einmal fürchterlich dumm vor, da sie ihm noch gar nichts über ihren Job erzählt hatte.

„Soll ich ihre Pferde fertigmachen?“ fragte Ennis und striegelte weiter.

„Nein, das machen wir schon. Sie sind noch ein bisschen durch den Wind wegen der Fahrt. Sie sind erst vor drei Tagen hergekommen.“

„Ja, ich war abends hier. Schöne Tiere.“

„Okay. Ähm... wir sehen uns spätestens am Montag!“

„Ziemlich verschwiegen.“ bemerkte Steve, als sie auf dem Rückweg waren.

„Ja. Irgendwas ist mit ihm.“

„Wie ich dich kenne, wirst du das bald herauskriegen!“ Steve schaltete das Radio ein. Country.


Steve verließ am Montag um sechs Uhr das Haus, um pünktlich in Casper anzukommen. Emma ließ er schlafen. Er wusste, dass sie morgens unausstehlich sein konnte. Vor allen Dingen so früh. Doch erstaunlicherweise stand Emma an diesem Montag schon um acht Uhr auf. Sie hatte das Gefühl, eine Mission erfüllen zu müssen, konnte es aber noch nicht genau deuten. Das ganze Wochenende war ihr Ennis Del Mar nicht aus dem Kopf gegangen. Er hatte diesen wehmütigen Blick. Eine große Melancholie, ja, schon Traurigkeit umfing ihn. Sie beobachtete ihn an diesem Morgen, als sie sich etwas zum Frühstück zubereitete. Er arbeitete hart. Und er wirkte doch so weich.

„Guten Morgen, Ennis!“ begrüßte sie ihn, als sie nach draußen ging.

„Morgen, Ma’... Emma!“

Sie lächelte.

„Ich lasse ihnen die Hintertür offen. Es gibt Kaffee und Bagels. Bedienen sie sich, wenn sie hungrig sind. Ich habe noch einiges zu erledigen in der Stadt.“

Er tippte sich an den Hut.

„Brauchen sie noch etwas?“

„Nein, danke.“

„Okay. Dann bis später!“

Emma war schon eine Weile weg, als Ennis schließlich eine Pause einlegte. Bevor er in die Küche ging, nahm er eine Packung Zigaretten und die Post, die er heute aus seinem Postfach mitgenommen hatte, aus einem Beutel, der auf dem Beifahrersitz seines Wagens lag.

Während er sich einen Kaffee einschenkte, ging er durch die Post. Werbung, Rechnungen. Ennis runzelte die Stirn. Wie konnte er nur so viele Rechnungen bekommen? Er lebte in einem verdammten Trailer, sein Geld ging im Großen und Ganzen fürs Essen und für den Unterhalt seiner beiden Mädchen drauf. Er gönnte sich praktisch nichts. Und doch.

Bei einem Brief hielt er inne. Es war ein blauer Umschlag. Abgestempelt in Texas. Es war eine schöne, geschwungene Schrift. Beim Blick auf den Absender fing sein Herz an zu rasen. Jack Twist. Mit zitternden Händen riss er den Umschlag auf.

„Ennis, ich hoffe, dieser Brief erreicht dich. Ich habe keine aktuelle Adresse von dir, schreibe also auf gut Glück nach Riverton.

Wie geht es dir? Warst du noch mal in den Bergen? Die Zeit dort oben geht mir nicht aus dem Kopf. Würde dich gerne besuchen. Melde dich: (806) 345-3311. Jack“

Ennis war wie betäubt. Träumte er? Er las die Zeilen immer und immer wieder. Irgendwann stand er auf und stürmte regelrecht aus dem Haus. Sein Weg führte hundert Meter die Straße hinunter zur nächsten Telefonzelle. Er kramte einige Münzen aus seiner Hosentasche und warf sie in den dafür vorgesehenen Schlitz. Dann wählte er Texas. Gespannt presste er den Hörer an sein Ohr. Er war etwas außer Atem.

„Excel Machinery Ltd., Jack Twist.“ Ennis schloss die Augen für einen Moment.

„Hallo?“

„Jack? Hier ist Ennis!“ Seine Stimme zitterte ein wenig. Er räusperte sich.

„Ennis? Ennis Del Mar? Oh, mein Gott!“ Der Mensch am anderen Ende der Leitung klang euphorisch.

„Ja.“

„Mein Gott, Ennis! Ich hab’... es ist eine Weile her, dass ich den Brief abgeschickt habe. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Ennis! Wie geht es dir?“

„Gut. Was..., was tust du in Texas?“

„Bin irgendwie hier hängen geblieben. Hab’ ne süße Maus geheiratet. Und nun... ich verkaufe Landmaschinen.“

„Ah...“

„Und du? Was treibst du? Bist du noch in Riverton? Du bist sicher Farmer geworden!“

„Nicht ganz, ich... ja, ich lebe noch in Riverton. Mache so dies und das. Was gerade anfällt.“

„Wow, ich, ähm... wie sieht’s aus? Können wir uns sehen? Ich kann mir ein paar Tage frei nehmen. Habe noch etliche Urlaubstage.“

„Ja, ähm, klar. Ich..., wir könnten raus fahren, fischen oder so.“

„Das wäre toll! Hast du am Wochenende schon was vor?“

„Nein.“

„Okay, ähm... ich komm’ vorbei!“


Die Woche verging wie im Nu. Sie hatten eine Art Ritual entwickelt, eher eine Routine. Emma machte morgens Kaffee und Frühstück, manchmal gesellte sich Ennis zu ihr, manchmal holte er sich nur einen Kaffee ab und rauchte dann in Ruhe draußen eine Zigarette. Mittags bereitete Emma immer eine leckere Mahlzeit. Sie hatte das Gefühl, dass Ennis am Ende der Woche schon ein wenig lockerer war.

„Ich werde am Wochenende mit einem Freund in die Berge fahren.“ begann er plötzlich beim Mittagessen am Freitag.

Emma war überrascht über sein aufflammendes Mitteilungsbedürfnis. Sie nahm einen Schluck kühles Bud.

„Hört sich gut an!“

„Ich nehme zwei Pferde von Bob mit. Oben auf den Big Horns gibt es gute Plätze zum Fischen.“ Er nahm einen Bissen von dem Hühnchenschenkel.

„Wow! Ihr geht hoch zum Fischen?! Ist das ein Freund aus der Stadt?“

Ennis schüttelte den Kopf.

„Nein. Lebt in Texas. Seine Leute leben in Lightning Flat. Wir haben uns vor ein paar Jahren beim Schafe hüten kennen gelernt.“

„Cool!“

Sie aßen eine Weile schweigend weiter.

„Er ist irgendwie schräg.“ Ennis musste grinsen.

„Aha. Wieso?“ fragte Emma. Sein Grinsen war ansteckend.

„Keine Ahnung. Er ist... ach, er ist einfach Jack.“

„Was macht er so?“

„Landwirtschaftsmaschinen. Ist in die Firma seines Schwiegervaters eingestiegen. Macht richtig gutes Geld.“

„Und wär’ das auch was für sie?“

„Nein. Zuviel Stress. Ich bin lieber hier draußen. Weniger Menschen.“

„Ja, es ist viel entspannter hier. Hab’ ich auch schon festgestellt. Man muss sich dran gewöhnen. Aber dann...“

„Wieso sind sie hierher gekommen?“

„Oh, es war ein Angebot. Ich hatte viel Erfolg mit der Therapie in Modesto. Ich habe die Anfrage aus Wyoming bekommen, ob ich nicht in das Gestüt einsteigen möchte mit meinem Konzept. Ein Feriencamp für autistische Kinder. Das sind... nun, ganz spezielle Kinder, sie leben in ihrer eigenen Welt, lassen niemanden an sich heran. Über die Pferde, über Tiere generell bekommt man einen guten Zugang zu ihnen. Ich möchte den Kindern hier so etwas wie einen Urlaub von dieser kleinen Welt ermöglichen. Und auch den Eltern. Sie sind oft überfordert, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Tja, ich hoffe, es werden viele Kinder zu mir kommen.“

Ennis nickte.

„Tja, und Steve arbeitet in einer Praxis in Casper. Er ist Augenarzt.“

Ennis lehnte sich nach hinten.

„In dem Anbau werde ich meine Praxis einrichten. Ich werde nicht nur die Reittherapie anbieten. Mein anderes Standbein wird die klassische Psychotherapie sein. In Riverton gibt es bisher einen einzigen Therapeuten. Bin mal gespannt, wer sich zu mir traut.“ Sie lachte.

Ennis lächelte verlegen.

„Es ist ein bisschen Abenteuer für mich. Ich bin in Modesto aufgewachsen, habe in San Francisco studiert. Bisher gefällt es mir sehr gut.“

„Bin bisher nicht über Wyoming raus gekommen. Höchstens mit dem Finger auf der Landkarte.“

„Was ist mit ihrem Freund aus Texas?“

Ennis zuckte mit den Achseln.

„Texas ist schön.“

Ennis sagte nichts.

„Wann kommt er an?“

„Morgen früh.“ Sein Gesicht erhellte sich wieder.

„Dann bleibt er nur fürs Wochenende?“

„Ja.“

„Wissen sie was, wieso verlängern sie nicht bis Montag? Dann haben sie noch was vom Wochenende. Es sei denn, er muss schon am Montag wieder zurück sein.“

Ennis sah sie an.

„Sie sind schon so weit gekommen. Da kommt es auf einen Tag auch nicht mehr an.“

„Ich weiß nicht.“

„Mein Angebot steht. Überlegen sie es sich.“

Als sich Ennis an diesem Nachmittag verabschiedete, reichte Emma ihm wieder einen Scheck.

„Bitte nehmen sie den Scheck, Ennis. Es sind 200 $ mehr. Sie haben bisher so gute Arbeit geleistet, und sie waren bis in den Abend da.“ meinte sie, bevor Ennis protestieren konnte.

„Und ich erwarte sie erst am Dienstag wieder! Machen sie sich ein schönes Wochenende mit ihrem Freund!“


Am frühen Nachmittag des Montags hatte es sich Emma auf der Veranda des Hauses mit ihrem Notebook bequem gemacht. Es war erstaunlich, wie viele Voranmeldungen sie schon für die ersten Ferien in ihrem Camp bekommen hatte. Nun organisierte sie die entsprechenden Unterkünfte, was in Riverton sehr leicht viel. Alle Organisationen waren sehr kooperativ. Trotzdem war es eine Menge Arbeit. Emma hatte schon damit gerechnet, eine Hilfe für die Administration einzustellen, doch sie hätte nicht gedacht, dass es so akut werden würde. Auch musste sie sich noch Gedanken machen über eine Hilfe auf dem Gestüt. In Modesto hatte sie schließlich mit fünf anderen Therapeuten zusammengearbeitet. Doch sie hatte das Gefühl, dass sich dieses Problem auch bald lösen würde.

Emma hatte gerade ein Telefonat mit einem lokalen Hotel beendet, als plötzlich Ennis’ Pick Up auf den Hof geschossen kam und gerade noch zum Stehen kam. Sie nahm die Brille ab und blickte hinüber. Ennis stieg aus und knallte die Tür des Wagens mit voller Wucht zu. Er machte einen sehr verärgerten Eindruck. Sie wollte gerade aufstehen und ihn begrüßen, als sie die folgende Szene davon abhielt.

Ennis stützte sich an der Hauswand des Anbaus ab. Er murmelte etwas, es hörte sich an wie „Verdammt“, „Fuck“ und ähnliche Flüche. Bis er schließlich zusammenzubrechen schien und dabei mit der bloßen Faust gegen die verputzte Hauswand schlug. Ein paar Mal mit aller Kraft. Als Emma schließlich ein Schluchzen vernahm, konnte sie nicht weiter nur dastehen. Sie ging zu ihm, langsam. Sie verschränkte die Arme. Irgendetwas ließ sie frösteln, obwohl es ein sehr warmer Nachmittag im Mai war.

Als sie näher kam sah sie Ennis’ blutende Fingerknöchel. Er hockte da, die Stirn an die Wand gelehnt. Er weinte bitterlich. Sein Hut lag auf dem Boden neben ihm.

„Hey!“ sagte sie leise und hockte sich neben ihm, um auf gleicher Höhe mit ihm zu sein.

Sie legte eine Hand auf seinen Rücken. Sie spürte, wie sein Körper bebte. Er drehte den Kopf leicht in ihre Richtung.

„Was ist passiert, Ennis?“ fragte sie sanft.

Er konnte nicht antworten.

Emma strich über sein Haar. Es fühlte sich unerwartet weich an.

„Komm’ her!“ bat sie dann fast unhörbar.

Ennis ließ es mit sich geschehen und sank in Emmas Arme. Er brach dort noch einmal zusammen. Er konnte gar nicht aufhören zu weinen. Emma wiegte ihn sanft hin und her.

„Sssh...“ Emma hielt ihn eine Weile fest. Die Weinkrämpfe ließen langsam nach.

„Lass’ uns ins Haus gehen, hm?!“

Sie half ihm so gut es ging auf und stützte ihn auf dem Weg ins Haus. Es waren nur ein paar Schritte, aber sie schienen ihm so schwer zu fallen.

„Setz’ dich.“ Er ließ sich in die äußerste Ecke des bequemen Sofas fallen. Emma eilte in die Küche und kam mit einem großen Glas Wasser und dem nagelneuen Verbandskasten wieder.

„Hier. Nimm’ ein paar Schlucke.“ Er tat, was sie ihm sagte. Ein paar Schluchzer mischten sich noch ein.

„Ennis... möchtest du darüber reden?“ fragte sie vorsichtig. Sie hatte sich auf den niedrigen Couchtisch vor ihm gesetzt und hatte seine verletzte Hand genommen.

„Ich werde das besser desinfizieren, damit du keine Infektion bekommst.“ Sie redete leise, sah ihn dabei an.

„Es ist so...“ begann Ennis, doch ein weiterer Weinkrampf kündigte sich an.

„Hey... ssh, ssh, ssh... beruhige dich! Es kommt alles wieder in Ordnung, Ennis!“ Emma streichelte seine raue Wange, die ganz nass war vor Tränen.

„Jack...“ schluchzte Ennis.

„Was ist mit ihm? Habt ihr euch gestritten?“

„Ich halte das nicht mehr aus!“

Emma sagte nichts. Sie nahm die kleine Flasche mit dem Desinfektionsmittel und betupfte vorsichtig die blutigen Stellen an seinen Knöcheln, die sie vorher mit einem nassen Tuch gereinigt hatte. Ennis zuckte nicht zusammen. Seine Hände waren rau. Nicht verwunderlich, wenn man sich seine Jobs ansah. Und doch waren sie so zart. Die Adern ließen sie fragil wirken. Er hatte schöne lange Finger.

„Er... Jack hat sich von seiner Frau getrennt, um...“

Langsam begann es Emma zu dämmern. Sie verband seine Hand vorsichtig. Jede Berührung war eher ein Streicheln. Ennis fasste sich mit der anderen Hand an den Kopf, er kniff die Augen zusammen, als ob er große Schmerzen hatte. Emma wusste, dass es wehtat. Es war ein höllischer Schmerz in der Seele.

„Ist okay!“ meinte sie irgendwann. Sie nahm die andere, gesunde Hand, drückte sie, massierte sie.

„Es ist okay, Ennis.“

„Es ist nicht okay... zwei Männer...“ Er wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen.

„Ennis... sieh mich an! Hey, hier bin ich!“ Sie brachte ihn dazu, sie anzuschauen. Seine Augen waren ganz rot, voller heißer Tränen, die sich ihren Weg über seine Wangen bahnten.

Sie lächelte sanft.

„Wie fühlt es sich an, wenn du ihn berührst?“

Ennis schluchzte. Er atmete hektisch.

„Es... ich hab’ nie was schöneres gefühlt.“ stammelte er. Man konnte es kaum verstehen. Er schien es aus sich heraus zu pressen. Emma verstand.

„Und deshalb ist es okay, Ennis!“

Sie umarmte ihn.

„Es ist okay.“


Emma saß in ihrem Bett, das Telefon am Ohr. Es war Steve.

„Er war so fertig, dass er gar nicht mehr fahren konnte! Ich hab’ ihn dann nach Hause gebracht.“

„Du hättest ihm doch das Gästezimmer fertig machen können.“

„Ich hab’s ihm angeboten, aber da war er wieder ganz Cowboy. Er wollte nicht.“

„Mann, das ist... hart! Ich meine... hätte ich nicht gedacht... er schien mir den Unnahbaren zu geben.“

„Manchmal kann man das aber nicht aufrechterhalten.“

„Ich weiß... was willst du jetzt tun?“

„Frag’ mich was Leichteres! Ich habe mir überlegt, diesen Jack vielleicht anzurufen. Aber Ennis wird den Teufel tun und mir sagen, wo er wohnt!“

„Sagtest du nicht irgendwas von Texas?!“

„Toll, Steve! Texas ist groß, Schatz! Ich kenne nicht mal seinen Nachnamen!“

„Hmm, versuch es halt raus zu finden! Du bist doch sonst so spitzfindig!“

„Was soll das wieder heißen?“

Steve lachte am anderen Ende der Leitung.

„Ich vermiss dich!“

„Ich dich auch, Schatz...“

Emma schlief schlecht in dieser Nacht. Sie wälzte sich von einer Seite zur anderen. Ihre Gedanken waren ständig bei Ennis. Wie er sich wohl fühlte? Es musste eine unglaubliche Last sein.


Gerädert wachte sie am anderen morgen auf. Beim Blick auf den Wecker stellte sie aber fest, dass sie es doch bis neun Uhr im Bett ausgehalten hatte. Dennoch. Ihr Kopf fühlte sich an wie Blei. Und dann dieses Hämmern. Doch das war nicht in ihrem Kopf, wie sie schließlich feststellte. Ennis war auf dem Dach und ging seiner Arbeit nach.

„Das kann nicht wahr sein!“ murmelte Emma und ging ins Bad.

Als sie in der Küche saß bei Zeitung und Kaffee, sie hatte Ennis noch nicht begrüßt, da sie das Gefühl hatte, dass er vielleicht heute lieber in Ruhe gelassen werden wollte, klingelte das Telefon.

„Hallo?“

„Schatz, ich bin’s!“

„Hi, ich!“

„Hast du gut geschlafen?“

„Nein... ich habe das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben.“

„Oh, du machst dir wieder zu viele Gedanken, Honey...“

„Du kennst mich...“

„Eben. Und deshalb hab’ ich heute schon ein wenig herum telefoniert. Im Sommer vor vier Jahren haben Ennis Del Mar und ein gewisser Jack Twist oben in den Big Horns Schafe gehütet. Ich habe einfach mal die größten Züchter in der Gegend um Riverton angerufen. Beim fünften hatte ich Glück.“

Emma schloss die Augen.

„Schatz?“

„Ja, ich bin hier... Steve, du bist der beste!“

„Ich weiß! Also, ich hab’ noch etwas herausgefunden. Es gibt einen Jack Twist in Amarillo. Hast du was zum schreiben?“

„Du hast die Telefonnummer?“

„Wenn es DER Jack Twist ist...“

„Mein Gott! Du bist wahnsinnig! Ja, ja, ich hab was zum schreiben!“

„Okay, die Nummer ist 081 9523 56.“

„Ich hab’s notiert. Oh, mein Gott!“

„Sei nicht zu enthusiastisch! Du weißt nicht, was wirklich vorgefallen ist zwischen den beiden.“

„Ja... danke. Ich liebe dich!“

„Und ich liebe dich! Schatz, ich muss weitermachen. Der nächste Patient wartet.“

„Okay... bye!“

Emma starrte auf den Zettel mit der hin gekritzelten Telefonnummer. Sie war in der Stimmung. Ihr Blick fiel auf Ennis, der ohne Unterlass Ziegel für Ziegel auf das Dach nagelte. Sie erinnerte sich an die Situation gestern. Er war so verwundbar gewesen, so weich. Emma wählte die Nummer. Gespannt presste sie den Hörer ans Ohr. Es klingelte. Sie hielt den Atem an.

Es dauerte eine Weile, bis jemand antwortete. Es war eine Männerstimme. Sie war erstaunlich leise, und doch sehr stark. Sie klang verletzt.

„Hallo?“

„Guten Morgen. Spreche ich mit Jack Twist?“

„Ja, am Apparat. Wer ist da?“

„Hmm, verzeihen sie bitte die Störung. Mein Name ist Emma McBride. Ich wohne in Riverton und habe eine Frage...“

„Hab’ ich den Wagen doch angerempelt vor dem Drugstore? Ma’am, das tut mir sehr leid, ich werde das meiner Versicherung melden!“

„Nein, nein! Mein Wagen ist völlig in Ordnung! Es geht um... Ennis Del Mar.“

Keine Reaktion.

„Sie kennen Ennis?“

„Ja... ja, was ist mit ihm?“ Seine Stimme schien auf einmal noch schwächer zu klingen.

„Nun, es ist so... Ennis arbeitet derzeit für mich. Ich habe ihn vorletzte Woche angeheuert, das Dach des Anbaus neu zu decken.“

„Oh, ja, er hat davon erzählt.“

„Es geht nicht um mich... es ist... eigentlich hatte ich ihn erst heute zurück erwartet. Er sagte, er wolle mit einem alten Freund das Wochenende in den Bergen verbringen. Ich habe ihm gesagt, er solle ein langes Wochenende daraus machen, aber er tauchte gestern Nachmittag völlig unerwartet bei mir auf. Er war vollkommen in Rage.“

Jack sagte nichts.

„Ich denke, sie haben noch einiges zu klären.“

„Es ist alles geklärt zwischen uns.“

„Das glaube ich nicht. Er ist vor meinem Haus zusammengebrochen. Ich konnte ihn kaum beruhigen.“

„Ma’am, ich glaube, das geht sie nichts an. Es ist eine Sache zwischen Ennis und mir. Ich möchte nicht darüber reden.“

„Natürlich. Ich möchte sie auch nicht ausquetschen oder so. Ich weiß nur, dass... Ennis hat große Angst, sich Dinge einzugestehen, die sehr eindeutig sind. Wir haben gestern noch lange geredet, das heißt lange für Ennis Verhältnisse. Er wünscht sich nur eine Sache so sehr, dass sie ihn fast umbringt.“

„Ma’am...“

„Er liebt sie, Jack.“

Nichts.

„Ich weiß, es ist hart für euch Jungs hier in der Gegend... aber... ihr habt eine Chance verdient. Lasst euch sie nicht kaputt machen von irgendwelchen bigotten Republikanern! Ich meine, das ist eine gottverdammte Schweinerei, was das Land aus den Menschen hier macht! Ich habe Ennis gesehen gestern... er liebt sie so sehr. Er weiß nicht, wohin damit.“

Emma hörte Jack am anderen Ende der Leitung heftig atmen.

„Hören sie, Ennis wird es nicht bringen und nach Texas fahren. Ich habe das Gefühl, dass sie schon ein Stück weiter sind in der ganzen Sache. Kommen sie her. Reden sie miteinander.“

„Er wird mir nicht mehr zuhören!“ stammelte Jack.

„Er WIRD ihnen zuhören! Versuchen sie es! Seien sie behutsam, nicht fordernd. Zeigen sie ihm, was sie für ihn fühlen. Er braucht es so sehr!“

„Gott!“

„Steigen sie um Himmels Willen in das nächste Flugzeug und kommen sie nach Riverton!“

„Ich weiß nicht...“

„Bitte! Fragen sie mich nicht, wieso ich das tue, wahrscheinlich meine Harmoniesucht. Vielleicht kann ich es auch nur nicht mit ansehen, wie jemand so etwas Kostbares wegwirft.“

„Wissen sie... ich liebe diesen verdammten Mistkerl so! Ich habe so was noch nicht erlebt. Ich dachte, es sei nur so ein Ding, das man durchmachen muss, wenn man erwachsen wird...“

Emma lächelte.

„Kommen sie her.“

Ein Zögern.

„Okay. Ich versuche es.“

„Das wollte ich hören!“

„Mein Gott!“

„Ich nehme an, sie fliegen über Denver. Soll ich mich um einen Flug kümmern?“

„Nein, ich... kümmere mich darum.“

„In Ordnung. Hören sie, wenn sie möchten, kann ich es arrangieren, dass sie hier her kommen. Sie können sich hier auf neutralem Terrain treffen. Manchmal wirkt das Wunder.“

„Denken sie?“

„Ja! Wir machen es so: sie kümmern sich um den Flug und sagen mir dann, wann sie in Riverton ankommen. Ich hole sie vom Flughafen ab.“

„Sie müssen das nicht tun.“

„Ich weiß. Schreiben sie sich meine Nummer auf.“

„Okay...“


Emma hatte Ennis gebeten, zum Abendessen zu bleiben kurz bevor sie sich am späten Nachmittag auf den Weg zum regionalen Flughafen in Riverton machte. Es war eine kurze Fahrt. Jack landete um fünf Uhr. Emma war seltsamerweise sehr aufgeregt, als sie ihren Wagen in eine Parklücke lenkte. Sie wusste nicht, wie er aussah, wie es sein würde, wenn sich Ennis und Jack wieder begegneten.

Sie stieg aus, nachdem sie ihr Make-up im Rückspiegel überprüft hatte. Sie trug moderne Jeans, ein knappes blaues T-Shirt und Sandalen. Sie wollte offen wirken, nicht altmodisch, wovon sie ohnehin weit entfernt war.

Als sie die kleine Empfangshalle betrat kam ihr die kühle Brise der Klimaanlage entgegen. Gerade schien eine Maschine gelandet zu sein, denn es herrschte Gedränge am Ausgang. Es war natürlich kein Vergleich mit den Flughäfen der Großstädte. Emma wartete ab, bis der Großteil der Abholer und Ankommenden sich gefunden hatte und die Halle verlassen hatte.

Da stand er. Das musste er sein. Jack Twist. Groß, aber nicht ganz so groß wie Ennis, schlank, mit dunklem, dichten Haar. Er trug dunkle Jeans, ein offenes Hemd, darunter ein weißes T-Shirt. Auf dem Kopf saß der obligatorische Stetson. Emma schmunzelte und ging auf ihn zu. Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben, denn er starrte gedankenverloren in die andere Richtung. Er hatte eine lederne Reisetasche bei sich, Handgepäck. Sie stand zu seinen Füßen, die in Stiefeln steckten.

„Jack Twist?“ fragte Emma vorsichtig, lächelte dabei.

Er drehte sich zu ihr um. Oh, diese Augen! Dunkelblau und groß. Wie konnte man diesen Mann NICHT lieben?

„Ja.“

„Hi, ich bin Emma!“ Sie gaben sich die Hand. Es war ein fester Händedruck. Er wandte seinen Körper in ihre Richtung.

„Oh, hi!“

„Und fangen sie gar nicht erst mit diesem Ma’am an! Ich bin einfach Emma!“

Er lächelte verlegen.

„Jack.“

„Okay... Jack! Schön, dass du gekommen bist! Ich denke wirklich, dass es richtig ist!“

Er nickte nur.

„Wie geht es dir? Wie war der Flug?“

„Ähm. Okay.“

„Gut... mein Wagen steht draußen. Es ist nicht weit, zwanzig Minuten bloß.“

Sie gingen nach draußen.

„Weiß er, dass ich komme?“ fragte Jack unsicher, als Emma auf die Hauptstraße Richtung Stadt einbog.

„Nein. Ich habe ihn gebeten, zum Abendessen zu bleiben.“

Jack fuhr sich übers Gesicht.

„Hey, ganz locker! Ihr macht euch zu viele Gedanken!“

„Man kann sich nicht genug Gedanken machen, wenn es um Ennis Del Mar geht! Er ist einfach zuviel für mich... manchmal.“

Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Emma merkte, wie nervös Jack wurde, als sie in die Einfahrt zu ihrem Haus einbog und er Ennis’ alten Pick Up bemerkte.

„Gott, ich kann das nicht!“ murmelte er.

„Zu spät!“ Sie stellte den Motor ab und sah ihn an.

„Es wird gut gehen.“ sagte sie und legte kurz ihre Hand auf seinen Unterarm.

Da kam Ennis ins Blickfeld der beiden. Er packte gerade seine Werkzeugkiste auf die Ladefläche des Trucks. Er hatte eine Zigarette im Mundwinkel.

Emma stieg aus.

„Ennis, ich habe Besuch mitgebracht!“ meinte sie im Vorbeigehen.

Er sah auf. Sein Blick fiel auf Jack, der langsam aus dem Wagen ausstieg.

Emma verzog sich im Haus. Sie machte sich ans Abendessen.

Sie sahen sich eine Weile nur an. Es schien eine Ewigkeit.

„Was machst du hier?“ fragte Ennis schroff, doch seine Stimme kippte.

Er schnippte die Zigarette weg. Er spürte schon wieder die heißen Tränen in ihm aufsteigen. Er wollte es nicht. Nicht schon wieder. Es hatte zu sehr wehgetan gestern.

„Ich will dich.“ sagte Jack leise.

„Jack...“

„Ich will dich nicht gehen lassen, hörst du?! Ich brauche dich, du Arschloch!“ Jacks Stimme zitterte. Er war genauso unsicher.

„Aber wie...?“

Jack kam näher.

„Einfach so.“ Jack nahm seine Hand in beide Hände.

„Das geht nicht, Jack.“ flüsterte Ennis beinahe unhörbar.

Doch Jack nickte. Er kam noch näher. Bis sie sich gegenüber standen. Ganz nah.

„Wir können das immer haben, Ennis. Sag’ nicht, dass es nicht geht!“

Jack umarmte ihn. Er spürte, wie er sich wehrte, wie er versuchte, ihn zurückzudrängen, doch Jake blieb stark. Er ließ ihn nicht aus seiner Umarmung, wie gestern. Diesmal nicht. Mit dem Ergebnis, dass Ennis nachgab. Er ließ sich die Umarmung gefallen. Mehr noch. Er legte seinerseits die Arme um ihn und begann, ihn an sich zu drücken. Ganz fest.

„Geh nicht!“ bat er. Kaum hörbar.

„Werd’ ich nicht.“

Emma hatte sich zusammenreißen müssen, die Szene nicht durch das Fenster zu beobachten. Sie stand in der Küche und schnippelte Gemüse für den Eintopf, als sie hörte, wie jemand durch die Hintertür ins Haus kam. Es waren Ennis und Jack. Sie standen da, unsicher und verlegen, als ob sie kleine Jungs wären und etwas angestellt hätten.

„Hey!“ Sie lächelte. Sie hatte dieses umwerfende, ansteckende Lächeln.

„Was ist? Soll ich den Tisch für drei decken oder habt ihr schon was vor?!“ fragte sie und legte den Deckel auf den Topf mit der dampfenden Suppe.

„Du hast dir schon so viele Umstände gemacht...“ meinte Jack.

„Umstände? Ich?“ Sie winkte ab.

„Das Angebot steht. Es dauert allerdings noch eine Stunde, bis das alles fertig ist. Du kannst dich gerne frisch machen, Ennis. Es war ein heißer Tag.“

Ennis kratzte sich am Hinterkopf. „Ich weiß nicht.“

Jack sah ihn an grinste. „Ich denke, du kannst eine Dusche ganz gut brauchen!“ neckte er ihn und rempelte ihn an.

„Ich habe keine Sachen zum Wechseln dabei.“

„Oh, ich leg dir was von Steve raus. Die Sachen müssten dir passen.“

„Na, mach’ schon! Ich hab’ einen Bärenhunger! Und ich schätze nicht, dass du mir auch einen Eintopf kochen wirst.“ meinte Jack und nestelte an Ennis’ Hemdkragen.

„Na, gut, dann...“

„Okay, ich leg’ dir die Klamotten vor die Tür.“

Ennis verschwand nach oben.

Jack kam aus dem Grinsen gar nicht mehr raus. Er stand da, die Hände in den Hosentaschen, und sah seinem Freund nach.

„Ihr Lovebirds!“ kicherte Emma und nahm zwei Budweiser aus dem Kühlschrank.

„Machs dir bequem!“

Jack setzte sich an den großen Esstisch.

Nachdem Emma Jeans und T-Shirt vor die Tür des Gästebads gelegt hatte, leistete sie ihm Gesellschaft.

„Und?“

Jack hielt ihr seine Flasche zum Anstoßen hin. Emma ging darauf ein.

„Danke!“ meinte er nur und nahm einen Schluck.

„Wofür?“

„Woher wusstest du, wo ich wohne? Hat Ennis das gesagt?“

„Wo denkst du hin?! Mein Mann Steve hat ein wenig recherchiert. Ich wusste nur, dass ihr vor vier Jahren irgendwo in den Big Horns Schafe gehütet habt. Und dass du Jack heißt.“

„Wow! Ist dein Mann Privatdetektiv, oder was?“

„Nicht, dass ich wüsste. Ich war auch schwer beeindruckt.“

Jack knibbelte an dem Etikett der Flasche.

„Ich glaube, er gibt uns eine Chance.“

„Gut!“

„Wir haben noch viel zu besprechen.“

„Das will ich wohl meinen. Aber zerredet nicht alles. Manchmal muss man einfach tun.“

Er nickte.

„Ich dachte, wir bauen uns eine Farm auf, Rinderhaltung. Das würde Ennis gefallen. Er versteht was davon.“

„Wow! Das sind Pläne!“

„Die Geschäfte laufen gut im Moment. Außerdem hat mir mein Schwiegervater eine unglaubliche Summe gezahlt, dafür dass ich mich von meiner Frau getrennt habe. Ich wollte es nicht annehmen, weil... ich meine, ich bin kein Arschloch oder so! Wir hatten uns ohnehin nichts mehr zu sagen. Aber er wollte es nicht mehr haben. Er hat mir sogar gedroht!“

„Jesus! Was sind das für Methoden? Wie im wilden Westen!“

Sie lachten.

„Ich habe sofort an Ennis gedacht. Er hat sich immer gewünscht, eine Farm zu haben, wie seine Eltern damals. Sie ist ja leider unter den Hammer gekommen, als sie ums Leben gekommen sind.“

„Oh, das wusste ich nicht. Ich weiß nur, dass er in dieser gottverdammten Trailersiedlung lebt. Hast du das gesehen? Es ist winzig!“

Jack schüttelte den Kopf.

„Wir hatten irgendeinen Treffpunkt ausgemacht und sind jeder einzeln in die Big Horns gefahren. Er wollte nicht, dass ich sehe, wie er lebt. Ich weiß, dass er für seine Kinder Unterhalt zahlen muss. Und er spart es sich, glaube ich, vom Mund ab. Ich habe ihm angeboten, ihm Geld zu leihen. Aber er hat es abgelehnt.“

„Ich glaube, er hangelt sich von Job zu Job.“

Jack nickte.

„Er verdient was Besseres. Er arbeitet so hart seit Jahren und es ist nie etwas für ihn übrig geblieben.“

„Er beschwert sich nicht.“

„Das würde er nie tun! Ennis...“

„Weißt du, ich kann verstehen, dass du... er ist wirklich ein toller Kerl!“

Jack lächelte verlegen.

„Ich möchte ihm was zurückgeben.“ fügte er hinzu.

Nach einer Weile kam Ennis die Treppe hinunter. Diesmal ganz erfrischt. Sein Haar war noch feucht. Er rieb sich die Hand mit dem Verband, der schon ganz schmutzig geworden war.

„Oh, ich mach’ dir besser einen neuen Verband! Der ist ganz nass!“ bemerkte Emma und sprang auf, um den Verbandskasten zu holen.

„Was ist da passiert?“ fragte Jack besorgt, als sich Ennis zu ihm setzte.

„Oh, nichts weiter... ist beim Dachdecken passiert.“

„Jack, warum bringst du deinem Freund hier nicht auch ein Bier. Er muss durstig sein.“ Emma lehnte sich an den Tisch und begann, Ennis zu verarzten. Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

Sie konnte die beiden überzeugen, hier zu übernachten, nachdem sich Ennis geziert hatte, Jack mit in seinen engen Trailer mitzunehmen. Sie zog sich früh zurück, da sie wusste, dass sie dringend Zeit für sich brauchten.

Sie lagen auf dem bequemen Sofa im Wohnzimmer. Ennis lag in Jacks Armen. Er rauchte eine Zigarette.

„Es fühlt sich so anders an.“ murmelte Jack leise in sein Ohr.

„Was?“

„Mit dir... hier... in einem Haus... wir waren bis jetzt immer draußen, im Zelt.“

Ennis lachte leise.

„Ich glaube, das hier ist besser für meinen Rücken.“

Ennis sagte nichts, schmiegte seinen Kopf an ihn.

„Ich habe so gehofft, Ennis...“ Jack erhöhte den Druck seiner Umarmung.

„Als ich gestern nach Hause gefahren bin, dachte ich: das war’s, du wirst ihn nie wieder sehen.“

Jack küsste seinen Kopf. Er strich mit den Fingerspitzen über Ennis’ Arm. Die Haare auf seinen Unterarmen waren von der Sonne ganz ausgeblichen und boten einen schönen Kontrast zur gebräunten Haut. Er sah, wie Ennis eine Gänsehaut bekam.

„Ist dir kalt?“ fragte Jack.

Ennis schüttelte den Kopf.

„Mach’ nur weiter.“ murmelte er, wortkarg wie immer. Jack war im Gegensatz zu ihm schon eine wahre Plaudertasche. Doch in diesem Moment hielt er sich mit Worten zurück. Die Berührungen reichten aus.


Die Sonne, die durch das große Erkerfenster ins Wohnzimmer fiel, weckte Jack auf. Er blinzelte, rieb sich die Augen, schaute sich um, als ob er sich orientieren musste. Es fiel ihm wieder ein, wo er war. Er musste wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein. Jemand hatte ihn mit einem Plaid zugedeckt. Sein Blick fiel Richtung Küche, in der Ennis an der Arbeitsplatte lehnte, eine Tasse in der Hand, und ihn beobachtete. Er lächelte. Jack räkelte sich, drehte sich zur Seite, damit er ihn ansehen konnte, und zog sich die Decke bis zum Kinn.

„Es ist schon nach zehn! Du solltest so langsam deinen faulen Arsch bewegen und mir mit dem Dach helfen!“ Ennis schmunzelte. Er wusste, dass Jack ein leidenschaftlicher Langschläfer war.

„Ahh, so einfach bekommst du mich hier nicht weg, mein Freund!“ entgegnete Jack. Er verschwand mit dem Kopf unter der Decke.

„Tja, das werden wir noch sehen!“ hörte er Ennis.

Augenblicke später wurde ihm die Decke weggerissen. Jack lachte und zog Ennis am Hosenbund zu sich auf die Couch. Ennis strauchelte, konnte dann sein Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel beinahe auf ihn.

„Hi!“ meinte Jack leise. Ihre Gesichter waren ganz nah.

„Du hast geschlafen wie ein Stein.“ Ennis strich ihm das Haar aus der Stirn.

„Es ist schön, mit dir einzuschlafen.“

„Ich war schon bei mir zu Hause, hab mich umgezogen und was am Dach ausgebessert. Emma ist ganz früh weg. Nach Casper. Irgendein Termin.“

„Hmm, also niemand da...“ Jack fuhr mit einer Hand unter sein T-Shirt. Er spürte weiche warme Haut, kontrahierende Muskeln.

„Nein.“

„Hmmm...“

Jack hob den Kopf an und küsste Ennis auf den Mund. Ein Gerangel begann, eine Art Kampf um Dominanz. Jack gewann die erste Runde. Er lag auf Ennis, hielt seine Arme fest, sah ihn herausfordernd an.

„Ennis Del Mar...“ Er versank in seinen Augen. Ein tiefer, inniger Kuss folgte.

Sie arbeiteten hart an diesem Tag. Als Emma am frühen Abend mit ihrem Wagen in die Auffahrt fuhr, packte Ennis gerade ein.

„Hi! Wow! Das sieht ja schon fast fertig aus!“ bemerkte Emma begeistert und nahm eine Aktentasche vom Beifahrersitz.

„Noch einen Tag und wir haben es geschafft, schätze ich.“ meinte Ennis und rückte seinen Hut zurecht.

„Cool!“ Sie schloss den Wagen per Fernbedienung ab.

Da kam Jack aus dem Haus.

Hi, Emma! Wie war Casper?“ wollte er wissen.

„Erfolgreich! Wie bei euch!“

„Ja, sieht gut aus! Ennis ist wirklich gut!“

„Ähm, wir werden uns ein Motel nehmen für die Zeit, wenn Jack hier ist.“ warf Ennis ein und schloss die Klappe des Pick Ups.

„Warum das? Etwas nicht in Ordnung mit dem Zimmer?“ fragte Emma besorgt.

„Nein, es ist... ich habe dir genug Umstände gemacht. Ich möchte nicht...“

„Umstände? Du hast mein Dach neu gedeckt!“ Sie schob ihre Sonnenbrille ins Haar.

Ennis sah verlegen zu Boden. Jack mischte sich nicht ein.

„Ich wäre sehr froh, wenn ihr bleiben würdet. Ich fühle mich noch etwas unwohl, wenn ich allein im Haus bin, wenn ich ehrlich bin. Und Steve würde dich auch gerne kennen lernen, Jack.“

Jack stand da, die Hände in die Hüften gestemmt. Er sah Ennis erwartungsvoll an.

„Ich weiß nicht...“

„Ich kann euch natürlich nicht zwingen, zu bleiben. Es wäre nur sehr schön. Ich mag euch Jungs.“ Damit verschwand Emma im Haus.

„Ich glaube, sie meint es wirklich so, Ennis.“ meinte Jack.

Ennis nahm seine ledernen Handschuhe aus der hinteren Tasche seiner Jeans und legte sie zusammen. Es schien, dass er nachdachte.

„Sie ist so nett! Schau’, was sie alles gemacht hat. Und sie hat uns eingeladen zu bleiben. Ich glaube, sie ist eine gute Freundin. Ist doch gut, jemanden zu haben, der zu einem steht, oder?!“

Nach einer Weile meinte Ennis nur: „Ich fahr noch kurz nach Hause, ein paar Sachen holen.“

„Okay.“ Jack kam zu ihm und wollte ihm einen Kuss geben, doch Ennis wehrte ab.

„Nicht hier draußen.“ murmelte er und ging zur Fahrertür.

Er stieg ein und ließ den Motor an. Dann fuhr er davon. Jack sah ihm nach, bis er verschwunden war. Dann ging er ins Haus.

Emma checkte gerade den Anrufbeantworter, ging dabei durch die Post des Tages. Sie schien ein wenig angespannt zu sein.

„Er ist schlecht im Nehmen.“ meinte Jack. Er stand etwas unschlüssig im Türrahmen. Emma sah auf. Sie lächelte kurz.

„Ja, stolze Cowboys. Ich weiß.“ Sie war kurz angebunden.

„Er kommt gleich wieder.“ Sie nickte.

„Alles okay?!“

„Ja.“

Schweigen. Jack sah sie an, während sie nun schon zum wiederholten Mal die Briefe in ihrer Hand durchging.

„Schlechte Neuigkeiten?“

Nach einigem Zögern nickte Emma, sie sah nicht auf.

„Willst du drüber reden?“ Kopfschütteln.

Jack umfasste ihren Oberarm.

„Kannst du aber... jederzeit.“

„Danke.“ flüsterte sie und legte die Post weg.

„Ich meine, ich weiß nicht viel, meine Frau... Ex-Frau hat immer gesagt, ich sei ein Junge vom Land und werde es auch immer sein, nicht mehr, nicht weniger, aber... ich versuche es zumindest, ich...“

„Jack! Honey! Mein Gott, du bist großartig! Mach dich nicht klein!“ Sie schien ihre Stärke wieder erlangt zu haben.

„Ich möchte bloß nicht darüber reden, es ist... es hat nichts mit dir zu tun, es ist nur... ich... es ist nichts Dramatisches...“

Jack stand da, wie ein begossener Pudel.

„Hey...“ Sie umarmte ihn. „Danke, dass du... ihr hier seid! Ich mag euch beide sehr! Ich bin froh, dass ich Ennis getroffen habe. Man braucht gute Freunde...“

„Ja...“ Jack streichelte ihren Rücken.

„Na, komm, ich werd’ uns was zum Abendessen zaubern, hm?!“ Sie ließ ihn los und ging Richtung Küche.

„Oh, ich dachte, wir könnten vielleicht essen gehen. Barney’s macht die besten Steaks der Stadt. Ich würde dich gerne einladen.“

„Das hört sich gut an!“ Sie lächelte.

„Okay.“

„Gut, dann werde ich noch kurz duschen. Wir können los, wenn Ennis da ist.“

„Ja. Okay.“

Emma stand in der Diele vorm Spiegel und steckte sich Ohrringe durch ihre Ohrläppchen, als sie Ennis Wagen hörte. Sie öffnete die Haustür und legte dann noch etwas Lippenstift auf. Mit einer kleinen Reisetasche trat Ennis ein. Er hatte sich auch schick gemacht. Er trug dunkle Jeans, ein schwarzes Hemd und polierte Boots. Er nahm den Hut ab, als er das Haus betrat.

„Wow, Ennis!“ schwärmte Emma und sah ihn bewundernd an.

„Ich beneide Jack wirklich!“

Sie legte den Lippenstift in den kleinen Weidenkorb auf der antiken Kommode.

Da erschien auch schon Jack. Er hatte am dicksten aufgetragen an diesem Abend. Er trug zu Jeans und weißem Hemd mit Bolo Tie einen schicken Blazer.

„Oh, mein Gott! Das glaubt mir in Modesto niemand! Ich muss ein Foto davon machen!“

In Emmas Wagen fuhren sie in die Stadt. Aus dem Restaurant ertönte schwungvolle Countrymusik. Emma fühlte sich sehr wohl und beschützt mit ihren beiden Cowboys. Sie verbrachten einen schönen Abend mit gutem Essen und netter Konversation. Selbst Ennis kam etwas aus sich heraus. Er lächelte verlegen, als Jack sein Bein an seins schmiegte und es dort ließ. Einmal streichelte er sogar kurz seine Hand mit seinem kleinen Finger. Ennis glühte.

Erst gegen Mitternacht kehrten sie heim.

„Gute Nacht, ihr beiden! Und nehmt diesmal das Bett, das ist wesentlich bequemer als die Couch!“ meinte Emma, bevor sie in ihrem Schlafzimmer am Ende des Flures in der oberen Etage verschwand.

Ennis und Jack nahmen das Gästezimmer.

„Das war gut, hm?!“ Jack war ein wenig betrunken. Er stellte sich vor den großen Spiegel und begann, sich auszuziehen. Er fühlte sich angenehm heiter. Ein wenig schwindelig zwar. Er lächelte glücklich, als Ennis erschien und sich hinter ihn stellte. Er begann, sein Hemd von hinten aufzuknöpfen.

„Darauf hab’ ich mich schon den ganzen Abend gefreut.“ meinte Ennis leise und sah ihn über den Spiegel herausfordernd an.

„Aha?!“

Als das Hemd offen war, fuhr Ennis über seine Brust. Kein störendes Haar. Nur seine nackte Haut, seine Muskeln. Jack brummte zufrieden und schloss einen Moment die Augen, lehnte sich nach hinten. Er fühlte sich sehr geborgen in diesem Moment. Bis Ennis Hand sich an seiner Gürtelschnalle zu schaffen machte. Es war die Schnalle, die er vor einigen Jahren beim Rodeo gewonnen hatte. Er hatte sie bei ihrem Sommer in den Bergen voller Stolz getragen.

Jack schaute ihm zu, wie er sie öffnete, dann die Jeans Knopf für Knopf. Er drängte seinen Po an Ennis Schritt. Er spürte, dass jemand mindestens genauso erregt war wie er. Sie sahen sich an, als Ennis seine Hand unter die Jeans schob und durch den Stoff der Boxershorts seine Erektion spürte. Jack öffnete den Mund und stöhnte leise. Ennis rieb mit der Hand seinen Schwanz, was Jack sichtlich genoss.

„Du bist so schön.“ hauchte Ennis ihm ins Ohr.

Jacks Jeans fiel zu Boden. Die schwere Schnalle klirrte auf dem Parkett. Ennis trat auf den Schritt der Hose, so dass Jack einfach heraus steigen konnte. Dann ließ er sein Hemd über die Schultern gleiten. Da stand er, Jack, nur in weißen Shorts, mit einer unübersehbaren Ausbuchtung im Schritt. Er grinste und drehte sich zu Ennis um, der bis auf Schuhe und Socken noch völlig angezogen war.

„Ich denke, wir sollten meine unvorteilhafte Situation ändern.“ meinte Jack und begann seinerseits Ennis auszuziehen.

Unendlich, beinahe quälend langsam öffnete er das Hemd. Darunter trug er noch ein T-Shirt. Jack atmete seinen Duft ein. Seife, Rauch, ein wenig Schweiß. Sexy. Er strich mit den Fingerspitzen über seine harten Brustwarzen, die sich auf dem Stoff abzeichneten. Ennis schnaufte. Es fühlte sich gut an.

Dann zog Jack ihm das T-Shirt über den Kopf. Er betrachtete seine breite, starke Brust, küsste sie, während seine Hände den Gürtel lösten, die Jeans öffneten. Ennis trug enge schwarze Shorts. Jack war forscher und zog seine Jeans mitsamt der Unterwäsche aus. Ennis’ Schwanz wippte erwartungsvoll.

Jack grinste, und schob ihn rückwärts zum Bett. Bevor Ennis jedoch nach hinten fallen konnte, küsste Jack ihn stürmisch. Völlig atemlos sank Ennis schließlich auf das hohe Bett. Jack sah ihn an, als er vor ihm auf die Knie ging und seine Beine spreizte, damit er abtauchen konnte. Ennis lehnte sich auf seine Ellenbogen und legte den Kopf in den Nacken, als Jack seinen Schwanz in den Mund nahm. Er seufzte laut. Jack war gut. Er schaffte es sogar, ihn in seiner ganzen Länge zu nehmen. Ennis hielt die Luft an, als er plötzlich eine Nase in seinem Schamhaar spürte. Mit leidenschaftlichem Stöhnen atmete er aus. Nun konnte er nicht anders. Er atmete geräuschvoll, während Jack ihn verschluckte, im wahrsten Sinne.

„Oh, Stopp!“ stöhnte Ennis irgendwann und hielt seinen Kopf fest.

Jack entließ ihn aus seiner „Pein“. Er sah ihn an, grinsend. Beinahe ein wenig teuflisch.

„Ich will dich!“ meinte er dann.

Jack beugte sich neben das Bett und holte etwas aus seiner Tasche. Dann gesellte er sich zu ihm aufs Bett und entledigte sich seiner Shorts. Ennis sah ihn fragend an. Jack legte sich auf den Rücken, nachdem er sich einige Kissen zurechtgelegt hatte. Er winkte mit einer Tube KY, die er mit einem Smack öffnete.

„Ich will dich ganz!“ hauchte er und zog Ennis zu sich. Der ahnte, was nun folgte. Soweit waren sie bisher nicht gegangen. Nur Blowjobs und Wichsereien in der Wildnis. Sein Herz schlug wie wild. Er ließ Jack gewähren. Er nahm eine großzügige Portion des durchsichtigen Gels und verteilte es auf Ennis’ Schwanz. Er schnappte nach Luft, da es sich kalt anfühlte.

„Keine Sorge, es wärmt sich schnell auf!“ flüsterte Jack.

Dann bereitete auch er sich vor. Er nahm Ennis rechte Hand und führte sie zu seinem Anus.

„Entspann mich!“ forderte er Ennis auf, der zunächst nicht genau wusste, was er tun sollte, doch dann ging es irgendwie automatisch. Er massierte ihn dort ganz sanft, arbeitete sich dabei Stück für Stück vor. Er spürte, wie eng es zu Beginn war, doch er schien seine Sache gut zu machen. Nach einer Weile waren zwei Finger in ihm verankert. Jack keuchte.

„Oh, Mann, das ist gut, Ennis! Das ist richtig gut! Mach’ weiter!“

Nach einer Weile rutschte er näher an ihn heran. Er legte Jacks Beine auf seine Schultern. Er legte seinen harten Schwanz an seinen Anus.

„Oh, Gott! Mach’ schon!“ Jack war völlig high.

Vorsichtig schob Ennis weiter. Widerstand war da, doch er schien nicht unüberwindbar. Stück für Stück, wie er es vorher mit seinen Fingern getan hatte, versank er in Jack, der es mehr als genoss. Er hatte die Augen geschlossen, den Kopf in die Kissen gelegt. Sein Atem war ruhig und regelmäßig. Noch. Er konzentrierte sich auf die Entspannung.

„Das war’s.“ hauchte Ennis, der von diesem umschlossenen Gefühl völlig überrumpelt war. Er spürte, wie erregt er war, wie er sicher nicht mehr lange brauchte.

„Mein Gott, leg’ los, Mann! Es ist so gut!“ stöhnte Jack uns drängte sich an ihn. Und so begann Ennis mit langsamen Stößen, er ging fast ganz heraus, um wieder in ihn hinein zu stoßen. Er merkte, wie es ihn auf den Gipfel brachte.

„Das ist so gut, Ennis! Hör nicht auf, bitte!“ Jacks Hand hatte das Laken fest im Griff.

„Oh, Gott, warte einen Moment, sonst geht es gleich los!“ keuchte Ennis und verharrte in seiner Position.

„Okay, Honey... ohh, du fühlst dich so gut an!“ Jack streichelte seinen Nacken. Ennis hatte Jacks Schwanz in seine Hand genommen und begann ihn zu streicheln, immer schneller, um schließlich mit seinen Hüften in den gleichen Rhythmus zu fallen. Er stieß fest zu.


Ennis brachte in dieser Nacht kein Auge zu. Während Jack schon längst eingeschlafen war, lag er hellwach neben ihm auf dem Rücken. Seine Gedanken kreisten um die vergangenen Stunden. Nie hatte er auch nur annähernd so etwas erlebt. Sollte es wohl immer so sein? So intensiv? Seine Ex-Frau hatte es nie gewollt. Er hatte sie auch nicht weiter gedrängt. Doch der Wunsch danach war immer stärker geworden. Doch so hatte er es sich nicht vorgestellt. So... absolut perfekt.

Emma fand ihn um acht Uhr auf der Veranda. Ennis saß auf einem der bequemen Holzstühle, eine Decke um sich geschlungen. Die nackten Füße ruhten auf einem zweiten Stuhl. Er schaute auf den Horizont. Die Sonne war aufgegangen und begann ihr Tagewerk.

„Hey!“ Emma reichte ihm eine Tasse Kaffee. Dann setzte sie sich zu ihm. Sie trug einen dicken Wollpullover.

„So nachdenklich?!“

Ennis wärmte sich die Hände an der Tasse. Er biss sich auf die Unterlippe.

„Er ist... meine Welt.“ sagte er leise. Emma war gerührt. Sie sprachen nichts mehr für eine ganze Weile. Schweigend tranken sie ihren Kaffee.

Als Ennis etwas später ins Gästezimmer kam, schlief Jack noch immer. Zumindest sah es so aus. Ennis zog seine Jeans aus und stieg zu ihm unter die Decke. Er drängte sich an ihn, umarmte ihn von hinten.

„Ich liebe dich.“ murmelte er und vergrub sein Gesicht in seinem Nacken. Er atmete tief ein. Es war sein Duft.

Er erinnerte sich an das erste Mal, als sie sich näher gekommen waren, damals in den Bergen. Es war spät geworden. Sie hatten gegessen, getrunken, geredet. Irgendwann war es zu spät für Ennis gewesen, noch hinauf zu den Schafen zu reiten und sich dort ein provisorisches Camp für die Nacht einzurichten, so dass er beschloss, im Hauptcamp zu bleiben.

Jack hatte ihn zuerst nicht überreden können, bei ihm im Zelt zu schlafen, doch später, als das Feuer ausgegangen war, hatte Ennis so schrecklich gefroren, dass er es sich doch anders überlegt hatte. Es war Jack gewesen, der erste Annäherungsversuche gemacht hatte. Sie waren beide etwas betrunken gewesen. Jack hatte ihm einen geblasen, einfach so, auf die Schnelle. Am nächsten Morgen war Ennis hinauf zu den Schafen geritten, ohne Frühstück, ohne sich zu verabschieden. Er war sehr verwirrt gewesen. Ennis erinnerte sich an seinen Duft damals. Wunderbar männlich. Er konnte nicht genug davon bekommen.

Ennis spürte Jacks weiches Haar im Nacken an seiner Nase. Er berührte die Haut seiner Schulter leicht mit seinen Lippen. Jack seufzte leise. War er wach? Er drehte sich um, die Augen geschlossen.

„Hör nicht auf!“ flüsterte er dann. Er legte einen Arm um Ennis Hüfte.

Ennis haucht in die Kuhle überm Schlüsselbein, küsste die Stelle, an der der Hals in die Schulter überging. Jack kam näher. Sie umarmten sich fest.

„Wo warst du?“ fragte Jack. Er fuhr mit den Fingern durch sein lockiges Haar.

„Konnte nicht schlafen.“

„Hab ich geschnarcht?“ Sie lachten leise.

„Nein. Es ist nur... so ungewohnt. Jetzt, wo es so... echt ist.“

„Ja.“

„Aber es ist schön.“

„Hmmm...“ Jack malte mit dem Finger Kreise auf seinen Rücken.

„Hör zu, ich muss aufstehen. Meine Arbeit.“ Ennis bewegte sich kein Stück.

„Okay.“ Sie blieben liegen.

„Ich wollte das Dach heute fertig kriegen.“

„Ja.“

„Ich muss mich nach einem neuen Job umsehen. Das, was ich bei Bob bekomme, reicht nicht aus. Es sind immer nur ein paar Stunden am Wochenende.“

„Hmm.“

„Jack...“

„Weißt du, ich hab mir überlegt... wir könnten uns eine Ranch kaufen, hier in Wyoming. Viehhaltung. Das wär’ doch was...“

„Ich spiele kein Lotto mehr, Jack.“

Da öffnete Jack endlich seine Augen. Er sah ihn an.

„Ich meine, wir beide.“

Ennis sagte nichts. Er sah an ihm vorbei.

„Ich habe gutes Geld gemacht. Wir bekommen sicher einen guten Kredit.“

„Ich weiß nicht, Jack. Es wäre nicht... ich habe nichts!“

„Doch! Ohne dich würde es nicht funktionieren.“

Jack küsste ihn auf den Mund.

„Ich will, dass du glücklich bist, Ennis.“

„Viel zu riskant.“

„Wenn man nichts wagt... ich hab viel gelernt in den letzten Jahren. Buchhaltung, Kalkulationen. Du kennst dich mit den Tieren aus. Ich hätte sogar schon zwei Farmhelfer.“

Ennis schmunzelte.

„Ja, zwei Jungs aus Amarillo, nette Kerle. Arbeiten hart. Würden sofort herkommen.“

„Ich weiß nicht... was sollen die Leute denken? Zwei Typen auf ’ner Ranch...“

„Sie denken: Zwei fleißige Kerle, liefern gute Qualität, sind zuverlässig.“

Ennis sagte nichts. Er streichelte sein Kinn.

„Unser eigenes Land. Niemand, der uns Vorschriften macht. Wäre ein schönes Leben.“

„Ich muss aufstehen.“

Ennis löste sich aus der Umarmung und stieg aus dem Bett.


Jack leistete Emma später Gesellschaft. Sie saß am Küchentisch und arbeitete an ihrem Computer.

„Woran arbeitest du?“ fragte er und setzte sich zu ihr.

„Oh, ich versuche mich gerade an Datenbanken. Irgendwie muss ich meine Patienten verwalten.“

„Da gibt es doch Programme.“

„Ja, aber ich wollte auf meinem Laptop eine kleine Datenbank anlegen mit meinen Patienten, die an der Reittherapie teilnehmen. Da muss nicht die komplette Akte drinstehen, nur die nötigsten Parameter. Ich möchte den PC dann immer mitnehmen, damit ich etwas vor Ort habe.“

„Ah, okay. Zeig mal!“

Sie schob ihm den Laptop hinüber.

„Hm, dafür reicht eigentlich schon Access aus. Ich würde nicht so etwas Komplexes nehmen. Das sind die Parameter, die du brauchst?“

„Ja.“

Jack tippte etwas auf der Tastatur herum.

„Hier, das geht relativ schnell. Du kannst ganz einfach nach Namen suchen oder nach dem letzten Besuch oder nach allen anderen Parametern. Ganz wie du willst.“

Emma sah es sich an.

„Hmm, wow! Das sieht ja ganz gut aus. Woher kannst du so was?“

„Die vier Jahre in der Firma meines Schwiegervaters waren nicht ganz umsonst.“ meinte er schmunzelnd.

Emma lachte.

„Und wie speichere ich das ab?“

Jack zeigte ihr, wie sie eine Maske in Access erstellte und wie sie damit arbeitete. Es war Mittag, als Ennis in die Küche kam. Emma hatte derweil schon zwei Hühnchen in den Ofen geschoben und einen Salat zubereitet, während Jack noch einige Dinge in den Computer eingab.

„Was macht ihr da? Computerspiele oder was?“ Ennis wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Er ist meine Rettung!“ bemerkte Emma und begann, den Tisch zu decken.

„Wieso das?“

„Er kennt sich mit dem Zeug ziemlich gut aus!“

Ennis brummte etwas Unverständliches vor sich hin, ging dabei nach oben, um sich etwas frisch zu machen.

„Alles okay bei euch?“ fragte Emma, als sie die große Schüssel mit frischem Salat auf den Tisch stellte.

„Hm, ja.“ Jack klappte das iBook zusammen und legte es weg.

„Ich habe ihn heute gefragt, was er von einer Ranch halten würde. Er ist skeptisch, wie ich es erwartet habe.“

„Aha...“

„Es geht um Kohle. Wie gesagt, er kann schlecht nehmen. Aber ich werde ihn noch etwas bearbeiten.“

„Ein Nachbar hat eine Immobilienagentur in der Stadt. Vielleicht haben sie interessante Angebote.“

Jack grinste sie an. Sie lächelte verschwörerisch zurück.

„Schau doch später mal vorbei.“

„Hmm, gar keine schlechte Idee.“

Jack öffnete den Kühlschrank.

„Bud?“

„Bitte!“

Emma öffnete die Ofentür. Der leckere Duft von gebratenem Hühnchen wurde intensiver.

„Ich glaube, die sind fertig!“ Sie nahm das große Blech mit einem dicken Ofenhandschuh heraus und stellte es auf die Arbeitsplatte.

„Ihr zwei habt es heute Nacht ja krachen lassen.“ meinte sie, versuchte dabei beiläufig zu klingen. Mit dem Effekt, dass Jack plötzlich rot wurde und verlegen grinste.

„Sorry...“

„Oh, nein! So war das nicht gemeint!“ Sie lachte.

„Schön für euch!“

„Oh, bitte sag nichts in Ennis’ Gegenwart! Es würde ihn ziemlich fertigmachen!“ bat Jack.

„Klar!“ Während sie ein Huhn tranchierte, grinste sie vor sich hin.

„Ich sag dir was! Er ist... riesig!“ flüsterte Jack. Er stand dicht neben ihr und sah ihr zu.

„Mein Gott, Jack!“

„Du hast angefangen!“ lachte er.

„Okay, okay... ist er?“

Jack nickte. „Er ist toll!“ schwärmte er und nahm ein Stück Karotte, das vom Salat übrig geblieben war.

„Glaub ich!“

Da kam Ennis die Treppe hinunter. Beide sahen in seine Richtung.

„Was?“ fragte Ennis unsicher, als sie gleichzeitig laut los lachten.

Jack ging zu ihm.

„Nichts, Baby!“ Er küsste seine Wange. Ennis schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch.

„So, zuerst bekommt Ennis etwas. Er arbeitet schließlich am härtesten hier!“ Emma belud seinen Teller mit dem zarten Geflügelfleisch.


Am Freitag hatte Ennis das Dach fertig gedeckt. Er packte gerade seine Werkzeuge zusammen, als ein dunkler Volvo in die Auffahrt fuhr. Emma und Jack waren schon seit zwei Stunden fort. In der Stadt. Es war Steve, der aus dem Wagen stieg.

„Hi, Ennis!“ begrüßte er ihn und öffnete die Heckklappe des Wagens, um eine Reisetasche herauszuholen.

Ennis tippte sich an den Hut. „Mr. McBride!“

„Steve!“ meinte er und lächelte.

„Ist meine Frau ausgeflogen?“ fragte er, die Tasche in der einen Hand, über der Schulter eine Laptoptasche.

„Ja. Hatte noch etwas in der Stadt zu erledigen.“

„Okay. Wow, sie sind fertig! Großartig! Sieht aus wie neu!“ bemerkte Steve das Dach.

„Danke.“

„Kommen sie doch mit rein! Ich brauch’ jetzt ein Bier!“ Er ging die Treppe hinauf zur Veranda und öffnete die Haustür. Ennis folgte ihm.

„Wie ist es gelaufen? Irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Dach?“ fragte Steve und nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Eine davon reichte er Ennis, nachdem er sie geöffnet hatte.

„Nein, alles okay. Es war in gutem Zustand.“

„Ah, gut.“ Steve nahm einige Schlucke des kühlen Getränks.

„Ahhh, das musste sein!“ Steve lockerte seine Krawatte.

„Oh, nehmen sie doch Platz, Ennis! Ich werde nur eben meine Wäsche in die Maschine geben. Machen sie es sich bequem!“ Steve verschwand in einem anderen Raum.

„Was ist mit ihrem Freund? Emma hat mir am Telefon erzählt, dass er aus Texas hergekommen ist.“ rief Steve durch die offene Tür in die Küche.

„Ist er schon wieder weg?“

„Nein, ist mit ihrer Frau in der Stadt.“

„Oh!“ Steve kam wieder. Er knöpfte sich das Hemd auf.

„Emma und Shoppen! Das geht nie gut!“ bemerkte er lachend. Dann verschwand er nach oben.

Ennis fühlte sich unsicher. Wusste er etwa alles? Wahrscheinlich. Er benahm sich so locker. Klar, es war sein Haus. Ob es ihm nichts ausmachte, dass er...?

Es dauerte nicht lange, bis Steve wieder auftauchte. Diesmal ohne Anzug, dafür in Jeans und T-Shirt. Er sah gut aus. Ennis wich seinem Blick aus.

„Oh, Mann, das wird ein heißer Sommer!“ stöhnte Steve und nahm sich etwas übrig gebliebenes Hühnchen aus dem Kühlschrank.

„Zum Glück ist der Highway immer frei. Das war in Kalifornien jedes Mal eine Tortur! Freitagnachmittag auf dem Highway? Keine Chance! Sorry, wollen sie auch?“

Ennis schüttelte den Kopf. Steve hatte sich auf einen Stuhl am Tisch gesetzt, die Beine auf einen anderen gelegt, und begann zu essen.

„Es ist alles eine Spur gemächlicher hier. Das gefällt mir!“

„Ich würde es in der Stadt nicht lange aushalten.“

„Inzwischen kann ich das verstehen. Ich meine, ich bin hier aufgewachsen, aber ich wollte nichts mehr als hier weg in die große weite Welt! Auf jeden Fall weg vom Land! Rein in die Stadt. Nach Universität und Kalifornien hat es mich wieder nach Hause gezogen. Ich liebe das Weite! Ich meine, DAS ist doch die große weite Welt, oder nicht?“

Ennis nickte.

„Wo kommen sie her?“

„Cody.“

„Lebt ihre Familie noch dort?“

Ennis schüttelte den Kopf. „Meine Eltern sind tot. Meine Schwester lebt in Casper und mein Bruder ist vor kurzem hoch nach Montana gezogen. Aber wir haben nicht viel Kontakt.“

„Oh.“

Ennis winkte ab. „Wir haben uns nie gut verstanden.“ Er nahm einen Schluck.

„Meine beiden Mädchen leben mit ihrer Mutter in Buffalo. Hab’ sie vor drei Monaten das letzte Mal gesehen.“

„Sie haben Kinder?“

„Ja, Zwillinge. Großartige Mädchen.“ Ennis lächelte verlegen.

„Das ist gut! Sie sollten sie öfter sehen.“

„Ach, mein Wagen schafft es kaum noch nach Shoshoni. Irgendwas am Vergaser.“

„Hm. Die Leute bei D’Arby sind gut. Ich hatte letzte Woche ein Problem mit dem Anlasser. Haben sie sofort hinbekommen.“

„Mal sehen.“

Da hörte man, wie ein Wagen vorm Haus hielt. Gelächter. Momente später kamen Emma und Jack ins Haus.

„Schatz! Du bist schon da!“ Emma eilte zu ihrem Mann und fiel ihm um den Hals. Küsse.

„Emma! Was ist denn los?!“

„Ich freu’ mich, dass du da bist!“

Er streichelte ihre Wange.

„Steve, Schatz, das ist Jack Twist, den du mit deinem detektivischen Gespür gefunden hast!“ stellte Emma vor.

Jack tippte sich an den Hut. „Sir!“

„Hi! Ich bin Steve!“ Er war aufgestanden und reichte ihm die Hand.

„Ich hab’ ganz schön herum telefonieren müssen, um sie zu finden!“ meinte Steve.

„Ich steh’ im Telefonbuch!“

„Aber ohne Namen ist das auch nicht ganz einfach!“

Jack legte eine Hand auf Ennis’ Schulter.

„Ennis, hast du einen Moment?“ fragte Jack dann.

„Klar!“

Sie entschuldigten sich und gingen hinaus auf die Veranda.

„Na! Meine Westernbraut!“ Steve hatte Emma zu sich auf den Schoß gezogen.

„Hallo, Cowboy!“ Sie küsste ihn.

„Wie geht es dir heute?“

Sie legte den Kopf auf die Seite.

„Ganz gut.“

„Fein. Mach’ dir nicht so viele Gedanken, okay? Du weißt selbst, dass es manchmal etwas dauert.“

„Ja.“

„Wir sind beide gesund. Es ist sicher nur der Stress. Hab’ ein wenig Vertrauen in Linda.“

Steve umarmte sie.

„Wer weiß? Vielleicht laufen demnächst schon kleine Cowboys durchs Haus!“

Sie lachte.

„Du willst also Jungs!“

„Na, hey! Wir sind in Wyoming!“

„Stimmt... und deshalb...“ Emma stand auf und ging in den Flur, wo sie ihre Einkäufe abgestellt hatte.

„Augen zu!“ bat sie. Sie hatte etwas hinter ihrem Rücken versteckt. Steve schloss seine Augen. Momente später setzte Emma ihm einen beigefarbenen Resistol auf den Kopf.

„Oh, mein Gott!“ rief sie entzückt. Steve öffnete die Augen und fasste sich auf den Kopf.

„Ich wusste, dass das passiert!“ Er stand auf und ging in den Flur, wo er sich im Spiegel betrachtete.

„Hm, gar nicht so schlecht!“ Er setzte den Hut etwas schief auf, machte dabei einen coolen Gesichtsausdruck.

„Wow! Mister!“ Emma kniff ihm in den Hintern.

„Ich werde ihn jetzt immer tragen!“

„Immer?“

„Immer!“ Steve ging zurück in die Küche.

„Ich weiß nicht.“

„Was?“ Steve setzte sich wieder hin und aß weiter.

„Es ist nicht... authentisch.“

„Ich komme aus Cheyenne! Ich bin Eingeborener! Ich bin quasi mit einem Hut geboren worden!“

„Vielleicht solltest du noch an deinem Gang arbeiten.“

Emma nahm sich eine Weintraube aus der Schale auf der Arbeitsplatte und setzte sich zu ihm, stützte dabei ihre Unterarme auf dem Tisch ab.

„Was hast du heute so angestellt?“ fragte Steve.

„Oh, Jack und ich haben die Stadt unsicher gemacht. Ich habe unsere Sattel noch zur Reparatur gegeben. Dann hat sich Jack noch einige Angebote von David geholt.“

„Will er sich ein Haus hier kaufen?“

„Eine Ranch!“

Steve sah sie verdutzt an.

„Sie wollen sich eine Ranch kaufen, Kälber- und Rinderhaltung.“

„Wow! Kennen sie sich denn aus?“

„Ja! Sie haben jahrelang in dem Geschäft gearbeitet. Ich trau’ ihnen das zu. Es ist nur... Ennis möchte nicht, dass Jack alles zahlt.“

„Hm.“

„Er weiß noch nichts von den Angeboten, also sag’ bitte nichts.“

„Natürlich.“

„Er fliegt morgen zurück nach Texas.“

„Und dann?“

„Er muss einige Dinge regeln. Mit der Bank und... da ist noch sein Job. Er hatte diese Woche nur Urlaub.“

„Okay.“

„Ich glaube, er sagt es gerade Ennis.“ Sie sahen durch das Küchenfenster auf die Veranda, wo Ennis ziemlich traurig aussah. Jack hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt.

„Aber er wird doch wieder kommen.“

Emma sah ihn an.

„Hallo, Steve McBride!? Kannst du dich erinnern, als ich ein Semester im Ausland verbracht habe? Wir kannten uns gerade ein paar Monate. Wir haben den ganzen Flughafen unter Wasser gesetzt!“

Steve nahm eine Gabel Salat.

„Hmm.“

„Die sind so verliebt!“ Emma stützte ihren Kopf auf einer Hand ab.

Ennis brachte Jack am nächsten Tag zum Flughafen. Er hatte den ganzen Morgen nicht mehr als drei Worte mit ihm gesprochen. Nun standen sie in der kleinen Abflughalle. Die ersten Passagiere waren schon in die Maschine gestiegen.

„Okay, ich ähm... ruf dich an, wenn ich angekommen bin, ja?!“ Ennis nickte.

„Ich komm’ bald wieder. Versprochen.“ Ennis blickte zu Boden.

Jack zögerte einen Moment, doch dann umarmte er ihn fest.

„Ich liebe dich.“ flüsterte er im ins Ohr. Dann lösten sie sich auch schon wieder. Jack wandte sich zu gehen. Er hob kurz die Hand.

„Ich dich auch.“ murmelte Ennis. Er kniff den Mund zusammen.

„Ich muss gehen! Bis später!“

Jack verschwand in der Tür, die nach draußen aufs Rollfeld führte. Ennis verließ das Gebäude. Er setzte sich in seinen Pick Up und wartete, bis die kleine Maschine abgeflogen war. Er war traurig. Er wusste, dass er wieder kam, doch der Schmerz des Abschieds war stark. Die Woche war eigenartig gewesen. So intensiv hatten sie ihre Zeit noch nie miteinander verbracht. Es war wunderschön. Ennis genoss seine Gegenwart. Er hing seinen Gedanken nach, als er zum Gestüt fuhr, wo noch Arbeit auf ihn wartete. Einige Ställe mussten ausgemistet werden, die Pferde gewaschen. Er war gerade ganz in seine Arbeit vertieft, als sein Chef, Bob, auftauchte.

„Ennis, ich brauche nächste Woche noch jemanden, der mit zum Reitturnier nach Douglas fährt. Ted hat sich den Knöchel gebrochen. Er fällt aus. Und du bist der einzige, der die Tiere so gut kennt. Was ist, hast du Zeit?“

„Ja, klar.“

„Gut. Montagmorgen um sieben hier. Punkt sieben.“

„Okay.“

Das war’s an Konversation. Bob war auch kein Meister des gesprochenen Wortes. Sie kamen hervorragend miteinander aus. Gut, die nächste Woche war gerettet. Der Monat sah so weit ganz gut aus. Er hatte schon den Unterhalt für seine beiden Töchter gezahlt, genau wie die offenen Rechungen der letzten beiden Monate und es war immer noch etwas übrig. Er hoffte, dass er sich etwas für den Winter zur Seite legen konnte. Das war die härteste Zeit. Es gab wenig Jobs. In den letzten Jahren hatte er in der kalten Jahreszeit im Lager von Trent gearbeitet. Doch diese Arbeit war begehrt. Man konnte nicht darauf hoffen, ihn wieder zu bekommen. Im letzten Winter hatte er einige harte Tage erlebt, kaum Essen, wenig Holz für den Ofen. Aber er hatte sich nicht beschwert.

Die Woche in Douglas wurde hart, da neben ihm nur noch ein Stallbursche mit zum Turnier fuhr. Sie hatten alle Hände voll zu tun und fielen abends völlig gerädert in die schmalen Betten des Wohnwagens. Am Freitag war schließlich die Rückreise angesagt. Sechs Stunden dauerte die Fahrt zurück nach Riverton. Obwohl Ennis versucht hatte, im Truck zu schlafen, war er geschlaucht, als er zurück im Gestüt die Pferde in ihre Ställe gebracht und sie gefüttert hatte.

Ihm fielen beinahe die Augen zu, als er mit dem Wagen nach Hause fuhr. Es war gegen sieben, als er sein Auto neben seinem Trailer abstellte. Er bemerkte gar nicht, dass noch ein Wagen in der Nähe stand. Er wollte nur noch ins Bett.

„Hey, Cowboy!“ Jack.

Er lehnte an dem mobilen Heim, die Hände lässig in den Hosentaschen. Ennis wollte gerade aufschließen.

„Jack!“

„Ennis!“ Sie umarmten sich heftig.

„Was machst du denn hier?“ Ennis drängte ihn zurück, so dass niemand sie sehen konnte.

„Dich sehen!“ Jack versuchte ihn zu küssen. Doch Ennis wehrte ab.

„Komm’ rein!“ Er zog ihn in sein kleines bescheidenes Heim. Es war karg eingerichtet. Eigentlich gab es nur einen winzigen Tisch vor der Kochnische und ein Bett am anderen Ende. Jack sah sich um. Er war geschockt.

„Deshalb wollte ich nicht, dass du es siehst.“ murmelte Ennis.

„Hey!“ Jack wandte sich wieder ihm zu.

„Lass’ uns ins Motel fahren. Wir holen uns was zu essen, ein Six-Pack...“

„Ich bin müde.“

„Okay, dann werden wir nichts essen, nur schlafen.“

Ennis rückte seinen Hut in den Nacken.

„Was ist los, hm?!“ fragte Jack besorgt.

„Nichts, ich... ich hab’ nicht mit dir gerechnet! Ich bin froh, dass du da bist!“ Sie umarmten sich wieder. Diesmal viel vorsichtiger. Inniger.

„Gott, ich hab’ dich vermisst, Ennis!“ seufzte Jack. Sie standen eine Weile so da.

„Okay, ich pack mir ein paar Klamotten zusammen.“

„Mach das!“

Jack sah ihm zu, wie er die gebrauchten Kleider der Woche in einen Wäschekorb neben dem Bett warf und sich aus dem Schrank neue Sachen in die kleine Tasche packte.

Fünf Minuten später stiegen sie in Jacks modernen Ford Pick Up. Jack fuhr los. Ennis lehnte sich in dem bequemen Ledersitz nach hinten. Er war wirklich sehr müde. Jack streichelte seinen Nacken.

„Harte Woche?“ fragte er.

„Ja. Kaum Schlaf bekommen. Dafür 300 Dollar.“

Als Jack den Wagen vor dem Motel abstellte, war Ennis eingeschlafen. Vorsichtig schloss er die Tür, um das Zimmer klarzumachen. Nachdem er dann ihr Gepäck in das gemietete Zimmer gebracht hatte, öffnete er die Beifahrertür.

„Hey, Sweetheart!“ Er küsste seine Wange.

„Wir sind da!“

Verschlafen sah Ennis auf. Jack lächelte. Er nahm seine Hand und führte ihn aus dem Wagen. Er schaffte es beinahe nicht, sich auszuziehen. Jack half ihm dabei und als er aus dem Bad kam, schlummerte Ennis bereits wieder tief und fest. Diesmal weckte er ihn nicht mehr auf, sondern legte sich zu ihm.

Als Ennis am anderen Morgen aufwachte, kam Jack gerade ins Zimmer. Er lächelte dieses umwerfende Lächeln.

„Guten Morgen!“ begrüßte er ihn.

„Frühstück!“

Er ging zu ihm und legte eine Papiertüte aufs Bett. Die beiden Kaffeebecher stellte er auf die Ablage. Ein Kuss.

„Oh, Mann!“ Ennis rieb sich die Stirn.

„Kopfschmerzen?“

Er nickte. Jack hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe. Dann verschwand er kurz im Bad.

„Hier.“ Er gab eine Aspirin in ein Glas Wasser.

„Du hast wie ein Stein geschlafen!“ Jack packte das Essen, Bagels mit unterschiedlichen Belägen, aus.

„Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ich gestern jemanden unter den Tisch gesoffen!“ stöhnte Ennis. Er setzte sich richtig auf und legte sich einige Kissen in den Rücken.

„Du Ärmster!“ Jack biss in einen Bagel mit Schinken.

„Wie kommt es, dass du so früh wach bist?“ Ennis nahm einen Schluck heißen Kaffee.

„Wir haben noch was vor, Honey!“

„Haben wir?“ Ennis verschränkte die Arme vor seiner Brust. Jack grinste.

„Ja.“

„Was denn?“

„Wirst du ja sehen!“ Ennis lächelte. Er mochte es, wenn Jack sich diebisch freute wie ein kleines Kind.

„Du bist verrückt!“

Nach dem Frühstück und Ennis’ Dusche machten sie sich in Jacks Wagen auf den Weg.

„Wo geht es denn hin?“ wollte Ennis wissen.

„Lander.“

„Lander? Was zur Hölle ist in Lander?“

Jack grinste viel sagend.

„Jack Twist! Du bist verrückt!“

„Ich weiß. Wie geht es deinem Kopf?“

„Besser.“

„Gut!“

Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Irgendwann bog Jack in einen unbefestigten Weg ein, der zu einer Ranch führte, wie das Schild, das am Anfang der Straße stand, gezeigt hatte.

„Was gibt es hier?“ Doch Ennis bekam keine Antwort. Auf dem großen Hof vor dem Ranch-Haus stand ein dunkler Wagen, aus dem jemand ausstieg, den Ennis kannte. David Dermott.

„Mr. Twist! Hallo!“ begrüßte er Jack und gab ihm die Hand.

„Hallo, Ennis!“ Auch ihn begrüßte er per Handschlag. Ennis blickte verwirrt zwischen David und Jack hin und her.

„Nun, das ist sie. Little Creek Ranch.“

Jack sah Ennis erwartungsvoll an. Der blickte nur ungläubig auf das große Haus. Es schien gut in Schuss zu sein.

„Also, was sagst du?“

Ennis sagte nichts. Er sah sich um. Das Gelände war riesig. Perfekt für die Rinderzucht. Auch die Stallungen sahen gut aus. Zumindest von außen und auf die Distanz.

„Was sollte ich deiner Meinung nach sagen?“ fragte Ennis schroff. Er ging zu einem Zaun und schaute auf die Weide. Genügend Auslauf für Pferde. Er fühlte sich überrumpelt.

„Das Gelände umfasst über 1200 Hektar Land. Der Vorbesitzer hat Bisons gezüchtet. Wasserrechte sind vorhanden. Es muss nicht viel gemacht werden. Das Haus ist völlig intakt und erst im letzten Sommer komplett renoviert worden.“ erklärte David.

Jack sagte nichts. Er beobachtete Ennis.

David ging hinüber zu ihm.

„Hör zu, ich kenne dich, seit du hergezogen bist. Du gehörst auf eine Ranch. Du bist der geborene Rancher, Ennis! Bob hat mir erzählt, wie gut du mit den Tieren umgehst. Sieh’ es als Chance. Vielleicht könntest du deine beiden Mädchen öfter sehen. Das Haus ist groß genug.“ David mochte Ennis.

„Was hat dir Jack gesagt?“ fragte Ennis harsch.

„Was soll er mir gesagt haben? Dass ihr beiden darüber nachdenkt, eine Ranch zu kaufen. Wenn du mich fragst, ich würde es tun.“

„Klar, wegen der Provision.“

„Die ich euch nicht berechnen würde.“

Ennis sah ihn an.

„Wie sieht das für dich aus? Zwei Kerle, die eine Ranch bewirtschaften, hm?!“ Er warf Jack einen scharfen Blick zu.

„Wie schon? Wie zwei Kerle, die eine Ranch zusammen führen. Was ist daran falsch?“

Ennis sagte nichts, sondern wandte sich wieder dem Blick in die Ferne zu.

„Es geht mich nichts an, was zwischen euch ist. Es geht niemanden etwas an. Und außerdem... mein Bruder hat zusammen mit seinem Partner ein Gestüt unten in Laramie. Herrgott, wir leben im 21. Jahrhundert!“ David stemmte seine Hände in die Hüften.

„Zeigt es diesen verdammten Konservativen!“ Mit diesen Worten ging David zurück zu Jack. Zögernd folgte Ennis ihm.

Während der gesamten Besichtigung des Hauses sagte er nichts. Es gefiel ihm. Es gab in der Tat genügend Platz. Nach einer Stunde hatten sie alle Räumlichkeiten gesehen, inklusiver der Stallungen und der Blockhütte, die man an Gäste vermieten konnte. Sie standen auf der Veranda des Hauses.

„Ich habe hier ein Exposé. Überlegt es euch.“ David gab Jack und Ennis je eine hochwertige Broschüre, auf deren Vorderseite die Ranch abgebildet war.

„Das ist ein kleines Paradies hier draußen.“ meinte David.

„Klein? Es ist riesig!“ meinte Jack. Er war begeistert und konnte es auch nicht verstecken.

„Wenn ihr noch Fragen habt... nicht zögern, anrufen!“

Sie gingen nach draußen. David schloss ab.

„Gibt es noch andere Interessenten?“

„Bisher noch keine ernsthaften. Aber ich werde euch natürlich informieren, wenn sich jemand meldet.“

„Das ist sehr nett. Danke. David!“ Der Makler verabschiedete sich von den beiden.

Ennis stand da, auf dem Hof. Er starrte auf das Haus. Dann blätterte er in der Broschüre auf die Seite, auf der der angesetzte Kaufpreis stand.

„$ 1,000,000. Vergiss es!“ meinte er nur und stampfte zum Wagen. Jack folgte ihm.

„Ennis!“

„Jack! Das ist mehr, als ich in meinem ganzen Leben jemals verdienen werde! Welche Bank ist so idiotisch und leiht uns diese Summe?! Schließ’ den Wagen auf!“

Jack drückte auf die Fernbedienung.

„Meine Bank.“ meinte Jack trocken. „Ich hab’ dir doch erzählt, dass mir der liebe Vater meiner Frau einen ziemlichen Batzen Geld als Abfindung gezahlt hat. Man kann beinahe sagen, als Schweigegeld. Ich hatte zuviel Einblick in seine krummen Geschäfte. Außerdem konnte er mich nie leiden.“

„Verdammt, Jack, über welchen Betrag reden wir hier? 10,000? Das ist nichts! Die Bank wird uns auslachen!“ regte sich Ennis auf. Er war Realist.

Jack öffnete das Handschuhfach und holte eine Brieftasche heraus. Er reichte Ennis einen Schein im Scheckformat. Es war ein Kontoauszug. Ennis starrte auf die Zahlen. Völlig unvermittelt öffnete er dann die Tür und stürmte regelrecht aus dem Wagen. Er lief zum nächsten Zaun. Jack war ihm gefolgt. Ennis stützte sich an den Holzplanken ab und legte den Kopf zwischen seine Schultern.

„Ennis! Das ist für uns! Ich habe nichts angerührt davon! Ich hab einen Teil investiert, damit wir Rücklagen haben.“ erklärte Jack.

„Rücklagen?!“ schrie Ennis ihn an. Er atmete schnell. Seine Augen waren tränenerfüllt.

„Du hast 2,000,000 auf deinem verdammten Konto und sprichst von Rücklagen?!“

Jack war verunsichert. Er sagte nichts.

„Scheiße, Jack! Das ist... ein verdammtes Vermögen! Wie könnte ich..., wie kann ich nur einen Cent davon annehmen?“ Tränen liefen über seine Wangen. Er schluchzte.

„Ennis!“

„Ich reiße mir meinen verdammten Arsch auf für 300 $! Wie sollte ich dir jemals etwas davon wiedergeben? He?“

Nun riss Jack der Geduldsfaden.

„Ennis Del Mar, du verdammter Hurensohn! Jetzt vergiss mal für eine Sekunde deinen scheiß Stolz! Das ist... zum Kotzen! Ich habe dieses beschissene Geld für uns zurückgelegt! Für UNS, hörst du?! Ich habe es satt, in diesem Job zu arbeiten, immer nur im Büro hocken und Geld zählen! Ich will da raus! Ich will wieder atmen können! Damals in den Bergen, weißt du noch? Wir waren zwei Monate lang draußen! Das war... ich möchte das immer haben! Und jetzt habe ich die Gelegenheit und das beschissene Geld dazu! Und ich möchte das mit jemandem haben, dem es genauso viel bedeutet wie mir! Der mir soviel bedeutet, wie nichts anderes auf dieser verfickten Welt!“

Er schrie den letzten Satz laut heraus. „Verdammt!“

Eine Zeit lang standen sie da, sagten nichts mehr. Die Geräusche der Grillen waren das Einzige, was zu hören war.

Es war Jack, der schließlich auf ihn zuging, ihn am Kragen fasste und zu sich zog. Ennis weinte leise an seiner Schulter.

Schweigend fuhren sie zurück nach Riverton.

„Emma hat uns eingeladen zum Barbecue heute Nachmittag.“ meinte Jack, als sie die Ortseinfahrt passierten.

„Gut.“

Sie verbrachten die Zeit bis dahin getrennt. Jack saß auf der kleinen Veranda vor dem Zimmer, während sich Ennis hingelegt hatte. Beide hingen ihren Gedanken nach. Ennis konnte es immer noch nicht glauben, dass Jack so ein Vermögen besaß und es mit ihm teilen wollte.

Als es Zeit wurde aufzubrechen, kam Ennis aus dem Zimmer. Er hatte sich umgezogen.

„Wir sollten noch irgendwo halten und ein paar Blumen für Emma mitbringen.“ murmelte Ennis. Jack sah auf.

„Klar!“

Sie stiegen in den Wagen und fuhren los. Unterwegs hielten sie noch an der Hauptstraße an. Während Ennis im Blumenladen von Dorothy einen wunderschönen Strauß Frühsommerblumen besorgte, verschwand Jack im Spirituosenladen nebenan.

„Für Steve!“ meinte Jack, als sie sich wieder am Wagen trafen. Er hatte eine Flasche edlen Whiskey gekauft.

Zehn Minuten später fuhren sie vor Emmas und Steves Haus vor. Es standen schon einige Autos in der Einfahrt, so dass sie an der Straße parken mussten. Es schien eine größere Veranstaltung zu sein. Ennis begann sich schon unwohl zu fühlen, als er ausstieg und Stimmen und Musik aus dem Garten hörte. Jack hingegen freute sich. Er mochte Gesellschaft. Sie gingen ums Haus herum und fanden eine veritable Partygesellschaft vor. Leute aus dem Ort. Ennis kannte die meisten, viele nur vom Sehen. Sie nickten ihm freundlich zu. Er war froh, als Emma sie entdeckt hatte und zu ihnen kam. Sie strahlte.

„Hey! Schön, dass ihr gekommen seid!“ Sie umarmte Ennis fest.

„Hallo!“ meinte er kurz und überreichte ihr den Blumenstrauß.

„Mein Gott! Die sind wunderschön! Vielen Dank! Hallo, Jack!“ Wieder eine Umarmung, ein Kuss auf die Wange. Da kam auch schon Steve.

„Hallo, Jungs! Schön, euch zu sehen!“ Der Handschlag gefiel Ennis schon besser. Jack reichte ihm die Flasche.

„Hey! Danke, Mann! Wir gönnen uns später noch ein Gläschen davon!“

„Netter Hut!“ bemerkte Jack und deutete auf Steves Resistol.

„Yeah! Und ich habe die ganze Woche euren lässigen Gang geübt!“ lachte Steve und steckte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans.

„Ich fürchte, das funktioniert nur mit richtigen Boots!“ lachte Emma. Ennis schmunzelte.

„Leute, bedient euch! Es gibt genug zu Essen! Steve, mach dich wieder an den Grill! Die Leute sind hungrig!“

„Ja, Ma’am!“ Steve ging zum Grill.

„Ich freu’ mich, euch zu sehen! Es war richtig einsam diese Woche!“ Emma rieb Ennis’ Arm.

„Die Leute sind begeistert vom Haus und dem Anbau. Sie finden, jetzt passt es viel besser mit den neuen Dachpfannen.“ Ennis nickte.

„Kann ich dir was zu trinken anbieten? Ein Bier?“ Jack hatte sich schon unters Volk gemischt. David, der auch da war, hatte ihn sich geschnappt und stellte ihn seiner Frau Kate vor.

„Gerne.“ Er folgte ihr zum Buffet, wo wie eine kühle Flasche Budweiser aus dem Eiswasser nahm und sie ihm reichte.

„Danke!“

„Du warst mit Bob in Douglas?“ fragte Emma interessiert.

„Ja, harte Woche.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„Und da stand Jack gestern vor meiner Tür.“ grinste Ennis verlegen. Emma lächelte.

„Schön.“

„Ja. Hab’ ihn vermisst.“

„Oh, das glaub’ ich! Du entschuldigst mich!“

„Klar!“

Emma wurde von allen Seiten verlangt. Ennis blieb etwas abseits des Geschehens stehen und sah den anderen zu. Irgendwann stürmten ein paar Kinder auf ihn zu. Ennis kannte sie. Sie gehörten zu einem Paar, dessen Pferde er bei Bob pflegte. Er mochte sie, sie hatten ihn ins Herz geschlossen, weil er sie immer auf dem alten Harry reiten ließ, dem Ackergaul, der so gemächlich war, dass er keine Gefahr darstellte, selbst für blutigste Anfänger.

„Ennis!“ Die kleine Ann-Marie stürmte auf ihn zu und umarmte seine langen Beine. Sie war gerade fünf.

„Hey, Ann-Marie!“ Er ging in die Hocke.

„Wann bist du noch mal bei Bob? Wir wollen Harry reiten!“

„Oh, ich denke nächste Woche.“

„Cool! Ich durfte heute auf Polly reiten. Ganz allein.“

„Toll! Und hat sie sich benommen?“

„Ja! Nur einmal ist sie galoppiert, aber ich hab’ sie wieder gebremst.“

„Na ja, du bist ja auch schon ganz gut, hm!“

Im nächsten Augenblick war die Aufmerksamkeit der Kinder schon wieder auf etwas anderes gerichtet und sie verließen ihn. Ennis sah ihnen hinterher und lächelte.

„Hey, Ennis!“ Ein Kollege von Trents begrüßte ihn.

„Hi, Todd! Wie geht es?“

„Gut! Gute Arbeit!“ Todd wies mit dem Kopf Richtung Anbau.

„Danke.“

„Ich wollte im Spätsommer mein Dach neu decken, vor den Stürmen. Wie sieht’s aus? Würdest du mir zur Hand gehen?“

„Oh, ähm, ich weiß nicht. Wahrscheinlich habe ich demnächst keine Zeit mehr dafür. Werde wohl ins Ranch-Geschäft einsteigen.“

Jack, der sich zu ihnen gesellt hatte, hatte den letzten Teil des Satzes gehört.

„Wow! Du kaufst eine Ranch?“

„Ja, das heißt, mein Freund Jack hier und ich. Rinder und Kälber.“

Todd schien beeindruckt.

„Glückwunsch. Habt ihr schon eine anvisiert?“

„Wir haben uns die Little Creek Ranch angeschaut.“

„Oh, in Lander. Kenn’ ich! Die ist gut in Schuss! Toll!“

Als Todd weg war, legte Jack einen Arm um seine Schulter.

„Wir kaufen also eine Ranch?!“

Ennis grinste.

„Ich liebe dich!“ sagte Jack dann leise und ließ ihn los.

„Komm, ich hab Kohldampf! Steve hat Steaks fertig!“ meinte Jack und zog ihn zum Grill.

Es wurde eine lange Nacht. Jack amüsierte sich königlich. Zu späterer Stunde tanzte er sogar zu den neuesten Discotunes, die Emma sich regelmäßig aus dem Internet zog. Sie stand auf Electronic aus Europa. Ennis saß auf der Veranda und beobachtete ihn. Er merkte gar nicht, wie sich David irgendwann zu ihm gesellte.

„Was für ein verrückter Vogel!“ meinte David und setzte sich auf die Treppenstufen.

„Ja. Er macht sich zum Idioten des Abends.“ grinste Ennis und nahm einen Schluck Wasser. Er hatte das Gefühl, genug Alkohol für heute getrunken zu haben.

„Ich glaube, er hat einfach nur Spaß!“ Seine Frau Kate war Jacks ebenbürtige Tanzpartnerin.

„Ja. Wahrscheinlich.“

„Wo kommt er her? Texas?“

„Ursprünglich aus Lightning Flat.“

„Wow!“ David nippte an seinem Whiskey. „Benimmt sich wie ein Texaner!“ Sie lachten.

„Er hat mal Rodeo geritten!“

„Wirklich? Das kann nur ein Texaner sein! Woher kennt ihr euch?“

„Wir haben mal zusammen in den Big Horns gearbeitet vor ein paar Jahren. Schafe gehütet.“

„Ahh.“ David drehte sich so um, dass er Ennis ansehen konnte.

„Hör zu, was ich heute draußen in Lander gesagt habe... ich mein’ das ernst.“

Ennis sagte darauf nichts.

„Ihr zwei seid in Ordnung. Jack tut dir gut. Du lächelst viel mehr!“ Ennis sah ihn an.

„Willst du mich verarschen?“

David schmunzelte.

„Ich wusste, dass du das sagst. Aber es stimmt. Hat Kate auch schon gesagt.“

Ennis schüttelte den Kopf, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.

„Hab’ ich’s nicht gesagt?!“

„Oh, ihr seid doch alle verrückt!“ seufzte Ennis und streckte sich.

„Du solltest besser nach deiner Frau sehen! Wenn sie so weitermachen, landen sie noch in der Zeitung am Montag!“ bemerkte Ennis und wies mit dem Kopf Richtung Rasen, wo Kate und Jack eine heiße Sohle wagten.

„Meine Güte!“ David verdrehte die Augen. Doch sein Problem hatte sich Sekunden später verflüchtigt, als ein langsamer Song begann. David nahm sich ihrer an. Jack hingegen steuerte zielstrebig die Veranda an. Er sah ihn fordernd an, wieder dieses teuflische Grinsen. Ennis schüttelte den Kopf.

„Nicht in deinen wildesten Träumen, Jack Twist!“ meinte er nur trocken.

Doch Jack ließ sich nur auf seinen Schoß fallen und legte den Kopf auf seine Schulter. Ennis geriet etwas in Panik. Er war plötzlich wieder nüchtern. Doch als er sich umsah, waren ohnehin nur noch wenige Gäste da. Steve und Emma tanzten eng umschlungen, David kümmerte sich um seine Frau. Einige andere waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Außerdem saßen sie auf der unbeleuchteten Veranda.

„Ennis Del Mar! Ich liebe dich!“ murmelte Jack.

„Ich denke, dass es jetzt Zeit wird für uns. Los! Steh’ auf, Cowboy!“ Er schob Jack von sich weg.

„Wie sollen wir jetzt ins Motel kommen? Ich kann nicht mehr Auto fahren. Und du...“ Jack hielt sich am Geländer fest.

„Ich auch nicht. Wir schlafen im Gästezimmer. Ich hab’ Emma gefragt.“

„Oh! Dann können wir ja noch ein wenig tanzen!“ Ennis schüttelte nur den Kopf und schob Jack an den Schultern ins Haus. Jack schaffte es kaum die Treppe hinauf.

„Mann, was hab’ ich mir da eingebrockt!“ sagte Ennis mehr zu sich selbst, als Jack wie ein Stein aufs Bett fiel und sich keinen Zentimeter mehr bewegte. Noch während er ihm die Klamotten auszog, schlief er ein. Er deckte ihn zu, ging dann noch mal nach draußen. Es gab immer noch einige Unverzagte. Ennis ging zu Emma, die sich gerade mit einer jungen Frau unterhielt.

„Ich hab’ ihn schlafen gelegt.“ meinte er.

„Mein Gott! Er hatte echt Spaß heute!“ meinte Emma und lächelte.

„Ja.“

„Ist doch schön! Du siehst auch zufrieden aus, Ennis.“

Er zuckte die Achseln. „War heute ziemlich viel.“

„Ihr habt euch eine Ranch angeschaut?“

„Ja.“

„David hat’s mir erzählt. Was denkst du?“

„Schwer zu sagen. Tolle Ranch, gutes Land.“

„Große Verantwortung.“

„Ja. Na ja, müssen noch mal darüber reden. Nichts überstürzen.“

„Natürlich nicht. Das ist eine Investition.“

„Hmmm.“

„Möchtest du noch etwas essen? Ist noch so viel da!“

„Oh, nein! Ich bin wirklich satt! Das Essen war gut! Wollte eigentlich nur gute Nacht sagen.“

„Okay, schlaf’ gut, Ennis!“

„Ja... dann bis morgen... soll ich noch aufräumen helfen?“

„Das will ich überhört haben!“

Jack fühlte sich scheußlich am nächsten Tag. Als er aufwachte, war die Seite neben ihm im Bett leer. In seinem Kopf hämmerte es. Ein dringendes Bedürfnis ließ ihn jedoch aufstehen. Nur in Boxershorts bekleidet ging er über den schmalen Flur ins Gästebad gegenüber. Von unten hörte er fröhliches Geplauder. ‚Jesus!‘ war Jacks einziger Gedanke bei einem Blick in den Spiegel. Dunkle Ringe unter den Augen, die Haare standen in alle Richtungen. Rasieren musste er sich auch mal wieder.

Als Jack in die Küche kam, war niemand da. Auf dem Tisch standen noch alle Zutaten für ein reichhaltiges Frühstück. Außerdem ein Glas Wasser mit einer Packung Alka Seltzer. Auf einem Zettel stand: Hallo, Jack! Sind aufs Gestüt gefahren. Sehen uns später! Emma & Steve. Jack, habe noch etwas zu erledigen. Ennis. Jack ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er nahm eine Tablette aus der Packung uns ließ sie ins Wasser fallen, das auf der Stelle anfing zu sprudeln. Mit seinem Kopf in der Hand wartete er, bis sie vollständig aufgelöst war und leerte das Glas anschließend in einem Zug.

Er knabberte gedankenverloren auf einem trockenen Toast herum, als sein Pick Up auf den Hof gefahren kam. Er nahm es jedoch gar nicht wahr. Er war mit seinen Gedanken weit weg. Definitiv nicht in der Küche seiner neuen Freunde Emma und Steve. Daher zuckte er ein wenig zusammen, als er seinen eigenen Namen hörte.

„Jack?“

Er sah auf. Es war Ennis.

„Wo warst du denn, hm?!“ Er streichelte kurz durch sein Haar.

„Weiß nicht.“ murmelte Jack und ließ das Brot auf den Teller sinken.

„Und du?“

„Oh, ähm, hatte noch was zu erledigen.“ Ennis schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.

„Hmm.“ Jack lehnte sich im Stuhl nach hinten und schloss die Augen.

„So schlimm?“ Ennis begann, seine Schultern zu massieren.

„Oh, ja, das tut gut...“ seufzte der andere.

„Was möchtest du heute machen?“ fragte Ennis.

„Am liebsten gar nichts.“

„Ich dachte, wir könnten raus fahren in die Owl Creeks, schwimmen, einfach nur rumhängen.“

„Hmm.“

„Was denkst du?“

„Wenn du fährst...“

„Klar. Ich hab’ schon alles in deinem Wagen.“

Jack öffnete die Augen und sah ihn an. Ennis lächelte verlegen.


Die Fahrt dauerte knapp eineinhalb Stunden. Ennis fuhr irgendwann vom Weg ab und steuerte den Wagen an eine abgelegene Stelle am Fluss. Er kannte sie von früher. Er war mit einer seiner früheren Freundinnen schon mal hier gewesen. Zum Knutschen. Es war ein nettes Fleckchen, ganz idyllisch an einer Flussbiegung.

„Nett!“ bemerkte Jack uns stieg aus. Die Luft war klar.

Ennis lud den Pick Up aus. Jack sah ihm interessiert zu.

„Scheint was größeres zu sein, das du vor hast...“ sagte er, als er ein eingepacktes Zelt ausmachte.

„Was ist? Hilfst du mir, oder willst du weiter in der Wildnis rum stehen?“

Jack schüttelte amüsiert den Kopf und nahm das Dreibein und das Zelt.

„Kriegst du das mit dem Zelt hin?“ fragte Ennis. Er zog sich seine ledernen Handschuhe an.

„Denkst du, ich hätte das verlernt?“

Ennis grinste nur.

„Ich hol’ uns Holz.“ meinte er nur und machte sich auf in das nahe gelegene Waldstück, während sich Jack daran machte, das Zelt aufzubauen, was ihm erstaunlich schnell gelang. Als Ennis mit einer stattlichen Menge an Feuerholz zurückkam, hatte Jack schon eine Feuerstelle gebaut.

„Dein geheimer Ort?“ fragte er. Er hatte sich die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt.

„Die Mädels fanden's immer schön hier oben.“ bemerkte Ennis trocken und legte etwas Holz in die Feuerstelle.

„Tse...“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, begann Ennis sich auszuziehen. Jack stützte seinen Kopf auf einer Hand ab und genoss den Anblick.

„Was ist?“

„Nichts!“

„Kommst du mit?“ Ennis lief zum Fluss. Er war kühl, doch er trotzte den niedrigen Temperaturen und sprang ganz hinein.

„Es ist wundervoll!“ rief er Jack zu. Der zögerte schließlich nicht mehr lange und tat das gleiche.

Die Maisonne trocknete ihre Körper recht schnell. Sie lagen nebeneinander auf einer Decke und genossen die Wärme.

„Ennis?“ Jack blinzelte in die Sonne und reichte seinem Freund die Zigarette, an der er gerade gezogen hatte.

„Hm?“

„Was wäre passiert, wenn Emma nicht gewesen wäre?“

Ennis nahm einen tiefen Zug, hielt einen Moment die Luft an, um dann den Rauch auszuatmen.

„Keine Ahnung.“ murmelte er.

„Ich dachte, wir sehen uns nie wieder.“ Jack drehte sich zur Seite, damit er Ennis ansehen konnte.

„Du warst so entschlossen.“

Ennis sagte nichts. Er legte einen Arm hinter seinen Kopf. Jack beugte sich vor und küsste seine Achseln. Er duftete herrlich, nach dem Fluss, ein wenig nach Schweiß.

„Als wir uns damals in Signal verabschiedet haben...“ Jack malte Kreise auf seine Brust.

„Nach ein paar Meilen musste ich rechts ran fahren und erstmal kotzen. Keine Ahnung... das war krass. Ich hab’ irgendwie erst viel später geschnallt, warum.“

Ennis schnippte die sorgfältig ausgedrückte Zigarette weg. Dann legte er den anderen Arm um Jack und zog ihn zu sich, so dass er schließlich auf ihm lag.

„Jack Twist!“ Ennis strich ihm mit beiden Händen das Haar aus dem Gesicht. Er versank regelrecht in seinen blauen Augen. Sie küssten sich.

Eng aneinander geschmiegt saßen sie später am Feuer. Es war eine sternenklare, kühle Nacht. Ennis hielt Jack von hinten umarmt, er hatte eine Decke um sie beide geschlungen. Gedankenverloren schauten sie ins knisternde, wärmende Feuer.

„Jack?“ flüsterte Ennis ihm ins Ohr.

„Hm?“ Jack rückte noch ein wenig näher an ihn heran.

„Happy Birthday!“

Jack kicherte.

„Woher weißt du das?“ fragte er und drückte seinen Arm.

Da ließ Ennis ihn los, um etwas aus der Innentasche seiner Jacke zu holen. Es war einige zusammengeheftete Papiere, einmal längs gefaltet. Er reichte sie Jack, der nicht wusste, was es war, bis er sie auseinanderfaltete. Es war der Kaufvertrag. Er starrte eine Weile darauf. Ennis legte sein Kinn auf Jacks rechte Schulter.

„Bist du sicher?“ Jack flüsterte. Man konnte es kaum verstehen.

Ennis antwortete mit einer festen Umarmung.

ENDE

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